L 18 U 252/96

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 2 U 164/95
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 18 U 252/96
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 27.06.1996 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt wegen der Folgen des Arbeitsunfalles vom 07.02.1994 Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um mindestens 20 vH.

Der am ...1959 geborene Kläger war am 07.02.1994 beim Verlegen einer Lüftungsanlage aus ca drei Metern Höhe durch ein Flachdach gefallen. Der Durchgangsarzt PD Dr.H.-W.St ... diagostizierte im Arztbericht vom 07.02.1994 eine ausgedehnte Schädelfraktur mit epiduralem Hämatom links parietofrontal, einen V.a. Wirbelkörpervorderkantenimpression Th 8, eine Kopfschwartenverletzung und Schürfungen.

Nach Begutachtungen durch den Chirurgen Dr.M.Sch ... (Gutachten vom 11.11.1994/18.03.1995), den Nervenarzt Prof. Dr.Th.G ... (Gutachten vom 17.02.1995) und den HNO-Arzt Prof. Dr.J.T ... (Gutachten vom 06.03.1995) anerkannte die Beklagte mit Bescheid vom 24.03.1995 als Folgen des Arbeitsunfalles mit einer MdE von 10 vH: Operativ versorgter Schädelbruch mit Einblutung in die harte Hirnhaut, Bruch des Brustbeines, Milzeinblutung und Kopfschwartenverletzung nach Berührungsempfindungsstörungen im Bereich der Narbe im Stirnscheitelbereich sowie am Hinterkopf links, Geruchs- und Geschmacksstörungen, verbunden mit einer unangenehmen Geruchswahrnehmung und hierdurch bedingten Beeinträchtigungen des Geschmacksempfindens, leichtgradige Kopfschmerzen.

Den Bruch des Brustbeins, die Milzeinblutung und die Kopfschwartenverletzung erachtete die Beklagte als folgenlos ausgeheilt. Den ursprünglich geäußerten Verdacht auf einen Bruch des achten Brustwirbelkörpers schloss sie im Hinblick auf mehrfache Spezialuntersuchungen aus.

Im Widerspruchsverfahren gab der Kläger an, unter permanenten Kopfschmerzen und massiven Schlafstörungen sowie starken Geschmacks- und Geruchsstörungen zu leiden. Außerdem machte er Verletzungen an der rechten Schulter und am Rücken sowie Beschwerden im Lendenwirbelbereich als weitere Unfallfolgen geltend und begehrte die Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 50 vH. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 21.06.1995 zurück und hielt die Unfallfolgen durch die von ihr gehörten Gutachter für zutreffend erfasst und bewertet.

Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Nürnberg hat der Kläger die Gewährung einer Rente nach einer MdE um mind 20 vH begehrt und hilfsweise beantragt, den Sachverhalt durch Einholung eines orthopädischen Gutachtens weiter aufzuklären. Das SG hat von dem praktischen Arzt Dr.H.M ... einen Befundbericht vom 28.09.1995 beigezogen und den Nervenarzt Dr.G.A.Z ... mit Gutachten vom 09.04.1996 gehört. Dieser hat die verbliebenen Unfallfolgen ab 01.09.1994 ebenfalls lediglich mit einer MdE von 10 vH bewertet. Er ist ua davon ausgegangen, dass die vom Kläger angegebenen Beschwerden im Rücken beim Sitzen, Stehen und Gehen ihre Ursache nicht in einem Wirbelsäulen-Trauma haben, sondern teils degenerativer Natur sind, teils auf einen alten Morbus Scheuermann zurückzuführen sind. Das SG ist diesem Gutachten gefolgt und hat die Klage mit Urteil vom 27.06.1996 abgewiesen. Einen Anlass zur Einholung eines orthopädischen Gutachtens hat es nicht gesehen, da seiner Auffassung nach der Sachverhalt hinreichend aufgeklärt war.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt und wegen seiner Rückenbeschwerden und der Schädelverletzung die Gewährung einer Verletztenrente in Höhe von mind 20 vH der Vollrente begehrt. Der Senat hat medizinische Unterlagen über den Kläger beigezogen (neurologisch-psychiatrisches Gutachten des Dr.J.D ... vom 15.11.1996 und Entlassungsbericht der Klinik R ... vom 20.08.1996, beide erstellt für die Landesversicherungsanstalt Oberfranken- und Mittelfranken; Entlassungsbericht des Reha-Zentrums Klinik B ... vom 02.08.1994; Krankengeschichte des Krankenhauses Ru ..., Orthopädische Klinik, über einen stationären Aufenthalt vom 04.07. bis 18.07.1995; Behandlungsunterlagen des Kreiskrankenhauses W ..., Chirurgische Abteilung; Befundbericht des Orthopäden Dr.E.B ... vom 10.07.1997) und von dem Facharzt für Chirurgie Dr.W.H ... ein Gutachten vom 16.10.1997 eingeholt. Dieser hat auf seinem Fachgebiet keine MdE feststellen können und - wie der Beklagte - darauf hingewiesen, dass sich der ursprüngliche Verdacht auf einen Bruch des achten Brustwirbelkörpers nicht bestätigt habe.

