Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 8 R 1254/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 R 1590/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 9. Februar 2012 abgeändert. Der Bescheid vom 22. Juni 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. April 2011 wird in vollem Umfang aufgehoben.
Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten für beide Rechtszüge zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die teilweise Aufhebung einer Altersrente für die Vergangenheit und für die Zukunft und die teilweise Erstattung der Überzahlung.
Die am 1946 geborene Klägerin absolvierte vom 1. Oktober 1965 bis 30. September 1968 eine Ausbildung zur Krankenschwester und war anschließend versicherungspflichtig beschäftigt. Am 4. April 1970 heiratete sie den niedergelassenen Arzt Dr. S. Pf. (im Folgenden: Dr. Pf.) und bekam drei Kinder, geboren am 1972, 1974 und 1977. Die Ehe wurde mit Urteil des Amtsgerichts R. - Familiengericht - vom 15. Oktober 2001 geschieden. Während der Ehezeit arbeitete sie zunächst in der Praxis ihres Ehemannes mit, wobei Pflichtbeitragszeiten wegen Beschäftigung ab 1. Januar 1972 nicht vorhanden sind. Nach ihren Angaben war sie ab 1. August 1995 versicherungspflichtig beschäftigt, zunächst in einer Sozialstation mit einem Arbeitsentgelt von ca. EUR 2.600,00 bis EUR 2.800,00, anschließend als Pflegegutachterin für den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg und zuletzt als Fachschwester für Gerontopsychiatrie in einem Altenheim für ca. EUR 1.400,00 netto. Am 31. Juli 2009 beendete sie ihr letztes Arbeitsverhältnis. Für diesen Zeitraum sind Pflichtbeitragszeiten wegen Beschäftigung gespeichert.
Nach dem Urteil des Familiengerichts wurde - ausgehend von einer Ehezeit vom 1. April 1970 bis 28. Februar 2001 - ein Versorgungsausgleich dergestalt durchgeführt, dass zu Lasten des Versicherungskontos des Dr. Pf. bei der baden-württembergischen Versorgungsanstalt für Ärzte, Zahnärzte und Tierärzte (VA BW) Anwartschaften in Höhe von DM 1.840,75 monatlich auf einem neu einzurichtenden Konto der Klägerin bei derselben Versorgungsanstalt begründet wurden. In den Entscheidungsgründen wurde ausgeführt, dass die Klägerin während der Ehezeit in der gesetzlichen Rentenversicherung laut Auskunft der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (Rechtsvorgängerin der Beklagten; im Folgenden einheitlich: Beklagte) eigene Anwartschaften in Höhe von DM 547,52 monatlich erworben habe und eine Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes bei der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder entsprechend einer Regelaltersrente von monatlich DM 24,92. Dr. Pf. habe eine Anwartschaft auf eine Altersversorgung bei der VA BW erworben, deren Ehezeitanteil DM 4.253,94 monatlich betrage. Der Ausgleich erfolge im Wege der Realteilung nach § 1 Abs. 2 des Gesetzes zur Regelung von Härten im Versorgungsausgleich in der Fassung vom 8. Dezember 1986, gültig bis 31. August 2009 - VersorgAusglHärteG - (VAHRG) i.V.m. der Satzung des Versorgungsträgers in Höhe von DM 1.840,75 monatlich. Die Beklagte erhielt das Urteil am 19. Oktober 2001 und mit Schreiben vom 4. Dezember 2001 eine Mitteilung über dessen Rechtskraft. Die Beklagte speicherte im Versichertenkonto der Klägerin als Ergebnis des Scheidungsverfahrens, dass ein Ausgleich nach § 1587b Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) erfolgt sei. Unter dem 19. Dezember 2001 versandte die Beklagte an die Klägerin eine Mitteilung zum durchgeführten Versorgungsausgleich.
Nach der von der Beklagten erteilten Renteninformation vom 15. März 2004 hatte die Klägerin zu diesem Zeitpunkt 55,6534 Entgeltpunkte erworben, 12,7059 als Arbeitnehmer oder aus selbstständiger Tätigkeit, 2,998 wegen Kindererziehung, 1,5399 aus beitragsfreien Zeiten (z.B. Schule oder Studium), 0,5177 wegen sonstiger Beiträge und 37,8911 durch "Scheidung" erworbene Rentenanwartschaften. Nach dieser Berechnungsgrundlage erhielte sie damals bei voller Erwerbsminderung EUR 1.354,30; die voraussichtliche Altersrente betrüge EUR 1.454,22; bei weiterem Erwerb von Entgeltpunkten EUR 1.725,88. In einer Renteninformation vom 1. Mai 2005 gab die Beklagte als damalige Erwerbsminderungsrente EUR 1.371,79 und als künftige Altersrente EUR 1.492,12 bzw. bei weiterer Beitragszahlung EUR 1.710,74 an. Bisher habe die Klägerin 57,1037 Entgeltpunkte erworben. Ein Versicherungsverlauf vom 17. März 2006 gab 53,6754 Entgeltpunkte und eine Altersrente von EUR 1.358,74 an, die Renteninformation vom 20. März 2007 59,1892 Entgeltpunkte, eine damalige Erwerbsminderungsrente von EUR 1.426,20 und eine Altersrente von EUR 1.546,61 bzw. EUR 1.682,24 sowie erstmals mit dem Zusatz "einschließlich Versorgungsausgleich" 59,1892 erworbene Entgeltpunkte. Die Renteninformation vom 1. April 2008 nannte 60,1992 erworbene Entgeltpunkte mit dem Zusatz "einschließlich Versorgungsausgleich", eine damalige Erwerbsminderungsrente von EUR 1.543,44 und eine Altersrente von EUR 1.581,43 bzw. EUR 1.680,49, die Renteninformation vom 22. April 2009 61,2531 erworbene Entgeltpunkte, eine damalige Erwerbsminderungsrente von EUR 1.629,90 und Altersrenten von EUR 1.626,88 bzw. EUR 1.697,87. Die Erläuterung zur Rentenauskunft vom 15. April 2008 lautete wie folgt:
"Wir haben die Höhe der Regelaltersrente ermittelt, die Ihnen ohne weitere rentenrechtliche Zeiten bei Erreichen der Regelaltersgrenze zustehen würde. Sie erreichen die Regelaltersrente am 10. Juli 2011. Die Rente wurde unter Berücksichtigung des rechtskräftig durchgeführten Versorgungsausgleichs berechnet. Die Altersrente würde monatlich EUR 1.581,43 betragen, wenn der derzeit maßgebende aktuelle Rentenwert zugrunde gelegt wird."
Die Klägerin führte Informationsgespräche bei der Beklagten am 15. April 2008 und 17. Juli 2008 und ließ sich die zu erwartende Altersrente bei vorzeitiger Inanspruchnahme gegenüber der abschlagsfreien ausrechnen. Ausweislich einer von ihr im Klageverfahren vorgelegten handschriftlichen Notiz des Sachbearbeiters sollte die Rente per 1. Januar 2009 mit einem Abschlag von 9,3 % EUR 1.313,00 betragen, per 1. Juli 2009 mit einem Abschlag von 7,5 % EUR 1.349,00 und per 1. August 2011 abschlagsfrei EUR 1.503,00; jeweils unter Berücksichtigung von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen.
Am 30. April 2009 beantragte sie die Gewährung von Altersrente für langjährig Versicherte wegen Vollendung des 63. Lebensjahres ab 1. August 2009. Die Beklagte gewährte mit Bescheid vom 16. Juli 2009 für die Zeit ab 1. August 2009 diese Altersrente mit einem Zahlbetrag von monatlich EUR 1.563,33. Die Berechnung der Rente erfolge unter Berücksichtigung des Versorgungsausgleichs. Unter der Überschrift "Auswirkungen des Versorgungsausgleichs" wurde in Anlage 5 des Bescheids - entsprechend der damaligen Speicherung im Versichertenkonto der Klägerin - dargelegt, dass der zugunsten des Versicherungskontos durchgeführte Versorgungsausgleich einen Zuschlag an Entgeltpunkten ergebe. Für die Ehezeit vom 1. April 1970 bis 28. Februar 2001 seien zugunsten des Versicherungskontos Rentenanwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung ohne Beitragszahlung begründet worden. Diese seien auf monatlich DM 1.840,75 festgestellt worden, woraus sich 37,8911 Entgeltpunkte errechneten. Als persönliche Entgeltpunkte wurden in Anlage 6 des Bescheids angegeben: 22,3642 für Beitragszeiten, davon 2,9988 für Kindererziehungszeiten, 1,2673 für beitragsfreie Zeiten, 0,4121 zusätzlich für beitragsgeminderte Zeiten, insgesamt 24,0436 Punkte; Zuschlag aus einem durchgeführten Versorgungsausgleich 37,8911 Punkte; Summe aller Entgeltpunkte: 61,9347. Die VA BW gewährte mit Bescheid vom 2. September 2009 auf Antrag vorgezogenes Altersruhegeld ab 1. September 2009 in Höhe von monatlich EUR 963,86. Mit Bescheid vom 2. September 2009 wurde die Altersrente von der Beklagten neu berechnet und ab 1. September 2009 EUR 1.672,77 monatlich gezahlt bei einer Nachzahlung von EUR 109,44 für den August 2009. Grund war die Bewilligung eines Zuschusses zum Krankenversicherungsbeitrag in Höhe von monatlich EUR 109,44.
Die Beklagte stellte ausweislich eines Aktenvermerks vom 23. März 2010 fest, dass im Versorgungsausgleich Anwartschaften der Klägerin bei der VA BW durch Realteilung nach § 1 Abs. 2 VAHRG, also außerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung begründet wurden. Von dieser Form des Versorgungsausgleichs sei die gesetzliche Rentenversicherung nicht berührt. Ausgegangen worden sei von einer Begründung von Anwartschaften gemäß § 1587b BGB. Die Berechnung der Rente im Versicherungsverlauf vom 1. April 2010 berücksichtigte noch 24,0436 Entgeltpunkte und ergab einen monatlichen Zahlbetrag von EUR 649,39, bestehend aus einer monatlichen Rente von EUR 606,90 und einem Zuschuss zum Krankenversicherungsbeitrag von 7 % (EUR 42,49). Hieraus ergebe sich für acht Monate (1. August 2009 bis 31. März 2010) eine Nachzahlung von EUR 5.195,12, zu verrechnen mit (tatsächlich gezahlten) EUR 13.382,16, woraus sich eine Überzahlung von EUR 8.187,04 ergebe.
Mit Schreiben vom 25. Mai 2010 hörte die Beklagte die Klägerin an. Die Rente sei fehlerhaft berechnet worden, weil zu Unrecht ein Zuschlag aus einem Versorgungsausgleich berücksichtigt worden sei. Die Neuberechnung habe eine Überzahlung ergeben. Es sei beabsichtigt, den Bescheid vom 16. Juli 2009 ab 1. August 2009 nach § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zurückzunehmen, die richtig berechnete Rente in Höhe von EUR 649,39 ab Juli 2010 laufend zu zahlen und die Überzahlung für die Zeit vom 1. August 2009 bis 30. Juni 2010 in Höhe von EUR 11.257,18 nach § 50 Abs. 1 SGB X zurückzufordern. Die Voraussetzungen hierfür seien erfüllt, weil die Klägerin die Fehlerhaftigkeit des Bescheids gekannt habe oder habe kennen müssen. Erheblich sein könne, ob eine unbillige Härte entstehe, Dispositionen getroffen worden seien, die nur unter erheblichen finanziellen Nachteilen rückgängig gemacht werden könnten oder Sozialleistungen nicht in Anspruch genommen worden seien, die nunmehr nicht mehr zu erlangen seien. Die Klägerin teilte mit Schreiben vom 31. Mai 2010 mit, sie sei nicht einverstanden mit einer Rentenrückforderung. Sie habe ihren Ruhestand 2009 aufgrund der Berechnungen der Beklagten angetreten. Ohne diese hätte sie ihn nicht angetreten. Ihr sei nicht nachvollziehbar, weshalb es jetzt zu einer Neuberechnung und Rückforderung komme.
Mit Bescheid vom 22. Juni 2010 stellte die Beklagte die Altersrente für langjährig Versicherte neu fest. Ab 1. Juli 2010 würden monatlich EUR 649,39 gezahlt. Für die Zeit vom 1. August 2009 bis 30. Juni 2010 ergebe sich eine Überzahlung von EUR 5.628,59. Diese sei zu erstatten. In Anlage 10 zu diesem Bescheid führte sie aus, der Rentenbescheid vom 16. Juli 2009 werde hinsichtlich der Rentenhöhe gemäß § 45 SGB X mit Wirkung ab 1. August 2009 zurückgenommen. Die entstandene Überzahlung sei zu erstatten. Die Rücknahme des Bescheides für die Vergangenheit und die Zukunft sei zulässig, weil die Klägerin sich auf Vertrauen in dessen Bestand nicht berufen könne und die Fristen aus § 45 Abs. 3 bzw. Abs. 4 SGB X nicht abgelaufen seien. Im Rahmen der Anhörung habe die Klägerin angegeben, sie habe auf die Berechnung vertraut. Dieser Grund könne zwar nicht im Rahmen des Vertrauensschutzes berücksichtigt werden, weil sie aufgrund der von ihr (der Beklagten) erteilten Informationen die Fehlerhaftigkeit des Bescheides gekannt habe oder bei entsprechender Sorgfalt habe kennen und auf die fehlerhafte Berechnung hinweisen müssen; aber im Rahmen der Ermessensausübung. Der Bescheid sei daher nur teilweise zurückgenommen worden. Es sei daher nur ein Betrag von EUR 5.628,59 überzahlt und zu erstatten. Die Ermessensentscheidung begründe sich wie folgt: Wegen ihres (der Beklagten) Mitverschuldens sei die Forderung um 50 % reduziert worden. Die zu Unrecht erfolgte Berücksichtigung eines Zuschlags aus dem durchgeführten Versorgungsausgleich sei von der Klägerin zu erkennen gewesen und sie hätte somit bei entsprechender Sorgfalt auf die fehlerhafte Rentenberechnung hinweisen müssen.
