L 11 KA 150/99

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
11
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 17 KA 332/98
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 KA 150/99
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 6 KA 6/01 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 30.06.1999 wird zurückgewiesen. Die Kläger haben die außergerichtlichen Kosten der Beklagten auch im Berufungsverfahren zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Kläger berühmen sich eines weiteren Honoraranspruchs für das Quartal III/1997 in Höhe von 154.720 DM.

Die Kläger sind HNO-Ärzte und in D ... zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Die Beklagte berechnete das ihnen für das Quartal III/1997 zustehende Honorar in Höhe von 272.773,06 DM. Das Praxisbudget betrug für das streitige Quartal 2.249.646,8 Punkte bei 2932 budgetrelevanten Fällen; daneben wurden seitens der Beklagten die anerkannten Zusatzbudgets Allergologie (112.160 Punkte), Diagnostik von Schlafstörungen (14.020 Punkte), otoakustische Emmissionen (30.844 Punkte), Otoneurologie (56.080 Punkte), Phoniatrie und Pädaudiologie (56.080 Punkte), Psychosomatik, übende Verfahren (11.216 Punkte) sowie Teilradiologie, Unfallchirurgie (95.336) zugrundegelegt. Mit Ausnahme des Zusatzbudgets "Psychosomatik, übende Verfahren" wurden von den Klägern alle Budgets deutlich überschritten.

Die Entwicklung des Leistungsumfangs und der Honorarberechnung der Kläger für die Quartale I/1997 bis II/1998 stellt sie wie folgt dar:

Mit ihrem Widerspruch gegen den Honorarbescheid für das Quartal III/1997 trugen die Kläger im wesentlich vor, der Bewertungsausschuss habe durch die Vereinbarungen der Praxisbudgets den Rahmen seiner gesetzlichen Legitimation verlassen, indem er eine gravierende Systemkorrektur und eine weitreichende Mengenbegrenzung vorgenommen habe. Dies habe zur Folge, dass jeder Arzt nunmehr gezwungen sei, seine ärztliche Tätigkeit und seine Arztpraxis faktisch ohne Gegenleistung zur Verfügung zu stellen, wenn er die Mengenbegrenzung erreiche. Für derart gravierende Vergütungsveränderungen könne nicht der Bewertungsausschuss, sondern nur der Gesetzgeber zuständig sein. Die sich aus § 85 Abs. 4 Satz 3 SGB V ergebende Leistungsbezogenheit der ärztlichen Vergütung werde aufgegeben. Für die entsprechende Regelung im Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) fehle es auch an einer verfassungsmäßigen Rechtsgrundlage, denn § 85 Abs. 3 a) SGB V sei verfassungswidrig. Der einzelne Vertragsarzt werde, ohne eine angemessene Vergütung zu erhalten, für die Erfüllung öffentlicher Interessen in Anspruch genommen. Durch die Einführung der Praxisbudgets werde in das Recht der freien Berufswahl eingegriffen, wenn insoweit dies dazu führe, dass Vertragsärzte dauerhaft unterhalb der Kostendeckung arbeiten müssten. Es werde ebenfalls Art. 14 GG verletzt, wenn es einer Vertragsarztpraxis nicht mehr möglich gemacht werde, wirtschaftlich arbeiten zu können. Letztlich liege auch eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes (Art. 3 GG) vor, wenn durch einen bundeseinheitlichen Kostensatz Ungleiches gleich gemacht werde. Auch die Praxiskostensätze seien für mehrere Arztgruppen falsch, was sich aus entsprechenden wissenschaftlichen Untersuchungen ergebe. Im Ergebnis führe das Konzept des Praxisbudgets dazu, dass die Behandlung der gesetzlich Krankenversicherten durch die Behandlung der übrigen Patienten subventioniert werde.

Mit Bescheid vom 25.08.1998 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück und führte im Einzelnen aus, der angefochtene Bescheid stehe im Einklang mit den für die Abrechnung geltenden Regeln, wie sie sich insbesondere aus dem Honorarverteilungsmaßstab der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (HVM) ergäben.

Im Klageverfahren haben die Kläger zur Begründung Bezug genommen auf ihre Ausführungen und Begründungen im Widerspruchsverfahren.

