Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Münster (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
12
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 12 AY 13/13 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern vorläufig für die Zeit ab Eingang des Antrags bei Gericht am 28.01.2013 bis zum 31.03.2013 Leistungen gem. § 3 Abs. 1 und 2 AsylbLG unter Anrechnung der bislang gewährten Leistungen in ungekürzter Höhe zu gewähren. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt. Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller zu 1/6.
Gründe:
Der Antrag der Antragsteller,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihnen bis zum Abschluss ihres Klageverfahrens (S 12 AY 14/13) ungekürzte Leistungen gem. § 3 AsylbLG zu gewähren,
hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
Gem. § 86 b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Danach setzt der Erlass einer einstweiligen Anordnung voraus, dass der geltend gemachte Hilfeanspruch (Anordnungsanspruch) und die besonderen Gründe für die Notwendigkeit einer vorläufigen Entscheidung des Gerichts über diesen Hilfeanspruch (Anordnungsgrund) dargelegt und glaubhaft gemacht werden.
Soweit es den Antragstellern um die zeitlich unbegrenzte Gewährung ungekürzter Leistungen gem. § 3 AsylbLG geht, fehlt es an der Erforderlichkeit einer einstweiligen Regelungsanordnung. Denn zum einen haben die Antragsteller die Möglichkeit, jederzeit wieder einen Antrag auf die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu stellen, sollte die Antragsgegnerin nach Ablauf des Monats März 2013 den Antragstellern wiederum gekürzte Leistungen gewähren. Zum anderen ist derzeit überhaupt nicht absehbar, ob die Antragsteller bis zum Abschluss des Klageverfahrens noch hilfebedürftig sein werden, bzw. wie lange ihre Hilfebedürftigkeit anhält.
Im Übrigen liegen die Voraussetzungen für den Erlass der beantragten Regelungsanordnung vor. Rechtsgrundlage für die Kürzungen der Leistungen der Antragsteller ist die Regelung des § 1 a Nr. 1 AsylbLG. Danach erhalten Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 und 5 (geduldete und vollziehbar ausreisepflichtige Antragsteller) sowie ihre Familienangehörigen nach § 1 Abs. 1 Nr. 6, die sich in den Geltungsbereich dieses Gesetzes begeben haben, um Leistungen nach diesem Gesetz zu erlangen, Leistungen nach diesem Gesetz nur, soweit dies im Einzelfall nach den Umständen unabweisbar geboten ist. Die Antragsteller gehören dem genannten Personenkreis an, weil sie lediglich über Duldungen verfügen.
Nach derzeitigem Akteninhalt geht das Gericht auch davon aus, dass prägend für die Wiedereinreise der Antragsteller und ihrer Familienangehörigen die Absicht war, hier staatliche Unterstützungsleistungen in Anspruch zu nehmen. Die Antragsteller kehrten Anfang Dezember 2003 nach einem ca. 4 monatigen Aufenthalt in Frankreich wieder in die Bundesrepublik Deutschland zurück, um hier staatliche Unterstützungsleistungen in Anspruch zu nehmen. So gaben die Antragsteller nach ihrer Wiedereinreise in die Bundesrepublik Deutschland, nachdem sie zunächst behauptet hatten, sich zwischenzeitlich in Jugoslawien aufgehalten zu haben, an, sie seien in Frankreich gewesen. Sie seien von dort zurückgekehrt, weil die Verhältnisse in Deutschland wesentlich besser als in Frankreich seien. Die Zustände im Wohnheim seien sehr schlecht gewesen. Sie hätten auch nur im letzten Monat ihres Aufenthalts pro erwachsene Person 200 EUR bekommen. Mit ihrer Antragsschrift bestätigen die Antragsteller dieses Vorbingen. Denn darin führen sie aus, sie hätten in Frankreich "keine Perspektive" gehabt, ihnen sei faktisch insbesondere der Zugang zur medizinischen Versorgung verwehrt geblieben. Auf eine solche Versorgung sei aber insbesondere der Sohn des Antragstellers zu 1. I., dem mittlerweile eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG erteilt wurde, angewiesen gewesen.
