L 4 KR 377/13 NZB

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 5 KR 377/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 377/13 NZB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 23. Januar 2012 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin für das Beschwerdeverfahren zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beteiligten stritten in dem beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) anhängig gewesenen Verfahren um die Kostenübernahme für sechs Anwendungen von Ganzkörperkältetherapie (GKKT) in der Kältekammer für je EUR 16,50.

Die am 1952 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Sie leidet seit 1994 an einer rheumatoiden Arthritis mit Befall aller Gelenke. Eine Vielzahl an Operationen, darunter sechs mit Gelenkersatz, wurden bereits vorgenommen: Knie-TEP beidseitig, Hüft-TEP beidseitig, Schultergelenkersatz beidseitig. Eine fachrheumatologische Behandlung wird nicht durchgeführt, aber Krankengymnastik, Lymphdrainage und Ergotherapie. Außer Decortin nimmt sie keine Rheuma-Basismedikation ein. Im vorläufigen Entlassungsbericht der S. R. Kliniken B. S. vermerkte Fachärztin für Allgemeinmedizin, Stationsärztin Orthopädie de A. P., die Klägerin profitiere sehr von Kälteapplikationen und auch bei früheren Gelegenheiten von der Kältekammer. Die Verordnung der Kältekammer wäre sehr zu empfehlen. Fachärztin für Orthopädie Dr. H. bezeichnete unter dem 9. Juni 2006 gegenüber der Beklagten die Behandlung der Klägerin in einer Kältekammer wegen schwerer chronischer Polyarthritis mit Befall aller Gelenke als medizinisch erforderlich. Am 10. Juni 2009 beantragte die Klägerin die Übernahme der Kosten für die GKKT. Dr. de R.-W. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) führte auf Anfrage der Beklagten in dem sozialmedizinischen Gutachten vom 16. Juni 2009 aus, die GKKT sei eine neue Behandlungsmethode, die der Gemeinsame Bundesausschuss nicht anerkannt habe. Eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung liege nicht vor. Eine erweiterte Diagnostik und eine Therapieeinleitung mit einer Rheuma-Basis-Medikation oder einer erweiterten Medikation sollte durchgeführt werden. Auch eine auf Indizien gestützte spürbar positive Einwirkung auf die rheumatoide Arthritis durch die GKKT könne nicht bejaht werden. Es handele sich um ein neues Therapieverfahren, zu dem bisher keine Langzeitresultate vorlägen. Gegen den ablehnenden Bescheid vom 27. Juli 2009 erhob die Klägerin Widerspruch, den der bei der Beklagten gebildete Widerspruchsausschuss mit Widerspruchsbescheid vom 12. März 2010 zurückwies. In dem von ihr angestrengten Klageverfahren vor dem SG (S 5 KR 1539/10) schlossen die Beteiligten am 26. Juli 2010 einen Vergleich dergestalt, dass die Klägerin eine ärztliche Verordnung über die streitige Kältetherapie bei der Beklagten einreiche, und die Beklagte einen Bescheid über die Kostenübernahme erlasse. Das SG wies darauf hin, dass die Kältetherapie keine ärztliche Behandlung, sondern Heilmittel im Sinne von § 32 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) sei. Nach Ziffer 17.A 7 der Heilmittelverordnung gehörten Maßnahmen der Thermotherapie zu den verordnungsfähigen Heilmitteln. Bisher fehle es an einer ärztlichen Verordnung.

