L 11 KR 4024/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 5 KR 2582/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 4024/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 11.08.2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die volle Übernahme der tatsächlichen Kosten für eine 2009 erfolgte Eingliederung von Zahnersatz.

Die 1990 geborene Klägerin ist bei der Beklagten familienversichert. Sie leidet an einer angeborenen doppelseitigen Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte mit Nichtanlage der Zähne 15, 14, 12-22, 25, 48, 44, 34, 38 und Zapfenzähnen 43-33. Der Lippen-Kiefer-Gaumen-Spaltenverschluss erfolgte 1990/91, im August 2007 wurde eine Kieferspaltosteoplastik beidseits mit Knochenentnahme vom Becken vorgenommen.

Die Mutter der Klägerin legte bei der Beklagten einen Heil- und Kostenplan des Zahnarztes Dr. Sch. vom 17.10.2008 vor, in dem hinsichtlich Gebiet 42-32 die Befunde 1.1 und 1.3 (erhaltungswürdiger Zahn mit weitgehender Zerstörung der klinischen Krone oder unzureichende Retentionsmöglichkeit; im Verblendbereich) und hinsichtlich der Gebiete 45-43 und 33-35 die Befunde 2.1 und 2.7 (zahnbegrenzte Lücke mit einem fehlenden Zahn; im Verblendbereich) aufgeführt waren. Als Therapie waren zwei Brücken (45-43 und 33-35, Brückenglieder 44, 34) mit vier Verblendungen sowie vier Vollkeramikkronen mit Verblendungen (42-32) vorgesehen. Die Beklagte bewilligte den Heil- und Kostenplan und setzte den befundbezogenen Festzuschuss mit 1.375,86 EUR fest (geschätzte gesamte Behandlungskosten 6.196,87 EUR). Nachdem die Mutter der Klägerin im Juli 2009 nochmals die Übernahme der Gesamtkosten forderte und hierbei auch das Bonusheft ihrer Tochter vorlegte, bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 22.07.2009 einen um 30 vH erhöhten Festzuschuss iHv 1.788,58 EUR und lehnte darüber hinaus die volle Kostenübernahme ab. Nach Gesetz und Rechtsprechung sei die Ursache der Notwendigkeit von Zahnersatz für die Höhe der Kostenübernahme durch die Krankenkasse nicht maßgeblich. Den von der Mutter der Klägerin eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 02.10.2009 zurück.

Die Eingliederung des Zahnersatzes erfolgte in der Zeit vom 28.04. bis 19.06.2009. Hierfür stellte Dr. Sch. der Klägerin einen Eigenanteil iHv 4.747,60 EUR in Rechnung (Rechnung vom 05.08.2009), den diese beglich. Die Beklagte leistete an den Zahnarzt den Festzuschuss iHv 1.788,58 EUR.

Am 20.10.2010 beantragte die Klägerin die Überprüfung des Bescheids vom 22.07.2009 und Übernahme der vollen Kosten der Zahnbehandlung. Mit Bescheid vom 15.02.2010 lehnte die Beklagte die Rücknahme des ablehnenden Bescheids ab, da die Überprüfung ergeben habe, dass der Festzuschuss korrekt festgesetzt worden sei. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30.04.2010 zurück.

