L 19 RJ 445/00

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
19
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 8 RJ 1081/97
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 19 RJ 445/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 5 RJ 189/03 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 11.07.2000 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Der am 1951 geborene Kläger hat nach seinen Angaben den Beruf eines Fliesenlegers erlernt (Prüfung 1968) und war bis 1974 in diesem Berufsbereich tätig. Danach war er als Gastwirt, Mietwagenfahrer und Kraftfahrer versicherungspflichtig beschäftigt und hat seit 1995 bis Ende des Jahres 1996 eine selbstständige Erwerbstätigkeit als Bauhilfsarbeiter und Entrümpeler ausgeübt. Das Gewerbe wurde im Jahre 1997 abgemeldet. Nach Angaben des Klägers besteht seit Dezember 1996 Arbeitsunfähigkeit.

Rentenanträge des Klägers aus den Jahren 1978 und 1983 sind erfolglos geblieben. Die gegen den Rentenablehnungsbescheid vom 13.01.1984 erhobene Klage hat der Kläger am 12.11.1985 zurückgenommen (Sozialgericht Würzburg Az: S 3 Ar 92/84). Eine im Jahre 1980 begonnene Umschulung zum Bauzeichner ist gescheitert.

Am 29.07.1997 beantragte der Kläger erneut die Gewährung von Rente wegen Berufs- bzw Erwerbsunfähigkeit. Die Beklagte ließ ihn durch die Orthopädin Dr.B. untersuchen. Diese gelangte im Gutachten vom 14.05.1997 zu dem Ergebnis, dass der Kläger noch leichte und mittelschwere Tätigkeiten in Vollschicht ausüben könne. Vom 25.06. bis 16.07.1997 unterzog sich der Kläger einer stationären Heilmaßnahme in Bad Brückenau. Nach dem Entlassungsbericht vom 23.07.1997 sollten ihm leichte bis mittelschwere Arbeiten in Vollschicht weiterhin zumutbar sein. Die Beklagte lehnte den Rentenantrag mit Bescheid vom 01.09.1997 ab, da der Kläger nicht berufs- oder erwerbsunfähig sei. Dagegen erhob der Kläger Widerspruch unter Vorlage eines Attestes des Orthopäden Dr.S. und eines Arztbriefes des Radiologen Dr.K ... Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 02.12.1997 zurück. Der auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbare Kläger könne noch leichte bis mittelschwere Arbeiten möglichst im Wechselrhythmus in Vollschicht verrichten.

Dagegen hat der Kläger am 16.12.1997 Klage beim Sozialgericht Würzburg erhoben. Er hat im Wesentlichen geltend gemacht, es sei ihm nicht möglich, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit nachzugehen. Das SG hat Befundberichte des Orthopäden Dr.S. und des Allgemeinarztes Dr.T. zum Verfahren beigenommen und den Internisten und Arbeitsmediziner Prof.Dr.Z. zum ärztlichen Sachverständigen bestellt. Dieser hat das Gutachten vom 09.04.1999 erstattet und den Kläger für fähig erachtet, leichte und mittelschwere Arbeiten in Vollschicht zu leisten. Auf Antrag des Klägers hat der Orthopäde S. das weitere Gutachten vom 28.02.2000 erstattet. Er hat die Auffassung vertreten, dass der Kläger nur noch eine halb- bis untervollschichtige (4 bis unter 8 Stunden) Arbeit leisten könne. Die geminderte Leistungsfähigkeit bestehe seit 15.10.1999. Zur abschließenden Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Klägers hat der Sozialmediziner Dr.R. das Gutachten vom 11.07.2000 erstattet. Er ist zu dem Ergebnis gelangt, dass dem Kläger unter Berücksichtigung aller Gesundheitsstörungen zu den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes noch vollschichtige Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung zumutbar seien. Er hat sich auch zu dem Gutachten des Orthopäden S. geäußert; dessen Einschätzung der Leistungsfähigkeit des Klägers könne er nicht folgen. Die feststellbaren gesundheitlichen Einschränkungen des Klägers seien nach seiner Beurteilung nicht derart gravierend, dass sie einer Erwerbstätigkeit in Vollschicht entgegenstehen würden.

Mit Urteil vom 11.07.2000 hat das SG die - auf Gewährung von Rente wegen BU/EU gerichtete Klage - abgewiesen. Der Kläger sei nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme noch vollschichtig einsetzbar und auf objektiv und subjektiv zumutbare Beschäftigungen verweisbar. Als bisheriger Beruf des Klägers sei seine Tätigkeit als Bauhilfsarbeiter und selbstständiger Entrümpeler anzusehen. Der Kläger habe demnach ungelernte Tätigkeiten ausgeübt und sei auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar, und zwar ohne dass es der Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit bedürfe. Im Übrigen habe sich der Kläger frühzeitig und auf Dauer von seinem früheren Beruf als Fliesenleger gelöst.

