L 20 RJ 21/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
20
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 8 RJ 814/99
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 20 RJ 21/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 13 RJ 206/03 B
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 19.11.2002 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der am 1965 geborene Kläger hat nach eigenen Angaben den Beruf eines Bauschlossers erlernt und war bis 30.06.1998 als Fensterbauer versicherungspflichtig beschäftigt; entlohnt wurde er nach Entgeltgruppe 5 des Entgelttarifvertrages zwischen dem Fachverband Metall Bayern und der Christlichen Gewerkschaft Metall (Landesverband Bayern). Das Arbeitsverhältnis endete durch Kündigung des Arbeitgebers wegen schlechter Auftragslage.

Nach Abschluss einer Alkoholentwöhnungsbehandlung (vom 10.02. bis 02.06.1999) beantragte der Kläger am 09.06.1999 Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Nach dem Gutachten der Orthopädin Dr.B. vom 13.07.1999 und dem Heilverfahrensentlassungsbericht der O.-Klinik (Heilverfahren vom 26.04. bis 17.05.2000) leidet der Kläger im Wesentlichen an folgenden Gesundheitsstörungen: 1. Rezidivierendes pseudoradikuläres Lumbalsyndrom bei Band scheibenprotrusion L4/5 und Spondylolisthese L5/S1 Meyer ding I ohne sensomotorisches Defizit. 2. Mäßiges Übergewicht. 3. Hypercholesterinämie. 4. Cerebales Anfallsleiden (03/98 einmaliger Anfall, fraglich alkoholentzugsinduziert). 5. Chronisch rezidivierende Bronchitis. Nachdem sowohl im Gutachten von Dr.B. wie auch im Heilverfahrensentlassungsbericht der Klinik Schloss F. vom 02.06.1999 ein vollschichtiges Einsatzvermögen für leichte und mittelschwere Tätigkeiten (kein schweres Heben, Tragen und Bewegen von Lasten über 20 kg; keine Tätigkeiten im Bücken, Hocken und Knien) angenommen wurde, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 11.08.1999 und Widerspruchsbescheid vom 09.12.1999 Rentenleistungen ab, weil der Kläger in der Lage sei, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte bis mittelschwere Tätigkeiten vollschichtig auszuüben.

Im anschließenden Klageverfahren hat das Sozialgericht Würzburg (SG) eine Auskunft der Firma S. (Arbeitsverhältnis von 1981 bis 1998) sowie eine berufskundliche Auskunft des Landesarbeitesamtes Bayern vom 07.02.2002 zum Verfahren beigenommen.

Ab 11.03.2002 arbeitet der Kläger versicherungspflichtig als Hilfskraft in der mechanischen Fertigung. Dazu hat der Arbeitgeber mitgeteilt, die Anlernzeit betrage 3 Monate; der Bevollmächtigte des Klägers legte daraufhin die vom Arbeitgeber korrigierte Auskunft vor, wonach die Anlernzeit einen Tag betrage. Auf Anfrage des SG hat der Arbeitgeber schließlich mitgeteilt, es werde eine Einarbeitungszeit von 3 bis 6 Monaten benötigt um alle anfallenden Arbeiten sicher zu beherrschen (Stundenlohn 9,24 EUR).

Mit Urteil vom 19.11.2002 hat das SG die Klage (beschränkt auf Rente wegen BU) abgewiesen. Die Voraussetzungen für die Gewährung von Rente wegen BU lägen nicht vor, weil der Kläger eine ihm zumutbare Tätigkeit ausübe. Diese Tätigkeit könnte auch von Ungelernten innerhalb einer Einarbeitungszeit von weniger als 3 Monaten ausgeübt werden. Dabei sei es unbedeutend, ob der Arbeitgeber eventuell aus Gründen einer geringeren Entlohnung den Arbeitsplatz als ungelernten Arbeitsplatz einstufe. Entscheidend sei allein die tatsächliche Gewichtung der Berufsausübung. Diese stelle eine dem Kläger zumutbare Verweisungstätigkeit dar.

Mit seiner hiergegen eingelegten Berufung macht der Kläger in erster Linie geltend, es handle sich bei der von ihm derzeit ausgeübten Tätigkeit um eine ungelernte. Die bislang aufgetretenen widersprüchlichen Aussagen in den Arbeitgeberauskünften sowie im vorgelegten Arbeitsvertrag im Zusammenspiel mit der Aussage des Klägers erforderten letztendlich eine endgültige Stellungnahme des Arbeitgebers.

Der Senat hat zur Frage der Qualifikation der vom Kläger jetzt ausgeübten Tätigkeit P. B. , den kaufmännischen Leiter in der Firma des jetzigen Arbeitgebers, als Zeugen gehört. Insoweit wird auf die Niederschrift vom 09.07.2003 Bezug genommen.