Ausgehend hiervon liegen im Fall der Antragsteller nach dem Wortlaut des § 1 a Nr. 1 AsylbLG die Voraussetzungen der Beschränkung der Leistungen auf das unabweisbar Gebotene vor. Eine derartige Beschränkung der Leistungen hält das Gericht auch grundsätzlich für möglich (vgl. Beschluss vom 27.02.2013, S 12 AY 11/13 ER).
Gleichwohl geht das Gericht in diesem Einzelfall von der Rechtswidrigkeit einer weiteren Kürzung der Leistungen gem. § 1 a Nr. 1 AsylbLG aus. Denn § 1 a Nr. 1 AsylbLG ist unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes einschränkend auszulegen.
Nach dem Wortlaut des § 1 a Nr. 1 AsylbLG erhalten von dieser Vorschrift betroffene Leistungsberechtigte die unabweisbar gebotene Hilfe, solange sie sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Eine zeitliche Begrenzung des Anwendungsbereichs des § 1 a Nr. 1 AsylbLG sieht das Gesetz nicht vor. Die Antragsteller haben aber bereits über einen Leistungszeitraum von insgesamt nahezu 8 Jahren gekürzte Leistungen nach § 1 a Nr. 1 AsylbLG erhalten.
Die Antragsgegnerin gewährte den Antragstellern und ihren Familienangehörigen, bis auf dem in der Bundesrepublik Deutschland geborenen Sohn T., nämlich seit ihrer Wiedereinreise aus Frankreich, d.h. seit Dezember 2003 bis zum 28.02.2011 um das Taschengeld nach § 3 Abs. 1 AsylbLG gekürzte Leistungen. Ab dem 01.03.2011 waren die Antragsteller und ihre Familienangehörigen nicht auf die Gewährung von Leistungen angewiesen, weil der Antragsteller zu 1 und seine Ehefrau eine Erwerbstätigkeit aufgenommen hatten. Seit September 2012 erhalten die Antragsteller wieder gem. § 1 a Nr. 1 AsylbLG gekürzte Leistungen.
Es ist bereits diskussionswürdig, ob § 1 a Nr. 1 AsylbLG unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht dahingehend ausgelegt werden muss, dass diese Regelung über eine bestimmte Dauer des Aufenthalts in der Bundesrepublik bzw. des Kürzungszeitraums hinaus in verfassungskonformer Auslegung nicht anwendbar ist. Denn das Bundesverfassungsgericht macht in seinem Urteil vom 18.07.2012, 1 BvL 10/10 und 1 BvL 2/11, deutlich, dass migrationspolitische Erwägungen für sich gesehen jedenfalls keine Absenkung der Leistungen unterhalb des verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimums möglich machen (vgl. Randziffer 121). Auch wenn das Gericht hierzu vertritt, dass das durch das Bundesverfassungsgericht in der zitierten Entscheidung festgelegte Maß der Leistungen nach § 3 AsylbLG oberhalb der Leistungen liegt, die zur Deckung des unmittelbar durch die Verfassung selbst garantierten Existenzminimums notwendig sind (vgl. dazu: Beschluss des Gerichts vom 27.02.2013, S 12 AY 11/13 ER), bedeutet dies nicht, dass Leistungen in Höhe des verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimums, die noch unterhalb des sozialhilferechtlichen Niveaus für andere Leistungsempfänger liegen, auf Dauer verfassungskonform wären. Vielmehr lässt sich aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ablesen, dass das Bundesverfassungsgericht eine Gleichstellung der Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG mit den übrigen in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Leistungsberechtigten nach dem SGB II und SGB XII jedenfalls für den Fall anstrebt, dass die Dauer des Aufenthalts der Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG die Dauer eines Kurzaufenthaltes überschreitet (vgl. u.a. Randziffer 102).
