L 13 R 957/10

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 14 R 2422/08
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 13 R 957/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 13 R 413/12 B
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zu den Voraussetzungen eines Anspruchs auf Rente wegen Erwerbsminderung.
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 23. September 2010 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung.

Der 1962 geborene Kläger hat von September 1980 bis August 1983 den Beruf des Kfz-Mechanikers erlernt und von September 1988 bis Juli 1990 eine von der Arbeitsverwaltung finanzierte Umschulung zum Maschinenbautechniker sowie von Oktober 1995 bis Februar 1996 eine Ausbildung zum Qualitätsmanager/Qualitätsmanagement- beauftragten absolviert. Er war zunächst bis Juli 1984 als Kfz-Mechaniker, dann als Montagehelfer/Staplerfahrer, Chauffeur, von 1985 bis 1987 erneut als Kfz-Mechaniker, von 1990 bis 1992 als technischer Anwendungsberater, von April bis Mai 1992 als Werkstattleiter, von März bis Dezember 1993 und von November 1994 bis März 1995 erneut als technischer Anwendungsberater sowie zuletzt von Juli 1996 bis April 2003 als Bauleiter Trapezblechbau beschäftigt.

Der Kläger begehrte mit Antrag vom 14. September 2005 Maßnahmen zur medizinischen Rehabilitation von der Beklagten, die vom 28. November bis 16. Dezember 2005 im
Reha-Zentrum in der Therme B-Stadt durchgeführt wurden. Dort wurde ausweislich des Entlassungsberichts vom 28. Dezember 2005 ein Bandscheibenvorfall C 5/6, C 6/7und
L 4/5 sowie eine Radikulopathie diagnostiziert und festgestellt, dass der Kläger nicht nur in seiner letzten Tätigkeit als Maschinenbautechniker, sondern auch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur noch 3 bis unter 6 Stunden leistungsfähig sei.

Am 2. März 2006 stellte der Kläger bei der Beklagten einen Formblattantrag auf Zahlung von Rente wegen Erwerbsminderung. Er verwies auf Schmerzen an rechter Schulter sowie Ober- und Unterarm mit Kraftverlust, Nackenschmerzen, Schmerzen im Lendenbereich und Schlafstörungen. Er sei seit Juli 1987 erwerbsgemindert.

Die Beklagte gewährte daraufhin dem Kläger ausgehend von einem Eintritt des Leistungsfalls am 14. September 2005 Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit ab 1. April 2006 bis 31. Mai 2007.

Auf seinen Weitergewährungsantrag vom 18. Januar 2007 hin zog die Beklagte diverse Befundberichte bei und holte ein orthopädisches Gutachten von Dr. S. vom 13. März 2007 ein. Dieser stellte beim Kläger folgende Gesundheitsstörungen fest:
1. Degeneratives HWS-Syndrom mit chronischen Cervicobrachialgien rechts bei kernspintomographisch gesicherten Bandscheibenvorfällen HWK 6/7 und 5/6
2. Degeneratives LWS-Syndrom bei multisegmentalem Bandscheibengeschehen im Sinne von Protrusionen und Spondylochondrose L 4/5
3. Chondromalacie patellae beidseits
4. Leichtgradiges Impingementsyndrom bei Tendinitis calcarea der rechten Schulter.
5. Arterielle Hypertonie.

Die Hauptproblematik des Klägers liege im Bereich der Halswirbelsäule bei bekannten Bandscheibenvorfällen. Ein neurologisches Defizit sei jedoch nicht feststellbar gewesen, auch fehlten jegliche Zeichen für ein chronisches Geschehen im Sinne einer signifikanten Muskelathropie oder einer verminderten Beschwielung der rechten Hand. Im Bereich der Lendenwirbelsäule habe sich ein weitgehend unauffälliger Befund ohne jegliche radikuläre Symptomatik oder neurologische Defizite gezeigt. Der Kläger könne als Bauleiter sowie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt noch leichte körperliche Tätigkeiten vollschichtig ausüben. Der Antrag wurde daraufhin mit Bescheid vom 28. März 2007 abgelehnt.

Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch und trug vor, seit der ersten Rentenbewilligung habe sich sein Zustand nicht verbessert, sondern verschlimmert. Sein behandelnder Arzt Dr. K. habe sich für eine Weitergewährung der Rente ausgesprochen. Er habe Schmerzen an Schulter, Ober- und Unterarm mit Bewegungseinschränkungen und Kraft- sowie Koordinationsverlust. Schmerzen bestünden auch im Lendenwirbelbereich sowie an beiden Beinen. Die Beklagte zog sodann einen Befundbericht von Dr. K. bei und holte ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten von Dr. H. vom 20. Juli 2007 ein. Dieser diagnostizierte eine Cervicobrachialgie rechtsseitig, rezidivierende Lumboischialgien bei Bandscheibenprolaps, einen Verdacht auf Spannungskopfschmerz sowie eine Hypertonie. Dr. H. führte aus, der neurologische Befund sei unauffällig. Unter Inkaufnahme von Schmerzen sei Kraftentfaltung möglich. Da die Bandscheibenvorfälle nachgewiesen seien, sei eine Schmerzsymptomatik glaubhaft. Der Kläger sollte somit keiner körperlichen Belastung ausgesetzt werden. Aufsichtsführende und kontrollierende Tätigkeiten erschienen noch 3 bis unter 6 Stunden zumutbar. Eine Ganztagestätigkeit dürfte aktuell noch zu belastend sein, könnte jedoch in weiterer Zukunft angestrebt werden.

Daraufhin wurde dem Kläger mit Bescheid vom 13. September 2007 Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit über den 31. Mai 2007 hinaus bis 31. August 2008 gewährt.

Am 12. März 2008 begehrte der Kläger die Weiterzahlung der Rente wegen voller Erwerbsminderung über den Wegfallzeitpunkt hinaus. Die Beklagte holte ein orthopädisches Gutachten von Dr. F. vom 17. April 2008 ein. Dr. F. stellte beim Kläger folgende Diagnosen:
1. Lokales Zervikalsyndrom bei Zustand nach Bandscheibenprotrusion HWK 4/5, 5/6, 6/7, sowie flachbogiger Bandscheibenprolaps HWK 6/7 ohne neurologische Symptomatik
2. Lumbalgien beidseits, Zustand nach Bandscheibenprolaps L 4/5, Osteochondrose L 4/5
3. Verdacht auf PHS-Calcarea links
4. Übergewicht
5. Adipositas.

Dr. F. erklärte, die Körperstatur des Klägers mit kräftigem, sehr muskelbetontem Körperhabitus und Übergewicht stünde im Kontrast zu dessen multiplen Beschwerden. Es fänden sich leichte Einschränkungen der Halswirbel- und der Lendenwirbelsäule. Aus orthopädischer Sicht bestünden auch für körperliche Tätigkeiten keine Einschränkungen. Der Kläger sei 6 Stunden und mehr für Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leistungsfähig.

Der weiterhin von der Beklagten beauftragte Neurologe und Psychiater Dr. S. stellte eine Cervicobrachialgie rechts sowie rezidivierende Lumboischialgien bei Bandscheibenprolaps fest. Der Kläger habe seine Schmerzen glaubhaft ohne Aggravationstendenz geschildert. Es bestehe nach wie vor eine Leistungsminderung von unter
3 Stunden täglich. Es solle jedoch darauf hingewiesen werden, dass bisher keine konsequente Schmerztherapie durchgeführt worden sei.

Der sozialmedizinische Dienst der Beklagten erklärte hierzu, dem Gutachten könne nicht gefolgt werden. Dr. S. gebe zwar die Angaben des Versicherten hinsichtlich der Schmerzthematik wieder. Eine hinreichende Beschreibung der sozialmedizinisch relevanten Aspekte fehle jedoch. Eine fachspezifische Behandlung der Schmerzsymptomatik finde nicht statt. Es liege ein Behandlungsfall vor.

Der Antrag wurde daraufhin mit angefochtenem Bescheid vom 22. Mai 2008 abgelehnt.

Mit dem hiergegen erhobenen Widerspruch berief sich der Kläger auf das Gutachten von Dr. S ... Dieser habe bestätigt, dass sich keine Änderung seines Zustandes ergeben habe. Er wies erneut auf die bei ihm bestehenden Schmerzen und Bewegungseinschränkungen an den oberen und unteren Extremitäten hin.

