L 4 P 876/12

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 9 P 909/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 P 876/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
L
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts R. vom 19. Januar 2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist ein Anspruch auf Höherstufung in Pflegestufe III ab dem 1. August 2008.

Der am 2005 geborene Kläger ist familienversichertes Mitglied der beklagten Pflegekasse. Er hat eine Trisomie 21 mit deutlicher globaler Entwicklungsverzögerung, muskulärer Hypotonie, Schallleitungsschwerhörigkeit, Verhaltensauffälligkeiten, moderaten obstruktiven Schlafapnoen, nächtlicher Bradykardie, Sinusarrhythmie, rezidivierenden Atemwegsinfektionen und Hypothyreose. Er besuchte zunächst den Förder-Kindergarten der K.-S.-Schule und seit dem 10. September 2012 die Schule.

Der Antrag auf Pflegegeld ab 1. März 2006 wurde von der Beklagten zunächst abgelehnt (Bescheid vom 19. September 2006), nachdem Pflegefachkraft E. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) im Gutachten vom 15. September 2006 keinen grundpflegerischen Bedarf im Vergleich zu einem gesunden gleichaltrigen Kind festgestellt hatte. Im Widerspruchsverfahren erfolgte eine erneute Begutachtung durch den Arzt Dr. B. am 29. Januar 2008, der einen Pflegebedarf für Grundpflege von 103 Minuten täglich feststellte, acht Minuten für Körperpflege, 50 Minuten für Ernährung, 45 Minuten für Mobilität. Die Beklagte bewilligte daraufhin unter Aufhebung des ablehnenden Bescheides mit Bescheid vom 6. Februar 2008 Pflegegeld der Pflegestufe I ab 1. März 2007.

Am 30. Dezember 2008 beantragte der Kläger eine Höherstufung rückwirkend ab September 2008, weil die Pflegebedürftigkeit enorm an Umfang und Ausmaß zugenommen habe. Die Begutachtung durch Pflegefachkraft N. am 4. April 2009 führte zur Schätzung eines Grundpflegebedarfs von 197 Minuten täglich (Körperpflege 41 Minuten, 75 Minuten Ernährung, 81 Minuten Mobilität) seit 1. Dezember 2008. Der Kläger suche einmal im Jahr einen Augenarzt, zweimal im Jahr einen HNO-Arzt und einmal im Jahr das Sozialpädriatische Zentrum der Kinderklinik des Universitätsklinikums T. (SPZ) in T. auf, zweimal wöchentlich eine ärztlich verordnete physikalische Therapie mit 60 Minuten Therapiedauer und 40 Minuten einfache Fahrzeit, einmal wöchentlich Stimm-, Sprech- und Sprachtherapie mit einfacher Fahrzeit von 30 Minuten und Therapiedauer 45 Minuten. Er sei in den letzten Jahren nicht selbstständiger, aber motorisch unruhiger und unkonzentrierter geworden, leide gehäuft unter Infekten. Die Feinmotorik sei stark vermindert, in der Wohnung gehe er selbstständig, das Gangbild sei breitbeinig, tapsig. Das Gehen sei nicht zielgerichtet, er stolpere viel und stoße sich an. Appetit- und Durstgefühl seien vermindert, er kaue schlecht. Essen und Trinken werde mit verlängertem Zeitaufwand vollständig eingegeben. Er sei vollständig blasen- und darminkontinent, werde regelmäßig auf den Topf gesetzt. Das Richten der Bekleidung und der Windelwechsel werde wie die Hygiene nach Einstuhlen/Einnässen vollständig übernommen, ebenso alle anderen hygienischen Verrichtungen und das Kleiden. Nachts sei er häufig über mehrere Stunden wach, da er aufgrund häufiger Infekte sehr schlecht atmen könne. Die Alltagskompetenz sei in erhöhtem Maß eingeschränkt. Im einzelnen schätzte Pflegefachkraft N. folgende Zeiten für Verrichtungen der Grundpflege:

Duschen einmal täglich Volle Übernahme 15 Minuten Zahnpflege zweimal täglich Volle Übernahme 4 Minuten Kämmen zweimal täglich Volle Übernahme 2 Minuten Windelwechsel nach Stuhlgang Zweimal täglich Volle Übernahme 6 Minuten Windelwechsel nach Wasserlassen Fünfmal täglich Volle Übernahme 10 Minuten Richten der Bekleidung siebenmal täglich Volle Übernahme, 4 Minuten Aufnahme der Nahrung zehnmal täglich Volle Übernahme 75 Minuten Aufstehen, Zubettgehen zweimal täglich Anleitung 1 Minute Ankleiden gesamt einmal täglich Volle Übernahme 6 Minuten Auskleiden gesamt einmal täglich Volle Übernahme, 3 Minuten Gehen 20mal täglich Volle Übernahme 16 Minuten Verlassen/Wiederaufsuchen der Wohnung dreimal wöchentlich volle Übernahme 55 Minuten

Mit Bescheid vom 8. April 2009 bewilligte die Beklagte Pflegegeld nach Pflegestufe II ab 1. Dezember 2008 und Ersatz der Kosten für zusätzliche Betreuungsleistungen bis zu EUR 200,00 monatlich gegen Nachweis der Kosten.

Der Kläger erhob Widerspruch. Der Grundpflegebedarf belaufe sich auf mindestens 608 Minuten. Das Gutachten berücksichtige nicht die mindestens einmal wöchentlichen Kinderarztbesuche bei Dr. R. in R., einfache Fahrzeit 50 Minuten, und die Physiotherapie bei Frau W. in D. zweimal monatlich mit 135 Minuten Fahrzeit pro Termin sowie die Sauerstoffversorgung. Nicht anerkannt worden sei tätlich oder verbal aggressives Verhalten in Verkennung der Situation, was auf ihn zutreffe. Er sei unkooperativ gegenüber Therapeuten. Der Tag-Nacht-Rhythmus sei gestört. Es entstehe dann hoher zeitlicher Aufwand durch sich oft wiederholende Trink- und Stillversuche. Er müsse wegen Husten, laufender bzw. verstopfter Nase, verklebter Augen, trockener Lippen und Mundschleimhäute nachts gereinigt und versorgt werden. Zu der vollständigen Übernahme bei den Verrichtungen der Körperpflege komme die Zeit für Anleitung und Beaufsichtigung hinzu. Im Gutachten nicht berücksichtigt seien eine erforderliche Ganzkörperwäsche morgens von mindestens 15 Minuten sowie eine Oberkörperwäsche fünfmal täglich drei Minuten, da er ständig mit Mund- und Nasensekret verschmutzt sei und Getränke verschütte. Anschließend sei Eincremen nötig, was fünfmal täglich zwei Minuten erfordere. Weiter seien nicht berücksichtigt sechs Teilwäschen von Gesicht und Händen nach Mahlzeiten und Trinken wegen Speicheln, Kleckern, Trielen und Verschmieren sowie Unterkörperwäsche viermal täglich drei Minuten, da er brei- bis durchfallartige Stuhlgänge habe, so dass alles bis zum Rücken und Bauch verschmiert sei, der Stuhl oft auch an den Beinen herunterlaufe und er mit den Händen die Ausscheidungen zusätzlich verteile. Auch beim Urinieren auf dem Topf nässe er Bauch, Kleidung, Hände, Beine und Umfeld ein. Das Duschen sei im Gutachten mit 15 Minuten berücksichtigt, erforderlich seien tatsächlich aber 20 Minuten für Baden. Er verschmutze sich im Alltag mit Kakao, Mehl, Kaffeepulver, Sand, Dreck, stinkendem Dreck aus Kuh- und Pferdestall, Pfützendreck und Erde. Nach dem Baden sei ein weiteres Eincremen mit fünf Minuten erforderlich. Wegen häufig unterkühlter Füße und Beine bekomme er Fußbäder viermal wöchentlich fünf Minuten. Zehennagelpflege erfordere wöchentlich zweimal zehn Minuten. Dabei leiste er Widerstand. Zahnpflege erfordere dreimal täglich fünf Minuten. Kämmen dauere zweimal täglich zwei Minuten und zusätzlich abends mit Föhnen acht Minuten. Im Gutachten fehle auch der Hilfebedarf für Wasserlassen von 14 Minuten mit Topf- und Toilettentraining und Stuhlgang zweimal täglich vier Minuten. Der Hilfebedarf betrage beim Windelwechsel (statt zehn Minuten im Gutachten) 14 Minuten (sieben mal zwei Minuten), beim Windelwechsel nach Stuhlgang zweimal täglich acht Minuten (statt sechs Minuten im Gutachten), beim Richten der Kleidung (vier Minuten im Gutachten) viermal täglich drei Minuten sowie beim Windelwechsel und An- und Auskleiden in der Nacht neun Minuten. Für Ernährung benötige er Hilfe im Umfang von 150 Minuten (statt 75 Minuten im Gutachten). Die mundgerechte Zubereitung erfordere fünfmal täglich vier Minuten, die Aufnahme fünfmal täglich 20 Minuten, Trinken und Trinkversuche mindestens zehnmal täglich drei Minuten, also 30 Minuten. Er esse selten selbst und trinke selbstständig überhaupt nicht. Für Aufstehen/Zu-Bett-Gehen würden viermal täglich acht Minuten benötigt (statt eine Minute im Gutachten). Nächtliches Umlagern und Drehen erfordere zehnmal zwei Minuten, nächtliches Beruhigen, Tragen, Schaukeln, Trinken, Stillen fünfmal nächtlich fünf Minuten. Das gesamte Ankleiden erfordere zweimal täglich fünf Minuten (statt sechs Minuten insgesamt im Gutachten), das teilweise Ankleiden zusätzlich dreimal täglich vier Minuten, das gesamte Entkleiden zweimal täglich zwei Minuten (statt drei Minuten im Gutachten) und das teilweise Entkleiden zusätzlich dreimal täglich zwei Minuten. In der kalten Jahreszeit benötige er für das Anziehen von Socken, Strümpfen, Mütze zusätzlich zehnmal täglich eine Minute. Er ziehe sich ständig aus und werfe Kleidungsstücke herum. Anziehen erfordere mindestens zehn Minnten, für Oberbekleidung zusätzlich zweimal täglich fünf Minuten für Ankleiden und zweimal täglich drei Minuten für Entkleiden. Treppensteigen im Haus erfordere viermal täglich drei Minuten. Oft müsse er getragen werden, insbesondere nach Fraktur am linken Großzehengrundgelenk und Gipsfuß vom 1. bis 29. Juli 2009 und Panaritium am rechten Großzeh seit dem 7. August 2009.