Die Klägerin erhob Widerspruch. Die Fehlerhaftigkeit beruhe auf einem Verwaltungsfehler aufgrund fehlerhafter Dokumentation anrechenbarer Zeiten. Scheidungsurteil und Versorgungsausgleich seien der Beklagten bereits 2001 bekannt gewesen. Die Beklagte habe z.B. in der Rentenauskunft vom 15. April 2008 die Rentenhöhe unter Berücksichtigung des Versorgungsausgleichs berechnet. Sie (die Klägerin) habe aufgrund der fehlerhaften Berechnung ihr Arbeitsverhältnis gelöst. Bei späterem Rentenbeginn hätte sie auch höhere Leistungen der VA BW erhalten. Der Widerspruchsausschuss der Beklagten hatte ausweislich eines Aktenvermerks Bedenken gegen den Vorwurf grob fahrlässigen Verhaltens und gab den Vorgang an die Grundsatzabteilung ab. Die Richtigstellung für die Zukunft begegne keinen rechtlichen Bedenken. Die Rückforderung für die Vergangenheit überzeuge nicht. Unklar sei, ob es sich dem rechtlichen Laien anhand des vorhandenen Schriftwechsels habe aufdrängen müssen, dass der Versorgungsausgleich fehlerhaft aus der gesetzlichen Rentenversicherung durchgeführt worden sei. Ein enger zeitlicher Zusammenhang des Scheidungsurteils von 2001 und des Rentenbescheides von 2009 bestehe nicht. Sollte die Klägerin nicht grob fahrlässig gehandelt haben, würde sich in einem anderen Verfahren die Frage nach Herstellungs- oder Ersatzansprüchen stellen. Das angefragte Fachdezernat erteilte die Auskunft, der Klägerin sei mit Schreiben vom 19. Dezember 2001 mitgeteilt worden, dass zu ihren Gunsten Rentenanwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von DM 1.840,75 begründet worden seien. Auch bei der VA BW gebe es ein solches Benachrichtigungsverfahren. Muster wurden jeweils beigelegt. Da die Klägerin zwei Mitteilungen über die Begründung von Rentenanwartschaften in Höhe von DM 1.840,75 in kurzer Zeit erhalten habe, habe sie erkennen müssen, dass der Versorgungsausgleich nicht bei zwei Versorgungsträgern stattfinden könne und habe die Verpflichtung gehabt, die Beklagte hierauf hinzuweisen. Da sie die Fehlerhaftigkeit der Mitteilung vom 19. Dezember 2001 habe erkennen müssen, sei sie bösgläubig gewesen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 13. April 2011 gab der bei der Beklagten gebildete Widerspruchsausschuss dem Widerspruch teilweise statt und beschränkte die Rückforderung auf ein Zehntel der Überzahlung (= EUR 1.125,72). Vertrauensschutz nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X bestehe nicht. Zwar sei die Thematik des Versorgungsausgleichs für einen juristischen Laien grundsätzlich schwierig zu beurteilen, weshalb er (der Widerspruchsausschuss) zunächst Bedenken gegen die Annahme der groben Fahrlässigkeit gehabt habe. Jedoch bestehe bei der Beklagten und bei der VA BW ein automatisches Benachrichtigungsverfahren, mit dem Ausgleichsberechtigte und Ausgleichspflichtige über die Auswirkungen des Versorgungsausgleichs informiert würden. Ausweislich des Versicherungskontos sei die Benachrichtigung mit Schreiben vom 19. Dezember 2001 erfolgt. Der Klägerin sei mitgeteilt worden, dass Rentenanwartschaften zu ihren Gunsten in Höhe von DM 1.840,75 begründet worden seien. Es sei davon auszugehen, dass von der VA BW eine entsprechende Mitteilung gemacht worden sei. Auch für einen juristischen Laien sei ohne weiteres erkennbar gewesen, dass dies nicht richtig sein und ein Versorgungsausgleich bei zwei verschiedenen Versicherungsträgern sich nicht in der Summe doppelt so hoch wie im Scheidungsurteil ausgesprochen auswirken könne. Zwar sei die Rücknahme für die Vergangenheit in § 45 Abs. 3 SGB X nicht zwingend vorgeschrieben, sondern durch das Wort "kann" die Möglichkeit eingeräumt, unter bestimmten Voraussetzungen von der Aufhebung des Verwaltungsaktes für die Vergangenheit abzusehen. Die Vorschrift enthalte aber keine bloße Ermächtigung mit weitem Ermessensspielraum. Vielmehr solle die Verwaltung im Regelfall den Verwaltungsakt auch mit Wirkung für die Vergangenheit aufheben, soweit nicht in begründeten Fällen, die insbesondere mit Rücksicht auf die sich aus § 50 Abs. 1 SGB X ergebende Erstattungspflicht als unbillige Härte empfunden werden müssten, von der rückwirkenden Aufhebung des Verwaltungsakts abzusehen sei. Hierfür genüge nicht jede mit der Rückforderung verbundene Härte. Zu prüfen gewesen sei, ob die Beklagte eine Mitschuld an der Überzahlung trage und aus diesem Grund im Rahmen des Ermessens von der Rückforderung der Überzahlung ganz oder teilweise abzusehen sei. Im Fall der Klägerin sei bedeutsam, dass die Ursache für das Entstehen der Überzahlung allein dem Bereich des Rentenversicherungsträgers zuzuordnen sei. Hätte der seinerzeit mit dem Vorgang befasste Bearbeiter nicht fehlerhaft die entsprechenden Daten in das Versicherungskonto der Klägerin eingegeben, wäre es auch nicht zu der Überzahlung gekommen. Da das Scheidungsurteil aus dem Jahre 2001 stamme, der Rentenbescheid aber erst im Jahre 2009 erteilt worden sei, lediglich eine Obliegenheitsverletzung der Klägerin vorliege und sich die Thematik des Versorgungsausgleichs selbst für einen Fachmann schwierig gestalte, stelle er (der Widerspruchsausschuss) fest, dass das Mitverschulden des Rentenversicherungsträgers am Entstehen der Überzahlung deutlich überwiege. Die bereits im Wege des Ermessens vorgenommene Reduzierung um die Hälfte sei nicht ausreichend, sondern eine weitere Reduzierung auf lediglich ein Zehntel geboten. Bei dieser Sach- und Rechtslage habe dem Widerspruch der Erfolg im Übrigen versagt bleiben müssen.
Mit ihrer am 13. Mai 2011 zum Sozialgericht Konstanz (SG) erhobenen Klage verfolgte die Klägerin ihr Begehren weiter. Die Rücknahme des Bewilligungsbescheides sei mangels rechtlicher Grundlage für die Vergangenheit und für die Zukunft rechtswidrig. Die Auskünfte der Beklagten seien für sie die Grundlage gewesen, vorzeitig Altersrente mit Abschlägen zu beantragen. Die Höhe der Rente habe sie nicht überrascht, da sie regelmäßig in der Praxis ihres Mannes tätig gewesen sei und drei Kinder aufgezogen habe. Bereits seit 1994 sei sie wieder als Krankenschwester in Vollzeit tätig gewesen. Die in den Renteninformationen genannte Rentenhöhe habe aus ihrer Sicht folgerichtig ihren Ansprüchen gegenüber der Beklagten entsprochen. Ausweislich des Verwaltungsvorgangs hätten auch bei der Beklagten, sogar im Widerspruchsausschuss, Bedenken gegen die Annahme grober Fahrlässigkeit bestanden. Ihr sei nicht in Erinnerung, ob sie überhaupt im Jahr 2001 Mitteilungen über die Begründung einer Rentenanwartschaft von der Beklagten und der VA BW erhalten habe. Für sie sei entscheidend gewesen, dass vom Familiengericht im Zuge der Scheidung ein Ausgleich der Versorgungsansprüche vorgenommen worden sei, Widersprüche habe sie nicht zur Kenntnis genommen. Ein Schreiben entsprechend dem in dem Verwaltungsvorgang der Beklagten enthaltenen Muster der VA BW von 1994 sei ihr nicht in Erinnerung. Die Beklagte räume selber ein, dass die Berechnung von Rentenanwartschaften aus einem Versorgungsausgleich für den juristischen Laien schwer nachzuvollziehen sei. So sei es bei ihr. Sie habe sich jeweils bei der Beklagten die Nettobeträge ausrechnen lassen, um zu entscheiden, ob sie es sich leisten könne, vorzeitig in Rente zu gehen. Die Berücksichtigung des Versorgungsausgleichs sei ihr nicht verdächtig oder irgendwie auffällig erschienen, da sie geschieden gewesen sei und gewusst habe, dass ein Versorgungsausgleich durchgeführt worden sei. Die von der Beklagten gewünschte Rückabwicklung hätte einen Schadensersatzanspruch zur Folge, weil sie (die Klägerin) aufgrund der falschen Rentenberechnung der Beklagten sowohl eine geringere Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung, als auch von der VA BW erhielte. Sie werde aufgrund eines Fehlers der Beklagten in ein Schadensersatzverfahren gedrängt. Die Jahresfrist für die Rücknahme sei bereits am 4. Dezember 2002 verstrichen gewesen, da die Beklagte am 4. Dezember 2001 über die Rechtskraft des Urteils zum Versorgungsausgleich informiert worden sei. In der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 9. Februar 2012 trug sie weiter vor, während des Scheidungsverfahrens sei es ihr schlecht gegangen. Sie habe sich darauf verlassen, was die Rechtanwälte gesagt hätten. Man habe ihr gesagt, später mit der Rente werde es ihr gut gehen. Den Betrag von DM 1.840,75 im Scheidungsurteil habe sie wahrgenommen. Bei der Beratung in der Regionaldirektion der Beklagten habe man ihr mitgeteilt, die Rente betrage ca. EUR 1.300,00 und die Kindererziehungszeiten kämen hinzu. Sie habe gewusst, dass von der VA BW noch eine Altersversorgung komme. Von den Renteninformationen habe sie vorrangig die Beträge wahrgenommen.
Die Beklagte trat der Klage entgegen. Die Bezugnahme in Anlage 5 des Bescheids vom 16. Juli 2009 auf die aufgrund des Versorgungsausgleichs begründeten Anwartschaften sei für jeden juristischen Laien verständlich. Da die Klägerin mit Bescheid der VA BW vom 2. September 2009 informiert worden sei, dass sie auch von dort eine Leistung aus dem durchgeführten Versorgungsausgleich erhalte, sei für sie offensichtlich gewesen, dass die zweifache Berücksichtigung des Versorgungsausgleichs nicht rechtens sein könne. In Kenntnis des Urteils des Familiengerichts hätte der Klägerin die Fehlerhaftigkeit der Renteninformationen auffallen müssen. Ihre (der Beklagten) Kenntnis hinsichtlich der Tatsachen, die die Rücknahme rechtfertigten, liege erst nach erfolgter Anhörung vor, weshalb die maßgeblichen Fristen gewahrt seien.
Das SG hob den Bescheid vom 22. Juni 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. April 2011, soweit der Bescheid vom 16. Juli 2009 für die Zeit vom 1. August 2009 bis 30. Juni 2010 zurückgenommen und ein Betrag in Höhe von EUR 1.125,72 erstattet verlangt wurde, auf und wies die Klage im Übrigen ab. Es (das SG) habe sich nicht davon überzeugen können, dass die Klägerin die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt habe (muss richtig heißen: infolge grober Fahrlässigkeit gekannt habe). Die objektive Beweislast hierfür trage die Beklagte. Die Klägerin habe ihre Prüfungspflichten im Hinblick auf die Höhe der durch Bescheid vom 16. Juli 2009 bewilligten Altersrente nicht grob fahrlässig, also unter Außerachtlassung der erforderlichen Sorgfalt in besonders schwerem Maße, verletzt. Es bestehe die Obliegenheit, Bewilligungsbescheide zu lesen, die Rechtswidrigkeit müsse aber augenfällig sein. Zwar hätten durchaus Anhaltspunkte für die Rechtswidrigkeit bestanden. So sei in den Anlagen zum Bescheid ein Hinweis auf die Berücksichtigung eines Versorgungsausgleiches bei der Rentenberechnung enthalten. Ferner habe die Rente deutlich über der Standardrente eines Eckrentners gelegen, obwohl die Klägerin viele Jahre nicht versicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei. Auch sei die Rente höher als ihr letztes Vollzeitnettoeinkommen gewesen. Dies sei aber nicht augenfällig gewesen. In der Zusammenschau mit den übrigen Umständen, den wiederholten Informationen der Beklagten, den wahrheitsgemäßen und vollständigen Angaben der Klägerin und den umfangreichen Anlagen des Rentenbescheides, sei ihr keine grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Mit Wirkung für die Vergangenheit könne der Verwaltungsakt aber nur unter den Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 und Absatz 3 Satz 2 SGB X zurückgenommen werden. Für die Zukunft sei die Rücknahme gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB X rechtmäßig. Das Vertrauen der Klägerin sei hier nicht schutzwürdig, das Rücknahmeinteresse überwiege in der Regel bei der Bewilligung von Dauerleistungen, die - wie vorliegend - für lange Zeit gewährt werden müssten. Ein langer zeitlicher Abstand, der das Vertrauen schutzwürdiger mache, liege nicht vor. Eine das Vertrauen bestärkende Wiederholung der Bewilligung liege nicht vor, der einzige Änderungsbescheid vom 2. September 2009 betreffe die Höhe der Leistungen wegen eines Zuschusses zur Krankenversicherung. Die alleinige Verantwortung der Beklagten für die fehlerhafte Rentenberechnung sei in die Abwägung einzubeziehen, rechtfertige hier jedoch nicht die Annahme eines schutzwürdigen Vertrauens. Die Klägerin könne auch mit der reduzierten Rente ihr bisheriges Leben weiterführen, da diese zusammen mit dem Altersruhegeld der VA BW ca. EUR 1.600,00 betrage und damit ihr letztes Nettoeinkommen von ca. EUR 1.400,00 übersteige. Die Rücknahmefrist sei gewahrt, die vorgeschriebene Ermessensprüfung durchgeführt worden.
Gegen das ihr über ihre Prozessbevollmächtigte am 14. März 2012 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 13. April 2012 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Die Beklagte hat gegen das ihr am 19. März 2012 zugestellte Urteil am 31. Mai 2012 Anschlussberufung eingelegt.
