L 3 R 355/10

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 13 R 390/09
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 3 R 355/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 13 R 107/12 B
Datum
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Bewilligung von Rente wegen voller Erwerbsminderung nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Rentenversicherung - SGB VI) streitig.

Die am ... 1970 geborene Klägerin durchlief nach dem Abschluss der 10. Schulklasse vom 1. September 1987 bis zum 15. Juli 1989 eine Ausbildung zum Facharbeiter für Lebensmitteltechnik mit der Spezialisierung "Getränke". Im Anschluss daran war sie in diesem Beruf bis Juli 1990 und dann - mit Unterbrechungen wegen Arbeitslosigkeit - von September 1991 bis Dezember 1995, von Januar 1997 bis Juli 1998 und ab April 1999 als Reinigungskraft, zuletzt bis zu ihrer Arbeitsunfähigkeit am 26. Januar 2005 in Teilzeit im Geschäft ihres Ehemannes versicherungspflichtig tätig.

Die Klägerin beantragte am 20. Juli 2006 bei der Beklagten die Bewilligung von Rente wegen Erwerbsminderung und machte geltend, seit Januar 2005 wegen Depressionen keine Tätigkeiten mehr verrichten zu können. Die Beklagte zog zunächst das sozialmedizinische Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) Sachsen-Anhalt vom 18. Oktober 2005 bei, wonach eine seit mehreren Jahren anhaltende leichte bis mittelgradige depressive Herabgestimmtheit - Dysthymia - vorliege. Bei einem hohen sekundären Krankheitsgewinn mit Entpflichtung von alltäglichen Anforderungen sei keine Therapie- oder Veränderungsmotivation der Klägerin gegeben. Nach dem Abschluss der dringend empfohlenen psychosomatischen Rehabilitationsmaßnahme könne mit der Wiederaufnahme einer Tätigkeit gerechnet werden.

Die Beklagte ließ nach Einholung eines Befundberichtes des Arztes Dr. M. vom 21. August 2006 die Oberärztin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des C.-v.-B.-Klinikums M. W., Fachärztin für Psychiatrie/Psychotherapie, das Gutachten vom 13. Dezember 2006 erstatten. Die Klägerin habe bei der ambulanten Untersuchung am 11. Dezember 2006 angegeben, kaum mehr das Haus zu verlassen und das Interesse an all ihren Hobbys verloren zu haben. Sie beklage einen Antriebsverlust, der es ihr unmöglich mache, die Aufgaben im Haushalt zu erfüllen; ihr Ehemann erledige diese Dinge am Wochenende. Die medikamentöse Therapie sei bei einer unzureichenden Beeinflussung der Symptomatik immer wieder umgestellt worden. Eine Besserung werde von der Klägerin bis heute verneint, wobei deren Compliance bezüglich der Einnahme der verordneten Medikation fraglich erscheine. Weiterführende Therapieangebote habe die Klägerin bisher nicht wahrgenommen. Gründe hierfür dürften in einer mangelnden Veränderungsmotivation bei einem fehlenden Leidensdruck und erheblichen sekundären Krankheitsgewinn zu sehen sein. Frau W. gab als Diagnose eine leichtgradige depressive Episode und eine emotional-instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ an. Während die Depression im klinischen Eindruck eher leichtgradig sei, vermittelten die Schilderungen der Klägerin eine schwere depressive Störung. Diese Diskrepanz sei auf manipulative Tendenzen und Aggravationstendenzen zurückzuführen, die in der Begutachtung sehr deutlich gewesen seien. Ausdruck hierfür sei auch das sehr schlechte Ergebnis des Tests zur Erfassung von Gedächtnis- und Aufmerksamkeitsstörungen. Im kognitiven Bereich seien jedoch keine wesentlichen Einschränkungen von Konzentration, Aufmerksamkeit, Auffassung aufgefallen, allerdings erscheine das intellektuelle Ausgangsniveau eher im unteren Durchschnittsbereich angesiedelt zu sein. Merkfähigkeit sowie Gedächtnis als mnestische Funktionen seien ungestört. Dringend erforderlich sei die Durchführung einer Psychotherapie sowie einer medizinischen Rehabilitation unter stationären Bedingungen. Hinweise auf eine Angststörung, eine bipolare Störung, eine posttraumatische Belastungsstörung oder eine Dysthymie hätten sich nicht gefunden. Die Klägerin sei aus psychiatrischer Sicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sechs Stunden und mehr täglich für mittelschwere Tätigkeiten im Gehen, Stehen und Sitzen in Tages-, Früh- und Spätschicht einsetzbar. Tätigkeiten in Nachtschicht, mit Publikumsverkehr, Verantwortung für Personen oder Maschinen sowie Steuerung komplexer Arbeitsvorgänge seien zu meiden. In der zuletzt ausgeübten Tätigkeit als Reinigungskraft sowie im erlernten Beruf einer Facharbeiterin für Lebensmitteltechnik sei die Klägerin vollschichtig unter Berücksichtigung der genannten Einschränkungen einsetzbar.

