Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 9 KR 329/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 3533/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts M. vom 16. Juli 2012 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten streitig ist die Frage, ob die Klägerin einen Anspruch auf Versorgung mit Implantaten im Oberkiefer hat. Die 1940 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich versichert.
Die Klägerin leidet seit 1979 an einer dystonen Bewegungsstörung (segmentale Dystonie), dem sogenannten Meige-Syndrom mit zervikaler Dystonie. Hierbei kommt es zu häufigen, nicht willentlich beeinflussbaren muskulär-tonischen Anspannungen und Fehlfunktionen in der Gesichts-, Mund-, Hals-, Kau- und Schultermuskulatur mit ruckartigen spastischen unwillkürlichen Bewegungen. Wegen der Dystonie sind alle denkbaren therapeutischen Maßnahmen in Erwägung gezogen oder durchgeführt worden. Es liegt außerdem eine Hypertonie vor. Aufgrund der Nebenwirkungen der Medikamente kam es mehrfach zu psychiatrischen Störungen. Eine Episode eines Medikamentenentzugs ging mit einer stationären Behandlung in der psychiatrischen Universitäts-Klinik H. über 4 Monate einher. Im Jahr 2007 gingen die letzten Zähne im Unterkiefer verloren. Von der Beklagten wurde seinerzeit die Ausnahmeindikation zur implantat-prothetischen Versorgung anerkannt. Im Oberkiefer war die Klägerin über Jahre hinweg nur noch teilbezahnt. Im Jahr 2009 mussten dann die letzten, ihre Prothese noch stützenden Zähne im Oberkiefer entfernt werden, so dass am 14.05.2009 von dem behandelnden Zahnarzt, Herrn Dr. K, die Oberkieferprothese in eine Totalprothese umgewandelt werden musste.
Mit Schreiben an die Beklagte vom 21.09.2009 beantragte der behandelnde Zahnarzt Dr. K., M., vier Implantate für den Oberkiefer, da die im Mai 2009 eingebrachte Totalprothese aufgrund des neurologischen Leidens der Klägerin häufig ausgehebelt werde. Er legte einen Heil- und Kostenplan vor (Bl. 3 Verwaltungsakte).
Die Beklagte veranlasste eine gutachterliche Stellungnahme nach Aktenlage durch den Zahnarzt Dr. G., M., der unter dem 25.06.2010 (Bl. 14 Verwaltungsakte) ausführte, dass der vorliegende Behandlungsplan zwar eine sinnvolle Therapie und die geplante Behandlung eine aus zahnmedizinischer Sicht notwendige Behandlungsmaßnahme zur Wiederherstellung einer ausreichenden Prothesenfunktion darstelle, jedoch nicht die gesetzlich geforderten Voraussetzungen einer seltenen Ausnahmeindikation erfülle. Das hierin liegende Dilemma lasse sich im sozialmedizinischen Gutachten nicht lösen.
Mit Bescheid vom 11.11.2010 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme für implantologische Leistungen ab. Eine Ausnahmeindikation zur implantat-prothetischen Versorgung nach den einschlägigen Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses liege nicht vor.
Am 7.2.2011 beantragte die Klägerin, diese Entscheidung unter Hinweis auf § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zu überprüfen. Die Beklagte lehnte dies zunächst ab (Bl 23 Verwaltungsakte). Mit Schreiben vom 11.08.2011 wies die Klägerin nochmals auf § 44 SGB X hin. Hierauf lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 02.09.2011 (Bl 25 Verwaltungsakte) eine Rücknahme des Bescheids vom 11.10.2011 ab, da bei der Entscheidung von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen und das Recht zutreffend angewandt worden sei.
Der hiergegen am 26.09.2011 erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 19.01.2012 (Bl 28 Verwaltungsakte) als unbegründet zurückgewiesen. Eine Indikation für eine Implantatversorgung komme nach der maßgeblichen Richtlinie des gemeinsamen Bundesausschusses nur bei einer der folgenden Fallgruppen in Betracht: a) bei größeren Kiefer- oder Gesichtsdefekten, die ihre Ursache z.B. in Tumoroperationen haben, b) bei dauerhaft bestehender extremer Xerostomie, insbesondere im Rahmen einer Tumorbehandlung, c) bei generalisierter genetischer Nichtanlage von Zähnen, d) bei nicht willentlich beeinflussbaren muskulären Fehlfunktionen im Mund- und Gesichtsbereich (z.B. Spastiken). Bei Vorliegen eines solchen besonders schweren Falles bestehe eine Ausnahmeindikation aber nur dann, wenn eine dauerhafte konservative prothetische Versorgung ohne Implantate nicht möglich sei. In den Fällen a) bis c) gelte dies nur dann, wenn das rekonstruierte Prothesenlager durch einen schleimhautgelagerten Zahnersatz nicht belastbar sei. Ein besonders schwerer Fall liege hier nicht vor, so dass die Durchführung der Implantatversorgung im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung nicht möglich sei. Eine Kostenbeteiligung scheide daher aus.
Hiergegen hat die Klägerin am 30.01.2012 Klage zum Sozialgericht M. (SG) erhoben. Sie habe erhebliche Probleme mit den Zähnen und die feste Nahrungsaufnahme sei stark eingeschränkt. Sie hat auf den Antrag Dr. K. Bezug genommen.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat die Begründungen ihrer Bescheide Bezug genommen. Auch wenn es durchaus nachvollziehbar sei, dass der Prothesenhalt bei dem stark atrophierten Oberkiefer durch das Einbringen von Implantaten wesentlich verbessert werden könne, liege eine Ausnahmeindikation nicht vor.
Das SG hat Beweis erhoben durch die Einholung sachverständiger Zeugenauskünfte der behandelnden Ärzte. Der Facharzt für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie Dr. Dr. B. (implantologische Schwerpunktpraxis am Diakoniekrankenhaus M.) hat unter dem 23.02.2012 berichtet (Bl 14 SG-Akte), dass sich im Oktober 2009 ein Oberkiefer mit starkem Knochenabbau (hochatropher Oberkiefer) und vollständiger Zahnlosigkeit gezeigt habe. Bei diesem Befund sei eine Verbesserung des Prothesenhalts auf konventionellem Wege kaum möglich. Er habe die Insertion von fünf Implantaten vorgeschlagen. Aufgrund der vorliegenden Dystonie mit unwillkürlichen Muskelzuckungen könne die Ausnahmeindikation "nicht willentlich beeinflussbaren muskulären Fehlfunktionen im Mund- und Gesichtsbereich" vorliegen. Der Zahnarzt Dr. K. (M.) hat unter Vorlage verschiedener Befundunterlagen über die Behandlung der Klägerin von Mai 2009 bis Februar 2012 berichtet (Bl 16 SG-Akte). Die Klägerin leide unverändert an einer extremen Xerostomie und willentlich nicht beeinflussbaren Fehlfunktionen im Mund- und Gesichtsbereich. Aufgrund von Mundtrockenheit und des flachen Kieferkamms werde sich eine Prothese niemals richtig ansaugen. Dies führe zu andauernden Druckstellen. Außerdem könne die Klägerin die Nahrung nur unvollständig zerkleinern, was Auswirkungen auf den Gastrointestinaltrakt habe. Eine Implantatversorgung mit 4-5 Implantaten zur Fixation der Oberkieferprothese sei sinnvoll. Der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie H., M., führte unter dem 20.03.2012 (Bl 29 SG-Akte) aus, dass die Dystonie seit 1979 bestehe und es sehr häufig, teilweise ständig zu nicht willentlich beeinflussbaren muskulären tonischen Anspannungen und Fehlfunktionen im Bereich der Gesichts-, Mund-, Hals-, und Schultermuskulatur mit entsprechenden Auslenkungen komme (spastischen Bewegungen). Schmerzen, Kau- und Schluckstörungen seien die Folge. Im Laufe der Jahre habe die Klägerin nahezu alle bekannten therapeutischen Maßnahmen durchgeführt, ohne dass sich hierdurch eine grundlegende Veränderung der Fehlfunktionen ergeben habe. Zu der Frage, ob eine Versorgung mit konventionellem Zahnersatz möglich oder eine Implantatversorgung notwendig sei, solle eine kieferorthopädische Stellungnahme eingeholt werden. Grundsätzlich müsse davon ausgegangen werden, dass eine möglichst stabile Konstruktion zu wählen sei, da auch in Zukunft mit den eingangs erwähnten Bewegungsstörungen zu rechnen sei.
Mit Gerichtsbescheid vom 16.07.2012 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 02.09.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.01.2012 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, unter Zurücknahme des Bescheids vom 11.11.2010 im Oberkiefer der Klägerin eine Implantatversorgung durchzuführen. Die Voraussetzungen des § 44 Abs 1 SGB X würden vorliegen, da die Beklagte bei Erlass des Bescheids vom 11.11.2010 von einem falschen Sachverhalt ausgegangen sei. Die Ausnahmeindikation für eine Implantatversorgung sei gegeben, da aufgrund der vorliegenden Dystonie eine konventionelle prothetische Versorgung nicht möglich sei. Das SG hat sich insbesondere auf die sachverständigen Zeugenauskünfte von Dr. B. und Dr. K. gestützt und auch auf den Augenschein eines Erörterungstermins am 08.05.2012, in welchem erhebliche Verkrampfungen und Bewegungsstörungen im Gesicht der Klägerin ohne weiteres augenfällig gewesen seien.
