L 10 AL 65/02

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 54 AL 3663/98 W 00
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 10 AL 65/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Höhe des Arbeitslosengeldes (Alg).

Der 1943 geborene Kläger war bis 31. Dezember 1996 als Versicherungsvertreter beim G angestellt. Von Juli 1996 bis Dezember 1996 bezog er ein sich aus einem Festgehalt und weiteren festen Arbeitsentgeltbestandteilen zusammensetzendes Bruttomonatsentgelt von 3.800,50 DM. Hinzu kamen entsprechend den Verdienstabrechnungen folgende steuer- und sozialversicherungspflichtige Entgeltposten:

Juli 1996 Wettbew. Brutto EB 20,00 DM
September 1996 Leistungsprämie 899,37 DM
EB GAV/TAV/Bonus 2.000,00 DM
Oktober 1996 Vergütung AD 2.000,00 DM
EB AV-Ausgl. Krankheit 879,10 DM
Ersatz fixer KFZ-Kosten 170,00 DM
November 1996 Weihnachtsgratifikation 3.020,00 DM
Dezember 1996 EB AV-Ausgl. Urlaub 927,70 DM
EB AV-Ausgl. Krankheit 98,30 DM

Als Minusposten kamen im Oktober 1996 Korrekturposten für Kilometergeld/Fahrtkosten in Höhe von 340,00 DM und für Spesen/Nebenkosten in Höhe von 255,00 DM hinzu, die die festen Arbeitsentgeltbestandteile und damit auch das steuer- und sozialversicherungspflichtige Gesamtbruttoarbeitsentgelt entsprechend verringerten.

Auf seinen Antrag und seine Arbeitslosmeldung vom 2. Januar 1997 bewilligte die Beklagte dem Kläger durch Bescheid vom 16. Mai 1997 in der Fassung des im Widerspruchsverfahren ergangenen Änderungsbescheides vom 26. November 1997 vom 1. Januar 1997 an Alg nach einem gerundeten wöchentlichen Bruttoarbeitsentgelt (Bemessungsentgelt) von 950,00 DM in Höhe von wöchentlich 396,60 DM (Leistungsgruppe B, erhöhter Leistungssatz).

Bei der Berechnung des Bemessungsentgelts ging sie davon aus, dass die außer dem festen Arbeitsentgelt gezahlten Ausgleichsleistungen für Urlaub und Krankheit (879,10 DM, 927,70 DM und 98,30 DM) bemessungsfähig, hingegen alle anderen zusätzlichen Entgelte als einmalige oder wiederkehrende Zuwendungen - entsprechend der damaligen gesetzlichen Regelung - nicht bemessungsfähig seien. Nach Erläuterung des Klägers seien die Leistungsprämie an die Mitarbeiter in Abhängigkeit vom Geschäftsergebnis, der "Bonus" und die "Vergütung AD" aus einem im Jahre 1996 angesammelten Überschuss an verdienten Provisionen auf Abforderung hin sowie die Extra-Zuwendungen im Juli 1996 (Wettbew. Brutto EB) und Oktober 1996 (Ersatz fixer KFZ-Kosten) als (weitere) einmalige Zuwendungen gezahlt worden. Die Ausgleichszahlungen für Krankheit und Urlaub seien aus einer Durchschnittsberechnung ermittelt worden, in die neben den festen Entgeltbestandteilen auch die variablen Bestandteile eingeflossen seien. Es handele sich um eine normale Entgeltfortzahlung. In der Ausgleichszahlung für Urlaub sei zusätzliches Urlaubsgeld nicht enthalten.

Dementsprechend berechnete die Beklagte das Bemessungsentgelt wie folgt:

6 x 3.800,50 DM 22.803,00 DM
Urlaubsentgelt (12/96) 927,70 DM
AU-Entgelt (10 + 12/96) 977,40 DM
insgesamt 24.708,10 DM: 26 Wochen = 950,31 DM,
also Bemessungsentgelt 950,00 DM.

Das auf dieser Grundlage errechnete Alg bestätigte die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 25. August 1998 als zutreffend. - Der Alg-Anspruch war mit Ablauf des 28. Februar 1999 erschöpft.