Gegen dieses Urteil richtet sich die am 08.08.2000 beim Bayer. Landessozialgericht eingegangene Berufung des Klägers. Dieser verlangt weiterhin die Gewährung von Rentenleistungen wegen Erwerbs- bzw Berufsunfähigkeit. Im Vordergrund seines zwischenzeitlich chronifizierten Beschwerdebildes stünden die Befunde am Stütz- und Bewegungsapparat. Der Senat hat Befundberichte des Allgemeinarztes Dr.T. und des Orthopäden Dr.S. zum Verfahren beigenommen, wobei Letzterer bestätigt hat, dass sich seit Behandlungsbeginn (Dezember 1989) keine wesentliche Befundänderung ergeben habe. Auf Veranlassung des Senats hat der Orthopäde Dr.W. das Gutachten vom 20.12.2001 nach ambulanter Untersuchung des Klägers erstattet. Er hat folgende Diagnosen genannt: Mittelgradiger Kniegelenksverschleiß rechts einschließlich Kniescheibengelenk mit freier Gelenkkörperbildung und rezidivierendem Reizzustand mit Kapselschwellung und intraartikulärem Erguss, chronisch rezidivierender Lendenwirbelsäulenschmerz bei diskretem, angeborenem Wirbelkörpergleiten, beginnender Hüftgelenksverschleiß rechts bei angeborener, diskreter Hüftfehlform beidseits. Der Kläger könne noch leichte und mittelschwere körperliche Tätigkeiten verrichten, wobei für leichte körperliche Arbeit eine vollschichtige Belastung gegeben sei, für mittelschwere Tätigkeiten nur eine solche von 2 Stunden bis unter halbschichtig. Nicht zumutbar seien ausschließlich gehende und stehende berufliche Tätigkeiten, sowie Arbeiten in Lendenwirbelsäulen- und Kniezwangshaltungen. Als Bauarbeiter sei der Kläger sicher nicht mehr einsetzbar. Der Krankheitszustand an der LWS bestehe seit 1994, am rechten Kniegelenk seit 1996, an der rechten Hüfte seit 1991, etwa unverändert im Vergleich mit den derzeitigen Befunden. Auf Antrag des Klägers hat schließlich der Orthopäde Dr.M. das weitere Gutachten vom 03.02.2003 erstattet. Er hat ausgeführt, insbesondere das Gutachten von Dr.W. ergebe eine weitgehende Übereinstimmung mit den jetzt von ihm erhobenen Befunden und der daraus folgenden Bewertung; auch der Einschätzung des Leistungsvermögens durch Dr.W. könne er in vollem Umfang folgen.

Der Kläger beantragt nur noch, das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 11.07.2000 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 01.09.1997 idF des Widerspruchsbescheides vom 02.12.1997 zu verurteilen, ihm aufgrund des Antrags vom 29.07.1997 Leistungen wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren; hilfsweise beantragt er, weitere Ermittlungen durchzuführen zu der Frage, ob er seinen Beruf als Fliesenleger aus gesundheitlichen Gründen habe aufgeben müssen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers als unbegründet zurückzuweisen.

