Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
18
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 5 SB 1132/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 18 SB 6/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die von einem ärztlichen Sachverständigen geführte Gebietsbezeichnung "Arzt für öffentliches Gesundheitswesen" und die Zusatzbezeichnung "Sozialmedizin" ersetzen grundsätzlich nicht die Begutachtung durch einen einschlägigen Facharzt.
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 25.11.1999 aufgehoben. Die Streitsache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht zurückverwiesen.
II. Die Kostenentscheidung bleibt der Entscheidung des Sozialgerichts vorbehalten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG) ab 1993 und ob die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG - in der Form des gestellten Antrages - vorliegen.
Bei der am ...1937 geborenen Klägerin waren mit Bescheid vom 20.09.1988 als Behinderungen mit einem GdB von 30 anerkannt: Funktionseinschränkung der Gelenke, rezidivierende Lumbalgien bei degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule, Krampfaderleiden, postthrombotisches Syndrom.
Am 05.12.1997 beantragte die Klägerin unter Vorlage eines Arztbriefes des Orthopäden Dr ... die Neufeststellung ihrer Behinderungen wegen stechender Kreuzschmerzen. Der Beklagte erhöhte daraufhin den GdB mit Bescheid vom 12.02.1998 für die Zeit ab 05.12.1997 auf 40.
Einen Antrag der Klägerin vom 20.02.1998, rückwirkend für die Jahre 1993 bis 1996 den GdB zu erhöhen, lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 05.03.1998 ab.
Widersprüche der Klägerin gegen die Bescheide vom 12.02.1998 und 05.03.1998 wies der Beklagte nach einer Untersuchung der Klägerin durch Dr ... (Gutachten vom 28.10.1998) mit Widerspruchsbescheid vom 18.11.1998 zurück.
Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Nürnberg hat die Klägerin die Feststellung eines GdB von 50 für die Zeit von 1993 bis 1996 und von 70 ab 1997 sowie die Zuerkennung des Merkzeichens aG begehrt und dies mit einer Zunahme ihrer Wirbelsäulenbeschwerden und den Folgen einer Beckenvenenthrombose begründet. Der Beklagte hat das Klagebegehren der Klägerin für unbegründet gehalten und sich auf eine Stellungnahme des Facharztes für Chirurgie Dr ... vom 03.05.1999 gestützt. Das SG hat Befundberichte des behandelnden Arztes für Allgemeinmedizin Dr ... vom 17.09.1999 und des Orthopäden Dr ... vom 08.10.1999 beigezogen und von dem Arzt für öffentliches Gesundheitswesen, Sozialmedizin, Dr ... ein Terminsgutachten vom 25.11.1999 erstellen lassen, das die GdB-Einschätzungen des Beklagten bestätigt hat. Es hat sodann die Klage mit Urteil vom 25.11.1999 abgewiesen und sich auf das Gutachten des Dr ... gestützt.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt und an ihrem Klagebegehren festgehalten. Sie hat sinngemäß gerügt, das SG habe den medizinischen Sachverhalt in orthopädischer, neurologischer und phlebologischer Hinsicht nicht hinreichend aufgeklärt.
Die Klägerin beantragt, die Bescheide vom 12.02.1998 und 05.03.1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18.11.1998 sowie das Urteil des SG Nürnberg vom 25.11.1999 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, den GdB für die Zeit von 1993 - 1996 mit 50 und für die Zeit ab 1997 mit 70 festzustellen sowie das Vorliegen der Voraussetzungen für die Ausstellung eines Berechtigungsausweises zur Benutzung von mit dem Rollstuhl-Symbol gekennzeichneten Parkplätzen festzustellen und hilfsweise den Rechtsstreit an die 1. Instanz zurückzuverweisen. Der Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Nürnberg vom 25.11.1999 zurückzuweisen.
Ergänzend zum Sachverhalt wird auf die Schwerbehindertenakte des Beklagten und die Gerichtsakten des ersten und zweiten Rechtszuges Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die nach §§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung der Klägerin ist im Sinne der Zurückverweisung an das SG begründet.
Das Landessozialgericht kann durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das SG zurückverweisen, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet (§ 159 Abs 1 Nr 2 SGG).
