L 6 KR 505/10

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
Thüringer LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Gotha (FST)
Aktenzeichen
S 38 KR 3204/06
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
L 6 KR 505/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Gotha vom 16. Februar 2010 abgeändert und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 0,10 EUR nebst Zinsen in Höhe von acht Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15. April 2006 zu zahlen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, in welcher Höhe der Rezepturzuschlag nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 der Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) angefallen ist.

Die Klägerin ist Inhaberin der M.-Apotheke in W ... Die bei der Beklagten versicherte S. H. (nachfolgend: Versicherte) leidet unter einer neurogenen Blasenlähmung. Der behandelnde Facharzt für Urologie Dr. T. L. verordnete ihr unter dem 19. Mai, 20. Juni sowie 18. Juli 2005 Oxybutynin-Fertigspritzen. Auf den Verordnungen findet sich der Vermerk:

"Oxybutynin-Fertigspritzen 0,1 % 10 ml Applikationsbedingte Einzelanfertigung auf Grund Rezepturstabilität erforderlich. Jede Flasche frisch vor Abgabe herstellen. 100 Einzelanfertigungen (18. Juli 2005: 100 einzelangefertigte Spritzen)"

Die Klägerin rechnete bei der Beklagten pro Verordnung einen Betrag von 1.220,20 EUR ab. Hierbei ging sie davon aus, dass pro Einzelspritze ein Rezepturzuschlag von 7 EUR zu berücksichtigen sei. Die Beklagte zahlte zunächst die in Rechnung gestellten Beträge abzüglich des fünfprozentigen Kassenrabattes, also jeweils 1.159,19 EUR.

Am 20. Februar 2006 "stornierte" die Beklagte die Rechnungen. Bezüglich der Verordnung vom 19. Mai 2005 rechnete sie mit einen Betrag von 859,73 EUR gegen andere unstreitige Forderungen der Klägerin auf und schrieb später wieder einen Betrag von 69,65 EUR gut. Im Hinblick auf die Verordnung vom 20. Juni 2005 stornierte sie einen Rechnungsbetrag in Höhe von 904,98 EUR, wobei sie später einen Betrag von 114,90 EUR wieder gutschrieb. Hinsichtlich der Verordnung vom 18. Juli 2005 stornierte die Beklagte einen Betrag von 859,73 EUR und schrieb später einen Betrag von 69,55 EUR wieder gut. Im Ergebnis erstattete sie auf die Verordnungen vom 19. Mai 2005 und 20. Juni 2005 jeweils 369,11 EUR und auf die Verordnung vom 18. Juli 2005 einen Betrag von 369,01 EUR.

Bei der Berechnung ging sie davon aus, dass pro Verordnung lediglich 388,54 EUR abgerechnet werden könnten, wovon dann noch der fünfprozentige Kassenrabattes abzusetzen sei. Es könne daher nur ein Betrag von 369,11 EUR pro Verordnung erstattet werden. Mit Schreiben vom 20. Februar 2006 teilte die Beklagte der Klägerin folgende Berechnung mit:

Oxybutynin (+ 2%) 46,51 EUR Isoton. Kochsalzlösung 4,77 EUR Salzsäure 1,51 EUR Spritzen mit Luer-Ansatz 100 Stück 31,08 EUR Stufenkonnektor 100 Stück 184,28 EUR Tüten 100 Stück 3,80 EUR Arbeitspreis 63,00 EUR MwSt. 16 % Summe: 388,54 EUR

Mit ihrer am 14. September 2006 beim Sozialgericht Gotha eingegangenen Klage hat die Klägerin zunächst einen Erstattungsbetrag von 2.492,77 EUR nebst Zinsen in Höhe von acht Prozentpunkten über dem Basiszinssatz geltend gemacht. In der Verrechnung liege eine endgültige Leistungsverweigerung, diese sei für die letzte Retaxierung vor Mitte April 2006 erfolgt, so dass Verzugszinsen ab dem 15. April 2006 entstanden seien. Später hat sie die Klage in Höhe von 254,10 EUR zurückgenommen. Das Sozialgericht Gotha hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 16. Februar 2010 abgewiesen und dabei ausgeführt, dass der Rezepturzuschlag lediglich pro Verordnung anfallen könne.

