S 17 U 249/00

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Dortmund (NRW)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 17 U 249/00
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 15 U 139/03
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Überweisung ihres Unternehmens an die Beigeladene.

Die Klägerin ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, die der Gesetzgeber in den §§ 77 ff. des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V) vorgesehen hat, um die vertragsärztliche Versorgung in allen Bundesländern gewährleisten zu können. Unter dem 10.11.1998 bat die Beigeladene die Beklagte, gegenüber der Klägerin eine rechtsbehelfsfähige Entscheidung über die sachliche Zuständigkeit zu treffen. Nach Ansicht der Klägerin sei die sachliche Zuständigkeit der Beigeladenen gegeben.

Mit Bescheid vom 07.12.1999 lehnte die Beklagte die Überweisung der Klägerin an die Beigeladene ab. Sie führte zur Begründung aus, nach § 122 des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VII) könne das Bundesministerium für Arbeits- und Sozialordnung durch Rechtsverordnung die Zuständigkeit der gewerblichen Berufsgenossenschaften bestimmen. Gemäß der Rechtsverordnung zum sechsten Gesetz über die Änderung in der Unfallversicherung sei für die Klägerin die Beklagte der zuständige Unfallversicherungsträger. Da bislang eine die Zuständigkeit anders regelnde Rechtsverordnung nicht erlassen worden sei, bleibe die Beklagte entsprechend Abs. 2 der Vorschrift zuständig.

Dagegen legte die Klägerin Widerspruch ein und machte im Wesentlichen geltend, dass die Beigeladene sachlich zuständig sei, da Art und Gegenstand des Unternehmens ausschließlich auf dem Gebiet der Verwaltungstätigkeiten liege.

Mit Widerspruchsbescheid vom 26.09.2000 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Sie führte zur Begründung aus, die Zuständigkeit der gewerblichen Berufsgenossenschaften richte sich nach den §§ 121 Abs. 1, 122 SGB VII. Nach diesen Vorschriften sei die Beklagte in Verbindung mit § 3 Abs. 1 Nr. 1 ihrer Satzung für Betriebe, Einrichtungen und Tätigkeiten im Gesundheitswesen zuständig. Durch die Bekanntmachung des Reichsarbeitsministers vom 12.04.1943 sei die Beklagte auch für Ärztekammern und die Kassenärztliche Vereinigung samt Verrechnungsstellen zuständig. Gemäß § 122 Abs. 2 SGB VII bleibe jede Berufsgenossenschaft für die Unternehmensarten sachlich zuständig, für die sie vor Einführung des SGB VII zuständig gewesen sei, denn eine die Zuständigkeit regelnde Rechtsverordnung existiere bisher nicht. Dies bedeute, dass die Anordnung des Reichsarbeitsministers auch heute noch gelte. Sämtliche Kassenärztlichen Vereinigungen befänden sich seit Aufnahme ihrer Tätigkeit im Zuständigkeisbereich der Beklagten. Ein Überweisungsverfahren an die Beigeladene sei nicht möglich. Nach § 136 Abs. 1 SGB VII erfolge eine Überweisung nur, wenn die Feststellung der Zuständigkeit für ein Unternehmen von Anfang an unrichtig gewesen sei oder sich die Zuständigkeit für ein Unternehmen ändere. In § 136 Abs. 2 SGB VII werde ausgeführt, dass die Feststellung der Zuständigkeit von Anfang an nur dann unrichtig sei, wenn sie den Zuständigkeitsregelungen eindeutig widerspreche oder das Festhalten an dem Bescheid zu schwerwiegenden Unzuträglichkeiten führen würde. Die Feststellung der Zuständigkeit sei jedoch von Anfang an richtig und habe sich auch nicht geändert.

Wegen dieser Entscheidung hat die Klägerin am 24.10.2000 Klage erhoben. Sie behauptet weiterhin, dass die Beigeladene der zuständige Unfallversicherungsträger sei. Die Feststellung der Zuständigkeit der Beklagten sei von Anfang an unrichtig gewesen. Die Zuständigkeitsbestimmung des Reichsarbeitsministers träfe schon vom Wortlaut auf sie nicht zu, da sie nicht die "Kassenärztliche Vereinigung Deutschlands" sei. Sie sei auch nicht die gesetzliche Rechtnachfolgerin. Es könne schon sehr zweifelhaft sein, inwieweit im demokratischen Rechtsstaat des Grundgesetzes an den Verwaltungszuständigkeitsregelungen angeknüpft werden dürfe, die auf typisch nationalsozialistischer Anschauung, nämlich dem sogenannten Führerprinzip unter weitgehender Abschaffung der kassenärztlichen Selbstverwaltung beruhe. Eine Zuständigkeitsordnung auf der Grundlage der Bestimmung des Reichsarbeitsministers könne daher als dem Grundgesetz (GG) widersprechendes Recht im Sinne des Art. 123 Abs. 1 SGG keine Fortgeltung beanspruchen, und zwar sowohl wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG als auch gegen die Art. 83, 84 GG im Hinblick auf die Länderzuständigkeit. Die Unrichtigkeit der Zuständigkeitsfeststellung liege ferner vor, weil das Festhalten an dem Bescheid zu schwerwiegenden Unzuträglichkeiten führen würde. Die Klägerin lasse ihre Fachkraft für Arbeitssicherheit im Einverständnis mit der Beklagten bei der Beigeladenen ausbilden, um eine Unfallverhütung in sachgemäßer, den Arbeitsvorgängen eines Sozialverwaltungsträgers gerecht werdenden Art und Weise gewährleisten zu können. Dabei sei unter dem Gesichtspunkt sachangemessener Gleichbehandlung beachtlich, dass die Krankenversicherungsträger als Sozialverwaltungsträger in die Zuständigkeit der Beigeladenen fielen und damit Unfallverhütung und Arbeitssicherheit nach Maßgabe der für diese Berufsgenossenschaft geltenden Vorschriften sicherzustellen sei.

