Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 13 R 2833/02
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 9 R 2627/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 18. September 2003 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Gewährung einer höheren Altersrente wegen Arbeitslosigkeit bzw. nach Altersteilzeit.
Der 1942 geborene Kläger war vom 1.7.1967 bis 30.9.1995 bei IBM beschäftigt, zuletzt seit 1.1.1987 als Operator bzw. Archivar. Im Rahmen eines Vorruhestandsprogramms schloss er am 30.6.1995 bzw. 7.7.1995 mit seinem Arbeitgeber eine Auflösungsvereinbarung ab, wonach das Arbeitsverhältnis im Rahmen des gleitenden Ruhestandes einvernehmlich zum 30.9.1995 aufgelöst wurde. Der Kläger erhielt für den Verlust des Arbeitsplatzes eine Abfindung, deren Höhe er in der im Klageverfahren vorgelegten Kopie unkenntlich gemacht hat. Vom 1.10.1996 bis 31.5.1999 bezog der Kläger Arbeitslosengeld. Arbeitslosenhilfe wurde ihm wegen fehlender Bedürftigkeit nicht gewährt. Vom 1.10.1996 bis (zumindest) 31.1.2002 übte der Kläger eine geringfügige versicherungsfreie Tätigkeit als Kraftfahrer aus.
Am 17.9.2001 beantragte er die Gewährung von Altersrente wegen Arbeitslosigkeit und Vollendung des 60. Lebensjahres.
Mit Bescheid vom 29.1.2002 gewährte die Beklagte dem Kläger Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeit (im Folgenden: Altersrente wegen Arbeitslosigkeit) ab 1.2.2002 i.H.v. 1.001,43 Euro. Bei der Berechnung der Rente minderte sie den Zugangsfaktor von 1,0 ? wegen der vorzeitigen Inanspruchnahme der Rente wegen Alters um 0,18 (60 Monate x 0,003) ?, so dass sich ein Zugangsfaktor von 0,82 ergab. Hierdurch verringerten sich die persönlichen Entgeltpunkte von 47,7058 (x 0,82) auf 39,1188.
Mit seinem am 22.2.2002 erhobenen Widerspruch machte der Kläger geltend, die Kürzung seiner Rente, die auf dem Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz (WFG) vom 25.9.1996 beruhe, sei verfassungswidrig.
Mit Widerspruchsbescheid vom 24.5.2002 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, der Kläger falle nicht unter die Vertrauensschutzregelung des § 237 Abs. 4 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI), da er nicht bis zum 14.2.1941 geboren sei.
Hiergegen hat der Kläger am 18.6.2002 Klage zum Sozialgericht (SG) Stuttgart erhoben und die Gewährung einer Altersrente begehrt, die nach den zum Zeitpunkt des Abschlusses der Vorruhestandsregelung geltenden Gesetzen im Jahr 1995 berechnet werde, das heißt ohne Minderung des Zugangsfaktors. Zur Begründung hat er vorgetragen, die Berechnung seiner Rente nach den derzeit geltenden Rechtsvorschriften sei verfassungswidrig. Mit dem Rentenreformgesetz (RRG), das am 1.1.1992 in Kraft getreten sei, sei eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit durch eine Anhebung der Altersgrenze vom 60. bzw. 63. auf das 65. Lebensjahr erfolgt. Diese Anhebungsregelung sei detailliert ausgestaltet gewesen und habe eine Übergangsregelung enthalten, die sich über einen 20-jährigen Zeitraum erstreckt habe. Zum damaligen Zeitpunkt seien seitens der Arbeitsämter Informationsveranstaltungen, so auch bei seinem Arbeitgeber, durchgeführt worden, in denen das Frühverrentungsmodell erläutert und empfohlen worden sei. Eine Vielzahl von Arbeitnehmern habe diese Möglichkeit aufgegriffen, entsprechende Aufhebungsverträge geschlossen, um nach einer Zeit der Arbeitslosigkeit ab dem 60. Lebensjahr eine ungekürzte Rente zu erhalten. Mit dem WFG vom 25.9.1996 sei die Anhebung der Altersgrenze erheblich beschleunigt worden. Damit sei in die von Art. 14 Grundgesetz (GG) geschützten Rentenanwartschaften eingegriffen und auch Art. 2 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsgebot verletzt worden. Die vom Gesetzgeber getroffene Vertrauensschutzregelung, die Versicherte erfasse, die vor dem 14.2.1996 das 55. Lebensjahr vollendet haben und bereits arbeitslos waren oder entsprechend dem Modell der Frühverrentung eine entsprechende Vereinbarung mit ihrem Arbeitgeber getroffen hätten, bzw. die Regelung für Mitarbeiter der Montanindustrie, erfasse jedoch nicht Personen, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht das 55. Lebensjahr vollendet hatten, aber bereits vor diesem Zeitpunkt entsprechende irreversible Verträge nach dem Frühverrentungsmodell mit ihrem Arbeitgeber über die Aufhebung Ihres Arbeitsvertrages geschlossen hätten. Die Nichtberücksichtigung dieses Personenkreises verstoße auch gegen Art. 3 GG.
