Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
18
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 5 SB 572/95
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 18 SB 48/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz (AHP) ersetzen als antizipierte Gutachten nicht die Einholung von Sachverständigengutachten. Art und Ausmaß der Behinderung sind gutachtlich festzustellen. Erst dann kann gerichtlich geprüft werden, ob der auf der Grundlage des konkret ermittelten medizinischen Sachverhalts geschätzte Grad der Behinderung sich im Rahmen der Bewertungsgrundsätze des AHP bewegt.
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 11.03.1998 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob für die Behinderungen des Klägers ein höherer Grad der Behinderung (GdB) als 30 festzustellen ist.
Der Beklagte stellte bei dem am 30.04.1944 geborenen Kläger mit Bescheid vom 26.01.1989 als Behinderung mit einem GdB von 30 "Migräne" fest. Mit Änderungsbescheid vom 17.05.1995 anerkannte der Beklagte ohne Erhöhung des GdB als weitere Behinderung "Chronische Bronchitis, psychovegetatives Syndrom und Wirbelsäulensyndrom". Im anschließenden Widerspruchsverfahren bezeichnete der Beklagte die Behinderungen mit Bescheid vom 31.07.1995 - wiederum bei unverändertem GdB - wie folgt: 1. Seelische Störung mit Kopfschmerzneigung 2. Chronische Bronchitis 3. Wirbelsäulensyndrom. Der Widerspruch des Klägers war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 14.08.1995).
Am 08.08.1996 beantragte der Kläger die Feststellung eines GdB von mindestens 60 wegen Verschlimmerung seines Migräneleidens. Der behandelnde Internist Dr ... empfahl in seinem Befundbericht vom 12.05.1997, das Migräneleiden des Klägers mit einem GdB von 50-60 zu bewerten. Nach versorgungsärztlicher Begutachtung durch den Nervenarzt Dr ... vom 07.07.1997 lehnte der Beklagte eine Neufeststellung mit Bescheid vom 09.07.1997 ab.
Der Kläger hat gegen den Bescheid vom 14.08.1995 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Würzburg erhoben und die Feststellung eines GdB von mindestens 50 begehrt. Zur Begründung hat er angegeben, er leide unter schwerster therapieresistenter Migräne. Das SG hat ein Gutachten des Prof.Dr ... (Bamberg) vom 26.02.1996 eingeholt. Dieser hat beim Kläger eine "Migräne ohne Aura" diagnostiziert und diese mit einem GdB von 30 bewertet. Das SG ist Prof.Dr ... gefolgt und hat den Beklagten mit Urteil vom 11.03.1998 unter Abänderung des Bescheides vom 31.07.1995 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 14.08.1995 sowie unter Abänderung des Bescheides vom 09.07.1997 verurteilt, beim Kläger als Behinderungen nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG) anzuerkennen: 1. Migräne 2. Wirbelsäulensyndrom 3. Psychovegetatives Syndrom 4. Chronische Bronchitis. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt und die Feststellung eines GdB von mindestens 60 wegen der Schwere seines Migräneleidens begehrt. Der Senat hat Befundberichte der behandelnden Ärzte beigezogen und die Ehefrau des Klägers zu der Häufigkeit und Dauer der Migräneanfälle einvernommen. Er hat mehrere Sachverständige ernannt (Prof. Dr ..., Bamberg; Prof.Dr ..., Heidelberg; Prof.Dr ..., Essen). Diese hat der Senat zum Teil auf Vorbringen des Klägers bzw eigenes Vorbringen der ernannten Sachverständigen wieder von der Erstellung eines Gutachtens entbunden. Der als Sachverständige vorgesehene Prof.Dr ... (Würzburg) hat - nachdem er vorab einen Brief des Klägers erhalten hat - die Erstattung eines Gutachtens ebenfalls abgelehnt. Der Kläger hat dem Senat mitgeteilt, dass er gegen jedwedes Gutachten Einspruch erhebe und garantiere, dass das Gericht von keinem Spezialisten ein Gutachten erhalten werde. Er vertritt die Auffassung, das Gericht habe den GdB ohne weiteres Sachverständigengutachten anhand der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz 1996 (AHP) festzustellen. Insbesondere lehnt er eine Begutachtung durch einen Psychiater ab. Der Beklagte hält eine weitere medizinische Sachaufklärung für erforderlich.
