L 17 U 272/99

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 11 U 95/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 17 U 272/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 19.05.1999 aufgehoben und die Klagen gegen den Bescheid vom 07.08.1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20.02.1998 und den Bescheid vom 19.08.1998 werden abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Beklagte dem Kläger zu Recht die Verletztenrente wegen eingetretener Besserung entzogen hat.

Der am ...1940 geborene Kläger, von Beruf Stukkateur, erlitt am 05.11.1991 einen Arbeitsunfall, als er den verstopften Schlauch an einer Putzmaschine löste und ihm dabei ein Kalk-Zement-Gemisch in das linke Auge spritzte. Er erlitt eine schwere Bindehaut- und Hornhautverletzung durch Kalk- und Zementverätzung. Die Sehschärfe betrug nur noch 0,5 Dioptrien (dpt) [Augenarztbericht des Prof.Dr.G ..., Oberarzt der Universitäts-Augenklinik Würzburg vom 05.11.1991]. Dieser Visus des linken Auges verschlechterte sich bis auf 0,1 dpt und stieg bei vorübergehender parzieller Erholung nicht über 0,3 dpt (Bericht des Prof.Dr.D ... vom 18.09.1992).

Im von der Beklagten veranlassten ersten Rentengutachten des Dr.R ... vom 14.09.1993 stellte dieser Arzt die Sehschärfe rechts mit 1,0 dpt und links mit 0,1 dpt fest und diagnostizierte den Ausfall des räumlichen Sehens. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) bewertete er für die Zeit nach Eintritt der Arbeitsfähigkeit mit 25 vH, ab den Zeitpunkt seiner Untersuchung am 07.09.1993 bis zur Beendigung des zweiten Jahres nach dem Unfall mit 20 vH.

Die Beklagte zog eine Auskunft des Arbeitgebers, der Firma Anton Fuchs (Eisingen) vom 07.10.1993 bei (Arbeitsaufnahme des Klägers am 11.12.1991) und holte eine Stellungnahme nach Aktenlage des Augenarztes Dr.F ... (Nürnberg) vom 28.10.1993/ 14.01.1994 ein, der die MdE mit 20 vH bewertete. Mit Bescheid vom 17.02.1994 erkannte die Beklagte eine hochgradige Sehminderung am linken Auge durch zentrale Hornhautnarbe als Unfallfolge an und gewährte Verletztenrente nach einer MdE um 20 vH.

Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts holte die Beklagte Gutachten des Dr.R ... vom 16.05.1995, des Prof.Dr.G ... (Direktor der Universitätsklinik und Poliklinik für Augenkranke der Universität Würzburg) vom 08.12.1995 und des Augenarztes Dr.B ... (Nürnberg) vom 25.06.1996 ein. Dr.R ... beurteilte die Sehleistung links mit 0,4 dpt und verneinte die Fähigkeit zum räumlichen Sehen. Die MdE bewertete er weiterhin mit 20 vH. Prof.G ... stellte auf dem linken Auge eine vermehrte Blendungsempfindlichkeit und ein herabgesetztes Dämmerungssehen fest. Die Sehschärfe ermittelte er mit 0,3 dpt (fern und nah) und hielt ein räumliches Sehen wieder für gegeben. Die MdE bewertete er wegen Minderung der Sehschärfe und vermehrtem Blendungsempfinden mit 15 vH. Dr.B ... nahm in seinem Gutachten nach Aktenlage entsprechend den Empfehlungen der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft (DOG) nur noch eine MdE von 10 vH an.

Nach Anhörung des Klägers entzog die Beklagte mit Bescheid vom 07.08.1996 die Rente ab 01.10.1996, weil eine Besserung des Sehvermögens links bei voller Funktion des rechten Auges eingetreten sei und sich wieder ein normales räumliches Sehvermögen eingestellt habe. Die MdE betrage jetzt weniger als 20 vH. Den Widerspruch des Klägers, der geltend machte, subjektiv hätten sich die Beschwerden nicht gebessert und ein Attest des Dr.R ... vom 01.08.1996 vorlegte (Visus links 0,3 dpt), wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20.02.1998 zurück.

Dagegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht (SG) Würzburg erhoben und beantragt, den Bescheid vom 07.08.1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 20.02.1998 aufzuheben. Zur Begründung hat er vorgetragen, es sei keineswegs eine deutliche Besserung des Sehvermögens erreicht worden. Auf dem rechten Auge bestehe keine volle Sehschärfe, sodass sich die Sehbehinderung links in besonderem Maße negativ auswirke.

