L 17 U 209/01

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 11 U 215/00
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 17 U 209/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 17.05.2001 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von mindestens 20 vH sowie die Berücksichtigung beruflicher Betroffenheit streitig.

Der am 1966 geborene Kläger war Fußballspieler (Vertragsamateur) bei dem SV E ... Am 13.10.1998 trat ihm während des Trainings ein Mitspieler in die rechte Kniekehle. Er knickte - vom Gegenspieler nach unten gezogen - weg und fiel auf das Knie. Der Durchgangsarzt Dr.H. stellte in seinem Bericht vom 27.10.1998 eine vordere Kreuzbandruptur bei Kniegelenksdistorsion rechts fest. Vom 14. bis 26.10.1998 befand sich der Kläger in stationärer Behandlung in der St.E.-Klinik S. (operative Einsetzung einer vorderen Kreuzbandplastik am rechten Knie). Arbeitsunfähigkeit bestand vom 13.10.1998 bis 30.03.1999.

Am 31.03.1999 nahm der Kläger das Fußballtraining wieder auf. Dabei kam es zu einem weiteren Unfallereignis (Tritt von vorne gegen sein rechtes Knie mit Wegknicken). Der Orthopäde Dr.K. bestätigte im H-Arzt-Bericht vom 01.04.1999 neben einer Hämarthrose rechts eine subtotale Ruptur der vorderen Kreuzbandplastik rechts. Wegen des erneuten Arbeitsunfalls war der Kläger bis 30.09.1999 arbeitsunfähig. Zum 30.06.1999 endete sein Vertragsverhältnis bei dem SV E. wegen Nichtverlängerung.

Nach Einholung der medizinischen Unterlagen der St.E.-Klinik S. sowie von Befundberichten des Orthopäden Dr.K. holte die Beklagte ein Gutachten des Prof. Dr.B. (Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik M.) vom 25.08.1999 ein. Dieser stellte eine geringe Minderung der Muskulatur und eine minimale Einschränkung der Beugefähigkeit des rechten Knies bei geringer Instabilität fest. Die MdE aufgrund beider Unfälle schätzte er auf 10 vH.

Nach Beiziehung eines Arztberichtes der Unfallchirurg. Abteilung der F.-Klinik K. vom 16.11.1999 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 09.02.2000 einen Anspruch des Klägers auf Verletztenrente wegen des Versicherungsfalls vom 13.10.1998 ab. Als Folgen des Versicherungsfalls erkannte sie aber an: Geringfügige Bewegungseinschränkung des rechten Kniegelenks, geringe Muskelminderung am rechten Bein sowie leichte Instabilität des rechten Kniegelenks nach mit Kreuzbandersatzplastik versorgtem Riss des rechten vorderen Kreuzbands und erneutem Riss der Kreuzbandersatzplastik am 31.03.1999.

Den Widerspruch des Klägers wies sie mit Bescheid vom 04.09.2000 zurück.

Gegen diese Bescheide hat der Kläger Klage beim Sozialgericht (SG) Bayreuth erhoben und beantragt, ihm Verletztenrente ab Oktober 1999 nach einer MdE um wenigstens 20 vH zu gewähren. Er hat vorgetragen, dass allein wegen der Kniebeschwerden die MdE deutlich über 20 vH liegen müsse. Außerdem sei ihm dringend empfohlen worden, überhaupt nicht mehr Fußball zu spielen.

Die Beklagte hat Befundberichte des Allgemeinarztes Dr.T. vom 24.11.2000 und des Orthopäden Dr.K. vom 04.12.2000, die Akte des Arbeitsamts Coburg, sowie die Verwaltungsakte der Beklagten über den Arbeitsunfall vom 10.05.1991 (linke Schulter; aufgrund Gutachten des Dr.K. vom 16.11.1999 [MdE unter 10 vH] wurde mit Bescheid vom 20.12.1999 eine Entschädigung abgelehnt) zum Verfahren beigezogen. Sodann hat der Chirurg Dr.V. am 31.12.2000/10.02.2001 ein Gutachten erstellt, in dem er eine Bänderlockerung am rechten Kniegelenk durch Defekt des vorderen Kreuzbandes, Reizzustände des rechten Kniegelenkes durch verletzungsbedingte Narbenbildung sowie eine Muskelverminderung am rechten Bein als Unfallfolgen ansah. Die MdE hierfür betrage ab Oktober 1999 10 vH. Hinsichtlich eines Anspruchs auf Stützrente hat er die Folgen des Arbeitsunfalls vom 10.05.1991 - die linke Schulter betreffend - mit einer MdE von unter 10 vH bewertet.

Nach Vorlage eines Arthroskopie-Berichts des Chirurgen Dr.H. vom 01.03.2001 hat das SG mit Urteil vom 17.05.2001 die Klage abgewiesen. Es ist von einer MdE von 10 vH ausgegangen und hat eine Höherbewertung der MdE wegen besonderer beruflicher Betroffenheit als Profi-Fußballer ausgeschlossen.

