L 20 AS 861/12

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
20
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 55 AS 38131/10
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 20 AS 861/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 28. März aufgehoben und die Klage abgewiesen. Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Aufhebung eines Aufhebungs- und Erstattungsbescheides des Beklagten.

Der im 1973 geborene Kläger bezieht seit 2006 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch SGB II. Er bewohnt eine Wohnung in der P , B, für die er tatsächliche Kosten für die Zeit von 2008 bis einschließlich August 2009 in Höhe von 489,65 Euro (300,38 Euro Miete netto/kalt, Betriebskostenvorauszahlung 68,58 Euro, Heinzkostenvorauszahlung 120,69 Euro) hatte. Ab September 2009 betrugen die tatsächlichen Kosten 448,38 Euro (300,38 Euro Miete, 73,00 Euro BK Vorauszahlung, 75,00 Euro HK Vorauszahlung).

Der Beklagte berücksichtigte beim Bedarf ab 01. Mai 2007 nur noch die von ihm für angemessenen gehaltenen Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von zunächst 353,47 Euro, für den Monat November 2008 in Höhe von 360,00 Euro (Bescheid vom 24. September 2008), ab dem 01. März 2009 in Höhe von 378,00 Euro (Bescheid vom 09. April 2009). Die Leistungen wurden ab 01. Mai 2007 bis einschließlich 30. Juni 2008 mit Bescheiden vom 09. April 2009 geändert und dem Kläger für diesen Zeitraum monatlich 360,00 Euro für als angemessen
erachtete Unterkunftskosten gewährt. Mit Bescheid vom 23. April 2009 wurden dem Kläger Leistungen für die Zeit vom 01. Mai 2009 bis 31. Oktober 2009 in Höhe von monatlich 729,00 Euro bewilligt, und zwar 351,00 Euro als Regelleistung sowie 378,00 Euro für Kosten der Unterkunft und Heizung. Diese Leistungen wurden dem Kläger auch ausgezahlt.

Mit Bescheid vom 07. Oktober 2009 wurden dem Kläger Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01. November 2009 bis einschließlich 30. April 2010 in Höhe von 737,00 Euro monatlich bewilligt (359,00 Euro Regelleistung, 378,00 Euro Kosten der Unterkunft und Heizung). Mit Bescheid 15. April 2010 wurden dem Kläger Leistungen für den Zeitraum vom 01. Mai 2010 bis 31. Oktober 2010 in Höhe von monatlich 737,00 Euro bewilligt (359,00 Euro Regelleistung, 378,00 Euro Kosten für Unterkunft und Heizung).

Auf Anforderung des Beklagten vom 31. Mai 2010 legte der Kläger Abrechnungen seiner Vermieterin über Betriebs- und Heizkosten für die Jahre 2008 und 2009 vor. Nachdem der Beklagte weitere Unterlagen angefordert hatte, reichte der Kläger mit Schreiben vom 28. August 2010 die Schreiben seiner Vermieterin zu den Heizkostenabrechnungen zur Verwaltungsakte. Aus diesen ging hervor, dass die Abrechnung für das Jahr 2008 ein Guthaben aus Vorauszahlungen in Höhe von 257,19 Euro auswies.

Unter dem 03. September 2010 hörte der Beklagte den Kläger zu einer beabsichtigten Aufhebung der Leistungsbewilligung für den Monat September 2009 in Höhe von 186,81 Euro aus den Betriebskostenguthaben für das Jahr 2008 an und erläuterte, dass insoweit der Anspruch auf die bereits geleisteten Zahlungen entfallen seien. Die Leistungen seien in dieser Höhe zu erstatten. Hierzu machte der Kläger mit Schreiben vom 12. September 2010 geltend, dass die von dem Beklagten erhaltenen Leistungen unter den tatsächlichen Kosten der Unterkunft gelegen hätten. Daher verstoße es gegen alle Regeln der Mathematik und gegen Recht und Gerechtigkeit, wenn aus den gezahlten Leistungen nun etwas zurückgefordert werde.