Zur Begründung trägt die Klägerin vor, zu Unrecht betrachte das SG die Rücknahme für die Zukunft als rechtmäßig. In die Abwägung einzustellen seien die vielen im Vorfeld des Rentenbescheides erteilten unrichtigen Auskünfte. Auch sei der Änderungsbescheid vom 2. September 2009 als Bestätigung anzusehen. Sie (die Klägerin) werde in ein Amtshaftungsverfahren getrieben. Auch habe die Beklagte Kenntnis von den maßgeblichen Tatsachen bereits seit Dezember 2001 gehabt und könne diese Tatsachen nicht neu Jahre später für eine Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts heranziehen. Die Beklagte habe kein Ermessen hinsichtlich der Rücknahme für die Zukunft ausgeübt. Allein deshalb sei der Bescheid rechtswidrig und aufzuheben. Das SG habe zutreffend keine Bösgläubigkeit angenommen. Maßgeblicher Zeitpunkt für das Kennenmüssen sei nämlich der Bewilligungsbescheid vom 16. Juli 2009 und nicht der des Scheidungsverfahrens 2001, als die Rente noch weit in der Zukunft gelegen habe. Wenn die Beklagte meine, die Fehlerhaftigkeit sei für jeden Laien offensichtlich gewesen, müsse sie sich fragen, warum diese den jeweiligen Sachbearbeitern bei der Erteilung der Auskünfte nicht aufgefallen sei, die die Akten ja in die Hand genommen haben müssten.
Die Klägerin beantragt (sachgerecht gefasst),
das Urteil des SG Konstanz vom 9. Februar 2012 abzuändern hinsichtlich der Aufhebung für die Zukunft und den Bescheid der Beklagten vom 22. Juni 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. April 2011 in vollem Umfang aufzuheben und die Anschlussberufung der Beklagten zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt (sachgerecht gefasst),
das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 9. Februar 2012, soweit der Klage stattgegeben wurde, abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen und die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Die Klägerin begehre die doppelte Berücksichtigung eines Bonus aus dem Versorgungsausgleich, der ihr eigentlich gar nicht zustehe. Bei einem Rentenbezug von 20 Jahren verlange die Klägerin einen Betrag von EUR 240.000,00 in vollem Bewusstsein seiner Unrechtmäßigkeit, den die Versichertengemeinschaft aufbringen müsse. Für die von der Klägerin zu Unrecht verlangten zusätzlichen EUR 1.000,00 monatlich müsse ein durchschnittlich verdienender Bürger rund 36 Jahre hart arbeiten. Die Klägerin wende sich gegen die Herstellung des rechtmäßigen Zustandes. Sie sei auch bösgläubig gewesen, so dass eine Rücknahme für die Vergangenheit habe erfolgen können. Nach dem Scheidungsurteil sei eindeutig gewesen, dass ein Versicherungskonto der Klägerin allein bei der VA BW begründet werde. Die Fehlerhaftigkeit der Mitteilung vom 19. Dezember 2001 über die Auswirkungen des Versorgungsausgleichs hätte ihr somit ins Auge springen müssen. Es sei davon auszugehen, dass eine solche Mitteilung auch von der VA BW erteilt worden sei. Der Vortrag der Klägerin, sich daran nicht zu erinnern, sei eine Schutzbehauptung und nicht glaubhaft. Es sei bemerkenswert, dass sie ausgerechnet diese beiden gegen sie sprechenden Schreiben nicht vorlegen könne. Aus der Anlage 5 zum Bescheid vom 16. Juli 2009 sei für die Klägerin erkennbar gewesen, dass zu ihren Gunsten ein Versorgungsausgleich berücksichtigt worden sei. Die Klägerin habe Veranlassung gehabt, sich den Bewilligungsbescheid genauer anzusehen. Sie habe ein Kind geboren und nur wenige Jahre (13 Jahre) versicherungspflichtig gearbeitet. Jeder Laie wisse, dass sich bei einem Kind und ein paar Jahren Beitragszahlung keine Rente von EUR 1.563,33 ergebe. Auch die Renteninformationen hätten auf den zu ihren Gunsten berücksichtigten Versorgungsausgleich Bezug genommen. Hinsichtlich der Rücknahme für die Zukunft sei ein schutzwürdiges Vertrauen schon wegen des Vorliegens der Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X ausgeschlossen. Der Änderungsbescheid vom 2. September 2009 habe das Vertrauen nicht gestärkt, weil erkennbar keine Überprüfung des Anspruchs auf Rente stattgefunden habe. Die Einjahresfrist sei für die Rücknahme für die Zukunft irrelevant, eine besondere Härte nicht erkennbar. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei das öffentliche Interesse an der Beseitigung eines rechtswidrigen Zustandes bei Dauerleistungen in der Regel höher einzuschätzen. Die Ermessensausübung im Bescheid sei nicht zu beanstanden. Sie (die Beklagte) sei von Bösgläubigkeit ausgegangen, Die Ermessensgründe für eine Rücknahme für die Vergangenheit und für die Zukunft stünden einer Rücknahme für die Zukunft erst recht nicht entgegen. Im Rücknahmebescheid und im Widerspruchsbescheid sei Ermessen jeweils dahingehend ausgeübt worden, dass die Erstattungsforderung reduziert worden sei. Nach dem Urteil des BSG vom 17. April 1996 (3 RK 18/95, in juris) liege in der Rücknahme nur für die Zukunft, nicht aber auch für die Vergangenheit, grundsätzlich eine hinreichende Ausübung des Rücknahmeermessens. Rein vorsorglich werde die Ermessensausübung nachgeholt, was rechtlich möglich sei. Gegen die Rücknahme spreche, dass die Klägerin den Ruhestand nur aufgrund der Berechnung ihrer Altersrente angetreten habe und bei späterem Rentenbeginn höhere Renten erhalten hätte. Für die Bescheidrücknahme spreche, dass sie (die Beklagte) das Vermögen der Versichertengemeinschaft nur treuhänderisch verwalte und alle Möglichkeiten ausschöpfen müsse, der Versichertengemeinschaft zustehende Gelder einzufordern. Die für eine Bescheidrücknahme sprechenden Gründe überwögen erheblich, weil es der Versichertengemeinschaft nicht zuzumuten sei, der Klägerin lebenslang monatlich EUR 1.000,00 zu zahlen, auf die sie materiell-rechtlich keinen Anspruch habe. In der Gesamtschau träten ihr (der Beklagten) Verschulden und die von der Klägerin vorgetragenen Gründe in den Hintergrund. Die Rücknahme sei daher in vollem Umfang gerechtfertigt. Sie verwies auf die Urteile des BSG vom 17. Oktober 1990 (11 RAr 3/88, in juris), des LSG Baden-Württemberg vom 15. Februar 2012 (L 5 R 3255/11, nicht veröffentlicht) und des LSG Rheinland-Pfalz vom 3. Juli 2008 (L 5 LW 9/07, in juris).
Die Berichterstatterin hat den Rechtsstreit mit den Beteiligten am 14. Dezember 2012 in nichtöffentlicher Sitzung erörtert. Die Beteiligten habe ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtakten beider Instanzen und den Verwaltungsvorgang der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) entschieden hat, ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und auch statthaft. Der Beschwerdewert des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG von EUR 750,00 ist überschritten. Zudem betrifft der streitgegenständliche Aufhebungsbescheid hinsichtlich der teilweisen Aufhebung für die Zukunft wiederkehrende Leistungen für mehr als ein Jahr (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG). Die Berufung der Beklagten ist als unselbstständige Anschlussberufung ebenfalls zulässig.
Die Berufung der Klägerin ist begründet. Die Berufung der Beklagten ist unbegründet. Das SG hat zu Recht den Bescheid vom 22. Juni 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. April 2011 hinsichtlich der teilweisen Aufhebung der Rentenbewilligung für die Vergangenheit und der Erstattung aufgehoben. Der Bescheid vom 22. Juni 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. April 2011 war jedoch auch hinsichtlich der Aufhebung für die Zukunft aufzuheben. Das Urteil des SG vom 9. Februar 2012 war insoweit abzuändern.
Rechtsgrundlage des Aufhebungs- und Erstattungsbescheides vom 22. Juni 2010 ist § 45 SGB X. Nach § 45 Abs. 1 SGB X darf, soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), rechtswidrig ist, dieser, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Nach § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Nach § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X kann sich der Begünstigte auf Vertrauen nicht berufen, soweit 1. er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat, 2. der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder 3. er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.
Die mit Bescheid vom 16. Juli 2009 erfolgte Bewilligung der Altersrente für langjährig Versicherte war hinsichtlich der Höhe der Rentenzahlung von Anfang an rechtswidrig im Sinne von § 45 Abs. 1 SGB X. Der Monatsbetrag der Rente ergibt sich nach § 64 Nr. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) u.a. aus den Entgeltpunkten. Bei den Entgeltpunkten sind u.a. auch Zuschläge oder Abschläge aus einem durchgeführten Versorgungsausgleich zu berücksichtigen (§§ 66 Abs. 1 Nr. 3, 76 Abs. 1 SGB VI). Der Klägerin war eine zu hohe Rente bewilligt worden, weil die Beklagte für sie irrtümlich übertragene Rentenanwartschaften aus dem Versorgungsausgleich berücksichtigt hatte, obwohl in dem Versorgungsausgleich vor dem Amtsgericht Ravensburg vom 15. Oktober 2001 im Wege der Realteilung Rentenanwartschaften bei der VA BW begründet wurden. Rentenanwartschaften bei der Beklagten wurden durch den Versorgungsausgleich nicht begründet.
Die Teilrücknahme der Bewilligung für die Vergangenheit war nach § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X ausgeschlossen. Die Klägerin verbrauchte die überzahlten Rentenbeträge und bildete daher nach § 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X schutzwürdiges Vertrauen. Auf ein solches Vertrauen kann sie sich auch nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X berufen. Sie hat nämlich nicht zumindest infolge grober Fahrlässigkeit nicht erkannt, dass der Bewilligungsbescheid vom 16. Juli 2009 teilweise rechtswidrig war.
Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3, 2. Halbsatz SGB X). Dabei ist ein subjektiver Sorgfaltsmaßstab anzulegen. Grobe Fahrlässigkeit ist zu bejahen, wenn der Betroffene schon einfachste, naheliegende Überlegungen nicht angestellt und deshalb nicht beachtet hat, was im gegebenen Fall jedem einleuchten musste (vgl. BSG, Urteile vom 19. Februar 1986 - 7 Rar 55/84 - und 6. März 1997 - 7 RAr 40/96 -; beide in juris). Entscheidend sind stets die besonderen Umstände des Einzelfalles und die individuellen Fähigkeiten des Betroffenen, d.h. seine Urteilsfähigkeit und sein Einsichtsvermögen, im Übrigen auch sein Verhalten (BSG, Urteil vom 31. August 1976 - 7 RAr 112/74; zum Ganzen vgl. auch: BSG, Urteil vom 8. Februar 2001 - B 11 AL 21/00 R -; beide in juris). Der Versicherte muss einen Bescheid über die Bewilligung einer Rente sorgfältig durchlesen und zumindest auf Plausibilität und offenkundige Fehler überprüfen. Diese Obliegenheit besteht gerade deshalb, weil in einem Massenverfahren wie der Sozialversicherung Fehler nicht ausgeschlossen sind und der Versicherte die Umstände, die einen ihn betreffenden Bescheid betreffen, besser kennt als der Sozialleistungsträger. Vorliegend war aber aus dem Rentenbescheid selbst - wie aus den vorangegangenen Rentenmitteilungen - der Fehler nicht erkennbar. Erkennbar war er allenfalls im Zusammenhang mit dem Scheidungsurteil vom 15. Oktober 2001. Der Senat teilt nicht die Ansicht der Beklagten, dass die Klägerin hätte wissen müssen, wie lange ein Durchschnittsarbeitnehmer für den Betrag der bewilligten Rente gearbeitet haben müsste. Die Klägerin hat hierzu in der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 9. Februar 2012 bekundet, während des Scheidungsverfahrens sei es ihr schlecht gegangen. Ihre Rechtsanwälte hätten gesagt, dass es ihr später mit der Rente gut gehen würde. Aus ihrer Warte als geschiedene Ehefrau eines niedergelassenen Arztes bedeutete dies durchaus einen Lebensstandard oberhalb ihres eigenen letzten Nettoeinkommens als Krankenschwester. Hinzu kommt, dass sie vor der Ehe und nach deren Scheitern wieder ab 1995, also bis zum Rentenantrag noch einmal 14 Jahre lang in Vollzeit gearbeitet hat und entgegen dem Vorbringen der Beklagten nicht ein, sondern drei Kinder aufgezogen hat. Aus dem Rentenbescheid vom 16. Juli 2009 geht hervor, dass ein namhafter Teil des Rentenanspruchs aus einem Versorgungsausgleich herrührt. Die Klägerin ist geschieden, ein Versorgungsausgleich wurde durchgeführt. Grobe Fahrlässigkeit würde somit voraussetzen, dass die Klägerin eine Prüfungspflicht nicht nur hinsichtlich des Bewilligungsbescheides, sondern aller Unterlagen im Zusammenhang mit dem Scheidungsverfahren aus dem Jahr 2001 hatte. Aus dem Scheidungsurteil selbst geht hervor, dass ein Versorgungsausgleich bei der VA BW durchgeführt wurde. Dass keine Anwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung begründet wurden, geht daraus nicht hervor. Hinsichtlich der Mitteilungen der VA BW und der Beklagten über die Höhe der Anwartschaften lässt der Senat offen, ob die Klägerin sie erhalten hat. Die Beklagte konnte insoweit nicht einmal die von ihr übersandte Mitteilung in Kopie vorlegen. Jedenfalls vermag eine im Jahre 2001 erhaltene Mitteilung nicht ohne weiteres die Bösgläubigkeit im Jahre 2009 begründen. Eine Pflicht zur Prüfung eines Bescheides anhand von Jahre zuvor erhaltenen Unterlagen besteht nicht. Dies würde die Anforderungen an die Obliegenheit, Bewilligungsbescheide zu prüfen, überspannen.