Der Senat hat des Weiteren den Leitenden Oberarzt Dr.D.L ... und den Dipl.-Psychologen S.Lauber gehört (neurologisch-psychiatrisches Gutachten vom 05.03.1998/07.10.1998 und psychologisches Zusatzgutachten vom 18.03.1998). Dr.D.L ... hat für die beim Kläger eingetretene Hirnschädigung mit geringer Leistungsbeeinträchtigung eine MdE von 20 vH angesetzt und einer für die Beklagte erstellten Stellungnahme des Prof. Dr.Th.G ... vom 15.06.1998 widersprochen, wonach der Kläger nur eine sehr leichte hirnkontusionelle Schädigung erlitten habe.

Der vom Senat gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gehörte Orthopäde Dr.A.W ... hat in seinem Gutachten vom 11.05.1999 keine weiteren Unfallfolgen auf seinem Fachgebiet festgestellt und die MdE - wie Dr.D.L ... - auf 20 vH geschätzt.

In einer beim Kläger durchgeführten Kernspintomographie des Schädels vom 10.04.2000 konnte keine schwere morphologische Beeinträchtigung des Gehirns iS von Narbenbildungen festgestellt werden (Stellungnahme des Dr.D.L ... vom 20.10.2000). Dr.D.L ... hat das Kopfschmerzsyndrom auf meningiale Verklebungen zurückgeführt, die jedoch durch ein Kernspintomogramm weder festgestellt noch ausgeschlossen werden könnten. Er hat deshalb - trotz des im Ergebnis negativen kernspintomographischen Befundes - an einer MdE von 20 vH für das Kopfschmerzsyndrom festgehalten. Demgegenüber hat Prof. Dr.Th.G ... darauf hingewiesen, dass eine kontusionelle Schädigung des Gehirns nicht nachgewiesen sei (Stellungnahme vom 23.11.2000) und die Kopfschmerzen mit einer MdE von 10 vH angemessen bewertet seien.

Der den Kläger behandelnde Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr.Th.Ma ... geht in seinem Arztbrief vom 15.07.1999 von einem leichtgradigen pseudo-neurasthenischen hirnorganischen Syndrom aus.

Der Bevollmächtigte des Klägers beantragt, das Urteil des SG Nürnberg vom 27.06.1996 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung ihres Bescheides vom 24.03.1995 idF des Widerspruchsbescheides vom 21.06.1995 zu verurteilen, dem Kläger Verletztenrente nach einer MdE um 20 vH zu gewähren.

Der Bevollmächtigte der Beklagten beantragt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Nürnberg vom 27.06.1996 zurückzuweisen.

Ergänzend zum Sachverhalt wird auf die Unfallakte der Beklagten, die Schwerbehindertenakte des Klägers, die Akte des SG Nürnberg S 6 RJ 979/97, des Bayer. Landessozialgerichts L 19 RJ 596/98 und die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig, in der Sache aber nicht begründet.

Das SG hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat wegen des Arbeitsunfalles vom 07.02.1994 keinen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente, da ab Ende der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit (17.03.1995) keine entschädigungspflichtigen Folgen mehr vorliegen.

Vorliegend sind noch die Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO) anzuwenden, da sich das zu beurteilende Ereignis vor dem 01.01.1997 ereignet hat (Art 36 des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes § 212 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - SGB VII -).