Nach Beiziehung weiterer Befundberichte und deren sozialmedizinischer Auswertung wurde der Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 3. September 2008 zurückgewiesen.

Hiergegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht München (SG) erhoben und vorgetragen, seine Beschwerden hätten sich im Vergleich zu den vorherigen Rentenbewilligungsbescheiden verschlechtert. Ein Wegfall der Rente komme daher keinesfalls in Betracht. In diese Richtung habe sich auch der Neurologe geäußert. Das Reha-Zentrum B-Stadt, Dr. H. und Dr. S. hätten eine eingeschränkte Leistungsfähigkeit des Klägers festgestellt. Dies entspreche der Beurteilung des den Kläger seit Jahren behandelnden Orthopäden Dr. K ... Der Kläger sei auch im privaten Bereich stark eingeschränkt. Er könne keinen Sport mehr betreiben, nur noch teilweise Hausarbeiten erledigen. Der Schlaf sei häufig unterbrochen. Auch habe er Angst vor immer wieder unvermittelt auftretenden Schmerzanfällen.

Das SG hat einen Befundbericht des Orthopäden Dr. K. eingeholt und gemäß § 106 Sozialgerichtsgesetz - SGG - Beweis erhoben durch Einholung eines orthopädischen Gutachtens von Dr. F. vom 17. März 2009 und eines nervenärztlichen Gutachtens von Dr. B. vom 2. Juli 2009.

Dr. F. hat beim Kläger folgende Diagnosen gestellt:
1. Chondrosis intervertebralis der Halswirbelsäule mit Protrusionen und Bandscheibenprolaps C5/6
2. Geringe Osteochondrose L 4 bis S 1, kernspintomographisch auch erosive Spondylochondrose L 4/5, kleine Bandscheibenvorfälle L 3 bis S 1
3. Tendinitis calcarea der rechten Schulter
4. Nebendiagnosen: ausgeprägtes Übergewicht, atypischer Tennisarm links, leichte lockere Spreizfüße.

Der Kläger sei noch in der Lage, leichte bis zeitweise mittelschwere Arbeiten mit gelegentlichem Wechsel zwischen Sitzen und Stehen 6 Stunden täglich zu verrichten. Zu vermeiden seien das Heben und Tragen von Lasten, häufiges Bücken, Überkopfarbeiten mit dem rechten Arm und Zwangshaltungen der Halswirbelsäule. Beschränkungen hinsichtlich des Anmarschwegs zur Arbeitsstätte bestünden nicht.

Dr. B. stellte beim Kläger ein chronifiziertes Schmerzsyndrom bei degenerativem LWS-Syndrom ohne Nervenwurzelreizerscheinungen und ohne nervenwurzelbezogenes sensibles oder motorisches Defizit sowie bei degenerativem HWS-Syndrom ohne Irritation oder Schädigung einer von der HWS ausgehenden Nervenwurzel, eine Tendinitis calcarea der rechten Schulter, ein vordiagnostiziertes Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom (ADS) sowie rezidivierende Spannungskopfschmerzen fest. Im Übrigen verwies er auf die von Dr. F. auf orthopädischem Fachgebiet festgestellten Gesundheitsstörungen.

Der Kläger sei noch in der Lage, leichte Arbeiten möglichst wechselweise im Gehen, Stehen und Sitzen, überwiegend allerdings in sitzender Position, in geschlossenen Räumen, bei Ausschluss von Kälte und Nässe auch im Freien, 6 Stunden mit den arbeitsüblichen Unterbrechungen zu verrichten. Nicht mehr zumutbar seien das Heben und Tragen schwerer Lasten, häufiges Bücken, Tätigkeiten in gebückter Position oder in der Hocke, Überkopfarbeiten, Tätigkeiten auf Leitern und Gerüsten sowie Zeitdruckarbeiten. Beschränkungen hinsichtlich des Anmarschwegs zur Arbeitsstätte bestünden nicht.

