L 8 U 2428/13

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 10 U 3292/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 U 2428/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 23.05.2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin Anspruch auf die Feststellung einer Atemwegserkrankung als Berufskrankheit hat.

Die 1959 geborene Klägerin war von Oktober 1994 bis Ende Mai 2011 bei der K. Holzindustrie GmbH beschäftigt. Unter dem 25.01.2011 erstattete der Arzt für Innere Medizin, Lungen-und Bronchialheilkunde Dr. F. mit Vordruck der Beklagten die "Ärztliche Anzeige bei Verdacht auf eine Berufskrankheit" wegen einer irritativen Bronchitis. Die Beklagte veranlasste die Angaben der Klägerin vom 10.02.2011. Danach habe sich die Erkrankung erstmals im November 2009 mit Schwellung von Rachen und Mandeln bemerkbar gemacht. Schnupfen, Atemnot und Niesen seien bei Kontakten zu Holzstaub beim Schleifen von Furnierverkleidung, bei Dämpfen, Verdünnung und Gerüchen aufgetreten. Der Arbeitgeber der Klägerin teilte telefonisch am 21.02.2011 u.a. mit, dass der Klägerin zum 31.05.2011 gekündigt worden sei. Im übersandten Fragebogen der Beklagten führte Allgemeinmediziner Fa. unter dem 03.03.2011 aus, bisher sei es nur zu 2 Kontakten im November 2010 gekommen. Die Klägerin habe über Husten, Geruchsempfindlichkeit und Müdigkeit geklagt, diagnostiziert worden sei ein Schlafapnoesyndrom. Nach den Angaben von Dr. F. vom 02.03.2011 habe die Klägerin ihn erstmals am 14.12.2009 wegen Atemnot und Schmerzen im Brustkorb und verschwollenen Augen aufgesucht. Die Beschwerden hätten sich durch Inhalation von heißen Leimdämpfen im Betrieb verstärkt. Als klinischen Befund habe er Vesikuläratmen erhoben. Die Röntgenaufnahme von Herz und Lunge, die Bodyplethysmographie und ein Allergie-Prick-Test seien ohne Befund gewesen. Ein Methacholintest habe eine mäßige bronchiale Hyperreagibilität ergeben.

Am 31.03.2011 führte der Präventionsdienst der Beklagten unter Beteiligung der Klägerin eine Betriebsbesichtigung durch und wertete die Sicherheitsdatenblätter der verwendeten Arbeitsstoffe aus. In seiner hierauf gestützten Stellungnahme vom 28.06.2011 zur Arbeitsplatzexposition mit telefonischer Ergänzung vom 01.07.2011 kam Dr. Ha. zu dem Ergebnis, Hinweise auf eine allergische Verursachung der Beschwerden hätten sich nicht ergeben. Eine relevante Einwirkung im Sinne der Berufskrankheit Nr. 4302 könne für die Arbeitsplätze "Qualitätskontrolle", "Zargenfertigung" und "Sonderverpackung" ausgeschlossen werden. Der verwendete Schmelzkleber sei nicht gefährlich im Sinne der Zubereitungsrichtlinie und auch nicht kennzeichnungs- pflichtig. Beim Öffnen des Schmelzofens trete ein Wolke auf, die bereits nach wenigen Sekunden verschwinde. Die Klägerin sei auch nicht direkt am Schmelzofen tätig gewesen, sondern habe in ca. 5 m Entfernung in der Zargenfertigung gearbeitet.

