L 13 EG 13/03

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
13
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 19 EG 18/01
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 13 EG 13/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 10. Januar 2003 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im zweiten Rechtszug nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin, die Erziehungsgeld für die am 2001 geborene T begehrt und ihr Ehemann, der Vater des Kindes, sind irakische Staatsangehörige.

Der Ehemann der Klägerin reiste am 22.06.1996 aus dem J kommend in die Bundesrepublik Deutschland ein. Bei ihm sind mit bestandskräftigem Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 01.10.1996 das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 des Ausländergesetzes anerkannt.

Die Klägerin ist mit einem gültigen Visum im September 2000 zum Zwecke der Familienzusammenführung aus dem J in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Am 06.06.2001 wurde ihr eine bis zum 17.06.2003 befristete Aufenthaltsbefugnis erteilt. Sie ist weder als Asylberechtigte anerkannt, noch wurden bei ihr die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 des Ausländergesetzes festgestellt.

Mit Bescheid vom 21.08.2001/Widerspruchsbescheid vom 15.10.2001 wurde der am 17.08.2001 gestellte Erziehungsgeldantrag der Klägerin vom beklagten Land abgelehnt, weil diese weder im Besitz einer gültigen Aufenthaltsberechtigung noch -erlaubnis sei.

Mit der gegen die ablehnenden Bescheide am 12.11.2001 zum Sozialgericht (SG) Düsseldorf erhobenen Klage hat die Klägerin geltend gemacht, sie sei als Ehefrau eines anerkannten Flüchtlings erziehungsgeldberechtigt, denn die begehrte Leistung stelle eine Familienleistung im Sinne des Art. 24 der Genfer Flüchtlingskonvention dar.

Mit Urteil vom 10.01.2003 hat das SG die Klage abgewiesen: Die Klägerin erfülle nicht die Voraussetzungen der für sie einschlägigen Vorschrift des § 1 Abs. 6 S. 2 des Bundeserziehungsgeldgesetzes (BErzGG), weil sie nur im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis sei. Sie könne auch keinen Anspruch aus EG-rechtlichen Bestimmungen herleiten, obwohl Flüchtlinge grundsätzlich unter den Anwendungsbereich europarechtlicher Verordnungen fallen könnten. Solche Bestimmungen seien jedoch nur anwendbar, wenn der entscheidungserhebliche Sachverhalt zumindest ein Element enthalte, welches über die Grenzen eines Mitgliedsstaats zu einem anderen Mitgliedsstaat hinaus weise. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Aus der Genfer Flüchtlingskonvention könne kein Rechtsanspruch auf Erziehungsgeld hergeleitet werden, wie das Bundessozialgericht (BSG) bereits mit Urteil vom 06.09.1995 (14 REg 1/95 in SozR 3-7833 § 1 BErzGG Nr. 16) ausgeführt habe. Schließlich könne auch aus dem Vorläufigen Europäischem Abkommen über Soziale Sicherheit unter Ausschluss der Systeme für den Fall des Alters, der Invalidität und zugunsten der Hinterbliebenen vom 11.12.1953 (Vorläufiges Europäisches Abkommen über Soziale Sicherheit) kein Anspruch hergeleitet werden, denn das Erziehungsgeld falle nicht unter den Anwendungsbereich dieses Abkommens. Es sei von der Bundesrepublik Deutschland nicht gemäß Art. 7 Nr. 2 S. 1 des Abkommens dem Generalsekretär des Europarates mitgeteilt worden.