Die daraufhin veranlasste Begutachtung durch Pflegefachkraft Be. am 17. November 2009 (Gutachten vom 23. November 2009) führte zu einem geschätzten Grundpflegebedarf von 204 Minuten täglich (72 Minuten für Körperpflege, 80 Minuten für Ernährung, 52 Minuten für Mobilität). Im einzelnen schätzte Pflegefachkraft Be. folgende Zeiten für Verrichtungen der Grundpflege:

Baden einmal täglich Volle Übernahme 15 Minuten Teilwäsche Unterkörper einmal täglich Volle Übernahme 5 Minuten Zahnpflege dreimal täglich Volle Übernahme 3 Minuten Kämmen zweimal täglich Volle Übernahme 1 Minute Windelwechsel nach Stuhlgang zweimal täglich Volle Übernahme 14 Minuten Windelwechsel nach Wasserlassen Fünfmal täglich Volle Übernahme 20 Minuten Wasserlassen siebenmal täglich Teilübernahme Beaufsichtigung 7 Minuten Richten der Bekleidung siebenmal täglich Volle Übernahme 7 Minuten Aufnahme der Nahrung fünfzehnmal täglich Volle Übernahme 80 Minuten Aufstehen, Zubettgehen zweimal täglich Anleitung 1 Minute Ankleiden gesamt einmal täglich Volle Übernahme 5 Minuten Ankleiden Ober-/Unterkörper einmal täglich Volle Übernahme 2 Minuten Auskleiden gesamt einmal täglich Volle Übernahme 3 Minuten Auskleiden Ober-/Unterkörper einmal täglich Volle Übernahme 1 Minute Gehen 20mal Anleitung 10 Minuten Verlassen/Wiederaufsuchen der Wohnung Sechsmal wöchentlich Volle Übernahme 30 Minuten

Aufgesucht werde der Kinderarzt ca. alle 14 Tage, Augenarzt und HNO-Arzt jeweils zweimal im Jahr, die Kinderklinik einmal im Jahr, der Heilpraktiker einmal pro Woche, Krankengymnastik ein- bis zweimal wöchentlich in T. (Therapiedauer 45 Minuten, Fahrzeit 15 Minuten einfach), Logopädie einmal wöchentlich in B. (Therapiedauer 30 bis 45 Minuten, Fahrzeit einfach 30 Minuten), Krankengymnastik alle 14 Tage in D. und physikalische Therapie zweimal wöchentlich in Begleitung. Der Kläger besuche seit September 2009 den Kindergarten, werde um 6:40 Uhr abgeholt und um 14:00 Uhr wieder gebracht. Pflegerisch stehe die Trisomie 21 mit Sprachentwicklungsstörungen, motorischen Unruhezuständen mit Selbstgefährdung und erheblichen Durchschlafstörungen im Vordergrund. Die Feinmotorik sei eingeschränkt, vollständiger Faustschluss beidseits möglich, er könne sich vom Sitzen erheben, frei stehen und gehe innerhalb der Wohnung mit breitbasigem Gangbild, könne das Bett selbstständig aufsuchen und verlassen und sich selbst im Bett drehen. Bei der Treppenüberwindung müsse er an der Hand gehalten werden. Der Appetit sei wechselnd, der Durst deutlich reduziert. Er kaue schlecht, daher werde die Nahrung teilweise passiert, Brotrinde entfernt, Getränke eingeschenkt sowie Nahrung und Flüssigkeit vollständig eingegeben. Häufig komme es zu Fehlhandlungen, der Kläger versuche Tassen und Teller vom Tisch zu schmeißen. Es bestehe Blasen- und Darminkontinenz, regelmäßiges Sauberkeitstraining werde durchgeführt. Hygiene, Wechseln der Inkontinenzhosen und Richten der Bekleidung werde vollständig übernommen. Er sei vollständig orientiert, suche die pflegerelevanten Räume aber nicht selbstständig auf. Im Bereich der Alltagsverrichtungen bestehe vollständiger Übernahmebedarf bei den körperpflegerischen Verrichtungen und der Ernährung. Im Bereich der Mobilität bestehe vollständiger Übernahmebedarf beim Kleiderwechsel sowie Beaufsichtigung und Anleitung beim Aufsuchen der pflegerelevanten Räume. Es bestehe erhebliche motorische Unruhe mit Selbstgefährdung, mangelndem Gefahrenbewusstsein und Weglauftendenz. Er müsse ständig beaufsichtigt werden, schlafe nicht durch, könne nachts infolge von Infekten schlecht atmen, teilweise werde nachts inhaliert.

Der Kläger nahm mit Schreiben vom 8. Dezember 2009 Stellung. Der Hilfebedarf sei wiederum nicht ausreichend gewürdigt. Wesensveränderungen erschwerten die Pflege zusätzlich, er sei stur und bockig, grob und handgreiflich, öffne selbstständig Türen und verlasse Wohnung und Haus. Treppen müsse er getragen werden. Nachts müsse er viel trinken und gewickelt, zum Abhusten gelagert und abgeklopft, Medikamente verabreicht und Nasenspülungen durchgeführt werden. Bei Infekten müsse er mehrmals täglich, auch nachts, inhalieren. Durch den Kindergartenbesuch sei der Tagesrhythmus verändert, der pflegerische Aufwand aber nicht geringer.

Hierzu erfolgte eine sozialmedizinische Stellungnahme der Pflegefachkraft Be. vom 21. Dezember 2009 nach Aktenlage. Die geschilderten Verhaltensauffälligkeiten seien im Gutachten berücksichtigt, die in erhöhtem Maße eingeschränkte Alltagskompetenz bereits seit 1. Dezember 2008 anerkannt, behandlungspflegerische Maßnahmen könnten nicht berücksichtigt werden.

Der bei der Beklagten gebildete Widerspruchsausschuss wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 22. Februar 2010 zurück. Der von den Gutachtern des MDK festgestellte Hilfebedarf erreiche nicht die zeitliche Mindestvoraussetzung für die Anerkennung der Pflegestufe III.

Mit seiner am 18. März 2010 zum Sozialgericht R. (SG) erhobenen Klage verfolgte der Kläger sein Begehren der Höherstufung ab 1. Dezember 2008 weiter. Zur Begründung bezog er sich auf sein Widerspruchsvorbringen. Insbesondere der erhebliche nächtliche Hilfebedarf sei nicht berücksichtigt worden.