Der Kläger beantragt (sinngemäß), das Urteil des SG Würzburg vom 11.03.1998 abzuändern und einen GdB von mindestens 60 festzustellen.
Der Beklagte beantragt, die Berufung gegen das Urteil des SG Würzburg vom 11.03.1998 zurückzuweisen.
Ergänzend zum Sachverhalt wird auf die Schwerbehindertenakte des Beklagten und die Gerichtsakten der ersten und zweiten Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) eingelegte Berufung ist zulässig, aber nicht begründet.
Die Behinderungen des Klägers sind weiterhin mit einem GdB von 30 zu bewerten, da der Senat durch die mangelnde Mitwirkung des Klägers gehindert ist, einen höheren GdB festzustellen.
Gemäß § 48 Abs 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung dann aufzuheben, wenn in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass des Verwaltungsaktes vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Voraussetzung für die Feststellung, ob eine Änderung des GdB vorliegt, ist ein Vergleich zwischen den gesundheitlichen Verhältnissen im Zeitpunkt des Erlasses der bindend gewordenen letzten bescheidmäßigen Feststellung des GdB und dem Zustand im Zeitpunkt der Neufeststellung.
Vergleichsbescheid ist der Bescheid vom 26.01.1989 mit einem GdB von 30. Der Senat sieht sich nicht in der Lage, aufgrund der vor dem SG und im Berufungsverfahren durchgeführten Ermittlungen eine Änderung des GdB festzustellen. Die gesundheitlichen Verhältnisse des Klägers sind im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats nämlich nicht sicher zu beurteilen. Bei einer Änderung der medizinischen Verhältnisse müssen ausreichende Vergleichsunterlagen, insbesondere genügend vergleichbare Befunde vorliegen (Schroeder-Printzen/Wiesner, SGB X, 3.Auflage, § 48 Rdnr 7 unter Verweisung auf BSG-Rechtsprechung). Dem Senat war es wegen der mangelnden Mitwirkung des Klägers verwehrt, seinem gesetzlichen Auftrag, den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären, hinreichend nachzukommen.
Der Kläger hat sowohl Begutachtungen nach persönlicher Untersuchung als auch ein Gutachten nach Aktenlage vereitelt. Zwar haben die Sachverständigen Prof.Dr ... und Prof. Dr ... die Ablehnung einer Gutachtenserstellung mit Zeitmangel begründet. Die Ablehnung erfolgte aber, nachdem der Kläger nach Erhalt der Beweisanordnung sich persönlich an die Sachverständigen gewandt und zu verstehen gegeben hat, dass er die Kompetenz der Sachverständigen bezweifle bzw eine Gutachtenserstellung für rechtswidrig halte. Prof.Dr ... hat sich nach einem solchen Anschreiben des Klägers für befangen erklärt. Prof.Dr ... hat eine Gutachtenserstellung abgelehnt, weil ihn der Kläger im Verfahren vor dem SG bei der Staatsanwaltschaft angezeigt hat.