Das sozialgerichtliche Urteil leidet an einem wesentlichen Verfahrensmangel. Das SG hat gegen den Grundsatz der Amtsermittlung (§ 103 SGG) verstoßen, indem es über den Anspruch der Klägerin befunden hat, ohne Sachverständigengutachten auf orthopädischem, neurologischem und gefäßchirurgischem Gebiet einzuholen.
Das SG hat den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen (§ 103 1. Halbsatz SGG). Dieser Grundsatz gilt im Sozialgerichtsgesetz wegen des öffentlichen Interesses an der Aufklärung des Sachverhalts und der Richtigkeit der Entscheidung (Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, 6. Auflage, § 103 RdNr 1). Der Untersuchungsgrundsatz bezieht sich auf den Sachverhalt (aaO RdNr 3). Es müssen alle Tatsachen ermittelt werden, die für die Entscheidung in prozessualer und materieller Hinsicht wesentlich und damit entscheidungserheblich sind (aaO RdNr 4a). Wenn das Gericht davon absieht, Sachverständige zu bestellen, so verstößt es gegen § 103 SGG, wenn es eine Tatsachenfrage selbst beurteilt, ohne selbst über besondere eigene Sachkunde zu verfügen (aaO RdNr 7b).
Das SG hat den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt. Zwar hat sich der vom SG mit einer Terminsbegutachtung beauftragte Dr ... gutachtlich zu Fragen auf orthopädischem und phlebographischem Gebiet geäußert, jedoch hat ihm hierzu die erforderliche Sachkunde gefehlt. Die Feststellung der Gesundheitsstörungen und Funktionseinschränkungen der Klägerin auf den verschiedenen Fachgebieten ist erforderlich, um die Einzel-GdB-Werte und den Gesamt-GdB zutreffend einzuschätzen. Die Einholung von Fachgutachten auf den verschiedenen Fachgebieten konnte nicht durch Anhörung des Arztes für öffentliches Gesundheitswesen und Sozialmedizin Dr ... ersetzt werden. Nach § 407a Abs 1 Zivilprozessordnung (ZPO) hätte der Sachverständige unverzüglich prüfen müssen, ob der Auftrag in sein Fachgebiet fällt und ohne Hinzuziehung von weiteren Sachverständigen erledigt werden kann. Dr ... hat dies unterlassen. Das SG hätte aber nach Vorliegen seines Gutachtens fachkompetente Untersuchungen vornehmen lassen müssen.
Die Qualifikation des Dr ... als Sozialmediziner vermag nicht die erforderlichen fachkompetenten Begutachtungen zu ersetzen. Dies ergibt sich aus den unterschiedlichen Ausbildungsanforderungen "Facharzt" und Zusatzbezeichnung "Sozialmedizin". Danach ist für die Führung der Zusatzbezeichnung "Sozialmedizin" ua lediglich die Teilnahme an jeweils 4-wöchigen theoretischen Grund- und Aufbaukursen vorgeschrieben, und es erfolgt die Anerkennung grundsätzlich ohne Prüfung (§ 11 Abs 3 Weiterbildungsordnung für die Ärzte Bayerns vom 01.10.1993). Nach seiner Definition umfasst der Begriff "Sozialmedizin" die Untersuchung der Häufigkeit und der Verteilung der Volkskrankheiten im Zusammenhang mit der sozialen und natürlichen Umwelt sowie die Organisation des Gesundheitswesens einschließlich der Begutachtung (aaO Abschnitt II Nr 18). Die Facharztausbildung erfordert hingegen ua eingehende Kenntnisse und Erfahrungen in der Diagnostik (vgl aaO Abschnitt I) und die Entscheidung über die Anerkennung einer Gebietsbezeichnung trifft die Bayer. Landesärztekammer aufgrund einer Prüfung (aaO § 11 Abs 2). Die Zulassung zur Prüfung setzt eine mehrjährige Weiterbildung voraus (aaO § 14 iVm Abschnitt I).
