L 3 U 251/97

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 20 U 783/94
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 251/97
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 22.07.1997 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

I.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Verletztenrente wegen der Folgen des Ereignisses vom 17.06.1992 streitig.

Der am 1944 geborene Kläger ist von Beruf Schreinermeister und war zuletzt als Monteur bei der Firma U. S. , Möbel und Innenausbau in T. beschäftigt. Am 18.01.1993 zeigte die Firma S. einen Arbeitsunfall an. Beim Einpassen von Fensterbänken (Größe 400 x 35 cm) sei der Kläger am 17.06.1992 ausgerutscht und habe beim Nachfassen sofort im Rücken einen starken Schmerz verspürt. Er habe die Arbeit eingestellt und am Tag darauf den Arzt Dr.W. aufgesucht. Dieser habe ihn an den Radiologen Dr. B. überwiesen, der am 22.06.1992 eine Computertomographie - CT - anfertigte. Dabei habe sich ein Bandscheibenvorfall bei L5/S1 gezeigt. In der Zeit vom 30.08. bis 26.09.1992 unterzog sich der Kläger einem Heilverfahren in der R.klink. Eine durchgreifende Besserung konnte bei konservativer Behandlung nicht erzielt werden. In der Folgezeit wurde der Kläger von Dr.T. und Dr.A. behandelt. Die Beklagte nahm Ermittlungen auf. Im Leistungsverzeichnis der AOK war u.a. eine Behandlung des Klägers bei Dr.S. wegen eines Lendenwirbelsyndroms mit Arbeitsunfähigkeit in der Zeit vom 31.03. bis 10.04.1987 festgehalten. Aus einem Bericht von Dr. W. geht hervor, dass der Kläger nach dem streitigen Vorfall arbeitsunfähig war. Die Beklagte zog Röntgenbilder und Computertomographien bei und beauftragte Prof.Dr.W. , chirurgische Universitätsklinik Freiburg, mit der Erstattung eines Gutachtens. Am 23.03.1994 kam der Sachverständige, dem das CT vom 22.06.1992 (Dr. B.) und Röntgenbilder der Lendenwirbel- und Halswirbelsäule vom 14.01.1993 (Dr.T.) vorlagen, zum Ergebnis, beim Kläger habe, wie sich aus der Auskunft der AOK ersehen lasse, bereits 1987 ein Lendenwirbelsäulenleiden bestanden. Auf dem CT vom 22.06.1992 sei ein kleiner Bandscheibenprolaps bei L5/S1 zu erkennen; dieser sei eindeutig Folge des damals schon bestandenen degenerativen Wirbelsäulenleidens. Denn die Röntgenaufnahmen vom 14.01.1993 zeigten bereits erhebliche degenerative Veränderungen am unteren Ende der Lendenwirbelsäule im Sinne einer Osteochondrose, welche als Ursache der schon 1987 in Erscheinung getretenen Beschwerden und des in diesem Segment jetzt nachgewiesenen Bandscheibenvorfalls anzusehen seien. Es könne nicht mehr gesagt werden, ob es am 17.06.1992 bzw. schon früher oder sogar später zu dem Bandscheibenvorfall gekommen sei. Das Auftreten von Schmerzen beweise nicht den akuten Vorfall. In Anbetracht der erheblichen degenerativen Veränderungen hätte nach ärztlicher Erkenntnis auch bei jeder alltäglichen Bewegung ein Bandscheibenvorfall auftreten können. Das streitgegenständliche Ereignis sei nur eine unwesentliche Ursache (Gelegenheitsursache). Mit Bescheid vom 08.07.1994 lehnte die Beklagte die Gewährung von Leistungen aus Anlaß des Ereignisses vom 17.06.1992 ab. Im dagegen erhobenen Widerspruch brachte der Kläger vor, die beigezogenen Unterlagen seien lückenhaft; der von der Beklagten behauptete Vorschaden sei nicht nachgewiesen. Mit Bescheid vom 12.12.1994 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Dagegen hat der Kläger beim Sozialgericht München Klage erhoben und vorgetragen, die von der Beklagten behauptete Schadensanlage im Zeitpunkt des Unfalls sei nicht nachgewiesen. Der Unfallhergang sei grundsätzlich geeignet gewesen, einen Bandscheibenvorfall hervorzurufen. Er habe nämlich aus gebeugter Haltung nachgefaßt und sofort starke Schmerzen verspürt. Aber auch wenn man, wie die Beklagte meine, davon ausgehen wolle, es habe eine degenerative Anlage vorbestanden, so hätte geprüft werden müssen, ob es durch den streitgegenständlichen Unfall zu einer Verschlimmerung gekommen ist.

