L 3 SB 933/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 6 SB 3134/09
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 933/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 03. Februar 2011 abgeändert.

Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 02. Oktober 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. Oktober 2009 und unter Abänderung des Bescheids vom 21. Februar 2011 verurteilt, den Grad der Behinderung des Klägers ab 01. November 2009 mit 30 festzustellen.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger einen Anspruch auf Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 50 hat.

Der am 29.05.1952 geborene Kläger stellte am 04.08.2008 den Erstantrag nach § 69 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX). Hierbei gab er an, er stehe wegen eines Wirbelsäulenleidens und einer beidseitigen Kniegelenkserkrankung beim Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. K. und beim Orthopäden Dr. S. in Behandlung. Dr. S. teilte unter dem 08.09.2008 mit, über eine Wirbelsäulenerkrankung sei ihm nicht berichtet worden. Der Kläger klage seit Anfang Juli über Schmerzen am rechten Kniegelenk, es bestehe eine Innenmeniskusdegeneration rechts bei beginnender Varusgonarthrose sowie eine Chondropathia patellae beidseits.

Mit Bescheid vom 02.10.2008 lehnte die Beklagte den Antrag, gestützt auf die beratungsärztliche Stellungnahme von Dr. M. vom 23.09.2008, ab mit der Begründung, die Funktionsbehinderung beider Kniegelenke bedinge keinen GdB von wenigstens 20.

Den hiergegen erhobenen Widerspruch vom 06.10.2008 begründete der Kläger am 01.09.2009 damit, die Beklagte habe nicht berücksichtigt, dass er sich zwischenzeitlich einer Knieoperation durch Dr. H. habe unterziehen müssen. Der Orthopäde Dr. H. teilte daraufhin unter dem 08.09.2009 mit, beim Kläger bestehe eine Varusgonarthrose des linken Kniegelenks mit Zustand nach (Z.n.) am 03.02.2009 durchgeführter Resektion des medialen Meniskushinterhorns und einer Knorpelteileresektion, ein Hyperpressionssyndrom der lateralen Patellarückfläche links Grad II, eine Blockierung des linken ISG bei chronischem LWS-/ISG-Syndrom sowie ein Reizzustand der linken Ferse. Bezüglich des Wirbelsäulenleidens bestünden keine Nervendehnungszeichen, der Fingerbodenabstand (FBA) betrage 10 cm, es bestehe ein geringer lumbosacraler Druckschmerz.

Gestützt auf die beratungsärztliche Stellungnahme von Dr. Wolf vom 17.09.2009 wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 13.10.2009 den Widerspruch zurück. Bei Hyperpressionssyndrom der lateralen Patellarückfläche in Verbindung mit der Varusgonarthrose seien keine Reizerscheinungen und keine Bewegungseinschränkungen belegt. Wesentliche Funktionsstörungen der Wirbelsäule mit Auswirkungen auf den Gesamt-GdB lägen nicht vor.

Gegen den am 19.10.2009 zugestellten Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 19.11.2009 Klage zum Sozialgericht Konstanz (SG) erhoben. In der Klagebegründung vom 19.05.2010 hat er vorgetragen, es sei auch der behandelnde Hausarzt zu hören. Das SG hat daraufhin die behandelnden Ärzte Dr. S. und Dr. Ö. als sachverständige Zeugen gehört. Dr. S. hat unter dem 07.06.2010 mitgeteilt, nach der Knie-OP am 03.02.2009 durch Dr. H. sei unter Durchführung von Krankengymnastik und Muskeltraining eine zunehmende Besserung des linken Kniegelenks eingetreten. Am 05.11.2009 habe er eine akute Lumbalgie bei Osteochondrose L2/3 und L5/S1 bei Beckentiefstand rechts mit Fehlstellung der LWS diagnostiziert. Trotz Spritzenbehandlung und Krankengymnastik sei eine Besserung nicht eingetreten. Die letzte Behandlung durch ihn habe am 11.11.2009 stattgefunden. Er bewerte den GdB bezüglich der LWS mit 20, bezüglich des rechten Kniegelenks mit 10.

