L 3 U 321/00

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 8 U 254/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 321/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufungen der Beigeladenen zu 1) und 2) und der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 19.04.2000 werden zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

I.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Kläger wegen des tödlichen Unfalls ihrer Tochter M.K ... - K. - am 18.08.1993 Hinterbliebenenleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung verlangen können.

K. war zum Unfallzeitpunkt arbeitslos. Sie war mit W.L ... verlobt, der Berufskraftfahrer bei der Firma L ... GmbH war. Sie begleitete ihren Verlobten im August 1993 nahezu regelmäßig auf dessen Fahrten. Am Unfalltag sollte W.L ... Ware an die Firma Sch ... in Ellwangen liefern. Für diese Fahrt benutzte er den LKW seines Arbeitgebers und einen von der Beigeladenen zu 2), der Firma M ..., ausgeliehenen Anhänger. Nach dem der LKW bei der Firma Sch ... entladen war, wollte W.L ... den Anhänger wieder an die Zugmaschine ankoppeln. Bei diesem Vorgang wurde K. zwischen Zugmaschine und Anhänger eingeklemmt. Sie erlitt dabei so schwere Verletzungen, dass sie kurze Zeit nach ihrer Einlieferung in das Kreiskrankenhaus Ellwangen daran verstarb.

Am 20.01.1997 zeigten die Kläger der Beklagten den Unfall ihrer Tochter an und begehrten Entschädigung. Zuvor hatten sie vor dem Landgericht München I (Aktenzeichen 17 O 15984/96) bereits gegen W.L ..., gegen dessen Arbeitgeber-Firma Lo ... und gegen die Firma M ... sowie deren jeweilige Haftpflichtversicherer Klage auf Schadensersatz wegen schuldhafter Pflichtverletzung bei dem tödlichen Unfall ihrer Tochter geführt. Das Landgericht wies mit Teil-Endurteil vom 23.12.1996 die Klage gegen die Firma M ... und deren Haftpflichtversicherer mangels Verschuldens ab. Im übrigen führte es das Verfahren weiter. Es vernahm im Termin am 24.04.1997 W.L ... als Partei ein. Dieser sagte aus, er habe den Ankopplungsversuch alleine durchführen wollen. K. sei, als er das Führerhaus verließ, dort sitzen geblieben. Er habe nicht bemerkt, dass sie später ausgestiegen sei. Erst, als sich der Anhänger plötzlich in Bewegung setzte und auf die Zugmaschine zurollte, habe er gesehen, dass sie sich in unmittelbarer Nähe der Anhängerkupplung aufhielt. Er habe ihr noch zu gerufen, sie solle verschwinden. Dazu sei es jedoch zu spät gewesen. K. habe wie gelähmt dagestanden. Sie sei dann zwischen der Ladebordwand der Zugmaschine und des Anhängers eingeklemmt worden und habe die tödlichen Verletzungen erlitten. Das Landgericht holte noch ein unfallanalytisches Gutachten von Prof.Dr.R ..., Berlin, vom 03.07.1998 ein. Dieses kommt zum Ergebnis, der Unfallhergang lasse sich nicht so rekonstruieren, dass nur eine einzige Lösung für den Unfallablauf in Betracht komme. Vielmehr seien mehrere Abläufe gleich gut möglich. Bei der einen Variante wäre eine Mithilfe durch K. notwendig gewesen. Bei den anderen Varianten des Ankoppelns hätte W.L ... dies auch alleine bewerkstelligen können. Mit Beschluss vom 16.08.2000 setzte das Landgericht den Rechtsstreit bis zur Entscheidung des inzwischen eingeleiteten Sozialgerichtsverfahrens aus.