Die Beklagte trat der Klage entgegen.

Das SG erhob Beweis durch Einholung eines Gutachtens durch Pflegefachkraft Fi ... Diese erstattete aufgrund Hausbesuchs am 7. September 2010 ihr Gutachten vom 6. Februar 2011. Der Kläger leide seit Geburt am Down-Syndrom, es bestünden Entwicklungsverzögerungen und erhebliche motorische Unruhezustände und ein erhöhter Betreuungs- und Beaufsichtigungsbedarf. Der Kinderarzt werde nicht regelmäßig wöchentlich aufgesucht. Von Anfang 2010 bis Ende Juli 2010 sei einmal wöchentlich Ergotherapie mit Praxisbesuch erfolgt, nach der Sommerpause beginne diese voraussichtlich wieder im September 2010. Einmal wöchentlich erfolge Krankengymnastik bei Fahrzeit von zehn Minuten und Behandlungsdauer von 45 Minuten, die Mutter müsse nicht anwesend sein, einmal wöchentlich Logopädie in T., Fahrzeit 30 Minuten, während der Ferienzeit werde pausiert. Die Mutter des Klägers sei während der Therapie nicht anwesend. Seit der Entfernung von Mandeln und Polypen im Juni 2010 sei der Überwachungsmonitor nicht mehr notwendig. Der Kläger habe sich während der Begutachtung immer wieder selbstständig und ohne Aufsicht beschäftigt. Er habe sich sicher und ohne Stolpern fortbewegt. Er habe gesagt, dass er auf die Toilette müsse, sei selbstständig vorausgegangen, in Begleitung seiner Mutter auf die Toilette gegangen und habe sich anschließend unter ihrer Aufsicht die Hände gewaschen. Am Ende habe er mit seiner Mutter sie (die Sachverständige) zur Haustüre begleitet und sei zügig, selbstständig und ausreichend sicher die Treppe von der Wohnungs- bis zur Haustür gegangen. Es bestünden keine pflegerelevanten Einschränkungen des Stütz- und Bewegungsapparates. Er gehe sicher und selbstständig innerhalb und außerhalb der Wohnung. Die Mutter berichte, er könne selbstständig Treppen gehen und sei, wenn er die Wohnung heimlich verlasse, sehr schnell. Die Bewegungsabläufe seien altersentsprechend, Stehen und Sitzen selbstständig möglich, ebenso der Wechsel der Körperpositionen. Er könne zielsicher greifen und festhalten sowie in seinen Kinderbüchern umblättern. Er sei meistens harn- und stuhlinkontinent, sage teilweise Bescheid, wenn er zur Toilette müsse. Er trage tagsüber und nachts Windeln, habe teilweise Schluckstörungen, kaue schlecht und esse am liebsten pürierte Kost. Die Nahrung werde größtenteils eingegeben. Der Tag-Nachtrhythmus sei teilweise gestört. Nach Angaben der Mutter sei es ca. zweimal nachts notwendig, ihn zu beruhigen, wenn er aufwache. Manchmal trinke er etwas. Die leichten Schlafstörungen des Klägers seien durch ein Verhaltensprogramm abzustellen, das Verabreichen von Mahlzeiten und Getränken zur Nachtzeit sei nicht erforderlich und sollte unterbleiben. Da der Kläger am Vortag der Untersuchung fünf Jahre alt geworden sei, sei der Mehraufwand gegenüber einem gesunden fünf- bis sechsjährigen Kind berücksichtigt worden. Nach Schilderung der Mutter gegenüber ihr (der Sachverständigen) werde der Kläger geweckt und stehe dann selbstständig auf. Der Schlafanzug werde ausgezogen, die Windel gewechselt, die Tageskleidung angezogen, die Zähne geputzt, Haare gekämmt und Gesicht und Hände gewaschen. Er frühstücke z.B. einen Brei, der ihm eingegeben werde. Auch das Trinken aus einer Trinkflasche sei nicht selbstständig möglich. Mundgerechte Speisen nehme er teilweise selbstständig auf. Abends werde er gebadet. Er könne unter Aufsicht selbstständig in der großen Wanne sitzen. Er schlafe nachts durch, wenn seine Mutter neben ihm liege, wenn nicht, stehe er nach ca. zwei bis drei Stunden auf, um sie zu suchen. Teilweise müsse nachts einmal die Windel gewechselt werden. Bei der von der Mutter angegebenen Trinkmenge und Verwendung geeigneter Inkontinenzartikel sei dies nach ihrer (der Sachverständigen) Auffassung nicht notwendig. Damit falle nachts kein notwendiger Grundpflegebedarf an. Der Kläger sei seit der letzten Begutachtung deutlich mobiler geworden, wodurch sich der Betreuungs- und Beaufsichtigungsbedarf durch die Weglauftendenz erhöht habe. Im Bereich Ernährung habe er deutliche Fortschritte gemacht. Das Toilettentraining sei teilweise erfolgreich gewesen. Infolge der erfolgreichen Operation im Juni 2010 sei die Atmung nicht mehr erschwert, die nächtliche Unruhe habe sich gebessert, die Infekthäufigkeit habe abgenommen. Das Verschlucken habe sich weitgehend gelegt. Es bestehe ein deutlich erhöhter Betreuungs- und Beaufsichtigungsbedarf, da der Kläger für die einzelnen Entwicklungsschritte länger brauche als ein gleichaltriges gesundes Kind. Dieser sei jedoch nicht einstufungsrelevant. Der Mehrbedarf in den Bereichen Körperpflege, Ernährung und Mobilität gegenüber einem gesunden gleichaltrigen Kind betrage 141 Minuten (51 Minuten Körperpflege, 69 Minuten Ernährung, 21 Minuten Mobilität).

Der Kläger trat dem Gutachten entgegen und übersandte eine Gegendarstellung nebst weiteren Unterlagen. Der Kläger rügte u.a., das Gutachten sei erst fünf Monate nach der Begutachtung erstellt worden. Die Angaben seiner Mutter seien verfälscht wiedergegeben worden. Seine Mutter und er würden in dem Gutachten nicht ausreichend als Personen und Menschen gewürdigt und respektiert. Nicht erwähnt worden seien alle pflegerelevanten Diagnosen sowie die verordnete Reha-Karre, das Sauerstoffgerät und der Überwachungsmonitor, der im Krankheitsfall benutzt werde. Berücksichtigt werden müssten Krankenhausaufenthalte, Hausbesuche der behandelnden Ärzte und von Notärzten sowie Telefonate mit Ärzten, weil diese Arztbesuche ersetzen würden. Nach der Begutachtung habe er mehrere Monate viele schwere Infekte gehabt. Pflege erschwerender Faktoren (Abwehrverhalten, eingeschränkte kardiopulmonalen Belastbarkeit und stark eingeschränkte Sinneswahrnehmung während Krankheitsphasen, sowie einschießende, unkontrollierte Bewegungen) seien vorhanden. Er legte vor die Patientenkarteikarte des Kinderarztes Dr. R. vom 19. April 2011 über den Zeitraum 26. September 2005 bis 19. April 2011, die unter dem 28. Februar 2011 den Vermerk enthält: "Die Ablehnung der Pflegestufe III war vorhersehbar. Ich selber finde das Gutachten in vielem nachvollziehbar.", einen Entwicklungsbericht der Krankengymnastin W. vom 19. März 2011, eine Bestätigung der Logopädin Fr. vom 28. Februar 2011, dass der Kläger einmal wöchentlich von seiner Mutter in die Praxis gebracht werde, wo diese während der Therapie (45 Minuten) "für die Elternberatung und -anleitung anwesend und während der Behandlung in Rufbereitschaft im Wartezimmer sei", eine Bestätigung der Praxis für Physiotherapie W.-N./N. vom 7. April 2011, dass der Kläger ein- bis zweimal wöchentlich in die Praxis komme, die Therapie 30 Minuten zuzüglich zehn Minuten Wartezeit dauere und währenddessen sich die Mutter des Klägers in "Ruf- und Wartebereitschaft" befinde, eine Bescheinigung über zehn Termine Ergotherapie bei Ergotherapeutin Er. in R./N. von Januar bis April 2010 und weitere zehn von August 2010 bis Februar 2011, eine Aufstellung seiner Mutter über den tatsächlichen Pflegebedarf, der für das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung einen wöchentlichen Besuch bei der Logopädin Fr. in B. mit 147 Minuten Aufwand, einen wöchentlichen Besuch bei Krankengymnastin Ba. in T. mit 92,4 Minuten, zehn Termine im Jahr bei Krankengymnastin W. in D. und 20 Termine im Jahr bei Ergotherapeutin Ha. in R. aufführte, sowie eine Arzneimittelliste mit 91 Präparaten.

