L 9 SO 34/13 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
9
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 19 SO 86/12
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 9 SO 34/13 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Zur Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten gemäß § 63 Abs. 2 SGB X.
Die Beschwerde der Kläger gegen den Beschluss des Sozialgerichts Aachen vom 14.12.2012 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde der Kläger ist nicht begründet. Das Sozialgericht (SG) hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts für die gegen den Bescheid vom 04.11.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.03.2012, gerichtete Klage, mit der die Kläger in der Sache die Verpflichtung der Beklagten begehren, die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für die die Übernahme der tatsächlichen Unterkunftskosten ab dem 01.01.2005 betreffenden Widerspruchsverfahren für notwendig zu erklären (§ 63 Abs. 3 Satz 2 i.V.m. Abs. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X)), zu Recht abgelehnt, weil die Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg verspricht (§ 73a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 114 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO)). Der Senat schließt sich den zutreffenden Ausführungen des SG in dem angefochtenen Beschluss an und nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf sie Bezug (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG).

Das Beschwerdevorbringen führt zu keiner anderen Bewertung. Soweit die Kläger darauf verweisen, es sei ihr gutes Recht, einen Anwalt zu beauftragen, verkennen sie, dass die Ausübung dieses Rechts nicht zwangsläufig dazu führt, dass die Beklagte die Kosten für die anwaltliche Vertretung im Widerspruchsverfahren zu übernehmen hat. Dies hängt vielmehr nach § 63 Abs. 2 SGB X davon ab, ob die Zuziehung eines Bevollmächtigten in den betreffenden Widerspruchsverfahren notwendig war. Dies hat das SG zu Recht verneint.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Beratungshilferecht sowie zur Erforderlichkeit der Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen der Prozesskostenhilfe nach § 121 Abs. 2 ZPO ist die Übernahme der Kosten für eine anwaltliche Beratung oder Vertretung aus den Mitteln der Beratungs- oder Prozesskostenhilfe nicht geboten,

- wenn und solange das Betreiben eines Verfahrens im Hinblick darauf, dass dieselbe Rechtsfrage bereits Gegenstand eines (unechten) Musterverfahrens ist, zurückgestellt werden kann (BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 18.11.2009 - 1 BvR 2455/08 -, juris Rn. 10 f.),

- wenn bei offensichtlich parallelen Fallgestaltungen die in dem einen Fall durch eigene Prozessführung erworbenen oder deutlich gemachten Rechtskenntnisse oder die in dem einen Fall erhaltene anwaltliche Beratung ohne wesentliche Hindernisse und wesentliche Änderungen auf die weiteren Fälle übertragen werden können (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 02.09.2010 - 1 BvR 1974/08 -, juris Rn. 15 ff.; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 30.05.2011 - 1 BvR 3151/10 -, juris Rn. 12, 16; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 08.02.2012 - 1 BvR 1120/11 u.a. -, juris Rn. 13),

- wenn sich der Betroffen durch Bitte der Behörde um Erläuterung der Rechtslage oder Aufklärung des Sachverhalts selbst helfen kann (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 15.07.2010 - 1 BvR 2681/09 -, juris Rn. 10; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 19.08.2010 - 1 BvR 1179/09 -, juris Rn. 17) oder

- wenn die anwaltliche Hilfe verfrüht in Anspruch genommen wird (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 09.01.2012 - 1 BvR 2852/11 -, juris Rn. 11 f.).

Diese Grundsätze können auf die Prüfung, ob die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Sinne von § 63 Abs. 2 SGB X notwendig ist, übertragen werden, denn sowohl nach § 63 Abs. 2 SGB X als auch nach dem den genannten Entscheidungen zugrunde liegenden verfassungsrechtlichen Maßstab des Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 und 3 GG (sog. Grundsatz der Rechtsschutzgleichheit) kommt es darauf an, ob ein vernünftiger, kostenbewusster Rechtsschutzsuchender anwaltliche Hilfe in Anspruch nehmen würde (vgl. zur Parallelität zwischen § 63 SGB X und dem Beratungshilferecht auch BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 11.05.2009 - 1 BvR 1517/08 -, juris Rn. 30; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 07.02.2012 - 1 BvR 804/11 -, juris Rn. 13). Danach war die Zuziehung eines Bevollmächtigten für die die Leistungen für Unterkunft und Heizung ab dem 01.01.2005 betreffenden Widerspruchsverfahren zu keinem Zeitpunkt notwendig.

Die Entscheidung über diese Widersprüche war zunächst im Hinblick auf das den Zeitraum vom 10.07.2004 bis zum 31.12.2004 betreffende Klageverfahren im Einvernehmen der Beteiligten zurückgestellt worden. Wegen der offensichtlich parallelen Fallgestaltung bedurfte es in diesen Widerspruchsverfahren jedenfalls solange keiner anwaltlichen Vertretung, wie das (unechte) Musterverfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen war. Da das Urteil des LSG vom 26.05.2010 - L 12 (20) SO 37/07 - erst am 05.07.2010 bzw. 08.07.2010 zugestellt worden ist und die Frist zur Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde nach § 160a Abs. 1 Satz 2 SGG einen Monat beträgt, konnte der Grund für das Zurückstellen der Entscheidung über die Widersprüche betreffend den Zeitraum ab dem 01.01.2005 frühestens am 05.08.2010 entfallen. Vor diesem Hintergrund erfolgte die Beauftragung des Prozessbevollmächtigten im Juli 2010 verfrüht. Dies gilt umso mehr, als die Beklagte bereits am 16.07.2010 die Gemeinde T angewiesen hatte, das Urteil des LSG auch für die Zeit ab dem 01.01.2005 umzusetzen. Die Beauftragung eines Rechtsanwalts war daher auch objektiv aus Rechtsschutzgründen nicht nötig.

Soweit die Kläger auf ihr Alter und ihre körperlichen Einschränkungen sowie darauf verweisen, dass sie mit der Situation völlig überfordert gewesen und von weiteren notwendigen Rechtsstreitigkeiten ausgegangen seien, führt dies zu keiner anderen Bewertung. Es war den Klägern zumutbar, sich vor der Beauftragung eines Rechtsanwalts in den nach wie vor ruhenden Widerspruchsverfahren bei der Beklagte nach dem Sachstand zu erkundigen und diese um Stellungnahme zu bitten, ob sie die Entscheidung des LSG auch für die Zeit ab dem 01.01.2005 umsetzt. Hätten sie von dieser zumutbaren Selbsthilfemöglichkeit Gebrauch gemacht, hätten sie zeitnah erfahren, dass die anhängigen Widerspruchsverfahren auf der Basis der Entscheidung des LSG erledigt werden konnten und weitere Rechtsstreitigkeiten insoweit nicht zu befürchten waren. Dass den Klägern eine entsprechende, u.U. auch telefonische Kontaktaufnahme mit der Beklagten nicht möglich oder nicht zumutbar gewesen sein soll, ist nicht ansatzweise ersichtlich, zumal die Kläger offensichtlich in der Lage waren, ihren Prozessbevollmächtigten zu kontaktieren. Die Notwendigkeit einer anwaltlichen Beratung ist deshalb auch unabhängig davon, dass das (unechte) Musterverfahren im Zeitpunkt der Beauftragung des Prozessbevollmächtigten noch nicht rechtskräftig abgeschlossen war, nicht erkennbar.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht erstattungsfähig (§ 73a SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved