B 6 KA 6/02 R

Land
Bundesrepublik Deutschland
Sozialgericht
Bundessozialgericht
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
6
1. Instanz
SG Schwerin (MVP)
Aktenzeichen
S 3 Ka 57/97
Datum
2. Instanz
LSG Mecklenburg-Vorpommern
Aktenzeichen
L 1 KA 2/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 6 KA 6/02 R
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Zur Auslegung des "Rahmen-Gesamtvertrages für die kassenärztliche Versorgung von Anspruchsberechtigten der Orts-, Betriebs-, Innungs- und landwirtschaftlichen Krankenkassen in den Ländern Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen" vom 14.12.1990.
Die Revisionen der Beigeladenen zu 1. bis 5. gegen das Urteil des Landessozialgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 1. November 2000 werden mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Beklagte bei der Neubescheidung der Klägerin die Rechtsauffassung des Senats zu beachten hat. Die Beigeladenen zu 1. bis 5. haben der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens je zu einem Fünftel zu erstatten. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

Gründe:

I

Die Beteiligten streiten darüber, ob das beklagte Landesschiedsamt verpflichtet ist, hinsichtlich einer zwischen der klagenden Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) einerseits und den beigeladenen Krankenkassen (KKn) bzw KKn-Verbänden andererseits kontroversen Anpassung der Gesamtvergütung tätig zu werden.

Am 14. Dezember 1990 schlossen die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KÄBV) sowie die KKn-Bundesverbände den am 1. Januar 1991 in Kraft getretenen "Rahmen-Gesamtvertrag für die kassenärztliche Versorgung von Anspruchsberechtigten der Orts-, Betriebs-, Innungs- und landwirtschaftlichen Krankenkassen in den Ländern Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen" (RGV); im Bereich der Ersatzkassen kam ein entsprechender Vertrag als Anlage 1 zum Anhang des Arzt-/Ersatzkassenvertrages (EKV-Ä) (Abschnitt I Abs 4) zu Stande. Der RGV findet nach seinem § 1 Satz 1 Anwendung, wenn und soweit als Inhalt der Gesamtverträge zwischen den KÄVen und den Landesverbänden der KKn nichts anderes vereinbart worden ist. § 3 Abs 1 und 2 RGV sowie § 10 RGV lauten - mit Protokollnotizen - wie folgt:

"§ 3 Gesamtvergütung

(1) Die an diesem Gesamtvertrag beteiligten KKn entrichten mit befreiender Wirkung eine Gesamtvergütung an die für ihren Kassensitz zuständige KÄV, für eine Übergangszeit an die KÄBV oder - bei einem über die Grenze des Landes sich erstreckenden Versichertenkreis - an diejenige KÄV, die von der KÄBV mit dem Abschluss eines Gesamtvertrages beauftragt ist (§ 83 Abs 1 Satz 3 SGB V). Nachberechnungen der Gesamtvergütung sind zulässig.

(2) Die Höhe der Gesamtvergütung berechnet sich für zugelassene Kassenärzte nach dem ab 1.1.1991 für die in § 1 genannten Bundesländer gültigen Leistungsverzeichnis zur Abrechnung kassen- und vertragsärztlicher Leistungen nach dem Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) und den auf dieser Grundlage abgerechneten Leistungen sowie den im § 4 genannten Sonderregelungen. Dabei wird für die Punktzahlen des EBM (O) für das Jahr 1991 - unbeschadet der Regelungen zur Anpassung der Vergütung in § 10 dieses Vertrages - ein Punktwert von 6,1 Pf zugrunde gelegt (später vereinbart: ab 1. Juli 1991: 7,0 Pf; ab 1. Januar 1992 7,7 Pf; ab 1. Juli 1992 7,9 Pf)."

Protokollnotiz zu § 3 Abs 1 RGV:

"Derartige Nachberechnungen können sich aus einer zunächst nicht vollständigen Erfassung der zugelassenen und ermächtigten Ärzte und Einrichtungen sowie notwendigen Korrekturen der Dateneingaben bei der Berechnung der Behandlungspauschalen ergeben."

"§ 10 Anpassung der Vergütung

Die Partner dieses Vertrages prüfen unmittelbar nach Auswertung der Abrechnungsergebnisse des jeweiligen Abrechnungsquartals deren Auswirkungen auf die Vergütungssituation der zugelassenen und ermächtigten Ärzte und ärztlich geleiteten Einrichtungen sowie auf die Ausgabenbelastung der am Gesamtvertrag beteiligten KKn. Auf der Grundlage dieser Überprüfung werden erforderlichenfalls auch innerhalb der Geltungsdauer dieses Vertrages Änderungen der vergütungsrechtlichen Vorschriften vereinbart, wobei für den Fall, dass die Höhe der Gesamtvergütungen einen Anteil von 20 vH der um die Verwaltungskosten reduzierten Einnahmen der am Gesamtvertrag beteiligten KKn nicht erreicht oder überschreitet, über eine Anpassung der Vergütungssätze zu verhandeln ist. Der Punktwert von 6,1 Pf (Fassung ab 1.7.1991: von 7,0 Pfab 1. 1. 1992: von 7,7 Pf bzw ab 1. 7. 1992: 7,9 Pf) bleibt unberührt."

Protokollnotiz zu § 10 RGV nach den Festlegungen vom 17. Dezember 1993:

"Die Partner des RGV haben gemäß § 10 des Vertrages die Auswirkungen der Abrechnungsergebnisse des Jahres 1991 auf die Vergütungssituation der an der kassenärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und ärztlich geleiteten Einrichtungen sowie auf die Ausgabenbelastungen der am Vertrag beteiligten KKn geprüft. Auf der Grundlage dieser Überprüfung vereinbaren sie, die Gesamtvergütung für die an der kassenärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und ärztlich geleiteten Einrichtungen für das 4. Quartal 1991 um einen Betrag von 2,75 DM je KK-Mitglied (Stichtag 1. Dezember 1992) im Bereich der jeweiligen KÄV zu erhöhen."