Auch die Rücknahme für die Zukunft ist rechtswidrig und aufzuheben. Zwar war die Rücknahme nicht schon nach § 45 Abs. 2 Sätze 1 und 2 SGB X ausgeschlossen. Ein Verbrauch hinsichtlich künftiger Leistungen scheidet grundsätzlich aus. Die Klägerin traf aber eine Vermögensdisposition, indem sie sich entschied, ihr Beschäftigungsverhältnis zu beenden und die Altersrente für langjährig Versicherte vorzeitig mit Abschlag in Anspruch zu nehmen. Zeitlich sind zwar nur nach Erlass des Bewilligungsbescheides - hier Rentenbescheid vom 16. Juli 2009 - vorgenommene Dispositionen relevant (BSG, Urteil vom 28. November 1985 - 11b/7 RAr 128/84 -; in juris). Der Entschluss, das Beschäftigungsverhältnisses zu beenden und vorzeitige Altersrente zu beantragen, lagen vor dem Erlass des Rentenbescheid vom 16. Juli 2009. Dennoch war der Rentenbescheid hierfür ursächlich. Er hatte Auswirkungen auf die finanzielle Situation der Klägerin. Denn die Klägerin ging aufgrund der ihr zugegangenen Renteninformationen und der im Vorfeld geführten Beratungen bei der Beklagten von einer prognostizierten Höhe der Altersrente aus, die ihr für die Zukunft ein ausreichendes Einkommen sichern werde sowie davon, dass ein Rentenbescheid ergehen werde, der eine Höhe der Rente in dem prognostizierten Umfang festsetzen werde. Eine den Vertrauensschutz ausschließende Bösgläubigkeit lag nicht vor (s. o.).
Aber auch wenn man der Auffassung sein sollte, die von der Klägerin getroffene Vermögensdisposition beruhe nicht auf dem Rentenbescheid vom 16. Juli 2009, ist eine Rücknahme für die Zukunft nicht möglich. Zwar fiele dann die nach § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X vorzunehmende Interessenabwägung zulasten der Klägerin aus, jedoch fehlt es an einer Ermessensbetätigung der Beklagten.
Nach § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X ist eine Interessenabwägung vorzunehmen, ob das Interesse der Allgemeinheit an der Herstellung des gesetzmäßigen Zustandes das Vertrauen des gutgläubigen Begünstigten an der Aufrechterhaltung des rechtswidrigen Zustandes unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles überwiegt. Der Begünstigte muss subjektiv auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut und dieses Vertrauen objektiv ins Werk gesetzt haben. Dies ist vorliegend nicht erkennbar. Insbesondere ist keine einschneidende und dauernde Änderung der Lebensführung erkennbar (vgl. dazu Schütze in: v. Wulffen, SGB X, § 45, Rn. 37 m.w.N.). Ein etwa betätigtes Vertrauen würde nur dann Vertrauensschutz begründen, wenn es unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an der Rücknahme schutzwürdig wäre. Ein rechtswidriger Verwaltungsakt darf nach Treu und Glauben nur dann zurückgenommen werden, wenn das öffentliche Interesse an der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung das durch den Erlass des fehlerhaften Aktes begründete Vertrauen des Begünstigten auf die Beständigkeit behördlicher Entscheidungen überwiegt (Schütze a.a.O. Rn. 37 unter Hinweis auf Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 16. Dezember 1981 - 1 BvR 898/79 u.a. -; in juris). Bei Dauerleistungen ist das öffentliche Interesse der Solidargemeinschaft an der Vermeidung ungerechtfertigter Belastungen zulasten der Allgemeinheit in der Regel höher als bei einer einmaligen Leistung. Dieses Interesse wiegt umso schwerer, je länger die Leistung gewährt werden müsste (vgl. BSG, Urteil vom 25. Juni 1986 9a RVg 2/84 -; in juris). Sind Leistungen nicht erbracht oder Vermögensdispositionen nicht getroffen worden, überwiegt stets das Interesse an der Herstellung der wahren Rechtslage (BSG, Urteil vom 21. September 1977 - 4 RJ 113/76 -; in juris, Schütze a.a.O. Rn. 40). Auf Seiten des Begünstigten ist das Interesse am Fortbestand der rechtswidrigen Begünstigung insbesondere anhand der Aufhebungsfolgen zu bewerten. Die Rücknahme ist in der Regel ausgeschlossen, wenn es dem Begünstigten nicht zuzumuten ist, die Leistung in Zukunft zu entbehren, die Rücknahme etwa die Existenzgrundlage nachhaltig schmälert und kein Ausgleich in einem anderen Sicherungssystem stattfindet oder ohne die Leistung etwa sozialhilferechtlicher Bedarf eintritt (vgl. Schütze a.a.O. Rn. 41 m.w.N.). Fehler auf Behördenseite stärken grundsätzlich nicht die Vertrauensposition des Begünstigten, weil abgesehen von den Fällen des Absatzes 2 Satz 3 die Ursache für den Erlass der rechtswidrigen Begünstigung regelmäßig im Verantwortungsbereich der Verwaltung liegt. Ausnahmsweise vertrauensschutzrelevant sind Fehler der Verwaltung jedoch dann, wenn das Vertrauen zusätzlich durch weiteres fehlerhaftes Behördenhandeln perpetuierend gestärkt worden ist, sei es durch zusätzliche falsche Auskünfte oder weitere Bescheide oder wenn ein leicht zu vermeidender grober Fehler vorliegt. Vorliegend erließ die Beklagte am 2. September 2009 einen weiteren fehlerhaften Rentenbescheid. Dennoch überwiegt hier im Hinblick auf die Länge und das Ausmaß der rechtswidrigen Überzahlung für den Fall, dass keine Korrektur erfolgt, das öffentliche Interesse. Der Klägerin wird auch angesichts von EUR 649,39 gesetzlicher Rente (Stand: 22. Juni 2010) und Leistungen von EUR 963,86 der VA BW (Stand: 2. September 2009), insgesamt EUR 1.613,25, nicht die Existenzgrundlage entzogen.
Ein schutzwürdiges Vertrauen der Klägerin folgt nicht aus dem Bescheid vom 2. September 2009. Zwar darf der Leistungsempfänger regelmäßig davon ausgehen, dass ein "ins Auge springender" Fehler bei erneuter Prüfung durch die zur Entscheidung über den Anspruch berufene fachkundige Behörde nicht unentdeckt bleibt und die Fachbehörde einen solchen Fehler nicht wiederholt. Bei einer wiederum mit demselben Fehler behafteten erneuten Bewilligung trifft den Leistungsempfänger insoweit nur noch eine verringerte Sorgfaltsobliegenheit, so dass er für die Zukunft regelmäßig davon ausgehen darf, dass die behördlicherseits bestätigte Entscheidung rechtmäßig ist (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 5. April 2006 - L 3 AL 1948/05 -; in juris). Dies gilt aber nicht bei Anpassungsbescheiden, denen - ohne weiteres ersichtlich - keine erneute Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen und der Leistungsmerkmale zugrunde liegt (LSG Baden-Württemberg, a.a.O.; BSG, Urteil vom 27. Juli 2000 - B 7 AL 88/99 R -; in juris). Mit dem Bescheid vom 2. September 2009 wurde ein Zuschuss zum Krankenversicherungsbeitrag bewilligt, so dass sich der Zahlbetrag der Rente änderte. Eine Entscheidung über den Rentenanspruch insgesamt erfolgte erkennbar nicht
Die zweijährige Rücknahmefrist gemäß § 45 Abs. 3 Satz 1 SGB X ab Bekanntgabe des Bescheides vom 16. Juli 2009 war eingehalten.
Die Beklagte hat jedoch hinsichtlich der Rücknahme für die Zukunft das ihr eingeräumte Ermessen im Bescheid vom 22. Juni 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. April 2011 nicht ausgeübt. Nach § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG ist ein Verwaltungsakt auch dann rechtswidrig, wenn die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt war, nach ihrem Ermessen zu handeln, jedoch die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Ermessen ist im Bereich des § 45 SGB X immer auszuüben, nicht nur in atypischen Fällen wie bei der Soll-Verpflichtung zur Aufhebung eines Bescheids nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X (vgl. Schütze, a.a.O. § 45 Rn. 79 m.w.N.). Nur Umstände zugunsten des Begünstigten, die ebenso schwer wiegen wie das ihm konkret vorzuwerfende Verhalten, können die Behörde dazu veranlassen, von der an sich zulässigen Rücknahme des Verwaltungsaktes ganz oder teilweise abzusehen. Gegen eine (vollständige) Rücknahme kann z.B. ein besonders grobes Verschulden der Behörde sprechen, etwa wegen fehlerhafter oder undeutlicher Fragestellungen. Auch die wirtschaftliche Situation des Begünstigten ist zu berücksichtigen, die Rücknahme kann ermessensfehlerhaft sein, wenn sie für ihn - auch unter Berücksichtigung der Ansprüche auf Stundung (§ 76 Abs. 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch - SGB IV -) und Ratenzahlung - eine unbillige Härte darstellt (zu allem vgl. Schütze, a.a.O., Rn. 90 m.w.N.).
Die Beklagte hat bereits nicht erkannt, dass sie auch hinsichtlich der Rücknahme des Bescheids vom 16. Juli 2009 für die Zukunft auch Ermessen auszuüben hat. Sie hat im Bescheid vom 22. Juni 2010 und im Widerspruchsbescheid vom 13. April 2011 ausdrücklich ausgeführt, welche Gründe im Rahmen der Ermessensausübung hinsichtlich der Rücknahme für die Vergangenheit für eine Reduzierung der Erstattungsforderung zunächst auf 50 % und schließlich auf 10 % sprechen. Als Ergebnis der Anhörung gab die Beklagte im Bescheid vom 22. Juni 2010 nur wieder, die Klägerin habe auf die Berechnungen vertraut und sie (die Beklagte) habe deswegen den Bescheid nur teilweise zurückgenommen. Die Ermessensentscheidung begründe sich wie folgt: Die zu Unrecht erfolgte Berücksichtigung eines Zuschlags aus dem durchgeführten Versorgungsausgleich sei von der Klägerin zu erkennen gewesen, sie hätte bei entsprechender Sorgfalt auf die fehlerhafte Rentenberechnung hinweisen müssen. Wegen ihres (der Beklagten) Mitverschuldens sei die Forderung im Rahmen des Ermessens um 50 % reduziert worden. Daraus ist erkennbar, dass die Beklagte Überlegungen hinsichtlich einer Rücknahme für die Zukunft nicht angestellt und das Vorbringen der Klägerin, im Vertrauen auf die Berechnung früher Rente beantragt zu haben, hinsichtlich der Folgen der Korrektur für die Zukunft nicht berücksichtigt hat. Auch aus dem Widerspruchsbescheid ist nicht erkennbar, dass sich der Widerspruchsausschuss überhaupt bewusst war, hinsichtlich der Rücknahme für die Zukunft eine Ermessensentscheidung zu treffen. Der Widerspruchsbescheid enthält im letzten Absatz auf S. 3/4 nur Ausführungen zum Ermessen bei der Rücknahme für die Vergangenheit.
Die Ermessensausübung konnte nicht im Berufungsverfahren nachgeholt werden. Zwar ist gemäß § 41 Abs. 2, Abs. 1 Nr. 2 SGB X die Verletzung von Verfahrens- und Formfehlern, die den Verwaltungsakt nicht nach § 40 SGB X nichtig machen, unbeachtlich, wenn die Verletzung geheilt werden kann, etwa eine erforderliche Begründung nachträglich gegeben wird. Die nachträgliche Bekanntgabe der für die Ermessensentscheidung tatsächlich maßgeblich gewesenen Gründe kann als wirksame Heilung angesehen werden (Schütze a.a.O. § 41 Rdnr. 11; Kasseler Kommentar-Steinwedel, § 41 Rn. 13). Anders ist die Nachholung der Ermessensbetätigung zu beurteilen. Diese kann nicht nachgeholt werden. Eine versäumte Verfahrenshandlung kann nur nachgeholt werden, wenn sie funktional angemessen ersetzt werden und die nachzuholende Verfahrenshandlung ihre rechtsstaatlich gebotene Funktion, den Zweck der versäumten Handlung, verwirklichen kann (Schütze a.a.O. Rn. 6; BSG, Urteil vom 6. April 2006 - B 7a AL 64/05 R -; in juris). Der Ermessensausfall ist kein Fehler der Ermessensbegründung nach § 41 SGB X, sondern ein Mangel der Ermessensbetätigung nach § 39 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I). Eine Fehlerkorrektur ist insoweit nur bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens möglich, eine Nachholung der Ermessensbetätigung im Klageverfahren führt nicht zur Heilung (Schütze a.a.O. Rn. 11 m.w.N.). Eine Ermessensentscheidung ist nämlich gegenüber einer gebundenen Entscheidung ein aliud. Vorliegend kam der Widerspruchsausschuss als das zur abschließenden Entscheidung im Verwaltungsverfahren zuständige Gremium zweimal zu einer vom Votum der Fachabteilung abweichenden Beurteilung der Interessenabwägung hinsichtlich der Rücknahme für die Vergangenheit, erkannte aber nicht sein Ermessen hinsichtlich der Aufhebung für die Zukunft. Die rechtsstaatliche Funktion der Überprüfung der Recht- und Zweckmäßigkeit des Ausgangsbescheides durch den Widerspruchsausschuss konnte durch einen Schriftsatz des Klagesachbearbeiters der Beklagten nicht erfüllt werden.
Ob eine ausreichende Ermessensbetätigung stets vorliegt, wenn die Behörde einen Bescheid nur für die Zukunft, nicht auch für die Vergangenheit zurücknimmt (so Schütze a.a.O.§ 45 Rn. 90 und 92 unter Berufung auf BSG, Urteil vom 17. April 1996 - 3 RK 18/95 -; in juris), lässt der Senat dahinstehen. Vorliegend hat die Beklagte den Bescheid teilweise auch für die Vergangenheit zurückgenommen. Dass zitierte BSG-Urteil steht der Annahme eines Ermessensausfalls im hier vorliegenden Fall nicht entgegen. Ausweislich der Entscheidungsgründe enthielt im dortigen Fall der Widerspruchsbescheid eine wenn auch generalklauselartige - Begründung der Aufhebung für die Zukunft (" das öffentliche Interesse gebiete es, den Kläger wie alle anderen Abgabepflichtigen auch tatsächlich für abgabepflichtig zu erklären, sein Vertrauen in den Bestand des Bescheides sei für die Zukunft nicht schutzwürdig "). Eine solche Begründung der Aufhebung für die Zukunft fehlt vorliegend. Die Klägerin hatte die für eine Interessenabwägung hinsichtlich der Aufhebung für die Zukunft relevanten Umstände - vorzeitiger Ruhestand, geringere Versorgungsbezüge, entgangenes Arbeitsentgelt - auch bereits im Widerspruchsverfahren dargelegt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten für beide Rechtszüge zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die teilweise Aufhebung einer Altersrente für die Vergangenheit und für die Zukunft und die teilweise Erstattung der Überzahlung.