Das Sozialgericht hat einen Befundbericht von Dr.P. , bei dem der Kläger am 18.08.1988 und dann ab Dezember 1992 wegen Lendenwirbelsäulenbeschwerden in Behandlung gestanden hatte und der den Kläger am 13.09.1993 an Dr. G. überwiesen hatte, beigezogen sowie Befundberichte von Dr.W. , Dr.T. und Dr.A ... Es hat dann den Orthopäden Dr. S. (K.) mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. Am 01.12.1995 ist der Sachverständige zum Ergebnis gelangt, unter Auswertung der Röntgenaufnahmen von Dr.A. vom 28.03.1995 und dreier CT s von Dr.V. vom 21.03.1995 sowie des CT-Berichts von Dr. B. vom 23.06.1992 (CT vom 22.06.1992) sei der Schluß gerechtfertigt, dass der Unfallhergang nicht geeignet war, den Bandscheibenvorfall zu verursachen. Denn es hätten nur körpereigene Kräfte gewirkt und auf den Röntgenbilder kurz nach dem Unfall seien eindeutige degenerative Veränderungen zu erkennen, welche sich nicht in der kurzen Zeit dazwischen entwickeln konnten. Ein ursächlicher Zusammenhang komme nicht in Betracht. Der Kläger hat dagegen eingewandt, er sei vom 31.03. bis 10.04.1987 wegen einer Grippe in ärztlicher Behandlung bei Dr.D. gewesen und nicht wegen Wirbelsäulenbeschwerden bei Dr.S. ; von einem Vorschaden an der Wirbelsäule könne keine Rede sein. Das Sozialgericht hat daraufhin einen Bericht von Dr.D. und von Dr.S. eingeholt. Danach war der Kläger vom 31.03. bis 10.04.1987 wegen eines Lendenwirbelsyndroms arbeitsunfähig erkrankt und von Dr.S. behandelt worden. Der Kläger hat dagegen eingewandt, der Befundbericht von Dr. S. beweise nicht den Vorschaden, denn es sei nicht dokumentiert, an welchem Lendenwirbelkörper Schmerzen aufgetreten waren. Es sei nicht richtig, dass er im März 1987 arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei. Vielmehr habe er sich bei Dr.G. wegen Kniegelenksbeschwerden vorgestellt. Die Gutachter hätten die von diesem Arzt gefertigten Röntgenaufnahmen beiziehen sollen. Auf Antrag des Klägers (§ 109 Sozialgerichtsgesetz - SGG ) hat Dr.A. ein weiteres Gutachten erstattet. Er legte seiner Beurteilung das CT vom 21. März 1995 (Dr.V.), nicht jedoch das CT vom 22.06.1992 (Dr. B.) zu Grunde. Er ist zum Ergebnis gekommen, bei dem streitgegenständlichen Vorfall handle es sich nicht um eine austauschbare, alltägliche Verrichtung. Es bestehe ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Bandscheibenvorfall und dem Unfall. Ein Vorschaden sei nicht nachweisbar. Die unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit - MdE betrage 30 vH. Die Beklagte ist dieser Auffassung mit einer Stellungnahme ihres Beratungsarztes Dr.B. entgegengetreten. Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 22.07.1994 abgewiesen. Es ist den Gutachten von Prof.Dr.W. und Dr.S. gefolgt.

