Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 58 AL 3503/01
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 10 AL 29/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Das Urteil des Sozialgerichts vom 15. März 2002 wird geändert. Die Klage wird in vollem Umfang abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist ein Aufhebungs- und Erstattungsbescheid.
Der 1959 geborene Kläger bezieht - mit Unterbrechungen - seit 1997 Leistungen von der Beklagten. Zuletzt war er von Februar 1999 bis Januar 2000 als Gaststättengehilfe und von April 2000 bis Dezember 2000 als Bürokraft beschäftigt. Am 3. Januar 2001 meldete er sich erneut arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld. Als Wohnanschrift gab er an: OStraße (Tiergarten). Er bestätigte, vom Inhalt des Merkblattes 1 für Arbeitslose Kenntnis genommen zu haben. Durch Bescheid vom 11. Januar 2001 bewilligte die Beklagte dem Kläger vom 1. Januar 2001 an Arbeitslosengeld in Höhe von 290,08 DM wöchentlich.
Am 16. März 2001 übersandte der Kläger der Beklagten seine Lohnsteuerkarte 2001, aus der sich eine andere Steuerklasse sowie eine andere Anschrift ergab - nämlich: GStraße (Wedding) - als im Antrag angegeben. Wegen des Steuerklassenwechsels (Klasse 3 statt bisher 1) erteilte die Beklagte den Änderungsbescheid vom 20. März 2001 und zahlte dem Kläger aufgrund dessen rückwirkend ab 1. Januar 2001 Arbeitslosengeld in Höhe von 343,77 DM wöchentlich (49,11 DM täglich). Der - zunächst noch an die im Leistungsantrag angegebene Anschrift gerichtete - Änderungsbescheid ging an die Beklagte mit dem Bemerken zurück, dass der Empfänger unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln sei. Nach nochmaliger Übersendung des Änderungsbescheides - nunmehr an die neue Anschrift (GStraße) - stellte die Beklagte die Leistung zum 31. März 2001 ein.
Auf die erneute persönliche Vorstellung des Klägers am 7. Mai 2001 zahlte die Beklagte die Leistung von da an weiter. Der Kläger teilte mit, dass er in die neue Wohnung - GStraße - (bereits) am 2. Januar 2001 eingezogen sei und sich am 19. Februar 2001 polizeilich umgemeldet habe.
Der wegen der verspäteten Bekanntgabe seiner neuen Anschrift und der sich daraus ergebenden Folgen angehörte Kläger nahm dahin Stellung, die Zuständigkeit des Arbeitsamtes habe sich durch den Wohnungswechsel nicht geändert. Er stehe weiterhin zur Verfügung. Er sei ab 2. Januar 2001 ununterbrochen in Berlin gewesen.
Durch Bescheid vom 11. Juli 2001 - bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 7. September 2001 - hob die Beklagte den Bewilligungsbescheid für die Zeit vom 2. Januar bis 15. März 2001 auf. Für diesen Zeitraum habe dem Kläger keine Leistung zugestanden, weil er der Arbeitsvermittlung bis zur Bekanntgabe seiner neuen Anschrift am 16. März 2001 nicht zur Verfügung gestanden habe. Wegen der verspäteten Anzeige der Adressänderung verweise sie auf das Merkblatt für Arbeitslose. Der Kläger habe für den Aufhebungszeitraum Leistungen in Höhe von 3.585,03 DM erhalten. Für den Zeitraum vom 1. April bis 6. Mai 2001 stehe ihm eine Nachzahlung von 1.767,96 DM zu. Damit ergebe sich eine Restforderung von 1.817,07 DM. Dieser Betrag sei zu erstatten. Für den Erstattungszeitraum habe sie Krankenversicherungsbeiträge in Höhe von 895,04 DM sowie Beiträge zur Pflegeversicherung in Höhe von 102,12 DM an die Krankenkasse entrichtet. Diese Beiträge habe er ihr zu ersetzen, so dass sich ein Gesamterstattungsbetrag von 2.814,23 DM ergebe.
