L 10 R 1262/11

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 15 R 2938/10
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 1262/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 15.03.2011 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Anschlussberufung der Klägerin wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung streitig.

Die am 1958 geborene Klägerin absolvierte keine Berufsausbildung; zuletzt war sie als Reinigungskraft in einer Kinderklinik bis 05.02.2007 tätig, danach war sie arbeitsunfähig erkrankt.

Die Klägerin unterzog sich im Oktober/November 2009 einer Rehabilitationsbehandlung in der Klinik G ... Unter Bezugnahme auf die Diagnosen rezidivierende depressive Störung (gegenwärtig schwergradige Episode), chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren bei Lumboischialgie und Spondylolisthese L5/S1, linkskonvexe degenerative Lumbalskoliose bei Beckenschiefstand und Cervicalgien bei degenerativen HWS-Veränderungen wurde sie im Entlassungsbericht für nicht mehr in der Lage gesehen, leichte Tätigkeiten drei Stunden täglich zu verrichten.

Den am 19.11.2009 gestellten Rentenantrag lehnte die Beklagte - nach Beiziehung verschiedener Arztbriefe und entsprechend einer beratungsärztlichen Stellungnahme durch den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Sozialmedizin Dipl.-med. G. , der auf eine deutliche Diskrepanz zwischen vorgetragenen Beschwerden und vorgeführten objektivierten Befunden hinwies - bei Berücksichtigung einer Spondylolisthese der Lendenwirbelsäule und eines Zustands nach Anpassungsstörung mit Bescheid vom 09.12.2009 ab. Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte nach Veranlassung eines orthopädischen Gutachtens bei Dr. R. (Bl. 1071 ff. VerwA) sowie eines nervenärztlichen Gutachtens beim Dipl.-med. G. (Bl. 1113 ff. VerwA) mit Widerspruchsbescheid vom 06.07.2010 zurück. Beide Gutachter schätzten das Leistungsvermögen der Klägerin dahingehend ein, dass ihr - unter Beachtung bestimmter qualitativer Leistungseinschränkungen - leichte bis (zeitweise, so Dr. R. ) mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich zuzumuten seien. Der orthopädische Gutachter diagnostizierte ein chronisches LWS-Syndrom bei Spondylolisthesis L5/S1 Grad I nach Meyerding, eine linkskonvexe Lumbalskoliose, eine Periarthropathia humeroscapularis (PHS) mit Impingement der linken Schulter sowie eine beginnende Coxarthrose der Hüfte rechts. Der nervenärztliche Gutachter stellte die Diagnosen einer abgeklungenen Anpassungsstörung bei Arbeitskonflikt 2007, eines anhaltenden Nikotinab-usus sowie eines Z.n. mittelgradiger Depression im Rahmen einer rezidivierenden depressiven Störung, gegenwärtig remittiert.

Auf Veranlassung des am 15.07.2010 angerufenen Sozialgerichts Karlsruhe hat PD Dr. W. , Arzt für Neurologie, Psychiatrie und Schmerztherapie, ein Gutachten erstattet (Bl. 22 ff. SG-Akte). Ihm gegenüber hat die Klägerin bei der Untersuchung im Februar 2011 vor allem Schmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule, der linken Hüfte, des linken Beines und des linken Fußes, des Nackens sowie der linken Schulter beklagt. Zudem hat sie erklärt, in wechselnder Ausprägung von einer depressiven Störung betroffen zu sein. PD Dr. W. hat chronische Rückenschmerzen bei Spondylo¬listhesis L5/S1 und bei degenerativen Veränderungen der unteren Lendenwirbelsäule, eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung mit sekundärem Fibromyal-giesyndrom sowie eine multifaktoriell bedingte depressive Störung, aktuell mittelgra¬dig, diagnostiziert. Unter Berücksichtigung somatischer, psychischer sowie sozialer Faktoren und Phänomene hat der Gutachter die Klägerin für nur noch in der Lage gehalten, drei bis unter sechs Stunden arbeitstäglich leichte bis kurzfristig mittelschwere Tätigkeiten unter Beachtung einiger qualitativer Einschränkungen zu verrichten; eine solche Tätigkeit habe in temperierten Räumen bei möglichem Wechsel der Körperhaltung zu erfolgen. Die Einschränkung der Leistungsfähigkeit liege in etwa seit 01.06.2008 vor (Bl. 50 bis 52 SG-Akte).

Das Sozialgericht ist dem Gutachten des PD Dr. W. gefolgt und hat den Bescheid der Beklagten vom 09.12.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.07.2010 mit Urteil vom 15.03.2011 aufgehoben sowie die Beklagte entsprechend dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag verurteilt, der Klägerin ab dem 01.11.2009 Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auf Dauer und - bei Annahme der Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes - Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 01.05.2010 bis 30.04.2013 zu gewähren. Dabei ist das Sozialgericht davon ausgegangen, es habe spätestens ab November 2009 ein gemindertes Leistungsvermögen im Bereich von drei bis unter sechs Stunden arbeitstäglich vorgelegen. Der gute psychiatrische Zustand, wie er im Gutachten des Dipl.-med. G. beschrieben worden sei, sei lediglich auf eine ausnahmsweise gute Tagesform der Klägerin zurückzuführen; die beschriebene Aggravation hat das Sozialgericht in einem abnormen Krankheitsverhalten begründet gesehen. Hinter diesem abnormen Krankheitsverhalten - so das Sozialgericht - sei ein wahrer Kern an echtem Leiden mit durchgehend bedrückter Grundstimmung, erhöhter Reizbarkeit und Stimmungslabilität verborgen, der als multifaktoriell bedingte chronische depressive Störung vom Ausmaß einer Dysthymie zu bezeichnen sei. Die arbeitsmarktbedingte Rente wegen voller Erwerbsminderung sei nach § 102 Abs. 2 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) auf drei Jahre zu befristen. Mit Blick auf die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung sei diese ab dem Monat der Rentenantragstellung und unbefristet zu gewähren, da sie unabhängig vom Arbeitsmarkt und es unwahrscheinlich sei, dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit behoben werden könne (§ 102 Abs. 2 Satz 2 SGB VI).