Die Sachverständige Fi. blieb in ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 18. September 2011 bei den Einschätzungen im Gutachten.

Das SG beauftragte die Ärztin Ga. mit der Erstattung eines weiteren Gutachtens, das diese aufgrund eines Hausbesuchs beim Kläger von 2 ½ Stunden am 10. November 2011 unter dem 21. November 2011 erstattete. Ärztin Ga. schätzte den Pflegebedarf auf 149 Minuten täglich (78 Minuten Körperpflege, 47 Minuten Ernährung, 24 Minuten Mobilität). An Hilfsmitteln seien ein ungenutztes Pflegebett, Windeln, orthopädische Schuheinlagen, Überwachungsmonitor, Sauerstoffkonzentrator, Inhaliergerät, Töpfchen und Reha-Buggy vorhanden. Medikamente aus der umfangreichen Arzneimittelliste würden zuverlässig von der Pflegeperson verabreicht, die Haut mehrmals täglich mit Pflegecremes versorgt. Nach ihrer (der Sachverständigen) Einschätzung müssten ärztlich verordnete Externa nicht täglich verabreicht werden. Der Kläger erhalte Atemgymnastik, aber keine sechs Monate am Stück, Krankengymnastik mit manueller Therapie ein- bis zweimal wöchentlich, Logopädie und Ergotherapie jeweils einmal wöchentlich, weitere Krankengymnastik alle vier bis sechs Wochen. Wegen Erkrankungen fänden Therapiepausen statt. Auszugehen sei von durchschnittlich vier Besuchen bei Ärzten und Therapeuten wöchentlich. Der Kläger könne aufstehen, gehen, selbstständig Treppen steigen. Pflegerelevante Einschränkungen von Grobmotorik und Koordination seien ihr (der Sachverständigen) nicht aufgefallen. Der Kläger könne kraftvoll und geschickt gezielt mit Gegenständen werfen. Ein Hilfebedarf bestehe wegen der Uneinsichtigkeit in die Notwendigkeit der Verrichtungen und geistiger Defizite. Nahrungsaufnahme bei vom Kläger bevorzugten Nahrungsmitteln erfolge selbstständig, mit dem Löffel könne er entgegen der Angaben seiner Mutter umgehen, aber nicht mit Messer und Gabel. Weniger beliebte Nahrungsmittel würden ihm von der Mutter in den ständig geöffneten Mund geschoben, ohne dass er Abwehrverhalten zeige. Beim Töpfchentraining auf dem Wickeltisch zeige sich der Kläger ebenfalls kooperativ. Er benötige acht Windeln in 24 Stunden, mehrmals wöchentlich auch eine in der Nacht. Er habe selten festen Stuhlgang, häufig dünne Stühle oder Schmierstuhl. Der Schlaf sei schlecht, aber ohne Tag-Nacht-Umkehr. Im einzelnen schätzte Ärztin Ga. folgende Zeiten für Verrichtungen der Grundpflege:

Baden einmal täglich Unterstützung, Anleitung, teilwiese Übernahme erforderlich; volle Übernahme 2 Minuten Teilwäsche Hände/Gesicht Dreimal täglich Anleitung, Unterstützung, Beaufsichtigung, eventuell teilweise Übernahme; vollständige Übernahme wird gemacht 2 Minuten Zahnpflege dreimal täglich Volle Übernahme 15 Minuten Kämmen zweimal täglich Volle Übernahme (Langhaarfrisur) 6 Minuten Windelwechsel nach Stuhlgang viermal täglich Volle Übernahme 20 Minuten Windelwechsel nach Wasserlassen viermal täglich Volle Übernahme 10 Minuten Wasserlassen

achtmal täglich

Anleitung, Unterstützung, Beaufsichtigung wäre erforderlich; vollständige Übernahme wird gemacht; 8 Minuten

Stuhlgang drei- bis viermal täglich Vollständige Übernahme 8 Minuten Richten der Bekleidung achtmal täglich Teilweise oder volle Übernahme 0 Minuten, weil Hilfebedarf bei Windelwechsel berücksichtigt Entleeren des Töpfchens 5-8mal täglich Volle Übernahme 7 Minuten Mundgerechte Zubereitung der Nahrung 4-5mal täglich Anleitung, Unterstützung, teilweise oder volle Übernahme 8 Minuten täglich Aufnahme der Nahrung 3 Hauptmahlzeiten inkl. Getränke siebenmal täglich Anleitung, Unterstützung, teilweise, selten volle Übernahme 35 Minuten Aufnahme der Nahrung 1-2 Zwischenmahlzeiten inkl Getränke viermal täglich Anleitung, Beaufsichtigung 4 Minuten täglich Aufstehen, Zubettgehen 2-4mal täglich Anleitung, Unterstützung, teilweise Übernahme 3 Minuten Ankleiden gesamt einmal täglich Anleitung, Unterstützung, teilweise oder volle Übernahme 5 Minuten Auskleiden gesamt einmal täglich Anleitung, Unterstützung, teilweise Übernahme 2 Minuten Gehen 10mal Aufforderung oder Anleitung, teilweise Übernahme 2 Minuten Treppensteigen Achtmal wöchentlich Anleitung, Beaufsichtigung 2 Minuten täglich Verlassen/Wiederaufsuchen der Wohnung achtmal wöchentlich Anleitung, Beaufsichtigung, teilweise Übernahme 10 Minuten täglich

Die Mutter des Klägers habe versucht, ihr (der Sachverständigen) zu vermitteln, dass täglich ärztlich verordnete Externa verabreicht werden müssten. Nach den indikationsspezifischen Inhaltsstoffen der Externa sei dies jedoch nicht nachvollziehbar. Der Kläger werde nicht aktivierend gepflegt, es erfolge stets die volle Übernahme anstelle von Unterstützung, Anleitung, Beaufsichtigung, teilweiser Übernahme. Im Rahmen der Begutachtung seien Pflegefehler aufgefallen. Während der Begutachtung sei dem Kläger 20mal ein Getränk in geringer Menge verabreicht worden, er sei auf dem Wickeltisch auf das Töpfchen gesetzt worden, die Mutter habe dann das Zimmer verlassen. Dies bedinge eine erhebliche Sturzgefahr. Bei der Intimhygiene sei jedes Mal zunächst das Gesäß und dann der Penis gereinigt worden, für den zweiten Windelwechsel sei das Waschwasser nicht erneuert, sondern das verschmutzte, kalte verwendet worden Die Wohnung sei schlecht beheizt und kalt gewesen, das verabreichte Essen dampfend heiß. Im Zeitraum seit dem 1. Dezember 2008 habe der Pflegebedarf zugenommen, da sich ein gleichaltriges gesundes Kind schneller entwickelt habe. Differenzen zu den MDK-Gutachten entstünden aus der Berücksichtigung nicht anrechenbarer Zeiten, z.B. für das Richten der Bekleidung zusätzlich zum Windelwechsel und die Teilwäsche des Unterkörpers, obwohl die Intimreinigung im Rahmen des Windelwechsels berücksichtigt worden sei. Auch im Gutachten der Sachverständigen Fi. sei das Richten der Bekleidung zusätzlich zum Windelwechsel berücksichtigt. Auch habe die Sachverständige Fahrzeiten als Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung berücksichtigt, die nicht berücksichtigungsfähig gewesen seien. Dem Gutachten beigefügt war der Therapiebericht der Ergotherapeutin Ha. vom 28. Juli 2011. Danach habe der Kläger im Behandlungszeitraum 9. Mai bis 25. Juli 2011 das selbstständige Essen mit einem Löffel erlernt.