Der Kläger war zur Mitwirkung bei der Ermittlung des Sachverhalts verpflichtet (§ 103 Satz 1 2. Halbsatz SGG). Hierzu gehört auch die Verpflichtung, sich ärztlich untersuchen zu lassen (Meyer-Ladewig, 6.Auflage, Kommentar zum SGG, § 103 RdNr 14). Erschwert der Kläger durch seine fehlende Mitwirkung die Aufklärung des Sachverhalts oder macht er sie durch sein Verhalten unmöglich, so kann er später nicht rügen, das Gericht habe den Sachverhalt nicht ausreichend aufgeklärt (aaO RdNr 16 unter Verweisung auf BSG SozR § 103 Nr 56). Die Folgen der Nichterweislichkeit von Gesundheitsstörungen wegen mangelnder Mitwirkung gehen zu Lasten des Klägers. In sozialgerichtlichen Verfahren ist der Grundsatz der objektiven Beweislast zu beachten, wonach jeder die Beweislast für die Tatsachen trägt, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen. Ein Beteiligter muss daher die Folgen tragen, wenn eine Ungewissheit wegen der für ihn günstigen Tatsachen verblieben ist (aaO RdNr 19a mwN).
Eine höhere Festsetzung des GdB als 30 auf der Grundlage der Zeugenaussage der Ehefrau über andauernde schwerste Migräneanfälle des Klägers kann der Senat nicht treffen, da dies rein spekulativ wäre. Auf eine aktuelle medizinische Befunderhebung kann nicht verzichtet werden. Auch die von den behandelnden Ärzten eingeholten Befundberichte haben keine für den Senat verwertbaren ärztlichen Äußerungen über die Intensität und Häufigkeit der Migräneanfälle erbracht. Auch ist ungeklärt, ob die Migräneanfälle nicht Ausfluss einer eigens zu bewertenden seelischen Störung sind.
Der Senat kann ohne genaue diagnostische Bestimmung der Behinderungen des Klägers das Regelwerk der AHP nicht anwenden. Zwar nennen die AHP als antizipierte Sachverständigengutachten GdB-Grade für Behinderungen, die von den Sozialgerichten zu beachten sind (so Bundesverfassungsgericht -BverfG- SozR 3-3870 § 3 Nr 6). Dies bedeutet aber lediglich, dass die Vorgaben der AHP nicht durch Einzelfallgutachten hinsichtlich ihrer g e n e - r e l l e n Richtigkeit widerlegt werden können (BSG SozR 3-3870 § 4 Nr 6). Ohne Feststellung der k o n k r e t e n Behinderung kann das Gericht nicht auf das Regelwerk der AHP zur GdB-Bestimmung zurückgreifen. Zur Feststellung von Art und Ausmaß der Behinderungen muss das Gericht einen ärztlichen Sachverständigen heranziehen. Denn es verstößt gegen seine Pflicht zur Amtsermittlung (§ 103 SGG), wenn es davon absieht, einen Sachverständigen zu bestellen und eine Tatsachenfrage beurteilt, ohne selbst über die besondere eigene Sachkunde zu verfügen (Meyer-Ladewig aaO § 103 Rdnr 7b). Die in den AHP aufgeführten GdB-Werte und die für die Höhe des GdB jeweils genannten Voraussetzungen stellen keine Tatsachen dar, die eine Beweisaufnahme überflüssig machen. Aus dem og Urteil des BSG ergibt sich nichts anderes. Die AHP entbinden die Sozialgerichte nicht von dem Erfordernis der medizinischen Sachverhaltsermittlung (insoweit missverständlich Meyer-Ladewig aaO Rdnr 7c unter Verweisung auf BSG 72, 285 = SozR 3-3870 § 4 Nr 6).