Dr. K. hat unter dem 09.06.2010 ausgeführt, wegen der Beschwerden des Klägers an Knie und Wirbelsäule sei die Behandlung durch Dr. S. erfolgt. Die orthopädischen Probleme könne er nicht beurteilen. Er habe den Kläger wegen Infekten und bei Vorsorgeuntersuchungen behandelt. Die von ihm behandelten Beschwerden bedingten keine Funktionsbeeinträchtigungen.

In der Versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 30.09.2010 hat Dr. B. die Anerkennung eines GdB von 20 vorgeschlagen. Ein entsprechendes Vergleichsangebot des Beklagten hat der Kläger nicht angenommen.

Mit Gerichtsbescheid vom 03.02.2011 hat das SG den Bescheid des Beklagten vom 02.10.2008 und den Widerspruchsbescheid vom 13.10.2009 abgeändert und den Beklagten verpflichtet, beim Kläger einen GdB von 20 ab dem 04.08.2008 anzuerkennen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Auf den Gerichtsbescheid wird insoweit Bezug genommen.

Mit Bescheid vom 21.02.2011 hat der Beklagte in Ausführung des Gerichtsbescheids beim Kläger einen GdB von 20 seit 04.08.2008 festgestellt.

Gegen den am 04.02.2011 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 04.03.2011 Berufung eingelegt. Nachdem eine Berufungsbegründung nicht erfolgt ist, hat der Senat Termin zur Erörterung des Sachverhalts auf den 14.09.2011 bestimmt. In der Berufungsbegründung vom 12.09.2011 hat der Kläger ausgeführt, er stehe nunmehr bei Dr. R. in Behandlung. Auf telefonische Anfrage des Berichterstatters hat die Praxis Dres. S./P. unter dem 13.09.2011 mitgeteilt, Dr. S. sei zum 01.07.2010 in Ruhestand getreten und habe noch bis zum 30.06.2010 Patienten der gesetzlichen Krankenversicherung behandelt.

Unter dem 29.09.2011 hat der in Praxisgemeinschaft mit Dr. R. praktizierende Facharzt für Chirurgie und Unfallchirurgie Dr. U. mitgeteilt, er habe den Kläger am 24.08.2011 wegen einer Ansatztendinose am Tuberculum majus der rechten Schulter mit Impingement und beginnender schmerzhafter Schultersteife und am 14.09.2011 wegen Klopfschmerz im Bereich der unteren LWS nach gluteal rechts ausstrahlend, ohne Anhalt für sensomotorische Ausfälle, behandelt. Es handele sich bei beiden Erkrankungen um leichte Fälle.

Auf Antrag des Klägers gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ist Dr. I., Facharzt für Orthopädie mit der Erstellung eines fachorthopädischen Gutachtens beauftragt worden. Im Gutachten vom 10.03.2012 hat dieser folgende Gesundheitsstörungen festgestellt:

- Chronisches Wirbelsäulensyndrom in drei Abschnitten mit Skoliose und Kyphose sowie häufigen und teilweise lange anhaltenden Schmerzsyndromen. - Funktionsstörung Schulter rechts mit deutlich verminderter Beweglichkeit bei Kalkschulter sowie chronischer Tendinitis von zwei Sehnen (Supraspinatus und Supscapularis), Schultergelenks- und Schultereckgelenksarthrose rechts - Epicondylitis humeri ulnaris rechts - Schnappdaumen rechts - Streckdefizit 5. Finger rechts - Kniegelenksarthrose beidseits mit Knorpelschäden Grad 3 bis 4 bei Instabilität links, muskulär nicht vollständig kompensierbar und beidseits massiv hoch stehender Patella sowie nicht auszuschließender Osteochondrosis dissecans Knie links - Z.n. Arthroskopie Kniegelenks links - Fußdeformität beidseits ohne statische Beeinträchtigung.