Hierzu hat der Kläger ausgeführt, Dr. B. habe sich nicht mit der Frage auseinandergesetzt, wie sich der Gesundheitszustand des Klägers in der letzten Zeit gebessert habe. Auch hätte Dr. B. erläutern müssen, weshalb Dr. S. zu einer Leistungsfähigkeit von unter 3 Stunden komme, während im Übrigen von einer vollen Leistungsfähigkeit ausgegangen werde. Auch berücksichtige er nicht das orthopädische Gutachten. Es seien zahlreiche Aussagen des Klägers unzutreffend oder gar nicht wiedergegeben worden. Den vom Gutachter erwähnten Körperhabitus habe er von seinem Vater geerbt. Der Kläger habe bis Ende 20 körperliche Tätigkeiten im Beruf und beim Sport absolviert. Das Gutachten von Dr. S. sei nicht deswegen automatisch mangelhaft, weil es relativ knapp gehalten sei.

In seiner ergänzenden Stellungnahme hierzu vom 20. September 2009 hat Dr. B. an seiner sozialmedizinischen Beurteilung festgehalten.

Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 SGG hat das SG ein weiteres orthopädisches Gutachten von Dr. S. vom 27. April 2010 eingeholt. Dr. S. hat beim Kläger folgende Gesundheitsstörungen festgestellt:
1. Pseudoradikuläres Zervikalsyndrom mit gering- bis mittelgradiger Funktionseinschränkung bei Abnutzung Bandscheibe HWK 5/6 und 6/7; linksseitiger Prolaps HWK 6/7 ohne sensomotorische Ausfälle
2. Lokales bis pseudoradikuläres Lumbalsyndrom, nebenbefundlich Spina bifida occulta S 1
3. Tendinosis supraspinatus beide Schultergelenke mit Impingement rechts vermehrt bei fibro-zystischen Umbauten Tuberculum majus mit endgradigen Bewegungseinschränkungen beidseits
4. Leichte Chondropathia patellae beide Knie ohne funktionelle Auswirkungen
5. Verdacht auf somatoforme Schmerzstörung
6. Coxarthrose Grad 1 linkes Hüftgelenk ohne funktionelle Einschränkungen.

Aktuell hinzugekommen sei der Verdacht auf ein Aspergersyndrom.

Der Kläger sei noch in der Lage, mittelschwere körperliche Tätigkeiten 6 Stunden und mehr im Freien und in geschlossenen Räumen zu verrichten. Schweres Heben und Tragen sowie dauernde Überkopfarbeiten, Publikumsverkehr oder Stressbelastung sollten vermieden werden. Beschränkungen hinsichtlich des Anmarschwegs zur Arbeitsstätte bestünden nicht. Hinsichtlich des Aspergersyndroms sollte eine weitere psychiatrische Untersuchung des Klägers abgewartet werden.

Der Kläger übersandte daraufhin einen Befundbericht des Klinikums D-Stadt, in dem ein Fibromyalgie-Syndrom, ein chronisches LWS-Syndrom mit pseudoradikulärer Ausstrahlung sowie ein Verdacht auf eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung mit körperlichen und psychischen Faktoren festgestellt wurden. Ferner wurde ein Bericht der Klinik A. vorgelegt, wonach beim Kläger der Verdacht auf Asperger Autismus, DD: kombinierte Persönlichkeitsstörung mit anankastischen und schizoiden Anteilen, bestehen würde.

Das SG hat daraufhin die Klage mit Urteil vom 23. September 2010 unter Berufung auf die Gutachten von Dr. F., Dr. B. und Dr. S. abgewiesen.

Hiergegen hat der Kläger Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht eingelegt und zur Begründung und unter Bezugnahme auf die zuletzt übersandten Befundberichte ausgeführt, beim Kläger liege ein Asperger-Autismus sowie eine Fibromyalgie vor. Die chronischen Schmerzen führten zu einer depressiven Grundstimmung, die mit den festgestellten Einschränkungen auf orthopädischem Gebiet sowie dem gleichzeitig festgestellten Autismus zu einer vollen Erwerbsminderung führen würden. Inzwischen habe sich der Verdacht auf den Asperger-Autismus bestätigt. Ein weiterer Befundbericht der Klinik A. wurde vorgelegt.