Es ist nicht hinreichend geklärt, welche Behinderungen beim Kläger vorliegen. Zwar hat das SG den Beklagten verurteilt, beim Kläger bestimmte Behinderungen und - in Abänderung des Bescheides vom 31.07.1995 - eine "Migräne" anzuerkennen. Diesem Ausspruch des SG kommt aber keine Rechtskraftwirkung dergestalt zu, dass etwa bei der Feststellung des (Gesamt)GdB ausschließlich von den vom SG zugesprochenen Behinderungen auszugehen ist. Es ist nämlich im Verfügungssatz eines Bescheides nach § 4 Abs 1 Satz 1 SchwbG nur das Vorliegen einer (unbenannten) Behinderung und der GdB festzustellen. Die dieser Feststellung zugrundeliegenden Gesundheitsstörungen, die daraus folgenden Funktionsbeeinträchtigungen und deren Auswirkungen sind lediglich in der Begründung des Verwaltungsaktes anzugeben (BSG SozR 3-3870 § 4 Nr 24). Festzustellen ist nicht, wie ein Antragsteller behindert ist und welche Auswirkungen die bei ihm vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen insgesamt haben, vielmehr ist lediglich festzustellen, dass eine (unbenannte) Behinderung als denknotwendige Voraussetzung für die Feststellung ihres Grades besteht (aaO). Die isolierte Feststellung einzelner Gesundheitsstörungen oder Funktionsbeeinträchtigungen führt zu keinen wirtschaftlichen oder rechtlichen Vorteilen für den Behinderten, so dass die auf Verurteilung zu einer solchen Feststellung gerichtete Klage unzulässig ist. Dies muss in jeder Lage des Rechtsstreits von Amts wegen beachtet werden (aaO). Der Senat kann die zusprechende Entscheidung des SG "Migräne" nicht wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses aufheben und die Klage abweisen, da das Urteil insoweit nicht angefochten wurde und daher in Rechtskraft erwachsen ist. Der Senat ist deshalb aber nicht gehalten, die Behinderung "Migräne" primär seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Beim Kläger können nämlich die geklagten Gesundheitsstörungen auf anderen Leiden als einer Migräne beruhen mit der Folge, dass der Senat ohne weitere Ermittlungen die AHP als antizipierte Gutachten nicht anzuwenden vermag. Für diese Einschätzung der Sachlage ergeben sich hinreichende Anhaltspunkte. So hat der Sachverständige Prof. Dr ... in der Eigenanamnese des Klägers berichtet, dass dieser dreimalig schwere depressive Auslenkungen gehabt habe. Es ist für den Senat daher bislang ungeklärt, ob die vom Kläger und dessen Ehefrau beschriebenen schweren Migräneanfälle nicht Ausfluss eines komplexen depressiven Geschehens sind. Der Senat kann aber in diese Richtung nicht ermittlen, da der Kläger eine psychiatrische Begutachtung ausdrücklich ablehnt.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob für die Behinderungen des Klägers ein höherer Grad der Behinderung (GdB) als 30 festzustellen ist.
Der Beklagte stellte bei dem am 30.04.1944 geborenen Kläger mit Bescheid vom 26.01.1989 als Behinderung mit einem GdB von 30 "Migräne" fest. Mit Änderungsbescheid vom 17.05.1995 anerkannte der Beklagte ohne Erhöhung des GdB als weitere Behinderung "Chronische Bronchitis, psychovegetatives Syndrom und Wirbelsäulensyndrom". Im anschließenden Widerspruchsverfahren bezeichnete der Beklagte die Behinderungen mit Bescheid vom 31.07.1995 - wiederum bei unverändertem GdB - wie folgt: 1. Seelische Störung mit Kopfschmerzneigung 2. Chronische Bronchitis 3. Wirbelsäulensyndrom. Der Widerspruch des Klägers war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 14.08.1995).
Am 08.08.1996 beantragte der Kläger die Feststellung eines GdB von mindestens 60 wegen Verschlimmerung seines Migräneleidens. Der behandelnde Internist Dr ... empfahl in seinem Befundbericht vom 12.05.1997, das Migräneleiden des Klägers mit einem GdB von 50-60 zu bewerten. Nach versorgungsärztlicher Begutachtung durch den Nervenarzt Dr ... vom 07.07.1997 lehnte der Beklagte eine Neufeststellung mit Bescheid vom 09.07.1997 ab.