Hiergegen hat der Kläger Berufung eingelegt und ausgeführt, dass seine Erwerbsfähigkeit durch die Folgen der Unfälle vom 13.10.1998 und 31.03.1999 mindestens um 20 vH gemindert sei. Dies ergebe sich auch aus dem Operationsbericht des Dr.H. vom 01.03.2001. Zudem sei eine Höherbewertung der MdE wegen besonderer beruflicher Betroffenheit als Profi-Fußballer gerechtfertigt, da er ohne funktionierendes Kniegelenk nicht mehr spielen könne.

Der Senat hat die Akte des Arbeitsamts Coburg sowie die einschlägigen Röntgen- und CT-Aufnahmen zum Verfahren beigezogen. Sodann hat der Orthopäde Dr.D. ein Gutachten erstellt. In dem Gutachten vom 06.07.2002 hat er als Unfallfolge eine muskulär kompensierte einfache vordere Instabilität nach Patellasehnen-Ersatzplastik vom 15.10.1998 nach Ruptur des vorderen Kreuzbands des rechten Kniegelenks angegeben. Der Zustand des rechten Kniegelenks sei ab Oktober 1999 mit einer MdE von 10 vH zu bewerten.

Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des SG Bayreuth vom 17.05.2001 und unter Abänderung des Bescheids vom 09.02.2000 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 04.09.2000 zu verurteilen, ab Oktober 1999 Verletztenrente nach einer MdE von wenigstens 20 vH zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Bayreuth vom 17.05.2001 zurückzuweisen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird ergänzend auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten, der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie der Akte des Arbeitsamts Coburg Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, sachlich aber nicht begründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente, da die Voraussetzungen nicht erfüllt sind (§ 56 Abs 1, 2 Sozialgesetzbuch [SGB] VII).

Ein Anspruch auf Verletztenrente setzt nach § 56 Abs 1 Satz 1 SGB VII voraus, dass die Erwerbsfähigkeit eines Verletzten infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vH gemindert ist. Die Entscheidung der Frage, in welchem Umfang die Erwerbsfähigkeit eines Verletzten gemindert ist, ist eine tatsächliche Feststellung, die das Gericht gemäß § 128 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nach seiner freien, aus dem Gesamtergebis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft (BSGE 4, 147, 149; 6, 267, 268; BSG vom 23.04.1987 - 2 RU 42/86). Die Bemessung des Grades der unfallbedingten MdE richtet sich nach dem Umfang der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens des Verletzten durch die Unfallfolgen und nach dem Umfang der dem Verletzten dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Die Beurteilung, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind, betrifft in erster Linie das ärztlich-wissenschaftliche Gebiet. Doch ist die Frage, welche MdE vorliegt, eine Rechtsfrage. Sie ist ohne Bindung an ärztliche Gutachten unter Berücksichtigung der Einzelumstände nach der Lebenserfahrung zu entscheiden. Ärztliche Meinungsäußerungen hinsichtlich der Bewertung der MdE sind aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Einschätzung des Grades der MdE, vor allem soweit sich diese darauf bezieht, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind (BSG in SozR 2200 § 581 NrN 23, 27).

Die beiden Unfälle vom 13.10.1998 und 31.03.1999 sind als Arbeitsunfälle anerkannt. Die Beklagte hat im Bescheid vom 09.02.2000 den erneuten Riss der Kreuzbandersatzplastik am 31.03.1999 in vertretbarer Weise als mittelbare Folge des ersten Unfalls angesehen.

Aufgrund der Ausführungen der Sachverständigen Dr.D. , Dr.V. und Dr.B. , dessen für die Beklagte erstattetes Gutachten vom 25.08.1999 im vorliegenden Rechtsstreit verwendet werden kann (BSG SozR Nr 66 zu § 128 SGG), steht zur Überzeugung des Senats fest, dass bei dem Versicherten aufgrund des Arbeitsunfalls vom 13.10.1998 und des Folgeunfalls vom 31.03.1999 eine einfache vordere Instabilität des rechten Kniegelenks nach Ruptur des vorderen Kreuzbands und zweifacher Ersatzplastik verblieben ist. Die einfache vordere Instabilität des rechten Kniegelenks stellt sich mit festem Bandanschlag dar. In der Kniegelenksbeugung lässt sich eine nur endgradige Bewegungseinschränkung nachweisen (sog muskulär kompensierte Instabilität). Der Kläger ist jetzt in der Lage, wieder normale sportliche Betätigungen durchzuführen. Wesentliche funktionelle Einschränkungen am rechten Kniegelenk lassen sich nicht mehr nachweisen.