Die Beklagte holte einen Befundbericht von der Fachärztin für Innere Medizin, Diabetologischer Schwerpunkt, W. vom 8. Mai 2008 ein, die von einem nicht entgleisten Diabetes mellitus Typ II seit 2007 ohne Folgeerkrankungen mit einer bisher oralen Antidiabetikaeinstellung berichtete, und zog das Gutachten von Dr. H., Fachärztin für Innere Medizin und Diagnostische Radiologie, von der Agentur für Arbeit S. vom 5. Juni 2008 bei. Die Klägerin habe bei der arbeitsamtsärztlichen Untersuchung am 26. Mai 2008 angegeben, sie leide seit 2004 an Panik, wolle aber weder eine Rehabilitation noch eine Psychotherapie. Dr. H. berichtete von einer guten Kommunikation mit der Klägerin. Diese habe aber zum Ausdruck gebracht, nicht mehr arbeiten zu wollen. Der Haushalt und ihr Mann würden ihr reichen. Vor Leuten hege sie Ängste und möchte keine Kontakte. Als Diagnosen gab die Gutachterin eine seelische Minderbelastbarkeit bei Neurasthenie und ein mit Insulin eingestellter Diabetes mellitus an. Bei abgelehnter Rente und Aussteuerung der seelischen Probleme durch die Krankenkasse sei die Klägerin nur als unter drei Stunden täglich belastbar einzuschätzen, "was auch konform zur Grundsicherung zu sehen sei". Nach einem Anruf des Prüfarztes der Beklagten, Dr. V., am 17. März 2009 teilte Dr. H. mit Schreiben vom 22. März 2009 mit, ihre sozialmedizinische Stellungnahme beruhe ausschließlich auf dem von ihr erhobenen klinischen Status und der Anamnese der Klägerin. Nach nunmehr erfolgter Durchsicht der ihr von der Beklagten zur Verfügung gestellten Unterlagen, insbesondere unter Berücksichtigung des psychiatrischen Gutachtens von Frau W., sei die Klägerin - auch retrospektiv für die Zeit ab Mai 2008 - trotz ihrer seelischen Beschwerden medizinisch in der Lage, täglich sechs Stunden einer leichten körperlichen Erwerbstätigkeit in Früh- oder Spätdienst ohne Nachtdienst, Stress und Leistungsdruck nachzugehen. Das mögliche Leistungsbild sei konform zum Lehrberuf des Lebensmitteltechnikers sowie zur letzten Tätigkeit als Raumpflegerin zu sehen.

Die Beklagte lehnte den Rentenantrag mit Bescheid vom 4. Januar 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28. April 2009 ab. Bei der Klägerin liege ein Leistungsvermögen für sechs Stunden und mehr täglich für mittelschwere Arbeiten in wechselnder Körperhaltung, ohne Nachtschicht, Publikumsverkehr, besondere Verantwortung für Personen und Maschinen, Steuerung komplexer Arbeitsvorgänge, besonderen Zeitdruck und Absturzgefahr vor.

Hiergegen hat sich die Klägerin mit der am 14. Mai 2009 beim Sozialgericht Halle erhobenen Klage gewandt und einen Anspruch auf Bewilligung von Rente wegen voller Erwerbsminderung geltend gemacht.

Das Sozialgericht hat Befund- und Behandlungsberichte eingeholt. Der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie P. hat unter dem 6. Oktober 2009 bei einer letztmaligen Vorstellung der Klägerin am 17. August 2008 eine leicht- bis mittelgradige depressive Störung ohne richtungsweisende Besserung angegeben; eine tagesklinische psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung sei beantragt worden. Dr. M. hat unter dem 23. Oktober 2009 aufgezeigt, die depressive Erkrankung sei mit Hilfe von 37,5 mg Trevilor stabil und nicht progredient, der Diabetes durch eine entsprechende Einstellung stabil; die dermatologische Erkrankung in Form eines chronischen Ekzems sei nicht befriedigend therapierbar. Frau W. hat unter dem 11. November 2009 auf eine deutliche Verbesserung der diabetischen Stoffwechsellage hingewiesen. Die Klägerin könne sechs Stunden leichte körperliche Arbeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter betriebsmedizinischer Berücksichtigung des insulinpflichtigen Diabetes mellitus (regelmäßige Mahlzeiten, hygienische Örtlichkeiten für Insulininjektion) verrichten.

