L 3 SB 3345/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
3
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 17 SB 4853/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 SB 3345/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 29. Juni 2012 wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt die z.T. rückwirkende Zuerkennung der Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch (sbM). Der am 05.08.1971 geborene Kläger beantragte am 15.04.2008 bei dem Landratsamt O. (LRA) als Versorgungsamt erstmals die Zuerkennung eines Grades der Behinderung (GdB) rückwirkend ab dem Tag seiner Geburt. Er leide an einer frühkindlichen Entwicklungsstörung in Form einer Pylorusstenose ("Magenpförtnerverengung") und/oder einer "Zwerchfellbuckelung". Er wolle nach Anerkennung als sbM rückwirkend steuerliche Vorteile in Anspruch nehmen. Dem Antrag waren ein arbeitsamtsärztliches Gutachten vom 31.08.1993 (V.a. frühkindliche Entwicklungsstörung, selbstunsichere Persönlichkeit mit Stottern und Tic, Neigung zu Hautausschlägen bei angeborener Minderbelastbarkeit der Haut, leichtgradige Sehminderung korrigiert) und ein Attest von Dr. A. vom 16.02.1999 (Behandlung mit Stangyl 05/1993 bis 08/1997) beigefügt. Das LRA zog verschiedene ärztliche Unterlagen bei, darunter Befundberichte des Ortenau-Klini-kums Offenburg, des Universitätsklinikums Freiburg (Abteilungen für Humangenetik, Thorax¬chi¬-rur¬gie, Gastroenterologie pp, ), des Diakoniekrankenhauses Freiburg (Visceral- und Gefäßchirur-gie), von Prof. Dr. B. (Gastroenterologe), Dr. C. (Orthopäde), Dr. D. (Vis¬ce¬ralchirurg), Dr. E. (Chirurg), Prof. Dr. F. (Pneumologe), Dr. G., Dr. H. (Internisten), Dr. I. (Pneumologe) und Dr. K. (Radiologe). Bei diesen Ärzten hatte sich der Kläger wegen Oberbauchbeschwerden, zum Teil wegen Atembeschwerden vorgestellt. Er führte die Oberbauchbeschwerden auf eine frühkindlich nicht behandelte Polyrusstenose zurück. Er hatte sich auch humangenetisch zur Abklärung einer Vererblichkeit der von ihm angenommenen Polyrusstenose beraten lassen. Nach den Befunden bestanden bei dem Kläger - neben einer zeitweise aufgetretenen Belastungsdyspnoe - ein Z.n. operiertem Verschluss einer epigastritischen Hernie 08/2000 sowie erneuter Hernioplastik 06/2005 bei Rezidiv, belastungsabhängige Schmerzen an der OP-Narbe sowie eine Zwerchfellbuckelung mit leichtgradig reduzierter Zwerchfellbeweglichkeit links (Bericht des Universitätsklinikums Freiburg vom 14.02.2007). Die vom Kläger gemutmaßte Polyrusstenose konnte ausgeschlossen werden, ein Zusammenhang zwischen Schmerzen und Zwerchfellbuckelung ebenfalls (ebd.). Es wurde ferner eine starke Knickbildung im Verdauungsbereich ("Hakenmagen") festgestellt (Bericht des Ortenauklinikums vom 21.05.2008). Zum Teil wurde eine psychosomatische Beschwerdesymptomatik diskutiert (humangenetischer Bericht von Prof. Dr. L. und Prof. Dr. M. v. 26.03.2008). Mit Bescheid vom 02.09.2008 stellte das LRA bei dem Kläger einen GdB von 30 seit dem 15.04.1998 fest. Dem lagen Einzel-GdB von je 20 für eine Persönlichkeitsstörung und funktionelle Organbeschwerden zu Grunde (versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. N. vom 10.08.2008). Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, es sei zu Unrecht die Feststellung einer dauernden Einbuße der körperlichen Beweglichkeit unterblieben. Das Landesversorgungsamt des beklagten Landes erließ den zurückweisenden Widerspruchsbescheid vom 07.01.2009. Der GdB sei richtig festgestellt, eine dauernde Einbuße der körperlichen Beweglichkeit liege nicht vor. Am 27.01.2009 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Er hat dort die Zuerkennung eines GdB von 50 seit seiner Geburt beantragt. Er hat sich auf die genannte Polyrusstenose, eine Hauterkrankung und eine Verletzung am linken Daumen berufen. Er hat zahlreiche ärztliche Unterlagen vorgelegt. Ferner hat er die Bescheinigung des Finanzamts Offenburg vom 10.09.2008 eingereicht, wonach Einkommensteuerfestsetzungen nach rückwirkender Anerkennung als sbM bis zu zwei Jahre