Die Kläger haben beantragt,

den Honorarbescheid für das Quartal III/1997 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 25.08.1998 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, sie neu zu bescheiden.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Einführung von Praxis- und Zusatzbudgets für rechtmäßig gehalten. § 87 Abs. 2 a) Satz 8 SGB V stelle eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für die Budgetierung dar; die Budgetierungsregelung sei auch gleichzeitig mit der Ermächtigungsgrundlage in Kraft getreten. Im übrigen habe der Gesetzgeber damit nur die sich nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ergebende Rechtslage nachvollzogen. Die Einführung von Praxis- und Zusatzbudgets vermeide eine übermässige Ausweitung der Menge der abgerechneten vertragsärztlichen Leistungen und stabilisiere damit den Punktwert. Es sei nicht erkennbar, dass dieser Steuerungseffekt auch durch ein milderes Mittel hätte erreicht werden können. Die streitige Regelung der Praxis- und Zusatzbudgets sei auch nicht unverhältnismäßig, denn Praxisbesonderheiten könnten durch qualifikations- oder bedarfsabhängige Zusatzbudgets sowie Erweiterung der Praxis- und/oder Zusatzbudgets bei einem besonderen Versorgungsbedarf berücksichtigt werden.

Mit Urteil vom 30.06.1999 hat das Sozialgericht Düsseldorf die Klage abgewiesen. Zur Begründung wird auf die Ausführungen in den Entscheidungsgründen Bezug genommen.

Mit ihrer Berufung verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter. Sie nehmen zunächst Bezug auf ihren Vortrag im Widerspruchs- und Klageverfahren. Ergänzend führen sie aus, die Vorschrift des § 87 Abs. 2 a) Satz 8 SGB V könne nicht als Ermächtigungsgrundlage in Betracht kommen, da sie erst am 01.07.1997 in Kraft getreten sei, jedoch der Bewertungsausschuss die streitige EBM-Regelung bereits im November 1996 und März 1997 beschlossen habe. Soweit das Sozialgericht die angeführte Mengenausweitung als vernünftige Erwägung des Gemeinwohls ansehe, könne damit ein Eingriff in die Berufsausübungsregelung nicht gerechtfertigt werden; es gebe keinerlei Nachweis dafür, dass eine sogenannte Mengenausweitung überhaupt stattgefunden habe. Für die Auffassung des Sozialgerichts, dass das Wirtschaftlichkeitsgebot durch massive "Gegenanreize" bedroht worden sei, hätte es zunächst nahegelegen, solche Formen von Unwirtschaftlichkeit durch geeignete, weniger einschneidende Maßnahmen zu sichern. Bei der Budgetregelung handele es sich auch nicht um eine sehr differenzierte Regelung, da erfahrungsgemäß gerade qualifizierte und mit Praxisbesonderheiten versehene Praxen unter der Budgetregelung leiden würden. In seiner Entscheidung vom 08.03.2000 habe das BSG lediglich einige Aspekte der Praxisbudgets berührt. So fehle es in dieser Entscheidung etwa an Ausführungen zu dem Gesichtspunkt "mangelnde Regelungsbefugnis des Bewertungsausschusses für den EBM" sowie zur Verletzung der Berufsfreiheit (Art. 12 GG), des Eigentums (Art. 14 GG) und des Gleichheitsgrundsatzes (Art. 3 GG). Letztlich seien die der Fallpunktzahlberechnung zugrunde gelegten Kostensätze unzutreffend, wie sich aus dem KPMG-Gutachten ergebe. Deshalb habe das Sozialgericht München in mehreren Entscheidungen eine Überprüfung der Kostensätze gefordert.

Die Kläger beantragen,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 30.06.1999 abzuändern und nach dem Klageantrag zu erkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.

Die Verwaltungsakten der Beklagten haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. Auf den Inhalt dieser Akten und den der Streitakten wird - insbesondere hinsichtlich des Vorbringens der Beteiligten - ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Kläger ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, da der Abrechnungsbescheid für das Quartal III/1997 rechtmäßig ist und somit die Kläger nicht in ihren Rechten im Sinne von § 54 Abs. 2 SGG verletzt.