Die Klägerin hat gegen das ihr am 07.02.2003 zugestellte Urteil am 06.03.2003 Berufung eingelegt, zu deren Begründung sie zum einen ausgeführt hat, das vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) geforderte grenzüberschreitende Element ergebe sich bei ausländischen Flüchtlingen bereits aus dem Umstand, dass sie nach Deutschland zugewandert seien; es sei nicht zu fordern, dass sie innerhalb der EG als Arbeitnehmer gewandert seien. Darüber hinaus sei ihr Ehemann nicht auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland eingereist, sondern vielmehr auf dem Landweg über die Türkei; es sei davon auszugehen, dass er dabei mehrere EG-Länder passiert habe. Auch der Rechtsprechung des BSG zur Genfer Flüchtlingskonvention sei nicht zu folgen; aus ihr sei vielmehr sehr wohl ein Anspruch auf Erziehungsgeld herzuleiten. Schließlich sei das vom SG in Bezug genommene Vorläufige Europäische Abkommen über Soziale Sicherheit sehr wohl auf Erziehungsgeld anzuwenden, denn es handele sich hierbei um eine Familienbeihilfe im Sinne des Abkommens.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 10. Januar 2003 zu ändern und das beklagte Land unter Aufhebung des Bescheides vom 21.08.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.10.2001 zu verurteilen, ihr Erziehungsgeld für das erste Lebensjahr der Tochter T zu bewilligen.

Das beklagte Land beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Es hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, der Verwaltungsakten des beklagten Landes sowie der die Klägerin und ihren Ehemann betreffenden Ausländerakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erziehungsgeld für die Betreuung der am 2001 geborenen T, weil sie in diesem Zeitraum nicht im Besitz eines der in § 1 Abs. 6. BErzGG geforderten Aufenthaltstitel war. Gemäß § 1 Abs. 6 BErzGG hat ein Ausländer mit der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats der Europäischen Union oder eines der Vertragsstaaten des Europäischen Wirtschaftsraums nach Maßgabe der Absätze 1 bis 5 Anspruch auf Erziehungsgeld. Ein anderer Ausländer ist anspruchsberechtigt, wenn
1. er eine Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis besitzt,
2. er unanfechtbar als Asylberechtigter anerkannt ist oder
3. das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 des Ausländergesetzes unanfechtbar festgestellt worden ist.
Maßgebend ist der Monat, in dem die Voraussetzungen des Satzes 2 eingetreten sind. Im Fall der Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis oder der Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung wird Er- ziehungsgeld rückwirkend (§ 4 S. 3 BErzGG) bewilligt, wenn der Aufenthalt nach § 69 Abs. 3 des Ausländergesetzes als erlaubt gegolten hat.

Die Klägerin, die Ausländerin, aber nicht Staatsangehörige eines Mitgliedstaats der Europäischen Union oder eines der Vertrags- staates des Europäischen Wirtschaftsraums ist, war im streitigen Zeitraum nicht im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung oder Aufenthaltserlaubnis. Bis heute hält sie sich nur aufgrund einer befristeten Aufenthaltsbefugnis im Bundesgebiet auf. Sie war und ist auch weder als Asylberechtigte anerkannt, noch war bzw. ist das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 des Ausländer- gesetzes bei ihr festgestellt. Schließlich wurde im streitigen Zeitraum auch keine Aufenthaltserlaubnis verlängert oder eine Aufenthaltsberechtigung erteilt.

Ein Anspruch besteht auch nicht aufgrund der Artikel 23 und 24 des Abkommens über die Rechtstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention). Zur Begründung nimmt der Senat gemäß § 153 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen erstinstanzlichen Entscheidung Bezug.

§ 1 Abs. 6 BErzGG ist auch weder nach zwischenstaatlichem Recht noch nach Gemeinschaftsrecht oder aus verfassungsrechtlichen Gründen unanwendbar oder verfassungswidrig bzw. nichtig (vgl. u.a. Urteile des erkennenden Senats vom 27.06.2003, L 13 EG 47/02, vom 30.11.2001, L 13 EG 11/01 und vom 26.07.2000, L 13 EG 71/98).