Die Klägerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

den Bescheid vom 07.12.1999 in der Gestalt des Wider- spruchsbescheides vom 26.09.2000 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin an die Beige- ladene als zuständigen Unfallversicherungsträger zu überweisen.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Klage abzuweisen.

Sie führt zur Beründung aus, eine Zuständigkeitsverordnung im Sinne des § 122 Abs. 1 SGB VII existiere nicht. Demgemäß bleibe jede Berufsgenossenschaft für die Unternehmensarten sachlich zuständig, für die sie bisher zuständig gewesen sei. Ausdrücklich würden also historische Überlegungen und Entwicklungen eine große Rolle spielen. Traditionell regele sich die Zuständigkeit der gewerblichen Berufsgenossenschaften nach Art und Gegenstand des Unternehmens. In einzelnen Fällen sei eine spezielle Zuweisung wie mit dem Erlass des Reichsarbeitsministers vom 12.04.1943 geschehen. Die Beklagte sei der zuständige Unfallversicherungsträger für Unternehmen auf dem Gebiet des Gesundheitswesens und der Wohlfahrtspflege. "Unternehmen" im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung seien Betriebe, Verwaltungen, Einrichtungen und Tätigkeiten (§ 121 Abs. 1 SBG VII). Die Beklagte sei daher zuständig für Betriebe, Verwaltungen, Einrichtungen und Tätigkeiten auf dem Gebiet des Gesundheitsdienstes und der Wohlfahrtspflege. Deshalb fänden sich im Kataster der Beklagten über 10.000 Geschäfts- und Verwaltungsstellen, z. B. Kammern, Verrechnungsstellen, Studentenwerke, Sozialwerke, Verbände usw. Diese Zuständigkeit sei seit Jahrzehnten gegeben. Die Beklagte sei seit jeher für alle Kassenärztlichen Vereinigungen der zuständige Unfallversicherungsträger. Vergleichbare Zuständigkeiten ergäben sich auch auf anderen Gebieten z. B. für die Tierärztekammern, für die Privatärztlichen Verrechnungsstellen, für Tierärztliche Verrechungsstellen, für die Zahnärztekammern, für die Kassenärztlichen Vereinigungen und für die Apothekerkammern. Dabei komme es nicht einmal darauf an, ob der Erlass des Reichsarbeitsministers angewandt werde oder nicht. Auch sei sie der Auffassung, dass in dem Erlass des Reichsarbeitsministers keineswegs nationalsozialistisches Gedankengut zum Ausdruck komme, so dass einer Anwendbarkeit nichts entgegenstehe. Im Erlass werde lediglich die Zuständigkeit des Unfallversicherungsträgers geregelt. Mit dem "Führerprinzip" habe dies nichts zu tun. Selbstverständlich nehme der Erlass auf die damals existierenden Körperschaften Bezug. Entscheidend sei aber die sachliche Aussage, welche dahinterstehe, nämlich dass die Beklagte im Wege einer Anex-Zuständigkeit auch für alle Verwaltungen und Geschäftsstellen auf dem Gebiet des Gesundheitsdienstes und der Wohlfahrtspflege zuständig sein solle. Hieran hätten weder die Änderungsgesetze zur Reichsversicherungsordnung (RVO) noch die Einführung des SGB VII etwas ändern wollen. Der Gesetzgeber habe die bestehenden Zuständigkeiten ganz bewusst nicht angerührt. Zudem habe die Klägerin selbst eingeräumt, dass die Prävention funktioniere. Dass sich die Unfallversicherungsträger dabei gegenseitig unterstützten, sei ein normaler Vorgang. Keinesfalls sei es so, dass die Beklagte nicht dazu in der Lage wäre, eine sinnvolle Prävention auch für Verwaltungseinheiten zu gewährleisten. Sie verfüge über mehr als 10.000 Unternehmen dieser Art.