Außerdem zog die Beklagte die medizinischen Aktenteile der Reha- und Rentenakten von der Deutschen Rentenversicherung bei. Darin befand sich u.a. der Entlassungsbericht der B.-Klinik vom 06.06.2008 (orientierende Untersuchung Pulmo: ohne Befund), der Reha-Klinik Bad B. vom 07.04.2009 (Cor, Pulmo, Abdomen ohne Befund), das unfallchirurgische Gutachten von Dr. Go. vom 26.11.2009 (Befunde Thorax und Atmungsorgane: Lungen seitengleich belüftet, Vesikuläratmen), das arbeitsmedizinische Gutachten des Dr. St. vom 14.03.2011 (Diagnosen: u.a.: hyperreagibles Bronchialsystem ohne allergische Komponente), die Befundberichte von Dr. F. vom 12.01.2010 (Bodyplethysmographie unauffällig, keine Ventilationsstörung; CO-Diffusionskapazität regelrecht) und vom 08.03.2010 (alle getesteten Aeroallergene mit negativer Reaktionen), seine ärztliche Bescheinigung vom 12.01.2010 zur Vorlage beim Arbeitgeber (Vorschlag die Absaugvorrichtung im Betrieb zu optimieren und einen persönlichen Atemschutz anzupassen wegen nachgewiesener Überempfindlichkeit des Bronchialsystems) und seine sachverständige Zeugenaussage vom 02.08.2010 im Rentenrechtsstreit (S 3 R 816/10) der Klägerin vor dem Sozialgericht Ulm (Überempfindlichkeit des Bronchialsystems gegenüber reizenden Substanzen; Lungenfunktion in Ruhe: ohne Befund, nach Metacholin: deutlicher Anstieg des Atemwegswiderstandes; Blutgase: ohne Befund).

Mit Bescheid vom 26.07.2011 lehnte die Beklagten die Feststellung einer Berufskrankheit nach Nr. 4301 und Nr. 4302 der Berufskrankheitenliste ab. Der eingesetzte Schmelzkleber sei nicht gefährlich. Nach Auskunft der Krankenkasse habe im November 2009 eine Arbeitsunfähigkeit wegen akuter Pharyngitis bestanden. Die erstmals im November 2009 aufgetretenen Beschwerden träten eigenen Angaben zufolge ortsunabhängig auf und bestünden das ganze Jahr über. Sie seien im Keller, auf dem Dachboden, am Arbeitsplatz, beim Treppensteigen und bei Aufregung vorhanden und würden bei verschiedenen Gelegenheiten wie durch Stäube und Dämpfe am Arbeitsplatz, aber auch bei Hausstaub, Fett-, Braten- und Kochdunst, Autoabgasen, Bau- und Zementstaub, Waschmittelstaub, Haar-, Körperspray, lösungsmittelhaltigen Farben, bei Kälte, bei raschem Temperaturwechsel sowie bei Nebel und Feuchtigkeit auftreten. Eine Allergie sei nicht festgestellt. Die lungenfunktionsanalytischen Untersuchungen zeigten einen normalen Befund. Lediglich beim Methacholintest habe sich eine mäßige bronchiale Überempfindlichkeit gezeigt. Eine obstruktive Atemwegserkrankung sei nicht nachgewiesen. Es fehle bereits an den medizinischen Voraussetzungen der Berufskrankheiten nach Nr. 4301 und 4302. Außerdem sei eine relevante Einwirkung von chemisch-irritativ oder toxisch wirkenden Stoffen am Arbeitsplatz auszuschließen.

Die Klägerin legte hiergegen Widerspruch ein und machte geltend, sie leide an einer rezidivierenden Bronchitis. Sie verwies auf den vorgelegten Befundbericht von Dr. F. vom 14.07.2011 mit der Diagnose einer rezidivierenden Bronchitis mit bronchialer Hyperreagibilität bei langjähriger Exposition gegenüber inhalativen Reizstoffen sowie Fibromyalgie, Bandscheibenleiden HWS und LWS. Seit Aufgabe der Tätigkeit vor zwei Monaten sei eine deutliche Besserung der Atembeschwerden, der behinderten Nasenatmung und der Augenreizung eingetreten. Mit Widerspruchsbescheid vom 23.09.2011 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Die Klägerin erhob am 04.10.2011 Klage vor dem Sozialgericht Ulm (SG) und begehrte zuletzt nur noch die Feststellung der Berufskrankheit Nr. 4302.