nach Erlass des Bescheids mit unbegrenzter Rückwirkung möglich seien. Nachdem der Beklagte der Klage entgegengetreten war, hat das SG die behandelnden Ärzte des Klägers schriftlich als sachverständige Zeugen vernommen. Allgemeinmedizinerin Dr. O. hat unter dem 07.09.2009 mitgeteilt, der Kläger leide an Adipositas permagna, einer aggressiven Persönlichkeitsstörung, Stottern, einer Psychosomatose, rezidivierenden unklaren Oberbauchbeschwerden und einer HWS-Blockierung. Nach zwischenzeitlichem Ruhen des Klageverfahrens hat Neurologe Dr. P. am 10.11.2011 mitgeteilt, er habe den Kläger einmalig am 16.11.2009 untersucht und eine Sensibilitätsstörung am linken Daumen bei sonst normalen neurographischen Untersuchungsbefunden festgestellt. Zuletzt hat der Kläger noch den Bericht des Universitätsklinikums Gießen-Marburg vom 13.09.2011, Dr. Q., vorgelegt (chronische Oberbauchbeschwerden; adipöses Abdomen mit reizlosen Oberbauchnarben, kein Anhalt für ein Hernienrezidiv, Narbendruckschmerz, Hakenmagen mit problemlos passierbarem Pylorus ohne Anhalt für eine Stenose; kein Ansatz für chirurgische Therapie). Mit Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 29.06.2012 hat das SG den Beklagten unter Abänderung der angegriffenen Bescheide verpflichtet, einen GdB von 30 bereits ab dem 01.05.1993 festzustellen, die Klage im Übrigen abgewiesen, und den Beklagten in ein Viertel der außergerichtlichen Kosten des Klägers verurteilt. Bei dem Kläger bestehe - nur - ein GdB von 30 entsprechend den angegriffen Bescheiden. Eine Polyrusstenose sei weder aktuell noch früher nachgewiesen. In den Unterlagen sei insoweit durchweg von einem Normalbefund die Rede. Die nicht in Frage zu stellenden Beschwerden des Klägers sind und wären auch bei einer Polyrusstenose nicht schwerwiegend. Häufiges Erbrechen und eine Beeinträchtigung des Ernährungszustandes lägen bei dem adipösen Kläger nicht vor. Hinsichtlich der Atemwege seien Normalbefunde erhoben worden. Eine Hauterkrankung von Behinderungswert sei nirgendwo erwähnt (Bericht Dr. R. vom 16.07.2009). Die Sensibilitätsstörungen am linken Daumen seien nicht mit einer Funktionsstörung mit echtem Behinderungswert verbunden. Die Persönlichkeitsstörung könne als leichtere psychische Störung mit einem GdB von 20 bewertet werden. Der GdB von 30 könne jedoch nicht ab Geburt, sondern erst ab Mai 1993 zuerkannt werden. Zwar sei eine rückwirkende Feststellung aus steuerlichen Gründen nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) möglich, jedoch seien die (psychischen) Beschwerden des Klägers vor 1993 nicht dokumentiert. Dr. A. habe eine Behandlung mit Stangyl, die eine erhebliche psychische Erkrankung voraussetze, ab Mai 1993 bestätigt. Dies korrespondiere mit dem arbeitsamtsärztlichen Gutachten von Juni 1993, das eine frühkindliche Entwicklungsstörung als Verdachtsdiagnose enthalte. Gegen dieses Urteil, das seinem Prozessbevollmächtigten am 05.07.2012 zugestellt worden ist, hat der Kläger am 03.08.2012 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt. Er lässt über seinen Prozessbevollmächtigten vortragen, er leide an einer Polyrusstenose. Er beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 29. Juni 2012 aufzuheben den Beklagten unter weiterer Abänderung des Bescheids des Landratsamts O. vom 02. September 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07. Januar 2009 zu verpflichten, bei dem Kläger einen Grad der Behinderung von fünfzig (50) ab dem 05. August 1971 festzustellen. Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Der Senat hat unter dem 22.11.2012 angekündigt, über die Berufung durch Beschluss entscheiden zu wollen, und Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 31.12.2012 gegeben. Der Kläger ist mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 11.12.2012 einer Entscheidung durch Beschluss entgegengetreten, hat auf die Erkrankungen der Haut, des linken Daumens und der Augen hingewiesen und angekündigt, noch aktuelle Befundberichte vorzulegen. Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

II.

