L 8 AL 370/01

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 37 AL 165/97
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 8 AL 370/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 20. August 2001 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass auch der Bescheid vom 4. August 1994 aufgehoben wird.
II. Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Dauer der Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) im Rahmen einer Überprüfung gemäß § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X - streitig.

Der am 1940 geborene Kläger war vom 01.10.1974 bis 30.06. 1994 als Produktionsleiter bei "R." beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete durch ordentliche Arbeitgeberkündigung vom 17.12.1993 zum 30.06.1994. Am 08.06.1994 meldete sich der Kläger mit Wirkung zum 01.07.1994 arbeitslos und beantragte die Bewilligung von Alg. Bei der Antragstellung verwies er auf ein anhängiges arbeitsgerichtliches Verfahren "wegen Kündigung" gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber.

Mit Schreiben vom 03.08.1994 teilte der ehemalige Arbeitgeber des Klägers der Beklagten mit, dass das Arbeitsgericht München mit Urteil vom 01.07.1994 den Antrag auf Entbindung von der Weiterbeschäftigungsverpflichtung zurückgewiesen habe und dass gegen diese Entscheidung Berufung eingelegt worden sei. Bis zur Entscheidung durch das Berufungsgericht werde man das Gehalt weiter zahlen. Soweit bereits Alg bewilligt worden sei, bitte man um Bezifferung der Forderung. Mit Bescheid vom 04.08.1994 bewilligte die Beklagte dem Kläger Alg ab 01.07.1994 mit einer Anspruchsdauer von 676 Tagen.

Mit Schreiben vom 01.08.1994 machte die Beklagte den Anspruch auf gezahltes Alg für die Zeit vom 01.07. bis 01.08.1994 gegenüber dem ehemaligen Arbeitgeber in Höhe von DM 2.562,30 zusätzlich Beitragsleistungen geltend (Gesamtforderung in Höhe von DM 3.844,18). Nach Aufhebung der Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung durch das Urteil des Landesarbeitsgerichts vom 19.10.1994 meldete sich der Kläger am 10.11.1994 erneut bei der Beklagten arbeitslos und beantragte die Bewilligung von Alg.

Mit Bescheid vom 06.12.1994 bewilligte die Beklagte Alg für 676 Tage, da sie in dem Antrag vom 10.11.1994 nicht einen Antrag auf Erstbewilligung von Alg, sondern einen Antrag auf Wiederbewilligung des Alg-Anspruchs sah, der aufgrund des Antrags vom 08.06.1994 am 01.07.1994 entstanden sein sollte.

Mit Widerspruch vom 12.12.1994 machte der Kläger geltend, er habe Anspruch auf die Bewilligung von Alg für 832 Tage, weil er bei Antragstellung am 10.11.1994 das 54. Lebensjahr vollendet hatte.

Mit weiterem Bescheid vom 20.12.1994 teilte die Beklagte dem Kläger mit, zum Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs auf Alg am 01.07.1994 sei er erst 53 Jahre alt gewesen, so dass ihm seinerzeit die Höchstdauer von 676 Tagen gemäß § 101 i.V.m. § 106 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) zugesprochen worden sei. Bei der Antragstellung vom 10.11.1994 habe es sich um einen Wiederbewilligungsantrag gehandelt, der den Restanspruch geltend mache. Dagegen wandte der Kläger ein, der Zeitpunkt der Entstehung des Alg-Anspruchs sei nicht der 01.07.1994, sondern der 10.11.1994 gewesen. Der Erstantrag vom 01.07.1994 sei von ihm zurückgenommen worden und die erhaltenen Leistungen seien von seinem ehemaligen Arbeitgeber an die Beklagte zurückgezahlt worden. Der Antrag vom 01.07.1994 sei also ungültig. Mit Widerspruchsbescheid vom 16.02.1995 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Aufgrund der vorgetragenen Argumente sei geprüft worden, ob die angegriffene Entscheidung im Sinne des Klägers hätte abgeändert werden können, was jedoch nicht der Fall sei. Der Widerspruchsbescheid vom 16.02.1995 wurde dem Kläger am 20.02.1995 durch Niederlegung zugestellt.