Das SG holte auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) das internistisch-pneumologisch-allergologische Gutachten vom 25.04.2012 mit Ergänzung vom 06.08.2012 ein. Darin beurteilte der Sachverständige Dr. Gr. das von ihm diagnostizierte Reactive Airway Dysfunction Syndrom (RADS) als Berufskrankheit nach Nr. 4302. Die unspezifische bronchiale Hyperreagibilität i.S. des RADS sei im Zusammenhang mit den anamnestische Angaben über Atembeschwerden und Husten als pathologischer Befund anzusehen und stehe im zeitlichen Zusammenhang mit der inhalativen Belastung durch den erwähnten Klebstoff. Bei der von ihm durchgeführten körperlichen Untersuchung sei die Lunge der Klägerin unauffällig gewesen. Die technischen Untersuchungen hätten keine auffälligen Befunde ergeben. Die Blutgasuntersuchung habe einen normalen Befund und die Lungenfunktionsuntersuchung habe keine Obstruktion oder Restriktion oder emphysematische Überblähung ergeben, eine Diffusionsstörung habe nicht vorgelegen. Der unter Medikamentation durchgeführte Provokationstest mit Methacholin habe keine Hyperreagibilität ergeben. Das Vorhandensein einer unspezifischen bronchiale Hyperreagibilität sei zweifelsfrei in der lungenfachärztlichen Praxis von Dr. F. nachgewiesen und stelle den Beweis einer obstruktive Atemwegserkrankung dar. Die Diagnose einer Pharyngitis und einer chronischen Bronchitis würden die obstruktive Atemwegserkrankung nicht ausschließen.

Mit Urteil vom 23.05.2013 wies das SG die Klage ab. Es führte zur Begründung aus, der technische Aufsichtsdienst der Beklagten habe nach Begehung des Arbeitsplatzes nachvollziehbar dargelegt, dass weder dem verwendeten Schmelzkleber noch sonstigen Arbeitsstoffen chemisch-irritative oder toxische Wirksamkeit zukämen. Weiterhin lägen die medizinischen Voraussetzungen nicht vor. Es fehle am Nachweis einer obstruktiven Atemwegserkrankung. Bei dem vom Sachverständigen Dr. Gr. angenommenen RADS handele es sich um eine Unterform des nicht allergischen Asthma bronchiale, bei dem die grundsätzlich erforderliche Atemwegsobstruktion vorhanden sein oder fehlen könne. Die diagnostischen Kriterien einer einmaligen definierten Exposition gegenüber Stoffen mit irritativen Eigenschaften, wobei die Substanz in sehr hohen Konzentration vorhanden gewesen sei und der Syndrombeginn binnen 24 Stunden sowie die Persistenz von mindestens drei Monate gegeben sein müsse, seien alle nicht erfüllt. Der Schlussfolgerung des Sachverständigen, dass aufgrund des positiven Methacholintests vom Vorliegen eines berufsbedingten RADS auszugehen sei, könne nicht gefolgt werden.

Gegen das Urteil hat die Klägerin am 11.06.2013 Berufung eingelegt und zur Begründung ausgeführt, sie sei während ihrer Tätigkeit ab 1994 Dämpfen von Klebstoffen, Lacken und Verdünner ausgesetzt gewesen, mit der Folge, dass sie durch die Dauerbelastung an einer unspezifischen bronchialen Hyperreagibilität erkrankt sei. Dies sei durch das eingeholte Sachverständigengutachten von Dr. Gr. eindeutig bestätigt worden. Das SG habe ausgeführt, dass der Technische Aufsichtsdienst den verwendeten Schmelzkleber als weder chemisch-irritativ noch toxisch bezeichnet habe. Eine genaue Überprüfung des Schmelzklebers sei jedoch nicht erfolgt. Es seien sowohl der arbeitstechnische wie der medizinische Nachweis geführt.

Die Klägerin beantragt - sachdienlich gefasst -,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 23.05.2013 sowie den Bescheid der Beklagten vom 26.07.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.09.2011 aufzuheben und ihre Atemwegserkrankung als Berufskrankheit nach Nr. 4302 der Anlage 1 zur Berufskrankheitenverordnung festzustellen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verweist auf ihr bisheriges Vorbringen. Entgegen den Angaben im Bericht von Dr. F. vom 14.07.2011, wonach das Fernbleiben vom Arbeitsplatz sich offensichtlich vorteilhaft ausgewirkt habe, sei nach Ausführungen des Sachverständigen Dr. Gr. auch bis heute noch über die Exposition hinaus eine medikamentenpflichtige Erkrankung gegeben. Dies spreche eher für eine primär außerberufliche Krankheit. Unabhängig von der Kausalitätsfrage spreche die Bescheinigung von Dr. F. vom 12.01.2010, in der die Optimierung der betrieblichen Absaugvorrichtung und Anpassung eines persönlichen Atemschutzes vorgeschlagen werde, gegen den Nachweis eines Unterlassungszwangs.