Auch die Führung der Gebietsbezeichnung "Arzt für öffentliches Gesundheitswesen" durch den Sachverständigen der 1. Instanz kann keine fachbezogene Begutachtung ersetzen. Diese Bezeichung kann in Bayern ein Arzt führen, wenn er die Voraussetzungen der Weiterbildungsordnung für Ärzte im Gebiet "Öffentliches Gesundheitswesen" des Bayer. Staatsministeriums des Innern, in Kraft seit 01.01.1980, erfüllt. Gemäß § 1 Abs 1 der Weiterbildungsordnung umfasst das öffentliche Gesundheitswesen die ärztliche Tätigkeit in Einrichtungen des öffentlichen Dienstes, die dazu bestimmt sind, unmittelbar den Gesundheitszustand der Bevölkerung und bestimmter Bevölkerungsteile zu ermitteln und laufend zu überwachen, ihnen drohende Gefahren festzustellen und zu beseitigen oder auf die Beseitigung hinzuwirken sowie die Gesundheit der Bevölkerung insgesamt und besonderer Gruppen zu fördern. Die wesentlichen Aufgaben des Arztes für öffentliches Gesundheitswesen liegen im Bereich der Beobachtung, Begutachtung und Wahrung der gesundheitlichen Belange der Bevölkerung einschließlich Beratung der Träger öffentlicher Aufgaben in gesundheitlichen Fragen (§ 1 Abs 2 Satz 1 Weiterbildungsordnung). Schon aus dem Aufgabenbereich des Arztes für öffentliches Gesundheitswesen ergibt sich, dass seine Kenntnisse und Erfahrungen nicht mit denen eines Facharztes auf den verschiedenen medizinischen Fachgebieten vergleichbar sind.
Nach Sachlage war vorliegend nicht lediglich eine sozialmedizinische Beurteilung hinreichend geklärter medizinischer Sachverhalte gefragt - hier kann im Einzelfall eine sozialmedizinische Beurteilung ausreichend sein -, vielmehr waren hier Art und Umfang der Behinderungen auf den verschiedenen Fachgebieten im sozialgerichtlichen Verfahren erstmals zu klären.
Die Annahme eines Einzel-GdB von 40 auf orthopädischem Gebiet durch den Beklagten weist auf nicht unerhebliche orthopädische Befunde hin. Der tatsächliche Schweregrad der Behinderungen kann nur aufgrund einer orthopädischen Begutachtung zutreffend eingeschätzt werden. Hinzu kommt der von der Klägerin geklagte stechende Kreuzschmerz, der nach ihren glaubhaften Angaben zu vorübergehenden Ausfallserscheinungen (fallen lassen von Gegenständen) führt. Hier wird zusätzlich eine neurologische Abklärung erforderlich sein. Ebenso bedarf die durch das postthrombotische Syndrom der Klägerin ausgelöste Funktionsbehinderung einer phlebologischen Beurteilung. Der Sachverständige Dr ... stellt für die Beurteilung dieser Funktionseinschränkung auf ein internistisches Gutachten aus dem Jahr 1990 ab. Für eine sachgerechte Beurteilung sind jedoch neue Befunderhebungen erforderlich. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin neben Funktionseinschränkungen durch eine Beinvenenthrombose auch Beschwerden wegen einer Beckenvenenthrombose geltend macht.
Nach alledem lässt die bisherige Beweiserhebung des SG die Feststellung des GdB und der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG nicht zu. Ein wesentlicher Verfahrensmangel berechtigt zur Zurückverweisung (Meyer-Ladewig, aaO RdNr 3 und 3a). Der Verfahrensmangel stellt sich als Verstoß gegen eine das Gerichtsverfahren regelnde Vorschrift dar. Er ist auch wesentlich, da das Urteil auf der mangelnden Sachaufklärung beruhen kann. Es ist nämlich nicht auszuschließen, dass das SG nach ausreichender Amtsermittlung anders entschieden hätte.
Es liegt im Ermessen des LSG, ob es in der Sache selbst entscheiden oder zurückverweisen will. Die Zurückverweisung soll die Ausnahme sein (aaO § 159 Anm 5). In Abwägung zwischen den Interessen der Beteiligten an einer Sachentscheidung sowie dem Grundsatz der Prozessökonomie und dem Verlust einer Instanz hält der Senat wegen der noch notwendigen und umfangreichen Beweisaufnahme (Einholung von Gutachten auf orthopädischem, neurologischem und phlebologischem Gebiet) die Zurückverweisung für geboten.