Das Recht der Europäischen Gemeinschaft macht den in § 1 Abs. 6 BErzGG geforderten Besitz eines bestimmten Aufenthaltstitels nicht entbehrlich. Zwar ist das Erziehungsgeld eine Familien- leistung im Sinne der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der Sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in ihrer durch die Verordnung (EWG) Nr. 2001/83 des Rates vom 02. Juni 1983 geänderten und aktualisierten Fassung (EG-VO 1408/71). Diese findet auf die Klägerin jedoch keine Anwendung weil sie und ihr Ehemann nicht vom persönlichen Anwendungsbereich der Verordnung umfasst werden. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) können Arbeitnehmer, die als Staatenlose oder Flüchtlinge im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen sowie deren Familienangehörige die von der genannten Verordnung gewährten Rechte nicht geltend machen, wenn sie sich in einer Situation befinden, die mit keinem Element über die Grenzen dieses Mitgliedstaates hinaus weist (vgl. Urteil des EuGH vom 11.10.2001 in den verbundenen Rechtssachen C 95/99 - C 98/99 und C 180/99). Zwar ist die Klägerin Familienangehörige eines anerkannten Flüchtlings. Weder sie, noch insbesondere ihr Ehemann weisen jedoch Bezüge zu einem weiteren Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft als der Bundesrepublik Deutschland auf. Insoweit kann dahinstehen, auf welchem Weg der Ehemann aus seinem Herkunftsstaat nach Deutschland eingereist ist und ob er dabei ggfs. Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft durchreist hat. Nach der Rechtsprechung des EuGH betreffen die EG-VO 1408/71 sowie der ebenfalls einschlägige Artikel 51 des EWG-Vertrages in erster Linie die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten und die Zahlung der Leistungen im Rahmen dieser koordinierten Systeme. Insbesondere die EG-VO Nr. 1408/71 hat im Wesentlichen zum Ziel, die Anwendung der in den einzelnen Mitgliedstaaten für Arbeitnehmer, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, geltenden Systeme der sozialen Sicherheit in einheitlichen Kriterien sicherzustellen. Damit gilt die Verordnung zwar nicht nur für Wanderarbeitnehmer im strengen Sinne des Wortes, aber doch nur für die Arbeitnehmer, die sich in einem der in der Verordnung geregelten Rechtsverhältnisse mit internationaler Anknüpfung befinden. Es müssen Sachverhalte vorliegen, die mit mindestens einem relevanten Element über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweisen. Die Situation des Betroffenen muss Bezüge zu zumindest zwei Mitgliedstaaten aufweisen. Dies ist im Falle des Ehemannes der Klägerin nicht so. Seine Situation weist allein Bezüge zu Deutschland auf. Er hat weder ein (kurz- oder langfristiges) Arbeitsverhältnis in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft, noch hatte er zeitweise seinen Wohnsitz dorthin verlegt. Unerheblich ist es, ob er sich im Rahmen einer Durchreise oder etwa eines Erholungsurlaubs oder ähnlicher Umstände in einem weiteren Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft aufgehalten hat. Die Koordinierungsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere die EG-VO 1408/71 finden nur dann Anwendung, wenn eine rechtliche oder tatsächliche Anknüpfung an ein weiteres Mitgliedsland im Rahmen der Arbeitnehmereigenschaft oder des Wohnorts oder tatsächlichen Aufenthalts der Anspruchssteller bzw. ihrer Ehegatten oder ihrer Familie vorliegen.

§ 1 Abs. 6 BErzGG ist zur Überzeugung des Senats auch nicht ver- fassungswidrig (ausführlich hierzu ebenfalls Urteil des erkennenden Senats vom 26.07.2000, L 13 EG 71/98 sowie vom 30.11.2000, L 13 EG 11/01 zur "Vorgängervorschrift" des § 1 Abs. 1 a BErzGG in der bis zum 31.12.2000 geltenden alten Fassung).

Schließlich kann die Klägerin auch keine Ansprüche aus dem Vorläufigen Europäischen Abkommen über Soziale Sicherheit herleiten. Zwar findet dieses Abkommen nach dessen Artikel 1 Abs. 1 Anwendung auf alle Gesetze und Regelungen über Soziale Sicherheit, die in jedem Teil des Gebietes der Vertragsschließenden am Tage der Unterzeichnung Geltung haben oder in der Folge in Kraft treten und sich beziehen auf ...; d) Familienbeihilfen. Insofern ist allerdings bislang höchstrichterlich ungeklärt, ob das deutsche Erziehungsgeld eine Familienbeihilfe im Sinne des Abkommens darstellt. Dies kann vorliegend jedoch dahinstehen. Jedenfalls fällt die Klägerin nicht unter dem persönlichen Anwendungsbereich des Abkommens.

Das Abkommen und das entsprechende Bundesgesetz (Gesetz über das Vorläufige Europäische Abkommen vom 11. Dezember 1953 über Soziale Sicherheit unter Ausschluss der Systeme für den Fall des Alters, der Invalidität und zugunsten der Hinterbliebenen und über das Vorläufige Europäische Abkommen vom 11. Dezember 1953 über die Systeme der Sozialen Sicherheit für den Fall des Alters, der Invalidität und zugunsten der Hinterbliebenen vom 07. Mai 1956, BGBl. II, 507 ff.) beziehen sich ausweislich des Zusatzprotokolls gemäß dessen Artikel 1 und 2 zwar auf Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention. Unter diesen Personenkreis fallen in Deutschland die Ausländer, bei denen das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Ausländergesetz festgestellt ist. Dies ist jedoch bei der Klägerin nicht der Fall. Sie ist kein anerkannter Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention.

Allein die Tatsache, dass ihr Ehemann, der Vater des Kindes, zum streitigen Zeitpunkt anerkannter Flüchtling im Sinne des Abkommens war, führt zu keinem anderen Ergebnis. Die Anspruchsberechtigung auf Erziehungsgeld kann nach dem BErzGG nicht über eine andere Person, auch wenn es sich dabei um den Vater des Kindes handelt, hergeleitet werden. Die Voraussetzungen für eine Leistungsgewährung müssen vielmehr durch den Antragsteller in eigener Person erfüllt werden.

Die Rechtsprechung des EuGH zum Begriff der Familienleistung im Sinne der EG-VO 1408/71 (vgl. u.a. Urteil vom 10.10.1996 in den verbundenen Rechtssachen C-245/94 und C-312/94) hat für die hier zur Entscheidung stehenden Fragen keine Bedeutung. Der EuGH hat insofern ausschließlich für den Bereich des EG-Rechts, genauer den Bereich der koordinierenden Vorschriften des Sozialrechs, entschieden, dass es bei Familienleistungen auf den Unterschied zwischen eigenen und abgeleiteten Rechten nicht ankommt. Diese Rechtsprechung ist für die Auslegung des Vorläufigen Europäischen Abkommens über Soziale Sicherheit ohne Bedeutung. Bei diesem Abkommen handelt es sich um ein im Rahmen des Europarates ab- geschlosses zwischenstaatliches Abkommen, nicht aber um eine Verordnung im Rahmen des EG-Rechts. Der EuGH hat auch keineswegs die entsprechenden bundesgesetzlichen Rechtsvorschriften des BErzGG für nichtig erklärt, was auch nicht seiner Regelungskompetenz unterliegt. Zwar legt der EuGH für alle Rechtsanwender verbindlich die Vorschriften des EG-Rechts aus. Dies hat jedoch nur Bedeutung für Rechtssachen mit EG-rechtlichem Bezug. Die Vorschriften des EG-Rechts, insbesondere die EG-VO 1408/71 begründen insofern allein einen sog. Anwendungsvorrang des Europäischen Rechts vor dem nationalen Recht in Fällen, in denen der entsprechende EG-rechtliche Bezug gegeben ist. Es findet eine Koordinierung bei einem Konflikt zwischen nationalem Sozialrecht und Marktrecht der EG statt. Rechtsfolgen für Sachverhalte ohne EG-rechtlichen Bezug werden hierdurch nicht begründet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Es besteht keine Anlass, die Revision nach § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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