L 17 U 20/00

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 2 U 25/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 17 U 20/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen die Urteile des Sozialgerichts Nürnberg vom 09.12.1999 werden zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger Verletztenrente wegen der Berufskrankheit (BK) Nr 4103 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung (BKVO) nach einer höheren Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) als 20 vH zu gewähren ist sowie ob asbestbedingte Stimmbandveränderungen als BK anzuerkennen und zu entschädigen sind.

Der am 1923 geborene Kläger war von 1939 bis 1941 sowie 1948 bis 1956 als Feuerungsmaurer tätig. Hier war er einer Asbesteinwirkung ausgesetzt. Ab 1956 - in leitender Funktion - hatte er weiterhin bei Kontrollaufgaben und Reparaturarbeiten an den Feuerungsanlagen Kontakt mit Asbestfasern und -pappen. In diesem Beruf war er bis 15.01.1980 tätig. Nach anschließender Arbeitsunfähigkeit bezog er ab Januar 1981 Rente wegen Berufsunfähigkeit von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, ab Mai 1983 Altersruhegeld wegen festgestellter Berufsunfähigkeit. Seit etwa 1973 machten sich bei ihm Kurzatmigkeit, starkes Schwitzen sowie Leistungsabfall bemerkbar.

I.

Die AOK Mittelfranken - Verwaltungsstelle Schwabach - wies mit Schreiben vom 09.02.1978 gegenüber der Beklagten auf eine eventuelle BK hin. Nach Einholung von Gutachten des Prof. Dr.H.V. (Institut für Arbeits- und Sozialmedizin der Universität E.) vom 24.01.1979/30.03.1982/ 08.07.1985 und 04.08.1988 wurde bei dem Kläger die vorliegende Kurzatmigkeit ursächlich auf eine BK nach Nr 4103 der Anlage 1 zur BKVO (Asbeststaublungenfibrose) - ohne rentenberechtigende MdE - zurückgeführt. Die Krankheit wurde als leichtgradig ausgeprägt ohne objektivierbare Einschränkung der Lungenfunktion angesehen. In einem weiteren Gutachten des Prof.Dr.G.T. (Institut und Poliklinik für Arbeits- und Sozialmedizin der Universität H.) vom 01.04.1992 konnten zum Teil verkalkte plaqueartige Veränderungen im Bereich der Pleura, eine diffuse Pleuraverdickung sowie eine irrregulär-streifige Zeichnungsvermehrung im Bereich des Lungenparenchyms ursächlich der Asbeststaub-Belastung - ohne messbare MdE - zugeordnet werden, ohne dass sich funktionsanalytisch Einschränkungen der pulmokardialen Leistungsbreite nachweisen ließen. Mit Bescheid vom 23.10.1992 erkannte die Beklagte eine Asbestoseerkrankung nach Nr 4103 der Anlage 1 zur BKVO - ohne rentenberechtigende MdE - an. Im anschließenden Verfahren vor dem SG Nürnberg konnte der Internist Dr.M.W. (Fürth) in seinem Gutachten vom 13.09.1993 wegen fehlender Nachweise einer objektiverbaren Lungenfunktionseinbuße eine MdE von mindestens 20 vH nicht begründen. Vor dem Bayer.Landessozialgericht führten eine gutachtliche Stellungnahme des Dr.M.W. vom 31.08.1994 sowie ein Gutachten des Prof.Dr.G.T. vom 13.01.1995 zum Vergleich vom 08.06.1995, in dem der Rechtsstreit durch die Gewährung einer Übergangsleistung nach § 3 BKVO beendet wurde. Die Beklagte veranlasste am 25.07.1995 ein internistisch-pneumologisches Gutachten des Internisten Dr.U.V. (Nürnberg), in dem die MdE für die anerkannte Asbeststauberkrankung weiterhin mit unter 20 vH bewertet wurde.