Auf Veranlassung des Sozialgerichts hat die Oberärztin im AWO Psychiatriezentrum H. GmbH Dipl.-Med. K., Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie, das Gutachten vom 11. Mai 2010 erstattet. Die Klägerin habe bei der Untersuchung am 13. April 2010 angegeben, Arzt- und Behördentermine selbst bzw. in Begleitung ihres Mannes wahrzunehmen. Zum Einkaufen würden sie gemeinsam, meistens am Wochenende um die Mittagszeit, fahren, dann seien weniger Leute im Supermarkt. Sie habe einmal durch die vielen Leute an der Kasse Panik bekommen. Früher seien sie verreist, zuletzt 2007 in den Harz. Jetzt wolle sie aus ihrer vertrauten Umgebung zu Hause nicht weg. Sie hätten Kontakt zu einigen Ehepaaren, mit denen sie sich träfen, aber inzwischen würden Freunde sie weniger interessieren. Bei Herrn P. sei sie nur ein paar Mal gewesen; als der Diabetes 2008 festgestellt worden sei, habe sie sich intensiv um die Behandlung der neuen Krankheit kümmern müssen. Ihr sei während der letzten Jahre die geringste Dosis von dem Antidepressivum Trevilor (75 mg) verordnet worden. Sie habe sich nie der ihr empfohlenen psychotherapeutischen Behandlung unterzogen; die ihr von der Beklagten bewilligte Rehabilitationsmaßnahme habe sie abgelehnt, da sie sich nur in der ihr vertrauten Umgebung wohl fühle. Dipl.-Med. K. hat aufgezeigt, bei der Klägerin bestehe auf psychiatrischem Fachgebiet eine Dysthymia, eine leichte, aber chronifizierte Form einer depressiven Verstimmung, aus der als Funktionseinschränkungen eine mangelnde Initiative und Aktivität, eine chronische subdepressive Verstimmung, leichte Konzentrationsstörungen und zeitweise Schlafstörungen resultierten. Auf internistischem Fachgebiet liege zudem ein insulinpflichtiger Diabetes mellitus vor. Bei der Begutachtung habe der Eindruck bestanden, dass die Klägerin sich angestrengt habe, dem von ihr dargestellten Krankheitsbild zu entsprechen. Ihr auffällig langsamer Gang ins Untersuchungszimmer, die Verlangsamung bei der Beantwortung der Fragen und bei der Durchführung des Hirnleistungs- und Konzentrationstests, das längere Nachdenken bei der Frage nach ihrem Geburtstag und dem Alter, das hartnäckige Meiden von Blickkontakt, der morose, frustrierte Gesichtsausdruck, die gepresste, seufzende Stimme hätten etwas gekünstelt und demonstrativ gewirkt. Dieser Eindruck habe sich bestätigt, als die Klägerin - unbeobachtet beim Verlassen der Klinik - in einem schnellen Tempo sich lebhaft und angeregt mit ihrem Mann unterhaltend gegangen sei. Die Ergebnisse der psychometrischen Untersuchung seien nicht verwertbar, da diese eine Demenz und eine erheblich verminderte Konzentrationsfähigkeit ergeben habe, was dem klinischen Befund völlig widerspreche. Die Klägerin sei vielmehr bei der Anamneseerhebung in der Lage gewesen, alle Fragen zu erfassen und diese konzentriert, ohne den Gesprächsfaden zu verlieren, und zusammenhängend zu beantworten. Auch könne sie die mehrfach täglichen Blutzuckermessungen und das Insulinspritzen selbst durchführen. Zusammenfassend handele es sich eindeutig um Aggravationstendenzen. Es bestünden ernsthafte Zweifel an der Glaubwürdigkeit der von der Klägerin dargelegten Schwere der Depressionen, die anhand der vorliegenden Arztberichte, des Tagesablaufs der Klägerin und des klinischen Eindrucks einer leichten depressiven Störung imponiere. Die Klägerin habe eine starke Verlangsamung aller Bewegungsabläufe und Handlungen, eine Gleichgültigkeit und innere Leere, eine ständige Traurigkeit, Gedanken über die Sinnlosigkeit des Lebens und einen Antriebsverlust beschrieben. Dabei schaffe sie ihren Haushalt, koche jeden Tag etwas zu Mittag, habe Freude an ihren vier Katzen, mit denen sie spiele, und Interesse am Fernsehen, kümmere sich sehr gründlich um die Behandlung des Diabetes mellitus, dessen Folgeschäden ihr nicht gleichgültig seien. Dagegen vernachlässige sie weitgehend die Behandlung der - aus der Sicht der Klägerin schweren - Depression. Der Grund hierfür liege sicherlich in einem fehlenden Leidensdruck. Die leichten depressiven Symptome könnte die Klägerin mit Hilfe einer Psychotherapie innerhalb von sechs Monaten überwinden. Sie sei in der Lage, sechs Stunden und mehr täglich ohne Zeitdruck (Akkord, Fließband), Stress und Nachtschichten sowie mit mäßigen Anforderungen an die Reaktionsfähigkeit, Aufmerksamkeit und Übersicht zu arbeiten. Zur Messung des Blutzuckers und Spritzen des Insulins um die Mittagszeit seien zusätzlich zu der halbstündigen Arbeitspause ca. fünf bis zehn Minuten erforderlich.

Die Klägerin hat mit Schreiben vom 24. September 2010 Einwendungen gegen das Gutachten von Dipl.-Med. K. erhoben. Dieses sei als Grundlage für eine Entscheidung nicht verwertbar, da Mängel in der biografischen, psychiatrischen und medizinischen Anamnese, bei der Wiedergabe ihres Tagesablaufs sowie bei der Zusammenfassung und Beurteilung festzustellen seien. Auch sei eine sachgerechte Differentialdiagnostik nicht durchgeführt worden. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf Blatt 90 bis 94 der Gerichtsakten verwiesen.

Mit Urteil vom 20. Oktober 2010 hat das Sozialgericht Halle die Klage abgewiesen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme könne die Klägerin unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich unter Berücksichtigung von zusätzlichen qualitativen Leistungseinschränkungen erwerbstätig sein. Die Kammer stütze sich bei der Einschätzung der Leistungsfähigkeit der Klägerin insbesondere auf die psychiatrischen Gutachten der Oberärztin W. vom 13. Dezember 2006 und der Oberärztin Dipl.-Med. K. vom 11. Mai 2010. In Anbetracht des Vorliegens dieser schlüssigen und nachvollziehbaren Gutachten auf psychiatrischem Fachgebiet sei dem Antrag der Klägerin auf eine weitere Begutachtung und Untersuchung von Amts wegen nicht zu folgen gewesen.

Gegen das ihr am 25. November 2010 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 17. Dezember 2010 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt eingelegt und den Anspruch auf Bewilligung von Rente wegen voller Erwerbsminderung weiterverfolgt. Sie hat sich erneut auf ihr Schreiben vom 24. September 2010 berufen und beanstandet, dass sich das Sozialgericht mit ihren Einwendungen nicht auseinandergesetzt habe.

Der Senat hat Befund- und Behandlungsberichte eingeholt. Die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dipl.-Med. S. hat unter dem 8. Mai 2011 nach einer Behandlungsdauer vom 8. Juli 2010 bis zum 28. März 2011 von einer rezidivierenden depressiven Störung, gegenwärtig schwere depressive Episode, und kognitiven Störungen der Klägerin berichtet. Die Ergebnisse der am 8. Juli 2010 durchgeführten Testungen (BDI - Beck Depressionsinventar - mit 34 Punkten, MMST - Mini-Mental Status-Test - mit 22 Punkten und DemTect - Demenz-Detektion - mit 4 Punkten) seien klinisch am ehesten als Pseudodemenz bei schwerer Depression zu deuten. Durch Ergotherapie hätten eine leichte Stimmungsbesserung und soziale Kontakte erreicht werden können. Dr. M. hat unter dem 25. Mai 2011 eine Verschlechterung der depressiven Erkrankung ab dem 20. April 2010 mit der Erforderlichkeit einer neuropsychiatrischen Mitbehandlung mitgeteilt. Der Diabetes und das Ekzem verliefen stabil.