Der Senat hat gemäß § 106 SGG Beweis erhoben durch Einholung eines nervenärztlichen Gutachtens von Dr. D ... Die Sachverständige hat in ihrem Gutachten vom 31. August 2011 festgestellt, auf neurologischem Fachgebiet seien keine Befunde von Krankheitswert zu erheben. In psychiatrischer Hinsicht handele es sich um eine somatoforme Schmerzstörung vor dem Hintergrund einer akzentuierten Persönlichkeit mit vorwiegend histrionischen Anteilen. Darüber hinaus liege eine Entwicklung körperlicher Symptome aus psychischen Gründen (früher Rentenneurose) vor. Der Kläger könne noch mittelschwere und leichte Arbeiten aus unterschiedlicher Ausgangsposition heraus überwiegend in geschlossenen Räumen vollschichtig verrichten. Schwere körperliche Tätigkeiten sollten vermieden werden. Verrichtungen, die üblicherweise in ungelernten Tätigkeiten gefordert zu werden pflegen, seien möglich. Eine Einschränkung der Wegefähigkeit lasse sich nicht begründen. Die Umstellungsfähigkeit des Klägers auf andere Tätigkeiten sei nicht eingeschränkt.

Hierzu hat der Kläger ausgeführt, es sei nicht nur ein Verdacht auf Asperger-Autismus geäußert worden, sondern es sei eine diesbezügliche Diagnose auch mit Fremdanamnese gestellt worden. Die Sachverständige scheine in diesen Bereichen lediglich rudimentäre Kenntnisse zu haben.

Auf Antrag des Klägers hat der Senat gemäß § 109 SGG Beweis erhoben durch ein psychiatrisches Gutachten von Dr. C. vom 12. Mai 2012. Die Gutachterin diagnostizierte beim Kläger eine somatoforme Schmerzstörung bei akzentuierter Persönlichkeit mit histrionischen, narzisstischen und paranoiden Anteilen, ein degeneratives HWS-Syndrom mit rezidivierendem, radikulärem Schmerzsyndrom C 5/6, C 6/7, rechts betont, mit Einschränkungen der Oberflächensensibilität, einen Spannungskopfschmerz, ein degeneratives LWS-Syndrom ohne neurologisches Defizit, sowie - vordiagnostiziert - eine Chondromalacia patellae beidseits und ein leichtgradiges Impingement-Syndrom bei Tendinitis calcarea der rechten Schulter. Wesentliche Gesundheitsstörungen seien nicht hinzugekommen oder weggefallen. Der Kläger könne noch vollschichtig leichte und mittelschwere Arbeiten vorzugsweise in geschlossenen Räumen im Gehen, Stehen und Sitzen, vorzugsweise mit der Möglichkeit eines Positionswechsels mit den arbeitsüblichen Unterbrechungen verrichten. Zu vermeiden seien das Heben und Tragen von Lasten über 7,5 Kilogramm, dauernde Überkopfarbeiten, Arbeiten unter Zeitdruck oder mit überwiegendem Publikumsverkehr. Die Umstellungsfähigkeit des Klägers sei nicht eingeschränkt.

Mit gerichtlichem Schreiben vom 5. Juni 2012 wurde dem Kläger eine Frist zur Stellungnahme binnen 4 Wochen gesetzt und darauf hingewiesen, dass die Beweisaufnahme abgeschlossen sei.

Mit Schriftsatz vom 6. Juli 2012 hat der Kläger ausgeführt, das Gutachten von Dr. C. enthalte einige Unregelmäßigkeiten. Insbesondere das Problem im Zusammenhang mit der Fibromyalgie werde nicht ausreichend und korrekt wiedergegeben. Um Fristverlängerung bis 10. August 2012 wurde gebeten. Das Gericht teilte daraufhin dem Kläger mit, dass der Rechtsstreit für den 8. August 2012 zur Sitzung vorgesehen sei. Bis dahin könne eine Stellungnahme übersandt werden. Die Frist für eine eventuell erneute Stellung eines Antrags nach § 109 SGG werde damit jedoch nicht verlängert.