Mit Urteil vom 18.9.2003 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Entscheidung der Beklagten, eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit mit einem verminderten Zugangsfaktor zu gewähren, sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Vertrauensschutzregelung des § 237 Abs. 4 Nr. 1 - 3 SGB VI (i.d.F. vom 27.6.2000) sei vorliegend nicht einschlägig. Die Regelung des § 237 Abs. 3 und 4 SGB VI verstoße nicht gegen das Grundgesetz. Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.
Gegen das am 24.9.2003 zugestellte Urteil hat der Kläger am 22.10.2003 Berufung (L 3 RJ 4242/03) eingelegt und vorgetragen, er sei nach wie vor der Auffassung, dass die auf ihn angewandten Rechtsvorschriften, insbesondere § 237 SGB VI, verfassungswidrig seien. Das SG habe nicht geprüft, ob der Eingriff in den grundgesetzlich garantierten Schutz der Rentenanwartschaften überhaupt geeignet und erforderlich gewesen sei, um den Gesetzeszweck zu erreichen. Angesichts der Tatsache, dass ca. 900.000 Versicherte mit Vollendung des 60. Lebensjahres eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeit in Anspruch nehmen könnten, relativiere sich die kurzfristige finanzielle Entlastung durch die gesetzliche Regelung. Im Hinblick auf den massiven Eingriff in die Rentenrechte könne die Regelung nicht mehr als geeignet angesehen werden. Sie sei auch nicht erforderlich gewesen, da der Anstieg der Frühverrentung Mitte der 90-er Jahre auf Sonderregelungen in den neuen Bundesländern beruhe und inzwischen wieder stark rückläufig sei. Die 18 %-ige Rentenkürzung überschreite bei Weitem die Grenze der Zumutbarkeit.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 18. September 2003 aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 29. Januar 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Mai 2002 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 01. Februar 2002 Rente nach den zum Zeitpunkt des Abschlusses der Vorruhestandsregelung im Jahr 1995 geltenden Gesetzen, das heißt ohne Minderung des Zugangsfaktors, zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist auf eine Stellungnahme des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger vom 4.2.2003, wonach die vorgezogene Anhebung der Altersgrenze und die Regelung des § 237 SGB VI verfassungsgemäß seien.
Auf den übereinstimmenden Antrag der Beteiligten hat der 3. Senat des Landessozialgerichts (LSG) ? wegen vergleichbarer Verfahren beim Bundessozialgericht (BSG) ? das Ruhen des Verfahrens angeordnet.
Am 17.6.2011 hat die Beklagte das ruhende Verfahren wieder angerufen und auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 11.11.2008 (1 BvL 3/05, 1 BvL 4/05, 1 BvL 5/05, 1 BvL 6/05,1 BvL 7/05) verwiesen. Das Verfahren ist unter dem Az. L 9 R 2627/11 fortgeführt worden.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des LSG (L 3 RJ 4242/03 und L 9 R 2627/11) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.