Der Kläger reichte weitere Therapieberichte und Bescheinigungen ein. Heilpädagogin Ba., K.-S.-Schule, legte im Entwicklungsbericht vom 20. April 2011 dar, im vergangenen Zeitraum (seit September 2009) sei beim Kläger ein deutlicher Reifungsprozesses zu erkennen. Dennoch beherrsche die Hyperaktivität und Unberechenbarkeit sein Verhalten und erfordere einen sensiblen pädagogischen Umgang. Im Therapiebericht vom 20. November 2011 über den Behandlungszeitraum 5. September bis 18. November 2011, führte die Ergotherapeutin Ha. demgegenüber aus, der Kläger habe mit dem Löffel nur Kekse oder Gummibären aus einer Dose entnommen, dies sei nicht vergleichbar mit einer vollständigen Mahlzeit, er habe Schwierigkeiten, den Löffel so zu halten, dass nichts herunterfalle. Der Kläger könne sich in Abwesenheit der Mutter besser auf die Therapie einlassen, es sei aber notwendig, dass sie sich in der Nähe aufhalte, da er sich einnässe und einkote, ohne dies mitzuteilen. In ihrer Bescheinigungen von 15. Januar 2012 gab Logopädin Fr. an, die Anwesenheit der Mutter während der Therapie sei jeweils erforderlich. Einzelne Konzepte erforderten Elternarbeit, wegen des nicht ausreichend stabilen Gesundheitszustandes des Klägers und aus emotionalen Gründen sei die Anwesenheit der Mutter sehr hilfreich. Auch könne damit dem Einnässen entgegengewirkt werden. D. Ba. aus der Praxis W.-N. bescheinigte unter dem 11. November 2011, die Anwesenheit der Mutter sei erforderlich, weil der Kläger einnässe und einkote, auch sei er manchmal nicht kooperationsbereit. Er benötige während der Therapie die Schulter seiner Mutter. Krankengymnastin W. bescheinigte am 27. Dezember 2011, die Frequenz der Atembehandlung richte sich nach Befund und Befindlichkeit, bei akuten Atemproblemen erfolge sie mehrmals wöchentlich, ansonsten 14 täglich. Die Mutter sei zwingend anwesend, um die Therapie zu erlernen, weil der Kläger die Sicherheit der Mutter benötige. Weiterhin wurden Nachweise über Konsultationen verschiedener Ärzte, die nicht wöchentlich erfolgten, und über stationäre Krankenhausaufenthalte des Klägers bei erforderlicher Anwesenheit der Mutter vorgelegt.

Das SG wies die Klage mit Urteil vom 19. Januar 2012 ab. Sämtliche eingeholten Gutachten kämen zu einem Grundpflegebedarf erheblich unterhalb des maßgeblichen Schwellenwertes von 240 Minuten. Auch der für Pflegestufe III erforderliche regelmäßig nachts anfallende Hilfebedarf liege nicht vor. Bei Benutzung geeigneter Inkontinenzartikel und Unterlassen von unnötiger Verabreichung von Getränken zur Nachtzeit bestehe dieser nicht. Der aufgrund der Entwicklungsverzögerung und der motorischen Unruhezustände bestehende erhöhte Betreuungs- und Beaufsichtigungsbedarf könne nicht als Hilfebedarf berücksichtigt werden, ebenso wie ein zusätzlicher Hilfebedarf wegen der eingeschränkten Kommunikationsfähigkeit des Klägers gegenüber einem gleichaltrigen gesunden Kind. Im Rahmen der Mobilität sei der wöchentliche Besuch der Logopädie nicht anzurechnen, weil dies keine verrichtungsbezogenen Pflegehilfe, sondern dem Bereich Rehabilitation zuzuordnen sei. Der wöchentliche Besuch bei der Krankengymnastik sei mit den Fahrzeiten berücksichtigt worden. Die Therapiezeit könne nicht berücksichtigt werden. Da der Kläger sich ganztags ohne seine Mutter im Kindergarten aufhalte, sei nicht nachvollziehbar, warum - wie nunmehr bescheinigt - die Anwesenheit der Mutter erforderlich sein sollte. Gegenüber der Sachverständigen Fi. habe die Mutter angegeben, während der Therapie nicht zwingend anwesend sein zu müssen. Ob die Therapie in der physiologischen Praxis anrechenbar sei, könne dahinstehen, weil auch bei Zugrundelegung des Zeitansatzes der Schwellenwert von 240 Minuten nicht erreicht werde. Der höhere Hilfebedarf aufgrund der Begleiterkrankungen sei als Behandlungspflege nicht berücksichtigungsfähig für den Grundpflegebedarf.

Gegen das über seine Prozessbevollmächtigten am 30. Januar 2012 zugestellte Urteil hat der Kläger am 28. Februar 2012 Berufung zum Landessozialgericht eingelegt. Aufgrund aller dargelegter Fakten sei er rückwirkend ab August 2008 in Pflegestufe III einzustufen. Der Befund der Schlaflaboruntersuchung belege die nächtliche Unruhezustände und die langen Wachphasen. Zwischenzeitlich habe bei seiner Mutter die tägliche Arbeit mit ihm und die zusätzliche Belastung einer zum Dezember 2012 aufgenommenen Beschäftigung zu einem Erschöpfungssyndrom geführt. Zur Begründung hat er ein Attest der Ärztin für Allgemeinmedizin Dr. We. vom 31. Mai 2012 vorgelegt. Danach sei der Kläger nicht in der Lage, selbstständig zu essen, zu trinken oder die Zähne zu putzen, da die Feinmotorik nicht ausgeprägt sei. Er sei immer noch nicht stubenrein und verschmiere ständig seine Exkremente. Er müsse - abgesehen von den Kindergartenzeiten - 24 Stunden ständig von der Mutter betreut und ununterbrochen versorgt werden. Nachts renne er in der Wohnung herum und mache die Nacht zum Tage. Sie (Dr. We.) sei als Vorsitzende der Lebenshilfe H. der Meinung, dass der Kläger mit seinem 24stündigen Pflegebedarf in der Pflegestufe III eingestuft werden sollte. Kinderarzt Dr. Br. hat unter dem 5. September 2012 bescheinigt, der Kläger sei chronisch infektanfällig, müsse auch nachts mit Inhalationen behandelt werden, es bestünden nächtliche Unruhezustände mit wiederholtem Windelwechsel, weil der Kläger viel trinken müsse, um den Schleim abzuhusten. Er sei hyperaktiv und müsse ständig überwacht werden und zeige Stereotypien im Sinne autistischen Verhaltens. Daher bestehe ein höherer Pflegebedarf als bei einem "nur" behinderten Kind. Der Befundbericht des Universitätsklinikums T. über eine Schlaflaboruntersuchung am 30. Oktober 2012 hat eine moderate obstruktive Schlafapnoe ergeben. Hals-Nasen-Ohrenärztin Dr. He. hat in ihrer Bescheinigung vom 2. Mai 2013 angegeben, aufgrund der langen Wachphasen in der Nacht, rezidivierender Diarrhöen und fieberhafter Infekte benötige der Kläger eine intensive Betreuung. Der Kläger hat schließlich ein Pflegetagebuch für den 9. bis 15. Juli 2012 vorgelegt, aus dem sich Grundpflegezeiten von mehr als 500 Minuten täglich ergeben.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts R. vom 19. Januar 2012 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 8. April 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Februar 2010 zu verurteilen, ihm ab 1. August 2008 Pflegegeld nach der Pflegestufe III zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Alle im Verfahren eingeholten Gutachten würden bestätigen, dass die Voraussetzungen für Pflegestufe III nicht vorlägen.

Das Universitätsklinikum T., Klinik für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde hat eine vollständige Kopie ihrer Behandlungsunterlagen vorgelegt.

Die Berichterstatterin hat den Rechtsstreit mit den Beteiligten am 14. September 2012 in nichtöffentlicher Sitzung erörtert. Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und den Verwaltungsvorgang der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§§ 153, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)), ist zulässig. Sie ist insbesondere statthaft. Ein Berufungsausschlussgrund des § 144 Abs. 1 SGG ist nicht gegeben. Denn der Kläger begehrt wiederkehrende Leistungen für einen Zeitraum von mehr als einem Jahr (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).

Ob die Klagerweiterung für den Zeitraum August bis November 2008 zulässig ist (§ 99 SGG), kann dahinstehen. Ein Anspruch auf Leistungen für die Zeit vor der Antragstellung besteht nicht.

Die Berufung ist nicht begründet Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Bescheid vom 8. April 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Februar 2010 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat keinen Anspruch auf Leistungen nach der Pflegestufe III.

Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers auf Pflegegeld nach der Pflegestufe III anstelle des bislang gezahlten Pflegegelds nach der Pflegestufe II ist § 48 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Danach ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsakts mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Wesentlich ist die Änderung, soweit der ursprüngliche Verwaltungsakt nach den nunmehr eingetretenen tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen so, wie er ergangen ist, nicht mehr erlassen werden dürfte (Bundessozialgericht [BSG], Urteile vom 19. Februar 1986 - 7 RAr 55/84 - und 8. September 2010 - B 11 AL 4/09 R -, beide in juris). Zu vergleichen sind nach § 48 Abs. 1 SGB X stets die zum Zeitpunkt der Aufhebung bzw. des Aufhebungstermins bestehenden tatsächlichen Verhältnisse mit jenen, die zum Zeitpunkt der letzten Leistungsbewilligung, bei der die Anspruchsvoraussetzungen vollständig geprüft worden sind, vorhanden gewesen sind (BSG, Urteil vom 7. Juli 2005 - B 3 P 8/04 R -, in juris). Die letzte vollständige Überprüfung der Anspruchsvoraussetzungen und damit der maßgebliche Vergleichszeitpunkt ist vorliegend der Bescheid der Beklagten vom 6. Februar 2008, mit welchem die Beklagte Pflegegeld nach der Pflegestufe I bewilligt hatte. Dem zugrunde lag das Gutachten des Arztes Dr. B. vom 29. Januar 2008, welches mithin das maßgebliche Vergleichsgutachten ist.

Nach § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB XI können Pflegebedürftige anstelle der häuslichen Pflegehilfe ein Pflegegeld beantragen. Pflegebedürftig sind nach § 14 Abs. 1 SGB XI Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens, die im Einzelnen in § 14 Abs. 4 SGB XI genannt sind, auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate in erheblichem oder höherem Maß (§ 15 SGB XI) der Hilfe bedürfen. Pflegebedürftige der Pflegestufe I (erheblich Pflegebedürftige) sind nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XI Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson benötigt, muss wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Pflegestufe I mindestens 90 Minuten betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 SGB XI). Die Grundpflege umfasst die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen aus den Bereichen der Körperpflege (§ 14 Abs. 4 Nr. 1 SGB XI), der Ernährung (Nr. 2) und der Mobilität (Nr. 3). Zur Grundpflege zählt ein Hilfebedarf im Bereich der Körperpflege beim Waschen, Duschen, Baden, bei der Zahnpflege, beim Kämmen, Rasieren sowie bei der Darm- und Blasenentleerung, im Bereich der Ernährung beim mundgerechten Zubereiten und der Aufnahme der Nahrung sowie im Bereich der Mobilität beim selbstständigen Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, dem An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen und beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung. Das Ausmaß des Pflegebedarfs ist nach einem objektiven ("abstrakten") Maßstab zu beurteilen. Denn § 14 SGB XI stellt allein auf den "Bedarf" an Pflege und nicht auf die unterschiedliche Art der Deckung dieses Bedarfs bzw. die tatsächlich erbrachte Pflege ab (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2002 - B 3 P 12/01 R -, in juris). Bei der Bestimmung des erforderlichen Zeitbedarfs für die Grundpflege sind als Orientierungswerte die Zeitkorridore der Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI (Begutachtungs-Richtlinien) zu berücksichtigen. Diese Zeitwerte sind zwar keine verbindlichen Vorgaben; es handelt sich jedoch um Zeitkorridore mit Leitfunktion (Abschnitt F Nr. 1 der Begutachtungs-Richtlinien; vgl. dazu BSG, Urteil vom 22. Juli 2004 - B 3 P 6/03 R -, in juris m.w.N.). Dabei beruhen die Zeitkorridore auf der vollständigen Übernahme der Verrichtungen durch eine Laienpflegekraft. Die Zeiten für den Hilfebedarf bei den einzelnen Verrichtungen beruhen regelmäßig auf Schätzungen, denen eine gewisse und auf wenige Minuten beschränkte Unschärfe nicht abgesprochen werden kann und die dennoch hinzunehmen sind (vgl. BSG, Urteil vom 10. März 2010 - B 3 P 10/08 R -, in juris).

Bei Kindern ist nach § 15 Abs. 2 SGB XI für die Zuordnung zu einer Pflegestufe nur der zusätzliche Hilfebedarf gegenüber einem gesunden gleichaltrigen Kind maßgebend. Damit wird klargestellt, dass der natürliche, altersentsprechende Pflegebedarf von Kindern, der jeweils vom Lebensalter der Betroffenen abhängt (vgl. dazu u.a. BSG, Urteil vom 29. April 1999 - B 3 P 13/98 R -, in juris), unberücksichtigt bleibt und allein auf den das altersübliche Maß übersteigenden Aufwand abzustellen ist (BSG, Urteil vom 26. November 1998 - B 3 P 20/97 R -, in juris). Der (zusätzliche) Hilfebedarf bei Kindern ist dabei nicht in einem zweistufigen Verfahren zu ermitteln, indem zunächst der Gesamtpflegeaufwand bei den maßgebenden berücksichtigungsfähigen Verrichtungen im konkreten Fall festgestellt wird und sodann der Pflegeaufwand für ein gleichaltriges gesundes Kind abzuziehen ist, wovon ersichtlich die Begutachtungs-Richtlinien in der bis 30. August 2006 geltenden Fassung ausgegangen sind. Es ist vielmehr im Hinblick auf die konkrete Erkrankung bzw. Behinderung auf den Mehraufwand bei den einzelnen Verrichtungen abzustellen (Urteil des Senats vom 17. September 2008 - L 4 P 2783/06 -, in juris). Dabei ist jedoch die Verwendung allgemeiner Erfahrungswerte zu der Frage, von welchem Alter an Verrichtungen der Grundpflege von gesunden Kindern eigenständig erbracht werden, sachgerecht (vgl. BSG, 26. November 1998 - B 3 P 20/97 R -, a.a.O.). Daran orientieren sich die Begutachtungs-Richtlinien in der ab 1. September 2006 geltenden Fassung unter Abschnitt D Nr. 4.0/III.9 mit der Hilfebedarfstabelle eines gesunden Kindes. Auf diese Erfahrungswerte bezüglich des Hilfebedarfs eines gesunden Kindes bei den einzelnen Verrichtungen der Körperpflege, der Ernährung und der Mobilität greift der Senat zurück. Denn die genannten Zeitansätze geben Erfahrungswerte wieder, die auf Erkenntnissen aus der Zeit davor beruhen (vgl. BSG, Urteil vom 15. März 2012 - B 3 P 1/11 R - und Urteil des Senats vom 17. September 2008 - L 4 P 2783/06 -, beide in juris).

Hinsichtlich der Verrichtung des Verlassens und Wiederaufsuchens der Wohnung hat das BSG bereits mehrmals entschieden, dass Hilfeleistungen auf Wegen außerhalb der Wohnung nur in begrenztem Maße im Bereich der Mobilität zu berücksichtigen sind, weil sie in der Regel anderen Lebensbereichen zuzuordnen sind (BSG, Urteile vom 24. Juni 1998 - B 3 P 4/97 R -, vom 6. August 1998 - B 3 P 17/97 R -, vom 10. Oktober 2000 - B 3 P 15/99 R -, vom 21. Februar 2002 - B 3 P 12/01 R - und vom 28. Mai 2003 - B 3 P 6/02 R -, jeweils in juris sowie Beschluss vom 18. August 2011 - B 3 P 10/11 B -, nicht veröffentlicht). Hilfe im Bereich der Mobilität außerhalb der eigenen Wohnung bei der Verrichtung Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung ist als Pflegebedarf der sozialen Pflegeversicherung nur berücksichtigungsfähig, wenn sie erforderlich ist, um das Weiterleben in der eigenen Wohnung zu ermöglichen, also Krankenhausaufenthalte und die stationäre Pflege in einem Pflegeheim zu vermeiden (grundlegend dazu BSG, Urteile vom 24. Juni 1998 - B 3 P 4/97 R - und vom 6. August 1998 - B 3 P 17/97 R -, in juris m.w.N.). Diese Voraussetzung ist u.a. nur dann gegeben, wenn ein mindestens einmal wöchentlicher Hilfebedarf beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung für Arztbesuche oder das Aufsuchen ärztlich verordneter Behandlungen gegeben ist.