Die Beigeladene hat mitgeteilt, dass sie sich nicht als zuständiger Unfallversicherungsträger für die Klägerin erachte. Hinsichtlich der Begründung folge sie den überzeugenden Ausführungen der Beklagten. Es sei zutreffend, dass die Beklagte für Kammern, Verbände und Organisationen der freien Berufe und der gewerblichen Wirtschaft der zuständige Unfallversicherungsträger sei. Kassenäruztliche Vereinigungen erfüllten einen gesetzlichen Auftrag im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung. Hierbei stehe der mit diesen Aufgaben verbundene Gesundheitsdienst im Vordergrund.

Mit Schreiben vom 27.06.2002, 28.06.2002 und 02.07.2002 haben sich die Beteiligten mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und die die Klägerin betreffende Verwaltungsakte der Beklagten, die der Entscheidung zu Grunde gelegen habe, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer hat ohne mündliche Verhandlung entscheiden können, da sich die Beteiligten mit dieser Vorgehensweise einverstanden erklärt haben.

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Die Klägerin ist durch den Bescheid vom 07.12.1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.09.2000 nicht beschwert im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG), denn der Bescheid ist nicht rechtswidrig. Die Klägerin hat keinen Anspruch darauf, an die Beigeladene überwiesen zu werden.

Nach § 136 Abs. 1 Satz 4 SGB VII überweist der Unfallversicherungsträger das Unternehmen dem zuständigen Unfallversicherungsträger, wenn die Feststellung der Zuständigkeit für das betreffende Unternehmen von Anfang an unrichtig war oder sich die Zuständigkeit für das Unternehmen ändert. Nach § 136 Abs. 2 Satz 1 SGB VII war die Feststellung der Zuständigkeit von Anfang an unrichtig, wenn sie den Zuständigkeitsregelungen eindeutig widerspricht oder das Festhalten an dem die Zuständigkeit feststellenden Bescheid zu schwerwiegenden Unzuträglichkeiten führen würde. Eine wesentliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse im Sinne von § 48 Abs. 1 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X), die zu einer Änderung der Zuständigkeit führt, liegt vor, wenn das Unternehmen grundsätzlich und auf Dauer umgestaltet worden ist (§ 136 Abs. 2 Satz 2 SGB VII). Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Weder hat sich das Gericht davon überzeugen können, dass die Eintragung der Klägerin in das Unternemerverzeichnis der Beklagten von Anfang an unrichtig gewesen ist, noch, dass das Festhalten an dem Bescheid zu schwerwiegenden Unzuträglichkeiten führen würde.

Die Zuständigkeit der gewerblichen Berufsgenossenschaften richtet sich nach den §§ 121 Abs. 1, 122 SGB VII. Nach diesen Vorschriften ist die Beklagte in Verbindung mit § 3 Abs. 1 Nr. 1 ihrer Satzung für Betriebe, Einrichtungen und Tätigkeiten im Gesundheitswesen zuständig. Gemäß § 122 Abs. 2 SGB VII bleibt jede Berufsgenossenschaft für die Unternehmensarten sachlich zuständig, für die sie vor Einführung des SGB VII zuständig war, denn eine die Zuständigkeit regelnde Rechtsverordnung existiert bisher nicht (vgl. Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, § 122 SGB VII Rz. 3). Durch die Bekanntmachung des Reichsarbeitsministers vom 12.04.1943 ist die Beklagte demnach auch für die Kassenärztliche Vereinigung zuständig. Zwar nimmt der Erlass auf die damals existierenden Körperschaften Bezug, entscheidend ist jedoch die sachliche Aussage, nämlich dass die Beklagte für Verwaltungen und Geschäftsstellen auf dem Gebiet des Gesundheitsdienstes und der Wohlfahrtspflege zuständig sein soll. Aber auch ohne Anwendung des Erlasses ist die Beklagte der zuständige Unfallversicherungsträger. Die Kassenärztlichen Vereinigungen sind Einrichtungen, die der Gesetzgeber in den §§ 77 f. SGB V vorgesehen hat, um die vertragsärztliche Versorgung in allen Bundesländern zu gewährleisten. Kassenärztliche Vereinigungen erfüllen somit eine gesetzliche Aufgabe im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung. Hierbei steht der mit diesen Aufgaben verbundene Gesundheitsdienst im Vordergrund. Die Beigeladene ist für Versicherungsunternehmen jeglicher Art zuständig, eben auch für die Krankenversicherungsunternehmen. Bei der Klägerin handelt es sich hingegen nicht um ein Versicherungs- unternehmen. Ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz ist deshalb nicht zu erkennen.

Dass das Festhalten an dem Bescheid zu schwerwiegenden Unzuträglich- keiten führen würde, ist ebenfalls nicht erkennbar. Wie die Klägerin selbst einräumt, funktioniert die Prävention.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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