L 11 KA 122/00

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
11
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 25 KA 109/00
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 KA 122/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 09.08.2000 abgeändert. Der Beschluss des Beklagten vom 23.03.2000 wird aufgehoben. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die bedarfsunabhängige Ermächtigung der Beigeladenen zu 8) als Psychologische Psychotherapeutin in D ... (§ 95 Abs. 10 SGB V).

Die Beigeladene zu 8) ist 1959 geboren und nach einem entsprechenden Studienabschluss seit 1993 Diplom-Psychologin. Vom 01.04.1994 bis 31.01.1995 war sie Psychologie-Jahresassistentin in der Familienberatungsstelle der Stadt K ...

Seit dem 01.02.1995 arbeitet sie als Diplom-Psychologin bei der Katholischen Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche (Träger: Caritasverband), bis 31.08.1998 mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von insgesamt 32 Stunden, seit dem 01.09.1998 in der Beratungsstelle K ... mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 17,5 Stunden. Sie bezieht dort ein Nettoeinkommen i.H.v. 2.077,00 DM.

Die Beigeladene zu 8) wohnt in K ... Seit 1993 erbringt sie auch ambulante psychotherapeutische Behandlungen an Patienten, die Versicherte gesetzlicher Krankenkassen sind. Für die Zeit vom 25.06.1994 bis 24.06.1997 hat sie insgesamt 195 ambulante Psychotherapiestunden (tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie) bei zehn Patienten nachgewiesen. Diese Behandlungen hat sie in den Räumen der Psychologischen Arbeitsgemeinschaft K ...-P ..., Inhaber U ... M ..., durchgeführt, in der sie für zwei Nachmittage in der Woche einen Raum gegen ein Entgelt von 400,-- DM monatlich gemietet hatte. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Erklärung der Beigeladenen zu 8) in der Sitzung des Beklagten bezug genommen.

Von Januar 1997 bis August 1998 behandelte sie keine Patienten ambulant. Seit dem 01.09.1998 ist sie in einer Praxis in D ..., M ... 7 a tätig, für die sie die Ermächtigung begehrt.

Mit Beschluss vom 27.05.1999 wies der Zulassungsausschuss für Ärzte Düsseldorf den Antrag der Beigeladenen zu 8) auf bedarfs unabhängige Ermächtigung ab. Die Beigeladene zu 8) habe zwar die sogenannte Sockelqualifikation gem. § 95 Abs. 11 SGB V hinreichend belegt, im Zeitfenster habe sie aber keine ins Gewicht fallende psychotherapeutische Tätigkeit nachgewiesen. Wegen der Tätigkeit beim Caritasverband stehe sie nicht in erforderlichem Umfang zur Versorgung der gesetzlich Versicherten zur Verfügung.

Auf den Widerspruch der Beigeladenen zu 8) hat der Beklagte mit Beschluss vom 23.03.2000 die Beigeladene zu 8) als Psychologische Psychotherapeutin ermächtigt und die Ermächtigung an die aufschiebende Bedingung der Reduzierung der wöchentlichen Arbeitszeit in ihrem Beschäftigungsverhältnis auf 12 Stunden geknüpft. Die Beigeladene zu 8) habe im Zeitfenster ausreichend Behandlungsstunden in eigener niedergelassener Praxis erbracht. Nach der Erklärung der Reduzierung der Arbeitszeit auf 12 Stunden wöchentlich stünde die Beigeladene zu 8) in ausreichendem Maße der vertragsärztlichen Versorgung zur Verfügung.

Die Klage der Klägerin hat das Sozialgericht Düsseldorf mit Urteil vom 09.08.2000 abgewiesen, weil es der Einschätzung des Beklagten gefolgt ist.

Mit ihrer Berufung trägt die Klägerin unter Hinweis auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 08.11.2000 - B 6 KA 52/00 R - vor, dass die Beigeladene zu 8) im sogenannten Zeitfenster nicht im erforderlichen Umfang an der vertragsärztlichen Versorgung teilgenommen habe. Die Beigeladene zu 8) sei auch seit dem 01.09.1998 nicht mehr in der Praxis tätig, in der sie im Zeitfenster gearbeitet habe.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 09.08.2000 abzuändern und den Beschluss des Beklagten vom 23.03.2000 aufzuheben.