Nachdem die Aufwendungen der KKn für die ambulante ärztliche Versorgung in den neuen Bundesländern 1992 nur 14,2 vH ihrer Einnahmen betragen hatten, strebte die klagende KÄV unbeschadet der erfolgten Punktwertfestlegungen für die Quartale I bis III/1992 eine weitere Erhöhung der Gesamtvergütung mit Blick auf den in § 10 Satz 2 RGV angeführten Anteil der Aufwendungen für die ambulante Versorgung in Höhe von 20 vH der KKn-Einnahmen an. Spitzengespräche auf Bundesebene vom 17. Dezember 1993 und vom 16. Februar 1994 verliefen insoweit ergebnislos. Die KKn lehnten den Vorschlag der KÄBV, die Gesamtvergütung für 1992 entsprechend den Festlegungen für das Quartal IV/1991 aufzustocken, ab, da es in diesem Jahr in den neuen Bundesländern eine ungedeckelte Einzelleistungsvergütung mit Punktwerten von 7,7 bzw 7,9 Pfennig (= ca 28 % über dem Ausgangswert des Jahres 1991) gegeben habe; weitere Erhöhungen lasse die Finanzsituation der KKn nicht zu.

Eine daraufhin 1995 von der KÄV gegen die KKn(-Verbände) erhobene Klage auf Zahlung eines Differenzbetrages zwischen dem 20-vH-Anteil und der für 1992 ausgekehrten niedrigeren Gesamtvergütung blieb in erster und zweiter Instanz erfolglos (Urteil des Sozialgerichts (SG) Schwerin vom 26. Juni 1996 - S 3 Ka 73/95; Urteil des Landessozialgerichts (LSG) Mecklenburg-Vorpommern vom 8. Oktober 1997 - L 1a Ka 9/96 (rechtskräftig)). Das LSG legte in seinem Urteil dar, dass zunächst ggf das Schiedsamt tätig zu werden habe; der RGV sehe keine automatische Anpassung der Gesamtvergütung vor.

Nach Weigerung der KKn(-Verbände), über die Anpassung der Gesamtvergütung des Jahres 1992 zu verhandeln, rief die Klägerin im Juli 1996 das beklagte Schiedsamt an. Dieses lehnte den Antrag auf ein Tätigwerden als unzulässig ab, weil "kein durch einen vertragslosen Zustand ausgelöster Regelungsbedarf" bestehe. Der RGV enthalte für 1992 Vergütungsregelungen. Auch sei der Punktwert insoweit bereits durch die 5. Ergänzungsvereinbarung festgelegt worden. § 10 RGV setze diese Vereinbarungen nicht außer Kraft; die vorgesehene Verhandlungspflicht führe nicht automatisch zur teilweisen Auflösung des Vertrages. Von dem Teilkündigungsvorbehalt des § 10 RGV sei kein Gebrauch gemacht worden (Beschluss vom 27. November 1996).

Die dagegen gerichtete Klage der KÄV ist in erster Instanz ohne Erfolg geblieben, da es in Bezug auf die Höhe der Gesamtvergütung für 1992 und das darauf gerichtete Anpassungsverlangen an einem vertragslosen Zustand fehle. Eine Anpassung könne zudem ohnehin nur vom Zugang des Anpassungsverlangens an beansprucht werden, das hier erst im Juli 1996 an die KKn-Landesverbände herangetragen worden sei. Des Weiteren seien über die Gesamtvergütung für die folgenden Jahre auf Landesebene Gesamtverträge geschlossen worden bzw Festsetzungen des Schiedsamts erfolgt, die den RGV abgelöst hätten. Der Beklagte sei nicht befugt, über bloße Vertragsauslegungsfragen zu befinden (Urteil vom 30. September 1998).

Auf die Berufung der Klägerin hat das LSG das SG-Urteil aufgehoben und den Beklagten zur Neubescheidung verurteilt. Aus § 10 RGV ergebe sich eine Verpflichtung des Schiedsamtes zum Tätigwerden. Der in § 3 Abs 2 Satz 2 RGV vereinbarte Mindestpunktwert von 6,1 Pfennig habe sich zunächst auf das Jahr 1991 bezogen und sei zwar in der Folgezeit auf 7,0 Pfennig (ab 1. Juli 1991) und für das Jahr 1992 nachträglich angehoben worden (7,7 Pfennig zum 1. Januar 1992; 7,9 Pfennig zum 1. Juli 1992). Gleichwohl folge aus § 10 RGV noch ein teilweise vertragsloser Zustand. Die Bestimmung normiere eine Anpassungspflicht, indem sie davon ausgehe, dass nach Überprüfung der Vergütungssituation der Ärzte sowie der Ausgabenbelastung der KKn innerhalb der Geltungsdauer des RGV ein neuer Regelungsbedarf entstehen könne. Sie sei aus historischer Sicht zu erklären, weil die Entwicklung der Gesamtvergütung in den neuen Bundesländern zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht absehbar gewesen sei. Gemäß § 85 Abs 3 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) seien die Vertragsparteien ohnehin gehalten, die Gesamtvergütung unter Berücksichtigung der Praxiskosten, der für die vertragsärztliche Tätigkeit aufzuwendenden Arbeitszeit sowie der Art und des Umfangs der ärztlichen Leistungen zu vereinbaren. Die Unwägbarkeiten der Entwicklung der Gesamtvergütung hätten ggf auch eine rückwirkende Festsetzung ermöglichen sollen. § 59 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) stehe dem nicht entgegen, weil die Voraussetzungen für einen Wegfall der Geschäftsgrundlage hier speziell gesamtvertraglich näher ausgestaltet worden seien. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) seien die Regelungen zum Schiedsverfahren weit auszulegen, um den sozialen Frieden zwischen den Beteiligten zu gewährleisten. Da die Verhandlungen der Vertragsparteien des RGV ergebnislos verlaufen seien, habe nun der Beklagte eine Einigung herbeizuführen bzw die Gesamtvergütung ggf selbst festzusetzen. Dass dabei in der Vergangenheit liegende Sachverhalte zu beurteilen seien, schließe sein Tätigwerden nicht aus; rückwirkende Anpassungen seien in der Praxis nicht unüblich. Zudem habe hier wegen der unwägbaren Entwicklung in den neuen Bundesländern gerade Anlass bestanden, ggf auch vergangenheitsbezogen zu reagieren. Dass die 1993/94 geführten Gespräche zwischen den Vertragsparteien ergebnislos verlaufen seien, während es zuvor bei den Verhandlungen im November 1992 für 1991 zu zwei Erhöhungen gekommen sei, begründe keine Verwirkung; denn nach dem 1994 erfolgten Übergang der Zuständigkeit für die Gesamtvergütung auf die Länder-KÄVen habe die Klägerin unverzüglich versucht, das weitere Vorgehen zu koordinieren und im Folgejahr Zahlungsklage erhoben. Noch im Mai 1996 habe sie deutlich gemacht, dass sie die 20-vH-Grenze für eine verbindliche Anpassungsklausel halte. Nach der Klageabweisung und den Hinweisen auf eine vorrangige Antragsmöglichkeit habe sie im Juli 1996 das beklagte Schiedsamt angerufen (Urteil vom 1. November 2000).