Gegen das am 22.03.2011 der Beklagten zugestellte Urteil hat diese am 25.03.2011 Berufung eingelegt. Nach ihrer Ansicht ist die vom Sozialgericht zu Grunde gelegte relevante Leistungsminderung - gerade auch wegen einer fehlenden Konsistenzprüfung der Feststellungen und Schlussfolgerungen des PD Dr. W. - nicht bewiesen. Die Klägerin hat nach Abschluss der Ermittlungen mit Schreiben vom 16.04.2013 Anschlussberufung eingelegt mit dem Ziel einer dauerhaften Gewährung der Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 01.05.2010.

Die Beklagte beantragt (zum Teil sinngemäß),

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 15.03.2011 aufzuheben, die Klage abzuweisen und die Anschlussberufung der Klägerin zurückzuweisen.

Die Klägerin beantragt (unter anderem Schriftsatz vom 16.04.2013, sachdienlich gefasst),

die Berufung zurückzuweisen sowie auf ihre Anschlussberufung das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 15.03.2011 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr die Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 01.05.2010 als Dauerrente zu gewähren.

Der Senat hat ein Gutachten bei dem Neurologen und Psychiater Dr. B. eingeholt (Bl. 35 ff. LSG-Akte). Der Sachverständige hat bei der Klägerin eine ausgeprägte Neigung zu psychogener Ausweitung/Überlagerung im Kern organisch begründeter (orthopädischer) Beschwerden nach Art einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung in breiter Überlappung mit gleichzeitig deutlich rententendenziösem bis grob demonstrativem Krankheitsverhalten (nicht der willentlichen Kontrolle entzogen) diagnostiziert. Außerdem hat er die Diagnosen lumboischialgieforme Beschwerden links sowie Hüftgelenksbeschwerden links, klinisch-neurologisch ohne objektivierbare neurologische Ausfälle, mit Hörgerät gut kompensierte Hypakusis, medikamentös behandelter Bluthochdruck sowie Visusminderung rechts gestellt. Insbesondere mit Blick auf die Inkonsistenz der dargebotenen Auffälligkeiten sowohl in seiner konkreten Untersuchung als auch bei Mitbeurteilung der vorangegangenen gutachtlichen Untersuchungen hat Dr. B. - bei aus seiner Sicht deutlicher Aggravation der Klägerin - im Rahmen seiner Beurteilung keine quantitativen Leistungseinschränkungen erkannt. Aus primär nervenärztlicher Sicht sei die Klägerin noch in der Lage, körperlich leichte bis gelegentlich mittelschwere Tätigkeiten ohne ständige Zwangshaltungen auch vollschichtig zu verrichten. Qualitativ sei allerdings zu beachten, dass diese Tätigkeiten nur zu ebener Erde, ohne Zeitdruck, ohne ständige nervöse Anspannung, ohne andere Stressfaktoren wie Nacht- oder Wechselschicht und nicht an unmittelbar gefährdenden Maschinen erfolgen sollten.

Nach Vorlage mehrerer Befundberichte und eines Entlassungsberichts der Klinik Dr. R. über einen mehrwöchigen stationären Klinikaufenthalt im Frühjahr 2012 (u.a wegen rezidivierender depressiver Störung, derzeit schwere Episode, somatoformer Schmerzstörung und ausgeprägtem Rückenschmerzsyndrom der LWS) durch die Klägerin hat der Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. E. , Medizinischer Direktor des Klinikums N. , auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ein weiteres Gutachten erstattet (Bl. 91 ff. LSG-Akte). Im Gegensatz zu Dr. B. hat Dr. E. kein Tendenzverhalten festzustellen vermocht, vielmehr ist er davon ausgegangen, bei der Klägerin liege eine tief krankhafte Wahrnehmung der eigenen körperlichen und seelischen Situation vor. Auf psychiatrischem und psychotherapeutisch-neuro¬lo¬gi¬schem Fachgebiet hat er eine chronische Schmerzsymptomatik bei Spondylolisthesis L5/S1 und Wurzelreizsymptomatik links bzw. bei degenerativen Veränderungen der unteren Lendenwirbelsäule, eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung, eine multifaktoriell bedingte depressive Störung, aktuell mittel, und eine anhaltende konversive Störung im Zusammenhang mit akzentuierter Persönlichkeit diagnostiziert. Aus Sicht Dr. E. s bedingen und verstärken sich diese aufgeführten Störungen zum Teil gegenseitig und führen bei der Klägerin zu einem komplexen Krankheitsbild. Unter Anlegung eines strengen Maßstabes und bei kritischer Würdigung sei - so Dr. E. - zweifelsfrei auszuschließen, dass die seelischen Störungen vorgetäuscht würden und bei zumutbarer Willensanspannung aus eigener Kraft innerhalb eines halben Jahres ganz oder teilweise überwunden werden könnten. Mit speziellen therapeutischen Interventionen seien allenfalls kurzfristige Auflockerungen zu erreichen. Eine schwer¬gradige depressive Symptomatik hat Dr. E. ausdrücklich nicht festgestellt (Bl. 122 der LSG-Akte). Grundsätzlich sei zwar eine Besserung der Beschwerden möglich, damit sei jedoch nach seiner Einschätzung nicht zu rechnen. In Anbetracht der neurotischen und persönlichkeitsnahen Krankheitszusammenhänge seien der Klägerin nach Einschätzung des Sachverständigen leichte körperliche Arbeiten deshalb nur mehr drei bis unter sechs Stunden arbeitstäglich zuzumuten. Zu beachten sei ein Wechsel der Körperhaltung zwischen Gehen, Stehen und Sitzen, der Ausschluss ständiger Überkopftätigkeit oder einer gleichförmigen Körperhaltung und die Beschränkung auf Heben und Tragen von Lasten bis 7 kg. Gelegentliches Bücken und Treppensteigen seien zwar möglich, nicht jedoch in häufiger Form. Arbeiten auf Leitern und Gerüsten schieden aus, insbesondere auch Akkord- und Fließbandtätigkeiten unter Zeitdruck, Arbeiten im Wechsel zwischen Tag- und Nachtschicht, Arbeiten unter ständiger Kälte- und häufiger Nässeeinwirkung, durchgehende Arbeiten im Freien sowie Arbeiten unter nervlicher Belastung und mit geistiger Beanspruchung.

Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 143, 144, 151 SGG zulässige Berufung der Beklagten, über die der Senat auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist begründet.

Der Bescheid vom 09.12.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.07.2010 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin ist trotz ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigungen nicht erwerbsgemindert im Sinne der maßgeblichen gesetzlichen Regelungen.

Die Anschlussberufung ist trotz fehlender Beschwer - denn die Klägerin hat den Streitgegenstand im Verfahren vor dem Sozialgericht wirksam auf die Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auf Dauer und auf die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit begrenzt und in diesem Umfang auch voll obsiegt - zulässig (BSG, Urteil vom 23.02.1966, 2 RU 103/65 in SozR Nr. 9 zu § 521 ZPO; zum Streitstand vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 143 Rdnr. 5a m.w.N.). Denn für das auch im Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit bestehende Institut der Anschließung an die gegnerische Berufung gelten gemäß § 202 SGG in entsprechender Anwendung die Vorschriften der §§ 521 bis 522a der Zivilprozessordnung (ZPO). Danach ist die Anschließung an die Berufung kein eigenes Rechtsmittel, sondern lediglich ein innerhalb der gegnerischen Berufung gestellter Antrag. Ihre Zulässigkeit ist daher nicht an sämtliche Voraussetzungen gebunden, die für die Berufung selbst maßgebend sind. Insbesondere ist für die Anschließung an die gegnerische Berufung keine Beschwer des Berufungsbeklagten erforderlich (BSG, a.a.O., juris Rdnr. 38 m.w.N.). Dem Rechtsinstitut der Anschließung an die gegnerische Berufung ist eigentümlich, dass sie zur Geltendmachung weitergehender Ansprüche erhoben wird. Damit steht im Einklang, dass die Anschließung an die Berufung auch bei vollem Obsiegen der Berufungsbeklagten in erster Instanz zum ausschließlichen Zweck einer Erweiterung des Klagantrags gestattet ist (BSG, a.a.O., juris Rdnr. 38). Dieser Annahme stehen keine Grundsätze des Verfahrens der Sozialgerichtsbarkeit entgegen, zumal sozialgerichtliche Verfahren in stärkerem Maße, als es den Grundsätzen des Zivilprozessrechts entspricht, die Durchsetzung der materiellen Wahrheit erstrebt, ein Ziel also, dem die durch die Anschließung an die gegnerische Berufung eröffnete Möglichkeit dient, den Prozessstoff in vollem Umfang nachzuprüfen (BSG, a.a.O., juris Rdnr. 38).

Die Anschlussberufung ist allerdings unbegründet, da die Klägerin nicht erwerbsgemindert ist. Lediglich am Rande weist der Senat darauf hin, dass die Anschlussberufung nicht schon deshalb unbegründet ist, weil die angefochtenen Bescheide nach der Beschränkung des Klagebegehrens in erster Instanz teilweise bestandskräftig (§ 77 SGG) geworden wären. Ihr Klagebegehren hat die Klägerin nämlich nicht in Bezug auf eine der von ihr begehrten, von der Beklagten aber abgelehnten Renten (wegen voller und wegen teilweiser Erwerbsminderung) beschränkt, sondern nur in Bezug auf die Befristung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung. Über diese Frage - befristete oder dauerhaft zu gewährende Rente wegen voller Erwerbsminderung - aber traf die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden keine Regelung, weil sie diese Rente insgesamt ablehnte. Damit ist mit der Beschränkung des Klagebegehrens auf eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung - mangels entsprechendem Verfügungssatz insoweit - auch keine teilweise Bestandskraft eingetreten.

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist - ausgehend von den vorstehenden Darlegungen - die Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung auf Dauer. Rechtsgrundlage hierfür ist § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI). Danach haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung, wenn sie - unter anderem - teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind. Nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI sind teilweise erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI sind voll erwerbsgemindert Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Nach § 43 Abs. 3 SGB VI ist nicht erwerbsgemindert, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.

Nach Überzeugung des Senats ist die Klägerin noch in der Lage, leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes - unter Beachtung bestimmter qualitativer Beschränkungen (dazu später) - mindestens sechs Stunden arbeitstäglich zu verrichten.

Aus orthopädischer und neurologischer Perspektive bestehen in erster Linie Beschwerden seitens der Lendenwirbelsäule und des linken Hüftgelenks, die Dr. R. als chronisches LWS-Syndrom, linkskonvexe Lumbalskoliose und beginnende Coxarthrose Hüfte rechts (Bl. 1095, 1109 VerwA), PD Dr. W. als chronische Rückenschmerzen (Bl. 46 SG-Akte), Dr. B. als lumboischialgieforme Beschwerden links und Hüftgelenksbeschwerden links (Bl. 56 LSG-Akte) und Dr. E. als chronische Schmerzsymptomatik bei Spondylolisthesis L5/S1 und Wurzelreizsymptomatik links bei degenerativen Beschwerden der unteren LWS (Bl. 119 LSG-Akte) bezeichnet haben. Wesentliche funktionelle Einschränkungen resultieren daraus jedoch nicht. Der orthopädische Gutachter Dr. R. beschrieb keine maßgeblichen Funktionseinschränkungen im Bereich der Wirbelsäule, eine freie Hüftgelenksbeweglichkeit sowie allenfalls endgradig bewegungseingeschränkte Gelenke der oberen und unteren Extremitäten (Bl. 1083 ff.). Auch die gerichtlichen nervenärztlichen Sachverständigen PD Dr. W. , Dr. B. und Dr. E. haben organ-neurologisch keine Paresen und Bewegungsstörungen objektivieren können. Deutlich hat dies insbesondere Dr. B. aufgezeigt, wenn er im neurologischen Befund bei Motilität, Reflexen, Sensibilität und Koordination entweder ungestörte Funktionen beschrieben oder bei vermeintlichen Störungen nachgewiesen hat, dass diese jedenfalls nicht organ-neurologisch zu erklären sind (Bl. 43 f. LSG-Akte). Abgesehen von einer - vom Ausmaß unklaren - Einschränkung der Beweglichkeit des Kopfes und der Wirbelsäule sowie einem bei 60° auslösenden Lasègue-Manöver (Bl. 111 LSG-Akte) findet sich auch bei Dr. E. keine abweichende neurologische Befunderhebung, wenn dieser eine regelrechte grobe Kraft, keine Hinweise auf neurogene Lähmungen, eine unauffällige Koordination und nur ein "evtl." im L5-Bereich reduziertes Schmerz- und Berührungsempfinden beschrieben hat (Bl. 111 f. LSG-Akte). Besondere qualitative und insbesondere rentenrechtlich relevante quantitative Leistungseinschränkungen, die über die Anforderungen an leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes hinausgehen, resultieren aus diesen körperlichen Befunden nicht.