Mit richterlicher Verfügung vom 06.08.2013 sind die Beteiligten auf die Möglichkeit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch einstimmigen Beschluss nach § 153 Abs. 4 SGG und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter hingewiesen worden und haben Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die beigezogenen Akten der Beklagten und des Sozialgerichts sowie auf die im Berufungsverfahren angefallene Akte des Senats verwiesen.

II.

Der Senat hat über die Berufung der Klägerin gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss entscheiden können, da er diese einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind auf diese beabsichtigte Vorgehensweise mit richterlicher Verfügung vom 06.08.2013 hingewiesen worden. Innerhalb der ihnen gesetzten Äußerungsfrist haben die Beteiligten gegen diese Verfahrensweise keine Einwände erhoben.

Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig. Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das angefochtene Urteil des SG ist in der Sache nicht zu beanstanden. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils die für die Entscheidung des Rechtsstreites maßgeblichen Rechtsvorschriften und Rechtsgrundsätze zutreffend dargestellt und angewendet. Es hat rechtsfehlerfrei dargelegt, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Feststellung ihrer Atemwegserkrankung als Berufskrankheit hat.

Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 SGB VII). Berufskrankheiten sind Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkung verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind. Aufgrund der Ermächtigung in § 9 Abs. 1 SGB VII hat die Bundesregierung die Berufskrankheitenverordnung (BKV) vom 31.10.1997 (BGBl I, S. 2623) erlassen, in der die derzeit als Berufskrankheiten anerkannten Krankheiten in Anlage 1 aufgeführt sind.

Die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) muss zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt haben (Einwirkungskausalität), und die Einwirkungen müssen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Die Tatbestandsmerkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung", "Einwirkungen" und "Krankheit" müssen im Sinne des Vollbeweis, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit, vorliegen (vgl. BSG Urteil vom 02.04.2009 B 2 U 9/08 R , veröffentlicht in juris). Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit. Ebenso wie die haftungsausfüllende Kausalität zwischen Gesundheitserstschaden und Unfallfolge beim Arbeitsunfall ist die haftungsausfüllende Kausalität zwischen der berufsbedingten Erkrankung und den Berufskrankheitenfolgen, die dann gegebenenfalls zu bestimmten Versicherungsansprüchen führen, bei der Berufskrankheit keine Voraussetzung des Versicherungsfalles (BSG Urteil vom 02.04.2009 a.a.O.).

Wahrscheinlich ist diejenige Möglichkeit, der nach sachgerechter Abwägung aller wesentlichen Umstände gegenüber jeder anderen Möglichkeit ein deutliches Übergewicht zukommt (vgl. BSGE 45, 286). Eine Möglichkeit verdichtet sich dann zur Wahrscheinlichkeit, wenn nach der herrschenden medizinisch wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen den ursächlichen Zusammenhang spricht (BSGE 60, 58 m.w.N.; vgl. auch Mehrtens/Perlebach, Die Berufskrankheitenverordnung, Kommentar, E § 9 RdNr. 26.2). Ein Kausalzusammenhang ist insbesondere nicht schon dann wahrscheinlich, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist. Lässt sich eine Tatsache nicht nachweisen oder ein Kausalzusammenhang nicht wahrscheinlich machen, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast (Feststellungslast) zu Lasten dessen, der einen Anspruch aus der nicht erwiesenen Tatsache bzw. dem nicht wahrscheinlich gemachten Kausalzusammenhang für sich herleitet (BSGE 19,52, 53; 30,121, 123; 43, 110, 112).

Mit dem angefochtenen Bescheid der Beklagten ist über die Berufskrankheiten Nrn. 4301 und 4302 entschieden worden. Vorliegend ist allein noch Streitgegenstand die Berufskrankheit Nr. 4302. Der Tatbestand der Berufskrankheit Nr. 4302 der Anlage 1 zur BKV lautet: Durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können.

Hiervon ausgehend liegt eine Berufskrankheit nach Nr. 4302 nicht vor, weil nach dem Ergebnis der medizinischen Untersuchungen eine obstruktive Atemwegserkrankung nicht mit dem für einen Vollbeweis notwendigen Grad der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit nachgewiesen ist. Damit fehlt es an dem für die Berufskrankheit Nr. 4302 erforderlichen Tatbestandsmerkmal einer obstruktiven Atemwegserkrankung.