Mit Bescheid vom 20. September 2010 hob der Beklagte den Bescheid vom 07. Juni 2009 für die Zeit vom 01. September 2009 bis 30. September 2009 in Höhe von 186,81 Euro teilweise auf und forderte diesen Betrag von dem Kläger zurück. Zur Begründung führte der Beklagte an, dass die Betriebs- und Heizkostenabrechnung für 2008 ein Guthaben in Höhe von 257,19 Euro ausgewiesen habe. Dieses Guthaben mindere nach § 22 SGB II die Kosten der Unterkunft. Nicht anzurechnen von diesem Guthaben sei der Differenzbetrag zwischen der bewilligten Miete und der tatsächlich zu zahlenden Miete. So ergebe sich der ausgewiesene Betrag.

Der Kläger machte mit seinem Widerspruch vom 07. Oktober 2010 wiederum geltend, dass er in dem fraglichen Zeitraum 2008 von dem Beklagten keine Leistungen in Höhe der tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung erhalten habe. Als angemessen hätte in seinem Fall der geleistete Höchstsatz des Beklagten gegolten, da die tatsächlichen Kosten darüber gelegen hätten. Rückzahlungsforderungen seien unberechtigt. Sofern das Guthaben überhaupt bei den Leistungen zu berücksichtigen sei, müsse es auf zwölf Monate verteilt berechnet werden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 18. November 2010 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Nach § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II seien jegliche Guthaben und Rückzahlungen auf die Kosten der Unterkunft anzurechnen ohne Ansehen eventueller Differenzbeträge, die dadurch entstanden sind, dass die Unterkunftskosten auf das angemessene Maß abgesenkt worden seien. Vorliegend sei mit der Betriebskostenabrechnung für 2008 ein Guthaben in Höhe von 257,19 Euro zuerkannt worden. Dieses sei im Monat September 2009 auf den Bedarf, die tatsächlichen Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung, die nach der Neuberechnung des Vermieters 448,38 Euro betragen hätten, anzurechnen gewesen. Dem Kläger seien für diesen Monat für Kosten der Unterkunft und Heizungen Leistungen in Höhe von 378,00 Euro bewilligt worden. Die Differenz betrage somit 70,38 Euro, die der Widerspruchsführer zu tragen habe. Dieser Betrag sei von dem Gesamtguthaben abzuziehen, so dass ein anzurechnendes Guthaben in Höhe von 186,81 Euro verbleibe. Die Aufhebungsentscheidung beruhe auf § 40 Abs. 1 SGB II i. V. m. § 330 Sozialgesetzbuch Drittes Buch SGB III und § 48 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch SGB X. Die Erstattungsforderung folge aus § 50 SGB X.

Daraufhin hat der Kläger am 17. Dezember 2010 Klage zum Sozialgericht Berlin erhoben und die Aufhebung des Bescheides des Beklagten in der Gestalt des Widerspruchsbescheides begehrt. Er hat geltend gemacht, dass die Betriebs- und Heizkosten im Jahre 2008 nach Abrechnung 1.762,29 Euro betragen hätten. Die Kaltmiete habe im Jahr 2008 insgesamt 3.604,56 Euro betragen. Insgesamt seien tatsächlich Kosten der Unterkunft in Höhe von 5 366,85 Euro
entstanden. Vom Beklagten habe er im Jahr 2008 Leistungen für Kosten der Unterkunft in Höhe von 4.320,00 Euro erhalten. Er hätte einen Eigenanteil hinsichtlich der Vorauszahlung für Betriebs- und Heizkosten in Höhe von 1 304,04 Euro geleistet. Es hätte sich herausgestellt, dass er 257,19 Euro zu viel auf das Verwaltungskonto der Hausverwaltung eingezahlt hätte. Die Auffassung des Beklagten, er, der Kläger, habe eine Rückzahlung zu leisten, sei diskriminierend und verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Er sei durch die Anrechnung eines Betrages in Höhe von 186,81 Euro schlechter gestellt. Das Guthaben resultiere ausschließlich aus der willkürlich kaufmännischen Entscheidung des Vermieters über die Höhe der Vorauszahlungen. Davon sei schließlich abhängig, ob er eine Nachzahlung zu leisten habe oder eine Rückzahlung erhalte. Auch die "Arbeitshilfe: Kosten der Unterkunft und Heizung gemäß § 52 SGB II" des Ministeriums für Arbeit, Integration und Soziales des Landes Nordrhein Westfalen bestätige seine Auffassung. Der Kläger hat hierzu einen Auszug der "Arbeitshilfe" zur Gerichtsakte gereicht. Die Rückzahlung in Höhe von 257,19 Euro sei ihm am 07. August 2009 auf dem Bankkonto gutgeschrieben worden. Hierzu hat der Kläger einen Auszug aus seinen Kontoauszügen zur Gerichtsakte gereicht.