Hiergegen richtet sich die am 18.05.2010 zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhobene Klage. Zur Begründung hat der Bevollmächtigte der Klägerin ausgeführt, es liege hier ein verfassungsrechtlich besonders schützenswerter Tatbestand vor, sodass nach dem Grundsatz des Benachteiligungsverbotes Behinderter wegen der besonderen Ursache der Notwendigkeit der prothetischen Versorgung ausnahmsweise eine volle Kostenübernahme geboten erscheine.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 11.08.2011 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die bindend gewordenen Bescheide aus dem Jahr 2009 seien nicht rechtswidrig, weshalb deren Rücknahme nach § 44 Abs 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) nicht in Betracht komme. Zahnersatz gebe es nach § 55 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) grundsätzlich nur in Form der befundbezogenen Festzuschüsse. Seitdem der Gesetzgeber zahnmedizinische Ansprüche in den wesentlichen Einzelheiten selbst festgelegt habe, könnten Krankenkassen und Gerichte nicht mehr als befugt angesehen werden, sich bei Zahnersatzleistungen unter Berufung auf besondere medizinische Zusammenhänge über die eindeutige gesetzliche Beschränkung auf einen Festzuschuss hinwegzusetzen und dem Gesetz noch eine Leistungspflicht ohne Eigenanteil zu entnehmen. Auf die Ursache für die Notwendigkeit des Zahnersatzes komme es nach alledem nicht an, sodass es keine Rolle spiele, dass die Klägerin wegen ihrer Gesichtsspalte kieferorthopädisch versorgt werden müsse. Eine Ausnahmeregelung, wie sie der Gesetzgeber im Bereich der Kieferorthopädie nach § 29 SGB V vorgesehen habe, habe er für den Bereich des Zahnersatzes gerade nicht getroffen. Insoweit liege eine bewusste gesetzgeberische Entscheidung vor, nicht etwa eine unbeabsichtigte Gesetzeslücke, die eine analoge Anwendung von Ausnahmevorschriften betreffend die kieferorthopädische Behandlung oder die Versorgung mit Zahnimplantaten (§ 28 Abs 2 Satz 9 SGB V) erlauben würde. Aus Grundrechten könne die Klägerin keinen Anspruch gegen die gesetzliche Krankenversicherung auf volle Kostenübernahme herleiten, denn welche Behandlungsmaßnahmen in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung einbezogen seien, unterliege aus verfassungsrechtlicher Sicht einem weiten gesetzgeberischen Ermessen.

Gegen das ihrem Bevollmächtigten am 18.08.2011 zugestellte Urteil richtet sich die am 15.09.2011 eingelegte Berufung der Klägerin. Sie geht weiter davon aus, dass in ihrem Fall eine Ausnahme zuzulassen sei. Auswirkungen auf die vorliegende Fallkonstellation könne auch das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG 17.12.2009, B 3 KR 20/08 R, BSGE 105, 170 = SozR 4-2500 § 36 Nr 2) haben, mit dem das BSG entschieden habe, dass der für ein Hilfsmittel festgesetzte Festbetrag die Leistungspflicht der Krankenkasse dann nicht begrenze, wenn er für den Ausgleich der konkret vorliegenden Behinderung objektiv nicht ausreiche. So liege der Fall auch hier. Darüber hinaus habe das SG die medizinischen Umstände, die zum Vorliegen eines seitens der Rechtsprechung des BSG anerkannten Ausnahmefalls (sog Gesamtbehandlung) führen könne, zu Unrecht nicht ermittelt. Die streitgegenständliche Zahnersatzbehandlung stehe in einem untrennbaren und wesentlichen Zusammenhang mit den durchgeführten kiefer- und gesichtschirurgischen sowie den kieferorthopädischen Behandlungen. Auch vor dem Hintergrund der infolge des so genannten Nikolausbeschlusses des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG 06.12.2005, 1 BvR 347/98, BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5) ergangenen Rechtsprechung könne das SG-Urteil keinen Bestand haben. Auch insoweit seien unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten Ausnahmen zuzulassen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 11.08.2011 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 15.02.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.04.2010 zu verurteilen, den Bescheid vom 22.07.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02.10.2009 zurückzunehmen und der Klägerin 4.747,60 EUR zu erstatten, hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie beruft sich auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils. Die Bezugnahme der Klägerin auf das BSG-Urteil vom 17.12.2009 zur Hörgeräteversorgung sei absurd. Für die Festsetzung der befundbezogenen Festzuschüsse für Zahnersatz gälten völlig andere Zuständigkeiten und Regelungen als sie seinerzeit für die Festsetzung der Festbeträge für Hörgeräte in Baden-Württemberg gegolten hätten. Vor allem aber ordne § 55 Abs 1 Satz 2 bis 5 SGB V von vorneherein eine Leistungsbeschränkung in Form einer nur teilweisen Kostenübernahme für Zahnersatz gesetzlich an, die eben auch für die Klägerin gelte. Die Bezugnahme auf den Nikolausbeschluss sei überhaupt nicht nachvollziehbar, der dort zugrunde liegende Sachverhalt habe mit dem hier vorliegenden gar nichts zu tun.