Das BSG hat in mehreren Urteilen vom 19. Februar 1998 (B 3 P 7/97 R; B 3 P 2/97 R - in juris; und B 3 P 6/97 R, nicht veröffentlicht) entschieden, dass ein Pflegebedarf "rund um die Uhr, auch nachts" als Voraussetzung für die Zuordnung eines Pflegebedürftigen zur Pflegestufe III nur dann gegeben ist, wenn ein nächtlicher Grundpflegebedarf für zumindest eine der in § 14 Abs. 4 SGB XI aufgeführten Verrichtungen grundsätzlich jede Nacht entsteht. Weil das Gesetz einen täglichen Hilfebedarf voraussetzt, kann es keinesfalls ausreichen, wenn die Zahl der Nächte, in denen keine Hilfe erforderlich ist, überwiegt. Die Notwendigkeit einer nächtlichen Rufbereitschaft reicht nicht aus, um einen nächtlichen Hilfebedarf annehmen zu können (BSG, Urteil vom 18. März 1999 - B 3 P 3/98 R -; in juris).

Zur Überzeugung des Senats bestand beim Kläger seit Dezember 2008 zu keinem Zeitpunkt ein Hilfebedarf im Umfang von Pflegestufe III. Beim Kläger besteht ein Down-Syndrom mit deutlicher Entwicklungsverzögerung und muskulärer Hypotonie.

Im Dezember 2008 konnte er selbstständig, aber mit breitbeinig tapsigem Gangbild gehen, die Feinmotorik war stark eingeschränkt. Beim Essen und Trinken war daher für alle Mahlzeiten eine volle Übernahme erforderlich. Wegen vollständiger Blasen- und Darminkontinenz mussten die Verrichtungen im Zusammenhang mit Stuhlgang und Wasserlassen, Richten der Bekleidung, Windelwechsel, ebenso wie die Körperpflege und das Kleiden vollständig übernommen werden. Hierbei bestand ein täglicher Pflegebedarf von 41 Minuten für Körperpflege, 75 Minuten für Ernährung, 81 Minuten für Mobilität. Der Senat folgt dem Gutachten der Pflegefachkraft N. vom 4. April 2009. Danach war für tägliches Baden oder Duschen bei voller Übernahme mit 15 Minuten erforderlich, Zahnpflege zweimal täglich bei voller Übernahme mit vier Minuten, Kämmen zweimal täglich bei voller Übernahme mit zwei Minuten, für Windelwechsel fünfmal täglich bei voller Übernahme zehn Minuten, Windelwechsel nach Stuhlgang zweimal täglich bei voller Übernahme sechs Minuten. In den geschätzten Zeiten für den Windelwechsel war die Intimreinigung jeweils enthalten. Für das Richten der Bekleidung konnten siebenmal täglich bei voller Übernahme vier Minuten angesetzt werden, was als gesonderter Ansatz zum Windelwechsel eher großzügig bemessen war. Die Aufnahme der Nahrung erforderte zehnmal täglich bei voller Übernahme insgesamt 75 Minuten. Für Aufstehen/Zu-Bett-Gehen war zweimal täglich Anleitung mit einer Minute erforderlich, Ankleiden gesamt einmal täglich bei voller Übernahme sechs Minuten, Auskleiden gesamt einmal täglich bei voller Übernahme drei Minuten. Das Gehen erforderte 20mal täglich Anleitung mit insgesamt 16 Minuten, das Verlassen/Wiederaufsuchen der Wohnung dreimal wöchentlich bei voller Übernahme 55 Minuten täglich. Dem zugrunde lagen über sechs Monate dauernde Therapien in Form von zweimal wöchentlich physikalischer Therapie in T. (Therapiedauer 60 Minuten, Fahrzeit einfach 40 Minuten), einmal wöchentlich Stimm-, Sprech- und Sprachtherapie (Therapiedauer 45 Minuten, Fahrzeit einfach 30 Minuten). Hieraus folgten 55 Minuten täglich für das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung. Auch dieser Ansatz ist im Gutachten großzügig bemessen, denn berücksichtigungsfähig ist nur die Fahrzeit zum nächsterreichbaren Behandler (Urteile des Senats vom 3. August 2012 - L 4 P 5324/11 -; in juris, und vom 19. April 2013 - L 4 P 3839/07 -; nicht veröffentlicht). Den täglichen Grundpflegebedarf insgesamt schätzte die Gutachterin N. ab 1. Dezember 2008 nachvollziehbar auf 197 Minuten. Zu diesem Zeitpunkt bestand nächtlicher Pflegebedarf in Form von Trinken und Windeln wechseln.

Die hiergegen vom Kläger geltend gemachten höheren Ansätze für Mobilität wegen durchschnittlich wöchentlicher Besuche beim Kinderarzt Dr. R. in T. konnten nicht berücksichtigt werden, weil nach der vorgelegten Karteikarte vom 19. April 2011 keine wöchentlichen Besuche erfolgten. Ebenso wenig berücksichtigungsfähig war die Physiotherapie bei Fr. W. in D., da sie nur zweimal monatlich erfolgte.

Ab November 2009 war der Pflegebedarf insoweit verändert, als durch das Sauberkeitstraining zusätzlich Zeiten auf Stuhlgang und Wasserlassen entfielen. Dies führte zu einem erhöhten Bedarf für Körperpflege von 72 Minuten und zuzüglich eines Bedarfs von 80 Minuten für Ernährung und 52 Minuten für Mobilität zu einem täglichen Grundpflegebedarf von 204 Minuten. Nicht mehr erforderlich war die nächtliche Grundpflege. Durchschlafstörungen bedingen insoweit keinen Pflegebedarf. Das bei Infekten erforderliche nächtliche Inhalieren als Behandlungspflege war nicht berücksichtigungsfähig. Der Senat folgt insoweit dem Gutachten der Pflegefachkraft Be. vom 17. November 2009. Weiterhin war tägliches Duschen/Baden erforderlich, von der Gutachterin unverändert auf 15 Minuten geschätzt. Zusätzlich erfolgte eine Teilwäsche des Unterkörpers von fünf Minuten, Zahnpflege dreimal täglich drei Minuten, Kämmen zweimal täglich eine Minute, Windelwechsel nach Stuhlgang zweimal täglich 14 Minuten und nach Wasserlasen fünfmal täglich insgesamt 20 Minuten. Zusätzlich fielen für das Toilettentraining für Wasserlassen siebenmal täglich sieben Minuten Teilübernahme und Beaufsichtigung an und anschließend siebenmal Richten der Bekleidung sieben Minuten. Für Ernährung erscheint die Schätzung von 80 Minuten insgesamt noch nachvollziehbar, da nach wie vor volle Übernahme erforderlich war, wenn auch die Anzahl von 15mal täglich eher hoch erscheint. Für das Aufstehen und Zubettgehen erscheint die Schätzung von zweimal täglich insgesamt einer Minute nachvollziehbar, für das vollständige Ankleiden einmal täglich fünf Minuten, Auskleiden drei Minuten. Zusätzlich erscheint einmal täglich Ankleiden Ober-/Unterkörper mit zwei Minuten, Auskleiden mit einer Minute nachvollziehbar. Für das Gehen waren täglich zehn Minuten anzusetzen, bei Anleitung 20mal täglich. Für das Verlassen/Wiederaufsuchen der Wohnung stimmt der Senat mit der Gutachterin überein, dass umgelegt täglich 30 Minuten bei sechs wöchentlichen Therapiebesuchen anfielen. Dem zugrunde lagen die ein- bis zweimal wöchentliche Krankengymnastik in T. mit 15 Minuten Fahrzeit, die wöchentliche Logopädie in B. mit 30 Minuten Fahrzeit und die zweimal wöchentliche physikalische Therapie. Ein höherer Ansatz war nicht möglich, da weitere Therapien nicht wöchentlich durchgeführt wurden und die Ärzte ebenfalls nicht wöchentlich aufgesucht wurden.