Die Berufung des Klägers ist jedoch nicht begründet. Das angefochtene Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, da der Kläger keinen Anspruch auf Berechnung seiner Altersrente wegen Arbeitslosigkeit nach den im Jahr 1995 geltenden Gesetzen bzw. unter Berücksichtigung eines höheren Zugangsfaktors hat.
Voraussetzung für die Gewährung von Altersrente wegen Arbeitslosigkeit ist ? neben der Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (§ 237 Abs. 1 Nr. 3 ? 5 SGB VI), die beim Kläger vorliegen -, dass der Versicherte vor dem 1.1.1952 geboren ist und das 60. Lebensjahr vollendet hat (§ 237 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGB VI). Diese Voraussetzungen sind bei dem am 22.1.1942 geborenen Kläger, dem ab 1.2.2002 eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit mit Bescheid vom 29.1.2002 zuerkannt wurde, gegeben.
Auf den Rentenanspruch des Klägers finden die zum Zeitpunkt des Leistungsbeginns geltenden Rechtsvorschriften des SGB VI Anwendung (vgl. BSG, Urteil vom 6.5.2010 ? B 13 R 18/09 R ? in Juris und Kater in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Stand Juni 2012, § 300 SGB VI Rn. 2).
Nach der zum Rentenbeginn am 1.2.2002 anzuwendenden Gesetzesfassung (vgl. § 300 Abs. 1 und 2 SGB VI) wird gemäß § 237 Abs. 3 in Verbindung mit Anl. 19 zum SGB VI (i.d.F. des RRG 1999) die Altersgrenze von 60 Jahren bei Altersrenten wegen Arbeitslosigkeit für nach dem 31.12.1936 geborene Versicherte angehoben; die vorzeitige Inanspruchnahme der Altersrente ist jedoch möglich (§ 237 Abs. 3 S. 2 SGB VI). Die Anhebung der Altersgrenze und die vorzeitige Inanspruchnahme bestimmen sich nach Anlage 19 (§ 237 Abs. 3 S. 3 SGB VI).
Für den im Januar 1942 geborenen Kläger wird demnach die Altersrente von 60 Jahren für eine abschlagsfreie Gewährung um 60 Monate auf 65 Jahre angehoben. Die vorzeitige Inanspruchnahme der Altersrente ab dem vollendeten 60. Lebensjahr führt dagegen zu Abzügen nach § 77 Abs. 2 S. 1 Nr. 2a SGB VI. Denn gemäß § 64 SGB VI ist der Monatsbetrag der Rente das Produkt aus den unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten persönlichen Entgeltpunkten, dem Rentenartfaktor und dem aktuellen Rentenwert. Die genannten Faktoren sind mit ihrem Wert bei Rentenbeginn miteinander zu vervielfältigen.
Der Zugangsfaktor, der bei der Altersrente des Klägers gemäß § 77 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 SGB VI grundsätzlich 1,0 beträgt, ist gemäß § 77 Abs. 2 S. 1 Nr. 2a SGB VI für jeden Kalendermonat, wenn die Rente vorzeitig in Anspruch genommen wird, um 0,003 niedriger als 1,0 anzusetzen. Beim Kläger mindert sich der Zugangsfaktor um 0,18, d.h. er beträgt 0,82, wovon die Beklagte zutreffend ausgegangen ist.
Eine Vertrauensschutzregelung, die einen geringeren Abschlag auf die Altersrente ermöglicht, kommt dem Kläger nicht zugute. Auf die zutreffenden Ausführungen im Urteil des SG nimmt der Senat gemäß § 153 Abs. 2 SGG Bezug und sieht insoweit von weiteren Ausführungen ab.
Die Voraussetzungen der Vertrauensschutzregelung von § 237 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 SGB VI erfüllt der Kläger deshalb nicht, weil er nach dem genannten Stichtag (14.2.1941), nämlich am 22.1.1942, geboren ist. Die weitere Ausnahme des § 237 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 SGB VI, wonach vor dem 1.1.1942 geborene Versicherte begünstigt werden, die 45 Jahre (540 Monate) mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Tätigkeit haben, scheidet ebenfalls aus, weil der Kläger lediglich 471 Pflichtbeiträge (405 deutsche und 66 österreichische) aufweist und darüber hinaus auch nicht vor dem 1.1.1942 geboren ist.