Gegen den Gerichtsbescheid des SG hat die Beklagte am 16.08.2012 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt und zur Begründung ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft. Dr. G. habe eine konventionelle Versorgung für ausreichend erachtet, hiermit habe sich das SG nicht ausreichend auseinandergesetzt. Die Versorgung müsse außerdem im Rahmen einer medizinischen Gesamtbehandlung erfolgen (§ 28 Abs 2 S 9 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch, SGB V). Vorliegend reiche das Ziel der implantologischen Behandlung indes nicht über die reine Versorgung mit Zahnersatz zur Wiederherstellung der Kaufunktion hinaus.
Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts M. vom 16. Juli 2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Der Senat hat Beweis erhoben durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens auf mund-, kiefer- und gesichtschirurgischem Fachgebiet bei Prof. Dr. Dr. (H) D., Direktor der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie K ... Im Gutachten vom 05.03.2013 beschreibt der Sachverständige einen deutlich reduzierten Allgemein- und Ernährungszustand der Klägerin und diagnostiziert eine Prothesenunfähigkeit im Oberkiefer wegen Alveolarfortsatzatrophie, Schlotterkamm und medikamentenbedingter Mundtrockenheit sowie eine segmentale Dystonie mit orofazialer Dyskinesie sowie spastischen, nicht willentlich beeinflussbaren Bewegungen der Hals-, Kau- und perioralen Muskulatur. Eine zahnprothetische Versorgung zur Ermöglichung einer regelrechten Nahrungsaufnahme sei dringend notwendig; eine konventionelle prothetische Versorgung reiche nicht aus. Nur mit dentalen Implantaten könne ein suffizienter Prothesenhalt und damit die prothetische Rehabilitation der Patientin erreicht werden. Eine Ausnahmeindikation zur implantat-prothetischen Versorgung liege vor. Die Klägerin habe berichtet, dass sie nach Umwandlung in die Totalprothese nicht mehr mit den Prothesenhalt zurechtkomme. Mit der vorhandenen prothetischen Versorgung könne sie schlecht kauen. Beim Kauen rechts kippe die Prothese. Beim Kauen auf der linken Seite habe sie Schmerzen und es träten wiederholt Druckstellen auf. Wegen dauerhafter Druckstellen, Schmerzen und unzureichendem Prothesensitz esse sie häufig wenig und festere Nahrungsbestandteile würde sie zerkleinern, so dass sie quasi nur passierte Kost zu sich nehme. Hierunter habe sie immer wieder Gewichtsschwankungen gehabt und fühle sich häufig kraftlos. Auch habe sie eine Geschmacksminderung und teilweise einen Geschmacksverlust. Es gebe auch Schwierigkeiten mit dem Halt der Prothese, die teilweise spontan herunterfalle, und auch das Sprechen mit der Prothese falle schwer. Ein kindlicher Sprachfehler träte jetzt wieder auf, da die Prothese durch die Zunge gestützt werden müsse, damit sie nicht aus dem Mund falle. Dieser unzureichende Prothesensitz führe außerdem zu einer Bewegung der Prothese auf der Schleimhaut und dem darunterliegenden Knochen, was immer wieder zu Druckstellen mit Schmerzen führe. Die Dystonie allein verursache schon eine Spastik in der Kaumuskulatur mit Zusammenbeißen des Unterkiefer gegen den Oberkiefer, was nicht unerhebliche Schmerzen verursache, da die Prothese der Schleimhaut und dem Knochen direkt aufliege. Die Druckstellen würden häufig über Wochen nicht abheilen, da es immer wieder zu neuen Verletzungen durch die Prothese käme. Sie nehme die Prothesen häufig mittags bereits heraus, damit sie die Prothesen zumindest noch einigermaßen schmerzfrei zur Nahrungsaufnahme tragen könne. Das Vorbringen der Klägerin sei nachvollziehbar. Der äußere Aspekt sei geprägt von der Dystonie mit unwillkürlichen Zuckungen im Gesicht, insbesondere um den Mund herum sowie einem wiederholtem Zukneifen der Augen (Blepharospasmus). Außerdem liege aktuell eine Konjunktivitis vor, die die Klägerin auf die fehlende Tränenflüssigkeit zurückführe. Der Kopf als Ganzes habe sich wiederholt bewegt und sei in ständiger Unruhe. Auch der Schultergürtel und die oberen Extremitäten seien von der Krankheit betroffen. Die Dystonie sei wohl noch progredient, was sich objektiv leicht an der augenfälligen Gangunsicherheit und der Notwendigkeit, sich beim Sitzen gelegentlich festhalten zu müssen, erkennen lasse. Die untere Gesichtshöhe sei abgesunken, die Kaumuskulatur verhärtet, die Mundöffnung auf 30mm Schneidekantendistanz eingeschränkt. Die Untersuchung der Beweglichkeit mit Vorschub, Seitschub beidseits zeige zwar eine relativ freie Beweglichkeit mit ca. 5 bis 8 mm (leichte Einschränkung), jedoch sei die Untersuchung und die Beurteilbarkeit durch die Verhärtung der Muskulatur und die immer wieder auftretenden Spastiken beeinträchtigt. An beiden Mundwinkeln liege eine beginnende Cheilitis angularis (sog Faulecken) bei rezidivierenden Candida-Infektionen vor. Im Oberkiefer liege in der Front ein spitzer Kieferkamm vor, ansonsten sei der Alveolarfortsatz stark atrophiert. Der Röntgenbefund zeige ein unzureichendes Knochenangebot für eine evtl. vorzunehmende Implantatinsertion. Zirkulär bestehe ein Schlotterkamm. Sowohl an der Oberkiefer- als auch an der Unterkieferprothese seien die Seitenzähne abradiert, was durch die starke mechanische Beanspruchung durch das spastische Zusammenbeißen von Ober- und Unterkiefer bedingt sei. Sobald die Lippen für die Untersuchung mit dem Untersuchungsspiegel oder für die Fotographien mit den Haken abgehalten würden, falle die Oberkieferprothese spontan herab und werde mit der sich unwillkürlich bewegenden Zunge disloziert. Aufgrund der orofazialen Dyskinesie komme es zu schmerzhaftem Zusammenbeißen des Ober-und Unterkiefers. Wegen der nicht willentlich beeinflussbaren Muskulatur sei ein Prothesenhalt deutlich erschwert. Durch den Kieferkammabbau, den Schlotterkamm und die Mundtrockenheit sei die prothetische Versorgung im Oberkiefer bei Dystonie auf konventionellem Wege unmöglich. Die Klägerin habe bereits jetzt durch die Zahnlosigkeit und die seit 2009 insuffiziente prothetische Versorgung an Folgeerkrankungen zu leiden. Der Kieferkammabbau im Oberkiefer werde weiter fortschreiten, eine suffiziente prothetische Versorgung im Oberkiefer sei dringend notwendig. Da diese auf konventionellem Wege nicht möglich sei, müsse sie implantat-prothetisch erfolgen. Die Implantate könnten nicht ohne gleichzeitigen Knochenaufbau inseriert werden. Außerdem sei die Operation ohne eine Intubationsnarkose (Vollnarkose) unmöglich. Aufgrund des schmalen Kieferkamms und des in Höhe bereits deutlich abgebauten Kieferkamms müsse davon ausgegangen werden, dass eher schmale und kurze, dann aber möglichst 3 Implantate auf jeder Seite, zusammen also 6 Implantate gesetzt werden müssten. Aufgrund des Knochenabbaus gehe die erforderliche Maßnahme über die Versorgung mit Zahnersatz hinaus. Mit der Implantateinbringung müsse ein Kieferkammaufbau durchgeführt werden. Hierbei sei davon auszugehen, dass auf beiden Seiten eine sogenannte Sinusliftoperation mit Einlage von Knochenersatzmaterialien, wahrscheinlich vermengt mit Eigenknochen, den man vom hinteren Unterkiefer oder vom hinteren Oberkiefer gewinnen könnte, notwendig werde. Eine konventionelle prothetische Versorgung, entweder durch Neuanfertigung der Prothese oder durch eine chirurgische Verbesserung des Prothesenlagers (sog präprothetische Chirurgie) mit Exzision des Schlotterkamms und Vestibulumplastik, sei nicht ausreichend, um einen suffizienten Prothesenhalt herbeizuführen. Damit sei eine konventionelle Zahnersatzversorgung nicht möglich. Ein suffizienter Prothesenhalt sei nur nach Insertion von Implantaten zu erwarten. Selbst bei einer relativen Kieferkammerhöhung mit Absenkung des Vestibulums und Schleimhaut- oder Spalthauttransplantaten und unter Ausreizung aller Möglichkeiten der präprothetischen Chirurgie, die im Übrigen auch einen sehr großen operativen Eingriff erfordern würden, sei nicht mit einem suffizienten Prothesenlager zu rechnen. Denn zusätzlich zur muskulären Dystonie liege eine Xerostomie, also eine Mundtrockenheit vor, die einen ausreichenden Prothesensitz auch bei optimaler Gestaltung der Prothese verhindere (fehlende Schleimhautresilienz). Anders als von der Beklagten angenommen, bestehe eine Xerostomie, die qualitativ und quantitativ einer Xerostomie im Rahmen einer Tumorbehandlung entspreche. Allerdings sei die Ursache vorliegend nicht die Bestrahlung oder die Entfernung der Speicheldrüsen, sondern einer Medikamentennebenwirkung über Jahrzehnte hinweg geschuldet. Die Dysfunktion der Speicheldrüsen korrespondiere zur Dysfunktion der Tränendrüse, weshalb die Klägerin nicht nur unter einem trockenem Mund, sondern auch unter trockenen Augen leide. Daneben bestehe zusätzlich eine sehr trockene Haut.