Der Beklagte die mit dem Widerspruchsbescheid angeführte Rechtsauffassung weiter vertreten und auf § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II hingewiesen.

Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 28. März 2012 den angefochtenen Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides aufgehoben. Die Voraussetzungen des § 48 SGB X für eine Aufhebung lägen nicht vor. Das Guthaben aus der Betriebskostenabrechnung sei nicht auf die
Leistungen für die Kosten für Unterkunft und Heizung im Monat September 2009 anzurechnen. Die Kammer folge nicht der strikt am Wortlaut orientierten Auslegung der Vorschrift, welche eine Anspruchsminderung bei Rückzahlungen oder Guthaben auch dann annehme, wenn diese nicht in Bezug zu Leistungen des Grundsicherungsträgers wie vorliegend gestanden hätten. Diese Auslegung werde der Systematik und dem Regelungszweck der Vorschrift nicht gerecht. Die Rechtsprechung übersehe insbesondere in den Fällen, in denen den Leistungsberechtigten Maßnahmen zur Kostensenkung auferlegt worden seien, dass die mit den Kostenreduzierungen verbundenen finanziellen Vorteile weder als Einkommen noch in anderer Weise die Leistung reduzierenden Charakter hätten. Dieses ergebe sich für den Fall einer
Vermietung/Untervermietung unstreitig aus den Vorgaben von § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II. Nichts a-deres könne gelten, wenn ein optimiertes Verbrauchsverhalten (bezüglich Wasser/Heizung oder etwa die Übernahme der Straßen- oder Hausreinigung) dazu führe, dass unangemessen hohe Unterkunfts- und Heizkosten reduziert werden könnten.

Im Falle des Klägers resultiere das überwiesene Guthaben ausschließlich aus den Aufwendun-gen des Klägers für die Heizung, ohne dass davon noch angemessene Ausgaben, welche von der Beklagten getragen worden wären oder zu tragen gewesen wären, betroffen gewesen seien. Der für die Abrechnung maßgebliche Anteil der Betriebskosten hätte sich erhöht, die Erstattungssumme also noch reduziert. Das Sozialgericht hat mit der Entscheidung überdies
angemerkt, dass der Beklagte die Absenkung der Kosten rechtswidrig zu niedrig auf 360,00 Euro vorgenommen hätte, weil er sich ohne entsprechende Rechtsgrundlage auf die rechtswidrige AV Wohnen und nicht auf ein schlüssiges Konzept zur Erfüllung des Begriffs der Angemessenheit im Sinne von § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II gestützt habe. Die Anrechnung des Guthabens könne daher die zu Unrecht nicht erbrachten Leistungen (im Jahr 2008 insgesamt 87,00 Euro) nicht unberücksichtigt lassen, zumindest im Sinne einer Einwendung aus § 44 SGB X gegen die Erstattungsforderung. Zudem seien auch die subjektiven Voraussetzungen von § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 und 4 SGB X nicht erfüllt. Der Kläger habe angesichts des Meinungsstreites zu der Anrechnung von Betriebskostenguthaben zumindest nicht grob fahrlässig gehandelt, wenn er davon ausgegangen sei, dass das Guthaben ausschließlich ihm zuzuordnen gewesen sei.