Der Beklagte stellt keinen Antrag.

Die Beigeladene zu 8) beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend.

Ihren am 20.11.2000 gestellten Antrag auf Anordnung der sofortigen Vollziehung des Beschlusses des Beklagten vom 23.03.2000 hat die Beigeladene zu 8) im Senatstermin nicht weiter verfolgt (L 11 B 70/00 KA).

Wegen der weiteren Einzelheiten, auch des Vorbringens der Beteiligten, wird auf die Prozeßsakten und die Verwaltungsakten des Beklagten und des Zulassungsausschusses für Ärzte Düsseldorf Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 09.08.2000 ist statthaft, zulässig und begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der Bescheid des Beklagten vom 23.03.2000 ist rechtswidrig. Die Beigeladene zu 8) hat keinen Anspruch auf eine bedarfsunabhängige Ermächtigung als Psychologische Psychotherapeutin in D ...

Im Hinblick auf die im Planungsbereich des Kreises N ... seit dem 25.09.1999 und nach wie vor bestehende Zulassungssperre wegen Überversorgung könnte die Beigeladene zu 8) sich dort nur aufgrund einer bedarfsunabhängigen Ermächtigung niederlassen. Sie erfüllt jedoch das Tatbestandsmerkmal des § 95 Abs. 10 Satz 1 Nr. 3 SGB V nicht, nämlich der Teilnahme an der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung der Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung im sogenannten Zeitfenster.

Der Senat schließt sich nach eigener Prüfung und Überzeugungsbildung der im Urteil des Bundessozialgerichts vom 08.11.2000 - B 6 KA 52/00 R - vertretenen Rechtsauffassung an, dass diese Regelung mit Verfassungsrecht im Einklang steht. Danach sind die Einbeziehung der Psychotherapeuten in die Bedarfsplanung und die Bindung der Privilegierung einer bedarfsunabhängigen Zulassung als Psychotherapeut an die Teilnahme an der ambulanten psychotherapeutischen Behandlung der Versicherten in der Vergangenheit verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (S. 7 bis 10 des Urteils). Der Senat schließt sich ebenfalls der vom Bundessozialgericht vertretenen Rechtsauffassung an, dass auch Erstattungspsychotherapeuten wie die Beigeladene zu 8) zum Kreis der durch die Übergangsregelung begünstigten Personen gehören (Bl. 15 bis 16 des Urteils). Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf das den Beteiligten bekannte Urteil Bezug genommen.

Der Senat ist nach eigener Prüfung und Beurteilung der Überzeugung, dass die Auslegung des Begriffs der "Teilnahme" im Sinne des § 95 Abs. 10 Satz 1 Nr. 3 SGB V durch das Bundessozialgericht im oben genannten Urteil Grundrechte der Beigeladenen zu 8) nicht verletzt. Denn eine Ausnahme von der bedarfsabhängigen Zulassung sieht das Gesetz nur für diejenigen Psychotherapeuten vor, die innerhalb des Zeitfensters an der psychotherapeutischen Versorgung der Versicherten teilgenommen haben. Damit sollen diejenigen Psychotherapeuten geschützt werden, für die die grundsätzlich zu mutbare Verweisung auf eine bedarfsabhängige Zulassung eine unbillige Härte darstellen würde. Aus dem in der Gesetzbegründung ausdrücklich formulierten und hinreichend deutlich zum Ausdruck kommenden Charakter als Härtefallregelung kann die Zulassung auch in einem überversorgten Planungsbereich zur Vermeidung der Notwendigkeit einer Aufgabe einer selbst geschaffenen Praxis erteilt werden. Die in § 95 Abs. 10 Satz 1 SGB V enthaltene Differenzierung zwischen Berufsangehörigen, die in überversorgten Gebieten zugelassen werden können, und solchen, die ihren Zulassungswunsch nur abhängig von der Bedarfslage realisieren können, verstößt nicht gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG. Die Privilegierung der bisher an der ambulanten Versorgung der Versicherten beteiligten Psychotherapeuten rechtfertigt sich nur dann, wenn diese sich unter Einsatz ihrer Arbeitskraft und finanzieller Mittel eine berufliche Existenz an einem bestimmten Orte geschaffen haben, die für sie in persönlicher wie materieller Hinsicht das für eine Berufstätigkeit typische Ausmaß erreicht hat. Danach muss der Psychotherapeut im sogenannten Zeitfenster in niedergelassener Praxis eigenverantwortlich Versicherte der gesetzlichen Krankenkassen in anerkannten Behandlungsverfahren in einem bestimmten Mindestumfang behandelt haben. Damit ist sowohl den Zulassungsgremien wie den Sozialgerichten eine flexible, den Besonderheiten jedes Einzelfalles Rechnung tragende Handhabe ermöglicht (S. 10 bis 12 des Urteils). Es sind alle Umstände in die Gesamtbetrachtung einzubeziehen, die für das Vorliegen eines Härtefalles relevant seien können.