Der Senat hat Beweis erhoben durch schriftliche Befragung des Zahnarztes Dr. Sch. als sachverständiger Zeuge. Dieser hat mit Schreiben vom 10.02.2012 ausgeführt, nach Abschluss der kieferchirurgischen Maßnahmen sei eine prothetische Rehabilitation medizinisch indiziert gewesen zur Wiederherstellung einer suffizienten Kaufunktion. Eine Alternative wären zusätzliche Implantate Regio 44 und Regio 34 gewesen, was jedoch sehr schwierig gewesen wäre wegen extrem gering zur Verfügung stehenden Kieferkammknochens. Ein herausnehmbarer Zahnersatz wäre wegen des jugendlichen Alters der Klägerin sehr problematisch gewesen, außerdem wären die Kosten deutlich höher ausgefallen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.

Die gemäß §§ 143, 144, 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, aber nicht begründet. Das SG hat zu Recht die ablehnenden Bescheide der Beklagten bestätigt, denn diese sind rechtmäßig und verletzten die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Rücknahme der bestandskräftigen Bescheide aus dem Jahr 2009 im Wege der Überprüfung gemäß § 44 SGB X, denn diese Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Übernahme der vollen Kosten für den Zahnersatz, soweit diese über den bereits geleisteten Festzuschuss in Höhe von 1.788,58 EUR hinausgehen.

Nach § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Ziel des § 44 SGB X ist es, die Konfliktsituation zwischen der Bindungswirkung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts und der materiellen Gerechtigkeit zu Gunsten letzterer aufzulösen (BSG 04.02.1998, B 9 V 16/96 R, SozR 3-1300 § 44 Nr 24; Steinwedel in Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 44 SGB X RdNr 2; Vogelgesang in Hauck/Noftz, SGB X, § 44 RdNr 1b). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor, denn weder ist bei Erlass des Bescheids vom 22.07.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02.10.2009 das Recht unrichtig angewandt, noch ist von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden.

Nach § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Dabei umfasst die Krankenbehandlung nach Satz 2 Nr 2 und Nr 2a dieser Vorschrift ua die zahnärztliche Behandlung und die Versorgung mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen. Die zahnärztliche Behandlung beinhaltet nach § 28 Abs 2 SGB V die Tätigkeit des Zahnarztes, die zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Zahn- und Kieferkrankheiten nach den Regeln der zahnärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig ist; sie umfasst auch konservierend chirurgische Leistungen und Röntgenleistungen, die im Zusammenhang mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen erbracht werden. Für Zahnersatzleistungen enthalten die §§ 55, 56 SGB V spezielle Regelungen. Danach hat die Klägerin einen Anspruch gegen die Beklagte auf den Festzuschuss, nicht jedoch darüber hinaus.

Nach § 55 Abs 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte nach den Vorgaben in den Sätzen 2 bis 7 Anspruch auf befundbezogene Festzuschüsse bei einer medizinisch notwendigen Versorgung mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen (zahnärztliche und zahntechnische Leistungen) in den Fällen, in denen eine zahnprothetische Versorgung notwendig ist und die geplante Versorgung einer Methode entspricht, die gemäß § 135 Abs 1 SGB V anerkannt ist. Diese Voraussetzungen sind hier unstreitig erfüllt, denn die Klägerin war bei der Beklagten versichert, die Versorgung mit Zahnkronen und Brücken im Jahr 2009 war medizinisch notwendig und die von Dr. Sch. durchgeführte Versorgung entsprach einer nach § 135 Abs 1 SGB V anerkannten Methode.