Ein Anspruch auf Verletztenrente setzt nach § 581 Abs 1 Nr 2 RVO voraus, dass die Erwerbsfähigkeit des Klägers in Folge des Arbeitsunfalles um wenigstens 20 vH gemindert ist. Die als Folge des Arbeitsunfalles anerkannten leichtgradigen Kopfschmerzen sind mit einer MdE von 10 vH angemessen bewertet. Weitere Unfallfolgen, die eine höhere MdE rechtfertigen würden, liegen nicht vor.

Eine Gesundheitsstörung ist als Folge eines Arbeitsunfalles ua dann anzuerkennen, wenn zwischen dem Unfall und der Gesundheitsstörung ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Ein solcher liegt nach dem in der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Kausalitätsbegriff nur dann vor, wenn das Unfallereignis mit Wahrscheinlichkeit wesentlich die Entstehung oder Verschlimmerung eines Gesundheitsschadens bewirkt hat (BSGE 1, 72, 76; 12, 242, 245; 38, 127, 129; Bereiter-Hahn/Schieke/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, 4.Aufl, Anm 3, 3.4 zu § 548 RVO).

Diese Voraussetzungen sind für die vom Kläger geltend gemachten Rückenbeschwerden nicht erfüllt. Folgen des Arbeitsunfalles auf chirurgisch-orthopädischem Gebiet liegen nämlich nicht vor. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus dem vom der Beklagten eingeholten Gutachten des Chirurgen Dr.M.Sch ... vom 11.11.1994 sowie den vom Senat eingeholten Gutachten des Chirurgen Dr.W.H ... vom 16.10.1997 und des Orthopäden Dr.A.W ... vom 11.05.1999. Nach übereinstimmender Ansicht dieser Gutachter ist die Fraktur des Brustbeins folgenlos verheilt und hat eine Fraktur des achten Brustwirbelkörpers nicht stattgefunden. Typische Bruchfolgen des achten Brustwirbelkörpers waren weder in der Computertomographie noch auf Röntgenaufnahmen erkennbar. Bei den Beschwerden des Klägers handelt es sich um typische Veränderungen iS einer abgelaufenen Scheuermann sche Erkrankung mit entsprechenden Veränderungen der Deckplatten und keilförmiger Verformung der Brustwirbelkörper im mittleren Bereich. Die von dem praktischen Arzt Dr.H.M ... im Befundbericht vom 28.09.1995 diagnostizierte Bandscheibenvorwölbung bei L5/S1 stellt ebenfalls keine Unfallfolge dar. Der Sachverständige der ersten Instanz, Dr.E.A.Z ... hat in seinem Gutachten vom 09.04.1996 die Bandscheibenvorwölbung eindeutig für degenerativ gehalten bzw auf einen alten Morbus Scheuermann zurückgeführt. Ebenso hat der vom Senat gehörte Neurologe Dr.D.L ... die schweren degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule nicht ursächlich auf das Unfallereignis zurückgeführt. Bei seiner Untersuchung zeigten sich im Lendenwirbelsäueln-Bereich keine umschriebenen neurologischen Störungen, insbesondere keine Paresen, keine Reflexdifferenzen und keine Sensibilitätsstörungen.

Der Sturz des Klägers auf den Kopf hat Unfallfolgen hinterlassen, die aber lediglich eine MdE von 10 vH rechtfertigen. Eine höhere MdE lässt sich hierfür nicht annehmen, da nach dem kernspintomographischen Befund vom 10.04.2000 eine kontusionelle Schädigung des Gehirns nicht nachgewiesen ist und hirnorganische Ausfallserscheinungen nicht bestehen. Im Kernspintomogramm zeigten sich lediglich eine leichte Ausdehnung der Schädelkalotte frontal links, wohl als Restzustand nach gedeckter Trepanation sowie unspezifische kleine punktförmige Signalstörungen des frontalen und parietalen Marklagers beidseits in Kortexnähe. Prof. Dr.Th.G ... weist in seiner den Senat überzeugenden Stellungnahme vom 23.11.2000 darauf hin, dass dieser Befund eine sehr leichte bis leichte hirnkontusionelle Schädigung nicht ausschließt, eine stärkergradige hirnkontusionelle Schädigung aber unwahrscheinlich ist.

