S 1 (18) U 122/02

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 1 (18) U 122/02
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 15 U 215/03
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 23. August 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. September 2002 verurteilt, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die richtige Veranlagung der Klägerin innerhalb des Gefahrtarifs der Beklagten.

Mit Gesellschaftsvertrag vom 19. September 2000 gründete sich die Klägerin. In § 2 des Gesellschaftsvertrages heisst es unter "Gegenstand des Unternehmens" u. a.:

"Gegenstand des Unternehmens ist der Wohn- und Gewerbebau als Bauherr im eigenen Namen für eigene und fremde Rechnung unter Verwendung von Vermögenswerten Dritter, die Vornahme von Immobiliengeschäften, die Übernahme von Bauträger- und Baubetreuungsaufgaben aller Art und die Vermittlung von damit im Zusammenhang stehenden Finanzierungen, die Annahme von Aufträgen als Generalunternehmer, die Projektentwicklung sowie der Betrieb einer Bauunternehmung.
..."

Die Klägerin zeigte ihre Gründung mit Schreiben vom 3. April 2001 der Beklagten an. Mit Bescheid vom 23. August 2002 stellte die Beklagte ihre Zuständigkeit und den Beginn der Beitragspflicht der Klägerin ab dem 1. September 2002 fest.

Mit Bescheid gleichen Datums veranlagte die Beklagte die Klägerin in die Gefahrtarifstelle 12 des Gefahrtarifs der Beklagten vom 1. Januar 2001. Die Gefahrtarifstelle 12 hat folgenden Wortlaut:

"Verwaltung, Vermietung unbeweglicher Sachen"

das entspricht einer Gefahrklasse bis einschließlich 2001 von 1,50 und ab 2002 1,55.

Mit Schreiben vom 28. August 2002 legte die Klägerin Widerspruch gegen den Veranlagungsbescheid ein. Die Eingruppierung in die Gefahrtarifstelle 12 sei unrichtig. Richtig sei die Einordnung in die Gefahrtarifstelle 26.

Die Gefahrtarifstelle 26 hat folgenden Wortlaut:

"Wohnungsunternehmen, Siedlungsunternehmen"

das entspricht einer Gefahrklasse von 0,86.

Mit einem Schreiben vom 4. September 2002 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass der Gefahrtarif nach Gewerbezweigen bzw. branchenbezogen eingeteilt worden sei. Es gäbe keinen Tätigkeitsbezug. Damit komme es für die Eingruppierung allein auf die Art und den Gegenstand des Unternehmens an. Bauträger seien im Wortlaut der Gefahrtarifstelle zwar nicht namentlich genannt, Bauträger seien aber von jeher unter der Gruppe "Verwaltung, Vermietung unbeweglicher Sachen" eingruppiert worden. Dies habe auch seinen Grund darin, dass eine Bauträgertätigkeit überwiegend büromäßig betrieben werde.

Die Klägerin nahm ihren Widerspruch daraufhin nicht zurück, so dass die Beklagte unter dem 23. September 2002 einen Widerspruchsbescheid erließ. Zur Begründung der Zurückweisung des Widerspruchs führte die Beklagte im Wesentlichen aus, dass unter die Bezeichnung "Verwaltung, Vermietung unbeweglicher Sachen" auch die Unternehmen fielen, die Immobilien durch Dritte bauen lassen, was einer Bauträgertätigkeit entspreche. Wegen der weiteren Begründung wird auf den Inhalt des Widerspruchsbescheides vom 23. September 2002, Blatt 37 ff der Verwaltungsakten verwiesen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die am 24. Oktober 2002 erhobene Klage der Klägerin. Sie trägt darin vor, dass sie eine Bauträgergesellschaft sei. Das bedeute, dass der Zweck der Unternehmung im Wesentlichen darin bestehe, Immobilien zu verkaufen, die sie vorher durch Dritte habe erstellen lassen. Das sei weder Verwaltung noch Vermietung unbeweglicher Sachen. Deshalb passe die Gefahrtarifstelle 12 nicht zum Gegenstand ihres Unternehmens. Am ehesten sei der Gegenstand des Unternehmens mit der Gefahrtarifstelle 26 vergleichbar, da Wohnungsunternehmen einen vergleichbaren Unternehmensgegenstand hätten, wie Bauträger.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 23. August 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. September 2002 zu verurteilen, sie unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält die durch den angefochtenen Bescheid vorgenommene Veranlagung für richtig. Denn der Gefahrtarif sei branchenbezogen und nicht tätigkeitsbezogen aufgebaut. Bauträger gehörten zur Verwaltung bzw. Vermietung unbeweglicher Sachen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakten und den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Die angefochtene Entscheidung der Beklagten vom 23. August 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. September 2002 belastet die Klägerin in ihren Rechten. Denn die Entscheidung ist rechtswidrig. Zu Unrecht hat die Beklagte mit der angefochtenen Entscheidung die Klägerin in die Gefahrtarifstelle 12 eingeordnet. Denn die Branche der Bauträger wie auch der Gewerbezweig zu dem die Branche zu rechnen ist, kann weder vom Wortlaut noch vom Inhalt her unter die Gefahrtarifstelle 12 des Gefahrtarifes der Beklagten vom 1. Januar 2001 eingeordnet werden. Näher liegt vielmehr die Einordnung unter die Gefahrtarifstelle 26. Denn Bauträger gehören eher zum Gewerbezweig der Wohnungsunternehmen.