Der Kläger hat gegen den Bescheid vom 14.08.1995 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Würzburg erhoben und die Feststellung eines GdB von mindestens 50 begehrt. Zur Begründung hat er angegeben, er leide unter schwerster therapieresistenter Migräne. Das SG hat ein Gutachten des Prof.Dr ... (Bamberg) vom 26.02.1996 eingeholt. Dieser hat beim Kläger eine "Migräne ohne Aura" diagnostiziert und diese mit einem GdB von 30 bewertet. Das SG ist Prof.Dr ... gefolgt und hat den Beklagten mit Urteil vom 11.03.1998 unter Abänderung des Bescheides vom 31.07.1995 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 14.08.1995 sowie unter Abänderung des Bescheides vom 09.07.1997 verurteilt, beim Kläger als Behinderungen nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG) anzuerkennen: 1. Migräne 2. Wirbelsäulensyndrom 3. Psychovegetatives Syndrom 4. Chronische Bronchitis. Im übrigen hat es die Klage abgewiesen.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt und die Feststellung eines GdB von mindestens 60 wegen der Schwere seines Migräneleidens begehrt. Der Senat hat Befundberichte der behandelnden Ärzte beigezogen und die Ehefrau des Klägers zu der Häufigkeit und Dauer der Migräneanfälle einvernommen. Er hat mehrere Sachverständige ernannt (Prof. Dr ..., Bamberg; Prof.Dr ..., Heidelberg; Prof.Dr ..., Essen). Diese hat der Senat zum Teil auf Vorbringen des Klägers bzw eigenes Vorbringen der ernannten Sachverständigen wieder von der Erstellung eines Gutachtens entbunden. Der als Sachverständige vorgesehene Prof.Dr ... (Würzburg) hat - nachdem er vorab einen Brief des Klägers erhalten hat - die Erstattung eines Gutachtens ebenfalls abgelehnt. Der Kläger hat dem Senat mitgeteilt, dass er gegen jedwedes Gutachten Einspruch erhebe und garantiere, dass das Gericht von keinem Spezialisten ein Gutachten erhalten werde. Er vertritt die Auffassung, das Gericht habe den GdB ohne weiteres Sachverständigengutachten anhand der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz 1996 (AHP) festzustellen. Insbesondere lehnt er eine Begutachtung durch einen Psychiater ab. Der Beklagte hält eine weitere medizinische Sachaufklärung für erforderlich.
Der Kläger beantragt (sinngemäß), das Urteil des SG Würzburg vom 11.03.1998 abzuändern und einen GdB von mindestens 60 festzustellen.
Der Beklagte beantragt, die Berufung gegen das Urteil des SG Würzburg vom 11.03.1998 zurückzuweisen.
Ergänzend zum Sachverhalt wird auf die Schwerbehindertenakte des Beklagten und die Gerichtsakten der ersten und zweiten Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) eingelegte Berufung ist zulässig, aber nicht begründet.
Die Behinderungen des Klägers sind weiterhin mit einem GdB von 30 zu bewerten, da der Senat durch die mangelnde Mitwirkung des Klägers gehindert ist, einen höheren GdB festzustellen.
Gemäß § 48 Abs 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung dann aufzuheben, wenn in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass des Verwaltungsaktes vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Voraussetzung für die Feststellung, ob eine Änderung des GdB vorliegt, ist ein Vergleich zwischen den gesundheitlichen Verhältnissen im Zeitpunkt des Erlasses der bindend gewordenen letzten bescheidmäßigen Feststellung des GdB und dem Zustand im Zeitpunkt der Neufeststellung.
Vergleichsbescheid ist der Bescheid vom 26.01.1989 mit einem GdB von 30. Der Senat sieht sich nicht in der Lage, aufgrund der vor dem SG und im Berufungsverfahren durchgeführten Ermittlungen eine Änderung des GdB festzustellen. Die gesundheitlichen Verhältnisse des Klägers sind im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats nämlich nicht sicher zu beurteilen. Bei einer Änderung der medizinischen Verhältnisse müssen ausreichende Vergleichsunterlagen, insbesondere genügend vergleichbare Befunde vorliegen (Schroeder-Printzen/Wiesner, SGB X, 3.Auflage, § 48 Rdnr 7 unter Verweisung auf BSG-Rechtsprechung). Dem Senat war es wegen der mangelnden Mitwirkung des Klägers verwehrt, seinem gesetzlichen Auftrag, den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären, hinreichend nachzukommen.