Mit der vom Sozialgericht zugelassenen und vom Beklagten am 13. April 2012 eingelegten Berufung wird geltend gemacht, nach § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II in der hier anzuwendenden Fassung minderten Zahlungen und Guthaben, die dem Bedarf für Unterkunft und Heizung
zuzuordnen seien, die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach dem Monat der Rückzahlung. Daher seien hier im September 2009 die Aufwendungen gemindert gewesen. Das Sozialgericht verkenne, dass der Wortlaut des § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II a.F. eine Einschränkung auf Nebenkostenabrechnungen nicht enthalte. Dies stehe auch im Einklang damit, dass der Beklagte im Gegenzug auch für Nachzahlungen oder Schulden aufzukommen habe. Abzustellen sei nach der gesetzlichen Regelung allein auf den Monat, der dem Monat folge, in dem die Nachzahlung fällig bzw. erstattet worden sei. Weitere Differenzierungen sehe die gesetzliche Regelung nicht vor. Die Gesetzesmotive entsprächen dieser Auslegung. Die Vorschrift des § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II a.F. stelle eine besondere Regelung zur Einkommensanrechnung dar. Es könne nicht nachvollzogen werden, inwieweit die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 und 4 SGB X durch einen rechtlichen Meinungsstreit nicht erfüllt sein sollten.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 28. März 2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend. Der Beklagte lege uneindeutig formulierte Gesetzestexte in einer Weise aus, die jeder mathematischen Logik widerspreche. Die Anrechnung von Geld, das aus den Leistungen zum Lebensunterhalt stamme, welches nach den Vorgaben des Vermieters auf einem Verrechnungskonto hinterlegt worden sei, stelle sich als bittere Karikatur eines Sozialstaates dar.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes zum Zeitpunkt der Entscheidung wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte den Rechtsstreit in Abwesenheit des Klägers mündlich verhandeln und entscheiden, da der Kläger mit der Ladung zum Termin zur mündlichen Verhandlung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist, § 153 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG – in Verbindung mit §§ 110, 126 SGG.

Die zugelassene Berufung ist begründet. Das Sozialgericht hat zu Unrecht den Bescheid des Beklagten vom 20. September 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. November 2010 aufgehoben. Der Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Beklagte hat die Leistungsbewilligung für den Monat September 2009 mit Bescheid vom 07. Juni 2009 zu Recht mit dem angefochtenen Bescheid in Höhe von 186,81 Euro aufgehoben und diesen Betrag von dem Kläger zurückgefordert. Soweit der Beklagte mit dem angefochtenen Aufhebungsbescheid nicht den die Leistung für den Monat September 2009 festsetzenden Bescheid vom 23. April 2009 als zu ändernden Bescheid benennt, sondern einen Bescheid vom 07. Juni 2009, der sich nicht bei den Akten befindet, führt dies nicht zur Rechtswidrigkeit der Aufhebungsentscheidung. Aus dem Verfügungssatz des Bescheides vom 20. September 2010 ergibt sich eindeutig der Wille des Beklagten, die Leistungsbewilligung für den Monat September teilweise aufzuheben. Damit ist zumindest
konkludent auch der Bescheid vom 23. April 2009 teilweise aufgehoben worden (vgl. für den Fall der fehlerhaften Bezeichnung des aufzuhebenden Bescheides: BSG v. 07.07.2005, B 3 P 8/04 R, juris, Rn. 20).

Die Berechtigung zur Aufhebung folgt aus § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II, § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II i. V. m. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X. Nach § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II gelten für das Verfahren nach dem SGB II die Vorschriften des SGB X entsprechend. Für die Rücknahme von Verwaltungsakten gilt nach § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 § 330 Abs. 2, 3 Satz 1 und 4 SGB III entsprechend und damit die Anwendung des § 48 SGB X mit der Maßgabe, dass Ermessen nicht auszuüben ist.

Die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X lagen hier vor, so dass der Beklagte zu Recht mit dem angefochtenen Bescheid eine Aufhebung der Leistungsbewilligung für den Monat September 2009 in der erfolgten Weise verfügt hat. Nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X ist ein Verwaltungsakt dann vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse an aufzuheben, wenn nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde. Diese Voraussetzungen lagen hier vor. Der Kläger hat nach Erlass des Bescheides vom 23. April 2009, mit dem ihm Leistungen auch für den Monat September 2009 bewilligt worden sind, Einkommen erzielt, welches anzurechnen war. Der Kläger hat nämlich durch die Erstattung von geleisteten Vorauszahlungen auf Betriebs- und Heizkosten in Höhe von 257,19 Euro Einkommen erzielt, welches ihm im August 2009 zugeflossen ist. Dieses Einkommen war nach § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II a.F. (Fassung durch Art. 1 Nr. 21 Buchst. bb) Gesetz zur
Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitssuchende v. 20.07.2006, BGBl. I, S. 1706 vom 01.08.2006 bis 31.12.2010; nunmehr Regelung in § 22 Abs. 3 SGB VI in der Fassung Art. 2 Nr. 31 Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24. März 2011, BGBl. I, S. 453 ff. – [Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz – RBEG]) bei der Bemessung der Leistungshöhe zu berücksichtigen. Danach sind Rückzahlungen und Guthaben, die den Kosten für Unterkunft und Heizung zuzuordnen sind, in der Weise zu berücksichtigen, dass sie die nach dem Monat der Rückzahlung entstehenden Aufwendungen für Kosten für Unterkunft und Heizung mindern. Damit ist also eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen, die bei Erlass des Bewilligungsbescheides vorgelegen haben, dadurch eingetreten, dass zu diesem Zeitpunkt von anderen tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung des Klägers auszugehen war, als dies nach Auszahlung des Betriebskosten-Guthabens für dem Monat September 2009 der Fall war.

Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II a. F. sind Rückzahlungen und Guthaben auf die tatsächlichen Aufwendungen für Kosten der Unterkunft im Folgemonat anzurechnen und mindern diese. Unter Anwendung dieser Regelung hat hier der Beklagte
zutreffend erkannt, dass für den Monat September 2009 unter Berücksichtigung des Guthabens aus der Rückzahlung in Höhe von 257,19 Euro die tatsächlichen Kosten der Unterkunft des Klägers in dem Monat nicht wie von der Vermieterin 448,38 Euro sondern nur noch 191,19 Euro (448,38 Euro abzüglich 257,19 Euro) betrugen.

In dem Betrag aus dem Betriebskosten-Guthaben waren hier ersichtlich auch keine Kosten für Haushaltsenergie enthalten, die nach § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II a.F. etwa außer Betracht zu bleiben hätten, so dass der Rückzahlungsbetrag in voller Höhe auf die tatsächlichen Aufwendungen für Kosten der Unterkunft und Heizung anzurechnen war.

Nachdem der Beklagte dem Kläger mit Bewilligungsbescheid vom 23. April 2009 Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 378,00 Euro bewilligt hatte, war eine Minderung des Anspruchs als wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen entsprechend § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X eingetreten. Dem Kläger waren 191,19 Euro entsprechend seinem Bedarf zu gewähren. Damit war eine Überzahlung in Höhe von 186,81 Euro entstanden. Der Beklagte war danach befugt, die entsprechende Leistungsbewilligung teilweise in Höhe dieses Betrages aufzuheben.

Der Wortlaut des § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II a.F. lässt eine abweichende Auslegung, wie sie offenbar das Sozialgericht für notwendig erachtet, nicht zu. Auch die Gesetzesmaterialien lassen eine Differenzierung danach, aus welchem Grund ein solches Guthaben entstanden ist, nicht zu. Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich, dass die Regelung des § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II a.F. als Sonderregelung zur Anrechnung von Einkommen eingeführt worden ist. Die Regelung wurde als sachgerecht dafür angesehen, Erstattungen überzahlter Betriebskosten unmittelbar von den Aufwendungen für Unterkunft und Heizung abzusetzen. Im Ergebnis sollte es zu einer Entlastung des kommunalen Trägers kommen (BT-Drs. 16/1896, Seite 26 zu Nr. 6, Buchst. a)).