Nach den Feststellungen des Senats erfüllt die Beigeladene zu 8) die dafür erforderlichen Voraussetzungen nicht.

Sie ist im sogenannten Zeitfenster nicht in eigener niedergelassener Praxis tätig geworden. Unter einer psychotherapeutischen Praxis versteht der Senat ebenso wie das Bundessozialgericht in Anlehnung an die Gegebenheiten im ärztlichen und übrigen freiberuflichen Bereich die Gesamtheit der gegenständlichen und personellen Grundlagen des freiberuflich Tätigen. Dabei sind Praxisanschrift und Praxisräume in der Regel unverzichtbare Voraussetzungen. Diese Räume müssen dem Behandler zur eigenständigen Nutzung für eine gewisse Dauer tatsächlich zugewiesen seien (BSG aaO, S. 16/17). Nach den Feststellungen des Senates hat die Beigeladene zu 8) die 195 Behandlungsstunden im Zeitfenster in einem für zwei Nachmittage in der Woche angemieteten Raum einer psychologischen Arbeitsgemeinschaft gehalten. In der bloßen Anmietung und Möglichkeit der Nutzung nur eines Raumes hat bereits das Bundessozialgericht keine geeignete gegenständliche Grundlage für eine niedergelassene Praxis gesehen. Die Anmietung eines einzelnen Raumes innerhalb der Praxisräume anderer Freiberufler ohne die entsprechenden Nebenräume wie Wartezimmer, Büroraum, Eingangsbereich usw. ermöglicht in der Regel keine eigenständige freiberufliche Tätigkeit. Die fehlende innere Eigenverantwortlichkeit einer Praxisführung der Beigeladenen in diesem Raum wird auch darin deutlich, dass der Inhaber Ulrich Maier sie gedrängt haben will, sich entgegen ihrer tiefenpsychologischen Orientierung mehr verhaltenstherapeutisch auszurichten. Eine solche sachliche Einflußnahme auf den Kernbereich der freiberuflichen Tätigkeit geht weit über die üblichen Gestaltungen eines Mietvertrages über Räume hinaus. Auch besteht nach der Auslegung durch das Bundessozialgericht ein Anspruch auf bedarfsunabhängige Zulassung grundsätzlich nur für die "Praxis", in der im Zeitfenster an der ambulanten Behandlung der Versicherten teilgenmonnen wurde. Denn § 95 Abs. 10 Satz 1 Nr. 3 SGB V will Psychotherapeuten davor schützen, eine bestehende Praxis aufgeben und an einem anderen (nicht gesperrten) Ort weiterführen zu müssen. Ein solcher Zusammenhang besteht für die Tätigkeit der Beigeladenen zu 8) nicht. Denn sie hat eine ambulante Behandlungstätigkeit in Köln Ende 1996 aufgegeben, bis August 1998 überhaupt nicht weitergeführt und erst im September 1998 in Dormagen wiederaufgenommen. Eine Zulassung in einem anderen Planungsbereich als demjenigen, in dem die "Praxis" mit der relevanten Betätigung im Zeitfenster liegt, ist regelmäßig ausgeschlossen (s. auch BSG vom 08.11.2000 - B 6 KA 51/00 R -).

Weiterhin hat die Beigeladene zu 8) auch nicht im erforderlichen Mindestumfang an der ambulanten Versorgung teilgenommen.