1. Der Senat konnte über die Berufung nach § 153 Abs. 4 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entscheiden. Er hält die Berufung einstimmig für unbegründet. Der Rechtsstreit weist nach Einschätzung des Senats auch keine besonderen Schwierigkeiten in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht auf, die mit den Beteiligten in einer mündlichen Verhandlung erörtert werden müssten. Die Beteiligten sind zu dieser Verfahrensweise gehört worden. Dass der Kläger diesem Entscheidungswege entgegengetreten ist, steht einem Beschluss nicht entgegen. Er hat hierzu lediglich auf bereits aktenkundige Erkrankungen an Haut, Hand und Augen hingewiesen, aber keine neuen Tatsachen, insbesondere keine Verschlechterungen gegenüber den aktenkundigen Feststellungen, geltend gemacht. Er hat ferner keinen Beweisantrag gestellt (vgl. zu diesen Voraussetzungen Keller, in: Meyer-Ladewig, SGG, 10. Aufl. 2012, § 153 Rn. 20a m.w.N.).

2. Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet. a) Das SG hat in dem angegriffenen Urteil die rechtlichen Voraussetzungen eines Anspruchs auf Feststellung eines GdB durch den Beklagten nach § 69 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1, Abs. 2 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) und auch die einzelnen medizinischen Anforderungen an die Ermittlung einzelner GdB sowie des Gesamt-GdB nach § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB IX i.V.m. der nach § 30 Abs. 17 Bundesversorgungsgesetz (BVG) erlassenen Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) und den in ihr enthaltenen Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VG) zutreffend dargelegt. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat darauf nach §§ 142 Abs. 2 Satz 3, 153 Abs. 2 SGG Bezug. Zu ergänzen sind lediglich zwei Punkte: Für die Zeit vor In-Kraft-Treten der VG zum 01.01.2009 waren die einzelnen GdB nach den Vorgaben der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (AHP), einem antizipierten Sachverständigengutachten zur Ausfüllung der Anforderungen aus § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB IX bzw. den entsprechenden Vorläufervorschriften des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG), zu ermitteln. Und ein Anspruch auf Feststellung eines GdB für die Zeit vor der Stellung des Antrags (hier also die Zeit vor dem 15.04.2008) setzt nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nach § 6 Abs. 1 Satz 2 Schwerbehindertenausweis-Verordnung (SchwbAwV) - materiell - voraus, dass der Antragsteller ein besonderes Interesse an einer rückwirkenden GdB-Feststellung glaubhaft macht (BSG, Urt. v. 16.02.2012, B 9 SB 1/11 R, Juris Rn. 32 ff.; Urt. v. 07.04.2011, B 9 SB 3/10 R, Juris Rn. 23), wobei hierzu auch - konkrete - steuerliche Vorteile gehören können. b) Gemessen an diesen Vorgaben hat das SG zu Recht aa) einen Anspruch auf Zuerkennung eines höheren GdB als 30 für die Zeit ab dem 01.05.1993 sowie bb) die Zuerkennung überhaupt eines GdB für die Zeit vom 05.08.1971 bis zum 30.04.1993 abgelehnt. aa) Der GdB des Klägers liegt bei 30. Er lag auch in der