Die Festzuschüsse umfassen gemäß § 55 Abs 1 Satz 2 SGB V 50 vH der nach § 57 Abs 1 Satz 6 und Abs 2 Satz 6 und 7 festgesetzten Beträge für die jeweilige Regelversorgung. Für eigene Bemühungen zur Gesunderhaltung der Zähne erhöhen sich die Festzuschüsse gemäß § 55 Abs 1 Satz 3 SGB V um 20 vH. Die Festzuschüsse erhöhen sich nach § 55 Abs 1 Satz 5 in der bis zum 31.12.2011 geltenden Fassung um weitere 10 vH, wenn der Versicherte seine Zähne regelmäßig gepflegt und in den letzten 10 Kalenderjahren vor Beginn der Behandlung, frühestens seit dem 01.01.1989, die Untersuchungen nach § 55 Abs 1 Satz 4 Nr 1 und 2 ohne Unterbrechung in Anspruch genommen hat. Dies gilt nicht in den Fällen des Absatzes 2. Für Versicherte, die nach dem 31.12.1978 geboren sind, gilt der Nachweis für eigene Bemühungen zur Gesunderhaltung der Zähne für die Jahre 1997 und 1998 als erbracht. Nach § 55 Abs 2 SGB V haben Versicherte bei der Versorgung mit Zahnersatz zusätzlich zu den Festzuschüssen nach Abs 2 Satz 2 Anspruch auf einen Betrag jeweils in gleicher Höhe, angepasst an die Höhe der für die Regelversorgungsleistungen tatsächlich anfallenden Kosten, höchstens jedoch in Höhe der tatsächlich entstandenen Kosten, wenn sie ansonsten unzumutbar belastet würden; wählen Versicherte, die unzumutbar belastet würden, nach Abs 4 oder 5 einen über die Regelversorgung hinaus gehenden gleich- oder andersartigen Zahnersatz, leisten die Krankenkassen nur den doppelten Festzuschuss. Eine unzumutbare Belastung liegt ua vor, wenn die monatlichen Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt des Versicherten 40 vH der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 des Vierten Buches nicht überschreiten. Mit dieser Regelung sollte sichergestellt werden, dass für einkommensschwache Versicherte die Kosten der jeweiligen Regelversorgung von der Krankenkasse vollständig übernommen werden (BT-Drucks 15/1525 S 92). Der Gesetzgeber hat aber in § 55 Abs 2 Satz 1 2. Halbsatz SGB V gleichzeitig ausdrücklich festgestellt, dass die Krankenkassen auch bei einkommensschwachen Versicherten nur den doppelten Festzuschuss leisten, wenn diese, ungeachtet ihrer wirtschaftlichen Lage, nach Abs 4 oder 5 einen über die Regelversorgung hinausgehenden gleich- oder andersartigen Zahnersatz wählen.

Nach den vorliegenden zahnärztlichen Befunden wäre die Klägerin bei einer Regelversorgung mit vier Kronen aus Nichtedelmetall (42-32) sowie zusätzlich mit vier vestibulären Verblendungen sowie zwei Brücken und vier Verblendungen (45-43 und 33-35) versorgt worden. Dies ergibt sich aus der Richtlinie des gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) zur Bestimmung der Befunde und der Regelversorgungsleistungen, für die Festzuschüsse nach §§ 55, 56 SGB V zu gewähren sind, sowie über die Höhe der auf die Regelversorgungsleistungen entfallenden Beträge nach § 56 Abs 4 SGB V (Festzuschuss-Richtlinie). Maßgebend ist insoweit die zum Zeitpunkt der Bewilligung am 29.12.2008 geltende Fassung, denn die Höhe des Festzuschusses bestimmt sich nach § 87 Abs 1a Satz 7 SGB V nach dem Zeitpunkt der Genehmigung des Zahnersatzes. Es besteht daher nur Anspruch auf die Festzuschüsse, wie sie in der Festzuschuss-Richtlinie idF vom 04.06.2008 (BAnz 2008 S 2103, in Kraft ab 01.07.2008) vorgesehen sind.