Die Klägerin reichte eine vertragsärztliche Verordnung von Dr. H. vom 20. August 2010 über sechs GKKT in der Kältekammer bei der Indikation Ex3a ein und beantragte am 29. September 2010 die Kostenübernahme. Sie habe im März 2010 eine heftige allergische Reaktion auf das Schmerzmittel Voltaren gezeigt, verschiedene andere Schmerzmittel hätten keinen Erfolg gezeigt. Der regelmäßige Therapieeinsatz in der Kältekammer habe die Schmerzen gelindert und die Einnahme von Voltaren habe beschränkt werden können. Mit Bescheid vom 22. Oktober 2010 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Kältetherapie könne nur als ergänzendes Heilmittel neben Krankengymnastik oder manueller Therapie verordnet werden. Nach den Heilmittelrichtlinien könne Kältetherapie mittels Kältepackungen, Kaltgas und Kaltluft verabreicht werden. Im Rahmenvertrag mit den Leistungserbringern sei die Kältetherapie definiert als Behandlung mit lokaler Applikation intensiver Kälte in Form von Eiskompressen, tiefgekühltem Eis-/Gel-Beutel, direkte Abreibung (Eismassage, Eiseinreibung), Kaltgas und Kaltluft mit entsprechenden Apparaturen sowie Eisteilbädern in Fuß- oder Armbadwannen. Die Behandlung in der Kältekammer gehöre nicht zu den vertraglichen Leistungen in der ambulanten Heilmittelversorgung und könne nicht auf Kassenrezept verordnet werden. Die Klägerin erhob Widerspruch, den der bei der Beklagten gebildete Widerspruchsausschuss mit Widerspruchsbescheid vom 29. Dezember 2010 zurückwies. Die GKKT sei bisher in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V nicht aufgeführt. Durch die Definition der Kältebehandlung im Rahmenvertrag werde deutlich, dass die Kältekammerbehandlung keine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung sei. Die genannten Apparaturen seien Kaltlufttherapiegeräte, die die Raumluft auf bis zu 60 Grad Celsius kühlen und über einen Schlauch auf die betroffenen Körperzonen leiten würden. Damit sei die GKKT in der Heilmittelrichtlinie nicht genannt und nicht Gegenstand der vertragsärztlichen Versorgung. Der Gemeinsame Bundesausschuss habe die Therapie nicht als Heilmittel anerkannt. Eine Ausnahmeregelung liege mangels Vorliegens einer lebensbedrohlichen Erkrankung nicht vor.

Mit ihrer Klage vom 25. Januar 2011 verfolgte die Klägerin ihr Begehren weiter. Das SG befragte die behandelnden Ärzte und zog Behandlungsberichte bei. PD Dr. Z., Oberarzt, Leiter des Bereiches Schulterchirurgie des Universitätsklinikums H. berichtete anlässlich der Nachuntersuchung nach Implantation von zwei Schulterprothesen, die Klägerin sei nunmehr in den Schultergelenken schmerzfrei, klage aber über Schmerzen im ganzen Körper, insbesondere den Ellenbogen, und lehne chronische Schmerzmitteleinnahme ab. Im Hinblick auf die Beschwerden, die am ehesten einer rheumatoiden Arthritis entsprächen, erscheine eine medikamentöse Analgesie langfristig nicht erfolgversprechend. Eine teilstationäre multimodale Schmerztherapie werde empfohlen (Arztbrief vom 24. März 2010). Der Leiter der Schmerztherapie, Prof. Dr. S., empfahl in seinem Arztbrief vom 15. Juni 2010 eine ambulante Mitbetreuung durch einen niedergelassenen Rheumatologen und eine integriert rheumatologisch-psychosomatische Behandlung. Das SG holte von Amts wegen ein Gutachten des Facharztes für Orthopädie Dr. W. ein. Der Sachverständige erstattete nach Untersuchung der Klägerin sein Gutachten vom 11. August 2011. Die Klägerin berichte, sie gehe regelmäßig einmal wöchentlich in die Kältekammer in B. S ... Die Schmerzen würden darunter rasch besser, das halte gut zwei bis drei Tage an, dann stiegen die Schmerzen wieder an. Bei der Klägerin liege Rheuma in einer schweren Form vor. Es bestünden - nach mehreren Gelenkersatzoperationen - immer noch schwere Funktionsstörungen der Hände mehr als der Füße und Leistungseinschränkungen im Sinne einer Pflegebedürftigkeit. Die Kältekammer-Therapie sei geeignet, die Krankheitsbeschwerden zu lindern und Pflegebedürftigkeit in gewissem Maß zu mindern. Bei der Klägerin seien nahezu sämtliche Therapiemaßnahmen angewendet worden bzw. würden angewendet. Sie mache Krankengymnastik, Lymphdrainagen und Ergotherapie. Kälteanwendungen seien verordnungsfähig. Eine Indikation bestehe. Die Kältekammerbehandlung sei eine Form der in den Heilmittelrichtlinie genannten Kaltluftanwendung, nur dass diese eben nicht auf ein Gelenk angebracht werde, sondern auf viele bzw. den ganzen Körper. Hierdurch könnten mit geringem zeitlichem Aufwand viele Gelenke auf einmal behandelt werden, wodurch die Kosten reduziert würden (Kältekammeranwendung Ganzkörper: EUR 16,50; Kälteanwendung pro Gelenk: EUR 8,50). Die Kälte führe zur Entzündungshemmung und Abschwellen der Gelenke.