Die Beklagte hat bei der streitigen Honorarberechnung der Kläger die zum 01.07.1997 eingeführten Bestimmungen des EBM über die Praxisbugets zu Recht angewandt. Diese Vorschriften sind mit höherrangigen Recht vereinbart (BSG Urteil vom 08.03.2000 - B 6 KA 7/99 R -).

Die Vorschrift des § 87 Abs. 2 a) Satz 8 SGB V stellt die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für die Einführung der Praxisbudgets im EBM dar. Zwar hat der Bewertungsausschuss bereits mit Beschlüssen vom 19.11.1996 und 11.03.1997 den EBM insoweit neu gefasst, obwohl die Ermächtigungsgrundlage des § 87 Abs. 2 a) Satz 8 SGB V erst am 01.07.1997 in Kraft getreten ist. Jedoch ist es allein entscheidend, ob zu dem Zeitpunkt, in dem diese Beschlüsse für die Honorarabrechnung des einzelnen Arztes Wirksamkeit erlangten, eine hinreichend bestimmte gesetzliche Ermächtigungsgrundlage vorlag (BSG a.a.O.). Das war für das Quartal III/1997 der Fall.

Entgegen der Ansicht der Kläger wird durch die Einführung der Praxisbudgets auch die Verhinderung einer sogenannten Mengenausweitung erreicht. Denn eine Begrenzung der Punktmenge führt zu einer Stabilisierung des Punktwertes und nimmt damit den Anreiz, über eine Steigerung des Leistungsvolumens im Sinne des sogenannten Hamsterradeffektes ein zumindest gleichbleibendes Einkommen zu erzielen. Die Einführung des Praxisbudgets reduziert den Anreiz zur immer weiteren Vermehrung der abrechenbaren Leistungen, weil die Wahl des Arztes für die Leistungen des budgetierten Bereiches allein durch das Produkt aus arztbezogener Fallpunktzahl und Zahl der Behandlungsfälle bestimmt wird. Insofern vermag der Senat auch durch die Einführung der Praxisbudgets keinen rechtswidrigen Eingriff in die Grundrechte aus Art. 12 und 14 GG zu sehen. Dabei schließt sich der Senat nach eigener Prüfung der Rechtsauffassung des BSG im Urteil vom 08.03.2000 ausdrücklich an.

Gerade die Honorarentwicklung der Kläger in den Quartalen I/1997 bis II/1998 macht deutlich, dass durch die streitige Budgetierungsregelung Eingriffe in die Grundrechte aus Art. 12 und 14 GG nicht einmal vorliegen. Der Vergleich der Quartale II/1997 und III/1997 zeigt, dass die Kläger im Quartal III/1997 bei einer gegenüber den Vorquartalen um rund 10 % geringeren Fallzahl und einem ebenfalls um 10 % geringeren Leistungsvolumen (Punktzahlanforderung) ein annähernd gleiches Honorar erwirtschaftet haben. Zwar ist es zutreffend, dass der der Honorarberechnung zugrundegelegte Faktor der Punktemenge im Quartal III/1997 gegenüber dem Vorquartal nur 2,7 Millionen Punkte statt 4,2 Millionen Punkte betrug, jedoch wird damit auch deutlich, dass der vom Normgeber gewünschte Effekt einer Punktwertstabilisierung eingetreten ist. Denn im Rahmen der anerkannten Budgets sind die Leistungen der Kläger im streitigen Quartal mit 8,05 Pfennigen (Primärkassen) und 9,87 Pfennigen (Ersatzkassen) statt vorher 5,97 Pfennigen und 7,65 Pfennigen vergütet worden, also durchschnittlich um 30 % höher. Das hat sogar dazu geführt, dass die Kläger im streitigen Quartal bei einer um 10 % rückläufigen Fallzahl und einer ebenfalls um 10 % geringeren Punktzahlanforderung ein Honorar erhalten haben, dass nur rund 3 % unter dem Vorquartalshonorar lag. Dass die Kläger durch die Einführung des Praxisbudgets besser gestellt und begünstigt worden sind, also gerade nicht beschwert sind, zeigt auch die Gesamtbetrachtung der Übersicht der Seite 3) und der in den Verwaltungsakten vorhandenen Frequenztabellen und Abrechnungsbescheiden. Die Kläger haben in den jeweiligen Sommerquartalen II und III der Jahre 1996 bis 1998 gleichbleibend Leistungen im Umfang von knapp unter 1.600 Punkten pro Fall (1.509 bis 1.590), in den jeweiligen Winterquartalen I und IV von knapp über 1.600 Punkten pro Fall (1.621 bis 1.650) erbracht. Diese sind ab dem Quartal III/1996 vergütet worden pro Fall mit 85,80 DM, 84,80 DM, 79,50 DM, 82,50 DM, 88,70 DM, 87,70 DM, 80,50 DM, 87,90 DM, 92,60 DM und 86,20 DM (Quartal IV/1998). Im Quartal II/1997 ist ein Leistungsvolumen von 1.599 Punkten mit 82,50 DM, im Quartal III/1997 von 1.591 Punkten aber mit 88,70 DM pro Fall vergütet worden. Auch der Durchschnittsfallwert der vier Quartale III/1996 bis II/1997 vor Einführung der Praxisbudget liegt mit 84,40 DM niedriger als der Durchschnittsfallwert der vier Quartale III/1997 bis II/1998 nach Einführung der Praxisbudget mit 86,20 DM bei identischem Leistungsvolumen pro Fall. Bei der im Rahmen der Festsetzung des Gegenstandswertes erörterten Vorstellung der Kläger, weitere 1.934.000 Punkte mit einem mittleren Punktwert von 8 Pfennigen vergütet zu bekommen, würde sich ein Durchschnittshonorar pro Fall von über 141,-- DM errechnen, das auch für die Praxis der Kläger realitätsfern liegt.