Mit ihren vom Senat zugelassenen Revisionen wenden sich die AOK (Beigeladene zu 1.), die Landesverbände der Betriebs- und Innungskrankenkassen (Beigeladene zu 2. und 3.) sowie die Ersatzkassenverbände (Beigeladene zu 4. und 5.) gegen das Urteil des LSG. Der Senat hat darüber hinaus den Träger der landwirtschaftlichen Krankenversicherung zum Revisionsverfahren beigeladen.

Die revisionsführenden Beigeladenen zu 1. bis 5. tragen vor: Das Urteil des LSG verstoße zunächst gegen § 89 SGB V iVm § 10 RGV. Nach dem Wortlaut des § 10 RGV hätten die Vertragsparteien nur vereinbart, beim Eintreten bestimmter Umstände über eine Anpassung der Vergütung "zu verhandeln", also allein eine mögliche Vergütungsanpassung, nicht aber eine Anpassungspflicht vorgesehen. Gegen eine solche Pflicht sprächen Sinn und Zweck der Regelung, weil selbst bei Erreichen des festgelegten Schwellenwertes die schlechte Einnahmesituation der KKn jegliche Anpassung ausschließen könne. Auch an den Voraussetzungen des § 89 SGB V fehle es. Dessen Zweck bestehe in der Verhinderung vertragsloser Zustände; schiedsfähig seien daher nur gesetzlich nach § 83 SGB V vorgeschriebene Verträge, nicht aber - wie hier - im Ermessen der Parteien stehende freiwillige Vereinbarungen.Da für 1992 eine Vergütungsvereinbarung getroffen worden sei, habe kein vertragsloser Zustand bestanden; nachträgliche Vertragsänderungen ließen sich nicht mit Hilfe eines Schiedsverfahrens erzwingen. Das LSG-Urteil verletze auch § 59 SGB X, weil es zu Unrecht eine rückwirkende Vertragsanpassung für möglich halte. Das spezifisch geregelte Anpassungsverfahren des RGV schließe die Rückwirkung ebenfalls aus. Eine Erhöhung des Punktwertes über die für 1992 getroffenen Festlegungen hinaus hätten die Revisionsführer zudem zu spät verlangt. Die KÄBV habe eine Wiederholung der für das Quartal IV/1991 vereinbarten Nachzahlung erst bei einem Spitzengespräch im Dezember 1993 gefordert; ausdrückliche Verhandlungsangebote der Klägerin seien sogar erst im Juli 1996 erfolgt. Das LSG verstoße schließlich gegen § 89 iVm §§ 83, 85 SGB V, weil ein Schiedsspruch des Beklagten im Falle der Nichteinigung der Parteien nachträglich in die Grundlagen der bereits zwischen den Gesamtvertragsparteien geschlossenen Folgeverträge eingreifen würde. Da die Gesamtvergütung des Jahres 1992 für die Veränderung der Gesamtvergütung in den Folgejahren maßgeblich sei (§ 85 Abs 3a Satz 2 SGB V), würden die Parteien bei einer noch zusätzlich nach § 10 RGV erfolgenden Erhöhung für die Jahre ab 1993 ganz andere Beträge vereinbart haben. Bei den Verhandlungen für 1993 habe es indessen keinerlei Vorbehalte der KKn hinsichtlich etwa noch offener Forderungen für 1992 gegeben.

Die Beigeladene zu 1. weist darauf hin, dass das Landesschiedsamt für das Land Brandenburg ihre Auffassung in einem entsprechenden Verfahren geteilt habe. Die sockelrelevante Gesamtvergütung des Jahres 1992 könne nur noch der Gesetzgeber nachträglich ändern, weil er zwischenzeitlich für die Folgejahre mehrfach an das tatsächliche Vergütungsniveau von 1992 angeknüpft und die Gesamtausgaben budgetiert habe.