Die am 1946 geborene Klägerin absolvierte vom 1. Oktober 1965 bis 30. September 1968 eine Ausbildung zur Krankenschwester und war anschließend versicherungspflichtig beschäftigt. Am 4. April 1970 heiratete sie den niedergelassenen Arzt Dr. S. Pf. (im Folgenden: Dr. Pf.) und bekam drei Kinder, geboren am 1972, 1974 und 1977. Die Ehe wurde mit Urteil des Amtsgerichts R. - Familiengericht - vom 15. Oktober 2001 geschieden. Während der Ehezeit arbeitete sie zunächst in der Praxis ihres Ehemannes mit, wobei Pflichtbeitragszeiten wegen Beschäftigung ab 1. Januar 1972 nicht vorhanden sind. Nach ihren Angaben war sie ab 1. August 1995 versicherungspflichtig beschäftigt, zunächst in einer Sozialstation mit einem Arbeitsentgelt von ca. EUR 2.600,00 bis EUR 2.800,00, anschließend als Pflegegutachterin für den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg und zuletzt als Fachschwester für Gerontopsychiatrie in einem Altenheim für ca. EUR 1.400,00 netto. Am 31. Juli 2009 beendete sie ihr letztes Arbeitsverhältnis. Für diesen Zeitraum sind Pflichtbeitragszeiten wegen Beschäftigung gespeichert.
Nach dem Urteil des Familiengerichts wurde - ausgehend von einer Ehezeit vom 1. April 1970 bis 28. Februar 2001 - ein Versorgungsausgleich dergestalt durchgeführt, dass zu Lasten des Versicherungskontos des Dr. Pf. bei der baden-württembergischen Versorgungsanstalt für Ärzte, Zahnärzte und Tierärzte (VA BW) Anwartschaften in Höhe von DM 1.840,75 monatlich auf einem neu einzurichtenden Konto der Klägerin bei derselben Versorgungsanstalt begründet wurden. In den Entscheidungsgründen wurde ausgeführt, dass die Klägerin während der Ehezeit in der gesetzlichen Rentenversicherung laut Auskunft der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (Rechtsvorgängerin der Beklagten; im Folgenden einheitlich: Beklagte) eigene Anwartschaften in Höhe von DM 547,52 monatlich erworben habe und eine Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes bei der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder entsprechend einer Regelaltersrente von monatlich DM 24,92. Dr. Pf. habe eine Anwartschaft auf eine Altersversorgung bei der VA BW erworben, deren Ehezeitanteil DM 4.253,94 monatlich betrage. Der Ausgleich erfolge im Wege der Realteilung nach § 1 Abs. 2 des Gesetzes zur Regelung von Härten im Versorgungsausgleich in der Fassung vom 8. Dezember 1986, gültig bis 31. August 2009 - VersorgAusglHärteG - (VAHRG) i.V.m. der Satzung des Versorgungsträgers in Höhe von DM 1.840,75 monatlich. Die Beklagte erhielt das Urteil am 19. Oktober 2001 und mit Schreiben vom 4. Dezember 2001 eine Mitteilung über dessen Rechtskraft. Die Beklagte speicherte im Versichertenkonto der Klägerin als Ergebnis des Scheidungsverfahrens, dass ein Ausgleich nach § 1587b Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) erfolgt sei. Unter dem 19. Dezember 2001 versandte die Beklagte an die Klägerin eine Mitteilung zum durchgeführten Versorgungsausgleich.
Nach der von der Beklagten erteilten Renteninformation vom 15. März 2004 hatte die Klägerin zu diesem Zeitpunkt 55,6534 Entgeltpunkte erworben, 12,7059 als Arbeitnehmer oder aus selbstständiger Tätigkeit, 2,998 wegen Kindererziehung, 1,5399 aus beitragsfreien Zeiten (z.B. Schule oder Studium), 0,5177 wegen sonstiger Beiträge und 37,8911 durch "Scheidung" erworbene Rentenanwartschaften. Nach dieser Berechnungsgrundlage erhielte sie damals bei voller Erwerbsminderung EUR 1.354,30; die voraussichtliche Altersrente betrüge EUR 1.454,22; bei weiterem Erwerb von Entgeltpunkten EUR 1.725,88. In einer Renteninformation vom 1. Mai 2005 gab die Beklagte als damalige Erwerbsminderungsrente EUR 1.371,79 und als künftige Altersrente EUR 1.492,12 bzw. bei weiterer Beitragszahlung EUR 1.710,74 an. Bisher habe die Klägerin 57,1037 Entgeltpunkte erworben. Ein Versicherungsverlauf vom 17. März 2006 gab 53,6754 Entgeltpunkte und eine Altersrente von EUR 1.358,74 an, die Renteninformation vom 20. März 2007 59,1892 Entgeltpunkte, eine damalige Erwerbsminderungsrente von EUR 1.426,20 und eine Altersrente von EUR 1.546,61 bzw. EUR 1.682,24 sowie erstmals mit dem Zusatz "einschließlich Versorgungsausgleich" 59,1892 erworbene Entgeltpunkte. Die Renteninformation vom 1. April 2008 nannte 60,1992 erworbene Entgeltpunkte mit dem Zusatz "einschließlich Versorgungsausgleich", eine damalige Erwerbsminderungsrente von EUR 1.543,44 und eine Altersrente von EUR 1.581,43 bzw. EUR 1.680,49, die Renteninformation vom 22. April 2009 61,2531 erworbene Entgeltpunkte, eine damalige Erwerbsminderungsrente von EUR 1.629,90 und Altersrenten von EUR 1.626,88 bzw. EUR 1.697,87. Die Erläuterung zur Rentenauskunft vom 15. April 2008 lautete wie folgt:
"Wir haben die Höhe der Regelaltersrente ermittelt, die Ihnen ohne weitere rentenrechtliche Zeiten bei Erreichen der Regelaltersgrenze zustehen würde. Sie erreichen die Regelaltersrente am 10. Juli 2011. Die Rente wurde unter Berücksichtigung des rechtskräftig durchgeführten Versorgungsausgleichs berechnet. Die Altersrente würde monatlich EUR 1.581,43 betragen, wenn der derzeit maßgebende aktuelle Rentenwert zugrunde gelegt wird."
Die Klägerin führte Informationsgespräche bei der Beklagten am 15. April 2008 und 17. Juli 2008 und ließ sich die zu erwartende Altersrente bei vorzeitiger Inanspruchnahme gegenüber der abschlagsfreien ausrechnen. Ausweislich einer von ihr im Klageverfahren vorgelegten handschriftlichen Notiz des Sachbearbeiters sollte die Rente per 1. Januar 2009 mit einem Abschlag von 9,3 % EUR 1.313,00 betragen, per 1. Juli 2009 mit einem Abschlag von 7,5 % EUR 1.349,00 und per 1. August 2011 abschlagsfrei EUR 1.503,00; jeweils unter Berücksichtigung von Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträgen.
Am 30. April 2009 beantragte sie die Gewährung von Altersrente für langjährig Versicherte wegen Vollendung des 63. Lebensjahres ab 1. August 2009. Die Beklagte gewährte mit Bescheid vom 16. Juli 2009 für die Zeit ab 1. August 2009 diese Altersrente mit einem Zahlbetrag von monatlich EUR 1.563,33. Die Berechnung der Rente erfolge unter Berücksichtigung des Versorgungsausgleichs. Unter der Überschrift "Auswirkungen des Versorgungsausgleichs" wurde in Anlage 5 des Bescheids - entsprechend der damaligen Speicherung im Versichertenkonto der Klägerin - dargelegt, dass der zugunsten des Versicherungskontos durchgeführte Versorgungsausgleich einen Zuschlag an Entgeltpunkten ergebe. Für die Ehezeit vom 1. April 1970 bis 28. Februar 2001 seien zugunsten des Versicherungskontos Rentenanwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung ohne Beitragszahlung begründet worden. Diese seien auf monatlich DM 1.840,75 festgestellt worden, woraus sich 37,8911 Entgeltpunkte errechneten. Als persönliche Entgeltpunkte wurden in Anlage 6 des Bescheids angegeben: 22,3642 für Beitragszeiten, davon 2,9988 für Kindererziehungszeiten, 1,2673 für beitragsfreie Zeiten, 0,4121 zusätzlich für beitragsgeminderte Zeiten, insgesamt 24,0436 Punkte; Zuschlag aus einem durchgeführten Versorgungsausgleich 37,8911 Punkte; Summe aller Entgeltpunkte: 61,9347. Die VA BW gewährte mit Bescheid vom 2. September 2009 auf Antrag vorgezogenes Altersruhegeld ab 1. September 2009 in Höhe von monatlich EUR 963,86. Mit Bescheid vom 2. September 2009 wurde die Altersrente von der Beklagten neu berechnet und ab 1. September 2009 EUR 1.672,77 monatlich gezahlt bei einer Nachzahlung von EUR 109,44 für den August 2009. Grund war die Bewilligung eines Zuschusses zum Krankenversicherungsbeitrag in Höhe von monatlich EUR 109,44.
Die Beklagte stellte ausweislich eines Aktenvermerks vom 23. März 2010 fest, dass im Versorgungsausgleich Anwartschaften der Klägerin bei der VA BW durch Realteilung nach § 1 Abs. 2 VAHRG, also außerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung begründet wurden. Von dieser Form des Versorgungsausgleichs sei die gesetzliche Rentenversicherung nicht berührt. Ausgegangen worden sei von einer Begründung von Anwartschaften gemäß § 1587b BGB. Die Berechnung der Rente im Versicherungsverlauf vom 1. April 2010 berücksichtigte noch 24,0436 Entgeltpunkte und ergab einen monatlichen Zahlbetrag von EUR 649,39, bestehend aus einer monatlichen Rente von EUR 606,90 und einem Zuschuss zum Krankenversicherungsbeitrag von 7 % (EUR 42,49). Hieraus ergebe sich für acht Monate (1. August 2009 bis 31. März 2010) eine Nachzahlung von EUR 5.195,12, zu verrechnen mit (tatsächlich gezahlten) EUR 13.382,16, woraus sich eine Überzahlung von EUR 8.187,04 ergebe.
Mit Schreiben vom 25. Mai 2010 hörte die Beklagte die Klägerin an. Die Rente sei fehlerhaft berechnet worden, weil zu Unrecht ein Zuschlag aus einem Versorgungsausgleich berücksichtigt worden sei. Die Neuberechnung habe eine Überzahlung ergeben. Es sei beabsichtigt, den Bescheid vom 16. Juli 2009 ab 1. August 2009 nach § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zurückzunehmen, die richtig berechnete Rente in Höhe von EUR 649,39 ab Juli 2010 laufend zu zahlen und die Überzahlung für die Zeit vom 1. August 2009 bis 30. Juni 2010 in Höhe von EUR 11.257,18 nach § 50 Abs. 1 SGB X zurückzufordern. Die Voraussetzungen hierfür seien erfüllt, weil die Klägerin die Fehlerhaftigkeit des Bescheids gekannt habe oder habe kennen müssen. Erheblich sein könne, ob eine unbillige Härte entstehe, Dispositionen getroffen worden seien, die nur unter erheblichen finanziellen Nachteilen rückgängig gemacht werden könnten oder Sozialleistungen nicht in Anspruch genommen worden seien, die nunmehr nicht mehr zu erlangen seien. Die Klägerin teilte mit Schreiben vom 31. Mai 2010 mit, sie sei nicht einverstanden mit einer Rentenrückforderung. Sie habe ihren Ruhestand 2009 aufgrund der Berechnungen der Beklagten angetreten. Ohne diese hätte sie ihn nicht angetreten. Ihr sei nicht nachvollziehbar, weshalb es jetzt zu einer Neuberechnung und Rückforderung komme.
Mit Bescheid vom 22. Juni 2010 stellte die Beklagte die Altersrente für langjährig Versicherte neu fest. Ab 1. Juli 2010 würden monatlich EUR 649,39 gezahlt. Für die Zeit vom 1. August 2009 bis 30. Juni 2010 ergebe sich eine Überzahlung von EUR 5.628,59. Diese sei zu erstatten. In Anlage 10 zu diesem Bescheid führte sie aus, der Rentenbescheid vom 16. Juli 2009 werde hinsichtlich der Rentenhöhe gemäß § 45 SGB X mit Wirkung ab 1. August 2009 zurückgenommen. Die entstandene Überzahlung sei zu erstatten. Die Rücknahme des Bescheides für die Vergangenheit und die Zukunft sei zulässig, weil die Klägerin sich auf Vertrauen in dessen Bestand nicht berufen könne und die Fristen aus § 45 Abs. 3 bzw. Abs. 4 SGB X nicht abgelaufen seien. Im Rahmen der Anhörung habe die Klägerin angegeben, sie habe auf die Berechnung vertraut. Dieser Grund könne zwar nicht im Rahmen des Vertrauensschutzes berücksichtigt werden, weil sie aufgrund der von ihr (der Beklagten) erteilten Informationen die Fehlerhaftigkeit des Bescheides gekannt habe oder bei entsprechender Sorgfalt habe kennen und auf die fehlerhafte Berechnung hinweisen müssen; aber im Rahmen der Ermessensausübung. Der Bescheid sei daher nur teilweise zurückgenommen worden. Es sei daher nur ein Betrag von EUR 5.628,59 überzahlt und zu erstatten. Die Ermessensentscheidung begründe sich wie folgt: Wegen ihres (der Beklagten) Mitverschuldens sei die Forderung um 50 % reduziert worden. Die zu Unrecht erfolgte Berücksichtigung eines Zuschlags aus dem durchgeführten Versorgungsausgleich sei von der Klägerin zu erkennen gewesen und sie hätte somit bei entsprechender Sorgfalt auf die fehlerhafte Rentenberechnung hinweisen müssen.