Die Beklagte hat mitgeteilt, dass sie sich den Schlussfolgerungen des Gutachtens nicht anschließen könne. Es sei nicht ersichtlich, ob eine wissenschaftlich basierte Speichelflussmessung erfolgt sei. Im Übrigen bestehe nach wie vor das Erfordernis einer Gesamtbehandlung, die vorliegend aber nicht stattfinde, da es lediglich um die Versorgung mit Zahnersatz gehe und ein weitergehendes Behandlungsziel nicht erforderlich sei.
In einer ergänzenden Stellungnahme vom 14.06.2013 hat Prof. Dr. Dr. (H) D. ausgeführt, dass in Deutschland eine wissenschaftlich basierte Speichelflussmessung nicht zu einer Begutachtung im Rahmen der Feststellung einer Xerostomie für die Ausnahmeindikation nach § 28 Abs. 5 SGB V herangezogen werde, denn die Fließrate aus den Ausführungsgängen der vier großen Speicheldrüsen sage nichts über die für den Saugeffekt der Prothese entscheidende Bildung eines Speichelfilms aus. Die bei der Klägerin vorliegende erhebliche Mundtrockenheit habe sich im Rahmen der Untersuchung klar objektivieren lassen. Die Ausführungen der Beklagten zur Gesamtbehandlung seien unverständlich. Alle Maßnahmen zur Einbringung der Implantate, die Implantation selbst und die anschließende prothetische Versorgung über die Implantates seien Bestandteile der Gesamtbehandlung "prothetische Rehabilitation zur Wiederherstellung der Kaufähigkeit". Eine kaufunktionelle Rehabilitation ohne Implantate sei nicht möglich.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akte des Senats sowie die beigezogenen Akten des SG und der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten gemäß §§ 153 Abs 1, 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung.
Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist statthaft, zulässig aber unbegründet.
Zu Recht hat das SG die Voraussetzungen des § 44 Abs 1 SGB X und den Anspruch der Klägerin auf Versorgung mit Implantaten im Oberkiefer bejaht und die entgegenstehenden Bescheide der Beklagten aufgehoben, da diese rechtswidrig waren und die Klägerin in ihren Rechten verletzt haben.
Nach § 44 Abs 1 S 1 SGB X ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Ziel des § 44 SGB X ist es, die Konfliktsituation zwischen der Bindungswirkung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts und der materiellen Gerechtigkeit zu Gunsten letzterer aufzulösen (BSG 04.02.1998, B 9 V 16/96 R, SozR 3-1300 § 44 Nr 24; Steinwedel in Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 44 SGB X RdNr 2; Vogelgesang in Hauck/Noftz, SGB X, § 44 RdNr 1b). Ein solcher Fall liegt hier vor, denn bei Erlass des Bescheids vom 11.11.2010 ist die Beklagte von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen und hat dadurch das Recht unrichtig angewandt, weshalb dieser Bescheid zurückzunehmen ist. Der Bescheid der Beklagten vom 02.09.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.01.2012 hat dies zu Unrecht abgelehnt.
Die Klägerin hat einen Anspruch auf Versorgung mit implantologischen Leistungen nach § 27 Abs 1 S 1 und S 2 Nr 2 und 2a, § 28 Abs 2 S 9 SGB V iVm Teil B Abschn VII BehandlRL-ZÄ vom 04.06.2003/24.09.2003 (BAnz Nr 226, S 24 966, mWv 01.01.2004, zuletzt geändert am 01.03.2006, BAnz Nr 111, S 4466, mWv 18.06.2006).
Versicherte - wie die Klägerin - haben nach §§ 11 Abs 1 Nr 4, 27 Abs 1 S 1 SGB V Anspruch auf Leistungen zur Behandlung einer Krankheit, wenn die Behandlung notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst ua zahnärztliche Behandlung (§ 27 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB V) und die Versorgung mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen (§ 27 Abs 1 S 2 Nr 2a SGB V). Die zahnärztliche Behandlung ihrerseits umfasst die Tätigkeit des Zahnarztes, die zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten nach den Regeln der zahnärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig ist; sie umfasst auch konservierend-chirurgische Leistungen und Röntgenleistungen, die im Zusammenhang mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen erbracht werden (§ 28 Abs 2 S 1 SGB V). Welche Tätigkeiten des Zahnarztes iS des § 28 Abs 2 S 1 SGB V zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten nach den Regeln der zahnärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig sind, konkretisiert die BehandlRL-ZÄ auf der Grundlage des § 92 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB V.
Implantologische Leistungen schließt § 28 Abs 2 S 9 SGB V von der zahnärztlichen Behandlung grundsätzlich aus. Umgekehrt soll durch die Regelung aber auch sichergestellt werden, dass Versicherte in zwingend notwendigen Ausnahmefällen mit Implantaten versorgt werden (BT-Drucks 13/7264, S 59). Versicherte haben in seltenen, vom GBA in Richtlinien nach § 92 Abs 1 SGB V festzulegenden Ausnahmeindikationen für besonders schwere Fälle Anspruch auf implantologische Leistungen, wenn sie einschließlich der Suprakonstruktion im Rahmen einer medizinischen Gesamtbehandlung als Sachleistung zu erbringen sind.
Nach der auf dieser Grundlage erlassenen Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche vertragszahnärztliche Versorgung (Behandlungsrichtlinie vom 4. Juni/24. September 2003, Bundesanzeiger Nr 226 vom 3. Dezember 2003, Seite 24966, zuletzt geändert durch Beschluss vom 1. März 2006, Bundesanzeiger Nr 111 vom 17. Juni 2006, Seite 4466) liegen gemäß B VII Nr 2 Satz 4 besonders schwere Fälle vor:
a) bei größeren Kiefer- oder Gesichtsdefekten, die ihre Ursache - in Tumoroperationen, - in Entzündungen des Kiefers, - in Operationen infolge von großen Zysten (zB große follikuläre Zysten oder Keratozysten), - in Operationen infolge von Osteopathien, sofern keine Kontraindikation für eine Implantatversorgung vorliegt, - in angeborenen Fehlbildungen des Kiefers (Lippen-, Kiefer-, Gaumenspalten, ektodermale Dysplasien) oder - in Unfällen haben, b) bei dauerhaft bestehender extremer Xerostomie, insbesondere im Rahmen einer Tumor- behandlung c) bei generalisierter genetischer Nichtanlage von Zähnen, d) bei nicht willentlich beeinflussbaren muskulären Fehlfunktionen im Mund- und Gesichts- bereich (zB Spastiken).
Bei Vorliegen dieser Ausnahmeindikationen besteht Anspruch auf Implantate zur Abstützung von Zahnersatz als Sachleistung nur dann (B VII Nr 2 Satz 2), wenn eine konventionelle prothetische Versorgung ohne Implantate nicht möglich ist. In den Fällen von Satz 4 Buchstaben a) bis c) gilt dies nur dann, wenn das rekonstruierte Prothesenlager durch einen schleimhautgelagerten Zahnersatz nicht belastbar ist (B VII Nr 2 Satz 3).
Unter Beachtung dieser Maßstäbe liegt zur Überzeugung des Senats bei der Klägerin ein besonders schwerer Ausnahmefall, mithin eine Ausnahmeindikation für Implantate, vor. Diese Überzeugung (§§ 128 Abs 1, 118 Abs 1 S 1 SGG, § 412 Abs 1 ZPO) schöpft der Senat aus den plausiblen Darlegungen Prof. Dr. Dr. (H) D. sowie den vorliegenden Arztberichten Dr. Dr. B., Dr. K. und des Neurologen H ... Die Klägerin leidet nach den überzeugenden Feststellungen der behandelnden Ärzte und des gerichtlichen Sachverständigen sowohl an massiven, nicht willentlich beeinflussbaren muskulären Fehlfunktionen im Mund- und Gesichtsbereich (Spastiken) als auch einer extremen Mundtrockenheit.
Es liegt zum einen eine langjährige progrediente Dystonie vor. Aufgrund der orofazialen Dyskinesie kommt es zu schmerzhaftem Zusammenbeißen des Ober-und Unterkiefers. Wegen der nicht willentlich beeinflussbaren Muskulatur ist ein Prothesenhalt deutlich erschwert. Durch den darüber hinaus vorliegenden Kieferkammabbau und den Schlotterkamm, was auch Dr. Dr. B. in seinem Bericht vom 23.02.2012 beschrieben hat (Bl 14 SG-Akte) ist eine prothetische Versorgung im Oberkiefer bei Dystonie auf konventionellem Wege unmöglich. Auch die vorliegende Xerostomie (Mundtrockenheit) verhindert wegen fehlender Schleimhautreselienz einen ausreichenden Prothesensitz, auch bei optimaler Gestaltung der Prothese. Prof. Dr. Dr. (H) D. hat für den Senat überzeugend dargelegt, dass ein Schweregrad einer Xerostomie vorliegt, der qualitativ und quantitativ einer Xerostomie im Rahmen einer Tumorbehandlung entspricht. Dies hat auch Dr. K. in seinem Bericht von Ende Februar 2012 ausgeführt (Bl 16 f. SG-Akte). Für den Senat überzeugend sind auch die Ausführungen des Sachverständigen, dass für die nachvollziehbare Stellung dieser Diagnose keine wissenschaftlich basierte Speichelflussmessung herangezogen werden muss, denn die Fließrate aus den Ausführungsgängen der vier großen Speicheldrüsen sagt nichts über die für den Saugeffekt der Prothese entscheidenden Bildung eines Speichelfilms aus. Die bei der Klägerin vorliegende erhebliche Mundtrockenheit war für den Sachverständigen im Rahmen der Untersuchung klar objektivierbar.