Die Beigeladenen zu 1. bis 5. beantragen,
das Urteil des LSG Mecklenburg-Vorpommern vom 1. November 2000 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Schwerin vom 30. September 1998 zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Revisionen zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil für zutreffend. Der RGV sei als Gesamtvertrag mit Regelungen über die Gesamtvergütung schiedsamtsfähig. Aus § 10 Satz 2 1. Halbsatz RGV ergebe sich auch eine Anpassungspflicht; dessen 2. Halbsatz umschreibe nur die Voraussetzungen für die Aufnahme von Verhandlungen, während sich die Konsequenzen der Verhandlungen aus dem ersten Satzteil ergäben ("(werden) erforderlichenfalls ... vereinbart"). Zu dieser Auslegung führe auch die historisch-teleologische Betrachtung. Den Parteien des RGV sei 1990 bewusst gewesen, dass die Punktwertfestlegung willkürlich sein musste. Daher sei als Korrektiv der in § 10 RGV festgelegte Anteil von 20 vH an den KKn-Ausgaben aus den Erfahrungen der alten Bundesländer abgeleitet worden; der dortige Anteil der Ausgaben für die ambulante ärztliche Behandlung von ca 18 vH sei wegen der stärkeren Betonung der ambulanten Medizin in der DDR um 2 vH erhöht worden. Die vereinbarte Anpassungsmöglichkeit mache nur Sinn, wenn man sie unter Berücksichtigung des Parteiinteresses nach den Grundsätzen von Treu und Glauben (§§ 157, 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) iVm § 61 SGB X) zugleich als Anpassungspflicht verstehe. § 10 RGV bringe die Umstände für eine Anpassung nach Scheitern der Vertragsverhandlungen klar in der Weise zum Ausdruck, dass das beklagte Schiedsamt nach § 89 SGB V tätig zu werden habe. Die 1992 erfolgten Punktwertanhebungen stünden dem nicht entgegen, da damit nur der Ausgangspunktwert von 6,1 Pfennig erhöht und die Gesamtvergütungshöhe nur zum Teil geregelt worden sei. Der Gesetzgeber habe mit den Schiedsamtsverfahren allgemein erreichen wollen, dass vertragslose Zustände bzw nicht mehr zeitgerechte Regelungen auf Antrag einer Partei zeitnah mit hoher Sachkompetenz entschieden werden sollte. Das Schiedsamt sei insoweit maßgeblicher schlichtender Interessenmittler und Vertragshilfeorgan und müsse den Anspruch der Vertragsärzte auf angemessene Vergütung berücksichtigen und streikähnliche Auseinandersetzungen vermeiden helfen. Ein Verstoß gegen § 59 SGB X liege nicht vor, weil § 10 RGV selbst Regelungen für den Fall der Änderung der Verhältnisse enthalte. Die Auswirkungen des Verfahrens beträfen allerdings nicht nur die Gesamtvergütung für 1992, sondern wegen deren Sockelwirkung auch die anschließenden Jahre bis in die Gegenwart hinein. Die seit 1992 stetig zu niedrig bemessene Vergütung habe - wie im Einzelnen ausgeführt wird - zu einer laufenden Schlechterstellung der ambulant behandelnden Ärzte in den neuen Bundesländern geführt. Da dort viele Vertragsärzte kein bzw nur ein gerade noch kostendeckendes Honorar erhielten, sei angesichts eines bereits zu besorgenden Ärztemangels die Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung gefährdet.

Die Beigeladene zu 6. schließt sich dem Vorbringen der Revisionsführer an.

Der Beklagte stellt keinen Antrag und äußert sich nicht.

II

Die zulässigen Revisionen der zu 1. bis 5. beigeladenen KKn- und Ersatzkassenverbände sind unbegründet.

Das LSG hat das beklagte Landesschiedsamt zu Recht verurteilt, die klagende KÄV unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. Insoweit ist der Tenor nur klarstellend dahin gefasst worden, dass der Beklagte die Rechtsauffassung des Senats zu beachten hat.

Der Beschluss des Beklagten vom 27. November 1996, mit dem das von der Klägerin begehrte schiedsamtliche Tätigwerden hinsichtlich der Frage der Anpassung der Gesamtvergütung für die dem SGB V unterfallende ambulant-ärztliche Tätigkeit des Jahres 1992 in den neuen Bundesländer abschlägig beschieden worden ist, erweist sich als rechtswidrig. Die von den Beigeladenen zu 1. bis 5. und dem SG angeführten rechtlichen Gesichtspunkte rechtfertigen es nicht, dass der Beklagte die inhaltliche Befassung mit dem Komplex der Anpassung der Gesamtvergütung in einem Schiedsverfahren nach § 89 SGB V verweigert hat. Weder kann von der fehlenden Schiedsfähigkeit des Begehrens der Klägerin ausgegangen werden noch wäre ein rückwirkend für das Jahr 1992 ergehender Schiedsspruch mit der materiellen Rechtslage unvereinbar.

Die Vorinstanzen haben zu Recht der klagenden KÄV und den beteiligten KKn(-Verbänden) die Legitimation zur Verfolgung bzw Abwehr der geltend gemachten Ansprüche zuerkannt. Dem steht nicht entgegen, dass der RGV bzw die wortgleiche Anlage I zum Anhang des EKV-Ä (im Folgenden nur: RGV) - über deren Auslegung die Beteiligten streiten - ein am 14. Dezember 1990 auf Bundesebene abgeschlossener Gesamtvertrag ist. Denn nach Art 33 § 7 Abs 2 Gesundheitsstrukturgesetz ((GSG) vom 21. Dezember 1992, BGBl I 2266) sind sämtliche Rechte und Pflichten aus den genannten Gesamtverträgen inzwischen - grundsätzlich vom 1. Januar 1993 an - auf die in den neuen Bundesländern bestehenden KÄVen und ihre Vertragspartner auf Landesebene übergegangen.