In dem von der Klägerin dem Senat vorgelegten Arztbrief vom 15. August 2011 hat Dipl.-Med. S. als gesicherte Diagnosen eine schwere Depression ohne ein psychotisches Syndrom, eine kognitive Störung und eine Agoraphobie mit Panikstörung mitgeteilt.

Der Senat hat sodann die Fachärztin für Psychiatrie/Psychotherapie Dr. A. das Gutachten vom 4. Oktober 2011 auf der Grundlage einer Untersuchung der Klägerin am 16. September 2011 erstatten lassen. Die Klägerin habe angegeben, durch ihre Beschwerden im Alltag sehr eingeschränkt zu sein. Sie kümmere sich zwar weiterhin um Haus und Garten, müsse sich aber häufiger ausruhen; nach einer Stunde bügeln müsse sie Pause machen. Einmal wöchentlich gehe sie zur Ergotherapie. Gern beschäftige sie sich mit ihren Katzen. Sie liebe die Gartenarbeit und ihre Pflanzen. Haushalt und Kochen erledige sie oft gemeinsam mit ihrem Ehemann, der ihr viel abnehmen müsse. Mit ihm unternehme sie auch Spaziergänge oder Ausflüge. Ihr Befinden sei sehr wechselhaft. Es gebe "Tage, da geht es" und solche mit Abstürzen. Nach ein bis zwei Wochen rappele sie sich wieder hoch. Im Kontaktverhalten sei die Klägerin zugewandt, kooperativ und gesprächsbereit gewesen. Bei der Erarbeitung von biografischen und psychodynamischen Zusammenhängen seien jedoch deutliche Abwehr- und Ausweichtendenzen deutlich geworden. Affektiv und emotional habe sich die Klägerin ausreichend schwingungsfähig und beteiligt dargestellt. Ihre durchaus lebhafte Mimik habe im Widerspruch zur Schwere der geklagten Beschwerden und Einschränkungen gestanden. Zum Begutachtungszeitpunkt habe sich kein Hinweis auf eine manifeste depressive Störung ergeben. Die Klägerin habe Merkfähigkeits- und Konzentrationsstörungen beklagt; es hätten sich jedoch keinerlei Störungen der kognitiven und mnestischen Fähigkeiten gezeigt. Auffällig sei eine deutliche Diskrepanz zwischen dem Testergebnis (Selbstbewertung durch die Klägerin) und dem klinisch-psychiatrischen Befund. Das Testergebnis weise auf eine erhebliche depressive Symptomatik hin, während diese sich im Untersuchungsbefund nicht habe verifizieren lassen. Zum Begutachtungszeitpunkt habe allenfalls eine leichtgradige depressive Symptomatik vorgelegen. Auffällig sei ferner die deutliche Diskrepanz zwischen der von der Klägerin geklagten Schwere der Beeinträchtigungen und dem klinisch-psychiatrischen Befund gewesen, was auch durch die Vorgutachter bereits beschrieben worden sei. Die therapeutischen Möglichkeiten seien bisher in keiner Weise genutzt und ausgeschöpft worden. Die Klägerin reagiere auf ihre Erkrankungen mit einem ausgeprägten Rückzugs- und Vermeidensverhalten; sie zeige keine wirkliche Änderungsmotivation, was für einen ausgeprägten sekundären Krankheitsgewinn spreche. Die Hauptschwierigkeit für eine konsequente Behandlung liege darin, dass sich die Klägerin mit den Krankheitserscheinungen eingerichtet habe. Solange die Aufrechterhaltung und Akzentuierung der Beschwerden Aussicht auf einen weiteren Krankheitsgewinn - im Falle der Klägerin die Zuerkennung einer Erwerbsminderungsrente - biete, sei die Prognose einer Therapie eher als fraglich einzuschätzen. Bei der Klägerin bestünden zwar Ängste und Unsicherheiten mit dem fehlenden Zutrauen, sich wieder einer beruflichen Anforderung zu stellen. Ferner stelle die beschriebene Erkrankung auch weiterhin eine Beeinträchtigung der Klägerin in ihrer Lebensqualität und -bewältigung sowie Sozial- und Beziehungskompetenz dar. Hieraus lasse sich jedoch keine generelle Minderung der Leistungsfähigkeit im Erwerbsleben ableiten. Die dysfunktionale Bewältigung ihrer Erkrankung (ausgeprägtes Vermeidens- und Rückzugsverhalten, fixierte Abwehr, Verzicht auf aktive Kompensationsmöglichkeiten im Rahmen einer adäquaten Behandlung) rechtfertige allein nicht eine Minderung der Fähigkeit zur Willensanstrengung zur Überwindung dieser Erschwernisse.

Dr. A. hat als Diagnose eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig leichtgradige Symptomatik, angegeben. Eine durchweg manifeste depressive Symptomatik liege nicht vor, vielmehr handele es sich um phasenweise auftretende depressive Verstimmungen mit Antriebsmangel und Rückzugstendenzen. Die Klägerin sei in der Lage, noch sechs Stunden und mehr täglich Tätigkeiten ohne besonderen Zeit- und Leistungsdruck, Schichtarbeit, regelmäßiges Erfordernis von Überstunden, ständigen Publikumsverkehr und "öffentliche Blicke" sowie ohne erhöhte Anforderungen an Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit zu verrichten. Eine Tätigkeit in einem gut strukturierten überschaubaren Arbeitsfeld mit sich wiederholenden Arbeitsabläufen und einem kleinen Arbeitsteam sei zu gewährleisten. Aggravationstendenzen (bewusst intendierte gravierende und überbetonte Darstellung vorhandener Symptome im Rahmen eines Rentenbegehrens) könnten nicht ausgeschlossen werden. Aufgrund der Vorgeschichte mit der jahrelangen Arbeitslosigkeit bzw. -unfähigkeit sei eine stufenweise Wiedereingliederung der Klägerin in einen Arbeitsprozess mit schrittweiser Erhöhung der Arbeitszeit bis hin zur Vollschichtigkeit zu empfehlen. Zu Beginn einer beruflichen Belastung erscheine es sinnvoll, ihr an einem Acht-Stunden-Arbeitstag drei bis vier zusätzliche Pausen von jeweils fünf bis zehn Minuten, die den Erfordernissen des Betriebsablaufes angepasst werden könnten, einzuräumen. Es seien weiterhin krankheitsbedingte Ausfallzeiten oder Arbeitsunterbrechungen zu erwarten, da es der Klägerin ohne eine adäquate Behandlung schwerfallen dürfte, ihre Vermeidungs- und Schonhaltung aufzugeben.