Dagegen hat der Kläger Berufung eingelegt und Prozeßkostenhilfe beantragt. Zur Begründung hat er vorgetragen, das Urteil des Sozialgerichts leide an gravierenden Mängeln. Es habe wesentliche tatsächliche Umstände nicht berücksichtigt, gehe von unzutreffenden Annahmen aus und habe Gutachten zugrundegelegt, die erhebliche fehlerhafte Feststellungen und Beweiswürdigungen enthielten. So sei ein Vorschaden nicht bewiesen, hingegen der Unfallablauf grundsätzlich geeignet gewesen, einen Bandscheibenvorfall hervorzurufen. Unmittelbar nach dem Unfall habe er Schmerzen verspürt; vor dem Unfall hätten keinerlei diesbezügliche Beschwerden bestanden. Zum Beweis dafür sei eine Auskunft des Dr.S. einzuholen. Es werde bestritten, dass Prof.Dr.W. Röntgenaufnahmen vom Januar 1993 vorgelegen hätten; der CT-Befund vom 22.06.1992 (Dr.B.) sei nicht berücksichtigt worden. Auch dem gerichtlichen Sachverständigen Dr.S. hätten wichtige Röntgenaufnahmen nicht vorgelegen. Zudem habe dieser ein lückenhaftes Aktenstudium betrieben. Es sei nämlich nicht richtig, dass er im März/April 1997 wegen Lendenwirbelsäulenbeschwerden in Behandlung bei Dr.S. gestanden habe. Der CT-Befund von Dr.B. beweise, dass es neben dem Bandscheibenvorfall bei L5/S1 noch zu einer Protrusion bei L4/5 gekommen sei. Richtig und zutreffend sei das Gutachten von Dr.A ...

Der Senat ist der Anregung des Klägers gefolgt und hat die Patientenkartei von Dr. S. und die auf dessen Veranlassung von Dr.G. am 31.03.1987 gefertigten Röntgenaufnahmen, die sich im Besitz des Klägers befanden und von diesem dem Senat vorgelegt worden sind, beigezogen. Daraus ergibt sich, dass der Kläger in der Zeit vom 31.03.1987 bis 10.04.1987 wegen eines Lendenwirbelsäulensyndroms arbeitsunfähig erkrankt war. Die vorgenannten Röntgenaufnahmen zeigen die Wirbelsäule. In seinem Arztbrief an Dr.S. vom 31.03.1987 beschreibt Dr.G. eine geringe Osteoporose der dargestellten Knochen, eine leichte Streckfehlhaltung des dorsolumbalen Übergangs, eine beginnende Osteochondrose L5/S1, eine geringe Spondylosis deformans der ventralen Wirbelkörperkanten von LWK 5 und eine geringe Spondylarthrose.

Den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe hat der Senat mit Beschluss vom 19.10.2000 mangels Aussicht auf Erfolg der Berufung zurückgewiesen.

Der Kläger beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts München vom 22.07.1997 sowie des Bescheids vom 08.07.1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.12.1994 zu verurteilen, ihm wegen der Folgen des Unfalls vom 17.06.1992 Verletztenrente nach einer MdE um 30 vH zugewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 22.07.1997 zurückzuweisen.

Im Übrigen wird gem. § 136 Abs. 2 SGG auf den Inhalt der Akte der Beklagten sowie der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

II.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 151 SGG), aber unbegründet.

Mit zutreffender Begründung hat das Sozialgericht dargelegt, dass dem Kläger kein Anspruch auf Entschädigung wegen des Ereignisses vom 17.06.1992 gemäß der im vorliegenden Rechtsstreit gem. § 212 des 7.Buchs des Sozialgesetzbuchs noch anzuwendenden Vorschriften der §§ 548, 580, 581 Reichsversicherungsordnung - RVO - zusteht. Es hat sich dabei auf die Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen Dr.S. sowie des Prof.Dr.W. , dessen Gutachten es im Urkundsbeweis verwertete, gestützt. Der Senat tritt dieser Auffassung bei und sieht insoweit zur Vermeidung von Wiederholungen gem. § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.