Am 30.05.1997 stellte der Kläger einen Verschlimmerungsantrag unter Vorlage ärztlicher Atteste des Allgemeinarztes Dr.H.G. (Nürnberg) vom 15.05.1997 und des Internisten Dr.E.G. (Nürnberg) vom 26.02.1997. Zur Aufklärung des Sachverhalts veranlasste die Beklagte ein Gutachten des Internisten Dr.U.V. vom 16.07.1997. Dieser beschrieb als Folgen der BK ausgedehnte und diffuse pleurale Fibrosierungen, zum Teil mit ausgedehnten Verkalkungen. Als Folge dieser Veränderungen lasse sich eine restriktive Ventilationsstörung nachweisen. Die MdE werde ab 14.07.1997 (Untersuchungstag) auf 20 vH eingeschätzt. Mit Bescheid vom 17.09.1997 erkannte die Beklagte als Folge des Versicherungsfalls asbeststaubbedingte Veränderungen von Lunge und Pleura, restriktive Lungenventilationsstörung an und gewährte ab 15.07.1997 Verletztenrente nach einer MdE von 20 vH (bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 22.12.1997).

Gegen diese Bescheide hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben und beantragt, weitere Asbestosefolgen anzuerkennen und Verletztenrente nach einer höheren MdE als 20 vH zu gewähren. Er hat vorgetragen, dass er an zunehmender Atemnot sowie Husten mit Auswurf und Schweißausbrüchen neben Heiserkeit nach Stimmbandoperation leide. Das SG hat die ärztlichen Unterlagen der Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen-, Ohrenkranke der Universität E. aus dem Jahr 1996, Befundberichte des Dr.H.G. vom 01.12.1998 und des Dr.E.G. vom 09.12.1998 sowie einen HV-Entlassungsbericht der Berufsgenossenschaftlichen Klinik für Berufskrankheiten F. vom 12.11.1998 zum Verfahren beigezogen. Sodann hat Prof.Dr.M.H. (Nürnberg) ein Gutachten vom 19.02.1998 erstellt (unter Einschluss einer HNO-ärztlichen Stellungnahme des Dr.G.H. vom 19.01.1999). Er hat neben einer Stimmbandlähmung links asbestbedingte Pleuraveränderungen mit mäßiggradiger reflektiver Ventilationsstörung festgestellt, die mit einer MdE in Höhe von 20 vH zutreffend bemessen seien. Mit Urteil vom 09.12.1999 hat das SG die Klage abgewiesen und ausgeführt, dass die festgestellten Asbestosefolgen entsprechend den Erfahrungswerten in der gesetzlichen Unfallversicherung nur mit einer MdE von 20 vH zu bewerten seien.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt und wiederholt, dass er an zunehmender Atemnot, Husten mit Auswurf und Schweißausbrüchen neben zunehmender Heiserkeit nach Stimmbandoperation leide. Der Senat hat die Akten des Amtes für Versorgung und Familienförderung Nürnberg, die ärztlichen Unterlagen der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte sowie die einschlägigen Röntgen- und CT-Aufnahmen zum Verfahren beigezogen und Prof.Dr.H.-J.W. (Institut und Poliklinik für Arbeits- und Sozialmedizin der Universität G.) mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. In dem Gutachten vom 12.04.2001 hat dieser seit 1997 auf dem Gebiet der pulmonalen Leistungsfähigkeit keine wesentliche Verschlimmerung des Gesundheitszustandes nachweisen können. Er hat die MdE weiterhin mit 20 vH eingeschätzt. Eine Erhöhung der MdE um 10 bis 20 vH wegen besonderen beruflichen Betroffenseins sei zu erwägen.

Die Beklagte hat das Vorliegen einer besonderen beruflichen Betroffenheit verneint, da der Kläger bereits 1983 endgültig aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sei. Sie hat auf eine gutachtliche Stellungnahme der Internistin Dr.N.K. (Berufsgenossenschaftliche Klinik für Berufskrankheiten F.) vom 06.08.2001 verwiesen, wonach lungenfunktionsanalytisch wesentliche Einschränkungen der ventilatorischen Funktion und eine Gasaustauschstörung nicht nachweisbar seien. Die MdE infolge der BK nach Nr 4103 der Anlage 1 zur BKVO werde unverändert mit 20 vH eingeschätzt.

II.