Vor diesem Hintergrund geht der Senat davon aus, dass aufgrund der Besonderheiten des vorliegenden Einzelfalles zum einen zwei Ausnahmeindikationen im Sinne der Behandlungsrichtlinie vorliegt, und zum anderen eine konventionelle prothetische Versorgung ohne Implantate nicht möglich ist.
Eine zahnprothetische Versorgung zur Ermöglichung einer regelrechten Nahrungsaufnahme ist nach den für den Senat überzeugenden Ausführungen Prof. Dr. Dr. (H) D. dringend notwendig und die einzige erfolgversprechende Behandlung; eine konventionelle prothetische Versorgung reicht nicht aus. Nur mit dentalen Implantaten kann ein suffizienter Prothesenhalt erreicht werden. Die Implantate können nur mit gleichzeitigem Knochenaufbau bei Intubationsnarkose (Vollnarkose) inseriert werden. Aufgrund des schmalen Kieferkamms und des in Höhe bereits deutlich abgebauten Kieferkamms ist davon auszugehen, dass eher schmale und kurze, dann aber möglichst 3 Implantate auf jeder Seite, zusammen also 6 Implantate gesetzt werden müssen, wie der gerichtliche Sachverständige nachvollziehbar und plausibel ausgeführt hat.
An diesem Ergebnis ändert auch das Gutachten nach Aktenlage des Dr. G. vom 25.06.2010 nichts, mit dem sich das SG im Übrigen auch in ausreichender Weise auseinandergesetzt hat. Dr. G. hat der seit 1979 bestehenden Dystonie und den Spastiken im Mund- und Gesichtsbereich ersichtlich nicht Rechnung getragen, obgleich die behandelnden Ärzte Dr. K., Dr. Dr. B. und H. hierauf hingewiesen hatten, deren Einschätzungen wiederum von Prof. Dr. Dr. (H) D. bestätigt wurde. Auch den Umstand, dass die noch vorhandenen Zähne wegen der Spastiken und der hieraus resultierenden starken mechanischen Beanspruchung vorgeschädigt sind ("abradiert", vgl Gutachten Prof. Dr. Dr. (H) D., S. 5) und dass die Klägerin "durch die Zahnlosigkeit und seit 2009 insuffiziente Versorgung an Folgeerkrankungen zu leiden" hat (Gutachten Prof. Dr. Dr. (H) D., S 6), hat Dr. G. nicht hinreichend beachtet. Der Senat konnte sich daher – wie bereits zu Recht das SG - den Folgerungen Dr. G. nicht anschließen.
Es liegt auch eine sog "Gesamtbehandlung" vor, da aufgrund des komplexen Krankheitsbilds der Klägerin insgesamt ein Behandlungsziel verfolgt werden muss, dass deutlich über die bloße Versorgung mit Zahnersatz/Implantaten hinausgeht. Denn die Klägerin leidet nach den überzeugenden Ausführungen Prof. Dr. Dr. (H) D. an Folgeerkrankungen, die durch die Zahnlosigkeit und die seit 2009 insuffiziente Versorgung bedingt sind. Aufgrund des Knochenabbaus geht die erforderliche Maßnahme über die Versorgung mit Zahnersatz hinaus. Mit der Implantateinbringung muss auch ein Kieferkammaufbau durchgeführt werden. Außerdem geht es darum, den aufgrund der insuffizienten Prothesenversorgung reduzierten Ernährungs- und Allgemeinzustand der Klägerin zu bessern.
Implantologische Leistungen, die der Abstützung von Zahnersatz dienen sollen, sind "im Rahmen einer medizinischen Gesamtbehandlung" als Sachleistung zu erbringen, wenn sie notwendiger Teil einer medizinischen Gesamtbehandlung sind. Eine solche medizinische Gesamtbehandlung muss sich aus verschiedenen, nämlich aus human- und zahnmedizinischen notwendigen Bestandteilen zusammensetzen, ohne sich in einem dieser Teile zu erschöpfen. Nicht die bloße Wiederherstellung der Kaufunktion im Rahmen eines zahnärztlichen Konzepts, sondern ein darüber hinausgehendes medizinisches Gesamtziel muss der Behandlung ihr Gepräge geben. Das folgt aus dem Wortlaut der Regelung des § 28 Abs 2 S 9 Halbs 2 SGB V (BSG 07.05.2013, B 1 KR 19/12 R, zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen).
Zur Überzeugung des Senats ist vorliegend eine so umschriebene Gesamtbehandlung erforderlich, deren medizinisches Gesamtziel nach den plausiblen Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. Dr. (H) D. weit über die bloße Versorgung mit Zahnersatz/Implantaten hinausgeht. Es liegt wegen der Dystonie und den von vom gerichtlichen Sachverständigen beschriebenen Folgeerkrankungen (fortschreitender Kieferkammabbau) ein komplexes Krankheitsbild vor, dass insbesondere eine begleitende Behandlung auf neurologischem (vgl. Bericht des Neurologen H. v 20.03.2012, Bl 29 SG-Akte) und chirurgischem Fachgebiet (Bericht Dr. Dr. B. v 23.02.2012, Bl 14 SG-Akte) erforderlich macht. Prof. Dr. Dr. (H) D. und Dr. Dr. B. haben auf den starken Knochenabbau (Alveolarfortsatzatrophie, Schlotterkamm) hingewiesen, der eine sog Sinusliftoperation mit Einlage von Knochenersatzmaterialien erfordert. Dr. Dr. B. hat diesbezüglich mitgeteilt, dass ein chirurgischer Kostenvoranschlag vom 19.11.2009 vorliege. Die unzureichende prothetische Versorgung der Klägerin hat außerdem gesundheitliche Folgestörungen verursacht, die im Zuge einer Gesamtbehandlung gebessert werden müssen. Es geht auch insoweit vorliegend nicht nur um die bloße Wiederherstellung der Kaufunktion bzw um die reine Versorgung mit Zahnersatz, sondern insgesamt um die Wiederherstellung eines angemessenen Allgemeinzustands der Klägerin. Prof. Dr. Dr. (H) D. hat einen deutlich reduzierten Ernährungs- und Allgemeinzustand der Klägerin beschrieben. Zu Recht hat der Sachverständige insoweit untechnisch von einem "rehabilitativen" Ziel gesprochen. Denn gerade aufgrund der mangels ausreichender prothetischer Versorgung unzureichenden Fähigkeit, feste Nahrung aufzunehmen, ist der deutlich reduzierter Allgemein- und Ernährungszustand der Klägerin eingetreten (vgl. S. 6 des Gutachtens, ad 2). Dr. K. hat überdies darauf hingewiesen, dass aufgrund der Problematik, dass die Klägerin die Nahrung nur unvollständig zerkleinern könne, auch Auswirkungen auf den Gastrointestinaltrakt auftreten würden. Außerdem dient die Implantatversorgung dazu, die Folgen des Meige-Syndroms abzumildern bzw teilweise zu beseitigen.
Die implantologische Behandlung fügt sich in diese weitergehenden Behandlungszwecke ein, die Behandlungsmaßnahmen greifen funktionsbezogen ineinander, denn die verbesserte Haltefunktion der implantatgestützten Prothese (sogenannte Retention) führt zu einer geringeren Bewegung auf der Mundschleimhaut und dadurch zu einer verminderten Druckstellenbildung, die regelmäßig mit Schmerzen verbunden ist; die Kaufähigkeit wird gerade bei festen Nahrungsmitteln gegenüber einer konventionellen Totalprothese deutlich verbessert (BSG 19.06.2001, B 1 KR 4/00 R, BSGE 88, 166, SozR 3-2500 § 28 Nr 5 unter Hinweis auf Heydecke ZM 2000 Nr 21 S 52, 54 und 56).
Nach alledem liegt unzweifelhaft neben der Versorgung mit Zahnersatz "ein darüber hinausgehendes medizinisches Gesamtziel" (BSG 07.05.2013 aaO Rn 9) vor.
Der Sachverhalt ist vollständig aufgeklärt; die vorhandenen Gutachten und Arztauskünfte bilden eine ausreichende Grundlage für die Entscheidung des Senats. Das vorliegende Gutachten von Prof. Dr. Dr. (H) D. in Verbindung mit den vorliegenden Auskünften der als sachverständige Zeugen befragten behandelnden Ärzte haben dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen vermittelt (§ 118 Abs 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs 1 ZPO). Die Gutachten gehen von zutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen aus, enthalten keine unlösbare inhaltliche Widersprüche und geben keinen Anlass, an der Sachkunde oder Unparteilichkeit der Gutachter zu zweifeln; weitere Beweiserhebungen waren daher von Amts wegen nicht mehr notwendig.
Im Rahmen der nun anstehenden Leistungserbringung wird die Beklagte auch den von der Klägerin im Rahmen ihres Wunsch- und Wahlrechts geäußerten Wunsch, dass Prof. Dr. Dr. (H) D. die Implantatversorgung durchführen möge, angemessen berücksichtigen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG).