Die Klägerin erhob Widerspruch. Die Fehlerhaftigkeit beruhe auf einem Verwaltungsfehler aufgrund fehlerhafter Dokumentation anrechenbarer Zeiten. Scheidungsurteil und Versorgungsausgleich seien der Beklagten bereits 2001 bekannt gewesen. Die Beklagte habe z.B. in der Rentenauskunft vom 15. April 2008 die Rentenhöhe unter Berücksichtigung des Versorgungsausgleichs berechnet. Sie (die Klägerin) habe aufgrund der fehlerhaften Berechnung ihr Arbeitsverhältnis gelöst. Bei späterem Rentenbeginn hätte sie auch höhere Leistungen der VA BW erhalten. Der Widerspruchsausschuss der Beklagten hatte ausweislich eines Aktenvermerks Bedenken gegen den Vorwurf grob fahrlässigen Verhaltens und gab den Vorgang an die Grundsatzabteilung ab. Die Richtigstellung für die Zukunft begegne keinen rechtlichen Bedenken. Die Rückforderung für die Vergangenheit überzeuge nicht. Unklar sei, ob es sich dem rechtlichen Laien anhand des vorhandenen Schriftwechsels habe aufdrängen müssen, dass der Versorgungsausgleich fehlerhaft aus der gesetzlichen Rentenversicherung durchgeführt worden sei. Ein enger zeitlicher Zusammenhang des Scheidungsurteils von 2001 und des Rentenbescheides von 2009 bestehe nicht. Sollte die Klägerin nicht grob fahrlässig gehandelt haben, würde sich in einem anderen Verfahren die Frage nach Herstellungs- oder Ersatzansprüchen stellen. Das angefragte Fachdezernat erteilte die Auskunft, der Klägerin sei mit Schreiben vom 19. Dezember 2001 mitgeteilt worden, dass zu ihren Gunsten Rentenanwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von DM 1.840,75 begründet worden seien. Auch bei der VA BW gebe es ein solches Benachrichtigungsverfahren. Muster wurden jeweils beigelegt. Da die Klägerin zwei Mitteilungen über die Begründung von Rentenanwartschaften in Höhe von DM 1.840,75 in kurzer Zeit erhalten habe, habe sie erkennen müssen, dass der Versorgungsausgleich nicht bei zwei Versorgungsträgern stattfinden könne und habe die Verpflichtung gehabt, die Beklagte hierauf hinzuweisen. Da sie die Fehlerhaftigkeit der Mitteilung vom 19. Dezember 2001 habe erkennen müssen, sei sie bösgläubig gewesen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 13. April 2011 gab der bei der Beklagten gebildete Widerspruchsausschuss dem Widerspruch teilweise statt und beschränkte die Rückforderung auf ein Zehntel der Überzahlung (= EUR 1.125,72). Vertrauensschutz nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X bestehe nicht. Zwar sei die Thematik des Versorgungsausgleichs für einen juristischen Laien grundsätzlich schwierig zu beurteilen, weshalb er (der Widerspruchsausschuss) zunächst Bedenken gegen die Annahme der groben Fahrlässigkeit gehabt habe. Jedoch bestehe bei der Beklagten und bei der VA BW ein automatisches Benachrichtigungsverfahren, mit dem Ausgleichsberechtigte und Ausgleichspflichtige über die Auswirkungen des Versorgungsausgleichs informiert würden. Ausweislich des Versicherungskontos sei die Benachrichtigung mit Schreiben vom 19. Dezember 2001 erfolgt. Der Klägerin sei mitgeteilt worden, dass Rentenanwartschaften zu ihren Gunsten in Höhe von DM 1.840,75 begründet worden seien. Es sei davon auszugehen, dass von der VA BW eine entsprechende Mitteilung gemacht worden sei. Auch für einen juristischen Laien sei ohne weiteres erkennbar gewesen, dass dies nicht richtig sein und ein Versorgungsausgleich bei zwei verschiedenen Versicherungsträgern sich nicht in der Summe doppelt so hoch wie im Scheidungsurteil ausgesprochen auswirken könne. Zwar sei die Rücknahme für die Vergangenheit in § 45 Abs. 3 SGB X nicht zwingend vorgeschrieben, sondern durch das Wort "kann" die Möglichkeit eingeräumt, unter bestimmten Voraussetzungen von der Aufhebung des Verwaltungsaktes für die Vergangenheit abzusehen. Die Vorschrift enthalte aber keine bloße Ermächtigung mit weitem Ermessensspielraum. Vielmehr solle die Verwaltung im Regelfall den Verwaltungsakt auch mit Wirkung für die Vergangenheit aufheben, soweit nicht in begründeten Fällen, die insbesondere mit Rücksicht auf die sich aus § 50 Abs. 1 SGB X ergebende Erstattungspflicht als unbillige Härte empfunden werden müssten, von der rückwirkenden Aufhebung des Verwaltungsakts abzusehen sei. Hierfür genüge nicht jede mit der Rückforderung verbundene Härte. Zu prüfen gewesen sei, ob die Beklagte eine Mitschuld an der Überzahlung trage und aus diesem Grund im Rahmen des Ermessens von der Rückforderung der Überzahlung ganz oder teilweise abzusehen sei. Im Fall der Klägerin sei bedeutsam, dass die Ursache für das Entstehen der Überzahlung allein dem Bereich des Rentenversicherungsträgers zuzuordnen sei. Hätte der seinerzeit mit dem Vorgang befasste Bearbeiter nicht fehlerhaft die entsprechenden Daten in das Versicherungskonto der Klägerin eingegeben, wäre es auch nicht zu der Überzahlung gekommen. Da das Scheidungsurteil aus dem Jahre 2001 stamme, der Rentenbescheid aber erst im Jahre 2009 erteilt worden sei, lediglich eine Obliegenheitsverletzung der Klägerin vorliege und sich die Thematik des Versorgungsausgleichs selbst für einen Fachmann schwierig gestalte, stelle er (der Widerspruchsausschuss) fest, dass das Mitverschulden des Rentenversicherungsträgers am Entstehen der Überzahlung deutlich überwiege. Die bereits im Wege des Ermessens vorgenommene Reduzierung um die Hälfte sei nicht ausreichend, sondern eine weitere Reduzierung auf lediglich ein Zehntel geboten. Bei dieser Sach- und Rechtslage habe dem Widerspruch der Erfolg im Übrigen versagt bleiben müssen.
Mit ihrer am 13. Mai 2011 zum Sozialgericht Konstanz (SG) erhobenen Klage verfolgte die Klägerin ihr Begehren weiter. Die Rücknahme des Bewilligungsbescheides sei mangels rechtlicher Grundlage für die Vergangenheit und für die Zukunft rechtswidrig. Die Auskünfte der Beklagten seien für sie die Grundlage gewesen, vorzeitig Altersrente mit Abschlägen zu beantragen. Die Höhe der Rente habe sie nicht überrascht, da sie regelmäßig in der Praxis ihres Mannes tätig gewesen sei und drei Kinder aufgezogen habe. Bereits seit 1994 sei sie wieder als Krankenschwester in Vollzeit tätig gewesen. Die in den Renteninformationen genannte Rentenhöhe habe aus ihrer Sicht folgerichtig ihren Ansprüchen gegenüber der Beklagten entsprochen. Ausweislich des Verwaltungsvorgangs hätten auch bei der Beklagten, sogar im Widerspruchsausschuss, Bedenken gegen die Annahme grober Fahrlässigkeit bestanden. Ihr sei nicht in Erinnerung, ob sie überhaupt im Jahr 2001 Mitteilungen über die Begründung einer Rentenanwartschaft von der Beklagten und der VA BW erhalten habe. Für sie sei entscheidend gewesen, dass vom Familiengericht im Zuge der Scheidung ein Ausgleich der Versorgungsansprüche vorgenommen worden sei, Widersprüche habe sie nicht zur Kenntnis genommen. Ein Schreiben entsprechend dem in dem Verwaltungsvorgang der Beklagten enthaltenen Muster der VA BW von 1994 sei ihr nicht in Erinnerung. Die Beklagte räume selber ein, dass die Berechnung von Rentenanwartschaften aus einem Versorgungsausgleich für den juristischen Laien schwer nachzuvollziehen sei. So sei es bei ihr. Sie habe sich jeweils bei der Beklagten die Nettobeträge ausrechnen lassen, um zu entscheiden, ob sie es sich leisten könne, vorzeitig in Rente zu gehen. Die Berücksichtigung des Versorgungsausgleichs sei ihr nicht verdächtig oder irgendwie auffällig erschienen, da sie geschieden gewesen sei und gewusst habe, dass ein Versorgungsausgleich durchgeführt worden sei. Die von der Beklagten gewünschte Rückabwicklung hätte einen Schadensersatzanspruch zur Folge, weil sie (die Klägerin) aufgrund der falschen Rentenberechnung der Beklagten sowohl eine geringere Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung, als auch von der VA BW erhielte. Sie werde aufgrund eines Fehlers der Beklagten in ein Schadensersatzverfahren gedrängt. Die Jahresfrist für die Rücknahme sei bereits am 4. Dezember 2002 verstrichen gewesen, da die Beklagte am 4. Dezember 2001 über die Rechtskraft des Urteils zum Versorgungsausgleich informiert worden sei. In der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 9. Februar 2012 trug sie weiter vor, während des Scheidungsverfahrens sei es ihr schlecht gegangen. Sie habe sich darauf verlassen, was die Rechtanwälte gesagt hätten. Man habe ihr gesagt, später mit der Rente werde es ihr gut gehen. Den Betrag von DM 1.840,75 im Scheidungsurteil habe sie wahrgenommen. Bei der Beratung in der Regionaldirektion der Beklagten habe man ihr mitgeteilt, die Rente betrage ca. EUR 1.300,00 und die Kindererziehungszeiten kämen hinzu. Sie habe gewusst, dass von der VA BW noch eine Altersversorgung komme. Von den Renteninformationen habe sie vorrangig die Beträge wahrgenommen.
Die Beklagte trat der Klage entgegen. Die Bezugnahme in Anlage 5 des Bescheids vom 16. Juli 2009 auf die aufgrund des Versorgungsausgleichs begründeten Anwartschaften sei für jeden juristischen Laien verständlich. Da die Klägerin mit Bescheid der VA BW vom 2. September 2009 informiert worden sei, dass sie auch von dort eine Leistung aus dem durchgeführten Versorgungsausgleich erhalte, sei für sie offensichtlich gewesen, dass die zweifache Berücksichtigung des Versorgungsausgleichs nicht rechtens sein könne. In Kenntnis des Urteils des Familiengerichts hätte der Klägerin die Fehlerhaftigkeit der Renteninformationen auffallen müssen. Ihre (der Beklagten) Kenntnis hinsichtlich der Tatsachen, die die Rücknahme rechtfertigten, liege erst nach erfolgter Anhörung vor, weshalb die maßgeblichen Fristen gewahrt seien.
Das SG hob den Bescheid vom 22. Juni 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. April 2011, soweit der Bescheid vom 16. Juli 2009 für die Zeit vom 1. August 2009 bis 30. Juni 2010 zurückgenommen und ein Betrag in Höhe von EUR 1.125,72 erstattet verlangt wurde, auf und wies die Klage im Übrigen ab. Es (das SG) habe sich nicht davon überzeugen können, dass die Klägerin die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt habe (muss richtig heißen: infolge grober Fahrlässigkeit gekannt habe). Die objektive Beweislast hierfür trage die Beklagte. Die Klägerin habe ihre Prüfungspflichten im Hinblick auf die Höhe der durch Bescheid vom 16. Juli 2009 bewilligten Altersrente nicht grob fahrlässig, also unter Außerachtlassung der erforderlichen Sorgfalt in besonders schwerem Maße, verletzt. Es bestehe die Obliegenheit, Bewilligungsbescheide zu lesen, die Rechtswidrigkeit müsse aber augenfällig sein. Zwar hätten durchaus Anhaltspunkte für die Rechtswidrigkeit bestanden. So sei in den Anlagen zum Bescheid ein Hinweis auf die Berücksichtigung eines Versorgungsausgleiches bei der Rentenberechnung enthalten. Ferner habe die Rente deutlich über der Standardrente eines Eckrentners gelegen, obwohl die Klägerin viele Jahre nicht versicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei. Auch sei die Rente höher als ihr letztes Vollzeitnettoeinkommen gewesen. Dies sei aber nicht augenfällig gewesen. In der Zusammenschau mit den übrigen Umständen, den wiederholten Informationen der Beklagten, den wahrheitsgemäßen und vollständigen Angaben der Klägerin und den umfangreichen Anlagen des Rentenbescheides, sei ihr keine grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Mit Wirkung für die Vergangenheit könne der Verwaltungsakt aber nur unter den Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 und Absatz 3 Satz 2 SGB X zurückgenommen werden. Für die Zukunft sei die Rücknahme gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB X rechtmäßig. Das Vertrauen der Klägerin sei hier nicht schutzwürdig, das Rücknahmeinteresse überwiege in der Regel bei der Bewilligung von Dauerleistungen, die - wie vorliegend - für lange Zeit gewährt werden müssten. Ein langer zeitlicher Abstand, der das Vertrauen schutzwürdiger mache, liege nicht vor. Eine das Vertrauen bestärkende Wiederholung der Bewilligung liege nicht vor, der einzige Änderungsbescheid vom 2. September 2009 betreffe die Höhe der Leistungen wegen eines Zuschusses zur Krankenversicherung. Die alleinige Verantwortung der Beklagten für die fehlerhafte Rentenberechnung sei in die Abwägung einzubeziehen, rechtfertige hier jedoch nicht die Annahme eines schutzwürdigen Vertrauens. Die Klägerin könne auch mit der reduzierten Rente ihr bisheriges Leben weiterführen, da diese zusammen mit dem Altersruhegeld der VA BW ca. EUR 1.600,00 betrage und damit ihr letztes Nettoeinkommen von ca. EUR 1.400,00 übersteige. Die Rücknahmefrist sei gewahrt, die vorgeschriebene Ermessensprüfung durchgeführt worden.
Gegen das ihr über ihre Prozessbevollmächtigte am 14. März 2012 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 13. April 2012 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Die Beklagte hat gegen das ihr am 19. März 2012 zugestellte Urteil am 31. Mai 2012 Anschlussberufung eingelegt.