Im Vordergrund der die Leistungsfähigkeit der Klägerin hauptsächlich beeinträchtigenden Beschwerden stehen somit die Schmerzen, insbesondere im Bereich der LWS. Dabei sind sich die beteiligten Gutachter weitestgehend in der Diagnose einer (somatoformen) Schmerzstörung einig und führen sie an erster Stelle der Diagnosen auf. Dr. R. sprach von einem chronischen Schmerzsyndrom mit degenerativen LWS-Veränderungen (Bl. 1095 VerwA), PD Dr. W. von einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung (Bl. 46 ff. SG-Akte), Dr. B. von einer ausgeprägten Neigung zu psychogener Ausweitung/Überlagerung im Kern organisch begründeter (orthopädischer) Beschwerden nach Art einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung (Bl. 56 LSG-Akte) und Dr. E. von einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung (Bl. 119 LSG-Akte). In der Frage der Leistungsfähigkeit der Klägerin gehen die Einschätzungen der Gutachter allerdings weit auseinander. Dies liegt darin begründet, dass die von fast allen Gutachtern und Sachverständigen beobachteten ausgeprägten Diskrepanzen zwischen den von der Klägerin beklagten Beschwerden und den objektivierbaren Befunden unterschiedlich bewertet werden. Eine Ausnahme bildet hier der Dipl.med. G. , der ausdrücklich keine demonstrative Ausgestaltung der beklagten Beschwerden beschrieb (Bl. 1119 VerwA), allerdings wies auch er auf eine auffallende Diskrepanz zwischen den von der Klägerin vorgebrachten Beschwerden und den objektivierbaren Befunden bei einem bekannten Rentenbegehren hin (Bl. 1122 VerwA). Während der Verwaltungsgutachter Dr. R. und der Sachverständige Dr. B. der Klägerin in diesem Zusammenhang ein bewusstseinsnahes demonstratives - und damit willentlich beeinflussbares - Verhalten unterstellen, gehen PD Dr. W. (trotz Beschreibung deutlicher demonstrativer, also dem Wortsinn nach willentlich beeinflussbarer Symptome, Bl. 40 f. SG-Akte) und Dr. E. von einer (psychiatrischen) Symptomatik mit einen eigenständigem Krankheitswert aus, die willentlich von der Klägerin nicht bzw. unzureichend zu beeinflussen ist. Letzteres überzeugt den Senat nicht.

Nach Auswertung der vorliegenden Gutachten ist der Senat nicht davon überzeugt, dass aus der somatischen Schmerzstörung eine Beschränkung des Leistungsvermögens der Klägerin auf drei- bis unter sechsstündig - bezogen auf leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes - resultiert.

Gerade Dr. B. gelingt es in überzeugender Weise, seine Beobachtungen des demonstrativen Verhaltens der Klägerin mit seiner Leistungseinschätzung in Übereinstimmung zu bringen. Dies betrifft beispielsweise seine Beobachtung, er habe auch nach zweieinhalb Stunden Anamnese keine richtungsweisende Schmerzbeeinträchtigung bei der Klägerin erkennen können (Bl. 46 LSG-Akte). Die Klägerin hat - so seine Angaben - vor der nachfolgenden klinisch-neurologischen Untersuchung sogar ausdrücklich keine Pause gewünscht (Bl. 42 LSG-Akte). Bei dieser im Anschluss an eine zweieinhalbstündige Anamnese durchgeführten neurologischen Untersuchung haben bei Motilität, Sensibilität und Koordination demonstrative Verhaltensweisen imponiert, was er u.a. durch Vergleich der von der Klägerin dargebotenen Paresen im Bereich der Fuß-/Zehenheber und -senker sowie des linken Beines mit den seitengleich regelrecht auslösbaren Muskeleigenreflexen nachgewiesen hat (Bl. 43 f. LSG-Akte).

Bereits Dr. R. beschrieb eine deutliche Tendenz der Klägerin zur Aggravation (Bl. 1094 VerwA), indem er beispielsweise darauf aufmerksam machte, die Klägerin habe bei der Funktionsprüfung auf der Liege keine Schmerzschonhaltung eingenommen (Bl. 1085, 1095 VerwA), das Auskleiden sei demonstrativ mit Hilfestellung durch den Ehemann erfolgt, während das Ankleiden dann selbständig vorgenommen wurde (Bl. 1085 VerwA). Hinzu kommt, dass Dr. R. ein flüssiges, raumgreifendes und links leicht hinkendes Gangbild beschrieb. Die Klägerin habe dabei unsicher einen Gehstock verwendet, der zudem nicht einer absolut notwendigen Stützfunktion gedient (Bl. 1085, 1099 VerwA) und im Stopfenbereich keine Gebrauchsspuren aufgewiesen habe (Bl. 1083 VerwA). Selbst der Dipl.-med. G. , der - wie erwähnt - ausdrücklich keine demonstrativen Ausgestaltungen durch die Klägerin annahm, machte darauf aufmerksam, dass er von der Klägerin zu einem Zeitpunkt darauf hingewiesen wurde, dass sie nicht lange sitzen könne, als seine Exploration bereits über eine Stunde dauerte, ohne dass die Klägerin auffällig die Sitzposition geändert hätte. Dabei darf nicht vergessen werden, dass die Untersuchung bei dem Dipl.-med. G. am selben Tag und unmittelbar im Anschluss an die Untersuchung bei Dr. R. stattfand, so dass zu dem Zeitpunkt der Beschwerdeschilderung durch die Klägerin bei dem Dipl.-med. G. von einer mehr oder weniger durchgehenden Untersuchungsdauer von mindestens drei Stunden auszugehen ist. Der Hinweis auf eine zufälligerweise gute Tagesform, mit der das Sozialgericht derartige Widersprüche aufzulösen versucht hat, verfängt spätestens dann nicht mehr, wenn sich das demonstrative Verhalten der Klägerin ohne ersichtliche Zeichen von Ermüdung und Erschöpfung bei der nachfolgenden gutachtlichen Untersuchung bei Dr. B. wiederholt hat.