Das SG hat nach Beiziehung eines Befundberichts des Dr.R ... vom 21.10.1998 ein Gutachten des Dr.P ... (Würzburg) vom 07.12.1998 eingeholt. Dieser hat links eine Sehschärfe in der Ferne und Nähe von 0,3 dpt, eine erhöhte Blendungsempfindlichkeit und fehlendes Stereosehen festgestellt. Die von Prof.G ... vorgenommene Bewertung der MdE mit 15 vH hat er wegen Visusverminderung, erhöhter Blendungsempfindlichkeit und fehlendem Stereosehen für zutreffend gehalten. Der Kläger hat eine Stellungnahme des Dr.R ... vom 11.01.1999 vorgelegt, der ebenfalls vorschlug, den unfallbedingten Visusverlust mit einer MdE von 15 vH zu bewerten.

Mit Urteil vom 19.05.1999 hat das SG entsprechend dem Antrag des Klägers den Bescheid vom 07.08.1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20.02.1998 aufgehoben. Zur Begründung hat es ausgeführt, bereits 1992 habe die Sehschärfe links 0,3 dpt betragen. Dieser Visus sei jetzt vom Sachverständigen Dr.P ... bestätigt worden, sodass sich keine Änderung gegenüber früher ergeben habe. Damit könne es dahingestellt bleiben, mit welcher MdE der Gesundheitszustand des Klägers zu bewerten sei.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt und zur Begründung ausgeführt: Für den Ausgangsbescheid vom 17.02.1994 sei das Gutachten des Dr.R ... vom 14.09.1993, basierend auf der Untersuchung vom 07.09.1993, maßgeblich gewesen, wonach sich links ein Visus von 0,1 dpt mit fehlendem räumlichen Sehen ergeben habe. Da Schwankungen in der Sehschärfe vorgelegen hätten, beweise der Befundbericht der Universitäts-Augenklinik Würzburg vom 18.09.1992 nicht, dass Dr.R ... den Visus von 0,1 dpt fehlerhaft festgestellt habe. Bei voller Sehkraft rechts habe der Visus links einer MdE von 20 vH entsprochen. Im Zeitpunkt des Erlasses des Entziehungsbescheides sei es aber nachweislich zu einer Besserung mit einem Visus von 0,3 dpt gekommen. Diese Sehstärke entspreche einer MdE von 10 vH, wobei erhöhte Blendungsempfindlichkeit und der Verlust des räumlichen Sehens bereits in der Bewertung enthalten seien.

Der Senat hat Befundberichte des Dr.R ... vom 29.08.2000/ 26.09.2000 beigezogen.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 19.05.1999 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 19.05.1999 zurückzuweisen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird ergänzend Bezug genommen auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten, des AVF Würzburg sowie der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist zulässig und in der Sache auch begründet (§§ 143, 144, 151 SGG). Das SG hat den Bescheid der Beklagten vom 07.08.1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 20.02.1998 zu Unrecht aufgehoben, denn in den im Bescheid vom 17.02.1994 anerkannten Unfallfolgen des Klägers ist eine wesentliche Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) eingetreten.

Anzuwenden sind im vorliegenden Fall noch die Vorschriften der Reichsversicherungsordnung (RVO), da sich das zu beurteilende Ereignis noch vor dem 01.01.1997 ereignet hat (Art 36 des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes, § 212 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung ).

Soweit in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt nach § 48 Abs 1 SGB X mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Die Feststellung einer wesentlichen Änderung erfordert einen Vergleich zwischen den objektiven medizinischen Verhältnissen im Zeitpunkt der letzten rechtsverbindlich geworden Feststellung und dem Zustand bei der Neufeststellung. Als Vergleichsgutachten sind dabei die Befunde heranzuziehen, die dem letzten rechtsverbindlich gewordenen Feststellungsbescheid zugrunde lagen. Eine wesentliche, dh rechtserhebliche Änderung liegt aber nur dann vor, wenn unter den nunmehr objektiv vorliegenden Verhältnissen sich die MdE um mehr als 5 vH vermindert oder erhöht (Bereiter-Hahn/Schiecke/Mehrtens, Gesetzliche Unfallversicherung, § 48 SGB X Anm 4; Kasseler Kommentar - Steinwedel - § 48 SGB X RdNr 19).

Das von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts entwickelte und jetzt in § 73 Abs 3 SGB VII ausdrücklich dokumentierte Erfordernis für eine wesentliche Änderung liegt bei dem Kläger vor. Die Beklagte hat daher den Bescheid vom 07.08.1996 zu Recht erlassen.