Im Verfahren vor dem Sozialgericht (SG) Berlin machte der Kläger - wie zuvor schon im Widerspruchsverfahren - geltend, aus dem Mietverhältnis OStraße sei er erst zum 31. März 2001 entlassen worden, so dass im streitigen Zeitraum zwei Mietverhältnisse bestanden hätten. Die Einrichtung eines Postnachsendeauftrags habe sich erübrigt, weil er in beiden Wohnungen erreichbar gewesen sei. Er habe in der alten Wohnung Schönheitsreparaturen durchgeführt und sei mindestens dreimal in der Woche dort gewesen, um die eingegangene Post abzuholen. Deshalb habe er sich mit der Mitteilung der neuen Anschrift Zeit gelassen. Nach den Umständen habe er zumindest davon ausgehen können, dass er für das Arbeitsamt weiterhin erreichbar gewesen sei, so dass er sich jedenfalls nicht grob fahrlässig verhalten habe.
Durch Urteil vom 15. März 2002 gab das SG der Klage - unter Abweisung im Übrigen - insoweit statt, als es die angefochtenen Bescheide hinsichtlich des Zeitraums vom 2. Januar bis 18. Februar 2001 aufhob. Zwar habe die Beklagte zu Recht für den gesamten streitigen Zeitraum das Fehlen der Leistungsvoraussetzungen festgestellt. Denn der Kläger habe für diesen Zeitraum unter der von ihm angegebenen Wohnanschrift nicht an jedem Werktag während der üblichen Zeit des Eingangs der Briefpost eine Briefkastenkontrolle vorgenommen. Damit sei er insoweit im Sinne des Gesetzes nicht erreichbar und folglich nicht verfügbar und der Bewilligungsbescheid vom 11. Januar 2001 von Anfang an rechtswidrig gewesen. Gleichwohl stehe einer Rücknahme des Bewilligungsbescheides nach § 45 Sozialgesetzbuch (SGB) X in Verbindung mit § 330 Abs. 2 SGB III für die Zeit vom 2. Januar bis 18. Februar 2001 entgegen, dass der Kläger insoweit weder grob fahrlässig falsche oder unvollständige Angaben gemacht habe noch bei leichtester Überlegung hätte wissen müssen, dass ihm keine Leistungen zustünden. Aus dem Merkblatt für Arbeitslose gingen die Anforderungen an die Erreichbarkeit zwar hinreichend deutlich hervor. Der Kläger habe jedoch keinen konkreten Anlass gehabt, die Hinweise im Merkblatt zu beachten. Nach seinem glaubhaften Vorbringen in der mündlichen Verhandlung habe er wegen des Fortbestandes des alten Mietverhältnisses und der noch ausstehenden polizeilichen Ummeldung davon abgesehen, den gerade vollzogenen Wohnungswechsel bereits bei der Arbeitslosmeldung am 3. Januar 2001 mitzuteilen. Bei dieser laienhaften Wertung, einer Behörde wie dem Arbeitsamt die polizeilich gemeldete Anschrift mitteilen zu müssen, habe ihm unter Berücksichtigung der aufrechterhaltenen Bindungen zur alten Wohnung bis zur polizeilichen Ummeldung am 19. Februar 2001 weder die Notwendigkeit einer unverzüglichen Bekanntgabe seines Umzuges vor Augen stehen müssen noch ein Anlass bestanden, das Merkblatt zu Rate zu ziehen.
Mit der Berufung wendet sich die Beklagte gegen die Annahme des SG, dem Kläger sei bis zur polizeilichen Ummeldung keine grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Vielmehr habe ihn der Umzug am 2. Januar 2001 veranlassen müssen, sich im Merkblatt zu belesen. Ihm könne kein Vorteil daraus erwachsen, dass er die polizeiliche Ummeldung verspätet vorgenommen habe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 15. März 2002 zu ändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Er sei Türke und verstehe kaum Deutsch. Deswegen könne man an ihn nicht die Anforderungen stellen, die an deutsche Leser des Merkblatts für Arbeitslose gestellt würden. Im Übrigen sei die Erreichbarkeit dadurch - anderweitig - gewährleistet gewesen, dass er in der alten Wohnung weiterhin den Briefkasten kontrolliert habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten (einschließlich der Akte des SG - S 58 AL 3503/01 -) und Beklagtenakten (zur Kd.-Nr. ) verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist begründet.
Die angefochtenen Bescheide sind nicht zu beanstanden.
Nach § 45 Abs. 1, Abs. 2 Satz 3 SGB X in Verbindung mit § 330 Abs. 2 SGB III ist ein begünstigender Verwaltungsakt, soweit er rechtswidrig ist, u.a. zurückzunehmen, soweit er auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (Nr. 2) oder soweit der Begünstigte die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (Nr. 3).