Auch die Sachverständigen PD Dr. W. und Dr. E. beschreiben an zahlreichen Stellen ihrer Befunderhebung demonstrative Verhaltensweisen der Klägerin. So heißt es bei PD Dr. W. beispielsweise: "grobe Kraft schwach ausgeübt (mit demonstrativen Zügen), Zehen- und Hackengang angeblich nicht möglich" (Bl. 40 SG-Akte); "Koordination: auffallend langsame Bewegungsabfolge. Feinbeweglichkeit vergröbert und stark verlangsamt" (Bl. 40 SG-Akte); Sensibilität: auffallende Unsicherheit bei den Lagesinnprüfungen" (Bl. 41 SG-Akte); "Rotation und Seitneigung der Rumpfwirbelsäule eingeschränkt (was bei der Prüfung von leicht demonstrativen Zügen begleitet wurde)" (Bl. 42 SG-Akte). Im Rahmen der Beantwortung der Beweisfragen hat PD Dr. W. sogar von sehr stark verdeutlichenden und aggravierenden Zügen gesprochen (Bl. 49 SG-Akte). Auch Dr. E. sind die ausgestaltenden Züge nicht entgangen, wenn er eine "nicht ausreichende Motivation" der Klägerin bei den Stand- und Gangprüfungen beobachtet (Bl. 111 LSG-Akte) und - eher nebenbei - darauf hingewiesen hat, dass die "Koordinationsstörungen bei unwillkürlichen Bewegungen unauffällig" gewesen seien (Bl. 112 LSG-Akte); gerade letzteres Verhalten steht im Widerspruch zur späteren Behauptung Dr. E. s, ein aggravierendes Tendenzverhalten würde voraussetzen, dass die Klägerin ein solches Verhalten außerhalb von Situationen, in denen es sinnvoll wäre, gerade nicht zeigt (Bl. 117 LSG-Akte). Genau das ist auch in der Untersuchung durch Dr. E. passiert.

Nachdem sich der Vorwurf der Aggravation und Simulation wie ein roter Faden durch alle Gutachten dieses Rentenverfahrens zieht, hätten Dr. E. und vorher bereits PD Dr. W. konkreten Anlass gehabt, solchen Situationen in vorausgegangenen Untersuchungen, die aus ihrer Sicht als aggraviertes Schmerzverhalten fehlinterpretiert wurden, eigene Beobachtungen entgegenzusetzen, die ihre Diagnostik und die daraus abgeleitete Leistungseinschätzung belegen. Dies ist ihnen nicht gelungen. Die bloße Behauptung des Vorliegens einer Persönlichkeitsstörung vermag die zahlreichen - ein demonstratives Verhalten beschreibenden - Beobachtungen der Vorgutachter nicht zu entkräften.

Gerade dann, wenn - wie hier - den beklagten somatischen Beschwerden kein ausschlaggebendes organisches Korrelat zu Grunde liegt, kommt es - worauf Dr. B. in seiner ergänzenden Stellungnahme auch zutreffend hingewiesen hat - entscheidend - beispielsweise unter Heranziehung von Verhaltensbeobachtung und gutachtlicher Bewertung des geschilderten sozialen Verhaltens im Tagesablauf - auf Konsistenz, Plausibilität, Authentizität und gegebenenfalls "Gewichtung" der reklamierten Beschwerden an. Die bloße Behauptung einer kombinierten Gesundheitsstörung (Dr. E. ) entbindet einen Sachverständigen nicht von der Pflicht, die einzelnen Symptome der von ihm behaupteten Gesundheitsstörung und deren Auswirkungen zueinander und letztlich auf die Leistungsfähigkeit der Klägerin schlüssig herauszuarbeiten. Auf diese Defizite hat - neben Dr. B. in seiner ergänzenden Stellungnahme (Bl. 129 der LSG-Akte) - zu Recht bereits der Facharzt für Neurologie Dr. W. im Rahmen seiner beratungsärztlichen Stellungnahme für die Beklagte im Verfahren vor dem Sozialgericht hingewiesen (Bl. 64 ff. der SG-Akte). Während sich im Gutachten des PD Dr. W. keine Schilderungen zum Tagesablauf finden, beschränkt sich Dr. E. weitestgehend darauf, die fremdanamnestischen Angaben einer Tochter der Klägerin (Bl. 108 f. LSG-Akte) und des behandelnden Arztes Dr. T. (Bl. 109 LSG-Akte) wie auch die (knappen und allgemeinen) Angaben zum Tagesablauf (Bl. 105 LSG-Akte) und Schmerzschilderungen der Klägerin unkritisch als gegeben hinzunehmen und allein daraus auf die reduzierte Leistungsfähigkeit der Klägerin zu schließen. Insbesondere der Umstand, dass die Klägerin gegenüber Dr. E. an allen Gelenken und der LWS einen fast maximalen Schmerz (Stufe 8 bis 9 von maximal 10) angab, hätte für den Sachverständigen Anlass sein müssen, entsprechende Auffälligkeiten im Rahmen der Exploration darzustellen bzw. bei deren Fehlen diese Inkonsistenzen abzubilden. Auch hierauf hat Dr. B. in seiner ergänzenden Stellungnahme hingewiesen. Stattdessen hat sich Dr. E. im Wesentlichen auf die Angaben der Tochter der Klägerin sowie von Dr. T. über das Vorliegen von Einschränkungen der Klägerin im Alltag sowie die dadurch verursachte Belastung der Familie der Klägerin verlassen. Er hat dabei zum einen außer Acht gelassen, dass Dr. T. als behandelnder psychologischer Psychotherapeut (so die Qualifizierung von Dr. E. ) gerade keine kritische Distanz zur Klägerin hat, was in noch größerem Maße für deren Tochter gilt. Zum anderen hat er nicht berücksichtigt, dass die Klägerin auf Grund der vorgebrachten Beschwerden von ihrer Familie - dies zeigen die Angaben der Tochter und von Dr. T. - entsprechende Unterstützung erhält. Die nahe liegende Überlegung, das anlässlich der verschiedenen Begutachtungen beschriebene Aggravationsverhalten werde auch gegenüber der Familie durchgehalten, hat Dr. E. auch nicht ansatzweise angestellt.