Ausgehend hiervon ist der jahrelange gekürzte Bezug von Leistungen jedenfalls vor dem Hintergrund verfassungsrechtlich bedenklich, dass die von der Leistungskürzung nach § 1 a Nr. 1 AsylbLG Betroffenen es nicht in der Hand haben, durch eigenes Verhalten die Gewährung ungekürzter Leistungen herbeizuführen. Solange sie geduldet sind oder vollziehbar ausreisepflichtig, bleibt es bei der Gewährung der unabweisbar gebotenen Leistungen. Da § 1 a Nr. 1 AsylbLG eine Sanktionsvorschrift ist, mag dies hinnehmbar sein, solange die Betroffenen aus von ihnen zu vertretenden Gründen nicht abgeschoben werden können bzw. solange sie zumindest freiwillig ausreisen können. § 1 a Nr. 1 AsylbLG erfasst allerdings nicht nur Ausländer, die vollziehbar ausreisepflichtig sind und dieser Ausreisepflicht nicht nachkommen, und auch nicht nur Ausländer, die aus von ihnen zu vertretenden Gründen in der Bundesrepublik Deutschland verbleiben, etwa weil sie nicht bei der Passbeschaffung mitwirken. Vielmehr werden von dieser Vorschrift auch Ausländer erfasst, die aus von ihnen nicht zu vertretenden Gründen in der Bundesrepublik Deutschland bleiben. Dazu gehören z.B. Personen, die wegen der Regelung des § 60 a Abs. 2 b AufenthG geduldet werden. Danach wird die Abschiebung der Eltern oder des allein sorgeberechtigten Elternteils und der mit ihnen bzw. ihm zusammenlebenden minderjährigen Kinder ausgesetzt, wenn einem Kind der Eltern oder des Elternteils eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 a AufenthG erteilt wird.
Zusammenfassend legt das Gericht die Regelung des § 1 a Nr. 1 AsylbLG unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und der in der oben genannten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Ausdruck kommenden verfassungsrechtlichen Grundsätze der Leistungsgewährung an Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG dahingehend aus, dass Leistungskürzungen nach dieser Vorschrift jedenfalls dann nicht mehr zulässig sind, wenn diese über längere Zeit andauern und die davon betroffenen Personen mittlerweile aus von ihnen nicht (mehr) zu vertretenden Gründen in der Bundesrepublik Deutschland geduldet werden. Denn in solchen Fällen ist der Absicht des Gesetzgebers, die Einreisemotive der Betroffenen zu sanktionieren, hinreichend genüge getan. Ferner kann die Gewährung abgesenkter Leistungen dann auch faktisch nicht mehr die Bereitschaft zur freiwilligen Ausreise fördern. Der Gesetzeszweck des § 1 a Nr. 1 AsylbLG ist in solchen Fällen also erreicht bzw. kann nicht mehr erreicht werden. Dann aber erweisen sich weitere Kürzungen des Lebensunterhalts als unverhältnismäßig.
Ausgehend von diesen Grundsätzen haben die Antragsteller einen Anspruch auf die Gewährung ungekürzter Leistungen gem. § 3 Abs. 1 und 2 AsylbLG. Dem Sohn I. des Antragstellers zu 1. wurde wegen der Feststellung von Abschiebungshindernissen durch den Bescheid des Bundesamtes für Migration und ausländische Flüchtlinge vom 18.04.2012 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG erteilt. Die Ehefrau des Antragstellers erhielt deshalb eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG. Die Antragsteller dieses Verfahrens werden nach wie vor geduldet, wobei Duldungsgrund nunmehr sein dürfte, dass sie wegen der dem Sohn des Antragstellers zu 1. und dessen Ehefrau erteilten Aufenthaltstitel zur Zeit nicht abgeschoben werden dürfen. Die Antragsteller halten sich also seit der Erteilung der Aufenthaltstitel an den Sohn des Antragstellers zu 1. und dessen Ehefrau aus von ihnen nicht mehr zu vertretenden Gründen in der Bundesrepublik Deutschland auf.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe:
Der Antrag der Antragsteller,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihnen bis zum Abschluss ihres Klageverfahrens (S 12 AY 14/13) ungekürzte Leistungen gem. § 3 AsylbLG zu gewähren,
hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
Gem. § 86 b Abs. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Danach setzt der Erlass einer einstweiligen Anordnung voraus, dass der geltend gemachte Hilfeanspruch (Anordnungsanspruch) und die besonderen Gründe für die Notwendigkeit einer vorläufigen Entscheidung des Gerichts über diesen Hilfeanspruch (Anordnungsgrund) dargelegt und glaubhaft gemacht werden.