Am 06.06.1997 stellte der Kläger einen Antrag auf Anerkennung seiner Stimmbandveränderungen als BK. Hierzu legte er einen Arztbericht des Dr.H.G. vom 15.05.1997 vor. Die Beklagte zog die ärztlichen Unterlagen der Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen-, Ohrenkranke der Universität E. bei. Danach war der Kläger in der Zeit vom 16.08. bis 04.09.1996 stationär wegen eines Leukoplakie-Rezidivs des linken Stimmbandes behandelt worden. In der Vergangenheit waren bei ihm schon häufiger Leukoplakien des linken Stimmbandes abgetragen worden. Außerdem fand sich ein seit Jahren bekannter Stimmlippenstillstand links. Mit Bescheid vom 13.11.1997 lehnte die Beklagte die Gewährung von Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab, da unter Berücksichtigung des Gutachtens des Dr.V. vom 16.07.1997 zwischen der Asbesteinwirkung und den gutartigen Stimmbandveränderungen kein Zusammenhang bestehe. Im anschließenden Widerspruchsverfahren wies der Internist Dr.H.S. (Bayreuth) in seiner gutachtlichen Stellungnahme vom 09.01.1998 auf rezidivierend gutartige Veränderungen des linken Stimmbandes im Sinne einer Leukoplakie hin, wobei es sich histologisch um eine gutartige ausgedehnte Schleimhautfibrose handle. Eine maligne Erkrankung im Sinne eines Kehlkopfkrebses und damit eine BK bestehe nicht. Daraufhin wies die Beklagte mit Bescheid vom 20.02.1998 den Widerspruch zurück und schloss eine BK nach Nr 4104 der Anlage 1 zur BKVO aus.

Gegen diese Bescheide hat der Kläger Klage zum SG Nürnberg erhoben und beantragt, die asbestbedingten Stimmbandveränderungen als BK anzuerkennen und zu entschädigen. Er hat ausgeführt, dass die mit einer Heiserkeit zusammenhängenden Stimmbandveränderungen auf die Asbestexposition zurückzuführen seien.

Auf Veranlassung des SG hat der Arbeitsmediziner Prof. Dr.M.H. ein Gutachten vom 19.02.1999 erstellt und eine Stimmbandlähmung links, chronische Laryngitis sowie Zustand nach mehrfacher Leukoplakie-Abtragung am linken Stimmband als Gesundheitsstörungen festgestellt. Leukoplakien könnten der BK Nr 4104 nur dann zugeordnet werden, wenn eine Kehlkopfkrebserkrankung vorliege. Dies sei nicht der Fall. Durch mehrfache HNO-ärztliche Eingriffe sei eine Krebsprävention erfolgreich vorgenommen worden, sodass eine Kehlkopferkrankung nicht entstehen konnte. Als Folge dieser Maßnahme sei aber eine operativ bedingte Stimmbandlähmung aufgetreten, wodurch die Heiserkeit zu erklären sei. Eine hierdurch bedingte MdE betrage ab 20.12.1978 10 vH.

Mit Urteil vom 09.12.1999 hat das SG die Klage abgewiesen und ausgeführt, dass die Stimmbandveränderung bzw die Heiserkeit des Klägers nicht als BK anzuerkennen sei. Gutartige Veränderungen oder vorbeugende Maßnahmen zur Verhinderung einer BK begründeten keine BK.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt und auf die zunehmende Heiserkeit nach Stimmbandoperation hingewiesen. Der Senat hat die Krankenakte der Hals-, Nasen- und Ohrenklinik der F.Universität E. zum Verfahren beigezogen und den Arbeitsmediziner Prof.Dr.W. mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt, der in dem Gutachten vom 12.04.2001 mit hoher Wahrscheinlichkeit eine arbeitsbedingt wesentlich mitverursachte Leukoplakie als Gesundheitsstörung des Kehlkopfs im Sinne einer Vorstufe (Präkanzerose) der BK Nr 4104 angenommen hat. Die MdE hat er zwischen 10 und 20 vH eingeschätzt.

Die Beklagte hat erwidert, dass ein Versicherungsfall im Sinne der BK Nr 4104 bisher nicht vorliege. Ein Kehlkopfkrebs sei noch nicht nachgewiesen. Außerdem liege nach § 6 Abs 1 BKVO nur dann ein Versicherungsfall vor, wenn dieser nach dem 31.12.1992 eingetreten sei. Die operativen Leukoplakie-Abtragungen seien aber in den 70er Jahren durchgeführt worden.