Entgegen der Auffassung der Revisionsführer ergibt sich aus § 10 RGV die Verpflichtung der Vertragsparteien, Vereinbarungen über eine Anpassung der Gesamtvergütung zu treffen, und nicht lediglich die Pflicht zur Aufnahme von Verhandlungen ohne Rücksicht auf ein bei diesen Verhandlungen zu Stande kommendes einvernehmliches Ergebnis. Da die Verhandlungen für das Jahr 1992 keine Einigung hervorgebracht haben, ist vielmehr der Weg in das Schiedsamtsverfahren bei dem dafür sachlich und örtlich zuständigen Beklagten eröffnet.

Nach § 89 Abs 1 Satz 1 SGB V setzt das Schiedsamt mit der Mehrheit seiner Stimmen innerhalb von drei Monaten den Vertragsinhalt fest, wenn ein Vertrag über die vertragsärztliche Versorgung ganz "oder teilweise" nicht zu Stande kommt. Diese Voraussetzungen für ein Tätigwerden des Beklagten sind erfüllt. Der RGV ist ein von § 89 SGB V erfasster Gesamtvertrag; denn er hat im Wesentlichen zum Gegenstand, mit Wirkung vom 1. Januar 1991 an zwischen KÄBV und den KK-Spitzenverbänden die Höhe und weitere Einzelheiten der Gesamtvergütung für die ambulante ärztliche Versorgung in den neuen Bundesländern zu regeln (vgl §§ 83, 85 Abs 2 SGB V iVm §§ 1 ff RGV). Anders als die Beigeladenen andeuten, handelt es sich beim RGV - auch bei dessen § 10 - dagegen nicht um eine nur untergeordnete oder "freiwillige" gesamtvertragliche Teilregelung. Dass der RGV Vorschriften über die Höhe der Punktwerte unter dem Oberbegriff "Gesamtvergütung" (§ 3 Abs 2 aaO) und in § 10 über die "Anpassung der Vergütung" an unterschiedlichen Stellen und nicht zusammen hängend aufführt, nimmt ihm nicht den Charakter eines Gesamtvertrages (§ 83 SGB V). Ein Gesamtvertrag ist jeder Vertrag, der im Rahmen der gemeinsamen Selbstverwaltung die von den KKn für die gesamte vertragsärztliche Versorgung an die KÄV mit befreiender Wirkung zu leistende Gesamtvergütung verbindlich regelt (§ 85 Abs 1 und Abs 2 Satz 1 SGB V). Das ist hier der Fall.

Es besteht auch ein nach den Regelungen über das Schiedsamtsverfahren gemäß § 89 SGB V abzuwickelnder Schlichtungs- bzw Klärungsbedarf bezüglich der "Anpassung der Vergütung" nach § 10 RGV für das Jahr 1992. Dieser ist nicht durch die 1991 und 1992 getroffenen Vergütungsvereinbarungen entfallen. Zwar sind zur Höhe des Punktwertes jeweils Regelungen getroffen worden. § 3 Abs 2 Satz 2 RGV bemaß den Betrag für den einzelnen EBM-Ä(O)-Punkt für das Jahr 1991 zunächst mit 6,1 Pfennig; er wurde dann in der Folgezeit vereinbarungsgemäß auf 7,0 Pfennig zum 1. Juli 1991, auf 7,7 Pfennig zum 1. Januar 1992 sowie auf 7,9 Pfennig zum 1. Juli 1992 erhöht. Daraus ist aber nicht zu entnehmen, dass damit zugleich ein fortbestehender Klärungsbedarf bzw die "Schiedsamtsfähigkeit" in Bezug auf eine mögliche Anpassung nach § 10 RGV zu verneinen war. Entscheidend ist vielmehr, dass Regelungen über die von den KKn für die ambulante ärztliche Versorgung insgesamt zu leistenden Geldbeträge nicht ausschließlich in § 3 Abs 2 RGV ("Gesamtvergütung") getroffen worden sind, sondern ebenfalls und mit gleichrangiger Verbindlichkeit in § 10 unter der Überschrift "Anpassung der Vergütung". Beide Bestimmungen stellen eng miteinander verzahnte Regelungen zur Vergütungshöhe dar, die nicht in einem Vorrang-/Nachrang- oder gar Exklusivitäts-Verhältnis stehen. Im Gegenteil enthält § 3 Abs 2 RGV im Zusammenhang mit der Bezeichnung des maßgeblichen Punktwerts ausdrücklich den Passus "unbeschadet der Regelungen zur Anpassung der Vergütung in § 10 dieses Vertrages". In gleicher Weise wird in § 10 Satz 3 RGV betont: "Der Punktwert von ... Pf bleibt unberührt". Ferner ist § 10 Satz 2 RGV zu entnehmen, dass eine Anpassung nicht etwa über ein Kündigungsverlangen des gesamten Vertrages zu realisieren ist; vielmehr werden " ... erforderlichenfalls auch innerhalb der Geltungsdauer dieses Vertrages Änderungen der vergütungsrechtlichen Vorschriften vereinbart ...". Zwar gibt es zu § 3 Abs 2 RGV ebenso wie zu § 10 RGV keine spezielle vertragliche Folgeregelung, nach deren Inhalt dann, wenn sich die Vertragsparteien nicht über den Punktwert einigen können, ein Schiedsamtsverfahren durchzuführen ist. Das Argument von der vermeintlich mangelnden Schiedsamtsfähigkeit des § 10 RGV trägt jedoch nicht, denn der RGV enthält keine die fortbestehende Schiedsamtsfähigkeit ggf ausschließenden Fristen über die spätestmögliche Geltendmachung eines Anpassungsverlangens nach § 10 RGV. Darüber hinaus hätte eine mangelnde Schiedsamtsfähigkeit jedem Begehren auf Punktwerterhöhung nach § 3 Abs 2 RGV entgegen gehalten werden müssen; dies ist in der vertraglichen Praxis von den Parteien allerdings anders gehandhabt worden.