Die Vorschriften über die Bestimmung von Abschlägen bei vorzeitiger Inanspruchnahme einer Altersrente wegen Arbeitslosigkeit (§ 237 Abs. 3 in Verbindung mit Anl. 19 und § 77 Abs. 2 S. 1 Nr. 2a SGB VI) und die Vertrauensschutzregelung (§ 237 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 und 3 SGB VI) sind verfassungsgemäß, wie das BVerfG inzwischen entschieden hat (BVerfG, Beschluss vom 11.11.2008, 1 BvL 3/05, 1 BvL 4/05, 1 BvL 5/05, 1 BvL 6/05, 1 BvL 7/05 in BVerfGE 122, 151-190, SozR 4-2600 § 237 Nr. 16 und in Juris).
So hat das BVerfG im o. g. Beschluss ausgeführt, dass die Vorschriften über die Bestimmung von Abschlägen bei vorzeitiger Inanspruchnahme einer Altersrente wegen Arbeitslosigkeit eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung nach Art. 14 Abs. 1 GG bilden und auch den allgemeinen Gleichheitssatz nicht verletzen. Eine Kürzung vorgezogener Altersrenten durch einen Zugangsfaktor werde von einem hinreichenden Gemeinwohlzweck getragen. Die Kürzung habe sich auch als geeignet erwiesen, die Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung zu verbessern. Mit der Einführung von dauerhaften Abschlägen sind die vorzeitigen Rentenzugänge reduziert und dadurch die Rentenlaufzeiten verkürzt worden. Der Gesetzgeber habe die dauerhafte Kürzung der vorgezogenen Altersrente als erforderlich ansehen dürfen, und zwar selbst dann, wenn ihm dafür auch andere Methoden der Herstellung individueller Kostenneutralität zur Verfügung gestanden hätten. Ihm komme bei der finanziellen Ausgestaltung der gesetzlichen Rentenversicherung ein Gestaltungsermessen zu. Der Grundsatz des Vertrauensschutzes sei ebenfalls nicht verletzt, da bereits Mitte der 1990-er Jahre damit zu rechnen gewesen sei, dass der Gesetzgeber angesichts der angespannten finanziellen Situation der gesetzlichen Rentenversicherung gehalten sein könnte, noch weitergehende Änderungen an den zunächst langfristig angelegten Übergangskonzept vorzunehmen. Ein schutzwürdiges Vertrauen in den Bestand von Modalitäten der Übergangsregelung habe unter diesen Umständen nicht entstehen können.
Der Umstand, dass der Kläger vor Inkrafttreten des WFG vom 25.9.1996 eine nicht mehr rückgängig zu machende Vereinbarung über die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses getroffen hat, führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn das BVerfG hat zu der Stichtagsregelung des § 237 Abs. 4 S. 1 Nr. 1b SGB VI, wonach ein Versicherter nur dann von den günstigeren Altersgrenzen nach dem RRG 1992 profitiert, wenn er bis zum 14.2.1941 geboren wurde und am 14.2.1996 bereits arbeitslos gewesen ist oder sein Arbeitsverhältnis zumindest aufgrund einer vor dem 14.2.1996 erfolgten Kündigung oder Vereinbarung beendet worden ist, ausdrücklich festgestellt, dass die Vorschrift auch insoweit mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar sei. Die Berücksichtigung von Versicherten, die am 14.2.1996 mindestens das 55. Lebensjahr vollendet hatten und deshalb zu den rentennahen Jahrgänge zählten, hat das BVerfG als genügenden sachlichen Grund anerkannt (BSG, Urteil vom 6.5.2010 - B 13 R 18/09 R - in Juris m.w.N.).
Nach alledem war das angefochtene Urteil des SG nicht zu beanstanden. Die Berufung des Klägers musste deswegen zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Gewährung einer höheren Altersrente wegen Arbeitslosigkeit bzw. nach Altersteilzeit.