Der Kläger hat sowohl Begutachtungen nach persönlicher Untersuchung als auch ein Gutachten nach Aktenlage vereitelt. Zwar haben die Sachverständigen Prof.Dr ... und Prof. Dr ... die Ablehnung einer Gutachtenserstellung mit Zeitmangel begründet. Die Ablehnung erfolgte aber, nachdem der Kläger nach Erhalt der Beweisanordnung sich persönlich an die Sachverständigen gewandt und zu verstehen gegeben hat, dass er die Kompetenz der Sachverständigen bezweifle bzw eine Gutachtenserstellung für rechtswidrig halte. Prof.Dr ... hat sich nach einem solchen Anschreiben des Klägers für befangen erklärt. Prof.Dr ... hat eine Gutachtenserstellung abgelehnt, weil ihn der Kläger im Verfahren vor dem SG bei der Staatsanwaltschaft angezeigt hat.
Der Kläger war zur Mitwirkung bei der Ermittlung des Sachverhalts verpflichtet (§ 103 Satz 1 2. Halbsatz SGG). Hierzu gehört auch die Verpflichtung, sich ärztlich untersuchen zu lassen (Meyer-Ladewig, 6.Auflage, Kommentar zum SGG, § 103 RdNr 14). Erschwert der Kläger durch seine fehlende Mitwirkung die Aufklärung des Sachverhalts oder macht er sie durch sein Verhalten unmöglich, so kann er später nicht rügen, das Gericht habe den Sachverhalt nicht ausreichend aufgeklärt (aaO RdNr 16 unter Verweisung auf BSG SozR § 103 Nr 56). Die Folgen der Nichterweislichkeit von Gesundheitsstörungen wegen mangelnder Mitwirkung gehen zu Lasten des Klägers. In sozialgerichtlichen Verfahren ist der Grundsatz der objektiven Beweislast zu beachten, wonach jeder die Beweislast für die Tatsachen trägt, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen. Ein Beteiligter muss daher die Folgen tragen, wenn eine Ungewissheit wegen der für ihn günstigen Tatsachen verblieben ist (aaO RdNr 19a mwN).
Eine höhere Festsetzung des GdB als 30 auf der Grundlage der Zeugenaussage der Ehefrau über andauernde schwerste Migräneanfälle des Klägers kann der Senat nicht treffen, da dies rein spekulativ wäre. Auf eine aktuelle medizinische Befunderhebung kann nicht verzichtet werden. Auch die von den behandelnden Ärzten eingeholten Befundberichte haben keine für den Senat verwertbaren ärztlichen Äußerungen über die Intensität und Häufigkeit der Migräneanfälle erbracht. Auch ist ungeklärt, ob die Migräneanfälle nicht Ausfluss einer eigens zu bewertenden seelischen Störung sind.