Der von der Beklagten unter Berücksichtigung eines Bonus von 30 vH in Höhe von 1.788,58 EUR bewilligte Festzuschuss entspricht den Bestimmungen der maßgebenden Festzuschuss-Richtlinie. Danach sind folgende Festzuschüsse vorgesehen (jeweils mit Bonus von 30 vH): Befund 1.1 - 153,93 EUR (x 4 = 615,72 EUR), Befund 1.3 - 56.04 EUR (x 4 = 224,16 EUR), Befund 2.1 - 365,05 EUR (x 2 = 730,10 EUR, Befund 2.7 - 54,65 EUR (x 4 = 218,60 EUR). Soweit die Klägerin Kosten geltend macht, die darauf beruhen, dass die vorgesehene Versorgung im Hinblick auf das zu verwendende Material (Metall - Vollkeramik) über die Regelversorgung hinaus geht, gibt es keinen Anhaltspunkte dafür, dass die vorgesehenen Abweichungen medizinisch indiziert sind.

Die Klägerin hat aber auch keinen Anspruch auf volle Übernahme der Kosten für die Regelversorgung. Unabhängig davon, ob die Regelung des § 55 Abs 2 SGB V sich auf Zahnersatz einschließlich Zahnkronen bezieht, liegt jedenfalls eine unzumutbare Belastung der Klägerin im Hinblick auf die Einkommenssituation ihrer unterhaltsverpflichteten Eltern nach übereinstimmendem Vortrag der Beteiligten nicht vor. Der Amtsermittlungsgrundsatz begründet keine Pflicht von Behörden und Gerichten, Tatsachen zu ermitteln, für deren Bestehen weder das Beteiligtenvorbringen noch sonstige konkrete Umstände des Einzelfalls Anhaltspunkte liefern. In diesem Sinne findet die amtliche Sachaufklärungspflicht ihre Grenze an der Mitwirkungslast der Verfahrensbeteiligten (BSG 06.03.2012, B 1 KR 14/11 R, SozR 4-2500 § 130 Nr 2; BSG 03.07.2012, B 1 KR 16/11 R, SozR 4-2500 § 129 Nr 7). Die Klägerin hat selbst einen entsprechenden wirtschaftlichen Härtefall nicht geltend gemacht, vielmehr hat die Familie nach dem Vortrag der Mutter der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat in den letzten sechs Jahren für zahnärztliche Behandlungen bei der Klägerin, ihrer Schwester und der Mutter aufgrund der bei allen drei angeborenen Gesichtsspalte insgesamt rund 25.000 EUR aufgebracht. Höhere Leistungen nach § 55 Abs 2 oder Abs 3 SGB V sind daher nicht zu erbringen.

Auch aus § 2a SGB V folgt nichts anderes. Nach dieser Vorschrift ist den besonderen Belangen behinderter und chronisch kranker Menschen Rechnung zu tragen. Sie dient als Auslegungshilfe, um das Benachteiligungsverbot aus Art 3 Abs 3 Satz 2 GG umzusetzen, vermag aber nicht, einen gesetzlichen Leistungsausschluss oder eine gesetzliche Leistungsbegrenzung, wie bei der Regelung der Festzuschüsse, zu überwinden (BSG 06.03.2012, B 1 KR 10/11 R, BSGE 110, 194 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 69 zu § 34 SGB V).

Soweit der Bevollmächtigte der Klägerin darauf abstellt, dass die erfolgte zahnprothetische Versorgung im Rahmen einer Gesamtbehandlung mit kiefer- und gesichtschirurgischen sowie kieferorthopädischen Leistungen zu sehen ist, führt dies zu keiner günstigeren Beurteilung. Zwar war in der früheren Rechtsprechung ein Anspruch auf Zahnersatz als Sachleistung ohne Eigenbeteiligung anerkannt worden, wenn die zahnprothetische Versorgung Teil oder notwendige Vorbedingung einer anderen Sachleistung war (zur Behandlung einer Gesichtsspalte: BSG 11.11.1975, 3 RK 63/74, SozR 2200 § 182 Nr 11). Aufgrund der unterschiedlichen Rechtslage nach der Reichsversicherungsordnung und dem SGB V ist diese Rechtsprechung jedoch als überholt anzusehen (Nolte in Kasseler Kommentar, SGB V, § 55 RdNr 10). Das SGB V regelt die zahnmedizinische Versorgung in wesentlichen Einzelheiten selbst, so dass es den Gerichten nicht erlaubt ist, dem Gesetz eine Leistungspflicht ohne Eigenanteil zu entnehmen (BSG 06.10.1999, B 1 KR 9/99 R, BSGE 85, 66 = SozR 3-2500 § 30 Nr 10).