Gemäß § 157 Sozialgesetzbuch, Siebtes Buch (SGB VII) setzt der Unfallversicherungsträger als autonomes Recht einen Gefahrtarif fest. Der Gefahrtarif wird nach Tarifstellen gegliedert, in denen Gefahrengemeinschaften nach Gefährdungsrisiken unter Berücksichtigung eines versicherungsmäßigen Risikoausgleichs gebündelt werden. Der hierfür zuständigen Vertreterversammlung steht dabei ein sehr weitgehender Gestaltungsspielraum zu, der nur in Bezug auf einen Verstoß gegenüber höherrangigem Recht überprüfbar ist (BSGE 27, 237, 240). Der Grad der Unfallgefahr wird durch die Gefahrklasse im Sinne des § 157 SGB VII, die den jeweiligen Unternehmen zugeordnet wird, wiedergegeben. Jeweils eine Mehrzahl von Unternehmen wird in einzelnen Tarifstellen zusammengefasst. Die Risikogemeinschaft Berufsgenossenschaft wird dadurch in kleinere Risikogemeinschaften gegliedert. In den Gefahrengemeinschaften (Tarifstellen) sind jeweils Gewerbezweige mit annähernd gleichen Unfallrisiken zusammengefasst. Zulässigerweise wendet die Beklagte insoweit den "Gewerbezweigtarif" an, in dem die Tarifstellen abgesehen von Unternehmen der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung allein nach Gewerbezweigen gebildet werden. (Vgl. den Gefahrtarif der Beklagten; gültig zur Berechnung der Beiträge vom 1. Januar 2001 an).

Gemäß § 159 SGB VII veranlagt der Unfallversicherungsträger die Unternehmen für die Tarifzeit nach dem Gefahrtarif zu den Gefahrklassen. Dies hat die Beklagte mit der angefochtenen Entscheidung getan und die Klägerin in die Gefahrtarifstelle 12 veranlagt. Gegen diese Veranlagung wendet sich die Klägerin mit Erfolg.

Die Zuordnung eines Unternehmens durch eine Berufsgenossenschaft zu einer Gefahrtarifstelle ist gerichtlich vollständig überprüfbar (LSG Berlin, L 3 U 1/97 vom 25. November 1999 = Breith. 2000, 554). Wird nicht die günstigste Gefahrklasse gewählt, handelt es sich um eine belastende Verwaltungsentscheidung (Vgl. Kass.-Kom.-Ricke, § 159 Rdn. 2). Es entspricht rechtsstaatlichem Handeln, dass Verwaltungsentscheidungen für den Rechtsunterworfenen nachvollziehbar sind und die Rechtsanwendung den geltenden Rechtsnormen entspricht. Dies gilt auch und gerade für solche Normen, die der Verwaltungsträger sich in seiner Autonomiekompetenz selbst setzt. Insoweit besteht das Willkürverbot auch im Rahmen der Selbstbindung der Verwaltung und ist in vollem Umfang gerichtlich überprüfbar (Kass.-Kom.-Ricke § 159 Rdn. 3).

