L 2 U 124/00

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 23 U 397/97
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 124/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ein Antrag nach § 109 SGG, der ein Jahr nach Mitteilung der Beendigung der Beweisaufnahme des Gerichts gestellt wird, ist verspätet. Der Kläger, der durch einen rechtskundigen Bevollmächtigten vertreten ist, kann sich nicht darauf berufen, dass er auf die mangelnde Erfolgsaussicht hätte hingewiesen werden müssen.
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 14. Januar 2000 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten um die Entziehung einer Verletztenrente.

Nach einem Arbeitsunfall des Klägers am 23.09.1992 gewährte die Beklagte zunächst vorläufige Verletztenrente. Der Entscheidung über die Dauerrente legte sie ein Gutachten des Chirurgen Dr.L. , H. , vom 13.06.1994 zugrunde. Dieser fand als wesentliche Unfallfolgen einen geringen Versatz des großen Rollhügels des Oberarmkopfes nach kopfwärts rechts und eine deutliche Bewegungseinschränkung des rechten Schultergelenks. Bei der Schulterbeweglichkeit fand sich ein Schmerzmaximum zwischen 80 und 110° Seitwärtshebung des rechten Armes.

Entsprechend seiner Einschätzung gewährte die Beklagte mit Bescheid vom 12.07.1994 eine Dauerrente nach einer MdE um 20 v.H.

Am 20.12.1996 begutachtete der Chirurg Dr.G. , München, den Kläger erneut. Er fasste die noch bestehenden Unfallfolgen wie folgt zusammen:

1. Endgradige Bewegungseinschränkung im rechten Schultergelenk.
2. Kraftminderung im rechten Arm beim Anheben über die Schulterhöhe hinaus.

Gegenüber dem Vorgutachten lasse sich in folgenden Punkten eine Besserung feststellen:

1. Zunahme der Beweglichkeit hinsichtlich des Anhebens nach vorne und nach der Seite.
2. Weitgehende Normalisierung der Drehbeweglichkeit in der rechten Schulter.
3. Die leichte Deformierung im Bereich des großen Oberarmhöckers ist beseitigt.

Entscheidend sei, dass der Arm nun wesentlich über die Schulterhöhe hinaus angehoben werden könne. Die unfallbedingte MdE betrage jetzt 10 v.H.

Mit Schreiben vom 07.011997 kündigte die Beklagte dem Kläger die Entziehung der Verletztenrente unter Angabe der vom Sachverständigen Dr.G. festgestellten Gründe für eine Besserung an und gab ihm Gelegenheit zur Stellungnahme.

Mit Bescheid vom 28.01.1997, dem Bevollmächtigten des Kläger zugegangen am 29.01.1997, entzog die Beklagte dem Kläger die Verletztenrente mit Ablauf des Monats Januar 1997. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 23.04.1997 als unbegründet zurück.

Im anschließenden Klageverfahren hat der Kläger die Weitergewährung der Verletztenrente begehrt.

Das Sozialgericht hat Beweis erhoben unter anderem durch Einholung eines Gutachtens des Chirurgen Dr.K. , V. , vom 23.04.1999. Der Sachverständige führt u.a. aus, dass der Vorschlag einer Dauer-MdE mit 20 v.H. im Gutachten vom 13.06.1994 sehr wohlwollend gewesen sei. Man habe durchaus damals schon die MdE mit 10 bis 15 v.H. schätzen können. Dies rechtfertige aber keine MdE-Korrektur, nur eine eindeutige Besserung könne zur MdE-Kürzung führen. Dr.G. habe in seinem Gutachten ein aktives Abspreizen rechts bis 150° sowie Vorheben rechts bis 160° festgestellt. Gegenüber den Messungen des Dr.L. mit Abspreizen von 120° und Vorheben von 110° stelle dies eine eindeutige Besserung dar. Auch die nunmehr gemessenen Werte von jeweils 140° stellten einen deutlichen Hinzugewinn des Bewegungsspiels rechts sowohl für den Alltag als auch für den allgemeinen Arbeitsmarkt dar. Zusammenfassend habe sich das aktive Bewegungsspiel der rechten Schulter gegenüber Juni 1994 deutlich und nachhaltig verbessert, dies beim Abspreizen, Vorheben und in der Drehbewegung. Das Besserungsausmaß sei so eindeutig und nachhaltig, dass an der bisherigen MdE von 20 v.H. nicht mehr festgehalten werden könne. Es werde empfohlen, ab 01.02.1997 von einer MdE um 10 v.H. für die rechte Schulter auszugehen. Maßgebend seien die klinischen Untersuchungsbefunde.