Die Lücke der gesetzlich nicht vorgesehenen Ausnahmeindikationen im Bereich der Versorgung mit Zahnersatz kann auch nicht unter Rückgriff auf die Entscheidung des BVerfG vom 06.12.2005 (1 BvR 347/98, BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5) geschlossen werden, weil eine dem vom BVerfG geforderten Schweregrad entsprechende lebensbedrohliche oder tödlich verlaufende Erkrankung hier nicht vorliegt (vgl Landessozialgericht Baden-Württemberg 14.12.2011, L 5 KR 4862/09, juris). Auch nach der vom BSG zwischenzeitlich ergangenen Rechtsprechung zur Präzisierung, wann Krankheiten den vom BVerfG geforderten Schweregrad erfüllen bzw ihm gleichstehen (BSG 04.04.2006, B 1 KR 7/05 R, SozR 4-2500 § 31 Nr 4 - Tomudex; BSG 04.04.2006, B 1 KR 12/05 R, SozR. 4-2500 § 27 Nr 8 - interstitielle Brachytherapie, BSG 04.04.2006, B 1 KR 12/04 R, SozR 4-2500 § 27 Nr 7- D-Ribose; BSG 14.12.2006, B 1 KR 12/06 R, juris - Idebenone) kann von einer vergleichbaren Schwere der Erkrankung im konkreten Fall keinesfalls ausgegangen werden.

Schließlich lässt sich auch aus der Argumentation des BSG zur Versorgung Versicherter mit Hörgeräten zum Festbetrag entgegen der Auffassung der Klägerin kein Anspruch auf Übernahme der vollen Kosten bei Zahnersatz herleiten. Das BSG hatte mit Urteil vom 17.12.2009 (B 3 KR 20/08 R, BSGE 105, 170 = SozR 4-2500 § 36 Nr 2) entschieden, dass die Festbetragsregelung als Ausprägung des Wirtschaftlichkeitsgebots zu Leistungsbegrenzungen nur im Hinblick auf die Kostengünstigkeit der Versorgung ermächtigt, nicht aber zu Einschränkungen des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung. Kann mit einem Festbetrag die nach dem Leistungsstandard der gesetzlichen Krankenversicherung gebotene Versorgung nicht für grundsätzlich jeden Versicherten zumutbar geleistet werden, bleibt die Krankenkasse weiterhin zur Sachleistung verpflichtet. Im Gegensatz dazu ist im Bereich des Zahnersatzes schon nach der gesetzlichen Regelung nicht ein möglichst vollständiger Ausgleich einer bestehenden Behinderung, sondern eine nur teilweise Erstattung der tatsächlich entstehenden Kosten für die Regelversorgung vorgesehen, so dass sich die Erwägungen des BSG im oben genannten Urteil auf die vorliegende Konstellation nicht übertragen lassen.