Mit Schreiben vom 6. August 2012 hat der Kläger geltend gemacht, die Ausführungen der Sachverständigen zur Fibromyalgie seien unzureichend. Die Diagnose ICD-10 M79.7 Fibromyalgie sei von ihr nicht beachtet worden. Diese Diagnose erkläre die Beschwerden des Klägers und führe zur vollständigen Erwerbsminderung. Es wurde beantragt, gemäß § 109 SGG ein Gutachten von Dr. O. einzuholen.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts München vom 23. September 2010 und des Bescheids der Beklagten vom 22. Mai 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. September 2008 zu verurteilen, dem Kläger Rente wegen Erwerbsminderung über den 31. August 2008 hinaus entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte, die beigezogenen Akten des SG sowie der Beklagten verwiesen, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat zu Recht die Klage gegen den angefochtenen Bescheid vom 22. Mai 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. September 2008 abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung gemäß § 43 Abs. 2 SGB VI und Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung gemäß § 43 Abs. 1 SGB VI zu. Ein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß §§ 43 Abs. 1, 240 Abs. 1, 2 SGB VI scheidet von vornherein aus, da der Kläger nicht vor dem 2. Januar 1961 geboren ist.

Gem. § 43 Abs. 1, 2 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung, wenn sie
1. teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind,
2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs bzw. drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist gem. § 43 Abs. 3 SGB VI nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme vor dem SG und dem LSG steht für den erkennenden Senat fest, dass die Leistungsfähigkeit des Klägers zwar qualitativ hinsichtlich der Art und Schwere der noch möglichen Tätigkeiten gemindert ist, ohne dass die qualitativen Leistungseinschränkungen jedoch einen rentenerheblichen Umfang angenommen hätten. Eine quantitative Leistungseinschränkung liegt nicht vor. Der Kläger kann nach den übereinstimmenden Feststellungen aller Gerichtssachverständigen noch 6 Stunden täglich und mehr auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zumindest leichte Arbeiten verrichten. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme vor dem Senat besteht sogar noch ein Leistungsvermögen von 6 Stunden und mehr für mittelschwere Arbeiten.

Im Vordergrund stehen beim Kläger die Gesundheitsstörungen auf nervenärztlichem Fachgebiet. Bei der letzten Untersuchung des Klägers durch Dr. C. war der Kläger von athletischer Erscheinung, übergewichtig und in einem guten Allgemeinzustand. Die orientierende körperliche Untersuchung ergab keine Auffälligkeiten. Neurologisch fand sich kein Anhalt für eine Beeinträchtigung im Bereich der Hirnnerven. Pathologische Reflexe waren nicht festzustellen, die grobe Kraft an den oberen und unteren Extremitäten war seitengleich vorhanden. Gravierende Beeinträchtigungen der Koordination lagen beim Kläger ebenfalls nicht vor.

In psychischer Hinsicht war der Kläger bei der Untersuchung durch Dr. C. wach und in allen Qualitäten orientiert. Der interpersonale Kontakt war gut herstellbar. Der Kläger war in der Lage, konzentriert und aufmerksam am Gespräch teilzunehmen. Die Auffassung erschien ungestört. Es zeigte sich ein besonnener und planvoller Umgang in der Beantwortung von Fragen. Der formale Gedankengang war weitgehend geordnet, das Denken schien flüssig, teils weit ausholend. Inhaltlich dominierte eine Fokussierung auf die Beschwerden im Bereich des gesamten Skelettsystems. Affektiv war der Kläger überwiegend in positiver Grundstimmung. Der Antrieb war reduziert bei gutem interpersonalen Rapport. Auffälligkeiten in der Prosodie, Artikulation und Sprechweise traten nicht auf. Stimme, Gestik und Mimik waren differenziert und moduliert. Der Blickkontakt war flüssig und der Situation angemessen. Ein Anhalt für psychotisches Erleben, Ich- oder Wahrnehmungsstörungen ergab sich nicht.

Dr. C. hat ausgeführt, dass bei Berücksichtigung von Anamnese und psychopathologischem Befund kein Anhalt für eine depressive Störung bestehe. Von einer somatoformen Schmerzstörung sei jedoch auszugehen. Die Diagnose eines Asperger-Syndroms könne nicht bestätigt werden. Der Kläger weise nicht die charakteristischen Beeinträchtigungen der Kommunikation, sozialen Interaktion sowie keine stereotypen Verhaltensmuster mit eingeschränktem Verhaltensrepertoire auf. Der psychopathologische Befund der Klinik A. sei blande im Hinblick auf die für die Asperger-Diagnose typischen Kennzeichen. Er baue vielmehr im Wesentlichen auf der Eigenanamnese des vorgebildeten Klägers auf. Klinisch und anamnestisch hätte sich darüber hinaus auch kein Anhalt für das Vorliegen eines Aufmerksamkeit-Defizits-Syndroms ergeben.