Auf den Hinweis der Berichterstatterin vom 11. Oktober 2011, dass die Berufung keine Aussicht auf Erfolg biete, hat die Klägerin mit Schreiben vom 28. Oktober 2011 mitgeteilt, die Einschätzung von Dr. A., sie könne eine Arbeit von sechs Stunden und mehr täglich verrichten, entspreche nicht den von dieser erhobenen Befunden. Sie werde sich wegen eines Auslandsaufenthaltes ihres Prozessbevollmächtigten erst nach dem 15. November 2011 im Einzelnen dazu äußern und auch mitteilen, ob sie einen Antrag nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) stellen werde.

Auf die ihr am 22. Dezember 2011 zugestellte Ladung zur mündlichen Verhandlung am 18. Januar 2012 hat die Klägerin mit Schreiben vom 28. Dezember 2011 - eingegangen beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt am 2. Januar 2012 - Einwände gegen das Gutachten von Dr. A. erhoben. Insoweit wird auf Blatt 204 bis 211 der Gerichtsakten Bezug genommen. Sie hat ferner beantragt, die aufgeworfenen Einwände von Amts wegen einem der in der dem Senat vorgelegten Liste genannten ostdeutschen Psychotherapeuten vorzulegen, hilfsweise ein Gutachten von Dr. C. G. aus D. einzuholen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 20. Oktober 2010 und den Bescheid der Beklagten vom 4. Januar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. April 2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab dem 1. August 2006 Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu bewilligen,

hilfsweise ein Gutachten von Dr. C. G., D., T.-M.-Str., nach § 109 SGG einzuholen,

hilfsweise ein Gutachten von einem noch zu benennenden Facharzt für Psychiatrie nach § 109 SGG einzuholen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil des Sozialgerichts und ihren Bescheid für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakte der Beklagten, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat hat auf die anberaumte mündliche Verhandlung in der Sache entscheiden können. Ein ausdrücklicher Antrag auf Verlegung bzw. Vertagung des Termins ist von der Klägerin nicht gestellt worden. Eine Verlegung oder Vertagung ist auch durch den von ihr gestellten Antrag nach § 109 SGG nicht erforderlich geworden, da der Senat diesem Antrag nicht hat entsprechen müssen.

Der am 2. Januar 2012 von der Klägerin gestellte Antrag, Dr. G. nach § 109 SGG gutachterlich zu hören, war abzulehnen. Nach § 109 Abs. 1 Satz 1 SGG muss auf Antrag des Versicherten ein bestimmter Arzt gutachterlich gehört werden. Das Gericht kann einen solchen Antrag nach § 109 Abs. 2 SGG ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist.

Durch die Zulassung des Antrags, ein Gutachten von Dr. G. einzuholen, wäre die Erledigung des Rechtsstreits verzögert worden, da die Streitsache nicht in dem am 18. Januar 2012 anberaumten Verhandlungstermin hätte entschieden werden können. Der Antrag ist zudem aus grober Nachlässigkeit nicht bereits zu einem früheren Zeitpunkt gestellt worden. Der Senat lässt offen, ob mit der Benennung von Dr. G. - einer Psychologin und nicht approbierten Ärztin - als Sachverständige überhaupt ein wirksamer Antrag nach § 109 SGG hätte gestellt werden können.

Als angemessene Frist, innerhalb derer ein Antrag nach § 109 SGG zu stellen ist, sind vier bis maximal sechs Wochen zu verstehen (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz Kommentar, 9. Aufl. 2008, § 109 RdNr. 11 m.w.N.). Bereits mit Richterbrief der Berichterstatterin vom 11. Oktober 2011 ist der rechtskundig vertretenen Klägerin das Gutachten von Dr. A. zur Stellungnahme zugeleitet worden, verbunden mit dem Hinweis, dass weitere medizinische Ermittlungen von Amts wegen nicht beabsichtigt sind, und der Anfrage, ob die Berufung zurückgenommen werde. Die Klägerin hat zwar mit Schriftsatz vom 28. Oktober 2011 mitgeteilt, dass erst nach dem 15. November 2011 eine Rückäußerung erfolgen könne. Sie hätte bei sorgfältiger Prozessführung jedoch unverzüglich nach dem 15. November 2011 den Gutachter des Vertrauens benennen müssen. Sie hat jedoch erst am 2. Januar 2012 - und damit mehr als zwei Monate nach Zugang des Gutachtens bei ihr und mehr als sechs Wochen nach dem 15. November 2011 - hilfsweise einen Antrag nach § 109 SGG gestellt.

Der erst in der mündlichen Verhandlung am 18. Januar 2012 weiter hilfsweise gestellte Antrag, ein Gutachten von einem noch zu benennenden Facharzt für Psychiatrie nach § 109 SGG einzuholen, war ebenfalls abzulehnen. Mangels Bezeichnung eines bestimmten Arztes hat bereits kein vollständiger Antrag nach § 109 SGG vorgelegen; zudem ist er aus den oben genannten Gründen verspätet gestellt worden.