Ab September 2010 (Begutachtung durch Pflegefachkraft Fi., Gutachten vom 6. Februar 2011; Begutachtung durch Ärztin Ga. am 10. November 2011; Gutachten vom 21. November 2011) bestand ein geringerer täglicher Grundpflegebedarf aufgrund größerer Selbstständigkeit des Klägers. So konnte er sich sicher allein fortbewegen und Treppen steigen. Soweit vorgetragen wird, er müsse Treppen getragen werden, andererseits aber, er verlasse selbstständig und schnell die Wohnung und das Haus, ist dies widersprüchlich. Von Seiten des nicht eingeschränkten Stütz- und Bewegungsapparates bestand auch kein Hindernis, Treppen zu gehen. Er kann Gegenstände greifen und damit auch mundgerecht zerkleinerte Nahrung, z.B. Brot selbstständig essen. Er sagt (teilweise), wenn er auf die Toilette muss, und geht gemeinsam mit seiner Mutter. Beim Baden kann er allein in der Badewanne sitzen. Dies bestätigt auch der Entwicklungsbericht der Heilpädagogin Ba. von der K.-S.-Schule vom 20. April 2011. Auch wenn der Kläger in allen Bereichen noch auf Hilfe angewiesen ist, kann er einzelne Verrichtungen wie Händewaschen, teilweise An- und Ausziehen selbst durchführen, so dass jedenfalls insoweit keine volle Übernahme, sondern nur eine Überwachung, Anleitung oder teilweise Übernahme durch die Pflegeperson erforderlich ist.

Ein nächtlicher Grundpflegebedarf bestand nicht mehr. Zwar nahm Ärztin Ga. dies wegen des mehrmals pro Woche erforderlichen nächtlichen Windelwechsels an. Dieser Annahme steht entgegen, dass der von der Mutter des Klägers als Pflegeperson für erforderlich gehaltene Windelwechsel durch geeignete Inkontinenzartikel vermieden werden kann. Es besteht ein täglicher Grundpflegebedarf von insgesamt 149 Minuten, 78 Minuten für Körperpflege, 47 Minuten für Ernährung, 24 Minuten für Mobilität. Das tägliche Baden erfordert nur noch zwei Minuten, weil nur noch Unterstützung, Anleitung und teilweise Übernahme erforderlich sind. Das Zähneputzen erfordert 15 Minuten täglich, Kämmen großzügig bemessen wegen der Langhaarfrisur zweimal täglich sechs Minuten. Teilwäschen von Händen und Gesicht sind dreimal täglich erforderlich und dauern bei Anleitung, Unterstützung und eventuell teilweiser Übernahme zwei Minuten täglich. Für das Wasserlassen achtmal täglich ist Anleitung, Unterstützung, Beaufsichtigung erforderlich, was acht Minuten in Anspruch nimmt. Bei diesen Verrichtungen im Zusammenhang mit der Körperpflege wurde berücksichtigt, welche Form der Pflege aufgrund der Fähigkeitsstörungen des Klägers erforderlich ist, wobei die Mutter im Gegensatz hierzu tatsächlich jeweils die Verrichtungen voll übernimmt. Bei Stuhlgang ist demgegenüber tatsächlich die volle Übernahme erforderlich, drei- bis viermal täglich insgesamt acht Minuten, viermal täglich Windelwechsel nach Wasserlassen und viermal täglich nach Stuhlgang, jeweils mit Hautpflege zehn bzw. 20 Minuten täglich bei voller Übernahme. Für das Entleeren des Töpfchens wurden sieben Minuten täglich berücksichtigt. Beim Hilfebedarf bei der Ernährung ist nunmehr ebenfalls überwiegend Anleitung, Unterstützung, teilweise, nur selten vollständige Übernahme erforderlich, so dass vier- bis fünfmal täglich mundgerechte Zubereitung der Nahrung acht Minuten erfordern, die Aufnahme der Hauptmahlzeiten inklusive Getränken großzügig bemessen siebenmal täglich 35 Minuten, die Aufnahme der Nahrung für zusätzlich ein bis zwei Zwischenmahlzeiten viermal täglich vier Minuten täglich. Für die Mobilität kann nur noch Anleitung, Aufforderung oder teilweise Übernahme berücksichtigt werden, so dass täglich nur noch zwei Minuten anzusetzen sind, ebenso für achtmal wöchentlich Treppensteigen. Im Rahmen der Mobilität - Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung - konnte die Ergotherapie bei Ergotherapeutin Er. nicht berücksichtigt werden, weil nach den vorgelegten Bescheinigungen keine wöchentliche Therapie erfolgte. Berücksichtigt wurde einmal wöchentlich Logopädie in T., Fahrzeit einfach 30 Minuten, einmal wöchentlich Krankengymnastik, einfache Fahrzeit zehn Minuten. Bei Therapie in Abwesenheit der Mutter - wie von ihr gegenüber der Sachverständigen angegeben - ergab dies zwölf Minuten Pflegebedarf, selbst bei unterstellter erforderlicher Anwesenheit und 45 Minuten Therapiedauer 25 Minuten täglich, was nicht zum Erreichen des Schwellenwertes für Pflegestufe III führt. Die Angaben des Klägers mit Schriftsatz vom 15. April 2011 führten insoweit zu keinem anderen Ergebnis. Danach wird die Logopädin Fr. einmal wöchentlich mit einem Zeitaufwand von 147 Minuten aufgesucht, Krankengymnastin Ba. 52mal im Jahr mit einem Aufwand von 92,4 Minuten, was zu einem täglichen Bedarf einschließlich Therapiezeiten von 34,3 Minuten führen würde, mithin 23 Minuten mehr als von Ärztin Ga. geschätzt, aber insgesamt zu einem Pflegebedarf in der Grundpflege weit unter dem Wert von mindestens 240 Minuten. Diese Einschätzung bestätigte der den Kläger bereits von Geburt an behandelnde Kinderarzt Dr. R. in seinem Vermerk vom 28. Februar 2011, demzufolge er die Ablehnung von Pflegestufe III nachvollziehbar fand.

Die vom Kläger im Verfahren wiederholt vorgelegten Pflegetagebücher mit Ansätzen von über 600 Minuten, zuletzt noch über 500 Minuten täglichem Grundpflegebedarf sind demgegenüber nicht nachvollziehbar. Diese enthielten nicht berücksichtigungsfähigen Aufwand für Behandlungspflege wie Sauerstoffversorgung und Inhalationen, und wurden während akuter Infekte erhoben. Nicht berücksichtigungsfähig sind die stationären Krankenhausaufenthalte des Klägers, auch nicht berücksichtigungsfähig ist der Zeitaufwand für nächtliches Beruhigen und Beaufsichtigen, weil dies keinen verrichtungsbezogenen Hilfebedarf darstellt. Insgesamt sind die Angaben nicht nachvollziehbar, da insbesondere bei der dokumentierten teilweise fehlenden Einsicht des Klägers in die Notwendigkeit der Verrichtungen kaum vorstellbar erscheint, dass dieser pflegerische Verrichtungen im Umfang von 8 ½ bis zehn Stunden täglich toleriert.

Der Kläger übersieht, dass für die Ermittlung des Zeitaufwands des Hilfebedarfs in der sozialen Pflegeversicherung nicht alle anfallenden Tätigkeiten berücksichtigungsfähig sind, so z.B. - wie das SG zutreffend ausgeführt hat - der aufgrund der Erkrankung des Klägers bestehende erhöhte allgemeine, nicht verrichtungsbezogene Betreuungs- und Beaufsichtigungsbedarf (vgl. BSG, Urteile vom 26. November 1998 - B 3 P 13/97 R - und 28. Juni 2001 - B 3 P 7/00 R -, beide in juris). Nach § 4 Abs. 2 Satz 1 SGB XI ergänzen bei häuslicher und teilstationärer Pflege die Leistungen der Pflegeversicherung die familiäre, nachbarschaftliche oder sonstige ehrenamtliche Pflege und Betreuung. § 4 Abs. 2 SGB XI als Grundnorm verdeutlicht, dass die Leistungen der Pflegeversicherung (lediglich) eine soziale Grundsicherung in Form von unterstützenden Hilfeleistungen darstellen sollen, eine Vollversorgung des Pflegebedürftigen indessen nicht angestrebt wird. Im ambulanten Bereich obliegt es den Versicherten, einen durch die Leistungen der Pflegeversicherung nicht gedeckten Pflege- und Betreuungsaufwand selbst sicherzustellen (vgl. Bundestags-Drucksachen 12/5262 S. 90 und 16/7439, S. 44; siehe auch BSG, Urteil vom 5. Mai 2010 - B 12 R 6/09 R -; in juris).

Soweit der Kläger höhere Leistungen bereits ab August 2008, also vor Antragstellung am 30. Dezember 2008 beantragt, steht dem Anspruch für die Zeit von August bis November 2008 auch bereits § 33 SGB XI entgegen. Gemäß § 33 Abs. 1 Satz 3 SGB XI werden Leistungen vom Beginn des Monats der Antragstellung an gewährt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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