Die Einordnung der Klägerin in die Gefahrtarifstelle 12 des Gefahrtarifes der Beklagten ist weder vom Wortlaut her noch bei teleologischer Betrachtung nachvollziehbar und daher rechtswidrig. Der von der Beklagten angeführte historische Aspekt dieser Zuordnung trägt die angefochtene Entscheidung nicht. Denn er ist zum einen für den Rechtsunterworfenen nicht transparent und zum anderen fehlt er in der Begründung der angefochtenen Entscheidung.

Wie die Vertreterin der Beklagten in der mündlichen Verhandlung klargestellt hat, bedeutet der Wortlaut "Verwaltung, Vermietung unbeweglicher Sachen" sowohl die Verwaltung unbeweglicher Sachen, wie die Vermietung unbeweglicher Sachen. Der Begriff "Verwaltung" stellt insoweit keinen Sammelbegriff für solche Gewerbezweige dar, die den übrigen Gefahrtarifstellen nicht zuordenbar sind.

Zu Recht weist die Beklagte daraufhin, dass die Zuordnung zu einer Gefahrtarifstelle nach den Prinzipien des § 157 SGB VII nicht auf die tatsächliche Tätigkeit der Mitarbeiter des einzugruppierenden Unternehmens abstellt, sondern allein auf die Art und den Gegenstand des Unternehmens hin vorzunehmen ist. Die Art und der Gegenstand des Unternehmens der Klägerin wird durch ihren Gesellschaftszweck determiniert, mit dem sie auch im Handelsregister eingetragen ist. Keiner der aufgeführten Gesellschaftszwecke beinhaltet die Verwaltung unbeweglicher Sachen. Denn wie sich aus der Definition des Gesellschaftszweckes ergibt, will die Klägerin weder eigene noch fremde Immobilien verwalten. Vielmehr beinhaltet der Gesellschaftszweck im Wesentlichen, Grundstücke oder Immobilien zu erwerben, sie durch Dritte zu verändern bzw. Wert zu verbessern (Errichtung oder Renovierung eines Gebäudes) und diese Immobilie sodann wieder zu verkaufen. Die dem Begriff der Verwaltung innewohnende gewisse Dauerhaftigkeit des Eigentums an der Immobilie ist nicht Zweck des Unternehmens der Klägerin. Im Gegenteil liegt es im Zweck des Unternehmens möglichst schnell den An- und Verkauf zu vollziehen um neue Projekte im Sinne des Gesellschaftszweckes unternehmen zu können.

Die Vermietung unbeweglicher Sachen ist ohnehin nicht Inhalt des Gesellschaftszwecks der Klägerin.

Auch von Sinn und Zweck der Gefahrtarifstelle lässt sich eine Veranlagung der Klägerin zu dieser Tarifstelle nicht rechtfertigen. Die Beklagte hat hierzu angeführt, dass im Sinne des § 157 SGB VII diese Gefahrtarifstelle gebildet worden sei für Unternehmungen, die überwiegend büromäßig arbeiten. Dies trifft für die Unternehmung der Klägerin nicht zu. Es ist gerichtsbekannt, dass die im Gesellschaftsvertrag der Klägerin niedergelegten Gegenstände der Unternehmung nicht allein büromäßig vorgenommen werden können. Gerade der An- und Verkauf bebauter sowie auch unbebauter Immobilien bedarf des persönlichen Einsatzes von Unternehmensmitarbeitern vor Ort. Dies wird um so mehr notwendig sein, wie der Gesellschaftszweck auch die Baubetreuung aller Art vorsieht. Auch die Vermittlung von damit in Zusammenhang stehenden Finanzierungen bedarf der persönlichen Betreuung der Kundschaft nicht allein in den eigenen Büroräumen oder am Telefon.