Soweit es den Antragstellern um die zeitlich unbegrenzte Gewährung ungekürzter Leistungen gem. § 3 AsylbLG geht, fehlt es an der Erforderlichkeit einer einstweiligen Regelungsanordnung. Denn zum einen haben die Antragsteller die Möglichkeit, jederzeit wieder einen Antrag auf die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu stellen, sollte die Antragsgegnerin nach Ablauf des Monats März 2013 den Antragstellern wiederum gekürzte Leistungen gewähren. Zum anderen ist derzeit überhaupt nicht absehbar, ob die Antragsteller bis zum Abschluss des Klageverfahrens noch hilfebedürftig sein werden, bzw. wie lange ihre Hilfebedürftigkeit anhält.
Im Übrigen liegen die Voraussetzungen für den Erlass der beantragten Regelungsanordnung vor. Rechtsgrundlage für die Kürzungen der Leistungen der Antragsteller ist die Regelung des § 1 a Nr. 1 AsylbLG. Danach erhalten Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 und 5 (geduldete und vollziehbar ausreisepflichtige Antragsteller) sowie ihre Familienangehörigen nach § 1 Abs. 1 Nr. 6, die sich in den Geltungsbereich dieses Gesetzes begeben haben, um Leistungen nach diesem Gesetz zu erlangen, Leistungen nach diesem Gesetz nur, soweit dies im Einzelfall nach den Umständen unabweisbar geboten ist. Die Antragsteller gehören dem genannten Personenkreis an, weil sie lediglich über Duldungen verfügen.
Nach derzeitigem Akteninhalt geht das Gericht auch davon aus, dass prägend für die Wiedereinreise der Antragsteller und ihrer Familienangehörigen die Absicht war, hier staatliche Unterstützungsleistungen in Anspruch zu nehmen. Die Antragsteller kehrten Anfang Dezember 2003 nach einem ca. 4 monatigen Aufenthalt in Frankreich wieder in die Bundesrepublik Deutschland zurück, um hier staatliche Unterstützungsleistungen in Anspruch zu nehmen. So gaben die Antragsteller nach ihrer Wiedereinreise in die Bundesrepublik Deutschland, nachdem sie zunächst behauptet hatten, sich zwischenzeitlich in Jugoslawien aufgehalten zu haben, an, sie seien in Frankreich gewesen. Sie seien von dort zurückgekehrt, weil die Verhältnisse in Deutschland wesentlich besser als in Frankreich seien. Die Zustände im Wohnheim seien sehr schlecht gewesen. Sie hätten auch nur im letzten Monat ihres Aufenthalts pro erwachsene Person 200 EUR bekommen. Mit ihrer Antragsschrift bestätigen die Antragsteller dieses Vorbingen. Denn darin führen sie aus, sie hätten in Frankreich "keine Perspektive" gehabt, ihnen sei faktisch insbesondere der Zugang zur medizinischen Versorgung verwehrt geblieben. Auf eine solche Versorgung sei aber insbesondere der Sohn des Antragstellers zu 1. I., dem mittlerweile eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG erteilt wurde, angewiesen gewesen.