Vergangenheit, seit dem 01.05.1993, jedenfalls nicht höher als 30. Da der Beklagte keine Berufung und keine Anschlussberufung eingelegt hat, kann offen bleiben, ob der GdB ggfs. niedriger lag. (1) Eine Polyrusstenose, wie sie der Kläger in den Vordergrund rückt, liegt nicht vor. Keiner der behandelnden Ärzte hat eine solche Krankheit diagnostiziert. Insbesondere in dem radiologischen Befundbericht von Dr. S. vom 14.05.2008 und dem anschließenden Bericht des Ortenau-Klinikums vom 11.06.2008 über die Gastroskopie vom 20.05.2008 wird dagegen ausdrücklich ausgeführt, es gebe keinerlei Anhaltspunkte für eine Stenose des Magenausgangs. (2) Die Beschwerden des Klägers im Bereich des Oberbauchs sind mit dem bislang zu Grunde gelegten GdB von 20 angemessen bewertet. Diese Beschwerden können bislang nicht auf eine bestimmte organische Ursache zurückgeführt werden. In Betracht kommen z. B. die beim Kläger zweifach (2000 und 2005) operierten Hernien, die aktenkundige Zwerchfellbuckelung, von der zuletzt Prof. Dr. T. u. a. in dem Bericht des Universitätsklinikums Freiburg vom 14.02.2007 berichtet haben, sowie eventuell die Hakenbildung im Magen, die jedoch nach dem Bericht von Prof. Dr. U. vom Ortenau-Klinikum vom 21.05.2008 lediglich "die Passage etwas erschwert". Jedoch geben die behandelnden Ärzte durchgängig keine eindeutige Ursache an: Dr. V. vom Ortenau-Klinikum spricht in seinem Bericht vom 23.04.2008 von uncharakteristischen Beschwerden, Dr. W. vom der Chirurgischen Universitätsklinik Freiburg von unklaren Oberbauchbeschwerden (Bericht vom 12.03.2007) und Dr. X. von der St.-Josefs-Klinik Offenburg unter dem 29.05.2009 von unklaren epigastritischen Beschwerden links. Die behandelnde Hausärztin Dr. O. hat in ihrer Zeugenaussage vom 07.09.2009 von "funktionellen Organbeschwerden (Somatisierungsstörung)" gesprochen. Jedoch ist die genaue Diagnose unerheblich, denn maßgeblich sind die Funktionseinbußen. Diese sind durchgängig nicht als gravierend einzustufen. Nach dem Bericht von Prof. Dr. Y. u. a. vom 18.11.2003 hatte der Kläger damals von "einengenden Thoraxschmerzen, die aber bei sportlicher Betätigung nicht aufträten" berichtet. Bei seiner Vorstellung bei Prof. Dr. Z. (Bericht vom 12.03.2007) hatte der Kläger "Schmerzen, verstärkt bei Belastung und tiefem Einatmen, bei normalem regelmäßigem Stuhlgang, kein Erbrechen, kein Fieber, selten Sodbrennen" angegeben. Nach dem vorläufigen Entlassungsbericht der Medizinischen Klinik Offenburg, Prof. Dr. Aa., vom 03.06.2009, hatte der Kläger dort über "rezidivierende Oberbauchbeschwerden mit Druck- und Völlegefühl in der Magengegend, insbesondere bei körperlicher Anstrengung" berichtet. Es liegt also z. B. kein (regelmäßiges) Erbrechen vor. Auch eine Abmagerung ist bei dem übergewichtigen Kläger (zuletzt 96,5 kg bei 172 cm Größe, vgl. Bericht von Prof. Dr. Aa., a.a.O.) dagegen nicht vorhanden. Und nach dem insoweit jüngsten Bericht von Dr. Q. vom Universitätsklinikum Marburg-Gießen vom 13.09.2011 hatte der Kläger dort von "intermittierendem Aufstoßen, Sodbrennen, Druckgefühl im Oberbauch und der Unfähigkeit, größere Mahlzeiten