L 17 U 395/00

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 6 U 235/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 17 U 395/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 22.08.2000 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung und Entschädigung des Ereignisses vom 02.10.1996 als Arbeitsunfall streitig.

Der am 1960 geborene Kläger erlitt am 02.10.1996 einen Unfall. Beim Versuch, sich mit an der Laderampe abgestützten Händen seitlich - nach links - auf die ca. 1,3 m hohe Ladefläche eines LKWs zu schwingen, verspürte er beim Aufsetzen der linken Fußinnenkante auf die Ladefläche einen "verhaltenen" Schmerz im linken Knie bzw. Fuß. Wegen des Schmerzes brach er das Hinaufsteigen ab und sprang zurück auf den Boden. Beim Aufkommen mit dem linken Fuß - in der Hocke - nahm er einen starken Stich im Knie wahr und drehte sich deshalb seitlich weg. Anschließend konnte er das Knie nicht mehr richtig bewegen. Der Orthopäde Dr.E. stellte bei ihm eine Innenmeniskusläsion des linken Kniegelenkes fest mit Verdacht der Ruptur des vorderen Kreuzbandes (H-Arztbericht vom 07.10.1996). Dr.E. führte die Kniegelenkserkrankung nach Durchführung einer Arthroskopie am 15.10.1996 und eines Kernspintomogramms am 08.10.1996 auf den Unfall vom 02.10.1996 zurück (Arztbericht vom 08.01.1997).

Die Beklagte holte ein Gutachten des Chirugen Dr.B. vom 11.04.1997 / 02.06.1997 ein. In seiner ersten Stellungnahme ging Dr.B. von einer Distorsion des linken Kniegelenkes aus. Die festgestellte Innenmeniskuskorbhenkelruptur sei nicht Folge des Unfallereignisses, sondern eines anlagebedingten degenerativen Leidens. In der zweiten Stellungnahme führte er die Innenmeniskusruptur des linken Kniegelenkes auf den Unfall zurück. Als Folgen bestünden neben der glaubhaft subjektiven Beschwerdesymptomatik eine Bewegungseinschränkung des linken Kniegelenkes sowie eine Muskulaturverschmächtigung des linken Ober- und Unterschenkels. Unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit sei bis 16.03.1997 anzunehmen, anschließend betrage die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) 10 vH. Der Chirurg Dr.S. verneinte in seiner Stellungnahme für die Beklagte vom 12.08.1997, dass durch das Unfallereignis eine Meniskusverletzung herbeigeführt werden konnte. Der Unfallmechanismus habe allenfalls zu einer leichte Distorsion geführt.

Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 26.08.1997 die Gewährung einer Entschädigung aus Anlass des Ereignisses vom 02.10.1996 ab. Im anschließenden Widerspruchsverfahren führte der Orthopäde Prof. Dr.L. im Gutachten vom 01.04.1998 aus, der Unfallmechanismus sei nicht geeignet gewesen, einen Korbhenkelriss des linken Innenmeniskus zu verursachen. Im Übrigen habe ein Kreuzbandschaden vorbestanden in Form einer Lockerung des vorderen Kreuzbandes und einer Seitbandlockerung des linken Kniegelenks. Gestützt auf dieses Gutachten wies die Beklagte den Widerspruch zurück (Bescheid vom 08.07.1998).

Gegen den Bescheid vom 26.08.1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 08.07.1998 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben und beantragt, ihn wegen der Folgen des Arbeitsunfalles vom 02.10.1996 zu entschädigen.

Das SG hat Gutachten gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) des Orthopäden Dr.K. vom 27.09.1999 und gemäß § 106 SGG des Chirurgen Dr.L. vom 01.12.1999 eingeholt. Während Dr.K. von einer erheblichen Gewalteinwirkung durch Sturz, Hockbewegung und seitlichem Wegdrehen ausging, die die Korbhenkelläsion wesentlich verursacht habe, verwies Dr.L. auf den Schmerz des Klägers beim Aufschwingen auf die Laderampe und verneinte mangels eines geeigneten Unfallmechanismus den ursächlichen Zusammenhang.

Mit Urteil vom 22.08.2000 hat das SG die Klage - dem Antrag der Beklagten entsprechend - abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, gegen die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs zwischen Unfallereignis und Meniskusverletzung sprächen der Unfallhergang, die medizinischen Befunde und der nachgewiesene Vorschaden.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt und vorgetragen, die Gesundheitstörungen im Bereich des linken Kniegelenks seien auf das Unfallereignis ursächlich zurückzuführen. Er habe nach dem Ereignis seine berufliche Tätigkeit nicht fortsetzen können. Für eine vorbestehende Erkrankung des linken Knies seien keine Anhaltspunkte vorhanden. Auch sei zu berücksichtigen, dass Dr.S. und Prof. Dr.L. ihn nicht persönlich untersucht hätten.