10 RGV normiert insoweit auch keine bloße Verhandlungspflicht der Gesamtvertragsparteien, sondern eröffnet zugleich einen Anspruch desjenigen, der eine Anpassung der Gesamtvergütung verlangt, gegen den Beklagten auf inhaltliche Befassung mit dem Komplex in einem Schiedsamtsverfahren nach § 89 SGB V. Dieses ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 10 Satz 2 RGV (" ... werden erforderlichenfalls ... Änderungen der vergütungsrechtlichen Vorschriften vereinbart"). Dabei kann die Richtigkeit der Auffassung der Beigeladenen dahin stehen, dass ein "vertragsloser Zustand" iS von § 89 SGB V generell nicht vorliegen könne, wenn die Parteien eines Gesamtvertrages lediglich die Aufnahme von Vertragsverhandlungen vereinbart hätten und sich dann nicht einigten; jedenfalls die Regelungen des RGV können nur so verstanden werden, dass dieser Gesamtvertrag auch auf eine Einigung über das Maß der Anpassung der Vergütung abzielte. Zum einen handelt es sich bei der Frage der Vergütungshöhe um den zentralen Punkt eines Vergütungsgesamtvertrages und nicht um eine bloße abseits der wesentlichen Vertragsbestimmungen liegende und damit zu vernachlässigende Nebensächlichkeit, der beide Vertragsparteien geringe Aufmerksamkeit geschenkt hätten. Für das Verständnis, dass die Anpassungsregelung in § 10 RGV eine bedeutsame Regelung gewesen sein muss, sprechen vielmehr umgekehrt Sinn und Zweck der Regelung vor ihrem zeithistorischen Hintergrund, den schon die Klägerin dargestellt hat und der auch im Urteil des LSG angesprochen wird. Nach Inkrafttreten des SGB V in den neuen Bundesländern zum 1. Januar 1991 war der zu erwartende Leistungsbedarf für die ambulante ärztliche Versorgung - die in starkem Maße (übergangsweise) von den früheren Polikliniken, Fachambulanzen und besonderen ärztlich geleiteten Einrichtungen wahrgenommen wurde (§ 311 SGB V) und erst sukzessive auf das Kassen-/Vertragsarztsystem der alten Bundesländer umzustellen war - in hohem Maße unkalkulierbar. Es liegt auf der Hand, dass die Festlegung des Punktwertes für die ärztliche Behandlung auf 6,1 Pfennig als Ausgangsbetrag des Jahres 1991 in § 3 RGV damit mehr oder weniger ein "gegriffener", nicht auf repräsentativen Erfahrungen fußender Wert mit stark prognostischem Charakter war. Es bot sich daher an, zu Gunsten der Ärzte und ärztlich geleiteten Einrichtungen ein Korrektiv für die Vergütung vorzusehen, das auch noch nachträglich - nämlich nach Vorliegen der Auswertungen der Quartals- und Jahres-Abrechnungsergebnisse - wirksam werden konnte, wie es mit § 10 RGV geschah. Hierzu wurde auf den dort angesprochenen Orientierungswert des Anteils der Ausgaben für die ambulante ärztliche Behandlung an den gesamten KKn-Ausgaben zurückgegriffen. Dieser Wert hatte in den alten Bundesländern seit Jahren bei ca 18 % gelegen und wurde - was nicht unvertretbar erscheint - wegen der traditionell stärkeren Betonung der ambulanten Medizin in der DDR um 2 % erhöht. Andererseits zeigt die in § 10 Satz 1 RGV ebenfalls mit vorgegebene Orientierung an der gesamten Ausgabenbelastung der KKn, dass auch die Kostenträger keine unkalkulierbaren Risiken eingingen. Der Wortlaut des § 10 Satz 2 RGV belegt, dass es nicht nur um eine Regelung allein zu Gunsten der Ärzteschaft ging. Es werden nämlich "erforderlichenfalls ... Änderungen der vergütungsrechtlichen Vorschriften vereinbart" bzw ist "über eine Anpassung der Vergütungssätze zu verhandeln" für den Fall, "dass die Höhe der Gesamtvergütungen einen Anteil von 20 vH der ... Einnahmen der ... KKn nicht erreicht oder überschreitet". Hätte der Anteil der Ausgaben für die ambulante ärztliche Versorgung in den neuen Ländern also die 20 %-Grenze überstiegen, wären umgekehrt die KKn berechtigt gewesen, eine Anpassung der Vergütungshöhe iS einer Absenkung der Gesamtvergütung zu verlangen.

Die vorstehenden Erwägungen belegen, dass mit der Anpassungsklausel des § 10 RGV vor dem Hintergrund einer noch ungewissen Entwicklung ein Mechanismus geschaffen wurde, der es den Vertragspartnern ermöglichte, einvernehmlich flexibel auf die ungewisse Entwicklung der Gesamtvergütung zu reagieren. Dieser Mechanismus sollte bewusst auch noch im Nachhinein wirksam werden können, nämlich nach Vorliegen der Abrechnungsergebnisse der betroffenen Quartale. Die - für das Quartal IV/1991 auch entsprechend durch Vereinbarung einer Kopfpauschale von 2,75 DM je Mitglied umgesetzte - Anpassungsregelung macht angesichts der seinerzeit wechselseitig vorhandenen Unwägbarkeiten über die weitere Entwicklung in den neuen Bundesländern nur Sinn, wenn sie nicht lediglich als rechtsfolgenlose "Aufforderung zum Verhandeln" verstanden wird, sondern wenn man ihr zugleich einen Einigungsdruck unter Berücksichtigung der in § 10 RGV genannten Kriterien beimisst.