Auf die Unfallanzeige der Kläger leitete die Beklagte Ermittlungen ein. Sie zog die vorgenannten Akten des Landgerichts München I sowie die Akte des Amtsgerichts Ellwangen bei, das W.L ... wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe von 2.400 DM verurteilt hatte. In letzteren Akten ist ein Gutachten der DEKRA vom 08.12.1993 zum technischen Zustand des Fahrzeugs und des Anhängers, zum Ablauf des Ankoppelvorgangs und zur Vermeidbarkeit des Unfalls enthalten. Die Beklagte hörte W.L ... und den Inhaber der Firma Lo ..., M.Lo ..., schriftlich an. M.Lo ... betonte, er habe W.L ... verboten, Beifahrer mitzunehmen; ihm sei nicht bekannt gewesen, dass K. mitgefahren war. W.L ... gab u.a. an, K. hätte im Führerhaus auf ihn warten sollen. Mit Bescheid vom 28.07.1997 lehnte die Beklagte Entschädigungsansprüche der Kläger ab. K. habe zum Unfallzeitpunkt nicht zum versicherten Personenkreis gehört. Sie sei weder Versicherte gewesen noch habe sie "wie" eine Versicherte gehandelt. Sofern sie während der Ladetätigkeit Handreichungen vorgenommen haben sollte, so habe sie dies aus Gefälligkeit zu W.L ..., aber nicht wie eine Arbeitnehmerin der Fa.Lo ..., getan. Der Widerspruch, den die Kläger auf das im Landgerichtsverfahren von Prof.Dr.R ... eingeholte Gutachten stützten, blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 15.09.1998).

Dagegen haben die Kläger beim Sozialgericht Landshut Klage erhoben. Sie haben im Wesentlichen ihr Vorbringen wiederholt. Das Sozialgericht hat die Akten des Landgerichts München I und des Amtsgerichts Ellwangen beigezogen, mit Beschluss vom 19.01.1999 die Fa.M ... und deren Haftpflichtversicherer beigeladen und W.L ... und M.L ... als Zeugen einvernommen. Auf die Sitzungsniederschrift wird gem. § 136 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG - Bezug genommen. Mit Urteil vom gleichen Tag hat das Sozialgericht die auf Entschädigung an die Hinterbliebenen gerichtete Klage abgewiesen. Es hat dargelegt, für ein Beschäftigungsverhältnis der K. im Verhältnis zur Firma Lo ... bestehe kein Anhalt. Eine arbeitnehmerähnliche Tätigkeit i. S. des § 539 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung - RVO - liege ebensowenig vor. Dagegen spreche nämlich, dass M.Lo ... sowohl W.L ... als auch K. eine Begleitung auf Betriebsfahrten untersagt hatte. Ein Handeln gegen den ausdrücklichen Willen des Unternehmers habe zur Folge, dass dies seinem mutmaßlichen Willen, was ein arbeitnehmerähnliches Verhältnis i.S.d. § 539 Abs.2 RVO begründen könnte, eindeutig zuwiderlaufe. Nach dem Gesamtergebnis der Beweisaufnahme sei davon auszugehen, K. habe ihrem Verlobten helfen wollen. Sofern ihre Mitwirkung bei dem streitigen Ankopplungsmanöver angenommen werde, habe sie aus familiären und freundschaftlichen Gesichtspunkten heraus gehandelt und nicht wie eine Arbeitnehmerin der Firma Lo ... Ein versicherter Arbeitsunfall scheide demnach aus.

Dagegen haben die Beigeladenen zu 1) und 2) Berufung eingelegt; die Kläger haben sich den Anträgen angeschlossen. Die Beigeladenen haben sich auf ein in ihrem Auftrag am 12.04.2000 von dem Ingenieurbüro N .../Dr.P ... erstattetes technisches Gutachten gestützt. Dr.P ... hat darin ausgeführt, am Fahrzeug und Anhänger seien technische Mängel vorhanden gewesen, die ein Ankoppeln ohne Mithilfe einer weiteren Person nicht ermöglicht hätten. Das Tätigwerden der K. sei daher erforderlich gewesen. Darin sei ein objektiver Umstand zu erkennen, der auf den mutmaßlichen Willen des Unternehmers schließen lasse und der die Mithilfe der K. als arbeitnehmerähnliche Tätigkeit qualifiziere.