Zur Begründung trägt die Klägerin vor, zu Unrecht betrachte das SG die Rücknahme für die Zukunft als rechtmäßig. In die Abwägung einzustellen seien die vielen im Vorfeld des Rentenbescheides erteilten unrichtigen Auskünfte. Auch sei der Änderungsbescheid vom 2. September 2009 als Bestätigung anzusehen. Sie (die Klägerin) werde in ein Amtshaftungsverfahren getrieben. Auch habe die Beklagte Kenntnis von den maßgeblichen Tatsachen bereits seit Dezember 2001 gehabt und könne diese Tatsachen nicht neu Jahre später für eine Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts heranziehen. Die Beklagte habe kein Ermessen hinsichtlich der Rücknahme für die Zukunft ausgeübt. Allein deshalb sei der Bescheid rechtswidrig und aufzuheben. Das SG habe zutreffend keine Bösgläubigkeit angenommen. Maßgeblicher Zeitpunkt für das Kennenmüssen sei nämlich der Bewilligungsbescheid vom 16. Juli 2009 und nicht der des Scheidungsverfahrens 2001, als die Rente noch weit in der Zukunft gelegen habe. Wenn die Beklagte meine, die Fehlerhaftigkeit sei für jeden Laien offensichtlich gewesen, müsse sie sich fragen, warum diese den jeweiligen Sachbearbeitern bei der Erteilung der Auskünfte nicht aufgefallen sei, die die Akten ja in die Hand genommen haben müssten.
Die Klägerin beantragt (sachgerecht gefasst),
das Urteil des SG Konstanz vom 9. Februar 2012 abzuändern hinsichtlich der Aufhebung für die Zukunft und den Bescheid der Beklagten vom 22. Juni 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. April 2011 in vollem Umfang aufzuheben und die Anschlussberufung der Beklagten zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt (sachgerecht gefasst),
das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 9. Februar 2012, soweit der Klage stattgegeben wurde, abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen und die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Die Klägerin begehre die doppelte Berücksichtigung eines Bonus aus dem Versorgungsausgleich, der ihr eigentlich gar nicht zustehe. Bei einem Rentenbezug von 20 Jahren verlange die Klägerin einen Betrag von EUR 240.000,00 in vollem Bewusstsein seiner Unrechtmäßigkeit, den die Versichertengemeinschaft aufbringen müsse. Für die von der Klägerin zu Unrecht verlangten zusätzlichen EUR 1.000,00 monatlich müsse ein durchschnittlich verdienender Bürger rund 36 Jahre hart arbeiten. Die Klägerin wende sich gegen die Herstellung des rechtmäßigen Zustandes. Sie sei auch bösgläubig gewesen, so dass eine Rücknahme für die Vergangenheit habe erfolgen können. Nach dem Scheidungsurteil sei eindeutig gewesen, dass ein Versicherungskonto der Klägerin allein bei der VA BW begründet werde. Die Fehlerhaftigkeit der Mitteilung vom 19. Dezember 2001 über die Auswirkungen des Versorgungsausgleichs hätte ihr somit ins Auge springen müssen. Es sei davon auszugehen, dass eine solche Mitteilung auch von der VA BW erteilt worden sei. Der Vortrag der Klägerin, sich daran nicht zu erinnern, sei eine Schutzbehauptung und nicht glaubhaft. Es sei bemerkenswert, dass sie ausgerechnet diese beiden gegen sie sprechenden Schreiben nicht vorlegen könne. Aus der Anlage 5 zum Bescheid vom 16. Juli 2009 sei für die Klägerin erkennbar gewesen, dass zu ihren Gunsten ein Versorgungsausgleich berücksichtigt worden sei. Die Klägerin habe Veranlassung gehabt, sich den Bewilligungsbescheid genauer anzusehen. Sie habe ein Kind geboren und nur wenige Jahre (13 Jahre) versicherungspflichtig gearbeitet. Jeder Laie wisse, dass sich bei einem Kind und ein paar Jahren Beitragszahlung keine Rente von EUR 1.563,33 ergebe. Auch die Renteninformationen hätten auf den zu ihren Gunsten berücksichtigten Versorgungsausgleich Bezug genommen. Hinsichtlich der Rücknahme für die Zukunft sei ein schutzwürdiges Vertrauen schon wegen des Vorliegens der Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X ausgeschlossen. Der Änderungsbescheid vom 2. September 2009 habe das Vertrauen nicht gestärkt, weil erkennbar keine Überprüfung des Anspruchs auf Rente stattgefunden habe. Die Einjahresfrist sei für die Rücknahme für die Zukunft irrelevant, eine besondere Härte nicht erkennbar. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) sei das öffentliche Interesse an der Beseitigung eines rechtswidrigen Zustandes bei Dauerleistungen in der Regel höher einzuschätzen. Die Ermessensausübung im Bescheid sei nicht zu beanstanden. Sie (die Beklagte) sei von Bösgläubigkeit ausgegangen, Die Ermessensgründe für eine Rücknahme für die Vergangenheit und für die Zukunft stünden einer Rücknahme für die Zukunft erst recht nicht entgegen. Im Rücknahmebescheid und im Widerspruchsbescheid sei Ermessen jeweils dahingehend ausgeübt worden, dass die Erstattungsforderung reduziert worden sei. Nach dem Urteil des BSG vom 17. April 1996 (3 RK 18/95, in juris) liege in der Rücknahme nur für die Zukunft, nicht aber auch für die Vergangenheit, grundsätzlich eine hinreichende Ausübung des Rücknahmeermessens. Rein vorsorglich werde die Ermessensausübung nachgeholt, was rechtlich möglich sei. Gegen die Rücknahme spreche, dass die Klägerin den Ruhestand nur aufgrund der Berechnung ihrer Altersrente angetreten habe und bei späterem Rentenbeginn höhere Renten erhalten hätte. Für die Bescheidrücknahme spreche, dass sie (die Beklagte) das Vermögen der Versichertengemeinschaft nur treuhänderisch verwalte und alle Möglichkeiten ausschöpfen müsse, der Versichertengemeinschaft zustehende Gelder einzufordern. Die für eine Bescheidrücknahme sprechenden Gründe überwögen erheblich, weil es der Versichertengemeinschaft nicht zuzumuten sei, der Klägerin lebenslang monatlich EUR 1.000,00 zu zahlen, auf die sie materiell-rechtlich keinen Anspruch habe. In der Gesamtschau träten ihr (der Beklagten) Verschulden und die von der Klägerin vorgetragenen Gründe in den Hintergrund. Die Rücknahme sei daher in vollem Umfang gerechtfertigt. Sie verwies auf die Urteile des BSG vom 17. Oktober 1990 (11 RAr 3/88, in juris), des LSG Baden-Württemberg vom 15. Februar 2012 (L 5 R 3255/11, nicht veröffentlicht) und des LSG Rheinland-Pfalz vom 3. Juli 2008 (L 5 LW 9/07, in juris).
Die Berichterstatterin hat den Rechtsstreit mit den Beteiligten am 14. Dezember 2012 in nichtöffentlicher Sitzung erörtert. Die Beteiligten habe ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtakten beider Instanzen und den Verwaltungsvorgang der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) entschieden hat, ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und auch statthaft. Der Beschwerdewert des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG von EUR 750,00 ist überschritten. Zudem betrifft der streitgegenständliche Aufhebungsbescheid hinsichtlich der teilweisen Aufhebung für die Zukunft wiederkehrende Leistungen für mehr als ein Jahr (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG). Die Berufung der Beklagten ist als unselbstständige Anschlussberufung ebenfalls zulässig.
Die Berufung der Klägerin ist begründet. Die Berufung der Beklagten ist unbegründet. Das SG hat zu Recht den Bescheid vom 22. Juni 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. April 2011 hinsichtlich der teilweisen Aufhebung der Rentenbewilligung für die Vergangenheit und der Erstattung aufgehoben. Der Bescheid vom 22. Juni 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. April 2011 war jedoch auch hinsichtlich der Aufhebung für die Zukunft aufzuheben. Das Urteil des SG vom 9. Februar 2012 war insoweit abzuändern.
Rechtsgrundlage des Aufhebungs- und Erstattungsbescheides vom 22. Juni 2010 ist § 45 SGB X. Nach § 45 Abs. 1 SGB X darf, soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), rechtswidrig ist, dieser, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Nach § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Nach § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X kann sich der Begünstigte auf Vertrauen nicht berufen, soweit 1. er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat, 2. der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat, oder 3. er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.
Die mit Bescheid vom 16. Juli 2009 erfolgte Bewilligung der Altersrente für langjährig Versicherte war hinsichtlich der Höhe der Rentenzahlung von Anfang an rechtswidrig im Sinne von § 45 Abs. 1 SGB X. Der Monatsbetrag der Rente ergibt sich nach § 64 Nr. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) u.a. aus den Entgeltpunkten. Bei den Entgeltpunkten sind u.a. auch Zuschläge oder Abschläge aus einem durchgeführten Versorgungsausgleich zu berücksichtigen (§§ 66 Abs. 1 Nr. 3, 76 Abs. 1 SGB VI). Der Klägerin war eine zu hohe Rente bewilligt worden, weil die Beklagte für sie irrtümlich übertragene Rentenanwartschaften aus dem Versorgungsausgleich berücksichtigt hatte, obwohl in dem Versorgungsausgleich vor dem Amtsgericht Ravensburg vom 15. Oktober 2001 im Wege der Realteilung Rentenanwartschaften bei der VA BW begründet wurden. Rentenanwartschaften bei der Beklagten wurden durch den Versorgungsausgleich nicht begründet.
Die Teilrücknahme der Bewilligung für die Vergangenheit war nach § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X ausgeschlossen. Die Klägerin verbrauchte die überzahlten Rentenbeträge und bildete daher nach § 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X schutzwürdiges Vertrauen. Auf ein solches Vertrauen kann sie sich auch nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X berufen. Sie hat nämlich nicht zumindest infolge grober Fahrlässigkeit nicht erkannt, dass der Bewilligungsbescheid vom 16. Juli 2009 teilweise rechtswidrig war.
Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3, 2. Halbsatz SGB X). Dabei ist ein subjektiver Sorgfaltsmaßstab anzulegen. Grobe Fahrlässigkeit ist zu bejahen, wenn der Betroffene schon einfachste, naheliegende Überlegungen nicht angestellt und deshalb nicht beachtet hat, was im gegebenen Fall jedem einleuchten musste (vgl. BSG, Urteile vom 19. Februar 1986 - 7 Rar 55/84 - und 6. März 1997 - 7 RAr 40/96 -; beide in juris). Entscheidend sind stets die besonderen Umstände des Einzelfalles und die individuellen Fähigkeiten des Betroffenen, d.h. seine Urteilsfähigkeit und sein Einsichtsvermögen, im Übrigen auch sein Verhalten (BSG, Urteil vom 31. August 1976 - 7 RAr 112/74; zum Ganzen vgl. auch: BSG, Urteil vom 8. Februar 2001 - B 11 AL 21/00 R -; beide in juris). Der Versicherte muss einen Bescheid über die Bewilligung einer Rente sorgfältig durchlesen und zumindest auf Plausibilität und offenkundige Fehler überprüfen. Diese Obliegenheit besteht gerade deshalb, weil in einem Massenverfahren wie der Sozialversicherung Fehler nicht ausgeschlossen sind und der Versicherte die Umstände, die einen ihn betreffenden Bescheid betreffen, besser kennt als der Sozialleistungsträger. Vorliegend war aber aus dem Rentenbescheid selbst - wie aus den vorangegangenen Rentenmitteilungen - der Fehler nicht erkennbar. Erkennbar war er allenfalls im Zusammenhang mit dem Scheidungsurteil vom 15. Oktober 2001. Der Senat teilt nicht die Ansicht der Beklagten, dass die Klägerin hätte wissen müssen, wie lange ein Durchschnittsarbeitnehmer für den Betrag der bewilligten Rente gearbeitet haben müsste. Die Klägerin hat hierzu in der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 9. Februar 2012 bekundet, während des Scheidungsverfahrens sei es ihr schlecht gegangen. Ihre Rechtsanwälte hätten gesagt, dass es ihr später mit der Rente gut gehen würde. Aus ihrer Warte als geschiedene Ehefrau eines niedergelassenen Arztes bedeutete dies durchaus einen Lebensstandard oberhalb ihres eigenen letzten Nettoeinkommens als Krankenschwester. Hinzu kommt, dass sie vor der Ehe und nach deren Scheitern wieder ab 1995, also bis zum Rentenantrag noch einmal 14 Jahre lang in Vollzeit gearbeitet hat und entgegen dem Vorbringen der Beklagten nicht ein, sondern drei Kinder aufgezogen hat. Aus dem Rentenbescheid vom 16. Juli 2009 geht hervor, dass ein namhafter Teil des Rentenanspruchs aus einem Versorgungsausgleich herrührt. Die Klägerin ist geschieden, ein Versorgungsausgleich wurde durchgeführt. Grobe Fahrlässigkeit würde somit voraussetzen, dass die Klägerin eine Prüfungspflicht nicht nur hinsichtlich des Bewilligungsbescheides, sondern aller Unterlagen im Zusammenhang mit dem Scheidungsverfahren aus dem Jahr 2001 hatte. Aus dem Scheidungsurteil selbst geht hervor, dass ein Versorgungsausgleich bei der VA BW durchgeführt wurde. Dass keine Anwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung begründet wurden, geht daraus nicht hervor. Hinsichtlich der Mitteilungen der VA BW und der Beklagten über die Höhe der Anwartschaften lässt der Senat offen, ob die Klägerin sie erhalten hat. Die Beklagte konnte insoweit nicht einmal die von ihr übersandte Mitteilung in Kopie vorlegen. Jedenfalls vermag eine im Jahre 2001 erhaltene Mitteilung nicht ohne weiteres die Bösgläubigkeit im Jahre 2009 begründen. Eine Pflicht zur Prüfung eines Bescheides anhand von Jahre zuvor erhaltenen Unterlagen besteht nicht. Dies würde die Anforderungen an die Obliegenheit, Bewilligungsbescheide zu prüfen, überspannen.