Die Beklagte trat der Klage entgegen und legte das Gutachten des MDK von Dr. F. vom 6. und 7. Oktober 2011 vor. Die Heilmittelrichtlinie definiere die verordnungsfähigen Heilmittel indikationsbezogen abschließend. Neue Heilmittel oder solche, die nicht einer im Heilmittelkatalog genannten Indikation zugeordnet seien, würden nur verordnet bzw. gewährt, wenn der Gemeinsame Bundesauschuss den therapeutischen Nutzen anerkannt habe. Dies sei vorliegend nicht geschehen. Nach § 4 Abs. 4 Heilmittelrichtlinie sei ein neues Heilmittel ausgeschlossen. Für die GKKT läge eine hinreichende Bewertung auf der Grundlage evidenzbasierter Medizin bislang nicht vor, obwohl sie seit Ende der 80er Jahre Anwendung in der Behandlung u. a. chronischer entzündlicher rheumatoider Erkrankungen finde. Ein Cochrane Review zur Thermotherapie habe bei geringem Qualitätsniveau der Studien hinsichtlich der Behandlung der rheumatoiden Arthritis keinen entzündungshemmenden oder progressionshemmenden Effekt ergeben, aber Symptomlinderung und hohe Akzeptanz bei den Patienten. Für die GKKT fehlten bisher grundlegende Standards für die Anwendung sowie Kriterien für die einheitliche und qualitätsgesicherte Leistungserbringung.

Mit Urteil vom 23. Januar 2012 hob das SG den Bescheid vom 22. Oktober 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. Dezember 2010 auf und verurteilte die Beklagte, der Klägerin die GKKT im verordneten Umfang zu gewähren. Die GKKT sei ein Heilmittel im Sinne von § 32 SGB V und geeignet und notwendig, um bei der Klägerin Krankheitsbeschwerden zu lindern und in gewissem Maße Pflegebedürftigkeit zu mindern. Dies folge aus den Feststellungen des Sachverständigen Dr. W ... Das Behandlungsziel sei nach der nachvollziehbaren Einschätzung des Sachverständigen nicht anders zu erreichen. Die Therapie sei nicht nach § 34 oder § 138 SGB V ausgeschlossen. Die GKKT sei kein neues Heilmittel, denn sie sei bereits nach der Heilmittelrichtlinie verordnungsfähig und solle vorliegend entsprechend der Indikation erbracht werden. Die streitige Therapie sei "Kältetherapie mittels Kaltluft" im Sinne von § 24 Abs. 2 Nr. 1 Heilmittelrichtlinie i.d.F. vom 20. Januar 2011/19. Mai 2011. Weder Wortlaut noch Systematik der Heilmittelrichtlinie sei zu entnehmen, dass nur lokale Anwendungen gemeint seien. Der Rahmenvertrag zwischen der Beklagten und den Leistungserbringern sei unerheblich, denn der Rahmenvertrag müsse den Vorgaben der Heilmittelrichtlinie folgen und könne dort begründete Ansprüche nicht einschränken. Das Urteil wurde mit der Rechtsmittelbelehrung versehen, dass es mit der Berufung angefochten werden könne. Ausdrücklich zugelassen wurde die Berufung aber nicht.