einzunehmen" berichtet. Magenerkrankungen verschiedener Art bedingen einen GdB von 20 oder mehr jeweils erst bei "häufigeren Rezidiven und Beeinträchtigung des Kräfte- und Ernährungszustandes" (Geschwürsleiden) oder bei "anhaltenden Beschwerden im Sinne eines Dumping-Syndroms pp" (Z.n. nach proximaler Vagotomie). Nur bei der Totelentfernung des Magens kann ein GdB von 20 bis 30 auch ohne Beeinträchtigung des Kräfte- und Ernährungszustandes anerkannt werden, je nach den (übrigen) Beschwerden (vgl. zu allem Teil B Nr. 10.2.1 VG, S. 70). Vergleicht man diese Beschwerden mit jenen des Klägers, kommt ein GdB von mehr als 20 nicht in Betracht. (3) Eine Herz- oder Lungenerkrankung, insbesondere eine koronare Herzkrankheit, liegt bei dem Kläger nicht vor. In dem Bericht von Prof. Dr. v. Bb. vom MediClin-Herzzentrum Lahr vom 13.07.2009 wird von normalen Funktionen gesprochen und als Risikofaktor lediglich Nikotinkonsum angegeben. Der Beratungsarzt der Deutschen Rentenversicherung Baden-Würt-tem¬berg, Dr. Schmied, hat in seinem Bericht vom 10.05.2012 bei der Lungenfunktion keine Obstruktion und allenfalls eine geringe Restriktion gefunden. (4) Im Bereich des Funktionssystems "Haut" leidet der Kläger an einer (z.T. allergischen) Überempfindlichkeit gegenüber verschiedenen Erregern. Der Dermatologe R. hat hierzu in seinem Bericht vom 16.07.2009 von (jeweils akuter) Dermatitis solaris (Überempfindlichkeit gegenüber Sonnenlicht), Dermatitis pratensis (Überempfindlichkeit gegenüber bestimmten Pflanzen wie Wiesenkräutern, Sträuchern, Gräsern), einer Trombidiose ("Erntekrätze"), Intertrigo (Wundschäden durch Haut-an-Haut-Reibungen) und einer Erythrosis interfollikularis colli (chron. Rotverfärbung der Haut durch Sonnenlicht) gesprochen. Eine Schuppenkrankheit (Ichthyosis) oder eine ausgedehnte Erythrodermie (Verfärbung des gesamten Körpers) wurde dagegen nicht festgestellt. Von diesen Diagnosen ist auszugehen. Ferner liegt als Dauererkrankung wie gesagt nur eine Überempfindlichkeit vor, denn bereits im Herbst 2009 bestanden nach der Zeugenaussage von Dr. O. vom 07.09.2009 keine akuten Hauterkrankungen. Für die Bewertung dieser Überempfindlichkeit kann daher auf Nr. 17.1 VG zurückgegriffen werden. Hiernach bedingen Kontaktekzeme, auch allergische, einen GdB von 0 bis 10, wenn sie gering ausgedehnt sind und bis zu zweimal im Jahr für wenige Wochen auftreten, und einen GdB von 20 bis 30 in den übrigen Fällen. Da eine dauerhafte Beeinträchtigung beim Kläger nicht erkennbar ist, kann hier ein GdB von 10 angenommen werden. (5) Orthopädisch bedingte Funktionsbeeinträchtigungen, insbesondere solche der Wirbelsäule, liegen bei dem Kläger nach dem Bericht des Orthopäden Dr. C. vom 24.07.2000, nicht vor, der Kläger macht solche auch nicht geltend. (6) Funktionsbeeinträchtigungen der Hände (einschl. der Handgelenke) mit Behinderungscharakter bestehen nicht. Dr. P. hat in seiner Zeugenaussage vom 10.11.2011 insoweit lediglich von einer Sensibilitätsstörung am linken Daumen bei sonst normalen neurographischen Untersuchungsbefunden berichtet. (7) Die Sehminderung des Klägers ist