Eine über den um 30 vH erhöhten Festzuschuss hinausgehende Kostenübernahme für die hier streitige Versorgung mit Zahnersatz ist auch unter verfassungsrechtlichen Aspekten nicht geboten. Das SGB V regelt in §§ 27 Abs 1 Nr 2 und 2a, 28 Abs 2 in Verbindung mit § 55 SGB V einen Katalog von Leistungen einschließlich der damit verbundenen Leistungsausschlüsse. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des BSG, dass dieser beschränkte Leistungskatalog verfassungsrechtlichen Anforderungen auch den Fällen entspricht, in denen etwa die gesetzlich ausgeschlossene Art der Zahnersatzversorgung (zB implantologische Leistungen) als einzig medizinisch sinnvolle Leistung in Betracht kommt (BSG 23.05.2007, B 1 KR 27/07 B, juris). Zwar ist der Hinweis der Klägerin zutreffend, dass im Bereich der Kieferorthopädie für schwere Kieferanomalien und im Bereich der Implantatversorgung für besonders schwere Fälle wie zB angeborene Fehlbildungen des Kiefers - wie hier - Ausnahmeregelungen vorgesehen sind (§ 28 Abs 2 Satz 7 und 9 SGB V). Eine solche Härtefallregelung ist im Bereich der Versorgung mit Zahnersatz nicht vorgesehen. Hier sieht das Gesetz nur Ausnahmen für wirtschaftliche Härtefälle vor, nicht jedoch für bestimmte medizinische Indikationen. Dies begegnet jedoch vor dem Hintergrund, dass die Kosten für Zahnersatz im Rahmen der Regelversorgung stets nur anteilig in Höhe von Festzuschüssen übernommen werden und nicht wie im Bereich der Kieferorthopädie für Versicherte, die älter als 18 Jahre sind oder im Bereich der implantologischen Leistungen insgesamt dem Grunde nach ausgeschlossen sind, keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Welche Behandlungsmaßnahmen in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung einbezogen und welche davon ausgenommen und damit der Eigenverantwortung des Versicherten zugeordnet werden, unterliegt aus verfassungsrechtlicher Sicht einem weiten gesetzgeberischen Ermessen, denn ein Gebot zu Sozialversicherungsleistungen in einem bestimmten sachlichen Umfang lässt sich dem Grundgesetz nicht entnehmen (BSG 08.03.1995, 1 RK 7/93, BSGE 76, 40, 42 = SozR 3-2500 § 30 Nr 5; BSG 28.03.2000, B 1 KR 11/98 R, BSGE 86, 54 = SozR 3-2500 § 135 Nr 14). Verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab ist im Wesentlichen das Gebot des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art 3 Abs 1 Grundgesetz), Gleiches gleich und Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden zu behandeln. Damit ist dem Gesetzgeber nicht jede Differenzierung verwehrt. Er kann grundsätzlich frei entscheiden, von welchen Elementen der zu ordnenden Lebenssachverhalte die Leistungspflicht abhängig gemacht und die Unterscheidung gestützt werden soll. Eine Grenze ist erst dann erreicht, wenn sich für seine Ungleichbehandlung kein in angemessenem Verhältnis zu dem Grad der Ungleichbehandlung stehender Rechtfertigungsgrund mehr finden lässt (vgl BVerfG 15.03.2000, 1 BvL 16/96 ua, BVerfGE 102, 68 = SozR 3-2500 § 5 Nr 42). Eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung liegt hier nicht vor. Auch implantologische Leistungen könnte die Klägerin vorliegend nicht erhalten, obwohl wegen ihrer schweren Behinderung aufgrund der Gesichtsspalte eine Ausnahmeindikation nach der Richtlinie des GBA für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche vertragszahnärztliche Versorgung (Behandlungsrichtlinie idF vom 01.03.2006, BAnz 2006, S 4466) gemäß B.VII Nr 2 Satz 4 Buchst a Fünfter Spiegelstrich vorliegt. Denn auch bei Vorliegen einer Ausnahmeindikation besteht Anspruch auf Implantate als Sachleistung nur dann (B.VII Nr 2 Satz 2), wenn eine konventionelle prothetische Versorgung ohne Implantate nicht möglich ist. Eine derartige konventionelle prothetische Versorgung ist hier indes gerade erfolgt.