Der 1942 geborene Kläger war vom 1.7.1967 bis 30.9.1995 bei IBM beschäftigt, zuletzt seit 1.1.1987 als Operator bzw. Archivar. Im Rahmen eines Vorruhestandsprogramms schloss er am 30.6.1995 bzw. 7.7.1995 mit seinem Arbeitgeber eine Auflösungsvereinbarung ab, wonach das Arbeitsverhältnis im Rahmen des gleitenden Ruhestandes einvernehmlich zum 30.9.1995 aufgelöst wurde. Der Kläger erhielt für den Verlust des Arbeitsplatzes eine Abfindung, deren Höhe er in der im Klageverfahren vorgelegten Kopie unkenntlich gemacht hat. Vom 1.10.1996 bis 31.5.1999 bezog der Kläger Arbeitslosengeld. Arbeitslosenhilfe wurde ihm wegen fehlender Bedürftigkeit nicht gewährt. Vom 1.10.1996 bis (zumindest) 31.1.2002 übte der Kläger eine geringfügige versicherungsfreie Tätigkeit als Kraftfahrer aus.
Am 17.9.2001 beantragte er die Gewährung von Altersrente wegen Arbeitslosigkeit und Vollendung des 60. Lebensjahres.
Mit Bescheid vom 29.1.2002 gewährte die Beklagte dem Kläger Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeit (im Folgenden: Altersrente wegen Arbeitslosigkeit) ab 1.2.2002 i.H.v. 1.001,43 Euro. Bei der Berechnung der Rente minderte sie den Zugangsfaktor von 1,0 ? wegen der vorzeitigen Inanspruchnahme der Rente wegen Alters um 0,18 (60 Monate x 0,003) ?, so dass sich ein Zugangsfaktor von 0,82 ergab. Hierdurch verringerten sich die persönlichen Entgeltpunkte von 47,7058 (x 0,82) auf 39,1188.
Mit seinem am 22.2.2002 erhobenen Widerspruch machte der Kläger geltend, die Kürzung seiner Rente, die auf dem Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetz (WFG) vom 25.9.1996 beruhe, sei verfassungswidrig.
Mit Widerspruchsbescheid vom 24.5.2002 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus, der Kläger falle nicht unter die Vertrauensschutzregelung des § 237 Abs. 4 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI), da er nicht bis zum 14.2.1941 geboren sei.
Hiergegen hat der Kläger am 18.6.2002 Klage zum Sozialgericht (SG) Stuttgart erhoben und die Gewährung einer Altersrente begehrt, die nach den zum Zeitpunkt des Abschlusses der Vorruhestandsregelung geltenden Gesetzen im Jahr 1995 berechnet werde, das heißt ohne Minderung des Zugangsfaktors. Zur Begründung hat er vorgetragen, die Berechnung seiner Rente nach den derzeit geltenden Rechtsvorschriften sei verfassungswidrig. Mit dem Rentenreformgesetz (RRG), das am 1.1.1992 in Kraft getreten sei, sei eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit durch eine Anhebung der Altersgrenze vom 60. bzw. 63. auf das 65. Lebensjahr erfolgt. Diese Anhebungsregelung sei detailliert ausgestaltet gewesen und habe eine Übergangsregelung enthalten, die sich über einen 20-jährigen Zeitraum erstreckt habe. Zum damaligen Zeitpunkt seien seitens der Arbeitsämter Informationsveranstaltungen, so auch bei seinem Arbeitgeber, durchgeführt worden, in denen das Frühverrentungsmodell erläutert und empfohlen worden sei. Eine Vielzahl von Arbeitnehmern habe diese Möglichkeit aufgegriffen, entsprechende Aufhebungsverträge geschlossen, um nach einer Zeit der Arbeitslosigkeit ab dem 60. Lebensjahr eine ungekürzte Rente zu erhalten. Mit dem WFG vom 25.9.1996 sei die Anhebung der Altersgrenze erheblich beschleunigt worden. Damit sei in die von Art. 14 Grundgesetz (GG) geschützten Rentenanwartschaften eingegriffen und auch Art. 2 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsgebot verletzt worden. Die vom Gesetzgeber getroffene Vertrauensschutzregelung, die Versicherte erfasse, die vor dem 14.2.1996 das 55. Lebensjahr vollendet haben und bereits arbeitslos waren oder entsprechend dem Modell der Frühverrentung eine entsprechende Vereinbarung mit ihrem Arbeitgeber getroffen hätten, bzw. die Regelung für Mitarbeiter der Montanindustrie, erfasse jedoch nicht Personen, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht das 55. Lebensjahr vollendet hatten, aber bereits vor diesem Zeitpunkt entsprechende irreversible Verträge nach dem Frühverrentungsmodell mit ihrem Arbeitgeber über die Aufhebung Ihres Arbeitsvertrages geschlossen hätten. Die Nichtberücksichtigung dieses Personenkreises verstoße auch gegen Art. 3 GG.