Soweit die Kläger die Festsetzung des Praxisbudgets auch im Hinblick auf den nach Anlage 3 des EBM zu ermittelnden Kostensatzes für die einzelnen Fachgruppen beanstanden, läßt sich daraus - zumindest für das streitige Quartal - eine Rechtswidrigkeit nicht herleiten. Denn bei Inkrafttreten der Bestimmungen über das Praxisbudget im Quartal III/1997 stand als Datengrundlage allein die Kostenstrukturanalyse der Honorarabteilung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) zur Verfügung. Das von den Klägern angesprochene Gutachten der KPMG war hingegen zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen. Der Senat verkennt auch nicht, dass es sich bei der Analyse der Honorarabteilung der KBV lediglich um eine Auswertung von Sekundärquellen handelt, weil einiges Datenmaterial nicht in ausreichendem Umfang zur Verfügung stand. So wurden Daten des Statistischen Bundesamtes, des Zentralinstitutes der KBV, der Firma D ... sowie Daten verschiedener Kreditinstitute zusammengefasst. Die Datenrepräsentation wurde durch eine Gewichtung der Angaben nach Umsatzklassen der Praxen erhöht, so dass eine ausreichende Datenbreite durch diese Zusammenführung erreicht werden konnte. Der Senat hält in Übereinstimmung mit den Ausführungen von Prof. Dr. G ..., Lehrstuhl für Biometrie und medizinische Dokumentation der Universität U., wie sie im wissenschaftlichen Gutachten vom 02.02.1997 niedergelegt sind, die Stichproben unter Repräsentativitätsgesichtspunkten für hinreichend aussagekräftig und mithin - zumindest im Rahmen einer Anfangsregelung - für das streitige Quartal III/1997 für verwendungsfähig.

Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob die Kostenstrukturanalyse der KBV - Honorarabteilung - wie es das Sozialgericht München S 42 KA 873/98 annimmt - verbesserungsfähig ist, weil es auf diese Frage nicht ankommt. Es ist lediglich die Rechtmäßigkeit der EBM-Regelung für das Quartal III/1997 zu beurteilen und zu diesem Zeitpunkt lagen andere zumindest für eine Anfangsregelung ausreichende Analysen und Gutachten nicht vor.

Die Kostenentscheidung erfolgt aus §§ 183 und 193 SGG.

Anlass, die Revision zuzulassen, hat nicht bestanden, da die Voraussetzungen des §§ 160 Abs. 2 SGG nicht gegeben sind.
Rechtskraft
Aus
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