Dr. C. hat auch kein Fibromyalgie-Syndrom bestätigt. Selbst wenn es vorliegen sollte, so prägt es nach ihrer, den Senat überzeugenden Einschätzung jedenfalls das gesamte Beschwerdebild des Klägers nicht entscheidend und könne es auch nicht besser erklären. Der Senat bleibt bei seiner Auffassung, dass die Fibromyalgie, der eine organisch nicht fassbare Erkrankung zu Grunde liegt, nicht per se eine Berentungsdiagnose darstellt (vgl. auch BayLSG, Urteil vom 6. Oktober 2010, Az. L 13 R 253/09, in juris). Schonung und Entpflichtung im Alltags- und Berufsleben sind eher kontraproduktiv, während eine adäquate Eingliederung in eine angepasste Arbeit fibromyalgie-typische Beschwerden tendenziell eher günstig beeinflusst.

Nach den für den Senat nachvollziehbaren, auch die Gesundheitsstörungen des Klägers auf orthopädischem Fachgebiet mitberücksichtigenden zusammenfassenden Ausführungen von Dr. C. gibt es keinen nachvollziehbaren Grund, warum der Kläger nicht vollschichtig körperlich leichte bis mittelgradig beanspruchende Arbeiten verrichten können sollte.

Dieses Ergebnis steht in Übereinstimmung mit den Feststellungen von Dr. D ... Dr. D. hat ebenfalls keine neurologische Ausfälle und keine krankheitswertige depressive oder ängstliche Verstimmung feststellen können. Ein Leidensdruck wurde zwar angegeben, war aber in der Gegenübertragung nicht spürbar. Die emotionale Schwingungsfähigkeit des Klägers war ausreichend gegeben. Die vom Kläger geltend gemachte massive Antriebshemmung war für die Sachverständige in sich wenig plausibel. Bei Dr. D. zeigten sich keine Einbußen in Bezug auf Konzentration, Aufmerksamkeit und Gedächtnis. Auch hier waren inhaltliches und formales Denken regelgerecht bei jeglichem Fehlen von Hinweisen auf eine psychotische Symptomatik. Eine innere Unruhe oder Anspannung des Klägers war nicht feststellbar. Verdeutlichungstendenzen waren nach der Einschätzung der erfahrenen Gerichtssachverständigen unverkennbar. Nach Feststellung der Sachverständigen liegt beim Kläger eine Entwicklung körperlicher Symptome aus psychischen Gründen vor. Es besteht kein Zweifel, dass die vom Kläger geschilderten Symptome ausschließlich subjektiv anzusiedeln sind bei fehlendem echten Leidensdruck und bewusstseinsnaher Ansiedlung des Geschehens sowie erheblichem sekundärem Krankheitsgewinn. Diese früher als Rentenneurose bezeichnete Störung ist aber für den Kläger mit zumutbarer Willensanstrengung überwindbar.

Auch Dr. B. teilt in seinem umfangreichen und sorgfältig erarbeiteten Gutachten diese Einschätzung des Leistungsvermögens des Klägers. Sämtliche Gerichtsgutachten unterscheiden sich in ihrer sorgfältigen Ausarbeitung und genauen Begründung deutlich von den Ausführungen des Dr. S., der seine Einschätzung nicht einmal ansatzweise nachvollziehbar begründet hat. Die bloße Mitteilung von Diagnosen und die dann in einem kurzen Absatz folgende Feststellung, es bestehe eine Leistungsminderung von unter 3 Stunden täglich, zusätzlich noch kombiniert mit dem Hinweis, dass bisher keine konsequente Schmerztherapie durchgeführt worden sei, erfüllt offensichtlich nicht die Anforderungen, die man berechtigterweise an ein Gutachten stellen kann.