Mit Urteil vom 18.9.2003 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Entscheidung der Beklagten, eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit mit einem verminderten Zugangsfaktor zu gewähren, sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Vertrauensschutzregelung des § 237 Abs. 4 Nr. 1 - 3 SGB VI (i.d.F. vom 27.6.2000) sei vorliegend nicht einschlägig. Die Regelung des § 237 Abs. 3 und 4 SGB VI verstoße nicht gegen das Grundgesetz. Auf die Entscheidungsgründe im Übrigen wird Bezug genommen.
Gegen das am 24.9.2003 zugestellte Urteil hat der Kläger am 22.10.2003 Berufung (L 3 RJ 4242/03) eingelegt und vorgetragen, er sei nach wie vor der Auffassung, dass die auf ihn angewandten Rechtsvorschriften, insbesondere § 237 SGB VI, verfassungswidrig seien. Das SG habe nicht geprüft, ob der Eingriff in den grundgesetzlich garantierten Schutz der Rentenanwartschaften überhaupt geeignet und erforderlich gewesen sei, um den Gesetzeszweck zu erreichen. Angesichts der Tatsache, dass ca. 900.000 Versicherte mit Vollendung des 60. Lebensjahres eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeit in Anspruch nehmen könnten, relativiere sich die kurzfristige finanzielle Entlastung durch die gesetzliche Regelung. Im Hinblick auf den massiven Eingriff in die Rentenrechte könne die Regelung nicht mehr als geeignet angesehen werden. Sie sei auch nicht erforderlich gewesen, da der Anstieg der Frühverrentung Mitte der 90-er Jahre auf Sonderregelungen in den neuen Bundesländern beruhe und inzwischen wieder stark rückläufig sei. Die 18 %-ige Rentenkürzung überschreite bei Weitem die Grenze der Zumutbarkeit.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 18. September 2003 aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 29. Januar 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Mai 2002 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm ab 01. Februar 2002 Rente nach den zum Zeitpunkt des Abschlusses der Vorruhestandsregelung im Jahr 1995 geltenden Gesetzen, das heißt ohne Minderung des Zugangsfaktors, zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist auf eine Stellungnahme des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger vom 4.2.2003, wonach die vorgezogene Anhebung der Altersgrenze und die Regelung des § 237 SGB VI verfassungsgemäß seien.
Auf den übereinstimmenden Antrag der Beteiligten hat der 3. Senat des Landessozialgerichts (LSG) ? wegen vergleichbarer Verfahren beim Bundessozialgericht (BSG) ? das Ruhen des Verfahrens angeordnet.
Am 17.6.2011 hat die Beklagte das ruhende Verfahren wieder angerufen und auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 11.11.2008 (1 BvL 3/05, 1 BvL 4/05, 1 BvL 5/05, 1 BvL 6/05,1 BvL 7/05) verwiesen. Das Verfahren ist unter dem Az. L 9 R 2627/11 fortgeführt worden.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Zur weiteren Darstellung des Tatbestandes wird auf die Akten der Beklagten, des SG sowie des LSG (L 3 RJ 4242/03 und L 9 R 2627/11) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgemäß eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach § 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) liegen nicht vor.