Die Krankheit "obstruktive Atemwegserkrankung" ist ein Sammelbegriff für verschiedene akute und chronische Krankheiten des bronchiopulmonalen Systems, die mit obstruktiven Ventilationsstörungen einhergehen. Fehlt es an der Obstruktion, liegen die Voraussetzungen nicht vor, weil der Verordnungsgeber mit diesen Berufskrankheiten nur Erkrankungen mit einem bestimmten Schweregrad erfassen wollte, wie sich aus ihrer ursprünglichen Bezeichnung "Bronchialasthma" (vgl. Nr. 41 der 6. BKV vom 28.04.1961, BGBl. I 505) und der weiteren Voraussetzung des Unterlassungszwangs ergibt (vgl. BSG, Urteil vom 21.03.2006 - B 2 U 24/04 -, juris). Die unspezifische bronchiale Hyperirritabilität bzw. Hyperreagibilität, die eine Variante der normalen Eigenschaft der Bronchialschleimhaut sind und eine Übersteigerung der Auslösbarkeit des Bronchialsystems darstellen, können die Lunge ebenfalls beeinträchtigen. Sie sind kein selbstständiges Krankheitsbild und fallen unter die Diagnose obstruktive Atemwegserkrankung (BSG, Urteil vom 21.03.2006 a.a.O.; Empfehlung für die Begutachtung der Berufskrankheiten Nr. 1315, 4301 und 4302 der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung, Fassung November 2012– Reichenhaller Empfehlung –, Nr. 3.1 und 3.2.11; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage, Nr. 17.13.4 und 17.13.5., Seite 1059ff).