Die Leistungsbewilligung war für die Zeit vom 2. Januar bis 15. März 2001 rechtswidrig, weil der Kläger die Leistungsvoraussetzungen insoweit nicht erfüllte. Er war nicht im Sinne der Vorschriften der §§ 119 Abs. 3 Nr. 3 SGB III, 1 Abs. 1 Satz 2 Erreichbarkeits-Anordnung erreichbar. Hierzu wäre es erforderlich gewesen, dass er sich einmal werktäglich in der von ihm angegebenen Wohnung aufgehalten hätte, um die Briefpost in Empfang und zur Kenntnis zu nehmen (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts [BSG] vom 3. Mai 2001 - B 11 AL 71/00 R - = SozR 3-4300 § 119 Nr. 2 S. 4 und vom 20. Juni 2001 - B 11 AL 10/01 R - = SozR 3 a.a.O. Nr. 3 S. 11). Das war nicht der Fall. Damit war der Kläger auch nicht verfügbar und nicht arbeitslos im Sinne des Gesetzes (vgl. §§ 118 Abs. 1 Nr. 2, 119 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, Abs. 3 Nr. 3 SGB III).
Die Leistungsbewilligung beruhte auch auf einer Angabe, die der Kläger in wesentlicher Beziehung unrichtig gemacht hat. Denn sie beruhte auf seiner Angabe, dass es sich bei der Anschrift OStraße um seine Wohnanschrift handele, was nicht den Tatsachen entsprach. Aufgrund dieser Angabe ging die Beklagte davon aus - und konnte davon ausgehen -, dass der Kläger unter dieser Anschrift im gesetzlichen Sinne erreichbar war, so dass sie die Leistungsvoraussetzungen für erfüllt hielt und den Leistungsbescheid erließ. Diese Falschangabe erfolgte auch grob fahrlässig, nämlich unter Verletzung der erforderlichen Sorgfalt in besonders schwerem Maße. Allein aufgrund des Umstandes, dass er im Zeitpunkt der Arbeitslosmeldung und Antragstellung bereits umgezogen war und nicht mehr in der OStraße wohnte, musste sich dem Kläger die Erkenntnis aufdrängen, dass die Angabe der Anschrift OStraße als Wohnanschrift falsch war, auch wenn er aus dem diesbezüglichen Mietverhältnis noch nicht entlassen war und Briefpost auch noch dort entgegennehmen konnte. Dass die polizeiliche Ummeldung noch ausstand, kann den Kläger nicht entlasten. Vielmehr hätte ihm die Notwendigkeit, wegen der Inanspruchnahme staatlicher Leistungen seine Wohnanschrift zu offenbaren, Veranlassung geben müssen, auch seine polizeiliche Ummeldung zu beschleunigen. Zu Recht weist die Beklagte auf die Unangemessenheit dessen hin, dass dem Kläger das Unterlassen der gebotenen unverzüglichen polizeilichen Ummeldung bei der Beurteilung des Grades seiner Fahrlässigkeit sollte zum Vorteil gereichen können.
Im Übrigen hätte dem Kläger der Umstand des Umzuges in die GStraße, wenn er schon davon absah diesen - und damit die geforderte Angabe der aktuellen Wohnanschrift - der Beklagten mitzuteilen, Anlass sein müssen, das Merkblatt für Arbeitslose zu Rate zu ziehen. Er hätte sich dann sehr schnell vergewissern können, dass seine Angaben nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprachen und den Leistungsanspruch entfallen ließen. Bei mangelnden Sprachkenntnissen hätte er Hilfe in Anspruch nehmen müssen.
Der Erstattungsanspruch folgt aus § 50 Abs. 1 SGB X. Der Ersatzanspruch wegen der von der Beklagten gezahlten Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung und sozialen Pflegeversicherung ergibt sich aus § 335 Abs. 1 und 5 SGB III.
Soweit die Beklagte die Erstattungsforderung wegen des Nachzahlungsanspruchs des Klägers für die Zeit vom 1. April bis 6. Mai 2001 entsprechend reduziert hat, ist allerdings darauf hinzuweisen, dass sie mangels Vorliegens der erweiterten Aufrechnungsvoraussetzungen des § 333 Abs. 1 SGB III gemäß § 51 Abs. 2 SGB I nur bis zur Hälfte der Nachzahlung aufrechnen kann. Sollte der Kläger darauf bestehen, die Hälfte der Nachzahlung ausgezahlt zu bekommen, müsste die Beklage dem entsprechen.
Die Kostenentscheidung nach § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entspricht dem Ergebnis in der Hauptsache.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Tatbestand:
Streitig ist ein Aufhebungs- und Erstattungsbescheid.
Der 1959 geborene Kläger bezieht - mit Unterbrechungen - seit 1997 Leistungen von der Beklagten. Zuletzt war er von Februar 1999 bis Januar 2000 als Gaststättengehilfe und von April 2000 bis Dezember 2000 als Bürokraft beschäftigt. Am 3. Januar 2001 meldete er sich erneut arbeitslos und beantragte Arbeitslosengeld. Als Wohnanschrift gab er an: OStraße (Tiergarten). Er bestätigte, vom Inhalt des Merkblattes 1 für Arbeitslose Kenntnis genommen zu haben. Durch Bescheid vom 11. Januar 2001 bewilligte die Beklagte dem Kläger vom 1. Januar 2001 an Arbeitslosengeld in Höhe von 290,08 DM wöchentlich.
Am 16. März 2001 übersandte der Kläger der Beklagten seine Lohnsteuerkarte 2001, aus der sich eine andere Steuerklasse sowie eine andere Anschrift ergab - nämlich: GStraße (Wedding) - als im Antrag angegeben. Wegen des Steuerklassenwechsels (Klasse 3 statt bisher 1) erteilte die Beklagte den Änderungsbescheid vom 20. März 2001 und zahlte dem Kläger aufgrund dessen rückwirkend ab 1. Januar 2001 Arbeitslosengeld in Höhe von 343,77 DM wöchentlich (49,11 DM täglich). Der - zunächst noch an die im Leistungsantrag angegebene Anschrift gerichtete - Änderungsbescheid ging an die Beklagte mit dem Bemerken zurück, dass der Empfänger unter der angegebenen Anschrift nicht zu ermitteln sei. Nach nochmaliger Übersendung des Änderungsbescheides - nunmehr an die neue Anschrift (GStraße) - stellte die Beklagte die Leistung zum 31. März 2001 ein.
Auf die erneute persönliche Vorstellung des Klägers am 7. Mai 2001 zahlte die Beklagte die Leistung von da an weiter. Der Kläger teilte mit, dass er in die neue Wohnung - GStraße - (bereits) am 2. Januar 2001 eingezogen sei und sich am 19. Februar 2001 polizeilich umgemeldet habe.
Der wegen der verspäteten Bekanntgabe seiner neuen Anschrift und der sich daraus ergebenden Folgen angehörte Kläger nahm dahin Stellung, die Zuständigkeit des Arbeitsamtes habe sich durch den Wohnungswechsel nicht geändert. Er stehe weiterhin zur Verfügung. Er sei ab 2. Januar 2001 ununterbrochen in Berlin gewesen.
Durch Bescheid vom 11. Juli 2001 - bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 7. September 2001 - hob die Beklagte den Bewilligungsbescheid für die Zeit vom 2. Januar bis 15. März 2001 auf. Für diesen Zeitraum habe dem Kläger keine Leistung zugestanden, weil er der Arbeitsvermittlung bis zur Bekanntgabe seiner neuen Anschrift am 16. März 2001 nicht zur Verfügung gestanden habe. Wegen der verspäteten Anzeige der Adressänderung verweise sie auf das Merkblatt für Arbeitslose. Der Kläger habe für den Aufhebungszeitraum Leistungen in Höhe von 3.585,03 DM erhalten. Für den Zeitraum vom 1. April bis 6. Mai 2001 stehe ihm eine Nachzahlung von 1.767,96 DM zu. Damit ergebe sich eine Restforderung von 1.817,07 DM. Dieser Betrag sei zu erstatten. Für den Erstattungszeitraum habe sie Krankenversicherungsbeiträge in Höhe von 895,04 DM sowie Beiträge zur Pflegeversicherung in Höhe von 102,12 DM an die Krankenkasse entrichtet. Diese Beiträge habe er ihr zu ersetzen, so dass sich ein Gesamterstattungsbetrag von 2.814,23 DM ergebe.
Im Verfahren vor dem Sozialgericht (SG) Berlin machte der Kläger - wie zuvor schon im Widerspruchsverfahren - geltend, aus dem Mietverhältnis OStraße sei er erst zum 31. März 2001 entlassen worden, so dass im streitigen Zeitraum zwei Mietverhältnisse bestanden hätten. Die Einrichtung eines Postnachsendeauftrags habe sich erübrigt, weil er in beiden Wohnungen erreichbar gewesen sei. Er habe in der alten Wohnung Schönheitsreparaturen durchgeführt und sei mindestens dreimal in der Woche dort gewesen, um die eingegangene Post abzuholen. Deshalb habe er sich mit der Mitteilung der neuen Anschrift Zeit gelassen. Nach den Umständen habe er zumindest davon ausgehen können, dass er für das Arbeitsamt weiterhin erreichbar gewesen sei, so dass er sich jedenfalls nicht grob fahrlässig verhalten habe.
Durch Urteil vom 15. März 2002 gab das SG der Klage - unter Abweisung im Übrigen - insoweit statt, als es die angefochtenen Bescheide hinsichtlich des Zeitraums vom 2. Januar bis 18. Februar 2001 aufhob. Zwar habe die Beklagte zu Recht für den gesamten streitigen Zeitraum das Fehlen der Leistungsvoraussetzungen festgestellt. Denn der Kläger habe für diesen Zeitraum unter der von ihm angegebenen Wohnanschrift nicht an jedem Werktag während der üblichen Zeit des Eingangs der Briefpost eine Briefkastenkontrolle vorgenommen. Damit sei er insoweit im Sinne des Gesetzes nicht erreichbar und folglich nicht verfügbar und der Bewilligungsbescheid vom 11. Januar 2001 von Anfang an rechtswidrig gewesen. Gleichwohl stehe einer Rücknahme des Bewilligungsbescheides nach § 45 Sozialgesetzbuch (SGB) X in Verbindung mit § 330 Abs. 2 SGB III für die Zeit vom 2. Januar bis 18. Februar 2001 entgegen, dass der Kläger insoweit weder grob fahrlässig falsche oder unvollständige Angaben gemacht habe noch bei leichtester Überlegung hätte wissen müssen, dass ihm keine Leistungen zustünden. Aus dem Merkblatt für Arbeitslose gingen die Anforderungen an die Erreichbarkeit zwar hinreichend deutlich hervor. Der Kläger habe jedoch keinen konkreten Anlass gehabt, die Hinweise im Merkblatt zu beachten. Nach seinem glaubhaften Vorbringen in der mündlichen Verhandlung habe er wegen des Fortbestandes des alten Mietverhältnisses und der noch ausstehenden polizeilichen Ummeldung davon abgesehen, den gerade vollzogenen Wohnungswechsel bereits bei der Arbeitslosmeldung am 3. Januar 2001 mitzuteilen. Bei dieser laienhaften Wertung, einer Behörde wie dem Arbeitsamt die polizeilich gemeldete Anschrift mitteilen zu müssen, habe ihm unter Berücksichtigung der aufrechterhaltenen Bindungen zur alten Wohnung bis zur polizeilichen Ummeldung am 19. Februar 2001 weder die Notwendigkeit einer unverzüglichen Bekanntgabe seines Umzuges vor Augen stehen müssen noch ein Anlass bestanden, das Merkblatt zu Rate zu ziehen.
Mit der Berufung wendet sich die Beklagte gegen die Annahme des SG, dem Kläger sei bis zur polizeilichen Ummeldung keine grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Vielmehr habe ihn der Umzug am 2. Januar 2001 veranlassen müssen, sich im Merkblatt zu belesen. Ihm könne kein Vorteil daraus erwachsen, dass er die polizeiliche Ummeldung verspätet vorgenommen habe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 15. März 2002 zu ändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Er sei Türke und verstehe kaum Deutsch. Deswegen könne man an ihn nicht die Anforderungen stellen, die an deutsche Leser des Merkblatts für Arbeitslose gestellt würden. Im Übrigen sei die Erreichbarkeit dadurch - anderweitig - gewährleistet gewesen, dass er in der alten Wohnung weiterhin den Briefkasten kontrolliert habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten (einschließlich der Akte des SG - S 58 AL 3503/01 -) und Beklagtenakten (zur Kd.-Nr. ) verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung ist begründet.
Die angefochtenen Bescheide sind nicht zu beanstanden.
Nach § 45 Abs. 1, Abs. 2 Satz 3 SGB X in Verbindung mit § 330 Abs. 2 SGB III ist ein begünstigender Verwaltungsakt, soweit er rechtswidrig ist, u.a. zurückzunehmen, soweit er auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (Nr. 2) oder soweit der Begünstigte die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (Nr. 3).