Die Berufung des Klägers ist jedoch nicht begründet. Das angefochtene Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind nicht zu beanstanden, da der Kläger keinen Anspruch auf Berechnung seiner Altersrente wegen Arbeitslosigkeit nach den im Jahr 1995 geltenden Gesetzen bzw. unter Berücksichtigung eines höheren Zugangsfaktors hat.
Voraussetzung für die Gewährung von Altersrente wegen Arbeitslosigkeit ist ? neben der Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen (§ 237 Abs. 1 Nr. 3 ? 5 SGB VI), die beim Kläger vorliegen -, dass der Versicherte vor dem 1.1.1952 geboren ist und das 60. Lebensjahr vollendet hat (§ 237 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGB VI). Diese Voraussetzungen sind bei dem am 22.1.1942 geborenen Kläger, dem ab 1.2.2002 eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit mit Bescheid vom 29.1.2002 zuerkannt wurde, gegeben.
Auf den Rentenanspruch des Klägers finden die zum Zeitpunkt des Leistungsbeginns geltenden Rechtsvorschriften des SGB VI Anwendung (vgl. BSG, Urteil vom 6.5.2010 ? B 13 R 18/09 R ? in Juris und Kater in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Stand Juni 2012, § 300 SGB VI Rn. 2).
Nach der zum Rentenbeginn am 1.2.2002 anzuwendenden Gesetzesfassung (vgl. § 300 Abs. 1 und 2 SGB VI) wird gemäß § 237 Abs. 3 in Verbindung mit Anl. 19 zum SGB VI (i.d.F. des RRG 1999) die Altersgrenze von 60 Jahren bei Altersrenten wegen Arbeitslosigkeit für nach dem 31.12.1936 geborene Versicherte angehoben; die vorzeitige Inanspruchnahme der Altersrente ist jedoch möglich (§ 237 Abs. 3 S. 2 SGB VI). Die Anhebung der Altersgrenze und die vorzeitige Inanspruchnahme bestimmen sich nach Anlage 19 (§ 237 Abs. 3 S. 3 SGB VI).
Für den im Januar 1942 geborenen Kläger wird demnach die Altersrente von 60 Jahren für eine abschlagsfreie Gewährung um 60 Monate auf 65 Jahre angehoben. Die vorzeitige Inanspruchnahme der Altersrente ab dem vollendeten 60. Lebensjahr führt dagegen zu Abzügen nach § 77 Abs. 2 S. 1 Nr. 2a SGB VI. Denn gemäß § 64 SGB VI ist der Monatsbetrag der Rente das Produkt aus den unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten persönlichen Entgeltpunkten, dem Rentenartfaktor und dem aktuellen Rentenwert. Die genannten Faktoren sind mit ihrem Wert bei Rentenbeginn miteinander zu vervielfältigen.
Der Zugangsfaktor, der bei der Altersrente des Klägers gemäß § 77 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 SGB VI grundsätzlich 1,0 beträgt, ist gemäß § 77 Abs. 2 S. 1 Nr. 2a SGB VI für jeden Kalendermonat, wenn die Rente vorzeitig in Anspruch genommen wird, um 0,003 niedriger als 1,0 anzusetzen. Beim Kläger mindert sich der Zugangsfaktor um 0,18, d.h. er beträgt 0,82, wovon die Beklagte zutreffend ausgegangen ist.
Eine Vertrauensschutzregelung, die einen geringeren Abschlag auf die Altersrente ermöglicht, kommt dem Kläger nicht zugute. Auf die zutreffenden Ausführungen im Urteil des SG nimmt der Senat gemäß § 153 Abs. 2 SGG Bezug und sieht insoweit von weiteren Ausführungen ab.
Die Voraussetzungen der Vertrauensschutzregelung von § 237 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 SGB VI erfüllt der Kläger deshalb nicht, weil er nach dem genannten Stichtag (14.2.1941), nämlich am 22.1.1942, geboren ist. Die weitere Ausnahme des § 237 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 SGB VI, wonach vor dem 1.1.1942 geborene Versicherte begünstigt werden, die 45 Jahre (540 Monate) mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Tätigkeit haben, scheidet ebenfalls aus, weil der Kläger lediglich 471 Pflichtbeiträge (405 deutsche und 66 österreichische) aufweist und darüber hinaus auch nicht vor dem 1.1.1942 geboren ist.