Der Kläger beantragt, das Urteil des SG Würzburg vom 19.11.2002 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 11.08.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.12.1999 zu verurteilen, den Leistungsfall der BU zum frühestmöglichen Zeitpunkt festzustellen und die entsprechenden gesetzlichen Leistungen zu gewähren.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung ihres Antrags verweist die Beklagte auf die erstinstanzliche Urteilsbegründung und die Ausführungen im angefochtenen Bescheid bzw Widerspruchsbescheid.

Der jetzige Arbeitgeber des Klägers hat auf Anfrage des Senats mitgeteilt, der Kläger sei im Rahmen eines bis zum 31.08.2003 befristeten Arbeitsverhältnisses als Hilfskraft beschäftigt. Entlohnt werde er nach Lohngruppe 5 (angelernte Arbeitnehmer), welche seinen Tätigkeiten entspreche.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge, die Unterlagen der Beklagten und die vom Senat beigezogenen Leistungsunterlagen des Arbeitsamtes Lohr am Main Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist nach § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft; sie ist form- und fristgerecht eingelegt (§ 151 SGG) und auch im Übrigen zulässig (§ 144 SGG).

Das Rechtsmittel des Klägers erweist sich als nicht begründet. Das SG hat im angefochtenen Urteil zu Recht entschieden, dass dem Kläger gegen die Beklagte ein Anspruch auf Rentenleistungen wegen BU nicht zusteht. Nach § 43 Abs 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung (aF) haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen BU, wenn sie 1. berufsunfähig sind, 2. in den letzten 5 Jahren vor Eintritt der BU 3 Jahre Pflicht beiträge geleistet und 3. vor Eintritt der BU die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Zwar sind im Fall des Klägers die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt. Denn nach dem aktenkundigen Versicherungsverlauf sind sowohl die allgemeine Wartezeit von 5 Jahren (§ 50 Abs 1 Nr 2 SGB VI) als auch die erforderliche Beitragsdichte (§ 43 Abs 1 Nr 2 SGB VI) gegeben.

Beim Kläger liegt BU iS des Gesetzes nicht vor. Der Anspruch auf Versichertenrente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit richtet sich bei Antragstellung vor dem 31.03.2001 (hier am 09.06.1999) nach den Vorschriften des SGB VI in der bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung (a.F.), da geltend gemacht ist, dass dieser Anspruch bereits seit einem Zeitpunkt vor dem 01.01.2001 besteht (vgl § 300 Abs 2 SGB VI). Da der Kläger nach dem 02.01.1961 geboren ist, findet bei ihm die Vorschrift des § 240 SGB VI keine Anwendung und er hätte somit bei einer nach dem 01.01.2001 eingetretenen Berufsunfähigkeit keinen Anspruch mehr auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit.

Nach § 43 Abs 2 SGB VI aF ist berufsunfähig ein Versicherter, dessen Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist. Nach der Leistungsbeurteilung der Orthopädin Dr.B. und der O.-Klinik in O. - diese Beurteilung ist zwischen den Beteiligten nicht streitig - ist der Kläger aufgrund der bei ihm vorliegenden Gesundheitsstörungen nicht mehr in der Lage, seinen zuletzt versicherungspflichtig ausgeübten Beruf als Fensterbauer zu verrichten. Er ist aber in der Lage, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeiten ohne überwiegendes Arbeiten in Zwangshaltungen, ohne häufiges Arbeiten im Knien oder Hocken und ohne überwiegendes Arbeiten in gebückter Körperhaltung vollschichtig auszuüben. Damit ist beim Kläger der Leistungsfall der BU noch nicht eingetreten.

Der Umstand, dass ein Versicherter seinen zuletzt ausgeübten Beruf nicht mehr verrichten kann, zieht nämlich nicht ohne weiteres die Annahme des Leistungsfalles der BU nach sich. Vielmehr ist nun anhand der Kriterien des § 43 Abs 2 SGB VI a.F. zu ermitteln, ob der Versicherte noch zumutbar auf andere Tätigkeiten verwiesen werden kann. Dabei umfasst der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit zu beurteilen ist, alle Tätigkeiten, die seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können (§ 43 Abs 2 Satz 2 SGB VI aF).