Dagegen hat dieser am 04.05.1995 Klage zum Sozialgericht (SG) München unter dem Az.: S 36 AL 737/95 erhoben. In der mündlichen Verhandlung vom 30.09.1996 haben die Beteiligten einen Vergleich dahingehend geschlossen, dass die Beklagte die Klage als Antrag nach § 44 SGB X werte und dem Kläger hierüber einen rechtsmittelfähigen Bescheid erteile. Den Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 30.10.1996 ab. Sie verblieb bei ihrer Auffassung, dass dem Kläger nur ein Anspruch für 676 Tage zustehe, weil er ab 01.07.1994 arbeitslos gewesen sei und einen entsprechenden Antrag auf die Bewilligung von Leistungen gestellt habe. Den Widerspruch gegen den Überprüfungsbescheid wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 17.12.1996 zurück.

Zur Begründung seiner dagegen erhobenen Klage hat der Kläger im Wesentlichen ausgeführt, er sei ab 01.07.1994 weder freigestellt gewesen, noch gebe es einen vom 01.07.1994 datierten Antrag, da er letzteren ausdrücklich zurückgenommen wurde. Zu diesem Zeitpunkt sei er also nicht arbeitslos gewesen. Im Zeitpunkt der erneuten Antragstellung habe er das 54. Lebensjahr bereits vollendet gehabt, so dass er einen Anspruch auf Alg für die Dauer von 832 Tagen habe. Die Beklagte hat im Wesentlichen vorgetragen, festzustellen sei, dass sich der Kläger bereits am 08.06.1994 mit Wirkung zum 01.07.1994 arbeitslos gemeldet habe und Antrag auf Alg gestellt habe. Mit der Arbeitslosmeldung und Antragstellung zum 01.07.1994 habe der Kläger zu diesem Zeitpunkt sämtliche gemäß § 100 Abs.1 AFG geforderten Voraussetzungen für einen Anspruch auf Alg erfüllt. Sie habe deshalb bei der Entscheidung über diesen Antrag von den Voraussetzungen ausgehen müssen, die am 01.07.1994 vorgelegen hätten.

Mit Gerichtsbescheid vom 20.08.2001 hat das SG die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 20.12.1994 und Aufhebung des Bescheides vom 30.10.1996 sowie des Widerspruchsbescheides vom 16.02.1995 verurteilt, dem Kläger aufgrund seines Antrags vom 10.11.1994 Alg nicht nur für 676, sondern für 832 Werktage zu bezahlen. Zur Überzeugung des Gericht habe der Antrag des Klägers vom 08.06.1994 nicht einen Anspruch auf Alg begründet, weil der Kläger am 01.07.1994 nicht arbeitslos gewesen sei. Das Arbeitsgericht München habe mit Urteil vom 01.07.1994 festgestellt, dass sein ehemaliger Arbeitgeber zu dessen Weiterbeschäftigung verpflichtet gewesen sei. Das Arbeitsverhältnis habe somit fortbestanden. Ebenso sei eine weitere Lohnzahlung erfolgt. Weil es somit am 01.07.1994 an der Arbeitslosigkeit des Klägers gefehlt habe, habe ein Anspruch auf Alg zu diesem Termin nicht entstehen können. Der Antrag des Klägers, den dieser am 10.11.1994 gestellt habe, sei deshalb nach Auffassung des Gerichts als Erstantrag anzusehen. Zur Überzeugung des Gerichts stehe auch fest, dass der Kläger nach Erhalt des Urteils des Arbeitsgerichts vom 01.07.1994 seinen Anspruch auf Alg zurückgezogen habe. Dies habe der Kläger glaubhaft und nachvollziehbar dem Gericht dargelegt. Insoweit treffe den Kläger keine weitere Beweislast mehr, insbesondere gehe es nicht zu seinen Lasten, dass diese Meldung in den Akten offensichtlich nicht festgehalten worden sei. Bei der Antragstellung am 10.11.1994 habe der Kläger das 54. Lebensjahr vollendet gehabt, so dass ihm nach § 106 Abs.1 Satz 2 AFG Alg für 832 Tage zustehe. Die weiteren Anspruchsvoraussetzungen zur Zahlung von Alg seien zwischen den Beteiligten unstreitig, so dass das Gericht der Klage habe stattgeben müssen.