Die Vorschriften über die Bestimmung von Abschlägen bei vorzeitiger Inanspruchnahme einer Altersrente wegen Arbeitslosigkeit (§ 237 Abs. 3 in Verbindung mit Anl. 19 und § 77 Abs. 2 S. 1 Nr. 2a SGB VI) und die Vertrauensschutzregelung (§ 237 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 und 3 SGB VI) sind verfassungsgemäß, wie das BVerfG inzwischen entschieden hat (BVerfG, Beschluss vom 11.11.2008, 1 BvL 3/05, 1 BvL 4/05, 1 BvL 5/05, 1 BvL 6/05, 1 BvL 7/05 in BVerfGE 122, 151-190, SozR 4-2600 § 237 Nr. 16 und in Juris).
So hat das BVerfG im o. g. Beschluss ausgeführt, dass die Vorschriften über die Bestimmung von Abschlägen bei vorzeitiger Inanspruchnahme einer Altersrente wegen Arbeitslosigkeit eine zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung nach Art. 14 Abs. 1 GG bilden und auch den allgemeinen Gleichheitssatz nicht verletzen. Eine Kürzung vorgezogener Altersrenten durch einen Zugangsfaktor werde von einem hinreichenden Gemeinwohlzweck getragen. Die Kürzung habe sich auch als geeignet erwiesen, die Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung zu verbessern. Mit der Einführung von dauerhaften Abschlägen sind die vorzeitigen Rentenzugänge reduziert und dadurch die Rentenlaufzeiten verkürzt worden. Der Gesetzgeber habe die dauerhafte Kürzung der vorgezogenen Altersrente als erforderlich ansehen dürfen, und zwar selbst dann, wenn ihm dafür auch andere Methoden der Herstellung individueller Kostenneutralität zur Verfügung gestanden hätten. Ihm komme bei der finanziellen Ausgestaltung der gesetzlichen Rentenversicherung ein Gestaltungsermessen zu. Der Grundsatz des Vertrauensschutzes sei ebenfalls nicht verletzt, da bereits Mitte der 1990-er Jahre damit zu rechnen gewesen sei, dass der Gesetzgeber angesichts der angespannten finanziellen Situation der gesetzlichen Rentenversicherung gehalten sein könnte, noch weitergehende Änderungen an den zunächst langfristig angelegten Übergangskonzept vorzunehmen. Ein schutzwürdiges Vertrauen in den Bestand von Modalitäten der Übergangsregelung habe unter diesen Umständen nicht entstehen können.
Der Umstand, dass der Kläger vor Inkrafttreten des WFG vom 25.9.1996 eine nicht mehr rückgängig zu machende Vereinbarung über die Beendigung seines Arbeitsverhältnisses getroffen hat, führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn das BVerfG hat zu der Stichtagsregelung des § 237 Abs. 4 S. 1 Nr. 1b SGB VI, wonach ein Versicherter nur dann von den günstigeren Altersgrenzen nach dem RRG 1992 profitiert, wenn er bis zum 14.2.1941 geboren wurde und am 14.2.1996 bereits arbeitslos gewesen ist oder sein Arbeitsverhältnis zumindest aufgrund einer vor dem 14.2.1996 erfolgten Kündigung oder Vereinbarung beendet worden ist, ausdrücklich festgestellt, dass die Vorschrift auch insoweit mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar sei. Die Berücksichtigung von Versicherten, die am 14.2.1996 mindestens das 55. Lebensjahr vollendet hatten und deshalb zu den rentennahen Jahrgänge zählten, hat das BVerfG als genügenden sachlichen Grund anerkannt (BSG, Urteil vom 6.5.2010 - B 13 R 18/09 R - in Juris m.w.N.).
Nach alledem war das angefochtene Urteil des SG nicht zu beanstanden. Die Berufung des Klägers musste deswegen zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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