Aus orthopädischer Sicht ergibt sich ebenfalls kein Befund, der das Rentenbegehren des Klägers stützen könnte. Insoweit haben Dr. F. und Dr. S. übereinstimmend festgestellt, dass die nachgewiesenen degenerativen Veränderungen des Klägers insbesondere an Wirbelsäule, Schultern, Hüfte und Knien die vom Kläger geschilderten Schmerzen und Beschwerden nicht zureichend erklären können. Nach den Ausführungen von Dr. S. besteht insoweit ein deutliches Missverhältnis. Dr. S. hat nach Auffassung des Senats völlig zurecht darauf hingewiesen, dass der Bericht der Therme B-Stadt aus dem Jahr 2005, der Grundlage für die erste Rentengewährung gewesen ist, völlig insuffizient ist. In ihm wird mit keinem Wort nachvollziehbar erklärt, warum der Kläger auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht vollschichtig leistungsfähig sein könnte. Auch Dr. H. hat ohne jegliche nachvollziehbare Begründung und ohne Feststellung von Sensibilitätsstörungen oder Motorikstörungen und bei unauffälligem Laségue beidseits ohne Paresen eine quantitative Einschränkung des Leistungsvermögens des Klägers angenommen. Der Senat teilt die Auffassung von Dr. S., dass bereits zum damaligen Zeitpunkt eine vollschichtige Leistungsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bestanden hat. Im übrigen setzt ein Anspruch auf Weitergewährung einer Zeitrente nicht voraus, dass der Nachweis einer Besserung des Gesundheitszustandes des Klägers gelingt. Vielmehr ist zunächst vom Rentenversicherungsträger und dann ggf. von den Gerichten ohne Bindung an die Feststellungen, die Grundlage für die Gewährung einer Zeitrente war, zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine erneute Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung vorliegen.

Dr. S. hat - in Übereinstimmung mit Dr. F. - aus den vorliegenden Befunden überzeugend abgeleitet, dass der Kläger noch leichte bis mittelschwere Tätigkeiten auf
dem allgemeinen Arbeitsmarkt verrichten kann. Seine Vorbehalte in Bezug auf ein möglicherweise vorliegendes Asperger-Syndrom sind durch Dr. C. überzeugend ausgeräumt worden.

Der Senat ist damit davon überzeugt, dass der Kläger noch mindestens 6 Stunden täglich leichte und sogar mittelschwere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verrichten kann.

Auf Grund dieses quantitativen Einsatzvermögens auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt scheidet eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung und erst recht eine Rente wegen voller Erwerbsminderung aus. Ein Rentenanspruch ergibt sich auch nicht daraus, dass der Kläger unter den üblichen Bedingungen des für ihn in Betracht kommenden allgemeinen Arbeitsmarktes keine Tätigkeit finden würde. Denn bei ihm liegen weder ein nur eine Teilzeit erlaubendes Erwerbsvermögen noch eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vor, die ausnahmsweise die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit erforderlich machen würde. Auch für sonstige sogenannte Katalogfälle (vgl. SozR 2200 § 1246 Nrn. 30, 75, 81, 90, 104, 109, 117; SozR 3-2200 § 1247 Nr. 8, § 1246 Nr. 41) liegt - nach den Feststellungen der Sachverständigen und der Überzeugung des erkennenden Gerichts - keinerlei Anhalt vor, insbesondere besteht keine renterelevante Einschränkung der Wegefähigkeit des Klägers.

Zur Einholung eines weiteren Gutachtens fühlte sich der Senat aufgrund der Vielzahl der vorliegenden Gutachten, in denen auch zu einer möglichen Fibromyalgieerkrankung des Klägers eingehend Stellung genommen worden ist, nicht gedrängt. Der Antrag gemäß
§ 109 SGG auf Einholung eines weiteren Gutachtens von Dr. O. wurde nicht innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist gestellt. Er wurde in der mündlichen Verhandlung dementsprechend nicht aufrechterhalten.

Damit scheidet die Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung aus.

Die Kostenentscheidung (§ 193 SGG) beruht auf der Erwägung, dass der Kläger auch im Berufungsverfahren erfolglos geblieben ist.

Gründe, die Revision zuzulassen (vgl. § 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
Saved