Nach dem dem Bescheid vom 17.02.1994 zugrunde liegenden Gutachten des Dr.R ... vom 14.09.1993 bestanden bei dem Kläger seinerzeit als Folgen des Unfalls vom 05.11.1991 durch Kalk-Zement-Verätzung des linken Auges entstandene zentrale Hornhautnarben, die das Sehvermögen wesentlich beeinflussten. So war die Sehleistung des linken Auges auf 0,1 dpt reduziert; eine Korrektur brachte keine Besserung. Durch das schlechte Sehvermögen links war ein räumliches Sehen nicht möglich. Der Visus des linken Auges hatte sich nach dem Unfall trotz der Behandlung in der Universitäts-Augenklinik Würzburg zunächst von 0,5 auf 0,1 dpt verschlechtert, stieg aber vorübergehend infolge partieller Erholung wieder bis auf 0,3 dpt (Befund der Universitäts-Augenklinik Würzburg vom 15.06.1992). Hierbei handelte es sich jedoch noch nicht um einen Dauerwert. Das Sehvermögen war vielmehr auch danach noch geraume Zeit Schwankungen unterworfen. Dies zeigen die nach dem 15.06.1992 erhobenen augenärztlichen Befunde. So hat Dr.R ... vom 21.07.1992 bis 16.05.1995 immer wieder unterschiedliche Sehschärfen (0,08, 0,05, 0,1, 0,3 p, 0,1, 0,4 dpt) gemessen. Erst ab 26.10.1995 trat in der Sehschärfe des linken Auges keine Änderung mehr ein. Sowohl Prof.G ... als auch Dr.R ... und Dr.P ... ermittelten jetzt im Zeitraum bis 04.07.2000 übereinstimmend einen konstanten Wert von 0,3 dpt. Es ist somit frühestens ab 26.10.1995 von einem stabilen Visus auf dem linken Auge auszugehen. Erst ab diesem Zeitpunkt war damit eine Besserung in den Befunden, die dem Bescheid vom 17.02.1994 zugrunde lagen, nachgewiesen. Diese Besserung stellte eine wesentliche Änderung im Sinne des § 48 SGB X dar, die es rechtfertigte, die MdE ab 01.10.1996 mit weniger als 20 vH zu bewerten.

Den Auffassungen des Dr.R ... im zweiten Gutachten vom 16.05.1995, der weiterhin eine MdE von 20 vH angenommen, und des Prof.G ..., der die MdE mit 15 vH bewertet hat, schließt sich der Senat nicht an. Dr.R ... hat seine Einschätzung der MdE mit einer Sehschärfe von 0,4 dpt auf dem linken Auge und dem Wegfall des räumlichen Sehens begründet. Dieser Bewertung kann schon deshalb nicht gefolgt werden, weil eine Sehschärfe von 0,4/1,0 nach der Sehschärfentabelle 1981 (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 6. Auflage, 1998 Seite 352) lediglich eine MdE von 5 vH bedeuten würde. Der Verlust des räumlichen Sehens kann sich nicht MdE-erhöhend auswirken, da dieser sowie ein vermehrtes Blendungsempfinden bereits in der Sehschärfentabelle 1981 enthalten ist (Schönberger aaO Seite 353). Die von Dr.R ... ab 26.10.1995 festgestellte und von Dr.P ... und Prof.G ... anschließend bestätigte Sehschärfe von 0,3/1,0 dpt bedingt nach der Sehschärfentabelle lediglich eine MdE von 10 vH. Die von Prof.G ... erwähnten Reizzustände des verletzten Auges können allein eine höhere MdE nicht rechtfertigen, was sich bereits daraus ergibt, dass ein erhebliches Beschwerdebild nicht vorliegt. So kommt Prof.G ... erst zusammen mit dem vermehrten Blendungsempfinden zu einer MdE von 15 vH. Dr.B ... hat bei der nachgewiesenen schrittweisen Verbesserung des Sehvermögens links eine MdE von 15 vH als obere Grenze bezeichnet, wobei er allerdings - ebenfalls unzulässigerweise - eine erhöhte Blendungsempfindlichkeit MdE-erhöhend berücksichtigt hat. Dr.P ... nimmt eine MdE von 15 vH an und berücksichtigt ebenfalls Blendungsempfindlichkeit und deutlich gemindertes Stereosehen unzutreffend MdE-steigernd. Auch Dr.R ... (Stellungnahme vom 11.01.1999) erhöht den Tabellenwert von 10 vH fehlerhaft wegen Blendungsempfindlichkeit.

Es ergibt sich somit, dass bei den im Bescheid vom 17.02.1994 anerkannten Unfallfolgen eine wesentliche Änderung im Sinne einer Besserung eingetreten ist. Die noch bestehenden Unfallfolgen sind nicht mehr mit 20 vH, sondern mit 10 vH zu bewerten. Damit liegt eine wesentliche Änderung im Sinne des § 48 SGB X vor.

Auf die Berufung der Beklagten war daher das Urteil des SG Würzburg vom 19.05.1999 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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