Die Beigeladenen und die Kläger beantragen, das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 19.04.2000 und den Bescheid vom 28.07.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheid vom 15.09.1998 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Klägern Hinterbliebenenleistungen aus Anlaß des Todes ihrer Tochter am 18.08.1993 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufungen der Beigeladenen und der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 19.04.2000 zurückzuweisen.

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts gem. § 136 Abs. 2 SGG auf die Aktenheftung der Beklagten, auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie auf die vorbezeichneten Akten des Landgerichts München I und des Amtsgerichts Ellwangen Bezug genommen.

II.

Entscheidungsgründe:

Die Berufungen der Beigeladenen und der Kläger sind zulässig (§§ 143, 151 SGG). Die Berufungen der Beigeladenen sind statthaft, soweit sie durch das Urteil erster Instanz materiell beschwert sind. Eine solche Beschwer liegt vor, wenn das Urteil berechtigte Interessen der Beigeladenen berührt. Die Beeinträchtigung wirtschaftlicher Interessen reicht aus (Meyer Ladewig, SGG, 6.Auflage § 75, Anm. 19). Die Interessen der Beigeladenen sind insoweit berührt, als sie von ihrer Haftung befreit wären, wenn ein Arbeitsunfall anerkannt würde. Die Berufung der Kläger ist als Anschlußberufung aufzufassen.

Die Berufungen sind unbegründet, weil der tödliche Unfall der K. am 18.08.1993 kein vom Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung erfaßter Arbeitsunfall war. Mit zutreffenden Ausführungen hat dies das Sozialgericht in den Gründen des angefochtenen Urteils ausführlich dargestellt. Gesichtspunkte, die das Sozialgericht bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt hätte, sind von den Beteiligten nicht vorgebracht worden. Der Senat schließt sich diesen Ausführungen an und sieht insoweit gem. § 153 Abs. 2 SGG von weiteren Darlegungen ab.

Soweit die Beigeladenen sich erneut auf das in ihrem Auftrag erstattete Gutachten des Sachverständigen Dr.P ... vom 12.04.2000 stützen, ist ihnen entgegenzuhalten, dass dies nicht geeignet ist, den hier streitigen Punkt zu klären. Da - wie vom Sozialgericht richtig dargestellt und von den Beteiligten auch nicht anders behauptet - kein Beschäftigungsverhältnis zwischen K. und der Firam Lo ... bestanden hat, kommt allein eine Tätigkeit "wie" eine Versicherte gem. § 539 Abs. 2 RVO in Betracht. Hierzu ist erforderlich, dass zum Einen eine Hilfeleistung von K. erbracht worden war oder zumindest erbracht werden sollte und zum Anderen, dass diese Tätigkeit dem ausdrücklichen oder mutmaßlichen Willen des Unternehmers Lo ... entsprochen hat. Dies ist ein innerer Vorgang im Bereich der Willensbildung der K. im Sinne ihrer Handlungstendenz. Diese ist vom Zeitpunkt der Handlung aus zu betrachten und hieraus zu verstehen. Ein Gutachten, das technische Mängel offenbart, welche eine Mithilfe notwendig erscheinen lassen, welches aber dem Helfer gar nicht bekannt war, kann nicht dessen Handlungsgrundlage gewesen sein. Dies ist schon aus rein zeitlichen Überlegungen nicht möglich. Aus den gesamten Umständen läßt sich zudem erkennen, dass diese möglicherweise vorhandenen technischen Mängel, deren Vorliegen der Senat aus seiner Rechtsauffassung heraus nicht zu prüfen hat, nicht einmal dem Fahrer W.L ... bekannt waren. Umso weniger ist anzunehmen, dass sie K. bekannt waren. Die subjektive Handlungstendenz, auf die nach § 539 Abs. 2 RVO abzustellen ist, kann somit nicht von dieser Erkenntnis geprägt gewesen sein.