Mit ihrer am 21. Mai 2010 eingegangenen Berufung hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt. Die Berechnung der Beklagten werde mit Ausnahme des "Arbeitspreises" nicht beanstandet. Hierbei handele es sich um den sog. Rezepturaufschlag, es werde insoweit ein Betrag von 7 EUR pro Spritze, also pro Verordnung 700 EUR geltend gemacht. Die Beklagte habe nur 63 EUR vergütet, so dass noch zusätzlich 637 EUR pro Verordnung anzusetzen wären. Zuzüglich der Umsatzsteuer und abzüglich des fünfprozentigen Kassenrabatts ergebe sich für drei Verordnungen noch ein Fehlbetrag von 2.105,92 EUR. Die darüber hinausgehende Klage hat die Klägerin zurückgenommen.

Nach Ansicht der Klägerin komme es auf die Abgabe einer Verpackung an. Werden 100 einzeln verpackte Zubereitungen abgegeben, sei der Rezepturzuschlag auch 100 Mal zu erheben. Die in § 5 Abs. 1 AMPreisV gebrauchten Worte "bei der Abgabe" werden auch eingangs der §§ 2, 3, 4, 7 und 10 AMPreisV verwandt. Daraus lasse sich folgern, dass diese Worte einheitlich gemeint seien und es auch für die Erhebung des Rezepturzuschlags darauf ankomme, wie viele Zubereitungen abgegeben wurden. Insgesamt definiere sich das in der Apotheke hergestellte Arzneimittel von der Verpackung her. Die Entscheidung des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 6. Oktober 2005 (Az. L 5 KR 167/04) sei unzutreffend. Vielmehr müsse, ähnlich wie bei der Betäubungsmittelgebühr nach § 7 AMPreisV bei jeder Abgabe vom Entstehen des zusätzlichen Betrages ausgegangen werden. Dies ergäbe sich auch aus dem Beschluss des erkennenden Senats vom 14. November 2008 (L 6 KR 1146/07 NZB).

Die Klägerin beantragt,

den angefochtenen Gerichtsbescheid aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an sie 2.105,92 EUR nebst Zinsen in Höhe von acht Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15. April 2006 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, dass die Klägerin keinen Anspruch auf Bezahlung eines Rezepturzuschlags in Höhe von 7 EUR für jede der 100 hergestellten Fertigspritzen hat. Der Rezepturzuschlag könne lediglich pro Verordnung anerkannt werden.

Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

Bezüglich des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichts- und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der geheimen Beratung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte aufgrund des ausdrücklich erklärten Einverständnisses der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)).

Die zulässige Berufung ist lediglich im tenorierten Umfang begründet. Auch die Beklagte geht davon aus, dass der Klägerin pro Verordnung zumindest ein Betrag von 369,11 EUR zusteht. Auf die Verordnung vom 18. Juli 2005 erstattete sie im Ergebnis - wohl aufgrund eines Versehens - lediglich 369,01 EUR, so dass noch 0,10 EUR ausstehen. Der Zinsanspruch (vgl. zum grundsätzlichen Anspruch Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 3. August 2006 - B 3 KR 7/06 R und zur Zinshöhe BSG, Urteil vom 19. April 2007 - B 3 KR 10/06 R, jeweils nach juris) ergibt sich aus § 69 Abs. 1 Satz 3 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) in Verbindung mit den §§ 286, 288 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB).

Im Übrigen hat das Sozialgericht die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat keinen weitergehenden Anspruch gegen die Beklagte. Diese hat zu Recht im Februar 2006 eine "Stornierung" vorgenommen, also gegen insoweit unstreitige Forderungen der Klägerin aufgerechnet. Ihr stand gegen die Klägerin ein öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch zu (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 28. September 2010 - B 1 KR 3/10 R m.w.N., nach juris), weil sie den von der Klägerin berechneten Rezepturzuschlag in Höhe von 7 EUR pro Fertigspritze (700 EUR pro Verordnung) ohne hinreichenden Rechtsgrund gezahlt hat. Der Klägerin stand lediglich ein Betrag in Höhe von 63 EUR pro Verordnung als Rezepturzuschlag zu.

Rechtsgrundlage für die Vergütungsforderungen der Klägerin ist die AMPreisV.