Der Senat hat nach Beiziehen von Befundberichten der Orthopäden Dr.K. vom 29.01.2001, Dr.E. vom 05.03.2001, Dr.K. vom 22.05.2001, des Allgemeinarztes Dr.A. vom 21.02.2001 sowie der einschlägigen Röntgen- und CT-Aufnahmen Gutachten des Orthopäden Dr.W. vom 15.11.2001 / 25.02.2003 und gemäß § 109 SGG des Chirurgen Dr.E. vom 02.01.2003 / 03.04.2003 eingeholt. Dr.W. hat den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Ereignis vom 02.10.1996 und der Manifestation des Schadensbildes am linken Kniegelenk verneint und auch eine Distorsion ausgeschlossen. Dr.E. hat ausgeführt, im Rahmen eines Drehsturzes sei eine partielle Ruptur des vorderen Kreuzbandes sowie ein basisnaher Abriss des medialen Meniskus erfolgt. Die MdE betrage 10 vH.

Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des SG Nürnberg vom 22.08.2000 sowie des Bescheides vom 26.08.1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 08.07.1998 zu verurteilen, das Ereignis vom 02.10.1996 als Arbeitsunfall anzuerkennen und zu entschädigen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Nürnberg vom 22.08.2000 zurückzuweisen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird ergänzend auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 151 SGG), aber nicht begründet.

Zu Recht hat das SG entschieden, dass der beim Kläger am linken Kniegelenk bestehende Gesundheitsschaden nicht Folge eines Arbeitsunfalles ist und nicht zu entschädigen ist.

Der Anspruch des Klägers ist noch nach den Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) zu beurteilen, da das Ereignis vom 02.10.1996 noch vor dem In-Kraft-Treten des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VII) am 01.01.1997 eingetreten ist (Art 36 des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes, § 212 SGB VII).

Arbeitsunfall ist nach § 548 Abs 1 Satz 1 RVO ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in den §§ 539, 540 und 543-545 RVO genannten versicherten Tätigkeiten erleidet. Der Begriff des Unfalls ist in der RVO nicht bestimmt. Nach der in Rechtsprechung und Schrifttum einhellig vertretenen Auffassung ist Unfall ein körperlich schädigendes, zeitlich begrenztes Ereignis. Wesentlich für den Begriff des Unfalls sind somit ein äußeres Ereignis als Ursache und eine Körperschädigung als Wirkung (BSG SozR 2200 § 548 Nr 56). Das äußere Ereignis verlangt einen von außen auf den Körper einwirkenden Vorgang, wobei auch körpereigene Bewegungen wie Heben, Schieben, Laufen äußere Vorgänge in diesem Sinne sind, selbst wenn sie gewohnt und üblich sind (BSG SozR Nr 1 zu § 838 RVO). Der ursächliche Zusammenhang zwischen einem Ereignis, das von außen auf den Körper des Versicherten eingewirkt hat und einer Gesundheitsstörung besteht nach der in der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Lehre von der rechtlich wesentlichen Ursache dann, wenn das Ereignis mit Wahrscheinlichkeit wesentlich die Entstehung oder Verschlimmerung eines Gesundheitsschadens bewirkt hat (BSGE 1, 72, 76; 12, 242, 245; 38, 127). "Wahrscheinlichkeit" bedeutet, dass beim vernünftigen Abwägen aller Umstände, die auf die berufliche Verursachung deutenden Faktoren so stark überwiegen, dass darauf die Entscheidung gestützt werden kann (BSG SozR Nr 20 zu § 542 RVO aF; SozR 2200 § 548 Nr 38). Daran fehlt es, wenn neben dem äußeren Ereignis bereits bestehende Schadensanlagen mitwirken, die rechtlich die allein wesentliche Ursache des neuen Schadens sind, wenn also die persönliche Risikosphäre allein rechtlich wesentlich ist.