Die Kostenentscheidung bleibt dem SG vorbehalten.
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG).
II. Die Kostenentscheidung bleibt der Entscheidung des Sozialgerichts vorbehalten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG) ab 1993 und ob die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG - in der Form des gestellten Antrages - vorliegen.
Bei der am ...1937 geborenen Klägerin waren mit Bescheid vom 20.09.1988 als Behinderungen mit einem GdB von 30 anerkannt: Funktionseinschränkung der Gelenke, rezidivierende Lumbalgien bei degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule, Krampfaderleiden, postthrombotisches Syndrom.
Am 05.12.1997 beantragte die Klägerin unter Vorlage eines Arztbriefes des Orthopäden Dr ... die Neufeststellung ihrer Behinderungen wegen stechender Kreuzschmerzen. Der Beklagte erhöhte daraufhin den GdB mit Bescheid vom 12.02.1998 für die Zeit ab 05.12.1997 auf 40.
Einen Antrag der Klägerin vom 20.02.1998, rückwirkend für die Jahre 1993 bis 1996 den GdB zu erhöhen, lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 05.03.1998 ab.
Widersprüche der Klägerin gegen die Bescheide vom 12.02.1998 und 05.03.1998 wies der Beklagte nach einer Untersuchung der Klägerin durch Dr ... (Gutachten vom 28.10.1998) mit Widerspruchsbescheid vom 18.11.1998 zurück.
Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Nürnberg hat die Klägerin die Feststellung eines GdB von 50 für die Zeit von 1993 bis 1996 und von 70 ab 1997 sowie die Zuerkennung des Merkzeichens aG begehrt und dies mit einer Zunahme ihrer Wirbelsäulenbeschwerden und den Folgen einer Beckenvenenthrombose begründet. Der Beklagte hat das Klagebegehren der Klägerin für unbegründet gehalten und sich auf eine Stellungnahme des Facharztes für Chirurgie Dr ... vom 03.05.1999 gestützt. Das SG hat Befundberichte des behandelnden Arztes für Allgemeinmedizin Dr ... vom 17.09.1999 und des Orthopäden Dr ... vom 08.10.1999 beigezogen und von dem Arzt für öffentliches Gesundheitswesen, Sozialmedizin, Dr ... ein Terminsgutachten vom 25.11.1999 erstellen lassen, das die GdB-Einschätzungen des Beklagten bestätigt hat. Es hat sodann die Klage mit Urteil vom 25.11.1999 abgewiesen und sich auf das Gutachten des Dr ... gestützt.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt und an ihrem Klagebegehren festgehalten. Sie hat sinngemäß gerügt, das SG habe den medizinischen Sachverhalt in orthopädischer, neurologischer und phlebologischer Hinsicht nicht hinreichend aufgeklärt.
Die Klägerin beantragt, die Bescheide vom 12.02.1998 und 05.03.1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18.11.1998 sowie das Urteil des SG Nürnberg vom 25.11.1999 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, den GdB für die Zeit von 1993 - 1996 mit 50 und für die Zeit ab 1997 mit 70 festzustellen sowie das Vorliegen der Voraussetzungen für die Ausstellung eines Berechtigungsausweises zur Benutzung von mit dem Rollstuhl-Symbol gekennzeichneten Parkplätzen festzustellen und hilfsweise den Rechtsstreit an die 1. Instanz zurückzuverweisen. Der Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Nürnberg vom 25.11.1999 zurückzuweisen.
Ergänzend zum Sachverhalt wird auf die Schwerbehindertenakte des Beklagten und die Gerichtsakten des ersten und zweiten Rechtszuges Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die nach §§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung der Klägerin ist im Sinne der Zurückverweisung an das SG begründet.
Das Landessozialgericht kann durch Urteil die angefochtene Entscheidung aufheben und die Sache an das SG zurückverweisen, wenn das Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet (§ 159 Abs 1 Nr 2 SGG).