Hinsichtlich der Einwendungen des Klägers, ein Vorschaden, für den die Beklagte beweistpflichtig wäre, sei nicht nachgewiesen, ist ergänzend auf die vom Senat beigezogenen Behandlungsunterlagen des Dr.S. und den darin befindlichen Arztbrief von Dr.G. vom 31.3.1987 hinzuweisen. Die dort beschriebenen Befunde, nämlich eine beginnende Osteochondrose L5/S1, eine geringe Spondylosis deformans der ventralen Wirbelkörperkanten von LWK 5 sowie die geringe Spondylarthrose, sind eindeutige Zeichen einer zu diesem Zeitpunkt bereits vorhandenen degenerativen Veränderung im Lendenwirbelsäulenbereich. Dies kann der Senat ohne Einholung eines weiteren medizinischen Gutachtens feststellen. Denn im Lehrbuch "Arbeitsunfall und Berufskrankheit" von Schönberger/Mehrtens/Valentin, 6.Auflage, S.510 wird ausgeführt, dass eine Spondylosis, eine Randzackenbildung ist, eine Spondylarthrose arthrotische Veränderungen an den Wirbelgelenken sind, eine Osteochondrose auf eine Verschmälerung der Zwischenwirbelräume und eine Sklerosierung der Deckplatten auf Veränderungen i.S. eines krankhaften Prozesses an den Bandscheiben hindeuten. Dies beweist, dass bereits 1987 eine nicht unerhebliche degenerative Entwicklung sichtbar war. Wenn der Kläger meint, die Röntgenaufnahmen von Dr.T. vom 14.01.1993 sowie das CT von Dr.B. vom 22.06.1992 würden normale Verhältnisse an der Lendenwirbelsäule zeigen, bzw. nicht den Schluß auf degenerative Veränderungen in diesem Bereich zulassen, so ist ihm entgegenzuhalten, dass dies nicht zutrifft. Denn die Darstellung einer Verschmälerung des Bandscheibenraumes L5/S1 mit Sklerosierung der Abschlußplatten und die kleinen zipfeligen Osteophyten an der Vorderunterkante von LWK 5 können nur als Zeichen degenerativer Veränderungen aufgefaßt werden. Im übrigen wird klar erkennbar, dass die von Dr.T. beschriebenen Veränderungen im selben Bereich der Wirbelsäule zu finden sind, wie die von Dr.G. im vorgenannten Bericht vom 31.03.1987. Im Computertomogramm des Dr.B. vom 22.06.1992 wird im selben Segment eine Bandscheibenprotrusion beschrieben. Hingegen konnten weder von Dr.T. noch von Dr.B. Hinweise auf knöcherne Verletzungen festgestellt werden. Damit ist gesichert, dass beim Kläger bereits vor dem Vorfall vom 17.06.1992 krankhafte Veränderungen im Bereich der Lendenwirbelsäule abgelaufen waren, die nach medizinischer Kenntnis geeignet waren, auch bei alltäglichen Ereignissen zu einem Bandscheibenvorfall zu führen. Eines schweren traumatischen Ereignisses bedurfte es nicht. Wenn der Kläger meint, der Nachweis degenerativer Veränderungen im Röntgenbild reiche nicht aus, um einen Vorschaden, den die Beklagte zu beweisen hätte, zu belegen, so ist ihm entgegenzuhalten, dass isolierte Bandscheibenverletzungen extrem selten (etwa zu 3%) vorkommen (Schönberger/Mertens/Valentin a.a.O., S.490). Hingegen deuten osteochondrotische und spondylotische Veränderungen auf einen Prozeß hin, bei dem es allein durch alltägliche Verrichtungen zu einem Bandscheibenvorfall kommen kann. Somit wäre vom Kläger zu beweisen, dass der Vorgang vom 17.06.1992 wesentlich im Sinne der unfallversicherungsrechtlichen Kausallehre zu dem Vorfall geführt hat. Da eine Operation und damit verbunden eine histologische Untersuchung nicht stattgefunden haben, bleiben allein die klinischen und röntgenologischen Befunde. Diese reichen, wie die Sachverständigen Dr.S. und Prof.Dr.W. in gut nachvollziehbarer Weise dargelegt haben, nicht für die Annahme eines traumatischen Bandscheibenvorfalls aus. Mit der Frage, ob sich das vorbestandene degenerative Wirbelsäulenleiden durch den streitgegenständlichen Vorfall verschlimmert habe, hat sich das Sozialgericht bereits auseinandergesetzt. Der Senat stimmt den dortigen Ausführungen zu und nimmt insoweit gem. § 153 Abs. 2 SGG Bezug. Damit steht fest, dass der Kläger unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt einen Anspruch auf Entschädigung wegen etwaiger Folgen des Ereignisses vom 17.06.1992 gegenüber der Beklagten geltend machen kann. Seine Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 22.07.1994 war daher zurückzuweisen mit der Kostenfolge aus § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da keine Gründe im Sinne des §§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG erkennbar sind.
Rechtskraft
Aus
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