Der Sachverständige Dr. Gr. hat bei seiner Untersuchung der Klägerin keine Obstruktion der Atemwege der Klägerin diagnostizieren können. Seine technischen Untersuchungen einschließlich des von ihm durchgeführten Provokationstests mit Methacholin ergaben keinen auffälligen Befund. Eine Atemwegsobstruktion, eine Blutgasaustauschstörung oder eine Hyperreagibilität waren nicht zu diagnostizieren. Der Senat lässt dahinstehen, ob die unter atemwegsbeeinflussender Medikamentation erfolgte Befunderhebung von Dr. Gr. aussagekräftige Ergebnisse erbracht hat. Sein Befund stimmt jedenfalls insoweit mit den vom behandelnden Arzt Dr. F. erhobenen Befunden überein, als dieser mit den von ihm im Laufe der Behandlung durchgeführten – mitarbeitsunabhängigen (vgl. Reichenhaller Empfehlung, Nr. 3.2.6) - Bodyplethysmogra¬phien ebenso keinen auffälligen Befund eines krankhaften Atemwegswiderstandes erhoben hat. Dies ergibt sich aus seinen Befundberichten vom 12.01.2010, 02.03.2011 und 14.07.2011. Zwar beurteilt Dr. Gr. in Auswertung der ihm vorliegenden und seinen Gutachten beigefügten Befunde aus dem unspezifischen Provokationstest nach Methacholingabe und der Bodyplethysmographie, die Dr. F. am 22.12.2009 durchgeführt hat, die Atemwegserkrankung der Klägerin als eine unspezifische bronchiale Hyperreagibilität und damit als hinreichenden Nachweis einer Obstruktion, worauf er in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 06.08.2012 noch einmal ausdrücklich hinweist. Dr. F. seinerseits hat aufgrund des von ihm im Dezember 2009 erhobenen Befunds zwar eine mäßige Hyperreagibilität (so seine Angaben vom 02.03.2011 an die Beklagte) gegenüber reizenden Substanzen (so seine sachverständige Zeugenaussage vom 02.08.2010 im Rentenverfahren S 3 R 816/10 der Klägerin), jedoch eine ansonsten unauffällige Lungenfunktion bei keinem auffälligen Befund hinsichtlich der Blutgase (vgl. sachverständige Zeugenaussage vom 02.08.2010 a.a.O.) und unauffälliger Bodyplethysmographie (Bericht von Dr. F. vom 12.01.2010 mit Darstellung der Bodyplethysmographie: unauffällig, keine Ventilationsstörung; und seine Angaben vom 02.03.2011) beschrieben. In nachfolgenden Untersuchungen ist auch kein positiver Methacholintest mehr von Dr. F. oder einem anderen Arzt beschrieben worden. Allein die mitarbeitsabhängige Spirometrie aufgrund des Methacholintests im Dezember 2009 und die Beschwerdeangaben der Klägerin liegen seiner Diagnose einer unspezifischen Hyperreagibilität zu Grunde. Letztlich beurteilt auch Dr. Gr. im Gutachten vom 25.04.2012 eine unspezifische bronchiale Überempfindlichkeit im Zusammenhang mit anamnestischen Angaben der Klägerin als pathologischen Befund. Dem steht jedoch entgegen, dass nach Angaben des Arbeitgebers im Februar 2011 Atemwegsprobleme der Klägerin am Arbeitsplatz nicht aufgefallen seien, lange Krankheitszeiten beruhten nach Kenntnis des Arbeitgebers auf Problemen an der Wirbelsäule (Telefonvermerk der Beklagten vom 21.02.2011). Damit übereinstimmend sind den Entlassungsberichten der Kurkliniken B.-Klinik (Bericht vom 06.06.2008) und Reha-Klinik Bad B. (Bericht vom 07.04.2009) keine Beschwerden der Klägerin über Atemwegsprobleme zu entnehmen, die orientierenden Untersuchungen ergaben vielmehr jeweils einen unauffälligen Lungenbefund. Die Behandlung und Diagnosen sind auf orthopädisch zu beurteilende Erkrankungen bezogen. Ebenso sind im chirurgischen Gutachten von Dr. Go. vom 26.11.2009 (Untersuchungszeitpunkt 20.11.2009) neben den chirurgisch zu beurteilenden Beschwerden von der Klägerin auch vegetative Beschwerden angegeben worden, wobei Atembeschwerden nicht genannt wurden. Auch andernorts ist eine bronchiale Hyperreagibilität nicht diagnostiziert worden. Dem arbeitsmedizinischen Gutachten vom 14.03.2011 ist eine lungenspezifische Untersuchung nicht zu entnehmen, vielmehr wurde die Klägerin allein arbeitsmedizinisch-orthopädisch nach dem ERGOS-System begutachtet. Die angegebene Diagnose eines hyperreagiblen Bronchialsystems ohne allergische Komponente beruht daher nur auf anamnestischen Angaben der Klägerin bzw. auf einer ungeprüften Fortschreibung übernommener Diagnosen. Die Beschwerdeangaben der Klägerin sind auch im übrigen nicht mit den Befunden in Einklang zu bringen. Belastungsabhängige Atembeschwerden, wie von der Klägerin in ihren Angaben vom 10.02.2011 an die Beklagte oder bei der Untersuchung durch Dr. Gr. behauptet, sind medizinisch nicht objektiviert. Bei der Untersuchung durch Dr. F. ergab die Ergometrie mit Abbruch bei der Belastung mit 75 Watt nach 2 min wegen thorakalem Druck und subjektiver Atemnot keine auskultierbare Spastik und keinen Abfall der Sauerstoffsättigung unter Belastung bei leistungsgerechtem Blutdruck und Herzfrequenzanstieg. Bei der arbeitsmedizinischen Untersuchung nach ERGOS im Januar 2011 ergab sich eine körperliche Belastungsfähigkeit der Klägerin bis für mittelschwere Tätigkeiten in wechselnder Körperhaltung, wobei die Klägerin bei einzelnen Übungsanordnungen Zeichen maximaler Kraftanstrengung, wie z.B. Muskelzittern, hat erkennen lassen. Bei keiner der Übungen ist das Auftreten von Atembeschwerden dokumentiert (arbeitsmedizinisches Gutachten vom 14.03.2011). Eine bronchiale Erkrankung mit Obstruktion der Atemwege ist nicht mit der jeden vernünftigen Zweifel ausschließenden, an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit vom Senat festzustellen.

Unter diesem Gesichtspunkt ist das von Dr. Gr. diagnostizierte RADS nicht geeignet, die Voraussetzungen der noch streitigen Berufskrankheit Nr. 4302 zu begründen, denn ausweislich den Ausführungen des Sachverständigen ist dieses Syndrom nicht zwingend mit einer Obstruktion der Atemwege verbunden. Dies stimmt mit den Erkenntnissen nach der unfallmedizinischen und arbeitsmedizinischen Literatur überein (vgl. stellvertretend Schönberger u. a., a.a.O., Nr. 17.13.4, Seite 1060). Danach ist selbst bei unterstellter sicherer Diagnose des RADS bei nicht sicher festzustellendem Ausprägungsgrad einer obstruktiven Atemwegserkrankung die Berufskrankheit Nr. 4302 nicht nachgewiesen.