Für einen chronischen Wirbelsäulenschaden mit lange anhaltenden Schmerzsyndromen spreche, dass der Kläger seit Jahren in dauerhafter Behandlung bei verschiedenen orthopädischen Fachärzten gewesen sei. Das chronische Wirbelsäulensyndrom in drei Abschnitten mit Skoliose und Kyphose sowie häufigen und teilweise lange anhaltenden Schmerzsyndromen bedinge einen GdB von 30. Die Funktionsstörung der Schulter rechts einen GdB von 10, ein Streckdefizit des 5. Fingers rechts gleichfalls einen GdB von 10 und die Kniegelenksarthrose beidseits mit Knorpelschäden Grad 3 bis 4 zusammen mit dem Zustand nach Arthroskopie des linken Kniegelenks einen GdB von 20. Die übrigen Gesundheitsbeeinträchtigungen bedingten keinen GdB. Insgesamt schätze er den GdB auf orthopädisch-unfallchirurgischem Gebiet mit 40 ein.

In der Versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 15.05.2012 hat Dr. C. ausgeführt, der Einschätzung des Sachverständigen Dr. I. hinsichtlich der Wirbelsäule mit einem GdB von 30 könne nicht zugestimmt werden. Aufgrund der Befundbeschreibung lasse sich für die Wirbelsäule allenfalls ein Einzel-GdB von 20 rechtfertigen. Zeitweise auftretende subjektive Schmerzzustände und häufig vorgenommene Infiltrationsbehandlungen bedingten noch keinen höheren GdB.

Ein vom Beklagten hierauf gestütztes Vergleichsangebot, den GdB ab 04.08.2008 mit 30 festzustellen und die außergerichtlichen Kosten dem Grunde nach zu einem Drittel zu erstatten, hat der Kläger nicht angenommen.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 03. Februar 2011 abzuändern und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 02. Oktober 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. Oktober 2009 sowie unter Abänderung des Bescheids vom 21. Februar 2011 zu verpflichten, bei ihm einen Grad der Behinderung von 50 ab dem 04. August 2008 festzustellen,

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen, soweit ein höherer Grad der Behinderung als 30 geltend gemacht wird.

Zur Begründung bezieht er sich auf die von Dr. C. am 15.05.2012 erstattete Versorgungsärztliche Stellungnahme.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gem. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Beklagtenakten sowie der Gerichtsakten beider Rechtszüge, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat im Einverständnis beider Beteiligter gem. § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 SGG liegen nicht vor.

Gegenstand des Verfahrens ist gem. § 153 Abs. 1 i.V.m. § 96 SGG auch der Bescheid des Beklagten vom 21.02.2011 geworden, mit dem er den Gerichtsbescheid des SG ausgeführt hat. Der Senat entscheidet hierüber auf Klage.

Die Berufung und die Klage sind jedoch nur insoweit begründet, als der Beklagte verpflichtet ist, den GdB des Klägers ab November 2009 mit 30 festzustellen. Im Übrigen sind die Berufung und die Klage des Klägers nicht begründet.

Gemäß § 69 Abs. 1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den Grad einer Behinderung fest. Behindert sind Menschen gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX dann, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Die Auswirkung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als Grad der Behinderung nach Zehnergraden abgestuft festgestellt (§ 69 Abs. 1 Satz 4 SGB IX). Liegen dabei mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird der Grad der Behinderung nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander festgestellt (§ 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX). Als schwerbehinderter Mensch ist anzuerkennen, wer die Voraussetzungen für die Zuerkennung eines GdB von wenigstens 50 erfüllt und seinen Wohnsitz, seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder seine Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 73 SGB IX rechtmäßig im Geltungsbereich des SGB IX hat. Maßgeblich für die Beurteilung des GdB ist die zum 01.01.2009 in Kraft getretenen Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung vom 10. Dezember 2008 (BGBl I S. 2412), welche die im Wesentlichen gleichlautenden Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) ersetzt haben.