Auf Einwendungen des Klägers bezüglich der Messungen des Sachverständigen und seiner MdE- Bewertung hat das Sozialgericht ein weiteres Gutachten des Dr.K. vom 27.08.1999 eingeholt. Darin stellt der Sachverständige seine Meßmethoden und deren Übereinstimmung mit den Meßkriterien der Begutachtungsliteratur dar. Er führt zusätzlich aus, wäre im Gutachten von 1994 nur eine MdE von 10 bis 15 v.H. geschätzt worden, würde man jetzt wegen wesentlicher, anhaltender funktioneller Besserung die MdE mit unter 10 v.H. vorschlagen.

Mit Urteil vom 14. Januar 2000 hat das Sozialgericht die Klage als unbegründet abgewiesen. Die Unfallfolgen hätten sich derart wesentlich verbessert, dass die Beklagte verpflichtet gewesen sei, die Verletztenrente zu entziehen. Wesentlich im Sinne des § 48 Abs.1 SGB X seien Änderungen, die dazu führten, dass der Versicherungsträger unter den nunmehr objektiv vorliegenden Verhältnissen den Verwaltungsakt nicht oder nicht wie geschehen, hätte erlassen dürfen. Bei der Feststellung der MdE sei eine Änderung in diesem Sinne wesentlich, wenn sie mehr als 5 v.H. betrage. Das Vorliegen einer wesentlichen Änderung sei erwiesen durch das Gutachten des Sachverständigen Dr.K ... In seinen wesentlichen Ergebnissen stimme es mit dem Gutachten des Dr.G. überein. Dies gelte insbesondere für die noch verbliebenen funktionellen Defizite.

Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er ist der Meinung, eine wesentliche Besserung sei nur dann anzunehmen, wenn diese sich objektiv in mindestens 10%-Punkten als andere Mediziner bei der Bewertung der MdE. Eine wesentliche Besserung sei damit nicht bewiesen. Eine MdE um 10 v.H. sei gegenüber einer solchen um 10 bis 15 v.H. keine wesentliche Besserung. Die Frage nach der wesentlichen Besserung hätte vor allem über einen Röntgenbildervergleich beantwortet werden können. Hier habe die Beklagte aber keine wesentliche Besserung nachweisen können.

Mit Schreiben vom 28.04.2000 hat der Senat dem Kläger angezeigt, dass eine weitere Beweiserhebung nicht beabsichtigt sei, und Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

Hierauf hat der Klägerbevollmächtigte mit Schreiben vom 24.05.2000 am 26.05.2000 geantwortet, der Kläger sei nicht beweisbelastet. Es bestünden daher im Prinzip keine Einwände dagegen, dass keine Beweisaufnahme erfolge. Das Gutachten des Dr.K. sei keine hinreichende Grundlage, den rechtskräftig zuerkannten Rentenanspruch zu entziehen.

Er beantragt, das Urteil vom 14.01.2000 und den Bescheid vom 28.01.1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.04.1997 aufzuheben, hilfsweise nach § 109 SGG ein Gutachten des Orthopäden Dr. G. und ein psychiatrisches Gutachten der Dr.B. einzuholen.

Mit Hinweis auf sein Schreiben vom 24.05.2000 vertritt er die Auffassung, das Gericht sei verpflichtet gewesen, ihm einen Hinweis zu geben, falls es der Sache keine Aussicht auf Erfolg beigemessen hätte.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Zum Verfahren beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung sind die Akte der Beklagten und die Akte des Sozialgerichts München in dem vorangegangenen Klageverfahren. Auf ihren Inhalt und das Ergebnis der Beweisaufnahme wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die vom Kläger form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig; eine Beschränkung der Berufung nach § 144 SGG besteht nicht.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet, denn die Beklagte hat dem Kläger die Verletztenrente zu Recht entzogen, weil im Vergleich zu den Verhältnissen, die der Gewährung der Dauerrente zugrunde gelegt wurden, eine wesentliche Besserung eingetreten ist und die MdE seither unter 20 v.H. liegt.

Der Senat hält die Berufung aus den Gründen des angefochtenen Urteils des Sozialgerichts München für unbegründet und sieht nach § 153 Abs.2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab. Aus dem Verwaltungs- und Klageverfahren liegen keine Gutachten vor, die den Anspruch des Klägers stützen könnten. Die vorliegenden Gutachten belegen die Annahme einer wesentlichen Besserung, und eine gutachterliche Äußerung, die die unfallbedingte MdE ab Februar 1997 noch mit 20 v.H. einschätzen würde, liegt nicht vor.