Nach Auffassung des Senats schätzen die Gutachter die MdE mit 10 vH zutreffend ein. Entsprechend den Erfahrungssätzen der gesetzlichen Unfallversicherung ist eine höhere MdE als 10 vH nicht vertretbar. Endgradige Behinderungen der Beugung/Streckung mit muskulär kompensierbaren instabilen Bandverhältnissen werden höchstens mit einer MdE von 10 vH bewertet (Schönberger/ Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 6.Auf- lage, S 638). Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Kläger nach dem Unfall vom 13.10.1988 seine Arbeit als Berufsfußballer am 31.03.1999 wieder aufnehmen konnte. Zu diesem Zeitpunkt musste also eine volle Funktionsfähigkeit des rechten Kniegelenks bestanden haben. Nach Ablauf der Arbeitsunfähigkeit zum 30.09.1999 infolge des zweiten Unfalls vom 31.03.1999 hat Prof.Bühren die Funktionstüchtigkeit des rechten Beines praktisch als wiederhergestellt - abgesehen von einer minimalen Instabilität und annähernd freiem Bewegungsausmaß - angesehen. Da das zweite Unfallereignis nicht nur dasselbe Organ, sondern auch dessen gleiche Struktur betraf, ist ab Oktober 1999 die MdE mit 10 vH zu bewerten. Dabei ist es ohne Belang, dass Dr.H. im intraoperativen Befund am 14.02.2001 das vordere Kreuzband als auf ein Fünftel ausgedünnt und gedehnt beschreibt. Selbst ein komplett gerissenes vorderes Kreuzband kann muskulär so stabilisiert werden, wie Dr.D. überzeugend ausführt, dass keine wesentlichen Funktionsausfälle entstehen. Bewertet wird im Rahmen der MdE aber nur die Funktionsbeeinträchtigung.

Entgegen der Auffassung des Klägers ist auch unter dem Gesichtspunkt einer besonderen beruflichen Betroffenheit nach § 56 Abs 2 Satz 3 SGB VII keine Erhöhung der - einheitlich festzustellenden - MdE herzuleiten. Nach dieser Vorschrift sind bei der Bemessung der MdE Nachteile zu berücksichtigen, die ein Versicherter dadurch erleidet, dass er bestimmte, von ihm erworbene besondere berufliche Kenntnisse und Erfahrungen (hier als Berufsfußballspieler) infolge des Arbeitsunfalls nicht mehr oder nur noch im verminderten Umfang nutzen kann, soweit sie nicht durch sonstige Fähigkeiten ausgeglichen werden, deren Nutzung ihm zugemutet werden kann. Es findet aber keine allgemeine Berücksichtigung der besonderen beruflichen Betroffenheit statt. Eine Höherbewertung der MdE erfolgt nur dann, wenn unter Wahrnehmung des in der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Grundsatzes der abstrakten Schadensberechnung, der durch § 56 Abs 2 Satz 3 SGB VII nicht eingeschränkt wird, die Nichtberücksichtigung von Ausbildung und Beruf bei der Bewertung der MdE im Einzelfall zu einer unbilligen Härte führen würde (stRspr, zuletzt BSG vom 27.06.2000, SozR 3-2200 § 581 RVO Nr 7).

Als wesentliche Merkmale für die Beurteilung der Frage, ob eine höhere Bewertung der MdE zur Vermeidung unbilliger Härten gerechtfertigt ist, hat das BSG insbesondere das Alter des Verletzten neben der Dauer der Ausbildung sowie der Dauer der Ausübung der speziellen beruflichen Tätigkeit angesehen.

Bei Anwendung dieser von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze ergibt sich, dass eine unbillige Härte iS des § 56 Abs 2 Satz 3 SGB VII im vorliegenden Fall zu verneinen ist. Der Beruf eines Berufsfußballspielers wird nämlich nicht - wie im Regelfall andere Berufe - bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres oder zumindest bis zur Vollendung des 60. Lebensjahres ausgeübt. Vielmehr können - wie allgemein kundig ist und deshalb keiner näheren Begründung bedarf - solche Berufsspitzensportler ihre Tätigkeit selbst bei völliger Gesundheit schon altersbedingt nur eine relativ kurze Zeitspanne, regelmäßig nicht weit über das 30. Lebensjahr hinaus, ausüben (BSG aaO). Dies wird im Falle des Klägers bestätigt, da er im Zeitpnkt des Unfalls vom 13.10.1998 bereits das 32. Lebensjahr überschritten hatte. Er musste also von vorneherein davon ausgehen, seinen Beruf in jungen Jahren zu beenden und sich einer anderen Erwerbstätigkeit zuwenden zu müssen. Für seinen Beruf ist es geradezu typisch, sich in jungen Jahren beruflich umstellen zu müssen. Von einem Berufsfußballspieler, der seinen Beruf infolge eines Arbeitsunfalls aufgeben musste, zu verlangen, sich auf eine andere berufliche Tätigkeit umzustellen, stellt dann keine unbillige Härte dar. Auch der Kläger ist dazu in der Lage. Im Übrigen werden für ihn auch Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation von dem zuständigen Versicherungsträger durchgeführt.

Das Urteil des SG Bayreuth sowie die Bescheide der Beklagten sind daher nicht zu beanstanden. Die Berufung des Klägers war zurückzuweisen, da auch kein Stützrententatbestand nach § 56 Abs 1 Satz 2 SGB VII vorliegt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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