1. Das Wirbelsäulenleiden des Klägers ist ab November 2009 mit einem GdB von 20 zu bewerten.

Nach Teil B 18.9 VG sind Wirbelsäulenschäden mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) mit einem GdB von 20 zu bewerten. Erst Wirbelsäulenbeschwerden mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) bedingen einen GdB von 30. Solche liegen beim Kläger jedoch nicht vor, insbesondere hat auch der Sachverständige Dr. I. keine Wirbelsäulenbeschwerden diesen Ausmaßes festgestellt.

Für die Zeit vor November 2009 sind Erkrankungen der Wirbelsäule des Klägers, welche die Feststellung eines Einzel-GdB rechtfertigen könnten, nicht nachgewiesen. Im Erstantrag vom 04.08.2008 hatte er zwar angegeben, er stehe u.a. wegen eines Wirbelsäulenleidens bei Dr. S. in laufender ärztlicher Behandlung. Dr. S. hat am 08.09.2008 jedoch mitgeteilt, über eine Wirbelsäulenerkrankung des Klägers sei ihm nicht berichtet worden. Dr. H. hat unter dem 08.09.2009 bezüglich der Wirbelsäule mitgeteilt, es bestehe ein geringer lumbosacraler Druckschmerz ohne Nervendehnungszeichen, der Finger-Boden-Abstand (FBA) betrage 10 cm. Dieser Befund rechtfertigt keine Feststellung eines GdB.

Eine erstmalige Behandlung wegen Wirbelsäulenbeschwerden hat ausweislich der Auskunft von Dr. S. vom 05.11. bis 11.11.2009 stattgefunden. Wegen einer akuten Lumbalgie bei Osteochondrose L2/3 und L5/S1 bei Beckentiefstand rechts mit Fehlstellung der Lendenwirbelsäule hat er eine Infiltrationsbehandlung an der Wirbelsäule und Chirotherapie durchgeführt, es ist ein Absatzpolster rechts und ein orales Antiphlogistikum verordnet worden. Auch ausweislich des beigefügten Arztbriefs vom 06.11.2009 hat der Kläger gegenüber Dr. S. nur über zunehmende Kreuzschmerzen geklagt. Dr. S. ist zum 01.07.2010 in Ruhestand getreten und hat bis 30.06.2010 noch Patienten der gesetzlichen Krankenversicherung behandelt. Eine weitere Behandlung des Klägers wegen orthopädischer Beschwerden bis zum 30.06.2010 durch Dr. S. ist nicht erfolgt; insbesondere auch nicht durch Dr. K., der am 09.06.2010 mitgeteilt hat, wegen der Knie- und Wirbelsäulenbeschwerden erfolge die Behandlung bei Dr. S ... Dr. K. hat bezüglich der Behandlung durch Dr. S. auch lediglich einen Arztbrief vom 06.11.2009 vorgelegt.

In der Folgezeit stand der Kläger nach seinen Angaben bei Dr. R. in Behandlung. Ausweislich der Auskunft der Praxisgemeinschaft Dr. R./Dr. U. ist die Behandlung des Klägers jedoch durch letzteren erfolgt, der am 14.09.2011 einen Klopfschmerz im Bereich der unteren LWS nach gluteal rechts ausstrahlend, ohne Anhalt für sensomotorische Ausfälle festgestellt und dies als leichtgradige Erkrankung beurteilt hat. Ein chronisches Wirbelsäulensyndrom in drei Abschnitten, wie vom Sachverständigen Dr. I. beschrieben, kann damit den vorliegenden medizinischen Unterlagen nicht entnommen werden. Soweit der Kläger gegenüber dem Sachverständigen angegeben hatte, er habe seit einigen Monaten auch Schmerzen im Halsbereich, sind solche jedenfalls aufgrund der Auskünfte der vom Kläger benannten behandelnden Ärzte nicht dokumentiert. Gleiches gilt für die Angabe des Klägers gegenüber dem Sachverständigen, er müsse etwa einmal im Monat zum Orthopäden, damit ihm dieser eine Spritze wegen der dauerhaften Schmerzen gebe.