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten streitig ist die Frage, ob die Klägerin einen Anspruch auf Versorgung mit Implantaten im Oberkiefer hat. Die 1940 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich versichert.
Die Klägerin leidet seit 1979 an einer dystonen Bewegungsstörung (segmentale Dystonie), dem sogenannten Meige-Syndrom mit zervikaler Dystonie. Hierbei kommt es zu häufigen, nicht willentlich beeinflussbaren muskulär-tonischen Anspannungen und Fehlfunktionen in der Gesichts-, Mund-, Hals-, Kau- und Schultermuskulatur mit ruckartigen spastischen unwillkürlichen Bewegungen. Wegen der Dystonie sind alle denkbaren therapeutischen Maßnahmen in Erwägung gezogen oder durchgeführt worden. Es liegt außerdem eine Hypertonie vor. Aufgrund der Nebenwirkungen der Medikamente kam es mehrfach zu psychiatrischen Störungen. Eine Episode eines Medikamentenentzugs ging mit einer stationären Behandlung in der psychiatrischen Universitäts-Klinik H. über 4 Monate einher. Im Jahr 2007 gingen die letzten Zähne im Unterkiefer verloren. Von der Beklagten wurde seinerzeit die Ausnahmeindikation zur implantat-prothetischen Versorgung anerkannt. Im Oberkiefer war die Klägerin über Jahre hinweg nur noch teilbezahnt. Im Jahr 2009 mussten dann die letzten, ihre Prothese noch stützenden Zähne im Oberkiefer entfernt werden, so dass am 14.05.2009 von dem behandelnden Zahnarzt, Herrn Dr. K, die Oberkieferprothese in eine Totalprothese umgewandelt werden musste.
Mit Schreiben an die Beklagte vom 21.09.2009 beantragte der behandelnde Zahnarzt Dr. K., M., vier Implantate für den Oberkiefer, da die im Mai 2009 eingebrachte Totalprothese aufgrund des neurologischen Leidens der Klägerin häufig ausgehebelt werde. Er legte einen Heil- und Kostenplan vor (Bl. 3 Verwaltungsakte).
Die Beklagte veranlasste eine gutachterliche Stellungnahme nach Aktenlage durch den Zahnarzt Dr. G., M., der unter dem 25.06.2010 (Bl. 14 Verwaltungsakte) ausführte, dass der vorliegende Behandlungsplan zwar eine sinnvolle Therapie und die geplante Behandlung eine aus zahnmedizinischer Sicht notwendige Behandlungsmaßnahme zur Wiederherstellung einer ausreichenden Prothesenfunktion darstelle, jedoch nicht die gesetzlich geforderten Voraussetzungen einer seltenen Ausnahmeindikation erfülle. Das hierin liegende Dilemma lasse sich im sozialmedizinischen Gutachten nicht lösen.
Mit Bescheid vom 11.11.2010 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme für implantologische Leistungen ab. Eine Ausnahmeindikation zur implantat-prothetischen Versorgung nach den einschlägigen Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses liege nicht vor.
Am 7.2.2011 beantragte die Klägerin, diese Entscheidung unter Hinweis auf § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zu überprüfen. Die Beklagte lehnte dies zunächst ab (Bl 23 Verwaltungsakte). Mit Schreiben vom 11.08.2011 wies die Klägerin nochmals auf § 44 SGB X hin. Hierauf lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 02.09.2011 (Bl 25 Verwaltungsakte) eine Rücknahme des Bescheids vom 11.10.2011 ab, da bei der Entscheidung von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen und das Recht zutreffend angewandt worden sei.
Der hiergegen am 26.09.2011 erhobene Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 19.01.2012 (Bl 28 Verwaltungsakte) als unbegründet zurückgewiesen. Eine Indikation für eine Implantatversorgung komme nach der maßgeblichen Richtlinie des gemeinsamen Bundesausschusses nur bei einer der folgenden Fallgruppen in Betracht: a) bei größeren Kiefer- oder Gesichtsdefekten, die ihre Ursache z.B. in Tumoroperationen haben, b) bei dauerhaft bestehender extremer Xerostomie, insbesondere im Rahmen einer Tumorbehandlung, c) bei generalisierter genetischer Nichtanlage von Zähnen, d) bei nicht willentlich beeinflussbaren muskulären Fehlfunktionen im Mund- und Gesichtsbereich (z.B. Spastiken). Bei Vorliegen eines solchen besonders schweren Falles bestehe eine Ausnahmeindikation aber nur dann, wenn eine dauerhafte konservative prothetische Versorgung ohne Implantate nicht möglich sei. In den Fällen a) bis c) gelte dies nur dann, wenn das rekonstruierte Prothesenlager durch einen schleimhautgelagerten Zahnersatz nicht belastbar sei. Ein besonders schwerer Fall liege hier nicht vor, so dass die Durchführung der Implantatversorgung im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung nicht möglich sei. Eine Kostenbeteiligung scheide daher aus.
Hiergegen hat die Klägerin am 30.01.2012 Klage zum Sozialgericht M. (SG) erhoben. Sie habe erhebliche Probleme mit den Zähnen und die feste Nahrungsaufnahme sei stark eingeschränkt. Sie hat auf den Antrag Dr. K. Bezug genommen.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat die Begründungen ihrer Bescheide Bezug genommen. Auch wenn es durchaus nachvollziehbar sei, dass der Prothesenhalt bei dem stark atrophierten Oberkiefer durch das Einbringen von Implantaten wesentlich verbessert werden könne, liege eine Ausnahmeindikation nicht vor.
Das SG hat Beweis erhoben durch die Einholung sachverständiger Zeugenauskünfte der behandelnden Ärzte. Der Facharzt für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie Dr. Dr. B. (implantologische Schwerpunktpraxis am Diakoniekrankenhaus M.) hat unter dem 23.02.2012 berichtet (Bl 14 SG-Akte), dass sich im Oktober 2009 ein Oberkiefer mit starkem Knochenabbau (hochatropher Oberkiefer) und vollständiger Zahnlosigkeit gezeigt habe. Bei diesem Befund sei eine Verbesserung des Prothesenhalts auf konventionellem Wege kaum möglich. Er habe die Insertion von fünf Implantaten vorgeschlagen. Aufgrund der vorliegenden Dystonie mit unwillkürlichen Muskelzuckungen könne die Ausnahmeindikation "nicht willentlich beeinflussbaren muskulären Fehlfunktionen im Mund- und Gesichtsbereich" vorliegen. Der Zahnarzt Dr. K. (M.) hat unter Vorlage verschiedener Befundunterlagen über die Behandlung der Klägerin von Mai 2009 bis Februar 2012 berichtet (Bl 16 SG-Akte). Die Klägerin leide unverändert an einer extremen Xerostomie und willentlich nicht beeinflussbaren Fehlfunktionen im Mund- und Gesichtsbereich. Aufgrund von Mundtrockenheit und des flachen Kieferkamms werde sich eine Prothese niemals richtig ansaugen. Dies führe zu andauernden Druckstellen. Außerdem könne die Klägerin die Nahrung nur unvollständig zerkleinern, was Auswirkungen auf den Gastrointestinaltrakt habe. Eine Implantatversorgung mit 4-5 Implantaten zur Fixation der Oberkieferprothese sei sinnvoll. Der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie H., M., führte unter dem 20.03.2012 (Bl 29 SG-Akte) aus, dass die Dystonie seit 1979 bestehe und es sehr häufig, teilweise ständig zu nicht willentlich beeinflussbaren muskulären tonischen Anspannungen und Fehlfunktionen im Bereich der Gesichts-, Mund-, Hals-, und Schultermuskulatur mit entsprechenden Auslenkungen komme (spastischen Bewegungen). Schmerzen, Kau- und Schluckstörungen seien die Folge. Im Laufe der Jahre habe die Klägerin nahezu alle bekannten therapeutischen Maßnahmen durchgeführt, ohne dass sich hierdurch eine grundlegende Veränderung der Fehlfunktionen ergeben habe. Zu der Frage, ob eine Versorgung mit konventionellem Zahnersatz möglich oder eine Implantatversorgung notwendig sei, solle eine kieferorthopädische Stellungnahme eingeholt werden. Grundsätzlich müsse davon ausgegangen werden, dass eine möglichst stabile Konstruktion zu wählen sei, da auch in Zukunft mit den eingangs erwähnten Bewegungsstörungen zu rechnen sei.
Mit Gerichtsbescheid vom 16.07.2012 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 02.09.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.01.2012 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, unter Zurücknahme des Bescheids vom 11.11.2010 im Oberkiefer der Klägerin eine Implantatversorgung durchzuführen. Die Voraussetzungen des § 44 Abs 1 SGB X würden vorliegen, da die Beklagte bei Erlass des Bescheids vom 11.11.2010 von einem falschen Sachverhalt ausgegangen sei. Die Ausnahmeindikation für eine Implantatversorgung sei gegeben, da aufgrund der vorliegenden Dystonie eine konventionelle prothetische Versorgung nicht möglich sei. Das SG hat sich insbesondere auf die sachverständigen Zeugenauskünfte von Dr. B. und Dr. K. gestützt und auch auf den Augenschein eines Erörterungstermins am 08.05.2012, in welchem erhebliche Verkrampfungen und Bewegungsstörungen im Gesicht der Klägerin ohne weiteres augenfällig gewesen seien.