Doch selbst wenn eine obstruktive Atemwegserkrankung in Form der unspezifischen Hyperreagibilität vorliegen würde, wäre der berufliche Zusammenhang nicht hinreichend wahrscheinlich. Soweit Dr. Gr. unter Bezugnahme auf das von ihm vorgelegte Positionspapier von Professor Dr. Br. und Professor Dr. M. die Diagnose eines RADS gestellt hat und das Syndrom durch die inhalative Belastung mit dem am Arbeitsplatz verwendeten Klebstoff verursacht sieht, ist dies für den Senat nicht überzeugend. Die im Positionspapier genannten Voraussetzungen für die Verursachung des Syndroms bei hoher Exposition gegenüber chemisch-irritativ oder toxisch wirkenden Stoffen im Sinne eines Inhalationstraumas, worauf Dr. Gr. letztlich abstellt, sind vom Sachverständigen weder überzeugend dargelegt noch ergibt sich dies aus den beigezogenen Akten. Hierauf hat das Sozialgericht im angefochtenen Urteil zutreffend verwiesen. Eine in einer einmaligen Tagesschicht aufgetretene besonders hohe Exposition, eine Bedingung des unfallgleichen Inhalationstraumas, gegenüber dem Schmelzkleber ist von der Klägerin weder substantiiert vorgetragen noch ist dies dem Bericht des Präventionsdienstes vom 28.06.2011 mit Ergänzungen vom 01.07.2011 zu entnehmen. Danach bestand eine sich bereits nach Sekunden verflüchtigende Wolke des erhitzten Schmelzklebers nur beim Öffnen des Schmelztiegels, der die Klägerin im 5 m entfernten Nachbararbeitsplatz nur bedingt ausgesetzt war. Ebenso wenig ist medizinisch dokumentiert, dass eine entsprechende krankheitswertige Reaktion binnen 24 Stunden nach der Exposition eingetreten ist. Außerdem kommt keinem der verwendeten Arbeitsstoffe chemisch-irritative oder toxische Wirkung zu, was der Präventionsdienst der Beklagten aufgrund seiner Sachkunde durch Auswertung der ihm vorliegenden Sicherheitsdatenblätter auch zur Überzeugung des Senats nachvollziehbar dargelegt hat.

Hinweise darauf, dass die - unterstellte - allgemeine unspezifische bronchiale Hyperreagibilität durch Einwirkungen am Arbeitsplatz wesentlich (mit-)verursacht wurde, hat der Senat ebenso wenig dem Gutachten von Dr. Gr. entnehmen können. Die bronchiale Hyperreagibilität bzw. Hyperreaktivität ist Teil der medizinischen Definition des Asthma bronchiale (Reichenhaller Empfehlung, Nr. 3.2.11), das schicksalhaft und berufsunabhängig auftreten kann. Ein besonderer beruflicher Zusammenhang ist aus den Angaben der Klägerin gerade nicht herzuleiten, denn bereits zu Beginn der Behandlung ihrer Atembeschwerden hat die Klägerin sie auf den Kontakt mit Waschmittel oder Putzmittel zurückgeführt, wie dem Arztbrief von Dr. F. vom 08.03.2010 zu entnehmen ist. Ein beruflicher Bezug wird darin nicht hergestellt. Auch nach den eigenen Angaben der Klägerin vom 10.02.2011 im Fragebogen der Beklagten werden neben den Einwirkungen am Arbeitsplatz auch Einwirkungen im häuslichen Bereich als Auslöser für Atembeschwerden verantwortlich gemacht. Genannt sind die auch im angefochtenen Bescheid angeführten Gerüche und Dämpfe, wie Fett-, Braten-, Kochdunst, Haar- und Körperspray, usw. Es spricht daher mehr dafür, dass die nicht chemisch-irritativ und nicht toxisch wirksamen Arbeitsstoffe, die nicht in atemwegsgefährdender Konzentration am Arbeitsplatz auftraten, ebenso wie außerberufliche Exposition gegenüber grundsätzlich nicht atemwegsreizenden Stoffen eine schicksalhaft erworbene Hyperreagibilität haben in Erscheinung treten lassen

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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