Nach § 78 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 des Arzneimittelgesetzes (AMG) wird das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie u. a. ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats Preise für Arzneimittel, die in Apotheken hergestellt und abgegeben werden, festzusetzen. Von dieser Verordnungsermächtigung ist mit der AMPreisV Gebrauch gemacht worden. § 1 AMPreisV differenziert zwischen der Festlegung von Preisen für "Fertigarzneimittel" (Absatz 1) und für "in Apotheken hergestellte" Arzneimittel (Absatz 2), sogenannte Rezepturarzneimittel. Die Beteiligten sind übereinstimmend davon ausgegangen, dass es sich bei der verordneten Oxybutynin-Lösung 10 ml um ein Rezepturarzneimittel handelt. Insoweit berechnet sich die Apothekenzuschläge nach § 5 AMPreisV.

Nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 AMPreisV sind bei der Abgabe einer Zubereitung aus einem Stoff oder mehreren Stoffen, die in Apotheken angefertigt wird, ein Rezepturzuschlag nach Absatz 3 sowie die Umsatzsteuer zu erheben. Der Rezepturzuschlag beträgt nach § 5 Abs. 3 Nr. 3 4. Fall AMPreisV für das Zuschmelzen von Ampullen bis zur Grundmenge von sechs Stück 7 EUR. Für jede über die Grundmenge hinausgehende kleinere bis gleichgroße Menge erhöht sich der Rezepturzuschlag um jeweils 50 vom Hundert.

Die Beklagte hat hier unter entsprechender Anwendung des § 5 Abs. 3 Nr. 3 4. Fall AMPreisV einen Rezepturzuschlag von 63 EUR pro Verordnung angenommen. Dies ist nicht zu beanstanden. Wie der Senat bereits klargestellt hat (vgl. Senatsurteil vom 27. Mai 2013 - L 6 KR 1686/10) ergibt sich für die Auslegung, dass für jede Anfertigung einer Fertigspritze ein Rezepturzuschlag in Höhe von 7 EUR zu berechnen ist, kein Anhaltspunkt. Es kommt vielmehr auf die Verordnung des Arztes an. Der Bezug zwischen einem Arzneimittel und einer Verordnung wird aus § 7 Abs. 1 Satz 1 der Apothekenbetriebsordnung (ApBetrO) deutlich, wo es heißt, dass ein Arzneimittel, das auf Grund einer Verordnung hergestellt wird, der Verschreibung entsprechen muss. Es gibt also einen untrennbaren Zusammenhang zwischen der einzelnen Verschreibung und der einzelnen Rezeptur. Es muss davon ausgegangen werden, dass der Verordnungsgeber der AMPreisV dieses arzneimittelrechtliche Grundverständnis der Regelung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 3 AMPreisV zugrunde gelegt hat (vgl. Landessozialgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 6. Oktober 2005 - L 5 KR 167/04, nach juris).

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass sich die Formulierung "Abgabe" in mehreren Vorschriften der AMPreisV wiederfindet. Hierauf kommt es nicht an, entscheidend ist vielmehr, ob eine oder mehrere Zubereitungen vorgelegen haben. Wie diese dann abgegeben werden, ist nicht entscheidend. Dies zeigt gerade § 5 Abs. 3 Nr. 3 4. Fall AMPreisV, der davon ausgeht, dass trotz gesondert angefertigter und dann auch so abgegebener Ampullen nicht für jede einzelne der Rezepturzuschlag anfällt. Eine andere Auslegung hätte im Übrigen zur Folge, dass es der Apotheker durch Wahl einer möglichst kleinteiligen Verpackungsweise selbst in der Hand hätte, den Rezepturzuschlag zum Entstehen zu bringen. Dies ist mit Sinn und Zweck des Rezepturzuschlags nicht zu vereinbaren.

Auch aus dem Senatsbeschluss vom 24. November 2008 (L 6 KR 1146/07 NZB) folgt nichts anderes. Hier war über den Zuschlag nach § 7 AMPreisV und nicht § 5 AMPreisV zu entscheiden. Der Zuschlag für jede einzelne abgegebene Menge begründete sich aus den besonderen Nachweispflichten der Betäubungsmittel-Verschreibungs-Verordnung, die hier nicht zur Anwendung kommt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Aufgrund des nur marginalen Obsiegens der Klägerin war eine Kostenquote nicht angezeigt.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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