Die Beklagte legte daraufhin am 5. März 2012 zunächst Berufung zum Landessozialgericht (LSG) ein. Zur Begründung wiederholte sie ihr bisheriges Vorbringen und bezog sich auf die Gutachten des MDK. Die Klägerin trat der Berufung entgegen. Diese sei bereits unzulässig, da der Berufungsstreitwert 6 × EUR 16,50 = EUR 99,00 betrage und das SG die Berufung nicht zugelassen habe. Auf Hinweis der Berichterstatterin nahm die Beklagte die Berufung am 14. September 2012 zurück und hat am 23. Januar 2013 Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Aus ihrer Sicht strebe die Klägerin eine lebenslange Dauerbehandlung, also wiederkehrende Leistungen für mehr als ein Jahr an. Die Rechtssache habe aber auch grundsätzliche Bedeutung, da der Fall eine bisher nicht geklärte Rechtsfrage aufwerfe, deren Klärung im allgemeinen Interesse liege, um die Rechteinheit zu wahren und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern. Klärungsbedürftig sei eine Rechtsfrage, wenn sie bisher höchstrichterlich nicht entschieden sei und durch Auslegung des Gesetzes nicht eindeutig beantwortet werden könne. Das BSG habe noch nicht über die Kostenübernahme für eine GKKT entscheiden. Das LSG Nordrhein-Westfalen habe einen Anspruch abgelehnt (Urteil vom 28. April 2005 - L 16 KR 45/04 -; in juris). Daher sei die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung und Abweichung von Entscheidungen übergeordneter Gerichte zuzulassen. Das Urteil leide auch an einem Verfahrensfehler. Das SG habe den behandelnden Arzt als Sachverständigen gehört, hätte aber beim Gemeinsamen Bundesausschuss anfragen müssen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 23. Januar 2012 zuzulassen.

Die Klägerin hat keinen Antrag gestellt. Sie gehe davon aus, dass die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen werde.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und den Verwaltungsvorgang der Beklagten verwiesen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des SG vom 23. Januar 2012 ist zulässig. Sie ist fristgerecht erhoben. Wegen der unrichtigen Rechtsmittelbelehrung im Urteil des SG galt gemäß § 66 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Jahresfrist. Die Rücknahme der - unstatthaften - Berufung am 14. September 2012 führte nicht zum Verlust des Rechtsmittels. § 156 Abs. 3 Satz 1 SGG wird insoweit durch § 145 Abs. 5 SGG verdrängt (Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 17. Juni 2008 - B 8 Ay 9/07 R -; in juris). Die Beschwerde der Beklagten ist jedoch nicht begründet, weil keine Gründe für eine Zulassung der Berufung gegeben sind.

1. Die Berufung bedarf nach § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG der Zulassung im Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 1. bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, EUR 750,00 oder 2. bei einer Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden EUR 10.000,00 nicht übersteigt. Dies gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (Satz 2). Die Berufung gegen das Urteil des SG vom 23. Januar 2012 bedarf der Zulassung, denn der Beschwerdewert von mehr als EUR 750,00 ist hier nicht erreicht. Die Klägerin begehrt die Erstattung der Kosten für sechs GKKT-Anwendungen für insgesamt EUR 99,00. Maßgeblich ist insoweit der konkrete Streitgegenstand, der sich aus der Verordnung der Dr. H. vom 20. August 2010 ergibt. Erst die gemäß § 73 Abs. 2 Nr. 7 SGB V erforderliche vertragsärztliche Verordnung konkretisiert nämlich den allgemeinen Anspruch auf ein bestimmtes Heilmittel (BSG, Urteil vom 16. Dezember 1993 - 4 RK 5/92 -; in juris). Die Berufung betrifft auch nicht wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr. Das Interesse der Klägerin, auch künftig die Kosten für die GKKT erstattet zu bekommen, bleibt insoweit außer Betracht (BSG, Beschluss vom 6. Februar 1997 - 14/10 BKg 14/96 -; in juris). Schließlich hat das SG die Berufung im Urteil auch nicht zugelassen. Dies ergibt sich ausdrücklich aus dem Tenor des Urteils. Die Beifügung der Rechtsmittelbelehrung, wonach das Urteil mit der Berufung angefochten werden könne, stellt keine Zulassung der Berufung dar (ständige Rechtsprechung, vgl. u.a. BSG, Urteil vom 28. März 1957 - 7 Rar 193/55 -, in juris).