III.

In der mündlichen Verhandlung vom 20.02.2002 hat der Senat die beiden Streitsachen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

Der Kläger beantragt (sinngemäß), die Beklagte zu verurteilen, 1. unter Aufhebung des Urteils des SG Nürnberg vom 09.12.1999 sowie unter Abänderung des Bescheides vom 17.09.1997 idF des Widerspruchsbescheides vom 22.12.1997 Verletztenrente nach einer höheren MdE als 20 vH aufgrund der anerkannten BK gemäß § 9 I Sozialgesetzbuch (SGB) VII iVm Nr 4103 der Anlage 1 zur BKVO, hilfsweise nach § 9 II SGB VII zu gewähren, 2. unter Aufhebung des Urteils des SG Nürnberg vom 09.12.1999 sowie des Bescheides vom 13.11.1997 idF des Widerspruchsbescheides vom 20.02.1998 Stimmbandveränderungen als BK nach § 551 I Reichsversicherungsordnung (RVO) iVm Nr 4104 der Anlage 1 zur BKVO bzw § 551 Abs 2 RVO anzuerkennen und zu entschädigen.

Die Beklagte beantragt, die Berufungen des Klägers gegen die Urteile des SG Nürnberg vom 09.12.1999 zurückzuweisen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten der Beklagten, der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz (einschließlich der Archivakten des SG Nürnberg und des Bayer. Landessozialgerichts) sowie der Schwerbehindertenakte des Amtes für Versorgung und Familienförderung Nürnberg und der Krankenakte der Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenkranke der Universität E. Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegten Berufungen sind zulässig, in der Sache aber nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung von Verletztenrente nach einer höheren MdE als 20 vH sowie auf Anerkennung und Entschädigung einer weiteren BK nach Nr 4104 der Anlage 1 zur BKVO, da die Voraussetzungen nicht erfüllt sind.

1. Entschädigung der nach § 9 Abs 1 SGB VII iVm Nr 4103 der Anlage 1 zur BKVO anerkannten BK nach einer höheren MdE als 20 vH.

Die Vorschriften des SGB VII sind hier anwendbar, da der Versicherungsfall zwar vor dem Tag des Inkraftreten des SGB VII eingetreten ist (siehe Bescheid vom 23.10.1992), etwaige Leistungen aber nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes erstmals festzusetzen sind (siehe Bescheid vom 17.09.1997 mit Verletztenrentengewährung ab 15.07.1997) (§ 214 Abs 3 Satz 1 SGB VII).