ausweislich des arbeitsamtsärztlichen Gutachtens vom 31.06.1993 korrigiert, eine Verschlechterung ist nicht behauptet, auch die behandelnden Ärzte einschließlich Dr. O. haben von einer Sehbehinderung nicht berichtet. (8) Es verbleibt daher die psychische Erkrankung des Klägers, die möglicherweise auf einer frühkindlichen Entwicklungsstörung beruht und die Dr. O. als "aggressive Persönlichkeitsstörung" mit Stottern, und der genannten Somatisierungsstörung (Psychosomatose) beschrieben hat. Zumindest in der Vergangenheit sind Tics dazugekommen. Nach Teil B Nr. 3.7 VG sind solche Neurosen bzw. Persönlichkeitsstörungen als leichtere psychovegetative oder psychische Störungen mit einem GdB von 0 bis 20 zu bewerten, während ein GdB von 30 bis 40 erst bei stärker behindernden Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit in Betracht kommt. Bei dem Kläger sind solche wesentlichen Einschränkungen nicht beschrieben. Ein merklicher sozialer Rückzug liegt nicht vor, wie u. a. die zahlreichen Arztbesuche des Klägers zeigen. Eine psychiatrische (medikamentöse oder therapeutische) Behandlung findet trotz der durchaus merklichen hypochondrischen bzw. somatisierenden Auswirkungen nicht statt, sodass der psychische Leidensdruck nicht als überaus hoch eingeschätzt werden kann. Vor diesem Hintergrund kommt eine höhere Bewertung als ein GdB von 20 nicht in Betracht. (9) Nach Teil A Nr. 3 lit. d Doppelbuchstaben aa) und ee) VG sind von diesen Einzel-GdB allenfalls die beiden Werte von je 20 für die funktionellen Organbeschwerden und die psychische Erkrankung für die Bildung des Gesamt-GdB relevant. Dieser ist mit 30 zutreffend festgestellt. bb) Für die Zeit vor dem 01.05.1993 kann ein GdB nicht festgestellt werden. Hierbei lässt der Senat offen, ob der Kläger das nach § 6 Abs. 1 SchwbAwV notwendige berechtigte Interesse an einer derart weit zurück reichenden Feststellung ausreichend glaubhaft gemacht hat. Die Bescheinigung des Finanzamts Offenburg vom 10.09.2008, die der Kläger eingereicht hat, gibt nur die - zutreffende - Rechtslage wieder, wonach nach Erlass eines - rückwirkenden - außersteuerlichen Grundlagenbescheides eine Einkommensteuerfestsetzung unbeschränkt rückwirkend möglich ist. Ob der Kläger (oder ggfs. seine Eltern) aber ab 1971 überhaupt einkommensteuerpflichtig war bzw. waren, also ein Pauschbetrag nach § 33b Einkommensteuergesetz (EStG) überhaupt abgesetzt werden könnte, geht aus dieser Bescheinigung nicht hervor. Jedenfalls kann sich der Senat nicht davon überzeugen, dass vor dem 01.05.1993 bei dem Kläger Behinderungen vorlagen, die einen GdB von wenigstens 20 bedingt hätten. Die ältesten aktenkundigen ärztlichen Befunde datieren auf August 1993 bzw. ergeben eine Behandlung mit dem Antidepressivum Stangyl ab Mai 1993. Auch die vom Kläger mehrfach erwähnte frühkindliche Entwicklungsstörung wurde nicht festgestellt, sondern - so auch im August 1993 - nur als Verdachtsdiagnose geäußert.

3. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG.

4. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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