Mit ihrem Ansatz vom eigenständigen Krankheitswert des demonstrativen Verhaltens der Klägerin können PD Dr. W. und Dr. E. gerade nicht erklären, weshalb die Klägerin beispielsweise in der Lage gewesen ist, die Untersuchung bei Dr. B. ohne Pausen zu bewältigen. Auch sind - entgegen der kritiklos zu Grunde gelegten fremdanamnestischen Angaben - gerade im Gutachten Dr. B. zahlreiche Hinweise enthalten, dass sich die Klägerin auf ein erhaltenes soziales Umfeld stützen kann, dass der Sachverständige mit vielfältigen sozialen Aktivitäten in der Familie und Nachbarschaft (Bl. 36 ff. der LSG-Akte) überzeugend begründet. Der Versuch Dr. E. s, das demonstrative Verhalten der Klägerin damit verständlich zu machen (Bl. 116 f. LSG-Akte), Dr. B. habe quasi therapeutisch gewirkt, kann nicht überzeugen, da sich diese Bemerkungen in bloßen Mutmaßungen erschöpfen.

Angesichts des somit nicht krankheitsbedingt anzusehenden aggravativen Verhaltens der Klägerin können allein deren Angaben, insbesondere über das Ausmaß der vorhandenen Schmerzen, der Beurteilung der verbliebenen Leistungsfähigkeit nicht zu Grunde gelegt werden, auch wenn der Senat, wie alle Gutachter, von einem wahren Kern in diesen Angaben und damit von tatsächlich bestehenden Schmerzen ausgeht. Entsprechend vermag der Senat der gerade die Angaben der Klägerin zu Grunde liegenden Beurteilung von Dr. W. und Dr. E. nicht zu folgen.

Auch aus dem - als schwankend beschriebenen - depressiven Beschwerdebild vermag der Senat keine Erwerbsminderung der Klägerin abzuleiten. Eine dauerhafte schwere depressive Störung liegt nicht vor. Der Dipl.-med. G. ging diagnostisch von einer rezidivierenden depressiven Störung aus, die zum Zeitpunkt seiner Untersuchung im April 2010 remittiert war (Bl. 1121 VerwA). Überzeugend begründete der Gutachter die Annahme einer Remission damit, dass die Klägerin bewusstseinsklar, allseits gut orientiert und ohne Denkstörungen an seiner Untersuchung teilnahm. Sie habe sich bei entsprechender Fragestellung auch gut schwingungsfähig gezeigt, sei nicht angespannt gewesen; Hinweise auf gravierende Konzentrations- und Gedächtnisstörungen hätten sich nicht gezeigt (Bl. 1119 VerwA). Der Sachverständige PD Dr. W. hat bei der Klägerin im Februar 2011 eine multifaktoriell bedingte chronische depressive Störung vom Ausmaß einer Dysthymie (Bl. 43 SG-Akte) diagnostiziert, also (vgl. ICD-10-GM F34.1) eine chronische, wenigstens mehrere Jahre andauernde depressive Verstimmung, die weder schwer noch hinsichtlich einzelner Episoden anhaltend genug ist, um die Kriterien einer schweren, mittelgradigen oder leichten depressiven Störung zu erfüllen. Zwar hat er an anderer Stelle widerprüchlicherweise auch von einer multifaktoriell bedingten depressiven Störung (ICD-10 F33.1) gesprochen (Bl. 46 SG-Akte), diese aber nur als mittelgradig angesehen. Dabei hat er für eine solche Bewertung aber keinen entsprechenden Befund erhoben. Er hat die Klägerin lediglich stimmungsmäßig als bedrückt beschrieben (Bl. 42 SG-Akte) und auf das "abnorme Krankheitsverhalten" hingewiesen, mit dem er das von Dr. B. (und ihm folgend der Senat) dargestellte Aggravationsverhalten umschrieben hat. Gerade im Zusammenhang mit dem psychischen Befund hat PD Dr. W. dann - nachvollziehbar - nur eine depressive Störung vom Ausmaß einer Dysthymie angenommen. Dies stimmt dann allerdings wieder überein mit der Beurteilung von Dr. Brandi. Dr. B. hat im November 2011 in Übereinstimmung mit seiner Befunderhebung (Bl. 45 ff. LSG-Akte) lediglich leicht dysthyme Züge ohne eine überdauernde, weiterreichende depressive Symptomatik diagnostiziert (Bl. 47, 56 LSG-Akte). Dem gegenüber ist Dr. E. im Juli 2012 von einer multifaktoriell bedingten depressiven Störung, aktuell mittelgradig (ICD-10 F 33.1) ausgegangen (Bl. 119 LSG-Akte). Eine schwergradige depressive Symptomatik hat aber auch er ausgeschlossen (Bl. 122 LSG-Akte).

Damit ergibt sich aus den Begutachtungen zu den verschiedenen Zeitpunkten gerade keine durchgängige depressive Störung, die über das Ausmaß einer Dysthymie hinausgeht. Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung der aktenkundigen Berichte behandelnder Ärzte.