Der Senat kann ohne genaue diagnostische Bestimmung der Behinderungen des Klägers das Regelwerk der AHP nicht anwenden. Zwar nennen die AHP als antizipierte Sachverständigengutachten GdB-Grade für Behinderungen, die von den Sozialgerichten zu beachten sind (so Bundesverfassungsgericht -BverfG- SozR 3-3870 § 3 Nr 6). Dies bedeutet aber lediglich, dass die Vorgaben der AHP nicht durch Einzelfallgutachten hinsichtlich ihrer g e n e - r e l l e n Richtigkeit widerlegt werden können (BSG SozR 3-3870 § 4 Nr 6). Ohne Feststellung der k o n k r e t e n Behinderung kann das Gericht nicht auf das Regelwerk der AHP zur GdB-Bestimmung zurückgreifen. Zur Feststellung von Art und Ausmaß der Behinderungen muss das Gericht einen ärztlichen Sachverständigen heranziehen. Denn es verstößt gegen seine Pflicht zur Amtsermittlung (§ 103 SGG), wenn es davon absieht, einen Sachverständigen zu bestellen und eine Tatsachenfrage beurteilt, ohne selbst über die besondere eigene Sachkunde zu verfügen (Meyer-Ladewig aaO § 103 Rdnr 7b). Die in den AHP aufgeführten GdB-Werte und die für die Höhe des GdB jeweils genannten Voraussetzungen stellen keine Tatsachen dar, die eine Beweisaufnahme überflüssig machen. Aus dem og Urteil des BSG ergibt sich nichts anderes. Die AHP entbinden die Sozialgerichte nicht von dem Erfordernis der medizinischen Sachverhaltsermittlung (insoweit missverständlich Meyer-Ladewig aaO Rdnr 7c unter Verweisung auf BSG 72, 285 = SozR 3-3870 § 4 Nr 6).
Es ist nicht hinreichend geklärt, welche Behinderungen beim Kläger vorliegen. Zwar hat das SG den Beklagten verurteilt, beim Kläger bestimmte Behinderungen und - in Abänderung des Bescheides vom 31.07.1995 - eine "Migräne" anzuerkennen. Diesem Ausspruch des SG kommt aber keine Rechtskraftwirkung dergestalt zu, dass etwa bei der Feststellung des (Gesamt)GdB ausschließlich von den vom SG zugesprochenen Behinderungen auszugehen ist. Es ist nämlich im Verfügungssatz eines Bescheides nach § 4 Abs 1 Satz 1 SchwbG nur das Vorliegen einer (unbenannten) Behinderung und der GdB festzustellen. Die dieser Feststellung zugrundeliegenden Gesundheitsstörungen, die daraus folgenden Funktionsbeeinträchtigungen und deren Auswirkungen sind lediglich in der Begründung des Verwaltungsaktes anzugeben (BSG SozR 3-3870 § 4 Nr 24). Festzustellen ist nicht, wie ein Antragsteller behindert ist und welche Auswirkungen die bei ihm vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen insgesamt haben, vielmehr ist lediglich festzustellen, dass eine (unbenannte) Behinderung als denknotwendige Voraussetzung für die Feststellung ihres Grades besteht (aaO). Die isolierte Feststellung einzelner Gesundheitsstörungen oder Funktionsbeeinträchtigungen führt zu keinen wirtschaftlichen oder rechtlichen Vorteilen für den Behinderten, so dass die auf Verurteilung zu einer solchen Feststellung gerichtete Klage unzulässig ist. Dies muss in jeder Lage des Rechtsstreits von Amts wegen beachtet werden (aaO). Der Senat kann die zusprechende Entscheidung des SG "Migräne" nicht wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses aufheben und die Klage abweisen, da das Urteil insoweit nicht angefochten wurde und daher in Rechtskraft erwachsen ist. Der Senat ist deshalb aber nicht gehalten, die Behinderung "Migräne" primär seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Beim Kläger können nämlich die geklagten Gesundheitsstörungen auf anderen Leiden als einer Migräne beruhen mit der Folge, dass der Senat ohne weitere Ermittlungen die AHP als antizipierte Gutachten nicht anzuwenden vermag. Für diese Einschätzung der Sachlage ergeben sich hinreichende Anhaltspunkte. So hat der Sachverständige Prof. Dr ... in der Eigenanamnese des Klägers berichtet, dass dieser dreimalig schwere depressive Auslenkungen gehabt habe. Es ist für den Senat daher bislang ungeklärt, ob die vom Kläger und dessen Ehefrau beschriebenen schweren Migräneanfälle nicht Ausfluss eines komplexen depressiven Geschehens sind. Der Senat kann aber in diese Richtung nicht ermittlen, da der Kläger eine psychiatrische Begutachtung ausdrücklich ablehnt.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
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