Der Senat ist der Auffassung, dass das Ereignis vom 02.10.1996 in Form des Sprungs auf die Ladefläche selbstverständlich ein geeignetes "äußeres Ereignis" darstellt, um den Begriff des "Unfalls" zu erfüllen. Es hat aber nicht mit Wahrscheinlichkeit die Kniebandlockerung am linken Knie des Klägers und den Innenmeniskuskorbhenkelriss verursacht. Damit liegt kein "Arbeitsunfall" vor. Für die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs fehlt es zum einen an einem geeigneten Unfallmechanismus. Nach der herrschenden wissenschaftlichen Lehrmeinung (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 7.Auflage S 691) sind für die isolierte Zerreißung eines Meniskus die passive Rotation des gebeugten Kniegelenks oder die plötzliche, passive Streckung des gebeugten und rotierten Unterschenkels ursächlich. Es ist die Verwindung des gebeugten Kniegelenks erforderlich in Form eines Verwindungstraumas oder Drehsturzes. Die vom Kläger geschilderte Bewegung in Form des seitlichen Aufschwingens auf die Ladefläche und das Herabspringen erfüllt diese Anforderungen nicht. Da der Kläger bereits beim Aufschwingen auf die Ladefläche Schmerz verspürte und beim Aufkommen auf den Boden einen Stich, also bevor das seitliche Wegdrehen erfolgte - und hiervon geht der Senat aufgrund der wiederholten Schilderungen des Klägers aus - ist ein geeigneter Unfallmechanismus nicht gegeben. Der Schmerz und der Stich sind eben nicht erst durch das seitliche Wegdrehen entstanden. Von einem Drehsturz, wie es die gemäß § 109 SGG gehörten Gutachter Dr.K. und Dr.E. annehmen, ohne die Schilderungen des Klägers zu interpretieren, kann somit nicht ausgegangen werden. Hinzu kommt, dass bei dem basisnah entstandenen Korbhenkeldefekt auch ein frischer Bluterguss zu erwarten gewesen wäre. Hieran fehlt es jedoch - wie sich eindeutig aus dem Operationsbericht des Dr.E. vom 17.10.1996 ergibt. Dies spricht gegen eine frische Meniskusverletzung ebenso wie beginnende degenerative Veränderungen am Gelenkknorpel und die bestandene Elongation des vorderen Kreuzbandes sowie oberflächliche Knorpelaufrauhungen an der inneren Kniescheibengelenkfläche. Hierauf weist Dr.W. anhand des Operationsbefundes vom 17.10.1996 überzeugend hin. Auch ist die Form des Meniskusschadens - hier Korbhenkel - typischerweise degenerativer Natur und entwickelt sich nach überwiegender Ansicht "mehrzeitig" bzw. "schubweise" (Schönberger/Mehrtens/Valentin aaO S 702). Auch die Tatsache, dass der Kläger erst zwei Tage nach dem Ereignis einen Arzt aufgesucht hat, spricht gegen eine frische Meniskusverletzung, die wie Dr.W. darlegt, immer mit einem Funktionsverlust des Kniegelenks einhergeht und daher unverzügliche ärztliche Maßnahmen nach sich zieht.

Der Senat vermochte den Ausführungen des Dr.E. im Gutachten vom 02.01.2003 / 03.04.2003 nicht zu folgen. Dieser geht von einem Drehsturz aus, der jedoch nicht erwiesen ist. Auch ist eine frische Kreuzbandverletzung letztlich nicht erwiesen. Dr.E. stützt sich im Wesentlichen auf den Kernspinbefund vom 08.10.1996, wo ein "Anriss des vorderen Kreuzbandes im proximalen femoralen Ansatzbereich" beschrieben ist. Der Senat hält aber die MRT-Diagnose allein im Hinblick auf die übrigen Untersuchungsbefunde nicht beweisend für eine frische Kreuzbandverletzung. Aus dem OP-Bericht vom 17.10.1996 ergibt sich vielmehr ein "parallelfaseriges vorderes Kreuzband ohne jegliche frische Verletzungsfolgen" und "es entleerte sich kein Blut". Dieser intraoperative Befund ist vereinbar mit dem angegebenen Ereignisverlauf, dem klinischen Erstbefund ohne schwerwiegende Funktionsstörungen, mit dem röntgenologischen Befund und dem kernspintomografischen Befund, wie Dr.W. überzeugend darlegt.

Zusammenfassend spricht somit mehr dagegen als dafür, dass der Gesundheitsschaden des Klägers am linken Knie durch das Ereignis vom 02.10.1996 verursacht worden ist. Dieses Ereignis ist daher nicht als Arbeitsunfall anzuerkennen und zu entschädigen.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG vom 22.08.2000 ist zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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