Soweit im Entlassungsbericht der Reha-Klinik G. im November 2009 von einer rezidivierenden depressiven Störung, gegenwärtig schwergradige Episode, die Rede war, konnte der Dipl. med. G. in seinem Gutachten auf Grund der Untersuchung im April 2010, also weniger als sechs Monate später, keinen entsprechenden Befund erheben. Er fand keinerlei Hinweise auf eine bestehende Depression (Bl. 1119 VerwA) und er schloss eine solche bei der im Rahmen seiner Untersuchung gezeigten emotionalen Schwingungsfähigkeit der Klägerin sogar ausdrücklich aus; im Vordergrund ihrer Beschwerden stand ein linksseitiges Schmerzschonhinken (Bl. 1122 VerwA). Dipl. med. G. wies in seinem Gutachten auch darauf hin, dass die in der Reha-Klinik G. angesetzte antidepressive Medikation unzureichend war (Bl. 1115, 1121 VerwA), so dass die damals vorhandene Störung nicht adäquat behandelt wurde, sich aber in der Folge - wie das Gutachten des Dipl. med. G. zeigt - gleichwohl besserte. Eine dauerhafte schwergradige depressive Erkrankung ist damit auch durch den Reha-Entlassungsbericht nicht nachgewiesen.

Soweit ausweislich des Berichts der Klinik Dr. R. über den stationären Aufenthalt der Klägerin im Mai/Juni 2012 ebenfalls eine rezidivierende depressive Störung, derzeit schwere Episode, diagnostiziert worden ist, hat die Klägerin bei der Entlassung lediglich noch "weiterhin Probleme mit Schmerzen, Konzentrationsproblemen und Vergesslichkeit" beklagt (Bl. 89 LSG-Akte). Dies deutet wiederum auf eine deutliche Besserung der psychiatrischen Beeinträchtigungen hin, auch wenn der Entlassungsbericht widersprüchlicherweise lediglich eine diskrete Besserung der depressiven Symptomatik beschrieben hat (Bl. 89 Rs. LSG-Akte). In Rahmen der im Juli 2012 von dem Sachverständigen Dr. E. durchgeführten Begutachtung hat dieser dann auch - wie bereits vorstehend dargestellt - gerade keine Befunde erhoben, die auf eine weiterhin bestehende schwerergradige depressive Erkrankung der Klägerin hingewiesen haben, eine schwere Depression vielmehr ausdrücklich ausgeschlossen (Bl. 122 LSG-Akte).

Der die Klägerin auf psychiatrischem Fachgebiet behandelnde Arzt für Allgemeinmedizin, Diplompsychologe und Psychotherapeut Dr. T. , der von einer "Mitbehandlung im Rahmen der psychosomatischen Grundversorgung" (Bl. 72 LSG-Akte) gesprochen hat, hat die rezidivierende depressive Erkrankung im Rahmen des vorher bereits beurteilten chronischen Schmerzsyndroms gesehen (Bl. 73 LSG-Akte). Der von ihm im Februar 2012 pauschal behauptete "sich immer mehr ausweitende soziale Rückzug der Klägerin" (Bl. 72 LSG-Akte) hält einer Überprüfung mit den eigenen Angaben der Klägerin bei der Untersuchung durch Dr. B. im November 2011 nicht stand. Dort ist vom fünfwöchigen Sommerurlaub in der T. (mit zwei Töchtern und dem achtjährigen Enkelkind) die Rede gewesen, von Besuchen eines Lokals einmal im Monat, von gelegentlichen Besuchen von Freunden im Ort (wobei es auch vorher nie viele Freunde gewesen seien) und von Besuchen der Enkelkinder in S. (Bl. 37, 47 LSG-Akte). Nachdem der Arztbrief des leitenden Arztes des Instituts für Anästhesiologie und Schmerztherapie Dr. Herter vom November 2012 (Bl. 139 LSG-Akte: "immer stärker ausgeprägte Depression") und die ärztliche Bescheinigung der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. Hahn vom Januar 2013 (Bl. 146 LSG-Akte: "schwere chronische Depression") keine Befunderhebung enthalten und darüber hinaus eher fachfremd sind, können auch diese Äußerungen nicht die Annahme einer schwerergradigen Depression mit entsprechenden - quantitativen - Leistungseinschränkungen belegen.

Auch in diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass allein die Angaben der Klägerin über ihre gesundheitlichen Beschwerden und Beeinträchtigungen - wie oben im Zusammenhang mit den Schmerzzuständen dargelegt - der Beurteilung nicht zu Grunde gelegt werden können. Entsprechend bedürften Schilderungen der Klägerin über ihr Befinden der kritischen Überprüfung, wie dies Dr. B. auch in Bezug auf depressive Anteile geleistet hat. Eine entsprechende kritische Distanz ist dem Gutachten von Dr. E. auch insoweit nicht zu entnehmen und von den behandelnden Ärzten, deren Aufgabenbereich sich nicht auf eine kritische Prüfung erstreckt, von vornherein nicht zu erwarten. Es ist daher nicht auszuschließen, dass die Diagnose mittel- bis schwerergradiger depressiver Zustände - insbesondere durch die behandelnden Ärzte, aber auch durch den Sachverständigen Dr. E. - maßgeblich auf Beschwerdevorbringen der Klägerin beruht, das wiederum - wie sich aus dem nachgewiesenen Aggravationsverhalten ergibt - zielorientiert in Bezug auf das Rentenverfahren beeinflusst ist.

Im Ergebnis ist somit nach der von der Beklagten, vom Sozialgericht und vom Senat durchgeführten Sachaufklärung mit insgesamt vier nervenärztlichen Gutachten kein Nachweis einer mittel- oder gar schwerergradigen depressiven Erkrankung erfolgt. Selbst wenn mit Blick auf den Reha-Entlassungsbericht der Klinik G. , der R. -Klinik und das Gutachten von Dr. E. für einige Zeiträume von einer Verstärkung der depressiven Symptomatik ausgegangen würde, würde sich hieraus kein Rentenanspruch ableiten lassen. Denn die anderen Untersuchungsbefunde belegen für die übrigen Zeiträume nur (bzw. allenfalls) eine leichtgradige Symptomatik (s. die Gutachten des Dipl. med. G. , von Dr. B. und im Grunde auch von PD Dr. W. ). Damit liegt keine dauerhafte Störung mit rentenrelevanten Auswirkung auf das Leistungsvermögen der Klägerin vor. Der Senat schließt sich daher in vollem Umfang der Beurteilung von Dr. B. an.