Das sozialgerichtliche Urteil leidet an einem wesentlichen Verfahrensmangel. Das SG hat gegen den Grundsatz der Amtsermittlung (§ 103 SGG) verstoßen, indem es über den Anspruch der Klägerin befunden hat, ohne Sachverständigengutachten auf orthopädischem, neurologischem und gefäßchirurgischem Gebiet einzuholen.
Das SG hat den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen (§ 103 1. Halbsatz SGG). Dieser Grundsatz gilt im Sozialgerichtsgesetz wegen des öffentlichen Interesses an der Aufklärung des Sachverhalts und der Richtigkeit der Entscheidung (Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, 6. Auflage, § 103 RdNr 1). Der Untersuchungsgrundsatz bezieht sich auf den Sachverhalt (aaO RdNr 3). Es müssen alle Tatsachen ermittelt werden, die für die Entscheidung in prozessualer und materieller Hinsicht wesentlich und damit entscheidungserheblich sind (aaO RdNr 4a). Wenn das Gericht davon absieht, Sachverständige zu bestellen, so verstößt es gegen § 103 SGG, wenn es eine Tatsachenfrage selbst beurteilt, ohne selbst über besondere eigene Sachkunde zu verfügen (aaO RdNr 7b).
Das SG hat den Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt. Zwar hat sich der vom SG mit einer Terminsbegutachtung beauftragte Dr ... gutachtlich zu Fragen auf orthopädischem und phlebographischem Gebiet geäußert, jedoch hat ihm hierzu die erforderliche Sachkunde gefehlt. Die Feststellung der Gesundheitsstörungen und Funktionseinschränkungen der Klägerin auf den verschiedenen Fachgebieten ist erforderlich, um die Einzel-GdB-Werte und den Gesamt-GdB zutreffend einzuschätzen. Die Einholung von Fachgutachten auf den verschiedenen Fachgebieten konnte nicht durch Anhörung des Arztes für öffentliches Gesundheitswesen und Sozialmedizin Dr ... ersetzt werden. Nach § 407a Abs 1 Zivilprozessordnung (ZPO) hätte der Sachverständige unverzüglich prüfen müssen, ob der Auftrag in sein Fachgebiet fällt und ohne Hinzuziehung von weiteren Sachverständigen erledigt werden kann. Dr ... hat dies unterlassen. Das SG hätte aber nach Vorliegen seines Gutachtens fachkompetente Untersuchungen vornehmen lassen müssen.
Die Qualifikation des Dr ... als Sozialmediziner vermag nicht die erforderlichen fachkompetenten Begutachtungen zu ersetzen. Dies ergibt sich aus den unterschiedlichen Ausbildungsanforderungen "Facharzt" und Zusatzbezeichnung "Sozialmedizin". Danach ist für die Führung der Zusatzbezeichnung "Sozialmedizin" ua lediglich die Teilnahme an jeweils 4-wöchigen theoretischen Grund- und Aufbaukursen vorgeschrieben, und es erfolgt die Anerkennung grundsätzlich ohne Prüfung (§ 11 Abs 3 Weiterbildungsordnung für die Ärzte Bayerns vom 01.10.1993). Nach seiner Definition umfasst der Begriff "Sozialmedizin" die Untersuchung der Häufigkeit und der Verteilung der Volkskrankheiten im Zusammenhang mit der sozialen und natürlichen Umwelt sowie die Organisation des Gesundheitswesens einschließlich der Begutachtung (aaO Abschnitt II Nr 18). Die Facharztausbildung erfordert hingegen ua eingehende Kenntnisse und Erfahrungen in der Diagnostik (vgl aaO Abschnitt I) und die Entscheidung über die Anerkennung einer Gebietsbezeichnung trifft die Bayer. Landesärztekammer aufgrund einer Prüfung (aaO § 11 Abs 2). Die Zulassung zur Prüfung setzt eine mehrjährige Weiterbildung voraus (aaO § 14 iVm Abschnitt I).