Ausgehend hiervon liegen im Fall der Antragsteller nach dem Wortlaut des § 1 a Nr. 1 AsylbLG die Voraussetzungen der Beschränkung der Leistungen auf das unabweisbar Gebotene vor. Eine derartige Beschränkung der Leistungen hält das Gericht auch grundsätzlich für möglich (vgl. Beschluss vom 27.02.2013, S 12 AY 11/13 ER).
Gleichwohl geht das Gericht in diesem Einzelfall von der Rechtswidrigkeit einer weiteren Kürzung der Leistungen gem. § 1 a Nr. 1 AsylbLG aus. Denn § 1 a Nr. 1 AsylbLG ist unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes einschränkend auszulegen.
Nach dem Wortlaut des § 1 a Nr. 1 AsylbLG erhalten von dieser Vorschrift betroffene Leistungsberechtigte die unabweisbar gebotene Hilfe, solange sie sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Eine zeitliche Begrenzung des Anwendungsbereichs des § 1 a Nr. 1 AsylbLG sieht das Gesetz nicht vor. Die Antragsteller haben aber bereits über einen Leistungszeitraum von insgesamt nahezu 8 Jahren gekürzte Leistungen nach § 1 a Nr. 1 AsylbLG erhalten.
Die Antragsgegnerin gewährte den Antragstellern und ihren Familienangehörigen, bis auf dem in der Bundesrepublik Deutschland geborenen Sohn T., nämlich seit ihrer Wiedereinreise aus Frankreich, d.h. seit Dezember 2003 bis zum 28.02.2011 um das Taschengeld nach § 3 Abs. 1 AsylbLG gekürzte Leistungen. Ab dem 01.03.2011 waren die Antragsteller und ihre Familienangehörigen nicht auf die Gewährung von Leistungen angewiesen, weil der Antragsteller zu 1 und seine Ehefrau eine Erwerbstätigkeit aufgenommen hatten. Seit September 2012 erhalten die Antragsteller wieder gem. § 1 a Nr. 1 AsylbLG gekürzte Leistungen.
Es ist bereits diskussionswürdig, ob § 1 a Nr. 1 AsylbLG unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht dahingehend ausgelegt werden muss, dass diese Regelung über eine bestimmte Dauer des Aufenthalts in der Bundesrepublik bzw. des Kürzungszeitraums hinaus in verfassungskonformer Auslegung nicht anwendbar ist. Denn das Bundesverfassungsgericht macht in seinem Urteil vom 18.07.2012, 1 BvL 10/10 und 1 BvL 2/11, deutlich, dass migrationspolitische Erwägungen für sich gesehen jedenfalls keine Absenkung der Leistungen unterhalb des verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimums möglich machen (vgl. Randziffer 121). Auch wenn das Gericht hierzu vertritt, dass das durch das Bundesverfassungsgericht in der zitierten Entscheidung festgelegte Maß der Leistungen nach § 3 AsylbLG oberhalb der Leistungen liegt, die zur Deckung des unmittelbar durch die Verfassung selbst garantierten Existenzminimums notwendig sind (vgl. dazu: Beschluss des Gerichts vom 27.02.2013, S 12 AY 11/13 ER), bedeutet dies nicht, dass Leistungen in Höhe des verfassungsrechtlich garantierten Existenzminimums, die noch unterhalb des sozialhilferechtlichen Niveaus für andere Leistungsempfänger liegen, auf Dauer verfassungskonform wären. Vielmehr lässt sich aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ablesen, dass das Bundesverfassungsgericht eine Gleichstellung der Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG mit den übrigen in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Leistungsberechtigten nach dem SGB II und SGB XII jedenfalls für den Fall anstrebt, dass die Dauer des Aufenthalts der Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG die Dauer eines Kurzaufenthaltes überschreitet (vgl. u.a. Randziffer 102).