Die Berufung ist unbegründet.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, weil der Klägerin kein Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung zusteht. Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG).

Nach § 43 Abs. 1, Abs. 2 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung, wenn sie teilweise oder voll erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

Die Klägerin ist aber weder teilweise noch voll erwerbsgemindert. Zur Überzeugung des Senats ist der Eintritt des Leistungsfalls der vollen oder teilweisen Erwerbsminderung bei der Klägerin nicht nachgewiesen. Nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI sind teilweise erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI sind voll erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist nach § 43 Abs. 3 SGB VI nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme kann die Klägerin unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein. Dabei geht der Senat von folgendem Leistungsbild aus: Die Klägerin kann zumindest noch mittelschwere Tätigkeiten im Gehen, Stehen oder Sitzen sechs Stunden und mehr täglich zu verrichten. Schichtarbeit, Tätigkeiten mit ständigem Publikumsverkehr, besonderem Zeit- und Leistungsdruck, Verantwortung für Personen oder Maschinen sowie Steuerung komplexer Arbeitsvorgänge sind nicht zumutbar. Die Klägerin kann Arbeiten mit durchschnittlichen Anforderungen an geistige und mnestische Fähigkeiten bewältigen, insbesondere sind erhöhte Anforderungen an ihre Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit ausgeschlossen. Die Klägerin ist nur in einer Tätigkeit in einem gut strukturierten und überschaubaren Arbeitsfeld mit sich wiederholenden Arbeitsabläufen sowie innerhalb eines kleinen Arbeitsteams einsetzbar. Eine volle Gebrauchsfähigkeit beider Hände ist gegeben.

Dieses Leistungsbild ergibt sich für den Senat aus dem Gesamtergebnis der medizinischen Ermittlungen im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren, insbesondere aus den überzeugenden und im Ergebnis und in den wesentlichen Gesichtspunkten übereinstimmenden Gutachten von Dr. A. vom 4. Oktober 2011, von Dipl.-Med. K. vom 11. Mai 2010 und von Frau W. vom 13. Dezember 2006 sowie aus dem Befundbericht von Frau W. vom 11. November 2009.

Die Leistungsfähigkeit der Klägerin wird in erster Linie auf psychiatrischem Gebiet durch eine rezidivierende depressive Störung mit einer leichtgradigen Symptomatik beeinträchtigt. Die depressiven Verstimmungen der Klägerin mit Antriebsmangel und Rückzugstendenzen treten lediglich phasenweise auf; eine manifeste depressive Erkrankung mit nachweislichen psychopathologischen Auffälligkeiten liegt nicht vor. Sämtliche gehörte Gutachter haben übereinstimmend dargestellt, dass die depressive Symptomatik bei den jeweiligen Begutachtungen in nur leicht ausgeprägtem Ausmaß vorgelegen hat und lediglich geringgradige Konzentrationsstörungen ohne kognitive und mnestischen Defizite nachweisbar gewesen sind. Auch Herr P. hat eine lediglich leicht- bis mittelgradige depressive Störung der Klägerin beschrieben. Dr. A. hat sich differenziert mit dem Erkrankungsbild der Klägerin auseinandergesetzt und in diesem Rahmen unter Berücksichtigung der daraus resultierenden funktionellen Einschränkungen die für eine Arbeitsaufnahme der Klägerin bestehenden realistischen Grenzen aufgezeigt. Ihre Leistungseinschätzung ist nicht unklar oder erläuterungsbedürftig, wie von der Klägerin eingewandt worden ist. Vielmehr hat sie die von dieser vorgetragenen Beschwerden und Beeinträchtigungen sehr ausführlich im psychischen Befund wiedergegeben und sich in dem Abschnitt 7. "Zusammenfassung und Beurteilung" damit auseinandergesetzt und dargestellt, dass die aus Sicht der Klägerin beschriebene schwere Einschränkung nicht objektiviert werden kann. Darüber hinaus kommt es für die hier streitige Frage des Vorliegens einer Erwerbsminderung ausschließlich auf die Einschränkung des sozialmedizinischen Leistungsvermögens und nicht auf die Diagnosestellung an. Insoweit ist die Bezeichnung der konkreten Diagnose und deren Zuordnung nach der ICD (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) nicht von Relevanz. Die von der Klägerin angeführte Differentialdiagnostik der Depression ist allein wichtig für die Krankheitsprognose, die Therapie und das Ansprechen bestimmter Behandlungsmaßnahmen. Dr. A. hat in ihre Beurteilung eines nicht geminderten quantitativen Leistungsvermögens der Klägerin nachvollziehbar deren Tagesablauf und Alltagsaktivitäten, Beobachtungen bei der ambulanten Untersuchung und die klinischen Befunde einbezogen.

Alle gehörten Gutachter stimmen mit Dr. A. darin überein, dass die von der Klägerin geklagte Schwere der depressiven Störung in einem deutlichen Widerspruch zu dem klinisch-psychiatrischen Befund steht und nicht als objektivierbar angesehen werden kann. Während Dr. A. eine Aggravation der Klägerin lediglich nicht ausdrücklich ausgeschlossen hat, haben Frau W. und Dipl.-Med K. bei allen Untersuchungen Aggravationstendenzen und manipulative Tendenzen der Klägerin aufgezeigt. Die Ergebnisse der jeweils durchgeführten Hirnleistungsuntersuchung, die auf eine mindestens mittelschwere Demenz hindeuteten, korrelierten nicht mit dem klinischen Eindruck. Bei Frau W. konnte die Klägerin bei der einstündigen Exploration und der sich anschließenden fast ebenso langen Testdiagnostik problemlos sitzen und konzentriert, zielstrebig und -führend mitarbeiten. Die Testdiagnostik konnte sie allein und im adäquaten zeitlichen Limit bewältigen. Auch bei Dipl.-Med. K. vermochte die Klägerin bei der Anamneseerhebung alle Fragen zu erfassen und diese konzentriert und zusammenhängend zu beantworten.