Auch aus der UN-Behindertenrechtskonvention (Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13.12.2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, Gesetz vom 21.12.2008, BGBl II 1419, in der Bundesrepublik in Kraft seit 26.03.2009, BGBl II 2009, 812 - UN-BRK) ergibt sich kein weitergehender Leistungsanspruch der Klägerin. Der UN-BRK kommt innerstaatlich der Rang eines Bundesgesetzes zu (BSG 06.03.2012, B 1 KR 10/11 R, BSGE 110, 194 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 69; BSG 10.05.2012, B 1 KR 78/11 B, juris). Das in Art 25 Satz 3 Buchst a UN-BRK geregelte spezielle Diskriminierungsverbot (Verpflichtung der Vertragsparteien, Menschen mit Behinderungen eine unentgeltliche oder erschwingliche Gesundheitsversorgung in derselben Bandbreite, von derselben Qualität und auf demselben Standard zur Verfügung zu stellen wie anderen Menschen) ist ersichtlich nicht verletzt, denn § 55 SGB V stellt Leistungen für Zahnersatz der Klägerin in derselben Bandbreite, Qualität und auf demselben Standard zur Verfügung wie anderen Menschen. Art 25 Satz 3 Buchst a UN-BRK enthält nach Wortlaut, Regelungssystem und Zweck keinen Anspruch auf eine Behandlung aller "wesentlichen Erkrankungen" zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (BSG 06.03.2012, aaO).

Ebenso bietet Art 25 Satz 3 Buchst b iVm Satz 1 UN-BRK keine Rechtsgrundlage für eine Kostenerstattung von Zahnersatz über die Regelungen des § 55 SGB V hinaus. Art 25 Satz 1 und Satz 3 Buchst b UN-BRK lauten in der deutschen Fassung wie folgt: "Die Vertragsstaaten anerkennen das Recht von Menschen mit Behinderungen auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit ohne Diskriminierung aufgrund von Behinderung. Insbesondere b) bieten die Vertragsstaaten die Gesundheitsleistungen an, die von Menschen mit Behinderungen speziell wegen ihrer Behinderung benötigt werden, soweit angebracht, einschließlich Früherkennung und Frühintervention, sowie Leistungen, durch die, auch bei Kindern und älteren Menschen, weitere Behinderungen möglichst gering gehalten oder vermieden werden sollen;" Diese Norm ist, wie das BSG bereits entschieden hat, nicht hinreichend bestimmt, um von den Krankenkassen unmittelbar angewendet zu werden; sie bedarf einer Ausführungsgesetzgebung und ist non-self-executing (BSG 06.03.2012, aaO). Darüber hinaus spiegelt die Formulierung, das in Art 25 geschützte Menschenrecht im "erreichbaren Höchstmaß" zu verwirklichen, wiederum die Grenzen aufgrund der eingeschränkten finanziellen Leistungsfähigkeit der sozialen Sicherungssysteme wider.

Das demgegenüber unmittelbar anwendbare Diskriminierungsverbot des Art 5 Abs 2 UN-BRK, welches den Vertragsstaaten jede Diskriminierung aufgrund von Behinderung verbietet und Menschen mit Behinderung gleichen und wirksamen rechtlichen Schutz vor Diskriminierung garantiert, entspricht für die Leistungsbestimmungen der gesetzlichen Krankenversicherung im Wesentlichen dem Regelungsgehalt des Art 3 Abs 3 Satz 2 GG und geht nicht darüber hinaus (BSG 06.03.2012, B 1 KR 10/11 R, BSGE 110, 194 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 69). Die Regelungen zum Zahnersatz in § 55 SGB V knüpfen nicht an eine Behinderung an, sondern erfassen alle Fälle der medizinisch notwendigen Versorgung mit Zahnersatz, unabhängig von deren Ursache. Dabei werden grundsätzlich die notwendigen Kosten nur anteilig übernommen. Auch soweit die Vorschrift zugleich behinderte Menschen iSv Art 3 Abs 3 Satz 2 GG oder Art 1 Abs 2 UN-BRK betrifft, ist sie wegen des Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers bei der Ausgestaltung des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenkassen noch gerechtfertigt. Kostenbegrenzungen, um das System der gesetzlichen Krankenversicherung funktionsfähig zu erhalten, sind dabei zulässige Erwägungen (BVerfG 20.03.2001, 1 BvR 491/96, BVerfGE 103, 172 = SozR 3-5520 § 25 Nr 4). Die gesetzlichen Krankenkassen sind nicht von Verfassungs wegen gehalten, alles zu leisten, was an Mitteln zur Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit verfügbar ist (BVerfG 06.12.2005, 1 BvR 347/98, BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved