L 11 KA 87/00

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
11
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 26 (10) KA 212/98
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 KA 87/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 13.06.2000 wird zurückgewiesen. Der Kläger trägt die außergerichtlichen Kosten der Beklagten auch im Berufungsverfahren. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über sachlich-rechnerische Berichtigungen der Abrechnung der Gebührennummer (GNR) 359 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM) in den Quartalen I/1996 bis I/1998. Dabei geht es um die Frage, ob diese GNR auch die subkutane Injektion von Autovaccinen erfasst. In den fraglichen Quartalen lautete die Leistungslegende der GNR 359 EBM: "Hyposensibilisierungsbehandlung (Densibilisierung) durch subkutane Allergeninjektion(en), einschl. Nachbeobachtung von mindestens 30 Minuten Dauer, je Sitzung".

Der Kläger, der als praktischer Arzt mit der Zusatzbezeichnung "Naturheilverfahren" in ... niedergelassen und zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen ist, führt diese Behandlungsmethode im Rahmen der sog. mikrobiologischen Therapie durch. Bei 70 bis 80 % der Patient(inn)en, die der Kläger mit Hilfe dieser Therapie behandelt, besteht eine Allergie, im Übrigen eine allgemeine Infektanfälligkeit. Die Diagnose "Allergie" stellt er dabei aufgrund der von ihm erhobenen Anamnese und weiterer Untersuchungen, jedoch ohne spezifische allergologische Testungen. Die Patienten entnehmen zu Hause eine Stuhlprobe, die der Kläger mit einem Überweisungsschein an das Institut für Mikrobiologie in ... schickt. Dort werden die Stuhlproben analysiert. Die in ihnen enthaltenen Kolibakterien werden abgetötet und dem Körper im Wege der subkutanen Injektion als Impfstoff in aufsteigender Dosis über einen Zeitraum von sieben Wochen wieder zugeführt.

Die hierfür vom Kläger in den Quartalen I/1996 bis I/1998 angesetzte GNR 359 setzte die Beklagte mit Bescheiden vom 22.06.1998 (betreffend die Quartale I/1996 bis IV/1997) und 24.07.1998 (Quartal I/1998) im Wege der Honorarberichtigung in insgesamt 6.050 Fällen ab, für das Quartal I/1998 im Wege der sachlich-rechnerischen Richtigstellung, im Übrigen unter Teilaufhebung der jeweiligen Honorarbescheide.

Hiergegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Dortmund (SG) erhoben und vorgetragen. "Hyposensibilisierung" im Sinne der GNR 359 EBM sei im Anschluss an die Definition des "Roche-Lexikons Medizin" die Schwächung bis Aufhebung der allergischen Reaktionsbereitschaft durch eine qualitative oder quantitative Veränderung des Antikörperbestandes. Die Leistungslegende erfasse dabei mangels abweichender Differenzierung sowohl die spezifische Hyposensibilisierung (bezogen auf ein bestimmtes Allergen) als auch die unspezifische. Zumindest zur Letzteren zähle auch die Therapie mit Autovaccinen. Denn auch hier würden - wie bei der spezifischen Hyposensibilisierung - Antigene wiederholt und in zunehmenden Maße appliziert. Diese könnten auch allergen wirken, zumal jeder Fremdkörper, der dem menschlichen Körper zugeführt werde, ein Allergen sein könne. Ebenso wie bei der spezifischen Hyposensibilisierung würden mit Hilfe der Autovaccine überschießende Immunreaktionen gedämpft und das Immunsystem stimuliert. Letztlich könne man seine Therapie sogar als spezifische Hyposensibilisierung in dem Sinne ansehen, dass für die Entwicklung der Autovaccine die spezifische, unverwechselbare Bakterienpopulation des einzelnen Patienten maßgebend sei. Anders als für die allergologische Hyposensibilisierung bestünden dabei für die Therapie mit Autovaccinen sogar theoretische Modelle. Auch die weiteren Voraussetzungen der GNR 359 EBM seien gegeben. Wie bei der spezifischen Hyposensibilisierung bedürfe es wegen der Gefahr lebensbedrohender Reaktionen einer Nachbeobachtung und der Voraussetzungen für eine etwaige Schockbehandlung.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 22.06.1998 und 24.07.1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 04.11.1998 zu verurteilen, ihm die in den Quartalen I/96 bis I/98 abgesetzten Leistungen nach der GNR 359 EBM zu vergüten.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen: GNR 359 EBM erfasse nur die Zuführung von Allergenen.

Um solche handele es sich bei den Autovaccinen nicht. Vielmehr könne die Allergeneigenschaft nur aufgrund vorangegangener Provokationstests festgestellt werden, die der Kläger jedoch nicht abrechne. Eine entsprechende Anwendung der EBM-Nummern auf andere Tatbestände, hier die unspezifische Immuntherapie, die nur zu einer ungezielten Stimulation des Immunsystems führe, sei nicht zulässig.

Mit Urteil vom 13.06.2000 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, GNR 359 EBM erfasse nur die Injektion bestimmter, klar identifizierter Allergene.

Mit der Berufung gegen dieses Urteil wiederholt der Kläger sein bisheriges Vorbringen und trägt ergänzend vor: Aus dem Umstand, dass er keine Provokationstests abrechne, dürfe nicht auf den Inhalt der Leistungslegende der GNR 359 EBM geschlossen werden. Unerheblich sei auch, dass die betreffenden GNRn im Abschnitt "Allergologie" des EBM vor der Hyposensibilisierung stünden. Denn auch bei der spezifischen Hyposensibilisierung erfolge, wenn das Allergen bekannt sei, keine erneute Testung. Im Übrigen setze GNR 359 EBM keine konkrete Diagnose voraus. Entscheidend sei, dass die Vorschrift nicht zwischen spezifischer und unspezifischer Hyposensibilisierung unterscheide und dass er die Autovaccine zur Bekämpfung von Allergien einsetze. Schließlich beschreibe das Lexikon "Pschyrembel - Wörterbuch Naturheilkunde" als Ziel der Autovaccintherapie eine "individualisierte Reiztherapie mit spezifischer Hyposensibilisierung, Desensibilisierung, Umstimmung oder Entgiftung".

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 13.06.2000 abzuändern und nach dem Klageantrag zu erkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält es schon für zweifelhaft, ob die vom Kläger erbrachten Leistungen unter die Definition der Hyposensibilisierung falle, wie sie das "Roche-Lexikon" verstehe. Denn es sei nicht ersichtlich, welche "allergische Reaktionsbereitschaft" er bei seinen Patienten beeinflusse. Dies sei jedoch entscheidend, zumal im Standardwerk "Pschyrembel" Hyposensibilisierung als "schrittweise Herabsetzung der Empfindlichkeit bei Allergien" definiert werde. Um eine Allergiebereitschaft herabzusetzen, müsse man aber deren Ursache geklärt haben. Dieser Vorstellung folge auch der EBM, der unter der Überschrift "Allergologie" zunächst verschiedene Testverfahren und sodann die Hyposensibilisierung vorsehe.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird insbesondere auf die vom Kläger mit Schriftsatz vom 03.03.1999 überreichten Literatur auszüge sowie auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zutreffend als unbegründet abgewiesen. Der angefochtene Bescheid ist nicht rechtswidrig. Die Beklagte durfte den Ansatz der GNR 359 EBM auf der Grundlage von §§ 45 Bundesmantelvertrag-Ärzte, 34 Abs. 4 Bundesmantelvertrag Ärzte-Ersatzkassen berichtigen und die bereits ergangenen Honorarbescheid insoweit aufheben. Von der Darstellung der weiteren verfahrensrechtlichen Einzelheiten sieht der Senat ab, weil er sich insoweit den Entscheidungsgründen des SG anschließt (§ 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).

Die sachlich-rechnerischen Berichtigungen der Beklagten sind berechtigt, weil die subkutane Injektion von Autovaccinen von der Leistungslegende der GNR 359 EBM nicht erfasst wird.

Für die Auslegung von GNRn des EBM ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Vertragspartner der vertragsärztlichen Versorgung durch den Bewertungsausschuss den Wortlaut des EBM im Wege des Ausgleichs ihrer unterschiedlichen Standpunkte und Interessen vereinbart haben und dass es vorrangig ihre Sache ist, einen unklaren oder in der Praxis missverstandenen Wortlaut zu ändern oder zu präzisieren. Dementsprechend haben sich die Gerichte in erster Linie an den Wortlaut der maßgeblichen Bestimmung zu halten. Eine systematische Interpretation dürfen sie nur im Sinne einer Gesamtschau der im inneren Zusammenhang stehenden vergleichbaren oder ähnlichen GNRn vornehmen. Eine ausdehnende Auslegung der Leistungsbeschreibungen oder -bewertungen ist demgegenüber unzulässig (vgl. zu alledem BSG, SozR 3-5533 Nr. 100 Nr. 1; SozR 3-5533 Nr. 75 Nr. 1; SozR 3-5533 Nr. 2449 Nr. 1 m.w.N).

Ausgehend von diesen Grundsätzen kann es dahingestellt bleiben, ob der Begriff Hyposensibilisierung im allgemeinen medizinischen Sprachgebrauch und nach dem Verständnis des Bewertungsausschusses auch die unspezifische Hyposensibilisierung und insbesondere die Therapie mit Autovaccinen umfasst. Entscheidend ist nämlich, dass GNR 359 EBM die Injektion(en) von "Allergenen" voraussetzt. Um solche handelt es sich bei den Autovaccinen jedoch nicht. Vielmehr sind Autovaccine lediglich Antigene, deren Injektion von der GNR 359 EBM nicht erfasst wird.

Nach allgemeinem medizinischen Sprachgebrauch versteht man unter Antigenen jede Substanz, die der Körper als fremd erkennt und die deshalb eine Immunantwort auslöst, i.d.R. durch Bildung von Antikörpern. Dies ist bei den Autovaccinen unzweifelhaft der Fall und auch bezweckt. Demgegenüber handelt es sich bei Allergenen um spezifische Antigene, die eine spezifische Immunantwort in Gestalt der allergischen Reaktion auslösen (vgl. hierzu jeweils Pschyrembel, 258. Aufl., S. 42, 85). Zwar mag es sein, dass auch die vom Kläger applizierten abgetöteten Bakterien theoretisch eine allergische Reaktion auslösen können. Dies ist aber zumindest nicht ihr zentraler Zweck. Denn der Kläger setzt die Autovaccine nicht zur Behandlung von Allergien gegen Mikroorganismen im Darm, insbesondere Kolibakterien ein. Vielmehr handelt es sich bei den behandelten Allergien vornehmlich um solche gegen Pollen und Hausstaub. Zudem setzt er die Autovaccine bei im merhin 20 bis 30 % seiner Patienten nicht wegen einer Allergie, sondern einer allgemeinen Infektanfälligkeit ein.

Dass nur die Injektion von Stoffen, die geeignet sind, eine spezifische allergische Reaktion hervorzurufen, als Allergeninjektion im Sinne von GNR 359 EBM zu verstehen ist, ergibt sich im Rahmen der zulässigen Gesamtschau der im inneren Zusammenhang stehenden vergleichbaren oder ähnlichen GNRN daraus, dass der Bewertungsausschuss im EBM sorgfältig zwischen den Begriffen Allergen, Antigen und Autovaccin unterschieden und diese Begriffe jeweils ersichtlich in dem oben dargestellten Sinn verwandt hat. So wird die Herstellung von Autovaccinen im Bereich der Laborleistungen dem Abschnitt "bakteriologische Untersuchungen" zugeordnet (GNR 4747 in Abschnitt 10 des Anhangs zum Abschnitt O EBM) und nicht etwa dem für die Allergologie bedeutsamen Abschnitt 5 "immunologische Untersuchungen". Im Zusammenhang hiermit verwendet der Bewertungsausschuss (ebenso wie bei den mykologischen Untersuchungen) stets den Begriff "Antigen", während nur im Abschnitt "immunologische Untersuchungen" (wie in GNR 359 EBM) von "Allergen" die Rede ist. Dort wiederum heißt es jedoch, die Erbringung von Leistungen zur Allergenbestimmung setze "grundsätzlich das Vorliegen der Ergebnisse von vorangegangenen Haut- und/oder Provokationstests voraus", also eine spezifisch allergologische Untersuchung. Gestützt wird diese Beurteilung durch den Umstand, dass GNR 359 EBM im Abschnitt "Allergologie" steht. Zwar ist es nach der Leistungslegende nicht zwingend erforderlich, dass auch Provokationstests abgerechnet werden. Hierauf kann jedoch, wie der Kläger selbst eingeräumt hat, nur dann verzichtet werden, wenn das Allergen bereits bekannt ist, z.B. aus früheren Testungen. Demgegenüber injiziert der Kläger die Autovaccine jedoch auch dann, wenn der spezifische Allergieauslöser noch nicht ermittelt ist.

Die weiteren Argumente des Klägers rechtfertigen keine andere Beurteilung.

Es ist unerheblich, welchen Grad an wissenschaftlicher Anerkennung die Autovaccintherapie hat und insbesondere, ob sie auch bei Allergikern erfolgreich eingesetzt wird. Diese Frage spielt vielmehr nur dann eine Rolle, wenn es darum geht, ob eine Leistung überhaupt in den EBM aufgenommen werden darf bzw. muss (vgl. BSG SozR 3-2500 § 87 Nr. 14). Demgegenüber geht es im vorliegenden Fall allein um die Bewertung der Leistung im Verhältnis zu anderen Leistungen.

Ebensowenig kommt es darauf an, ob die Injektion von Autovaccinen eine Nachbeobachtung und die Bereitschaft zur Schockbehandlung verlangt, wie sie bei Allergeninjektionen erforderlich ist und von GNR 359 EBM vorausgesetzt werden. Denn auch wenn man dies zugunsten des Klägers unterstellt, würde der auf diese Weise entstehende erhöhte Aufwand keine ausdehnende Auslegung der GNR 359 EBM über ihren Wortlaut hinaus rechtfertigen, weil hierfür, wie bereits dargestellt, grundsätzlich kein Raum ist. Der mit einer erweitern den Auslegung verbundene Eingriff in den Gestaltungs- und Regelungsspiel raum des Bewertungsausschusses ist vielmehr nur dann gerechtfertigt, wenn dieser seinen Regelungsspielraum überschritten oder seine Bewertungskompetenz missbräuchlich ausgeübt hat (vgl. BSG, SozR 3-2500 § 87 Nr. 12; 21). Hierfür bestehen im vorliegenden Fall jedoch keine Anhaltspunkte, zumal die Herstellung der Autovaccine selbst über GNR 4747 EBM abrechenbar und subkutane Injektionen, von besonderes gelagerten Ausnahmefällen abgesehen, allgemein mit der Ordinationsgebühr abgegolten sind.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Revision war nicht zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), da die grundsätzlichen angesprochenen Fragen zur Methode der Auslegung von Leistungsziffern des EBM vom BSG hinreichend geklärt sind und eine über den Einzelfall hinausweisende Bedeutung der speziellen Probleme des Falles nicht erkennbar ist.
Rechtskraft
Aus
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