Die Entscheidung der Frage, in welchem Grade die Erwerbsfähigkeit eines Verletzten gemindert ist, ist eine tatsächliche Feststellung, die das Gericht gemäß § 128 Abs 1 Satz 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft (BSGE 4, 147, 149; 6, 267, 268; BSG vom 23.04.1987 - 2 RU 42/86). Die Bemessung des Grades der unfallbedingten MdE richtet sich nach dem Umfang der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens des Verletzten durch die Unfallfolgen und nach dem Umfang der dem Verletzten dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens. Die Beurteilung, in welchen Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind, betrifft in erster Linie das ärztlich-wissenschaftliche Gebiet. Doch ist die Frage, welche MdE vorliegt, eine Rechtsfrage. Sie ist ohne Bindung an ärztliche Gutachten unter Berücksichtigung der Einzelumstände durch die Lebenserfahrung zu entscheiden (vgl Lauterbach-Watermann, Gesetzliche Unfallversicherung, 3. Auflage, Anm 5 b zu § 581 RVO). Ärztliche Meinungsäußerungen hinsichtlich der Bewertung der MdE sind aber eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richtige Einschätzung des Grades der MdE, vor allem, soweit sich dieser darauf bezieht, in welchen Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind (BSG in SozR § 581 Nrn 23, 27). Darüber hinaus sind bei der Beurteilung der MdE auch die von der Rechtsprechung sowie von dem versicherungsrechtlichen und - medizinischen Schrifttum herausgearbeiteten allgemeinen Erfahrungssätze - entsprechend dem jeweiligen Stand der medizinischen Wissenschaft - zu beachten. Zwar sind diese nicht im Einzelfall bindend, aber sie sind geeignet, die Grundlage für eine gleiche und gerechte Beurteilung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis zu bilden (BSG vom 23.04.1987 - 2 RU 42/86; BSG SozR 2200 § 581 Nr 27). Unstreitig war der Kläger in seinem Berufsleben gegenüber Asbest exponiert. Die Beklagte hat daher auf Grundlage der Gutachten der Prof.Dr.V. und Dr.T. mit Bescheid vom 23.10.1992 eine Asbestoseerkrankung nach Nr 4103 der Anlage 1 zur BKVO - ohne rentenberechtigende MdE - anerkannt. Prof.Dr.T. hat zuletzt in seinem Gutachten vom 13.01.1995 zum Teil verkalkte plaqueartige Veränderungen im Bereich der Pleura sowie irrregulär-streifige Zeichnungsvermehrungen im Bereich des Lungenparenchyms nachweisen und mit Wahrscheinlichkeit auf die berufliche Asbeststaub-Exposition ursächlich zurückführen können. Funktionsanalytisch fanden sich aber keine Einschränkungen der pulmokardialen Leistungsbreite. Eine messbare Minderung der Erwerbsfähigkeit ließ sich daher nicht begründen. Der Röntgenbefund einer Asbestose allein ohne messbare Einschränkung der kardiopulmonalen Funktion rechtfertigt keine MdE-Einschätzung von mindestens 10 vH (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 6. Auflage, Seite 1011). Unstreitig ist im Laufe der Zeit eine Verschlimmerung der anerkannten BK-Folgen eingetreten. Vor allem Dr.V. weist in seinem Gutachten vom 16.07.1997 darauf hin, dass im Vergleich zu 1995 die pleuralen Veränderungen größer geworden sind. Insbesondere bei der Lungenfunktionsprüfung ließ sich - im Gegensatz zu den früheren Untersuchungen - eindeutig eine klinisch-relevante restriktive Ventilationsstörung nachweisen, und zwar leichterer Art. Dieser Befund konnte bei Mehrfach-Messungen reproduziert werden. Damit findet sich auch eine Übereinstimmung zwischen Röntgenbefund, geklagten Beschwerden und gemessenen Funktionseinbußen. Eine MdE von 20 vH ab dem Zeitpunkt der gutachterlichen Untersuchung (14.07.1997) war daher in Übereinstimmung mit den Messwerten der modifizierten MdE-Tabelle nach Worth, Borsch-Galetke und Peters (Schönberger aaO Seite 1012) vertretbar. Die Beklagte hat dies auch im Bescheid vom 17.09.1997 berücksichtigt und dem Kläger Verletztenrente nach einer MdE von 20 vH ab 15.07.1997 gewährt unter Anerkennung der asbeststaubbedingten Veränderungen von Lunge und Pleura sowie einer restriktriven Lungenventilationsstörung. Diese Verschlimmerung im Vergleich zu den Grundlagen des Bescheides vom 23.10.1992 konnte durch die gerichtsärztlichen Gutachten bestätigt werden. Prof.Dr.H. weist in seinem Gutachten vom 09.02.1998 ebenfalls auf eine mäßiggradige restriktive Ventilationsstörung hin, wobei die inspiratorisch gemessene Vitalkapazität auf 81,7 % des Sollwertes reduziert war. Er bestätigte zudem die von Dr.V. vorgenommene MdE-Einschätzung. Der vom Senat bestellte Gutachter Prof. Dr.W. konnte im Vergleich zu dem Gutachten des Dr.V. keine wesentliche Schweregradänderung anführen. Bei der lungenfunktionsanalytischen Untersuchung am 14.09.2000 schloss er eine obstruktive Atemwegserkrankung auch im Sinne eines Anstrengungsasthmas aus. Er fand keine Lungenüberblähung und Verminderung der Diffusionskapazität. Infolge der beidseitigen Pleura lag die inspiratorische Vitalkapazität aber im unteren Normbereich. Deutlicher zu Tage trat die Funktionsstörung bei der Ermittlung des stark erniedrigten Atemgrenzwertes. Schon bei geringer körperlicher Anstrengung kam es zu einer massiven Hyperventilation mit 56 Atemzügen pro Minute, objektiv nachweisbar durch den deutlichen Abfall des Kohlendioxidparzialdrucks von 38 auf 29,2 mmHg. Insgesamt ist davon auszugehen, dass die beidseitige massive Pleuraverdickung zu einer gefesselten Lunge und damit zu einer deutlich vermehrten Atemarbeit führte. Dies erklärt die beschleunigte Atmung und Luftnot bei bereits geringer Belastung. Bei Darstellung der wichtigsten Messdosen der Lungenfunktion im Verlauf ist jedenfalls eine kontinuierlich rückläufige Vitalkapazität zu erkennen. Danach ist funktionell weiterhin von einer MdE von 20 vH auszugehen.