Gegen den Gerichtsbescheid des SG hat die Beklagte am 16.08.2012 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt und zur Begründung ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft. Dr. G. habe eine konventionelle Versorgung für ausreichend erachtet, hiermit habe sich das SG nicht ausreichend auseinandergesetzt. Die Versorgung müsse außerdem im Rahmen einer medizinischen Gesamtbehandlung erfolgen (§ 28 Abs 2 S 9 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch, SGB V). Vorliegend reiche das Ziel der implantologischen Behandlung indes nicht über die reine Versorgung mit Zahnersatz zur Wiederherstellung der Kaufunktion hinaus.
Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts M. vom 16. Juli 2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen, hilfsweise die Revision zuzulassen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Der Senat hat Beweis erhoben durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens auf mund-, kiefer- und gesichtschirurgischem Fachgebiet bei Prof. Dr. Dr. (H) D., Direktor der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie K ... Im Gutachten vom 05.03.2013 beschreibt der Sachverständige einen deutlich reduzierten Allgemein- und Ernährungszustand der Klägerin und diagnostiziert eine Prothesenunfähigkeit im Oberkiefer wegen Alveolarfortsatzatrophie, Schlotterkamm und medikamentenbedingter Mundtrockenheit sowie eine segmentale Dystonie mit orofazialer Dyskinesie sowie spastischen, nicht willentlich beeinflussbaren Bewegungen der Hals-, Kau- und perioralen Muskulatur. Eine zahnprothetische Versorgung zur Ermöglichung einer regelrechten Nahrungsaufnahme sei dringend notwendig; eine konventionelle prothetische Versorgung reiche nicht aus. Nur mit dentalen Implantaten könne ein suffizienter Prothesenhalt und damit die prothetische Rehabilitation der Patientin erreicht werden. Eine Ausnahmeindikation zur implantat-prothetischen Versorgung liege vor. Die Klägerin habe berichtet, dass sie nach Umwandlung in die Totalprothese nicht mehr mit den Prothesenhalt zurechtkomme. Mit der vorhandenen prothetischen Versorgung könne sie schlecht kauen. Beim Kauen rechts kippe die Prothese. Beim Kauen auf der linken Seite habe sie Schmerzen und es träten wiederholt Druckstellen auf. Wegen dauerhafter Druckstellen, Schmerzen und unzureichendem Prothesensitz esse sie häufig wenig und festere Nahrungsbestandteile würde sie zerkleinern, so dass sie quasi nur passierte Kost zu sich nehme. Hierunter habe sie immer wieder Gewichtsschwankungen gehabt und fühle sich häufig kraftlos. Auch habe sie eine Geschmacksminderung und teilweise einen Geschmacksverlust. Es gebe auch Schwierigkeiten mit dem Halt der Prothese, die teilweise spontan herunterfalle, und auch das Sprechen mit der Prothese falle schwer. Ein kindlicher Sprachfehler träte jetzt wieder auf, da die Prothese durch die Zunge gestützt werden müsse, damit sie nicht aus dem Mund falle. Dieser unzureichende Prothesensitz führe außerdem zu einer Bewegung der Prothese auf der Schleimhaut und dem darunterliegenden Knochen, was immer wieder zu Druckstellen mit Schmerzen führe. Die Dystonie allein verursache schon eine Spastik in der Kaumuskulatur mit Zusammenbeißen des Unterkiefer gegen den Oberkiefer, was nicht unerhebliche Schmerzen verursache, da die Prothese der Schleimhaut und dem Knochen direkt aufliege. Die Druckstellen würden häufig über Wochen nicht abheilen, da es immer wieder zu neuen Verletzungen durch die Prothese käme. Sie nehme die Prothesen häufig mittags bereits heraus, damit sie die Prothesen zumindest noch einigermaßen schmerzfrei zur Nahrungsaufnahme tragen könne. Das Vorbringen der Klägerin sei nachvollziehbar. Der äußere Aspekt sei geprägt von der Dystonie mit unwillkürlichen Zuckungen im Gesicht, insbesondere um den Mund herum sowie einem wiederholtem Zukneifen der Augen (Blepharospasmus). Außerdem liege aktuell eine Konjunktivitis vor, die die Klägerin auf die fehlende Tränenflüssigkeit zurückführe. Der Kopf als Ganzes habe sich wiederholt bewegt und sei in ständiger Unruhe. Auch der Schultergürtel und die oberen Extremitäten seien von der Krankheit betroffen. Die Dystonie sei wohl noch progredient, was sich objektiv leicht an der augenfälligen Gangunsicherheit und der Notwendigkeit, sich beim Sitzen gelegentlich festhalten zu müssen, erkennen lasse. Die untere Gesichtshöhe sei abgesunken, die Kaumuskulatur verhärtet, die Mundöffnung auf 30mm Schneidekantendistanz eingeschränkt. Die Untersuchung der Beweglichkeit mit Vorschub, Seitschub beidseits zeige zwar eine relativ freie Beweglichkeit mit ca. 5 bis 8 mm (leichte Einschränkung), jedoch sei die Untersuchung und die Beurteilbarkeit durch die Verhärtung der Muskulatur und die immer wieder auftretenden Spastiken beeinträchtigt. An beiden Mundwinkeln liege eine beginnende Cheilitis angularis (sog Faulecken) bei rezidivierenden Candida-Infektionen vor. Im Oberkiefer liege in der Front ein spitzer Kieferkamm vor, ansonsten sei der Alveolarfortsatz stark atrophiert. Der Röntgenbefund zeige ein unzureichendes Knochenangebot für eine evtl. vorzunehmende Implantatinsertion. Zirkulär bestehe ein Schlotterkamm. Sowohl an der Oberkiefer- als auch an der Unterkieferprothese seien die Seitenzähne abradiert, was durch die starke mechanische Beanspruchung durch das spastische Zusammenbeißen von Ober- und Unterkiefer bedingt sei. Sobald die Lippen für die Untersuchung mit dem Untersuchungsspiegel oder für die Fotographien mit den Haken abgehalten würden, falle die Oberkieferprothese spontan herab und werde mit der sich unwillkürlich bewegenden Zunge disloziert. Aufgrund der orofazialen Dyskinesie komme es zu schmerzhaftem Zusammenbeißen des Ober-und Unterkiefers. Wegen der nicht willentlich beeinflussbaren Muskulatur sei ein Prothesenhalt deutlich erschwert. Durch den Kieferkammabbau, den Schlotterkamm und die Mundtrockenheit sei die prothetische Versorgung im Oberkiefer bei Dystonie auf konventionellem Wege unmöglich. Die Klägerin habe bereits jetzt durch die Zahnlosigkeit und die seit 2009 insuffiziente prothetische Versorgung an Folgeerkrankungen zu leiden. Der Kieferkammabbau im Oberkiefer werde weiter fortschreiten, eine suffiziente prothetische Versorgung im Oberkiefer sei dringend notwendig. Da diese auf konventionellem Wege nicht möglich sei, müsse sie implantat-prothetisch erfolgen. Die Implantate könnten nicht ohne gleichzeitigen Knochenaufbau inseriert werden. Außerdem sei die Operation ohne eine Intubationsnarkose (Vollnarkose) unmöglich. Aufgrund des schmalen Kieferkamms und des in Höhe bereits deutlich abgebauten Kieferkamms müsse davon ausgegangen werden, dass eher schmale und kurze, dann aber möglichst 3 Implantate auf jeder Seite, zusammen also 6 Implantate gesetzt werden müssten. Aufgrund des Knochenabbaus gehe die erforderliche Maßnahme über die Versorgung mit Zahnersatz hinaus. Mit der Implantateinbringung müsse ein Kieferkammaufbau durchgeführt werden. Hierbei sei davon auszugehen, dass auf beiden Seiten eine sogenannte Sinusliftoperation mit Einlage von Knochenersatzmaterialien, wahrscheinlich vermengt mit Eigenknochen, den man vom hinteren Unterkiefer oder vom hinteren Oberkiefer gewinnen könnte, notwendig werde. Eine konventionelle prothetische Versorgung, entweder durch Neuanfertigung der Prothese oder durch eine chirurgische Verbesserung des Prothesenlagers (sog präprothetische Chirurgie) mit Exzision des Schlotterkamms und Vestibulumplastik, sei nicht ausreichend, um einen suffizienten Prothesenhalt herbeizuführen. Damit sei eine konventionelle Zahnersatzversorgung nicht möglich. Ein suffizienter Prothesenhalt sei nur nach Insertion von Implantaten zu erwarten. Selbst bei einer relativen Kieferkammerhöhung mit Absenkung des Vestibulums und Schleimhaut- oder Spalthauttransplantaten und unter Ausreizung aller Möglichkeiten der präprothetischen Chirurgie, die im Übrigen auch einen sehr großen operativen Eingriff erfordern würden, sei nicht mit einem suffizienten Prothesenlager zu rechnen. Denn zusätzlich zur muskulären Dystonie liege eine Xerostomie, also eine Mundtrockenheit vor, die einen ausreichenden Prothesensitz auch bei optimaler Gestaltung der Prothese verhindere (fehlende Schleimhautresilienz). Anders als von der Beklagten angenommen, bestehe eine Xerostomie, die qualitativ und quantitativ einer Xerostomie im Rahmen einer Tumorbehandlung entspreche. Allerdings sei die Ursache vorliegend nicht die Bestrahlung oder die Entfernung der Speicheldrüsen, sondern einer Medikamentennebenwirkung über Jahrzehnte hinweg geschuldet. Die Dysfunktion der Speicheldrüsen korrespondiere zur Dysfunktion der Tränendrüse, weshalb die Klägerin nicht nur unter einem trockenem Mund, sondern auch unter trockenen Augen leide. Daneben bestehe zusätzlich eine sehr trockene Haut.