Der Senat schließt sich insoweit der Rechtsauffassung des Bundessozialgerichts im obengenannten Urteil (S. 21 bis 25 des Urteils) an, dass der Behandlungsumfang gegenüber Versicherten der Krankenkassen annähernd einer halbtägigen Tätigkeit entsprochen haben muss und die Behandlungen in der eigenen Praxis nicht gegen über anderen beruflichen Tätigkeiten, sei es in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis, sei es gegenüber anderen Kostenträgern, von nachrangiger Bedeutung gewesen sein dürfen. Die Verweisung auf eine bedarfsabhängige Zulassung und der damit verbundene Zwang zu einem beruflichen Neuanfang an einem anderen als dem bisherigen Ort der ambulanten Betätigung kann nur dann eine unzumutbare Härte darstellen, wenn der bisherige ambulante Behandlungsumfang die Berufstätigkeit des Psychotherapeuten mitgeprägt hat oder objektiv nachvollziehbar darauf ausgerichtet gewesen ist. Danach muss die ambulante Behandlungstätigkeit nicht die einzige einkommensrelevante berufliche Betätigung gewesen sein, andererseits muss sie aber vom Umfang her für das gesamte Erwerbseinkommen bedeutsam gewesen sein. Eine Teilnahme im Sinne des § 95 Abs. 10 Satz 1 Nr. 3 SGB V kann daher ausgeschlossen werden, wenn im Mittelpunkt der beruflichen Tätigkeit eines Psychotherapeuten im Zeitfenster andere Tätigkeiten gestanden haben und die ambulanten Behandlungen den Charakter einer Nebentätigkeit von untergeordneter Bedeutung hatten. Die Beigeladene zu 8) hat im gesamten Zeitraum vom 25.06.1994 bis Dezember 1996 insgesamt 195 Behandlungsstunden am Versicherten gehalten und abgerechnet, das sind durchschnittlich weniger als zwei Behandlungsstunden pro Woche unter Zugrundlegung von 43 Arbeitswochen pro Kalenderjahr (vgl. BSG vom 25.08.1999 - B 6 KA 14/98 R -). Die Beigeladene zu 8) weist zu Recht darauf hin und der Senat berücksichtigt, dass mit der Annahme einer 50-minütigen Dauer für psychotherapeutische Sitzungen die Arbeitszeit des einzelnen Psychotherapeuten nicht abschließend beschrieben ist, sondern im Hinblick auf die notwendigen begleitenden Tätigkeiten ein zusätzlicher Arbeitsaufwand berücksichtigt werden muss. Deswegen legt der Senat seiner Einschätzung einen wöchentlichen Arbeitsaufwand der Beigeladenen zu 8) im Zeitfenster von drei Arbeitsstunden zugrunde. Demgegenüber hat die Beigeladene zu 8) jedenfalls im Zeitfenster insgesamt 32 Stunden wöchentliche Arbeitszeit in abhängigen Beschäftigungsverhältnissen bei der Caritas geleistet. Dass damit die Tätigkeit in eigener Praxis nicht annähernd halbtätig und gegenüber der anderweitigen Berufsausübung nachrangig war, liegt auf der Hand und bedarf keiner weiteren Begründung. Die ambulante Behandlungstätigkeit der Beigeladenen zu 8) in vermeintlich eigener Praxis hat damit jedenfalls auch im Lichte des Artikel 12 GG ihre Berufsausübung nicht entscheidend mitgeprägt.

Weil der Senat von der Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift des § 95 Abs. 10 SGB V auch in der vom Bundessozialgericht vorgenommenen Auslegung überzeugt ist, kam eine Aussetzung des Verfahrens nach Artikel 100 GG nicht in Betracht.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183 und 193 SGG.

Die Klägerin macht gegenüber dem Beklagten einen Kostenerstattungsanspruch nicht geltend.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht mehr vor, nachdem das Bundessozialgericht im obengenannten Urteil die grundsätzlichen Rechtsfragen geklärt und der Senat aufgrund der von ihm festgestellten Umstände des Einzelfalls entschieden hat.
Rechtskraft
Aus
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