Auch die Rücknahme für die Zukunft ist rechtswidrig und aufzuheben. Zwar war die Rücknahme nicht schon nach § 45 Abs. 2 Sätze 1 und 2 SGB X ausgeschlossen. Ein Verbrauch hinsichtlich künftiger Leistungen scheidet grundsätzlich aus. Die Klägerin traf aber eine Vermögensdisposition, indem sie sich entschied, ihr Beschäftigungsverhältnis zu beenden und die Altersrente für langjährig Versicherte vorzeitig mit Abschlag in Anspruch zu nehmen. Zeitlich sind zwar nur nach Erlass des Bewilligungsbescheides - hier Rentenbescheid vom 16. Juli 2009 - vorgenommene Dispositionen relevant (BSG, Urteil vom 28. November 1985 - 11b/7 RAr 128/84 -; in juris). Der Entschluss, das Beschäftigungsverhältnisses zu beenden und vorzeitige Altersrente zu beantragen, lagen vor dem Erlass des Rentenbescheid vom 16. Juli 2009. Dennoch war der Rentenbescheid hierfür ursächlich. Er hatte Auswirkungen auf die finanzielle Situation der Klägerin. Denn die Klägerin ging aufgrund der ihr zugegangenen Renteninformationen und der im Vorfeld geführten Beratungen bei der Beklagten von einer prognostizierten Höhe der Altersrente aus, die ihr für die Zukunft ein ausreichendes Einkommen sichern werde sowie davon, dass ein Rentenbescheid ergehen werde, der eine Höhe der Rente in dem prognostizierten Umfang festsetzen werde. Eine den Vertrauensschutz ausschließende Bösgläubigkeit lag nicht vor (s. o.).
Aber auch wenn man der Auffassung sein sollte, die von der Klägerin getroffene Vermögensdisposition beruhe nicht auf dem Rentenbescheid vom 16. Juli 2009, ist eine Rücknahme für die Zukunft nicht möglich. Zwar fiele dann die nach § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X vorzunehmende Interessenabwägung zulasten der Klägerin aus, jedoch fehlt es an einer Ermessensbetätigung der Beklagten.
Nach § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X ist eine Interessenabwägung vorzunehmen, ob das Interesse der Allgemeinheit an der Herstellung des gesetzmäßigen Zustandes das Vertrauen des gutgläubigen Begünstigten an der Aufrechterhaltung des rechtswidrigen Zustandes unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles überwiegt. Der Begünstigte muss subjektiv auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut und dieses Vertrauen objektiv ins Werk gesetzt haben. Dies ist vorliegend nicht erkennbar. Insbesondere ist keine einschneidende und dauernde Änderung der Lebensführung erkennbar (vgl. dazu Schütze in: v. Wulffen, SGB X, § 45, Rn. 37 m.w.N.). Ein etwa betätigtes Vertrauen würde nur dann Vertrauensschutz begründen, wenn es unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an der Rücknahme schutzwürdig wäre. Ein rechtswidriger Verwaltungsakt darf nach Treu und Glauben nur dann zurückgenommen werden, wenn das öffentliche Interesse an der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung das durch den Erlass des fehlerhaften Aktes begründete Vertrauen des Begünstigten auf die Beständigkeit behördlicher Entscheidungen überwiegt (Schütze a.a.O. Rn. 37 unter Hinweis auf Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 16. Dezember 1981 - 1 BvR 898/79 u.a. -; in juris). Bei Dauerleistungen ist das öffentliche Interesse der Solidargemeinschaft an der Vermeidung ungerechtfertigter Belastungen zulasten der Allgemeinheit in der Regel höher als bei einer einmaligen Leistung. Dieses Interesse wiegt umso schwerer, je länger die Leistung gewährt werden müsste (vgl. BSG, Urteil vom 25. Juni 1986 9a RVg 2/84 -; in juris). Sind Leistungen nicht erbracht oder Vermögensdispositionen nicht getroffen worden, überwiegt stets das Interesse an der Herstellung der wahren Rechtslage (BSG, Urteil vom 21. September 1977 - 4 RJ 113/76 -; in juris, Schütze a.a.O. Rn. 40). Auf Seiten des Begünstigten ist das Interesse am Fortbestand der rechtswidrigen Begünstigung insbesondere anhand der Aufhebungsfolgen zu bewerten. Die Rücknahme ist in der Regel ausgeschlossen, wenn es dem Begünstigten nicht zuzumuten ist, die Leistung in Zukunft zu entbehren, die Rücknahme etwa die Existenzgrundlage nachhaltig schmälert und kein Ausgleich in einem anderen Sicherungssystem stattfindet oder ohne die Leistung etwa sozialhilferechtlicher Bedarf eintritt (vgl. Schütze a.a.O. Rn. 41 m.w.N.). Fehler auf Behördenseite stärken grundsätzlich nicht die Vertrauensposition des Begünstigten, weil abgesehen von den Fällen des Absatzes 2 Satz 3 die Ursache für den Erlass der rechtswidrigen Begünstigung regelmäßig im Verantwortungsbereich der Verwaltung liegt. Ausnahmsweise vertrauensschutzrelevant sind Fehler der Verwaltung jedoch dann, wenn das Vertrauen zusätzlich durch weiteres fehlerhaftes Behördenhandeln perpetuierend gestärkt worden ist, sei es durch zusätzliche falsche Auskünfte oder weitere Bescheide oder wenn ein leicht zu vermeidender grober Fehler vorliegt. Vorliegend erließ die Beklagte am 2. September 2009 einen weiteren fehlerhaften Rentenbescheid. Dennoch überwiegt hier im Hinblick auf die Länge und das Ausmaß der rechtswidrigen Überzahlung für den Fall, dass keine Korrektur erfolgt, das öffentliche Interesse. Der Klägerin wird auch angesichts von EUR 649,39 gesetzlicher Rente (Stand: 22. Juni 2010) und Leistungen von EUR 963,86 der VA BW (Stand: 2. September 2009), insgesamt EUR 1.613,25, nicht die Existenzgrundlage entzogen.
Ein schutzwürdiges Vertrauen der Klägerin folgt nicht aus dem Bescheid vom 2. September 2009. Zwar darf der Leistungsempfänger regelmäßig davon ausgehen, dass ein "ins Auge springender" Fehler bei erneuter Prüfung durch die zur Entscheidung über den Anspruch berufene fachkundige Behörde nicht unentdeckt bleibt und die Fachbehörde einen solchen Fehler nicht wiederholt. Bei einer wiederum mit demselben Fehler behafteten erneuten Bewilligung trifft den Leistungsempfänger insoweit nur noch eine verringerte Sorgfaltsobliegenheit, so dass er für die Zukunft regelmäßig davon ausgehen darf, dass die behördlicherseits bestätigte Entscheidung rechtmäßig ist (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 5. April 2006 - L 3 AL 1948/05 -; in juris). Dies gilt aber nicht bei Anpassungsbescheiden, denen - ohne weiteres ersichtlich - keine erneute Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen und der Leistungsmerkmale zugrunde liegt (LSG Baden-Württemberg, a.a.O.; BSG, Urteil vom 27. Juli 2000 - B 7 AL 88/99 R -; in juris). Mit dem Bescheid vom 2. September 2009 wurde ein Zuschuss zum Krankenversicherungsbeitrag bewilligt, so dass sich der Zahlbetrag der Rente änderte. Eine Entscheidung über den Rentenanspruch insgesamt erfolgte erkennbar nicht
Die zweijährige Rücknahmefrist gemäß § 45 Abs. 3 Satz 1 SGB X ab Bekanntgabe des Bescheides vom 16. Juli 2009 war eingehalten.
Die Beklagte hat jedoch hinsichtlich der Rücknahme für die Zukunft das ihr eingeräumte Ermessen im Bescheid vom 22. Juni 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. April 2011 nicht ausgeübt. Nach § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG ist ein Verwaltungsakt auch dann rechtswidrig, wenn die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt war, nach ihrem Ermessen zu handeln, jedoch die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Ermessen ist im Bereich des § 45 SGB X immer auszuüben, nicht nur in atypischen Fällen wie bei der Soll-Verpflichtung zur Aufhebung eines Bescheids nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X (vgl. Schütze, a.a.O. § 45 Rn. 79 m.w.N.). Nur Umstände zugunsten des Begünstigten, die ebenso schwer wiegen wie das ihm konkret vorzuwerfende Verhalten, können die Behörde dazu veranlassen, von der an sich zulässigen Rücknahme des Verwaltungsaktes ganz oder teilweise abzusehen. Gegen eine (vollständige) Rücknahme kann z.B. ein besonders grobes Verschulden der Behörde sprechen, etwa wegen fehlerhafter oder undeutlicher Fragestellungen. Auch die wirtschaftliche Situation des Begünstigten ist zu berücksichtigen, die Rücknahme kann ermessensfehlerhaft sein, wenn sie für ihn - auch unter Berücksichtigung der Ansprüche auf Stundung (§ 76 Abs. 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch - SGB IV -) und Ratenzahlung - eine unbillige Härte darstellt (zu allem vgl. Schütze, a.a.O., Rn. 90 m.w.N.).
Die Beklagte hat bereits nicht erkannt, dass sie auch hinsichtlich der Rücknahme des Bescheids vom 16. Juli 2009 für die Zukunft auch Ermessen auszuüben hat. Sie hat im Bescheid vom 22. Juni 2010 und im Widerspruchsbescheid vom 13. April 2011 ausdrücklich ausgeführt, welche Gründe im Rahmen der Ermessensausübung hinsichtlich der Rücknahme für die Vergangenheit für eine Reduzierung der Erstattungsforderung zunächst auf 50 % und schließlich auf 10 % sprechen. Als Ergebnis der Anhörung gab die Beklagte im Bescheid vom 22. Juni 2010 nur wieder, die Klägerin habe auf die Berechnungen vertraut und sie (die Beklagte) habe deswegen den Bescheid nur teilweise zurückgenommen. Die Ermessensentscheidung begründe sich wie folgt: Die zu Unrecht erfolgte Berücksichtigung eines Zuschlags aus dem durchgeführten Versorgungsausgleich sei von der Klägerin zu erkennen gewesen, sie hätte bei entsprechender Sorgfalt auf die fehlerhafte Rentenberechnung hinweisen müssen. Wegen ihres (der Beklagten) Mitverschuldens sei die Forderung im Rahmen des Ermessens um 50 % reduziert worden. Daraus ist erkennbar, dass die Beklagte Überlegungen hinsichtlich einer Rücknahme für die Zukunft nicht angestellt und das Vorbringen der Klägerin, im Vertrauen auf die Berechnung früher Rente beantragt zu haben, hinsichtlich der Folgen der Korrektur für die Zukunft nicht berücksichtigt hat. Auch aus dem Widerspruchsbescheid ist nicht erkennbar, dass sich der Widerspruchsausschuss überhaupt bewusst war, hinsichtlich der Rücknahme für die Zukunft eine Ermessensentscheidung zu treffen. Der Widerspruchsbescheid enthält im letzten Absatz auf S. 3/4 nur Ausführungen zum Ermessen bei der Rücknahme für die Vergangenheit.
Die Ermessensausübung konnte nicht im Berufungsverfahren nachgeholt werden. Zwar ist gemäß § 41 Abs. 2, Abs. 1 Nr. 2 SGB X die Verletzung von Verfahrens- und Formfehlern, die den Verwaltungsakt nicht nach § 40 SGB X nichtig machen, unbeachtlich, wenn die Verletzung geheilt werden kann, etwa eine erforderliche Begründung nachträglich gegeben wird. Die nachträgliche Bekanntgabe der für die Ermessensentscheidung tatsächlich maßgeblich gewesenen Gründe kann als wirksame Heilung angesehen werden (Schütze a.a.O. § 41 Rdnr. 11; Kasseler Kommentar-Steinwedel, § 41 Rn. 13). Anders ist die Nachholung der Ermessensbetätigung zu beurteilen. Diese kann nicht nachgeholt werden. Eine versäumte Verfahrenshandlung kann nur nachgeholt werden, wenn sie funktional angemessen ersetzt werden und die nachzuholende Verfahrenshandlung ihre rechtsstaatlich gebotene Funktion, den Zweck der versäumten Handlung, verwirklichen kann (Schütze a.a.O. Rn. 6; BSG, Urteil vom 6. April 2006 - B 7a AL 64/05 R -; in juris). Der Ermessensausfall ist kein Fehler der Ermessensbegründung nach § 41 SGB X, sondern ein Mangel der Ermessensbetätigung nach § 39 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I). Eine Fehlerkorrektur ist insoweit nur bis zum Abschluss des Verwaltungsverfahrens möglich, eine Nachholung der Ermessensbetätigung im Klageverfahren führt nicht zur Heilung (Schütze a.a.O. Rn. 11 m.w.N.). Eine Ermessensentscheidung ist nämlich gegenüber einer gebundenen Entscheidung ein aliud. Vorliegend kam der Widerspruchsausschuss als das zur abschließenden Entscheidung im Verwaltungsverfahren zuständige Gremium zweimal zu einer vom Votum der Fachabteilung abweichenden Beurteilung der Interessenabwägung hinsichtlich der Rücknahme für die Vergangenheit, erkannte aber nicht sein Ermessen hinsichtlich der Aufhebung für die Zukunft. Die rechtsstaatliche Funktion der Überprüfung der Recht- und Zweckmäßigkeit des Ausgangsbescheides durch den Widerspruchsausschuss konnte durch einen Schriftsatz des Klagesachbearbeiters der Beklagten nicht erfüllt werden.
Ob eine ausreichende Ermessensbetätigung stets vorliegt, wenn die Behörde einen Bescheid nur für die Zukunft, nicht auch für die Vergangenheit zurücknimmt (so Schütze a.a.O.§ 45 Rn. 90 und 92 unter Berufung auf BSG, Urteil vom 17. April 1996 - 3 RK 18/95 -; in juris), lässt der Senat dahinstehen. Vorliegend hat die Beklagte den Bescheid teilweise auch für die Vergangenheit zurückgenommen. Dass zitierte BSG-Urteil steht der Annahme eines Ermessensausfalls im hier vorliegenden Fall nicht entgegen. Ausweislich der Entscheidungsgründe enthielt im dortigen Fall der Widerspruchsbescheid eine wenn auch generalklauselartige - Begründung der Aufhebung für die Zukunft (" das öffentliche Interesse gebiete es, den Kläger wie alle anderen Abgabepflichtigen auch tatsächlich für abgabepflichtig zu erklären, sein Vertrauen in den Bestand des Bescheides sei für die Zukunft nicht schutzwürdig "). Eine solche Begründung der Aufhebung für die Zukunft fehlt vorliegend. Die Klägerin hatte die für eine Interessenabwägung hinsichtlich der Aufhebung für die Zukunft relevanten Umstände - vorzeitiger Ruhestand, geringere Versorgungsbezüge, entgangenes Arbeitsentgelt - auch bereits im Widerspruchsverfahren dargelegt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
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