Mit dem ihm verbliebenen Leistungsvermögen, wie es Dr.B. und die O.-Klinik festgestellt haben, muss sich der Kläger auf andere (gesundheitlich und sozial zumutbare) Tätigkeiten verweisen lassen, die - entsprechend dem Mehrstufenschema des BSG - qualifizierten Anlerntätigkeiten vergleichbar sind und dementsprechend tariflich entlohnt werden. Es kann dahingestellt bleiben, ob die vom Kläger derzeit ausgeübte Tätigkeit bei der Fa.W. als qualifizierte Anlerntätigkeit gesehen werden kann und damit dem Kläger zumutbar wäre, wie dies das Sozialgericht gesehen hat. Maßgeblich ist, ob der Kläger eine ihm noch zumutbare Tätigkeit ausüben kann. Als eine solche Verweisungstätigkeit kommt insbesondere der Einsatz als Hausmeister in Betracht. Auf solche Tätigkeiten ist ein Facharbeiter auch nach der Rechtsprechung des BSG verweisbar (Urteil vom 21.02.1995 - 8 RKn 4/93 -). Der Kläger ist dafür nämlich aufgrund seiner handwerklichen Vorbildung und Berufspraxis fachlich geeignet. Für die Tätigkeit eines Hausmeisters gibt es zwar keine allgemein gültige Aufgabenbeschreibung, da Aufgabenspektrum und die Arbeitsanforderungen in hohem Maße vom jeweiligen Arbeitgeber abhängig sind (zB öffentlicher Dienst, Industrieunternehmen, Wohnungswirtschaft usw). Generell ist aber davon auszugehen, dass das Aufgabengebiet eines Hausmeisters Wartungsarbeiten, kleinere Schönheitsreparaturen sowie Reinigungs- und Pflegearbeiten umfasst. Das Tragen schwererer Lasten über 10 kg fällt in der Regel nicht an. Zwar erfordert die Hausmeistertätigkeit zeitweise auch Arbeiten, die nur im Stehen ausgeführt werden können bzw die im Gehen zu verrichten sind. Der Kläger ist jedoch trotz seiner orthopädischen Erkrankungen gesundheitlich in der Lage, Tätigkeiten im Wechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen zu verrichten.

Das berufstypische Einsatzgebiet des Hausmeisters zeichnet sich gerade dadurch aus, dass zahlreiche unterschiedliche Aufgaben anfallen, die weitgehend seiner eigenverantwortlichen Zeiteinteilung unterliegen und deshalb in der Regel auch ohne besonderen Zeitdruck verrichtet werden können. Arbeiten in Zwangshaltungen fallen nicht oder allenfalls nur kurzzeitig an, wenn man unter diesem Aspekt folgende Aufgabenbereiche eines Hausmeisters in Betracht zieht: Regelmäßiges Kontrollieren von Gebäuden, Außenanlagen, technischen Einrichtungen/Anlagen (Heizungs-, Klima-, Fernmelde- und Alarmanlagen) auf Funktionstüchigkeit bzw Ordnungsmäßigkeit; Erledigen oder Veranlassen von Reparaturen; Überwachen und Sicherstellung von Versorgung mit Heizöl, Gas, Strom und ähnlichem; Führen der Aufsicht über Reinigung, Instandhaltung und Instandsetzung der Gebäude, Bearbeiten von Mietbeschwerden (Einhaltung der Hausordnung); Aufzeichnen von Arbeits- und Materialkosten oder Anfertigen von Berichten für Eigentümer/Verwalter. Bei diesen Tätigkeiten kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass häufiges Besteigen von Leitern und Gerüsten erforderlich wäre. Möglicherweise hat der Hausmeister zB beim Auswechseln von Leuchtmitteln eine Haushaltsleiter zu besteigen; dies fällt aber nur gelegentlich an und ist dem Kläger unter Berücksichtigung der von Dr.B. und der O.-Klinik erhobenen Befunde ohne weiteres möglich. Soweit ausnahmsweise schwerere Gegenstände wie Möbelstücke bewegt werden müssen, stehen einmal Hilfsgeräte zur Verfügung, die auf Rollen laufen und mit denen Möbelstücke gehoben und transportiert werden können. Selbst das Schneeräumen ist keine schwere (und meist auch keine mittelschwere) Arbeit mehr, da hierbei häufig motorisierte Räumgeräte zum Einsatz kommen, die von einem integrierten Fahrersitz aus gesteuert werden.

Die Entlohnung eines Hausmeisters erfolgt in der Privatwirtschaft regelmäßig in Lohngruppen für angelernte Arbeiter (vgl hierzu Urteil des BSG vom 23.04.1980 in SozR 2200 Nr 61 zu § 1246 RVO), im öffentlichen Dienst als Facharbeiter (siehe Tarifbeispiel Nr 6.11 zu Lohngruppe IV des ab 05.05.1998 gültigen Lohngruppenverzeichnisses des Manteltarifvertrages für Arbeiter der Länder - MTL -). Im beruflichen Einsatzbereich eines Hausmeisters kann der Kläger danach die Stellung und tarifliche Entlohnung eines Facharbeiters oder zumindest die eines qualifiziert angelernten Arbeiters erreichen und somit mehr als die Hälfte des Verdienstes einer gesunden Vergleichsperson erzielen (gelernter Schlosser). Diese Tätigkeit ist dem Kläger subjektiv und objektiv zumutbar. Er ist deshalb nicht berufsunfähig iS des § 43 Abs 2 SGB VI aF und hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen BU. Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gemäß § 193 SGG beruht auf der Erwägung, dass auch die Berufung des Klägers ohne Erfolg blieb.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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