Ausgehend hiervon ist der jahrelange gekürzte Bezug von Leistungen jedenfalls vor dem Hintergrund verfassungsrechtlich bedenklich, dass die von der Leistungskürzung nach § 1 a Nr. 1 AsylbLG Betroffenen es nicht in der Hand haben, durch eigenes Verhalten die Gewährung ungekürzter Leistungen herbeizuführen. Solange sie geduldet sind oder vollziehbar ausreisepflichtig, bleibt es bei der Gewährung der unabweisbar gebotenen Leistungen. Da § 1 a Nr. 1 AsylbLG eine Sanktionsvorschrift ist, mag dies hinnehmbar sein, solange die Betroffenen aus von ihnen zu vertretenden Gründen nicht abgeschoben werden können bzw. solange sie zumindest freiwillig ausreisen können. § 1 a Nr. 1 AsylbLG erfasst allerdings nicht nur Ausländer, die vollziehbar ausreisepflichtig sind und dieser Ausreisepflicht nicht nachkommen, und auch nicht nur Ausländer, die aus von ihnen zu vertretenden Gründen in der Bundesrepublik Deutschland verbleiben, etwa weil sie nicht bei der Passbeschaffung mitwirken. Vielmehr werden von dieser Vorschrift auch Ausländer erfasst, die aus von ihnen nicht zu vertretenden Gründen in der Bundesrepublik Deutschland bleiben. Dazu gehören z.B. Personen, die wegen der Regelung des § 60 a Abs. 2 b AufenthG geduldet werden. Danach wird die Abschiebung der Eltern oder des allein sorgeberechtigten Elternteils und der mit ihnen bzw. ihm zusammenlebenden minderjährigen Kinder ausgesetzt, wenn einem Kind der Eltern oder des Elternteils eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 a AufenthG erteilt wird.
Zusammenfassend legt das Gericht die Regelung des § 1 a Nr. 1 AsylbLG unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und der in der oben genannten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Ausdruck kommenden verfassungsrechtlichen Grundsätze der Leistungsgewährung an Leistungsberechtigte nach dem AsylbLG dahingehend aus, dass Leistungskürzungen nach dieser Vorschrift jedenfalls dann nicht mehr zulässig sind, wenn diese über längere Zeit andauern und die davon betroffenen Personen mittlerweile aus von ihnen nicht (mehr) zu vertretenden Gründen in der Bundesrepublik Deutschland geduldet werden. Denn in solchen Fällen ist der Absicht des Gesetzgebers, die Einreisemotive der Betroffenen zu sanktionieren, hinreichend genüge getan. Ferner kann die Gewährung abgesenkter Leistungen dann auch faktisch nicht mehr die Bereitschaft zur freiwilligen Ausreise fördern. Der Gesetzeszweck des § 1 a Nr. 1 AsylbLG ist in solchen Fällen also erreicht bzw. kann nicht mehr erreicht werden. Dann aber erweisen sich weitere Kürzungen des Lebensunterhalts als unverhältnismäßig.
Ausgehend von diesen Grundsätzen haben die Antragsteller einen Anspruch auf die Gewährung ungekürzter Leistungen gem. § 3 Abs. 1 und 2 AsylbLG. Dem Sohn I. des Antragstellers zu 1. wurde wegen der Feststellung von Abschiebungshindernissen durch den Bescheid des Bundesamtes für Migration und ausländische Flüchtlinge vom 18.04.2012 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG erteilt. Die Ehefrau des Antragstellers erhielt deshalb eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG. Die Antragsteller dieses Verfahrens werden nach wie vor geduldet, wobei Duldungsgrund nunmehr sein dürfte, dass sie wegen der dem Sohn des Antragstellers zu 1. und dessen Ehefrau erteilten Aufenthaltstitel zur Zeit nicht abgeschoben werden dürfen. Die Antragsteller halten sich also seit der Erteilung der Aufenthaltstitel an den Sohn des Antragstellers zu 1. und dessen Ehefrau aus von ihnen nicht mehr zu vertretenden Gründen in der Bundesrepublik Deutschland auf.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Login
NRW
Saved