59 SGB X, der bei einem öffentlich-rechtlichen Vertrag ein Anpassungsbegehren wegen wesentlicher Änderung der Verhältnisse frühestens vom Zeitpunkt des Eingangs des Änderungsverlangens an ermöglicht (vgl Engelmann in: von Wulffen, SGB X, 4. Aufl 2001, § 59 RdNr 8 mwN; BVerwGE 97, 331, 342 f), steht einer in Betracht kommenden rückwirkenden Anpassung nach § 10 RGV für das Jahr 1992 nicht entgegen. Erstens lässt § 37 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) auch insoweit im Kassenarztrecht eine von den im SGB X allgemein geregelten Bestimmungen über den öffentlich-rechtlichen Vertrag abweichende Handhabung zu. In diesem Spezialgebiet stellt sich die Vertragswirklichkeit zudem häufig so dar, dass sich der konkrete Inhalt von Gesamtverträgen erst im Nachhinein, ggf sogar erst Jahre nach Ablauf der Vertragsdauer, ergibt (etwa weil Schiedssprüche zur sozialgerichtlichen Überprüfung gestellt werden oder weil die Frage der Vergütung von den Partnern gänzlich neu geregelt werden muss, nachdem sich eine Regelung nach dem Ergebnis solcher Prüfung als rechtswidrig erwiesen hat). Entscheidend ist, dass der konkret zu beurteilende (Gesamt-)Vertrag selbst Regelungen für den Fall der Änderung der Verhältnisse enthalten kann, denen dann nach dem Grundsatz der Spezialität Vorrang zukommt (s Engelmann, aaO, § 59 RdNr 4 unter Hinweis auf OVG Münster NVwZ 1991, 1106 f). So verhält es sich hier. Wenn nämlich § 10 RGV genaue Bedingungen dafür aufstellt, zu welchem Zeitpunkt ("nach Auswertung der Abrechnungsergebnisse des jeweiligen Abrechnungsquartals") und unter Berücksichtigung welcher Umstände die Anpassung der Gesamtvergütung in Betracht zu ziehen ist, handelt es sich dabei um Sonderregelungen, die den Anpassungsbedarf und die dafür maßgeblichen Kriterien konkretisieren und auch eine Anpassung mit Wirkung für die Vergangenheit ermöglichen wollen.

Die gesetzlichen Budgetierungsregelungen für die Jahre 1993 bis 1995 (§ 85 Abs 3a iVm 3b SGB V) schließen eine rückwirkende Anhebung der Gesamtvergütung jedenfalls für das Jahr 1992 für die neuen Bundesländer gleichermaßen nicht aus. Das beklagte Schiedsamt konnte nach dem RGV mit Rückwirkung inhaltlich über die Frage der Anpassung befinden. Dem steht nicht entgegen, dass nach Ablauf des streitigen Anpassungszeitraums (hier das Jahr 1992) zwischenzeitlich in den Folge-Vergütungs-Zeiträumen Vereinbarungen über die Gesamtvergütung ohne den Vorbehalt einer etwaigen Veränderung der ursprünglich festgelegten Gesamtvergütungssätze abgeschlossen worden waren. Es besagt jedenfalls nichts für die Gesamtvergütung des Jahres 1992 selbst, dass der Gesetzgeber in den genannten Vorschriften des SGB V für die Jahre 1993 bis 1995 - unter Zuhilfenahme der Ausgaben des Jahres 1992 als Basisjahr und Rechenelement - zwingende gesetzliche Anpassungsobergrenzen für die Höhe der Gesamtvergütung festgelegt hat. Dies könnte sich ohnehin allein auf das zur Verfügung stehende und zur Verteilung kommende ärztliche Honorarvolumen der (im vorliegenden Rechtsstreit nicht streitbefangenen) Folgejahre ab 1993 auswirken. In diesem Zusammenhang ist der von der Beigeladenen zu 1. - im Anschluss an eine im Land Brandenburg getroffene Schiedsamtsentscheidung - vertretenen Auffassung nicht zu folgen, wonach die Höhe der Gesamtvergütung selbst in dem Fall nachträglich nur durch den Gesetzgeber festgelegt werden könne, wenn die KKn sich einem Verhandlungsauftrag pflichtwidrig widersetzt haben. Dass der Bundesgesetzgeber ab 1993 Budgetierungen angeordnet hat, mit denen eine nachträgliche sockelrelevante Anhebung für 1992 unvereinbar wäre, ist keineswegs zwingend. Wäre dies zutreffend, hätten es die KKn in der Hand, durch obstruktives Vorgehen ein bestimmtes Vergütungsniveau zu zementieren, obwohl nichts dafür spricht, dass ihnen derart weit gehende Befugnisse zustehen könnten. Da die Situation einer nachträglichen Anhebung des Vergütungsniveaus - wie oben beschrieben - im Vertragsarztrecht nicht ungewöhnlich ist, liegt es näher, dass der Gesetzgeber eher umgekehrt gefordert wäre, eine zB erst weit nach Ablauf des Jahres 1992 in einem Rechtsstreit ergehende Entscheidung über die rechtmäßigerweise zu erhöhende Gesamtvergütung - mit oder ohne Sockelwirkung für die Folgejahre - explizit zu beseitigen, wenn sie sich nicht sockelwirksam auswirken soll. Jedes andere Ergebnis unterläge der Gefahr, als Aufforderung an die Beteiligten zum sanktionslosen Rechtsbruch missverstanden werden zu können.