Hinzu kommt, dass die depressive Erkrankung der Klägerin - unabhängig von ihrem Ausmaß - ohnehin nicht zur Begründung eines Rentenanspruches dienen könnte. Denn die durch eine psychische Störung bedingte Einschränkung der Leistungsfähigkeit muss voraussichtlich auf längere Dauer, d.h. für länger als sechs Monate vorliegen. Denn seelisch bedingte Störungen scheiden für die Begründung einer Erwerbsminderung aus, die der Betroffene bei der ihm zuzumutenden Willensanspannung aus eigener Kraft oder unter ärztlicher Mithilfe (BSG, Urteil vom 21.10.1969, 11 RA 219/66 in SozR Nr. 76 zu § 1246 RVO) sogleich oder innerhalb eines halben Jahres überwinden kann (BSG, Urteil vom 01.07.1964, 11/1 RA 158/61 in SozR Nr. 39 zu § 1246 RVO), wobei ein strenger Maßstab anzulegen ist (BSG a.a.O.). Hier legte schon der Dipl. med. G. in seinem Gutachten für die Beklagte ausführlich dar, dass die Klägerin schon in der Rehabilitation in der Klinik G. in Bezug auf die dort diagnostizierte schwere Depression medikamentös nicht hinreichend behandelt wurde. Es ist nicht erkennbar, dass sich hieran in möglichen Zeiträumen schwererer Ausprägung etwas geändert hat. Die Klägerin befindet sich zwar beim Arzt für Allgemeinmedizin T. (Zusatzbezeichnung u.a. Psychotherapie) in Behandlung (so auch ihre Angaben gegenüber Dr. B.), allerdings erfolgt diese Behandlung - wie bereits erwähnt - nach eigenem Bekunden von Dr. T. nur im Rahmen einer psychosomatischen Grundversorgung. Eine spezifisch fachpsychiatrische Versorgung der depressiven Erkrankung findet somit nicht statt. Gegenüber Dr. B. hat die Klägerin vielmehr ein fast zwei Jahre altes Verordnungsblatt von Dr. T. präsentiert mit einer Medikation, wie im Reha-Bericht wiedergegeben und für die der Dipl. med. G. in seinem Gutachten - wie erwähnt - schon darlegte, dass sie unzureichend ist. Entsprechend hat Dr. B. auch auf diese Ausführungen verwiesen. Schließlich vermag der Senat auch nicht davon auszugehen, dass die Klägerin tatsächlich die verordneten Medikamente einnimmt. So ergab ein entsprechender, vom Dipl. med. G. durchgeführter Urintest keinen Nachweis der verordneten Medikamente. Soweit Dr. E. eine Behandlungsmöglichkeit mit zeitnahem Erfolg verneint hat, hat er nur psychotherapeutische Ansätze im Blick gehabt (Bl. 118 LSG-Akte), nicht aber eine adäquate medikamentöse Therapie. PD Dr. W. hat zwar (Bl. 53 SG-Akte) Antidepressiva pauschal erwähnt, dann aber den Schwerpunkt der Überlegungen ebenfalls auf längerfristige psychotherapeutische Methoden gelegt. Dass mögliche, keinesfalls aber nachgewiesene depressive Zustände, die über den von Dr. B. für den Zeitpunkt seiner Untersuchung beschriebenen leichten Grad hinausgehen, einer Besserung zugänglich sind, zeigt im Übrigen die bereits oben dargestellte Tatsache, dass sich die im Reha-Bericht beschriebene schwere Depression innerhalb weniger Monate selbst bei nicht adäquater medikamentöser Therapie so wesentlich besserte, dass im Zeitpunkt der Untersuchung durch den Dipl. med. G. keine depressive Symptomatik mehr vorlag.

Auch die übrigen von der Klägerin zuletzt vorgelegten Befundberichte rechtfertigen keine andere Beurteilung. Das MRT vom Mai 2013 bestätigt insbesondere die bereits von Dr. R. angenommene Sponylolisthese L5/S1 und Foramenstenose mit Ischialgien (S. Bl. 1095 VerwA). Soweit im Bericht des Medizinischen Versorgungszentrums vom April 2013 eine beginnende Hüftgelenksarthrose beidseits diagnostiziert worden ist, ist für den Senat nicht erkennbar, warum hieraus, aus einer beginnenden degenerativen Gelenksveränderung, rentenrelevante funktionelle Einschränkungen abgeleitet werden sollten. Die von der Klägerin in diesem Zusammenhang angegebenen Schmerzen waren schon Gegenstand der Leistungsbeurteilung durch Dr. R ... Im Übrigen ist auch insoweit darauf hinzuweisen, dass allein die Beschwerde-, insbesondere Schmerzangaben der Klägerin angesichts der bereits dargelegten Aggravationstendenzen keine Grundlage vorhandener Leistungseinschränkungen sein können.

Der Klägerin sind vor diesem Hintergrund jedenfalls noch leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes überwiegend im Sitzen oder im Haltungswechsel mindestens sechs Stunden arbeitstäglich zuzumuten. Zu vermeiden sind - aus Gründen der orthopädisch-neurologischen Gesundheitsstörungen entsprechend der Ausführungen von Dr. R. und Dr. B. - Tätigkeiten überwiegend im Stehen und Gehen, ständige Zwangshaltungen, überwiegend gebückte Tätigkeiten, Arbeiten auf Leitern und Gerüsten sowie anhaltend mittelschweres und schweres Heben und Tragen von Lasten über 10 kg. Die noch möglichen Tätigkeiten sollten zu ebener Erde und - insbesondere vor dem Hintergrund der psychischen Beeinträchtigungen - ohne Zeitdruck, ohne ständige nervöse Anspannung, ohne Nacht- oder Wechselschicht und nicht an unmittelbar gefährdenden Maschinen verrichtet werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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