Die Gutachter sind sich zudem einig, dass sich die Klägerin bei einer fehlenden Änderungsmotivation und einem ausgeprägten sekundären Krankheitsgewinn mit den Krankheitssymptomen eingerichtet hat, und beschreiben als Reaktion auf die Erkrankung ein ausgeprägtes Rückzugs- und Vermeidungsverhalten. Der ebenfalls von sämtlichen Gutachtern übereinstimmend aufgezeigte fehlende Leidensdruck wird deutlich in dem Verhalten der Klägerin, die nervenfachärztliche Behandlung bei Herrn P. im Jahr 2008 mit dem Auftreten des Diabetes mellitus beendet zu haben, um sich ausschließlich der Behandlung der Zuckerkrankheit widmen zu können. Erst 2010 hat sie die Behandlung bei Dipl.-Med. S. fortgesetzt. Auffällig ist auch, dass die Klägerin das Antidepressivum Trevilor in der geringsten Dosis nimmt. Ärztlicherseits empfohlene Maßnahmen, die zu einer Besserung ihres Gesundheitszustand führen könnten, wie z.B. eine konsequente und kontinuierliche störungsspezifische Behandlung oder die bereits vor einigen Jahren bewilligte stationäre Rehabilitationsbehandlung, hat die Klägerin abgelehnt bzw. nicht in Angriff genommen. Zudem wird auch in dem Gutachten des MDK Sachsen-Anhalt vom 18. Oktober 2005 bei einer seit mehreren Jahren anhaltenden leichten bis mittelgradigen depressiven Herabgestimmtheit ein hoher sekundärer Krankheitsgewinn mit Entpflichtung von alltäglichen Anforderungen ohne Therapie- oder Veränderungsmotivation der Klägerin aufgezeigt.

Die depressive Störung führt lediglich zu einer Beeinträchtigung der Lebensqualität und -bewältigung sowie der Sozial- und Beziehungskompetenzen der Klägerin. Ein quantitativ gemindertes Leistungsvermögen ergibt sich nach der Einschätzung aller gehörten Gutachter nicht. Der depressiven Erkrankung der Klägerin wird zur Überzeugung des Senats hinreichend dadurch Rechnung getragen, dass an die Klägerin hinsichtlich geistiger und mnestischer Fähigkeiten nicht mehr als durchschnittliche Anforderungen zu stellen sind. Zudem sind Tätigkeiten in Schichten, mit ständigem Publikumsverkehr, besonderem Zeit- und Leistungsdruck, Verantwortung für Personen oder Maschinen sowie Steuerung komplexer Arbeitsvorgänge auszuschließen. Arbeiten in einem gut strukturierten und überschaubaren Arbeitsfeld mit sich wiederholenden Arbeitsabläufen sowie innerhalb eines kleinen Arbeitsteams sind der Klägerin noch zumutbar. Trotz des bestehenden mehr als sechsstündigen Leistungsvermögens der Klägerin wäre bei einer Arbeitsaufnahme in Anbetracht der jahrelangen Arbeitslosigkeit und -unfähigkeit eine stufenweise Wiedereingliederung der Klägerin in den Arbeitsprozess mit einer schrittweisen Erhöhung der Arbeitszeit bis hin zur Vollschichtigkeit anzustreben. Ein länger als sechs Monate unter sechs Stunden liegendes Leistungsvermögen besteht jedoch nicht.

Die von der Klägerin vorgebrachten Einwendungen gegen das Gutachten von Dipl.-Med. K. stehen der Verwertbarkeit desselben nicht entgegen. Denn die Klägerin hat Details bei der Anamneseerhebung und bei der Wiedergabe des Tagesablaufes beanstandet, die für die von Dipl.-Med. K. vorgenommene Beurteilung des aktuellen Leistungsvermögens der Klägerin nicht von wesentlicher Bedeutung gewesen sind. Die darüber hinaus angeführten Beanstandungen beziehen sich auf den Inhalt des Abschnitts "Zusammenfassung und Beurteilung" - auf fehlende Literaturnachweise, auf die Bewertung von Untersuchungsergebnissen von nach Auffassung des Klägerin ungeeigneter Tests sowie die Nichtauswertung gutachterlicher Wahrnehmungen - und sind für die sich auf den Seiten 11 bis 17 anschließende ausführliche und für den Senat nachvollziehbar begründete Leistungsbeurteilung unerheblich.