Der Anspruch der Klägerin auf eine (mögliche) Anpassung der Gesamtvergütung für das Jahr 1992 ist auch nicht verwirkt. Insoweit fehlen für eine auf dem Rechtsgedanken des § 242 BGB aufbauende Rechtsinstitut der Verwirkung sowohl das Zeitmoment wie auch das Umstandsmoment (vgl dazu allgemein BSGE 47, 194, 196 ff = SozR 2200 § 1399 Nr 11 S 15; BSGE 80, 41, 43 = SozR 3-2200 § 1303 Nr 6 S 17 f). Hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass die Beigeladenen von einem bestimmten Zeitpunkt an nicht mehr mit einem Anpassungsverlangen der Klägerin nach § 10 RGV rechnen mussten, bzw, dass das im Klagewege unter Anrufung des beklagten Schiedsamts verfolgte Anpassungsverlangen illoyal verspätet war, bestehen nicht. So erfolgte auch die noch einvernehmlich vorgenommene Anpassung der Gesamtvergütung für das Quartal IV/1991 erst Ende 1992, also mehr als ein Jahr nach Beginn dieses Zeitraums. Wenn daher nach den Vorstellungen der Klägerin bzw der KÄBV die Gesamtvergütung für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 1992 angehoben werden sollte, war es - auch mit Rücksicht auf das Fehlen vertraglicher Ausschlussfristen im RGV - nach der zuvor geübten Vertragspraxis noch nicht verspätet, wenn die (noch für die Festlegung der Gesamtvergütung/Ost des Jahres 1992 zuständige) KÄBV erst Ende 1993/Anfang 1994 auf Bundesebene eine Anpassung nach § 10 RGV für 1992 einforderte. Nach den Feststellungen des LSG haben die KÄBV bzw die Klägerin auch in der Folgezeit ihren Vertragspartnern gegenüber - ua durch Anrufung der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit - deutlich gemacht, dass sie an ihrer Auffassung über die Anpassungspflicht bzw jedenfalls die Pflicht zum Tätigwerden des Beklagten festhielten. Unbeschadet dessen ist ein Umstandsmoment zu verneinen, weil das bloße Schweigen der Klägerin zur Anpassung nach § 10 RGV dem Beklagten bzw den Beigeladenen bei verständiger Würdigung nicht den Eindruck vermitteln konnte, der Anpassungsanspruch werde nicht mehr weiter verfolgt.

Die vorstehenden, von der Pflicht des Beklagten zur inhaltlichen Befassung mit dem Anpassungsbegehren der Klägerin getragenen Ausführungen stehen in Einklang mit dem Verständnis von der Funktion des Schiedsverfahrens, wie sie in der Rechtsprechung des Senats wiederholt hervorgehoben worden ist. So ist die sachliche Zuständigkeit von Schiedsämtern mit Rücksicht darauf, dass es ihnen obliegt, zur Wahrung des sozialen Friedens zwischen Ärzten und KKn beizutragen und Konfliktsituationen zu beseitigen (vgl zB Hess in Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 89 SGB V RdNr 3), nicht eng, sondern im Zweifel erweiternd auszulegen. Schiedsamtsfähig sind daher zB auch im Zusammenhang mit einem Streitgegenstand anfallende Nebenfragen wie der Streit über die Kosten des Verfahrens (BSGE 61, 146, 147 = SozR 2200 § 368h Nr 4 S 8 f; zur generell streitschlichtenden Funktion des Schiedsamtsverfahrens vgl bereits BSGE 20, 73, 76 = SozR Nr 1 zu § 368h RVO sowie BSGE 86, 126, 131 f = SozR 3-2500 § 85 Nr 37 S 292) oder darüber, ob und in welchem Umfang eine Partei Anspruch auf Honorareinbehalte als Konsequenz allgemein vereinbarter gesamtvertraglicher Regelungen hat (vgl BSG SozR Nr 1 zu § 26 BMV-Zahnärzte).

Die sich nach alledem ergebende Pflicht des Beklagten zum Tätigwerden hinsichtlich der Anpassung der Gesamtvergütung des Jahres 1992 in einem förmlichen Schiedsverfahren bedeutet nicht, dass damit zugleich feststeht, dass der Klägerin ein konkreter, sich in Ausgleichszahlungen niederschlagender Anspruch auf Erhöhung des finanziellen Volumens, etwa - wie für das Quartal IV/1991 erfolgt - in Form einer Kopfpauschale, zustünde. Denn da nach § 10 Satz 1 RGV bei der Auswertung der Abrechnungsergebnisse auch deren "Auswirkungen auf die ... Ausgabenbelastung der am Gesamtvertrag beteiligten KKn" zu "prüfen" sind, ist denkbar, dass "Änderungen der vergütungsrechtlichen Vorschriften" iS von Satz 2 aaO nach sachgerechter Abwägung der genannten Kriterien in einem ggf erforderlich werdenden Schiedsspruch auch in anderer Weise getroffen oder gänzlich verneint werden; nur der ausgehandelte bzw festgesetzte nominelle Punktwert bleibt dabei unberührt (§ 10 Satz 3 RGV). Darüber hinaus stünde nicht schon fest, ob ein ggf für das Jahr 1992 vom Beklagten in seinem Schiedsspruch festgelegter Anpassungsanspruch auch den dann maßgeblichen Sockelbetrag für gebotene Veränderungen der Gesamtvergütung in den neuen Bundesländern in den Jahren 1993 bis 2003 beeinflussen könnte. Insoweit wäre insbesondere zu prüfen, ob die Vergütungsvereinbarungen, die die Gesamtvertragsparteien in Mecklenburg-Vorpommern für die Zeit ab 1. Januar 1993 auf Landesebene geschlossen haben, die vorliegend noch einschlägigen Regelungen des RGV ggf nicht sogar ganz oder teilweise abgelöst haben (vgl Art 33 § 7 Abs 1 GSG).

Die zu Lasten der Revisionsführer als Bruchteilsschuldner ergehende Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 und 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in der bis zum Inkrafttreten des 6. SGG-Änderungsgesetzes am 2. Januar 2002 geltenden, hier noch anzuwendenden Fassung (vgl Urteil des Senats vom 30. Januar 2002 - SozR 3-2500 § 116 Nr 24 S 115 ff).
Rechtskraft
Aus
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