Ein chronisches Wirbelsäulensyndrom in drei Abschnitten mit lange anhaltenden Schmerzsyndromen, das Dr. I. seiner Bewertung, der GdB für die Wirbelsäulenschäden sei mit 30 festzustellen, zugrunde gelegt hat, liegt nicht vor. Soweit Dr. I. ausgeführt hat, für diese Diagnose spreche, dass der Kläger seit Jahren in dauerhafter Behandlung bei verschiedenen orthopädischen Fachärzten sei, trifft dies nicht zu. Wie bereits ausgeführt, sind Behandlungen des Klägers wegen der Wirbelsäule erstmals durch Dr. S. vom 05.11.bis 11.11.2009 und danach in fast jährlichem Abstand dokumentiert. Schließlich belegen auch die von Dr. I. selbst erhobenen Bewegungsmaße der HWS mit Flexion/Extension 50/0/35 (Normalbefund 40-70/0/35-45), Seitneigung re./li. 30/0/30 (Normalmaße 30-45/0/30-45) sowie Rotation re./li. 75/0/50 (Normalmaße 60-90/0/60-90), dass bis auf eine endgradige Einschränkung der Rotation links insoweit noch keine Bewegungseinschränkungen bestehen. Die von Dr. I. mitgeteilten Befunde rechtfertigen deshalb allenfalls einen GdB von 20 für die Wirbelsäule. Die Einholung einer ergänzenden Stellungnahme des Sachverständigen Dr. I. zu der Versorgungsärztlichen Stellungnahme des Dr. C. vom 15.05.2012 war nicht erforderlich. Bei der Bemessung des GdB kommt es gemäß § 69 SGB IX maßgebend auf die Auswirkungen der Gesundheitsstörungen auf die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft an. Hierbei sind über die medizinisch zu beurteilenden Verhältnisse - zu deren Aufklärung dient das Gutachten des medizinischen Sachverständigen - hinaus weitere Umstände auf gesamtgesellschaftlichem Gebiet zu berücksichtigen (BSG, Beschluss vom 09.12.2010 - B 9 SB 35/10 B - juris).

2. Beim Kläger bestehen darüber hinaus eine beidseitige Kniegelenksarthrose mit Knorpelschäden Grad 3 bis 4 bei Instabilität links, eine muskulär nicht vollständig kompensierbare und beidseits massiv hochsehende Patella sowie ein Zustand nach Arthroskopie des linken Kniegelenks. Diese bedingt einen Einzel-GdB von 20.

3. Ein Einzel-GdB von 10 ist aufgrund der vom Sachverständigen Dr. I. mitgeteilten Bewegungsausmaße (Vor-/Rückneigung 90/0/30 und Ab-/Adduktion 80/0/30) auch für die Funktionsbehinderung des rechten Schultergelenks gerechtfertigt. Ein Streckdefizit des 5. Fingers rechts bedingt keinen Teil-GdB von wenigstens 10.

4. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 SGB IX ist bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen. Nach Teil A Nr. 3 a) der VG dürfen bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen die einzelnen Werte nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung eines Gesamt-GdB ungeeignet. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander. Bei der Gesamtwürdigung der verschiedenen Funktionsbeeinträchtigungen sind unter Berücksichtigung aller sozialmedizinischen Erfahrungen Vergleiche mit Gesundheitsschäden anzustellen, zu denen in der Tabelle feste GdB-Werte angegeben sind. Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Von Ausnahmefällen abgesehen führen dabei zusätzliche leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch nicht, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen.

Der Gesamt-GdB des Klägers ist danach unter Zugrundelegung eines Einzel-GdB von je 20 für das Wirbelsäulenleiden und das beidseitige Knieleiden sowie von 10 für die Funktionsbeeinträchtigung des rechten Schultergelenks ab dem 01.11.2009 mit 30 festzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt den Umstand, dass der Kläger während des Verwaltungs- und gerichtlichen Verfahrens immer wieder neue gesundheitliche Beeinträchtigungen geltend gemacht hat, denen der Beklagte alsbald nach Einholung medizinischer Auskünfte Rechnung getragen hat.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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