Eine Rechtsgrundlage dafür, von einer solchen Aufhebung entgegen der eindeutigen gesetzlichen Regelung des § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II a. F. abzusehen, bestand nicht. Insbesondere kann dem Gesetz nicht entnommen werden, dass die Einkommensanrechnung nach der
Sonderregelung des § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II a.F. nicht zu erfolgen hat, wenn das Betriebskosten-Guthaben sich nur auf Nebenkostenvorauszahlungen bezieht oder das Guthaben aus
Vorauszahlungen entstanden ist, die nicht aus dem Leistungsbezug des SGB II erfolgten. Für keine dieser Differenzierungen bietet das anzuwendende Recht des SGB II eine Grundlage. Das Gesetz bietet für die bedarfsmindernde Anrechnung von zufließenden Guthaben aus Betriebskostenabrechnungen keine Grundlage dafür, auf den Umstand der Entstehung des Guthabens abzustellen. Wie auch bei Anrechnung von Einkommen anderer Art nach § 11 SGB II wird bei der Erzielung von Einkommen regelmäßig nicht auf den Zeitpunkt abgestellt, in dem das Einkommen erwirtschaftet worden ist, sondern auf den Zeitpunkt des Zuflusses (BSG, Urteil vom 16. Mai 2012, B 4 AS 132/11 R, juris, Rn. 19). Eine Ausnahme hat der Gesetzgeber in § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II a.F. ausdrücklich nicht normiert. Eine vom Wortlaut abweichende
Auslegung des § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II in dem Sinne, dass das Betriebskosten-Guthaben als Einkommen dann nicht zu berücksichtigen ist, soweit es nicht aus Mitteln des Leistungsbezuges nach dem SGB II erwirtschaftet worden ist, lässt sich auch allein deshalb nicht vornehmen, weil der Gesetzgeber in § 11 a SGB II sehr wohl Tatbestände normiert hat, die die Anrechnung von Einkommen ausschließen und dabei auf die Art der Erwirtschaftung abstellt. So sind z. B. Einkommen aus Leistungen nach dem SGB II nicht als Einkommen bei der Leistungshöhe zu berücksichtigen. Hätte der bei in der Vergangenheit abgesenkten Unterkunftsleistungen für Kosten der Unterkunft und in diesen Zeiträumen aus "Eigenleistungen" erwirtschafteten Betriebskostenguthaben eine Einkommensanrechnung ausschließen wollen, wäre eine gesetzliche Regelung im Rahmen des § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II a.F. bzw. in § 11 a SGB II erfolgt. Eine planwidrige Regelungslücke, die Raum für eine analoge Anwendung anderer Regelungen ließe, ist nicht erkennbar. Die Regelung des §§ 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II a.F. folgt vielmehr der Regelungssystematik des SGB II, dass erzielte Einkommen und vorhandenes Vermögen zur Bestreitung des Lebensunterhalts vor einem Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung einzusetzen ist (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 SGB II).

Wie bereits das Bundessozialgericht entschieden hat, ist es bei Anwendung des § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II a.F. unerheblich, wer in dem Zeitraum, in dem das Guthaben aus Vorauszahlungen entstanden ist, die Vorauszahlungen getätigt hat, ob diese Zahlungen allein von dem Hilfebedürftigen getätigt worden sind oder überhaupt Hilfebedürftigkeit bestanden hat (BSG vom 23. März 2012, B 4 AS 139/11 R, juris, Rn. 19). Nichts anderes kann für den Fall gelten, dass in dem "Erwirtschaftungszeitraum" Vorauszahlungen nicht ausschließlich aus den zugebilligten Leistungen für Kosten der Unterkunft, sondern aus anderen Mitteln geleistet worden sind. Der Kläger verkennt diesbezüglich, dass er auch andere erwirtschaftete Guthaben, soweit sie ausgezahlt werden, grundsätzlich als Einkommen einzusetzen hat. Soweit er meint, dass er durch höhere Vorauszahlungen quasi eine "Geldanlage" aus eigenen Mitteln bei seiner Vermieterin getätigt habe, führt dies nicht zu einer anderen Betrachtung.

Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts gebietet auch nicht der systematische Zusammenhang der Regelungen des SGB II eine Abkehr der ausdrücklichen Anrechnungsregelung des § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II a. F. Diese Auffassung verkennt, dass auch etwaige Nachforderungen auf Betriebskosten einen Anspruch gegen den Träger der Leistungen nach dem SGB II auslösen können, auch wenn in dem Zeitraum, für den die Nachforderungen von einem Vermieter geltend gemacht werden, keine Hilfebedürftigkeit oder nur eine teilweise Hilfebedürftigkeit bestanden hat. Dass der Grundsicherungsträger auch für solche Bedarfe unter Umständen einzustehen hat und auch hierbei auf den Zeitpunkt der Entstehung des Bedarfs, nämlich die Geltendmachung der Nachforderung abzustellen ist und nicht etwa auf den Zeitraum, für den der Nachzahlungsbetrag geltend gemacht wird (BSG vom 22. März 2010, B 4 AS 62/09 R; vom 06. April 2011, B 4 AS 12/10 R; vom 20. Dezember 2011, B 4 AS 9/11 R), verdeutlicht, dass die Leistungsverpflichtung des Beklagten nach dem SGB II entsprechend der Systematik der Regelungen grundsätzlich am aktuellen Bedarf ansetzt und hierbei das aktuelle Vermögen bzw. aktuell zufließendes Einkommen bei der Bemessung des Bedarfs zu berücksichtigen ist. Eine wie vom Sozialgericht vorgenommene Auslegung dahin, bei zufließenden Betriebskostenguthaben sei hiervon abweichend auf den Erwirtschaftungszeitpunkt abzustellen, widerspräche dieser Regelungssystematik.