Dem Senat haben die Verwaltungsakten der Beklagten und die Prozessakten des SG Würzburg (Rentenstreitverfahren aus den Jahren 1979, 1984 und 1997) sowie die Schwerbehinderten-Akte vom Versorgungsamt Würzburg (GdB = 30) vorgelegen. Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist form- und fristgerecht eingelegt (§§ 143, 151 SGG) und auch im Übrigen zulässig. Das Rechtsmittel des Klägers erweist sich als nicht begründet. Der Kläger ist nicht berufsunfähig iS des § 43 Abs 1 und 2 SGB VI in der bis 31.12.2000 geltenden Fassung. Nach den im Berufungsverfahren eingeholten Gutachten des Orthopäden Dr.W. vom 20.12.2001 und des Orthopäden Dr.M. vom 03.02.2003 besteht beim Kläger weiterhin ein vollschichtiges Leistungsvermögen für leichte Arbeiten, für mittelschwere Arbeiten ist ein Einsatzvermögen bis etwa halbschichtig anzunehmen. Dies gilt für Arbeiten, die im Wechselrhythmus durchgeführt werden können; nicht zumutbar sind demnach ausschließlich gehende oder stehende berufliche Tätigkeiten, sowie Arbeiten, die Lendenwirbelsäulen- und Kniezwangshaltungen bedingen. Als Fliesenleger und auch als Bauarbeiter ist der Kläger nicht mehr einsatzfähig. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Kläger berufsunfähig iS des § 43 Abs 2 SGB VI aF ist. Als "bisheriger Beruf" des Klägers iS dieser Vorschrift ist nicht mehr der des Fliesenlegers, sondern der des angelernten Kraftfahrers anzusehen, für den bis Oktober 1990 Pflichtbeiträge entrichtet wurden. Es kann nach den noch vorhandenen ärztlichen Unterlagen zwar davon ausgegangen werden, dass letztlich gesundheitliche Gründe zur Aufgabe der Arbeit als Fliesenleger im Jahre 1974 geführt haben. Der Kläger hat während seiner Bundeswehrzeit im Jahre 1972 eine Kniegelenksoperation durchgemacht. Er ist nach dem Wehrdienst nochmals in den Fliesenlegerberuf zurückgekehrt und hat bis Dezember 1974 in diesem Beruf gearbeitet. In der Folgezeit ist ein Einsatz im Facharbeiterberuf des Fliesenlegers stets ausgeschlossen worden, zB auch bei der Begutachtung des Klägers durch den Orthopäden Dr.H. am 13.06.1985. Bereits im Jahre 1976 hat sich der Kläger aber anderen versicherungspflichtigen Arbeiten zugewendet. Er war nach seinen Angaben als Kraftfahrer (zunächst als Mietwagenfahrer, später als Auslieferungsfahrer) mit Unterbrechungen bis 1995 tätig und hat dann noch eine selbstständige Erwerbstätigkeit als Bauarbeiter und Entrümpeler aufgenommen. Dies bedeutet zur Überzeugung des Senats, dass der Kläger sich zwar noch nicht im Jahre 1974 vom Facharbeiterberuf des Fliesenlegers gelöst hat, dass er diese Lösung im rentenrechtlichen Sinne aber spätestens mit der Beendigung des (zweiten) Klageverfahrens wegen Gewährung von Berufsunfähigkeitsrente im Jahre 1985 vollzogen hat. Nachdem vorher schon eine Umschulung des Klägers zum Bauzeichner gescheitert war, hat dieser zwei Klageverfahren, in denen die Frage der Berufsunfähigkeit Streitgegenstand war, durch Rücknahme bzw Nichtfortführung des Verfahrens beendet. In diesen Klageverfahren sind auch zumutbare Verweisungstätigkeiten diskutiert worden. In Kenntnis dieser Verweisungsmöglichkeiten hat der Kläger die Klage im November 1995 zurückgenommen und in der Folgezeit keinen Versuch mehr unternommen, eine qualifizierte höherwertige Tätigkeit als die eines Kraftfahrers aufzunehmen. Es kann deshalb davon ausgegangen werden, dass sich der Kläger mit der seit 1976 ausgeübten Fahrertätigkeit spätestens seit Beendigung des letzten Klageverfahrens "abgefunden hat". Spätestens von da an war für den Kläger auch klar geworden, dass er seinen künftigen Lebensunterhalt nicht aus Leistungen der Rentenversicherung wegen Berufsunfähigkeit bestreiten würde, sondern dass sein "neuer Beruf", der eines Mietwagenfahrers, später eines Auslieferungsfahrers auch künftig die für seinen Lebensunterhalt bestimmende Erwerbstätigkeit sein würde. Tatsächlich hat der Kläger auch von 1976 bis ca 1995 mit Unterbrechungen Erwerbseinkommen aus der Fahrertätigkeit erzielt. Deshalb ist der Beruf des Kraftfahrers als "bisheriger Beruf" des Klägers anzusehen. Nach dem vom BSG entwickelten Mehrstufenschema ist der Kläger demnach der Gruppe der einfach angelernten Arbeiter zuzuordnen, da er keine längerdauernde Ausbildung für diesen Beruf (etwa Fortbildung zum Berufskraftfahrer) benötigt oder durchlaufen hat. Als einfach angelernter Arbeiter ist der Kläger auf sämtliche Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes verweisbar, ohne dass es der konkreten Benennung einer Verweisungstätigkeit bedarf. Eine schwere spezifische Behinderung oder eine Summierung ungewöhnlicher Einschränkungen, die den Zugang zum Arbeitsmarkt in Frage stellen könnten, ist weder dem Gutachten von Dr.W. noch dem von Dr.M. zu entnehmen. Bei vollschichtiger Leistungsfähigkeit und Verweisbarkeit auf den allgemeinen Arbeitsmarkt stehen dem Kläger Leistungen wegen Berufsunfähigkeit nach § 43 SGB VI aF nicht zu. Er hat auch keinen Anspruch auf Leistungen wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung nach der seit 01.01.2001 geltenden Neuregelung.

Auf den Hilfsantrag des Klägers war nicht gesondert einzugehen, da der Senat als gegeben ansieht, dass der Beruf des Fliesenlegers im Jahre 1974 gesundheitsbedingt beendet wurde, die rentenrechtliche Lösung vom Beruf jedoch später stattgefunden hat.

Die Berufung des Klägers war deshalb zurückzuweisen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten, § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
Saved