Die Beklagte hat mitgeteilt, dass sie sich den Schlussfolgerungen des Gutachtens nicht anschließen könne. Es sei nicht ersichtlich, ob eine wissenschaftlich basierte Speichelflussmessung erfolgt sei. Im Übrigen bestehe nach wie vor das Erfordernis einer Gesamtbehandlung, die vorliegend aber nicht stattfinde, da es lediglich um die Versorgung mit Zahnersatz gehe und ein weitergehendes Behandlungsziel nicht erforderlich sei.
In einer ergänzenden Stellungnahme vom 14.06.2013 hat Prof. Dr. Dr. (H) D. ausgeführt, dass in Deutschland eine wissenschaftlich basierte Speichelflussmessung nicht zu einer Begutachtung im Rahmen der Feststellung einer Xerostomie für die Ausnahmeindikation nach § 28 Abs. 5 SGB V herangezogen werde, denn die Fließrate aus den Ausführungsgängen der vier großen Speicheldrüsen sage nichts über die für den Saugeffekt der Prothese entscheidende Bildung eines Speichelfilms aus. Die bei der Klägerin vorliegende erhebliche Mundtrockenheit habe sich im Rahmen der Untersuchung klar objektivieren lassen. Die Ausführungen der Beklagten zur Gesamtbehandlung seien unverständlich. Alle Maßnahmen zur Einbringung der Implantate, die Implantation selbst und die anschließende prothetische Versorgung über die Implantates seien Bestandteile der Gesamtbehandlung "prothetische Rehabilitation zur Wiederherstellung der Kaufähigkeit". Eine kaufunktionelle Rehabilitation ohne Implantate sei nicht möglich.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akte des Senats sowie die beigezogenen Akten des SG und der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten gemäß §§ 153 Abs 1, 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung.
Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist statthaft, zulässig aber unbegründet.
Zu Recht hat das SG die Voraussetzungen des § 44 Abs 1 SGB X und den Anspruch der Klägerin auf Versorgung mit Implantaten im Oberkiefer bejaht und die entgegenstehenden Bescheide der Beklagten aufgehoben, da diese rechtswidrig waren und die Klägerin in ihren Rechten verletzt haben.
Nach § 44 Abs 1 S 1 SGB X ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Ziel des § 44 SGB X ist es, die Konfliktsituation zwischen der Bindungswirkung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts und der materiellen Gerechtigkeit zu Gunsten letzterer aufzulösen (BSG 04.02.1998, B 9 V 16/96 R, SozR 3-1300 § 44 Nr 24; Steinwedel in Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 44 SGB X RdNr 2; Vogelgesang in Hauck/Noftz, SGB X, § 44 RdNr 1b). Ein solcher Fall liegt hier vor, denn bei Erlass des Bescheids vom 11.11.2010 ist die Beklagte von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen und hat dadurch das Recht unrichtig angewandt, weshalb dieser Bescheid zurückzunehmen ist. Der Bescheid der Beklagten vom 02.09.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.01.2012 hat dies zu Unrecht abgelehnt.
Die Klägerin hat einen Anspruch auf Versorgung mit implantologischen Leistungen nach § 27 Abs 1 S 1 und S 2 Nr 2 und 2a, § 28 Abs 2 S 9 SGB V iVm Teil B Abschn VII BehandlRL-ZÄ vom 04.06.2003/24.09.2003 (BAnz Nr 226, S 24 966, mWv 01.01.2004, zuletzt geändert am 01.03.2006, BAnz Nr 111, S 4466, mWv 18.06.2006).
Versicherte - wie die Klägerin - haben nach §§ 11 Abs 1 Nr 4, 27 Abs 1 S 1 SGB V Anspruch auf Leistungen zur Behandlung einer Krankheit, wenn die Behandlung notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst ua zahnärztliche Behandlung (§ 27 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB V) und die Versorgung mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen (§ 27 Abs 1 S 2 Nr 2a SGB V). Die zahnärztliche Behandlung ihrerseits umfasst die Tätigkeit des Zahnarztes, die zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten nach den Regeln der zahnärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig ist; sie umfasst auch konservierend-chirurgische Leistungen und Röntgenleistungen, die im Zusammenhang mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen erbracht werden (§ 28 Abs 2 S 1 SGB V). Welche Tätigkeiten des Zahnarztes iS des § 28 Abs 2 S 1 SGB V zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten nach den Regeln der zahnärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig sind, konkretisiert die BehandlRL-ZÄ auf der Grundlage des § 92 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB V.
Implantologische Leistungen schließt § 28 Abs 2 S 9 SGB V von der zahnärztlichen Behandlung grundsätzlich aus. Umgekehrt soll durch die Regelung aber auch sichergestellt werden, dass Versicherte in zwingend notwendigen Ausnahmefällen mit Implantaten versorgt werden (BT-Drucks 13/7264, S 59). Versicherte haben in seltenen, vom GBA in Richtlinien nach § 92 Abs 1 SGB V festzulegenden Ausnahmeindikationen für besonders schwere Fälle Anspruch auf implantologische Leistungen, wenn sie einschließlich der Suprakonstruktion im Rahmen einer medizinischen Gesamtbehandlung als Sachleistung zu erbringen sind.
Nach der auf dieser Grundlage erlassenen Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche vertragszahnärztliche Versorgung (Behandlungsrichtlinie vom 4. Juni/24. September 2003, Bundesanzeiger Nr 226 vom 3. Dezember 2003, Seite 24966, zuletzt geändert durch Beschluss vom 1. März 2006, Bundesanzeiger Nr 111 vom 17. Juni 2006, Seite 4466) liegen gemäß B VII Nr 2 Satz 4 besonders schwere Fälle vor:
a) bei größeren Kiefer- oder Gesichtsdefekten, die ihre Ursache - in Tumoroperationen, - in Entzündungen des Kiefers, - in Operationen infolge von großen Zysten (zB große follikuläre Zysten oder Keratozysten), - in Operationen infolge von Osteopathien, sofern keine Kontraindikation für eine Implantatversorgung vorliegt, - in angeborenen Fehlbildungen des Kiefers (Lippen-, Kiefer-, Gaumenspalten, ektodermale Dysplasien) oder - in Unfällen haben, b) bei dauerhaft bestehender extremer Xerostomie, insbesondere im Rahmen einer Tumor- behandlung c) bei generalisierter genetischer Nichtanlage von Zähnen, d) bei nicht willentlich beeinflussbaren muskulären Fehlfunktionen im Mund- und Gesichts- bereich (zB Spastiken).
Bei Vorliegen dieser Ausnahmeindikationen besteht Anspruch auf Implantate zur Abstützung von Zahnersatz als Sachleistung nur dann (B VII Nr 2 Satz 2), wenn eine konventionelle prothetische Versorgung ohne Implantate nicht möglich ist. In den Fällen von Satz 4 Buchstaben a) bis c) gilt dies nur dann, wenn das rekonstruierte Prothesenlager durch einen schleimhautgelagerten Zahnersatz nicht belastbar ist (B VII Nr 2 Satz 3).
Unter Beachtung dieser Maßstäbe liegt zur Überzeugung des Senats bei der Klägerin ein besonders schwerer Ausnahmefall, mithin eine Ausnahmeindikation für Implantate, vor. Diese Überzeugung (§§ 128 Abs 1, 118 Abs 1 S 1 SGG, § 412 Abs 1 ZPO) schöpft der Senat aus den plausiblen Darlegungen Prof. Dr. Dr. (H) D. sowie den vorliegenden Arztberichten Dr. Dr. B., Dr. K. und des Neurologen H ... Die Klägerin leidet nach den überzeugenden Feststellungen der behandelnden Ärzte und des gerichtlichen Sachverständigen sowohl an massiven, nicht willentlich beeinflussbaren muskulären Fehlfunktionen im Mund- und Gesichtsbereich (Spastiken) als auch einer extremen Mundtrockenheit.
Es liegt zum einen eine langjährige progrediente Dystonie vor. Aufgrund der orofazialen Dyskinesie kommt es zu schmerzhaftem Zusammenbeißen des Ober-und Unterkiefers. Wegen der nicht willentlich beeinflussbaren Muskulatur ist ein Prothesenhalt deutlich erschwert. Durch den darüber hinaus vorliegenden Kieferkammabbau und den Schlotterkamm, was auch Dr. Dr. B. in seinem Bericht vom 23.02.2012 beschrieben hat (Bl 14 SG-Akte) ist eine prothetische Versorgung im Oberkiefer bei Dystonie auf konventionellem Wege unmöglich. Auch die vorliegende Xerostomie (Mundtrockenheit) verhindert wegen fehlender Schleimhautreselienz einen ausreichenden Prothesensitz, auch bei optimaler Gestaltung der Prothese. Prof. Dr. Dr. (H) D. hat für den Senat überzeugend dargelegt, dass ein Schweregrad einer Xerostomie vorliegt, der qualitativ und quantitativ einer Xerostomie im Rahmen einer Tumorbehandlung entspricht. Dies hat auch Dr. K. in seinem Bericht von Ende Februar 2012 ausgeführt (Bl 16 f. SG-Akte). Für den Senat überzeugend sind auch die Ausführungen des Sachverständigen, dass für die nachvollziehbare Stellung dieser Diagnose keine wissenschaftlich basierte Speichelflussmessung herangezogen werden muss, denn die Fließrate aus den Ausführungsgängen der vier großen Speicheldrüsen sagt nichts über die für den Saugeffekt der Prothese entscheidenden Bildung eines Speichelfilms aus. Die bei der Klägerin vorliegende erhebliche Mundtrockenheit war für den Sachverständigen im Rahmen der Untersuchung klar objektivierbar.