2. Nach § 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn 1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, 2. das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder 3. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Keiner dieser Gründe ist gegeben.

a) Der von der Beklagten gerügte Verfahrensmangel liegt nicht vor. Ein Verfahrensmangel ist ein Verstoß gegen eine Vorschrift, die das sozialgerichtliche Verfahren regelt, sich also nicht auf den sachlichen Inhalt des Urteils, sondern das prozessuale Vorgehen bezieht. Vorliegend rügt die Beklagte zwar das Vorgehen des SG, nämlich im Rahmen medizinischer Ermittlungen einen Sachverständigen zur Geeignetheit und Erforderlichkeit des Heilmittels zu befragen, anstatt eine Anfrage an den Gemeinsamen Bundesausschuss zu richten, ob die begehrte Behandlung eine Vertragsleistung im Sinne von § 138 SGB V ist. Das prozessuale Vorgehen des SG ist aber Folge seiner inhaltlichen Bewertung. Die Anfrage an den Gemeinsamen Bundesausschuss setzt die Annahme voraus, dass ein neues Heilmittel, das nicht in den Heilmittelrichtlinien genannt ist, vorliegt. Das SG ist ausweislich der Entscheidungsgründe davon ausgegangen, dass § 138 SGB V nicht einschlägig ist, die GKKT bereits im Heilmittelkatalog enthalten und somit nach der Heilmittelrichtlinie zulasten der Beklagten verordnungsfähig ist. Ein Verfahrensmangel im Sinne von § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG ist darin nicht zu sehen.

b) Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung. Eine grundsätzliche Bedeutung ist dann anzunehmen, wenn sich eine Rechtsfrage stellt, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) oder deren Klärung durch eine höherinstanzliche Entscheidung zu erwarten ist (Klärungsfähigkeit; vgl. z. B. BSG, Beschluss vom 16. November 1987 - 5 BJ 118/87 - , Beschluss vom 16. Dezember 1993 - 7 BAr 126/93 - jeweils in juris). Die Klärungsbedürftigkeit fehlt, falls sich die Antwort auf die Rechtsfrage ohne weiteres aus den Rechtsvorschriften oder aus bereits vorliegender höchstrichterlicher Rechtsprechung ergibt (vgl. z. B. BSG, Beschluss vom 7. April 2012 - B 13 R 347/10 B - in juris). Eine solche Bedeutung hat die Rechtssache nicht.

Die Frage, ob die Klägerin einen Anspruch auf die beantragte GKKT hat, ist eine Tatsachenfrage, die keine grundsätzliche Bedeutung entfaltet. Entgegen dem Vorbringen der Beklagten hat die Entscheidung darüber, ob bei der Klägerin diese Voraussetzungen vorlagen, keine Auswirkungen auf Dritte in vergleichbaren Situationen. Bei inhaltlicher Befassung mit der Rechtssache könnte der Senat nur eine Einzelfallentscheidung durch Anwendung geltenden Rechts auf die Klägerin treffen, auf Dritte wäre diese Entscheidung nicht übertragbar. Eine Rechtsfrage, die sich nach der gegenwärtigen Gesetzeslage oder dem Stand der Rechtsprechung und Lehre nicht ohne weiteres beantworten lässt, und deshalb einer verallgemeinerungsfähigen Antwort im Sinne einer einheitlichen Rechtsanwendung bedarf, stellt sich daher nicht.