Dies wird im Wesentlichen von Dr.K. bestätigt. In ihrem für die Beklagte erstellten arbeitsmedizinischen Gutachten vom 06.08.2001 sieht sie im Vergleich mit der Lungenfunktionsanalyse des Gutachtens vom 16.07.1997 keine wesentliche Verschlechterung der ventilatorischen Funktion. Lungenfunktionsanalytisch sind bei ihr wesentliche Einschränkungen der ventilatorischen Funktion und eine Gasaustauschstörung nicht nachweisbar. Sie schätzt die MdE zu Recht unverändert mit 20 vH ein.

Für die anerkannte BK Nr 4103 ist eine höhere MdE als 20 vH, die die Beklagte bereits anerkannt hat, nicht vertretbar. Insoweit sind das Urteil des SG Nürnberg vom 09.12.1999 sowie die Bescheide der Beklagten vom 17.09.1997 und 22.12.1997 nicht zu beanstanden und die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.

Die von Prof.Dr.W, angeschnittene Erhöhung der MdE nach § 56 Abs 2 Satz 3 SGB VII kommt nicht Betracht. Nach dieser Vorschrift werden bei der Bemessung der MdE Nachteile berücksichtigt, die die Versicherten dadurch erleiden, dass sie bestimmte von ihnen erworbene besondere berufliche Kenntnisse und Erfahrungen infolge des Versicherungsfalles nicht mehr oder nur noch in verminderten Umfang nutzen können, soweit solche Nachteile nicht durch sonstige Fähigkeiten, deren Nutzung ihnen zugemutet werden kann, ausgeglichen werden. Diese Härteklausel bedarf einer Einzelfallprüfung. Es sind strenge Maßstäbe anzulegen. Nachteile liegen danach ua vor, wenn das Nichtberücksichtigen von Ausbildung und Beruf des Versicherten bei der Bewertung der MdE zu einer unbilligen Härte führen würde (Bereiter-Hahn/Mehrtens, § 56 SGB VII, 12.1).

Für den Kläger kommt diese Vorschrift deshalb nicht in Betracht, da er bereits 1982 endgültig aus dem Arbeitsleben ausgeschieden ist. Der Versicherungsfall der BK Nr 4103 ist aber erst im Juli 1997, also im 74. Lebensjahr, eingetreten. Wenn ein Versicherter bereits mehr als 15 Jahre aus dem Beruf ausgeschieden ist, kann eine unzumutbare Härte iS einer beruflichen Betroffenheit nicht mehr gegeben sein. Das endgültige Ausscheiden aus dem Beruf verhindert die Berücksichtigung dieser Vorschrift.