Vor diesem Hintergrund geht der Senat davon aus, dass aufgrund der Besonderheiten des vorliegenden Einzelfalles zum einen zwei Ausnahmeindikationen im Sinne der Behandlungsrichtlinie vorliegt, und zum anderen eine konventionelle prothetische Versorgung ohne Implantate nicht möglich ist.
Eine zahnprothetische Versorgung zur Ermöglichung einer regelrechten Nahrungsaufnahme ist nach den für den Senat überzeugenden Ausführungen Prof. Dr. Dr. (H) D. dringend notwendig und die einzige erfolgversprechende Behandlung; eine konventionelle prothetische Versorgung reicht nicht aus. Nur mit dentalen Implantaten kann ein suffizienter Prothesenhalt erreicht werden. Die Implantate können nur mit gleichzeitigem Knochenaufbau bei Intubationsnarkose (Vollnarkose) inseriert werden. Aufgrund des schmalen Kieferkamms und des in Höhe bereits deutlich abgebauten Kieferkamms ist davon auszugehen, dass eher schmale und kurze, dann aber möglichst 3 Implantate auf jeder Seite, zusammen also 6 Implantate gesetzt werden müssen, wie der gerichtliche Sachverständige nachvollziehbar und plausibel ausgeführt hat.
An diesem Ergebnis ändert auch das Gutachten nach Aktenlage des Dr. G. vom 25.06.2010 nichts, mit dem sich das SG im Übrigen auch in ausreichender Weise auseinandergesetzt hat. Dr. G. hat der seit 1979 bestehenden Dystonie und den Spastiken im Mund- und Gesichtsbereich ersichtlich nicht Rechnung getragen, obgleich die behandelnden Ärzte Dr. K., Dr. Dr. B. und H. hierauf hingewiesen hatten, deren Einschätzungen wiederum von Prof. Dr. Dr. (H) D. bestätigt wurde. Auch den Umstand, dass die noch vorhandenen Zähne wegen der Spastiken und der hieraus resultierenden starken mechanischen Beanspruchung vorgeschädigt sind ("abradiert", vgl Gutachten Prof. Dr. Dr. (H) D., S. 5) und dass die Klägerin "durch die Zahnlosigkeit und seit 2009 insuffiziente Versorgung an Folgeerkrankungen zu leiden" hat (Gutachten Prof. Dr. Dr. (H) D., S 6), hat Dr. G. nicht hinreichend beachtet. Der Senat konnte sich daher – wie bereits zu Recht das SG - den Folgerungen Dr. G. nicht anschließen.
Es liegt auch eine sog "Gesamtbehandlung" vor, da aufgrund des komplexen Krankheitsbilds der Klägerin insgesamt ein Behandlungsziel verfolgt werden muss, dass deutlich über die bloße Versorgung mit Zahnersatz/Implantaten hinausgeht. Denn die Klägerin leidet nach den überzeugenden Ausführungen Prof. Dr. Dr. (H) D. an Folgeerkrankungen, die durch die Zahnlosigkeit und die seit 2009 insuffiziente Versorgung bedingt sind. Aufgrund des Knochenabbaus geht die erforderliche Maßnahme über die Versorgung mit Zahnersatz hinaus. Mit der Implantateinbringung muss auch ein Kieferkammaufbau durchgeführt werden. Außerdem geht es darum, den aufgrund der insuffizienten Prothesenversorgung reduzierten Ernährungs- und Allgemeinzustand der Klägerin zu bessern.
Implantologische Leistungen, die der Abstützung von Zahnersatz dienen sollen, sind "im Rahmen einer medizinischen Gesamtbehandlung" als Sachleistung zu erbringen, wenn sie notwendiger Teil einer medizinischen Gesamtbehandlung sind. Eine solche medizinische Gesamtbehandlung muss sich aus verschiedenen, nämlich aus human- und zahnmedizinischen notwendigen Bestandteilen zusammensetzen, ohne sich in einem dieser Teile zu erschöpfen. Nicht die bloße Wiederherstellung der Kaufunktion im Rahmen eines zahnärztlichen Konzepts, sondern ein darüber hinausgehendes medizinisches Gesamtziel muss der Behandlung ihr Gepräge geben. Das folgt aus dem Wortlaut der Regelung des § 28 Abs 2 S 9 Halbs 2 SGB V (BSG 07.05.2013, B 1 KR 19/12 R, zur Veröffentlichung in SozR 4 vorgesehen).
Zur Überzeugung des Senats ist vorliegend eine so umschriebene Gesamtbehandlung erforderlich, deren medizinisches Gesamtziel nach den plausiblen Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. Dr. (H) D. weit über die bloße Versorgung mit Zahnersatz/Implantaten hinausgeht. Es liegt wegen der Dystonie und den von vom gerichtlichen Sachverständigen beschriebenen Folgeerkrankungen (fortschreitender Kieferkammabbau) ein komplexes Krankheitsbild vor, dass insbesondere eine begleitende Behandlung auf neurologischem (vgl. Bericht des Neurologen H. v 20.03.2012, Bl 29 SG-Akte) und chirurgischem Fachgebiet (Bericht Dr. Dr. B. v 23.02.2012, Bl 14 SG-Akte) erforderlich macht. Prof. Dr. Dr. (H) D. und Dr. Dr. B. haben auf den starken Knochenabbau (Alveolarfortsatzatrophie, Schlotterkamm) hingewiesen, der eine sog Sinusliftoperation mit Einlage von Knochenersatzmaterialien erfordert. Dr. Dr. B. hat diesbezüglich mitgeteilt, dass ein chirurgischer Kostenvoranschlag vom 19.11.2009 vorliege. Die unzureichende prothetische Versorgung der Klägerin hat außerdem gesundheitliche Folgestörungen verursacht, die im Zuge einer Gesamtbehandlung gebessert werden müssen. Es geht auch insoweit vorliegend nicht nur um die bloße Wiederherstellung der Kaufunktion bzw um die reine Versorgung mit Zahnersatz, sondern insgesamt um die Wiederherstellung eines angemessenen Allgemeinzustands der Klägerin. Prof. Dr. Dr. (H) D. hat einen deutlich reduzierten Ernährungs- und Allgemeinzustand der Klägerin beschrieben. Zu Recht hat der Sachverständige insoweit untechnisch von einem "rehabilitativen" Ziel gesprochen. Denn gerade aufgrund der mangels ausreichender prothetischer Versorgung unzureichenden Fähigkeit, feste Nahrung aufzunehmen, ist der deutlich reduzierter Allgemein- und Ernährungszustand der Klägerin eingetreten (vgl. S. 6 des Gutachtens, ad 2). Dr. K. hat überdies darauf hingewiesen, dass aufgrund der Problematik, dass die Klägerin die Nahrung nur unvollständig zerkleinern könne, auch Auswirkungen auf den Gastrointestinaltrakt auftreten würden. Außerdem dient die Implantatversorgung dazu, die Folgen des Meige-Syndroms abzumildern bzw teilweise zu beseitigen.
Die implantologische Behandlung fügt sich in diese weitergehenden Behandlungszwecke ein, die Behandlungsmaßnahmen greifen funktionsbezogen ineinander, denn die verbesserte Haltefunktion der implantatgestützten Prothese (sogenannte Retention) führt zu einer geringeren Bewegung auf der Mundschleimhaut und dadurch zu einer verminderten Druckstellenbildung, die regelmäßig mit Schmerzen verbunden ist; die Kaufähigkeit wird gerade bei festen Nahrungsmitteln gegenüber einer konventionellen Totalprothese deutlich verbessert (BSG 19.06.2001, B 1 KR 4/00 R, BSGE 88, 166, SozR 3-2500 § 28 Nr 5 unter Hinweis auf Heydecke ZM 2000 Nr 21 S 52, 54 und 56).
Nach alledem liegt unzweifelhaft neben der Versorgung mit Zahnersatz "ein darüber hinausgehendes medizinisches Gesamtziel" (BSG 07.05.2013 aaO Rn 9) vor.
Der Sachverhalt ist vollständig aufgeklärt; die vorhandenen Gutachten und Arztauskünfte bilden eine ausreichende Grundlage für die Entscheidung des Senats. Das vorliegende Gutachten von Prof. Dr. Dr. (H) D. in Verbindung mit den vorliegenden Auskünften der als sachverständige Zeugen befragten behandelnden Ärzte haben dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen vermittelt (§ 118 Abs 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs 1 ZPO). Die Gutachten gehen von zutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen aus, enthalten keine unlösbare inhaltliche Widersprüche und geben keinen Anlass, an der Sachkunde oder Unparteilichkeit der Gutachter zu zweifeln; weitere Beweiserhebungen waren daher von Amts wegen nicht mehr notwendig.
Im Rahmen der nun anstehenden Leistungserbringung wird die Beklagte auch den von der Klägerin im Rahmen ihres Wunsch- und Wahlrechts geäußerten Wunsch, dass Prof. Dr. Dr. (H) D. die Implantatversorgung durchführen möge, angemessen berücksichtigen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs 2 Nr 1 und 2 SGG).
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