Dipl.-Med. S. hat in ihrem Befundbericht vom 8. Mai 2011 zwar eine schwere depressive Episode und eine Agoraphobie als Diagnosen angegeben. Sie hat jedoch keinen klinisch-psychiatrischen Befund angeführt, sondern sich vielmehr bei der Einschätzung des Schweregrads der depressiven Erkrankung und der Angststörung im Wesentlichen auf die Schilderungen der Klägerin bezogen. Darüber hinaus sind die Ergebnisse der von ihr durchgeführten mitwirkungsabhängigen Tests aus den gleichen Gründen wie bei den im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren gehörten Gutachtern zur Beurteilung der Schwere der Erkrankung nicht heranzuziehen. Während die beim BDI-Test erreichten 34 Punkte bei Dipl.-Med. S. und die erzielten 29 Punkte bei Dr. A. auf eine erhebliche depressive Symptomatik hinweisen, konnte eine solche Symptomatik bei sämtlichen Begutachtungen der Klägerin unter Berücksichtigung der klinischen Befunde sowie des Tagesablaufs der Klägerin nicht nachgewiesen werden. Im Übrigen ließe sich den dem Senat vorliegenden Unterlagen auch unter Berücksichtigung der Diagnose einer schweren Depression kein so erhebliches Ausmaß dieser Erkrankung entnehmen, dass daraus eine mehr als sechs Monate andauernde quantitative Leistungsminderung resultierte. Die von den Gutachtern Dr. A., Dipl.-Med. K. und Frau W. aufgezeigte mangelnde Veränderungsmotivation der Klägerin hat sich auch bei der Begutachtung durch die Fachärztin für Innere Medizin und Diagnostische Radiologie Dr. H. gezeigt, der gegenüber die Klägerin ebenfalls eine Rehabilitation und Psychotherapie abgelehnt hat. Zudem hat Dr. H. auch eine Vermeidenshaltung der - nach ihren Angaben mit Haushalt und Ehemann ausgelasteten - Klägerin und Rückzugstendenzen beschrieben. Die Gutachterin hat nach Kenntnis der im Verwaltungsverfahren eingeholten medizinischen Unterlagen, insbesondere nach Einsichtnahme in das Gutachten der Fachärztin für Psychiatrie/Psychotherapie W. vom 13. Dezember 2006, ihre ursprüngliche Leistungseinschätzung unter Berücksichtigung der - auf psychiatrischem Gebiet - festgestellten Diagnose einer seelischen Minderbelastbarkeit nicht mehr aufrecht erhalten und die Klägerin ebenfalls als noch in der Lage erachtet, sechs Stunden täglich einer leichten körperlichen Erwerbstätigkeit nachzugehen.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist das Leistungsvermögen der Klägerin während des Verwaltungs-, Klage- und Berufungsverfahrens von allen Sachverständigen und ihren behandelnden Ärzten, soweit diese eine Beurteilung abgegeben haben, dahingehend eingeschätzt worden, dass die Klägerin noch in einem Umfang von zumindest sechs Stunden täglich leichte Arbeiten mit den vorgenannten Einschränkungen verrichten kann.

Der Senat hat unter Berücksichtigung der von den Gutachtern mitgeteilten Gesundheitsstörungen und deren funktionellen Auswirkungen auf das Leistungsvermögen der Klägerin keinen Zweifel, dass diese bei einer zumutbaren Willensanspannung zu einer regelmäßigen täglich mindestens sechsstündigen Erwerbstätigkeit in der Lage ist. Dr. A. hat insoweit ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Klägerin die dysfunktionalen Erscheinungsformen ihrer Erkrankung - das ausgeprägte Vermeidens- und Rückzugsverhalten, die fixierte Abwehr und der Verzicht auf aktive Kompensationsmöglichkeiten - willentlich beeinflussen kann und der Klägerin eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit an fünf Tagen in der Woche möglich ist. Insoweit wären Arbeitsunfähigkeiten bei einer leidensgerechten Arbeit krankheitsbedingt nicht gerechtfertigt. Vielmehr ist die Klägerin zur Überzeugung des Senates bei zumutbarer Anstrengung in der Lage, ohne eine länger als insgesamt sechs Monate (pro Jahr) währende Arbeitsunfähigkeitszeit zu arbeiten.

Auf internistischem Gebiet besteht ein Diabetes mellitus ohne Folgeerkrankungen, der aufgrund einer befriedigenden Insulineinstellung stabil verläuft und eine mindestens sechsstündige Tätigkeit zulässt.

Das auf dermatologischem Gebiet vorliegende Ekzem ist ebenfalls stabil und steht dem o.g. Leistungsbild nicht entgegen.

Der Senat hatte keine Veranlassung, weitere Gutachten von Amts wegen einzuholen. Der Sachverhalt ist durch den Senat auch abschließend ermittelt worden. Das Gutachten von Dr. A. ist in sich schlüssig und überzeugend. Im Übrigen entspricht das vom Senat zugrunde gelegte Leistungsbild dem Gesamtergebnis der Beweisaufnahme, insbesondere auch unter Berücksichtigung der Feststellungen von Dipl.-Med. K. und Frau W.

Es liegen bei der Klägerin auch keine schwere spezifische Leistungsbehinderung oder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor, die trotz der sechsstündigen Einsetzbarkeit zur Verschlossenheit des allgemeinen Arbeitsmarktes führten. Die Beklagte ist daher nicht verpflichtet, einen konkreten Arbeitsplatz zu benennen. Denn das Restleistungsvermögen der Klägerin reicht noch für mittelschwere körperliche Verrichtungen wie z.B. Zureichen, Abnehmen, leichte Reinigungsarbeiten ohne Zwangshaltungen, Kleben, Sortieren, Verpacken und Zusammensetzen von Teilen aus (vgl. die Aufzählungen in dem Beschluss des Großen Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 19. Dezember 1996 - GS 2/95 -, SozR 3-2600 § 44 SGB VI Nr. 8 = BSGE 80, 24, 33f; in der Anwendbarkeit auf die aktuelle Rechtslage bestätigt in BSG, Urteil vom 19. Oktober 2011 - B 13 R 78/09 R - RdNr. 14 ff., abzurufen über den Internetauftritt des BSG). Eine volle Gebrauchsfähigkeit beider Hände ist gegeben.

Auch ist für die Klägerin der Arbeitsmarkt nicht verschlossen, weil es ihr an der so genannten Wegefähigkeit fehlen würde. Darüber hinaus kann die Klägerin nicht nur unter betriebsunüblichen Bedingungen Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verrichten. Die zur Messung des Blutzuckers und zum Spritzen des Insulins um die Mittagszeit erforderliche zusätzliche Pause von ca. fünf bis zehn Minuten kann die Klägerin im Rahmen der jedem Arbeitnehmer zustehenden so genannten persönlichen Verteilzeiten nehmen, die nicht als arbeitszeitverkürzende Pausen im Rechtssinne anzusehen sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage, ohne dass der Senat von einer Entscheidung der in § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte abweicht.
Rechtskraft
Aus
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