Die Leistungsbewilligung war für die Zeit vom 2. Januar bis 15. März 2001 rechtswidrig, weil der Kläger die Leistungsvoraussetzungen insoweit nicht erfüllte. Er war nicht im Sinne der Vorschriften der §§ 119 Abs. 3 Nr. 3 SGB III, 1 Abs. 1 Satz 2 Erreichbarkeits-Anordnung erreichbar. Hierzu wäre es erforderlich gewesen, dass er sich einmal werktäglich in der von ihm angegebenen Wohnung aufgehalten hätte, um die Briefpost in Empfang und zur Kenntnis zu nehmen (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts [BSG] vom 3. Mai 2001 - B 11 AL 71/00 R - = SozR 3-4300 § 119 Nr. 2 S. 4 und vom 20. Juni 2001 - B 11 AL 10/01 R - = SozR 3 a.a.O. Nr. 3 S. 11). Das war nicht der Fall. Damit war der Kläger auch nicht verfügbar und nicht arbeitslos im Sinne des Gesetzes (vgl. §§ 118 Abs. 1 Nr. 2, 119 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, Abs. 3 Nr. 3 SGB III).
Die Leistungsbewilligung beruhte auch auf einer Angabe, die der Kläger in wesentlicher Beziehung unrichtig gemacht hat. Denn sie beruhte auf seiner Angabe, dass es sich bei der Anschrift OStraße um seine Wohnanschrift handele, was nicht den Tatsachen entsprach. Aufgrund dieser Angabe ging die Beklagte davon aus - und konnte davon ausgehen -, dass der Kläger unter dieser Anschrift im gesetzlichen Sinne erreichbar war, so dass sie die Leistungsvoraussetzungen für erfüllt hielt und den Leistungsbescheid erließ. Diese Falschangabe erfolgte auch grob fahrlässig, nämlich unter Verletzung der erforderlichen Sorgfalt in besonders schwerem Maße. Allein aufgrund des Umstandes, dass er im Zeitpunkt der Arbeitslosmeldung und Antragstellung bereits umgezogen war und nicht mehr in der OStraße wohnte, musste sich dem Kläger die Erkenntnis aufdrängen, dass die Angabe der Anschrift OStraße als Wohnanschrift falsch war, auch wenn er aus dem diesbezüglichen Mietverhältnis noch nicht entlassen war und Briefpost auch noch dort entgegennehmen konnte. Dass die polizeiliche Ummeldung noch ausstand, kann den Kläger nicht entlasten. Vielmehr hätte ihm die Notwendigkeit, wegen der Inanspruchnahme staatlicher Leistungen seine Wohnanschrift zu offenbaren, Veranlassung geben müssen, auch seine polizeiliche Ummeldung zu beschleunigen. Zu Recht weist die Beklagte auf die Unangemessenheit dessen hin, dass dem Kläger das Unterlassen der gebotenen unverzüglichen polizeilichen Ummeldung bei der Beurteilung des Grades seiner Fahrlässigkeit sollte zum Vorteil gereichen können.
Im Übrigen hätte dem Kläger der Umstand des Umzuges in die GStraße, wenn er schon davon absah diesen - und damit die geforderte Angabe der aktuellen Wohnanschrift - der Beklagten mitzuteilen, Anlass sein müssen, das Merkblatt für Arbeitslose zu Rate zu ziehen. Er hätte sich dann sehr schnell vergewissern können, dass seine Angaben nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprachen und den Leistungsanspruch entfallen ließen. Bei mangelnden Sprachkenntnissen hätte er Hilfe in Anspruch nehmen müssen.
Der Erstattungsanspruch folgt aus § 50 Abs. 1 SGB X. Der Ersatzanspruch wegen der von der Beklagten gezahlten Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung und sozialen Pflegeversicherung ergibt sich aus § 335 Abs. 1 und 5 SGB III.
Soweit die Beklagte die Erstattungsforderung wegen des Nachzahlungsanspruchs des Klägers für die Zeit vom 1. April bis 6. Mai 2001 entsprechend reduziert hat, ist allerdings darauf hinzuweisen, dass sie mangels Vorliegens der erweiterten Aufrechnungsvoraussetzungen des § 333 Abs. 1 SGB III gemäß § 51 Abs. 2 SGB I nur bis zur Hälfte der Nachzahlung aufrechnen kann. Sollte der Kläger darauf bestehen, die Hälfte der Nachzahlung ausgezahlt zu bekommen, müsste die Beklage dem entsprechen.
Die Kostenentscheidung nach § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entspricht dem Ergebnis in der Hauptsache.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
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