Zur Begründung der Eingruppierung der Klägerin in die Gefahrtarifstelle 12 bleibt allein der von der Beklagten angeführte historische Aspekt, dass Bauträger, wie sie die Klägerin darstelle, "von jeher" in diese Gefahrtarifstelle eingeordnet worden sind. Diesem Aspekt fehlt die einem rechtsstaatlichen Handeln innewohnende Transparenz und damit Nachvollziehbarkeit einer Verwaltungsentscheidung. Nirgendwo in dem Gefahrtarif der Beklagten sind derartige historische Aspekte aufgeführt. Soweit dies das alleinige Zuordnungsargument ist, widerspricht es auch dem Aufbauprinzip des Gefahrtarifes, dass sich an der Zugehörigkeit eines Unternehmens zu einem bestimmten Gewerbezweig orientiert. Dies kann nicht allein historisch begründet werden. Denn die Zweckausrichtung, die Tätigkeit und das damit verbundene Gefährdungspotential kann sich in der historischen Entwicklung ganz erheblich verändern. Zu dem fehlt zu diesem Aspekt jede Begründung in der angefochtenen Entscheidung.

Es steht der Beklagten frei, die Branche der Bauträger im Rahmen ihrer Gestaltungsfreiheit einer bestimmten Tarifstelle ihres Gefahrtarifes zuzuordnen und in die Tarifstelle 12 aufzunehmen. Hierbei wäre jedoch eine hinreichende Abgrenzung gegenüber der Tarifstelle 26 vorzunehmen, weil die Existenz zweier Tarifstellen mit teilkongruenten Gewerbezweigen und dem damit verbundenen Willkürpotential rechtswidrig sein dürfte (vgl. hierzu SG Würzburg vom 24. November 1999, S 5 U 259/98). Die Gefahrtarifstelle 12 des Gefahrtarifs der Beklagten enthält jedoch zur Zeit keinerlei Zuordnungskriterien, die eine rechtmäßige Veranlagung der Klägerin zu dieser Tarifstelle rechtfertigen könnte. Soweit die Beklagte ihr Tarifgefüge nicht ändern will, soweit dies für die Vergangenheit überhaupt möglich erscheint, wird sie bei ihrer neuen Entscheidung zu berücksichtigen haben, dass die Art und der Gegenstand des Unternehmens der Klägerin am ehesten noch der Tarifstelle 26 des Gefahrtarifs zugeordnet werden kann.

In Betracht käme wohl auch die Tarifstelle 18 ("Makler, Vermittler"), da der Gesellschaftszweck der Klägerin "Finanzierung" dem Gewerbezweig der Makler und Vermittler zuzuordnen ist. Dies dürfte jedoch nicht der Schwerpunkt der Zweckausrichtung des Unternehmens der Klägerin darstellen, die sich selbst dahingehend eingelassen hat, Immobilien zu kaufen, Gebäude darauf zu errichten und die Immobilie wieder zu verkaufen. Dies entspricht gemessen an dem vorliegenden Tarifgefüge des Gefahrtarifs, gültig ab 1. Januar 2001, am ehesten der Tarifstelle 26. Denn wie bei Wohnungsunternehmen gehört es zum Gegenstand der Unternehmung der Klägerin Grundstücke oder Immobilien zu kaufen, diese Werte zu verbessern und ggf. wieder zu verkaufen. Der fehlende Aspekt, und hier besteht die Teilkongruenz zur Tarifstelle 12, ist lediglich die Verwaltung und Vermietung eigener oder fremder (vgl. hierzu SG Würzburg vom 24. November 1999, S 5 U 259/98) Immobilien. Diesen Zweck erfüllt die Klägerin nicht. Anders als in der Tarifstelle 12 findet sich jedoch in der Tarifstelle 26 zumindest ein Teilaspekt bzgl. des Gegenstands des Unternehmens der Klägerin was für eine Gestaltung der Tarifstelle im Sinne des § 157 SGB VII und für eine Zuordnung eines Unternehmens zu dieser Tarifstelle im Sinne des § 159 SGB VII ausreichend ist. Diese Tarifstelle ist auch bezogen auf die Tarifstelle 12 die günstigere Veranlagung für die Klägerin.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG. Die Beteiligten sind hinsichtlich der Kosten nicht privilegiert im Sinne des § 183 SGG, da die Klage nach dem 2. Januar 2002 rechtshängig geworden ist, ist neues Kostenrecht anzuwenden.
Rechtskraft
Aus
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