Die Einwendungen des Klägers im Berufungsverfahren gegen das erstinstanzliche Urteil greifen nicht durch. Zu Recht haben die Sachverständigen die Bewertung der MdE nicht auf einen Röntgenbildervergleich gestützt. Abgesehen davon, dass dieser Einwand des Klägers nicht fachlich begründet ist, kommt es bei der Bildung der MdE auf die unfallbedingten Funktionsbeeinträchtigungen an und damit u.a. wesentlich auf die Bewegungsausmaße der rechten Schulter (vgl. Schönberger- Mehrtens-Valentin Arbeitsunfall und Berufskrankheit 6. Auflage S.152, 557 f.).

Auch wenn man zu Gunsten des Klägers davon ausgeht, dass der Sachverständige Dr.K. bei der Bildung der MdE strengere Maßstäbe als der erste von der Beklagten eingeschaltete Sachverständige anlegt, ändert dies nichts an der von ihm und Dr.G. näher dargelegten wesentlichen Besserung in den gesundheitlichen Folgen des Arbeitsunfalls. Auf das hierfür notwendige Ausmaß hat das Sozialgericht in seiner Begründung zutreffend hingewiesen. Aus dem zweiten Gutachten des Sachverständigen Dr.K. ergibt sich, dass auch unter Zugrundelegung seiner Bewertungsmaßstäbe die tatsächliche Änderung in den Folgen des Arbeitsunfalles mit einer Differenz von mehr als 5%-Punkten bewertet werden müsste.

Aus der von der Einschätzung der MdE durch Dr.L. abweichenden Einschätzung durch Dr.K. kann zu Gunsten des Klägers nichts hergeleitet werden. Unterstellt, die MdE- Einschätzung sei zu hoch ausgefallen und die Dauerrentengewährung hätte den Kläger zu unrecht begünstigt, würde dies einer Änderung des Rentenbescheides nach § 48 Abs.1 SGB X nicht entgegenstehen und zwar in dem Maße, in dem die tatsächliche Änderung der Verhältnisse zu einer Minderung der MdE berechtigt (vgl. Steinwedel Kasseler-Kommentar § 48 SGB X Rdnr.29). Da sowohl der Sachverständige Dr.G. als auch Dr.K. eine wesentliche Änderung begründen, die eine Herabsetzung der MdE um mehr als 5%-Punkte berechtigt, konnte die Beklagte auch unter diesen angenommenen Voraussetzungen die Verletztenrente entziehen.

Die Berufung ist deshalb als unbegründet zurückzuweisen.

Dem Antrag des Kläger nach § 109 SGG auf gutachterliche Anhörung der von ihm benannten Ärzte war nicht mehr stattzugeben, denn durch die Zulassung des Antrages wäre die Erledigung des Rechtsstreits verzögert worden und der Antrag ist aus grober Fahrlässigkeit nicht früher vorgebracht worden.

Dem Kläger ist das Ende der Beweisaufnahme mit Schreiben vom 28.04.2000 mitgeteilt worden. Der Antrag nach § 109 SGG ist mehr als ein Jahr später gestellt worden. Der Kläger kann sich nicht darauf berufen, dass er auf die mangelnde Erfolgsaussicht hätte hingewiesen werden müssen. Jedenfalls für einen Kläger, der durch einen rechtskundigen Bevollmächtigten vertreten ist, ist mit dem Anhörungsschreiben vom 28.04.2000 klar zum Ausdruck gebracht, dass die Beweisaufnahme beendet ist. Dies bedeutet für einen Rechtskundigen zum einen, dass das bisherige Beweisergebnis entscheidungserheblich ist und zum anderen, dass es dem Kläger nicht günstig ist. Ansonsten wäre die gewährte Gelegenheit zur Stellungnahme, verbunden mit einer Frist, sinnlos. Der Gewährung rechtlichen Gehörs bedarf eine Partei nicht, die eine ihr günstige Entscheidung zu erwarten hat. Den nachträglich begehrten Hinweis auf die mangelnde Erfolgsaussicht hat der Klägerbevollmächtigte damit mit dem Schreiben des Senats vom 28.04.2000 bereits erhalten und sich in der Antwort auf den Standpunkt gestellt, auf das Beweisergebnis komme es nicht an. Wird in einem solchen Fall der Antrag nach § 109 SGG nicht wenigstens hilfsweise gestellt, muss dies jedenfalls bei einem Rechtsanwalt als grobe Nachlässigkeit gewertet werden.

Die Entscheidung über die Kosten stützt sich auf § 193 SGG und folgt der Erwägung, dass der Kläger in beiden Rechtszügen nicht obsiegt hat.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs.2 Nr.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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