Eine grundsätzliche Bedeutung liegt auch nicht darin, dass die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Kostenübernahme nach § 32 SGB V klärungsbedürftig wären. Dies ist nicht der Fall, denn die Voraussetzungen ergeben sich aus § 32 Abs. 1 SGB V i.V.m. § 73 Abs. 2 Nr. 7 SGB V, § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6, Abs. 6 und der Heilmittelrichtlinie. Danach besteht ein Anspruch auf Kostenübernahme nur, wenn das begehrte Heilmittel für die bestehende Indikation in Heilmittelrichtlinie aufgeführt ist. Die Heilmittelrichtlinie Zweiter Teil - Zuordnung der Heilmittel zu Indikationen (Heilmittelkatalog) sieht unter I. A 1 Maßnahmen der physikalischen Therapie für Erkrankungen der Stütz- und Bewegungsorgane vor. Diagnosegruppe EX 3 sind Erkrankungen der Extremitäten und des Beckens mit prognostisch längerem Behandlungsbedarf (insbesondere Einschränkungen von relevanten Aktivitäten des täglichen Lebens, multistrukturelle funktionelle Schädigungen, z.B. Erkrankungen mit Gefäß-, Muskel und/oder Bindegewebsbeteiligung, insbesondere entzündlich-rheumatische Gelenkerkrankung mit akut entzündlichem Schub und systemische Erkrankungen. Für diese ist u.a. Kältetherapie als Heilmittel der physikalischen Therapie vorgesehen. Die Heilmittel-Richtlinie i.d.F. v 20. Januar 2011/19. Mai 2011 zählt in § 24 Abs. 2 Nr. 1 (übereinstimmend mit der vorher geltenden Fassung in Ziff. 17.A 7.1) die Maßnahmen der Kältetherapie abschließend auf, nämlich Kaltpackungen, Kaltgas, Kaltluft. Dies sind anders als die aufgezählten Maßnahmen der Wärmetherapie - worauf das SG zutreffend hingewiesen hat - nicht nur lokale Anwendungen. Die Therapie mit Kaltluft umfasst nicht nur die lokale Anwendung mit Blick auf einzelne Körperteile, sondern auch die Behandlung in einer Kältekammer. Eine Einschränkung erfolgt nach dem Wortlaut der Richtlinie nicht. Der Anspruch ergibt sich damit eindeutig aus dem Gesetz und der auf der Grundlage des § 92 SGB V erlassenen Heilmittel-Richtlinie. Eine Rechtsfrage, die sich nach der gegenwärtigen Gesetzeslage oder dem Stand von Rechtsprechung und Lehre nicht ohne Weiteres beantworten lässt und deshalb einer verallgemeinerungsfähigen Antwort im Sinne einer einheitlichen Rechtsanwendung bedarf, stellt sich daher nicht.

c) Es liegt auch keine Divergenz im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG vor.

Das Urteil des SG vom 23. Januar 2012 weicht nicht von einer Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts ab. Von einer Entscheidung des LSG weicht das Urteil des SG vom 23. Januar 2012 ebenfalls nicht ab. Das LSG hat über die Frage der Kostenerstattung oder Kostenübernahme für GKKT soweit ersichtlich - noch nicht entschieden. Etwas anderes ergibt sich auch nicht wegen einer Abweichung des Urteils des SG von dem des LSG Nordrhein-Westfalen vom 28. April 2005 (L 16 KR 45/04 -; in juris). Zulassungsgrund ist nur die Abweichung von einer Entscheidung des Berufungsgerichts, nicht eines anderen LSG (Leitherer, in: Meyer-Ladewig, SGG, 10. Aufl., § 144 Rn. 30). Dies trägt den Schwierigkeiten Rechnung, die sich bei der Ermittlung abweichender LSG-Entscheidungen anderenfalls ergeben. Im Übrigen war die hier zur Anwendung kommende Heilmittel-Richtlinie vom 20. Januar 2011/19. Mai 2011 auf den vom LSG Nordrhein-Westfalen zu entscheidenden Fall, bei dem eine Kältekammerbehandlung im Jahr 2002 im Streit war, noch nicht in Kraft und das LSG bewertete die Anwendung als Behandlungsmethode und nicht als Heilmittel, so dass das Urteil des SG von dem Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen mit Blick auf die Auslegung der Heilmittel-Richtlinie nicht abweicht.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).

Mit der Ablehnung der Beschwerde wird das Urteil des SG vom 23. Januar 2012 (S 5 KR 377/11) rechtskräftig (§ 145 Abs. 4 Satz 4 SGG).
Rechtskraft
Aus
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