Nach allem war hier das Betriebskosten-Guthaben, wie von der Beklagten vorgenommen, auf die tatsächlichen Aufwendungen im Monat September 2009 anzurechnen.

Da es nicht auf den Entstehungszeitpunkt des Guthabens ankommt, kann es allein aus diesem Grunde schon nicht auf eine etwaige Überprüfung der Höhe der Leistungen für Kosten der Unterkunft im Zeitraum 2008 ankommen. Soweit das Sozialgericht hierzu ausführt, dass die Überprüfung der Leistungen für diesen Zeitraum im Wege einer von Amts wegen zu beachtenden Einwendung aus § 44 SGB X zu prüfen sei, kann dem im Übrigen nicht gefolgt werden. Ein Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X erfolgt entweder von Amts wegen durch die Behörde (nicht das Gericht) oder auf Antrag des Betroffenen. Erst mit einer abändernden Entscheidung der Behörde nach § 44 SGB X (der Behörde) oder eine Änderung der ablehnenden Entscheidung ist ein Verwaltungsverfahren nach § 44 SGB X beendet. Zwar hat das BSG mit Entscheidung vom 16. Mai 2012 zum Aktenzeichen B 4 AS 132/11 R (juris, Rn. 26) ausgeführt, dass bei einer Prüfung nach § 48 SGB X dahin, ob und inwieweit die festgesetzte
Leistungshöhe zu lasten des Betroffenen korrigiert werden darf, auch weitere (nicht nur das Einkommen aus einem Betriebskostenguthaben) die Höhe beeinflussende Berechnungsfaktoren der bereits bewilligten Leistung – "unter Berücksichtigung des § 44 SGB X" – einzubeziehen sind. Dies ist aber vorliegend – unabhängig davon, dass das BSG nicht ausführt, ob eine Verwaltungsentscheidung nach § 44 SGB X vorliegen muss (in der vom BSG aufgeführten Entscheidung SozR 3-4100 § 119 Nr. 23 wurde eine Verwaltungsentscheidung jedenfalls in der Entscheidung der Behörde über den Widerspruch angenommen) vorliegend nicht erheblich. Die von dem Beklagten hier ursprünglich für den Monat September 2009 in Höhe von 378,00 Euro bewilligten Leistungen für Kosten der Unterkunft übersteigen den nunmehr errechneten tatsächlichen Bedarf ausgehend von den tatsächlichen Kosten der Unterkunft, so dass es auf die Frage der Angemessenheit hier nicht ankommt. Auch die weiteren Voraussetzungen für die Aufhebung nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X lagen vor. Insbesondere kommt es auf einen so genannten Vertrauensschutz entgegen der Auffassung des Sozialgerichts mit dem angefochtenen Urteil nicht an. Ein ausgezahltes Betriebskosten-Guthaben ist eine Einkommenserzielung im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X, die unabhängig davon von dem Beklagten anzurechnen ist (Ermessen steht ihm nicht zur Seite), ob grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz vorliegt (vgl. LSG Berlin-Brandenburg vom 22. Dezember 2011, L 10 AS 534/11 B PKH, juris, Rdnr. 7). Der Beklagte hat die vorgesehene Anhörung nach § 24 SGB X vorgenommen und auch die Aufhebung entsprechend den Fristen nach § 48 Abs. 4 SGB X vorgenommen. Die Geltendmachung der Erstattung des Betrages von 186,81 Euro hat der Beklagte zu Recht auf § 50 Abs. 1 SGB X gestützt. Danach sind bereits erbrachte Leistungen zu erstatten, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist. Die Verfügung der Rückforderung kann wie vorliegend mit dem Aufhebungsbescheid verbunden werden (Wiesner in von Wulffen, SGB X, 4. Auflage 2011, § 50, Rdnr. 9).

Nach allem ist also der angefochtene Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides nicht zu beanstanden. Das Urteil des Sozialgerichts ist daher aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil keine Gründe nach § 160 Abs. 2 SGG vorliegen.
Rechtskraft
Aus
Saved