2. Anerkennung und Entschädigung einer BK nach § 551 Abs 1 RVO iVm Nr 4104 der Anlage 1 zur BKVO. Die Voraussetzungen für die Anerkennung und Entschädigung einer BK nach Nr 4104 der Anlage 1 zur BKVO sind nicht erfüllt. Die BK Nr 4104 setzt das Vorliegen von Kehlkopfkrebs in Verbindung mit Asbeststaublungenerkrankungen (Asbestose) voraus. Nach dem zuletzt eingeholten Gutachten des Prof.Dr.W. liegen bei dem Kläger neben der bereits anerkannten Asbestoseerkrankung als weitere Gesundheitsstörungen Stimmbandleukoplakien links nach wiederholten operativen Abtragungen 1976, 1978 und 1980 im Sinne von Präkanzerosen eines Kehlkopfkarzinoms mit andauernder Heiserkeit und zeitweiliger Aphonie vor. Der Senat geht davon aus, dass diese Erkrankungen wesentlich auf die asbeststaubbedingte berufliche Exposition des Versicherten zurückzuführen sind. Dies wird von der Beklagten nicht bestritten. Für das Vorliegen des Versicherungsfalles im Sinne der BK Nr 4104 ist aber unbedingt Voraussetzung, dass ein Kehlkopfkrebs nachgewiesen ist. Dies ist hier nicht der Fall. Leukoplakien am Stimmband können der BK Nr 4104 nicht zugeordnet werden, da sie im Zeitpunkt der letzten Begutachtung durch Prof.Dr.W. eine Kehlkopfkrebserkrankung nicht darstellen. Die zwischen 1977 und 1990 insgesamt viermal erfolgte endoskopische Entfernung von Leukoplakien der Stimmbänder, die den Verdacht auf eine Präkanzerose ergeben haben sollen, stellt noch keine Krebserkrankung für sich dar. Die histologische Untersuchung des entnommenen Stimmbandgewebes ergab nur die Diagnose einer ausgedehnten Schleimhautfibrose ohne Hinweis für Malignität. Hätte eine eventuelle Präkanzerose als BK berücksichtigt werden sollen, hätte dies der Verordnungsgeber in die Definition der BK Nr 4104 aufgenommen. Dies ist aber nicht erfolgt. Die von Prof.Dr.W. erwähnte Auffassung des Prof.H.M. (Ulm) geht nur davon aus, dass Leukoplakien lediglich eine Vorstufe des durch Asbest hervorgerufenen Larynxkarzinoms darstellen. Eine entsprechende Asbesteinwirkung vorausgesetzt, erfüllen sie höchstens den Tatbestand der konkreten Gefahr der Entstehung einer BK Nr 4104, aber noch nicht die BK selbst.

Aus diesem Grunde sind die Voraussetzungen für die Anerkennung und Entschädigung einer BK nach § 551 Abs 1 RVO iVm Nr 4104 der Anlage 1 zur BKVO nicht erfüllt.

3. Anerkennung und Entschädigung der Folgen der Leukoplakieabtragungen als BK. Festzuhalten ist, dass Leukoplakien durchaus eine konkrete Gefahr für die Entstehung einer BK Nr 4104 darstellen. Eine Abtragung der Leukoplakien stellt ein geeignetes Mittel iSd § 3 Abs 1 BKVO dar, um dieser Gefahr (Kehlkopfkrebs) entgegenzuwirken. Die wesentlichen Leukoplakieabtragungen fanden 1976, 3/1978, 6/1989 statt. Bereits in seinem Gutachten vom 24.01.1979 konnte Prof.Dr.V. darauf hinweisen, dass eine Stimmbandlähmung links vorlag. Die Heiserkeit des Klägers bestand bereits seit 1977. Damit waren die wesentlichen Folgen der Leukoplakieabtragungen bereits vor dem 01.01.1993 eingetreten. Nach § 6 Abs 1 BKVO können diese Folgen, wenn man eine Präkanzerose des Kehlkopfs als BK nach Nr 4104 unterstellen wollte, dann nicht als BK anerkannt und entschädigt werden, da der etwaige Versicherungsfall bereits vor dem 01.01.1993 eingetreten wäre. Es ist dem Gesetzgeber nicht verwehrt, zur Regelung bestimmter Sachverhalte Stichtagsregelungen einzuführen, obwohl diese unvermeidlich gewisse Härten mit sich bringen. Diese Regelungen schließen auch eine Entschädigung nach §§ 551 Abs 2 RVO bzw 9 Abs 2 SGB VII aus (BSG vom 24.02.2000 - B 2 U 43/98 R).

4. Die Bescheide der Beklagten sowie die Urteile des SG Nürnberg sind daher nicht zu beanstanden. Die Berufungen des Klägers gegen die Urteile des SG Nürnberg vom 09.12.1999 sind zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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