Nach den übereinstimmenden Feststellungen aller gehörten Sachverständigen auf nervenärztlichem Gebiet (Prof. Dr.Th.G ..., Gutachten vom 07.02.1995; Dr.T.A.Z ..., Gutachten vom 09.04.1996; Dr.D.L ..., Gutachten vom 05.03.1998) bestehen beim Kläger keine hirnorganischen Ausfallserscheinungen. Eine organische Wesensänderung äußert sich in Antriebs-, Affekt- und Triebstörungen und betrifft das Gedächtnis, Denken, Orientierung, Auffassung, Rechnen, Lernfähigkeit, Sprache und Urteilsvermögen (Schönberger-Mehrtens-Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 6.Aufl, S 315). Die umfangreiche von Dr.D.L ... durchgeführt neuropsychologische Testung ergab keine Hinweise auf solche Störungen. Der Kläger leidet lediglich - von allen Sachverständigen unbestritten - an Kopfschmerzen, bedingt durch einen meningealen Reizzustand in Folge des Schädel-Hirn-Traumas. Die dadurch ausgelöste chronische Kopfschmerzsymptomatik iS eines chronisch-neurasthenischen Syndroms ist mit einer MdE mit 10 vH aber ausreichend bewertet. Kopfschmerzen ohne zusätzliche hirnorganische Ausfallserscheinungen bewirken nämlich in der Regel keine dauernde MdE (aaO S 315). Zwar bleibt die Einschätzung von Schmerzen letztlich einem Ermessensspielraum unterworfen, worauf auch Prof. Dr.Th.G ... in seiner Stellungnahme vom 23.11.2000 hinweist. Der Senat vermag aber dem Sachverständigen Dr.D.L ..., der das chronisch-neuroasthenische Syndrom mit einer MdE von 20 vH bewertet, nicht zu folgen, da nach Auffassung aller Vorgutachter nur eine geringe Residualstörung zurückgeblieben ist. Auch das nunmehrige tatsächliche Leistungsvermögen des Klägers spricht gegen eine MdE in Höhe von 20 vH durch die Unfallfolgen. So hat der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr.W.F ... in seinem für den 19. Senat des Bayer. Landessozialgerichts erstatteten Fachgutachten vom 02.05.2000 (Rechtstreit L 19 RJ 596/98) nur sehr diskrete Leistungsdefizite aufgrund der Schädel-Hirn-Verletzung festgestellt und den Kläger für fähig erachtet, vollschichtig zu arbeiten. Diese Einschätzung des Leistungsvermögens ist für den Senat nachvollziehbar, da der Kläger seit Juni 2000 für sechs bis acht Stunden täglich als Kurierfahrer beschäftigt ist. Schließlich sieht auch der behandelnde Neurologe und Psychiater Dr.Th.Mü ... das hirnorganische Syndrom des Klägers nur als leichtgradig an.

Die weitere Unfallfolge "Geruchs- und Geschmacksstörungen" ist entsprechend den Feststellungen des vom Beklagten gehörten Prof. Dr.J.T ... und des Sachverständigen der 1. Instanz Dr.E.A.Z ... lediglich mit einer MdE von weniger als 10 vH zu bewerten, so dass sich auch unter Berücksichtigung dieser Unfallfolge keine rentenberechtigende MdE ergibt. Dr.E.A.Z ... hat sich als Nervenarzt in seinem Gutachten vom 09.04.1996 in zulässiger Weise auch mit dieser Schädigung befasst, da die Riech- und Geschmacksstörungen vorliegend auf einer Schädigung des Riech- oder Geschmacksnerven oder den entsprechenden Hirnzentren beruhen und es nicht zu peripheren Schädigungen an der Nase oder im Mundbereich gekommen ist. Der Kläger hat bei dieser Untersuchung sein Geschmacksempfinden für "in Ordnung" befunden und lediglich über Störungen seines Geruchssinns geklagt. Im Gutachten des Dr.W.F ... wird ebenfalls von einem normalen Geschmacksempfinden berichtet und der vom Senat gehörte Dr.D.L ... hält die Geruchs- und Geschmacksstörungen nicht für eine "relevante unfallbedingte Begleiterkrankung".

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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