Zur Begründung ihrer dagegen eingelegten Berufung trägt die Beklagte im Wesentlichen vor, sie halte daran fest, dass es sich bei der Bewilligung des Alg ab 10.11.1994 rechtstechnisch um eine Wiederbewilligung gehandelt habe, weil bereits zum 01.07. 1994 ein Anspruch auf Alg entstanden gewesen sei. Von den fünf Alg-Anspruchsvoraussetzungen (§ 100 AFG) wolle das Erstgericht die Arbeitslosigkeit per 01.07.1994 ausgeschlossen wissen und begründet dies damit, das Arbeitsverhältnis habe über den 30.06.1994 hinaus fortbestanden. Ebenso sei eine weitere Lohnzahlung erfolgt. Mit diesen Standpunkt verkenne das Gericht, dass das (Fort-)Bestehen eines Arbeitsverhältnisses Arbeitslosigkeit im Sinne von Beschäftigungslosigkeit (§ 101 AFG) gerade nicht zwingend ausschließe, wie die Regelungen des § 117 AFG insbesondere zur sogenannten Gleichwohlgewährung belegen würden. Keineswegs könne also konstatiert werden, dass der Kläger bis zum 10.11.1994 an keinem einzigen Tag beschäftigungslos und damit arbeitslos im Sinne des Gesetzes gewesen sei. Ebensowenig könne festgestellt werden, dass der mit Wirkung zum 01.07.1994 gestellte Leistungsantrag vom Kläger rechtswirksam zurückgenommen worden sei.

Der Kläger beantragt, die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 20.08.2001 zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 20.08.2001 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Dabei stützt sie sich im Wesentlichen auf ihr bisheriges Vorbringen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird im Übrigen auf den Inhalt der Verwaltungsunterlagen der Beklagten und der Verfahrensakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), ein Ausschließungsgrund (§ 144 Abs.1 SGG) liegt nicht vor.

In der Sache erweist sich das Rechtsmittel als unbegründet. Vom Ergebnis her hat das SG München mit Gerichtsbescheid vom 20.08. 2001 die Beklagte zur Recht verurteilt, dem Kläger aufgrund seiner Antragstellung vom 10.11.1994 Alg für 832 Kalendertage zu bewilligen. Darüber hinaus war auch der Bewillligungsbescheid vom 04.08.1994 aufzuheben, mit dem die Beklagte dem Kläger Alg ab 01.07.1994 mit einer Anspruchsdauer von 676 Tagen Alg bewilligt hat.

Denn das Begehren des Klägers war von Anfang an darauf gerichtet, dass der Bescheid vom 04.08.1994 gegenstandslos wird. Insbesondere aber lagen zum Bewilligungszeitpunkt die Voraussetzungen für eine Bewilligung von Alg nicht vor, da der Kläger aufgrund des Urteils des Arbeitsgerichts München vom 01.07.1994 weiter beschäftigt werden musste und dementsprechend auch für diesen Zeitraum Arbeitsentgelt von seinem früheren Arbeitsgeber erhalten hat.

Der Bewilligungsbescheid vom 04.08.1994 war mithin von Anfang an rechtswidrig, da die Voraussetzungen des § 117 Abs.4 AFG nicht vorgelegen haben. Zur Bewilligung nach Abs.4 Satz 1 (Gleichwohlgewährung) ist die Beklagte unter den allgemeinen Voraussetzungen des § 100 AFG verpflichtet, wenn ein ruhensbegründender Sachverhalt - Anspruch auf Arbeitsentgelt, Urlaubsabgeltung oder Abfindung - vorliegt und der Arbeitenehmer die Leistung tatsächlich nicht erhält. Tatsächlich hat der Kläger aber aufgrund des arbeitsgerichtlichen Urteils vom 01.07. 1994 Arbeitsentgelt erhalten. Wie sich aus dem Schreiben des Arbeitgebers vom 03.08.1994 ergibt, hatte der Kläger im Zeitpunkt des Erlasses bzw. Zuganges des Bewiligungsbescheides vom 04.08.1994 auch tatsächlich das Arbeitsentgelt erhalten, weshalb die Voraussetzungen für eine Gleichwohlgewährung gemäß § 117 Abs.4 zu diesem Zeitpunkt nicht mehr vorlagen. Auf diesen Gesichtspunkt wurde die Beklagte auch ausdrücklich in der mündlichen Verhandlung vom 14.02.2003 hingewiesen.

Nachdem der Bescheid vom 04.08.1994 von Anfang an rechtswidrig war, kann dahinstehen, ob der Kläger seinen ursprünglichen Antrag vom 08.06.1994 mit Wirkung zum 01.07.1994 zurückgenommen hat oder nicht. Dies gilt auch für das Vorliegen eines eventuellen sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs aufgrund unterlassener Spontanberatung der Beklagten.

Maßgeblich war somit allein die Antragstellung des Klägers vom 10.11.1994 mit der Folge, dass dem Kläger Alg mit einer Anspruchsdauer von 832 Tage zusteht, weil er bei der Antragstellung vom 10.11.1994 das 54. Lebensjahr vollendet hatte (§ 106 Abs.1 AFG).

Somit war die Berufung zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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