Auch die Führung der Gebietsbezeichnung "Arzt für öffentliches Gesundheitswesen" durch den Sachverständigen der 1. Instanz kann keine fachbezogene Begutachtung ersetzen. Diese Bezeichung kann in Bayern ein Arzt führen, wenn er die Voraussetzungen der Weiterbildungsordnung für Ärzte im Gebiet "Öffentliches Gesundheitswesen" des Bayer. Staatsministeriums des Innern, in Kraft seit 01.01.1980, erfüllt. Gemäß § 1 Abs 1 der Weiterbildungsordnung umfasst das öffentliche Gesundheitswesen die ärztliche Tätigkeit in Einrichtungen des öffentlichen Dienstes, die dazu bestimmt sind, unmittelbar den Gesundheitszustand der Bevölkerung und bestimmter Bevölkerungsteile zu ermitteln und laufend zu überwachen, ihnen drohende Gefahren festzustellen und zu beseitigen oder auf die Beseitigung hinzuwirken sowie die Gesundheit der Bevölkerung insgesamt und besonderer Gruppen zu fördern. Die wesentlichen Aufgaben des Arztes für öffentliches Gesundheitswesen liegen im Bereich der Beobachtung, Begutachtung und Wahrung der gesundheitlichen Belange der Bevölkerung einschließlich Beratung der Träger öffentlicher Aufgaben in gesundheitlichen Fragen (§ 1 Abs 2 Satz 1 Weiterbildungsordnung). Schon aus dem Aufgabenbereich des Arztes für öffentliches Gesundheitswesen ergibt sich, dass seine Kenntnisse und Erfahrungen nicht mit denen eines Facharztes auf den verschiedenen medizinischen Fachgebieten vergleichbar sind.
Nach Sachlage war vorliegend nicht lediglich eine sozialmedizinische Beurteilung hinreichend geklärter medizinischer Sachverhalte gefragt - hier kann im Einzelfall eine sozialmedizinische Beurteilung ausreichend sein -, vielmehr waren hier Art und Umfang der Behinderungen auf den verschiedenen Fachgebieten im sozialgerichtlichen Verfahren erstmals zu klären.
Die Annahme eines Einzel-GdB von 40 auf orthopädischem Gebiet durch den Beklagten weist auf nicht unerhebliche orthopädische Befunde hin. Der tatsächliche Schweregrad der Behinderungen kann nur aufgrund einer orthopädischen Begutachtung zutreffend eingeschätzt werden. Hinzu kommt der von der Klägerin geklagte stechende Kreuzschmerz, der nach ihren glaubhaften Angaben zu vorübergehenden Ausfallserscheinungen (fallen lassen von Gegenständen) führt. Hier wird zusätzlich eine neurologische Abklärung erforderlich sein. Ebenso bedarf die durch das postthrombotische Syndrom der Klägerin ausgelöste Funktionsbehinderung einer phlebologischen Beurteilung. Der Sachverständige Dr ... stellt für die Beurteilung dieser Funktionseinschränkung auf ein internistisches Gutachten aus dem Jahr 1990 ab. Für eine sachgerechte Beurteilung sind jedoch neue Befunderhebungen erforderlich. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin neben Funktionseinschränkungen durch eine Beinvenenthrombose auch Beschwerden wegen einer Beckenvenenthrombose geltend macht.
Nach alledem lässt die bisherige Beweiserhebung des SG die Feststellung des GdB und der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen aG nicht zu. Ein wesentlicher Verfahrensmangel berechtigt zur Zurückverweisung (Meyer-Ladewig, aaO RdNr 3 und 3a). Der Verfahrensmangel stellt sich als Verstoß gegen eine das Gerichtsverfahren regelnde Vorschrift dar. Er ist auch wesentlich, da das Urteil auf der mangelnden Sachaufklärung beruhen kann. Es ist nämlich nicht auszuschließen, dass das SG nach ausreichender Amtsermittlung anders entschieden hätte.
Es liegt im Ermessen des LSG, ob es in der Sache selbst entscheiden oder zurückverweisen will. Die Zurückverweisung soll die Ausnahme sein (aaO § 159 Anm 5). In Abwägung zwischen den Interessen der Beteiligten an einer Sachentscheidung sowie dem Grundsatz der Prozessökonomie und dem Verlust einer Instanz hält der Senat wegen der noch notwendigen und umfangreichen Beweisaufnahme (Einholung von Gutachten auf orthopädischem, neurologischem und phlebologischem Gebiet) die Zurückverweisung für geboten.
Die Kostenentscheidung bleibt dem SG vorbehalten.
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG).
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