Wenn die Beigeladenen meinen, das von ihnen vorgelegte Gutachten sei zumindest geeignet, Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Zeugen W.L ... zu hegen, der möglicherweise eigenen Haftungsansprüchen entgegenwirken möchte, so reicht das nicht aus, um eine auf das Unternehmen der Firma Lo ... ausgerichtete Handlungstendenz der K. zu belegen. Damit bleibt es bei den Feststellungen des Sozialgerichts, wonach K. wußte, dass ihrem Verlobten vom Firmeninhaber verboten war, Beifahrer mitzunehmen. Insoweit stützte sich das Sozialgericht auch auf die Einlassungen der Kläger im Termin vom 21.01.2000 und nicht bloß auf die Aussage des Zeugen W.L ... Unter diesen Umständen konnte K. nicht davon ausgehen, die Begleitung ihres Verlobten und ihre eventuelle Mithilfe beim Ankoppeln des Anhängers habe dem tasächlichen oder mutmaßlichen Willen des Unternehmers Lo ... entsprochen. In seiner Entscheidung vom 30.04.1979 (Breithaupt, 1980, 275) hat das BSG ausgeführt, allein die subjektive Vorstellung, es werde eine dem Unternehmen förderliche Arbeit geleistet, reiche nicht aus, um den mutmaßliche Willen des Unternehmers festzustellen. Vielmehr sei die Arbeit an objektiven Maßstäben zu messen, z.B. auf Grund der Interessenlage und des allgemeinen Unternehmenszwecks. Damit seien auch die Grenzen der Feststellung des mutmaßlichen Willens des Unternehmers gezogen. Es entspreche nicht mehr dem mutmaßlichen Willen des Unternehmers, wenn sich der Handelnde bei verständiger Würdigung aller Umstände sagen muß oder hätte sagen müssen, sein Handeln werde nicht vom Unternehmer gebilligt. An Hand dieser Grundsätze hätte sich K. sagen müssen, dass ihre Mitfahrt mit ihrem Verlobten bereits nicht geduldet würde und ihre etwaige Mitarbeit nicht erwünscht sei. Hierfür sind verständliche Gründe eines Unternehmers ersichtlich, der einer Haftung für unternehmensfremde Personen begegnen will. Dieser globale Wille des Unternehmers wird nicht dadurch beseitigt, dass man unterstellen könnte, das Ankoppeln sei ohne Mithilfe einer weiteren Person aus technischer Sicht nicht möglich gewesen. Denn auch dann hätte W.L ... die Möglichkeit gehabt, Hilfe von Mitarbeitern der belieferten Firma in Anspruch zu nehmen. Jedenfalls hätte K. auch bei dieser angenommenen Konstellation nicht davon ausgehen können, sie handle durch ihre Mithilfe im mutmaßlichen Willen des Unternehmers. Eine arbeitnehmerähnliche Tätigkeit der K. zugunsten der Firma L ... kann, was das Sozialgericht bereits zutreffend festgestellt hat, somit nicht nachgewiesen werden. Ihre Mithilfe, sofern eine solche tatsächlich von K. geleistet worden ist, was im Ergebnis dahinstehen kann, stellt sich eher als Hilfe zugunsten ihres Verlobten dar. Diese Tätigkeit war von familiären und freundschaftlichen Gesichtspunkten bestimmt und ist nicht als arbeitnehmerähnliche Tätigkeit zu Gunsten des Arbeitgebers von W.L ... zu qualifizieren. Damit steht fest, dass eine irgendwie geartete Mithilfe der K. - sofern eine solche tatsächlich geleistet worden war - nicht vom Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung erfaßt wird. Ein Anspruch der Kläger auf Hinterbliebenenleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ist nicht zu begründen. Die Berufungen der Beigeladenen zu 1) und 2) und der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 19.04.2000 waren zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da keine Gründe im Sinne des § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG vorliegen und der Senat seiner Entscheidung die ständige Rechtsprechung des BSG zur Qualifikation einer Hilfstätigkeiten im Sinne des § 539 Abs. 2 RVO zugrunde gelegt hat.
Rechtskraft
Aus
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