Im Laufe des Verfahrens vor dem Sozialgericht (SG) Berlin erhöhte die Beklagte in Umsetzung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 24. Mai 2000 - 1 BvL 1/98 u.a. - und im Vorgriff auf die gebotene gesetzliche Neuregelung die dem Alg des Klägers zugrunde liegenden Bemessungsentgelte für die gesamte Anspruchsdauer um 10 % und bewilligte ihm entsprechend höhere Leistungen (Änderungsbescheide vom 30. Oktober 2000).

Das dagegen angerufene SG wies die auf Gewährung von Alg auf der Grundlage der tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte gerichtete Klage durch Gerichtsbescheid vom 11. Juni 2002 ab. Es legte anhand der einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung dar, dass nach dem Gesetz alle Entgeltbestandteile, die sich nicht als in einem einzelnen bestimmten Abrechnungszeitraum (hier dem Kalendermonat) erarbeitet zuordnen ließen - insbesondere sogenanntes aufgestautes Arbeitsentgelt -, zu den einmaligen und wiederkehrenden Zuwendungen gehörten. Dementsprechend habe der Kläger keinen Anspruch auf individuelle Nachberechnung, sondern lediglich auf die bereits gewährte 10 %ige Erhöhung seines Bemessungsentgelts. Ein weitergehender Anspruch scheide nach der Regelung des § 434 c Sozialgesetzbuch (SGB) III aus. Diese Vorschrift entspreche dem o.a. Beschluss des BVerfG und sei danach verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Mit der Berufung hält der Kläger dem entgegen, soweit das BVerfG im Hinblick auf die Verfassungswidrigkeit der Nichtberücksichtigung von Einmalzahlungen beim Bemessungsentgelt für Altfälle eine pauschale Erhöhung desselben um 10 % für ausreichend halte, gründe dies auf dem Umstand, dass im seinerzeitigen Ausgangsverfahren lediglich die Berücksichtigung einmaliger Arbeitsentgelte wie Weihnachts- und Urlaubsgeld geltend gemacht worden sei. Diese Entgelte betrügen nach den Erkenntnissen des BVerfG durchschnittlich 10 % des Jahreseinkommens. Insoweit sei die dementsprechende Regelung des § 434 c SGB III nicht zu beanstanden. Für seinen Fall und die Vielzahl vergleichbarer Fälle aus der Gruppe von Beziehern sozialversicherungspflichtiger Einkommen aus dem Bereich der Versicherungs- und Bankwirtschaft, die in erheblichem Maße abschlussorientierte, in unregelmäßigen Abständen gezahlte Arbeitsentgelte erhielten, sei die gesetzliche Regelung des § 434 c SGB III ungenügend und verstoße gegen Art. 3 Grundgesetz. Insoweit sei die Vorschrift nicht anwendbar. Mithin könne auch bei ihm nur eine individuelle Betrachtung der jeweiligen Leistungen in Frage kommen. Dabei seien wegen der Unregelmäßigkeit seiner Einkünfte als Bemessungszeitraum die letzten 52 Wochen vor der Arbeitslosigkeit zugrunde zu legen.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 11. Juni 2002 aufzuheben und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 16. Mai 1997 in der Fassung der Bescheide vom 26. November 1997, 25. August 1998 (Widerspruchsbescheid) und 30. Oktober 2000 zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 1. Januar 1997 bis 28. Februar 1999 Arbeitslosengeld auf der Grundlage der tatsächlich erzielten Arbeitsentgelte zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten (einschließlich der Akte des SG - S 54 AL 3663/98 W 00 -) und der Leistungsakten der Beklagten (zur Kd.-Nr. ) verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist unbegründet.

Das SG hat zutreffend entschieden, dass dem Kläger kein höheres Alg zusteht. Dies folgt aus den hier noch anwendbaren Vorschriften der §§ 111, 112 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) in Verbindung mit der aufgrund des Einmalzahlungs-Neuregelungsgesetzes vom 21. Dezember 2000 am 1. Januar 2001 in Kraft getretenen übergangsrechtlichen Vorschrift des § 434 c SGB III. Wegen der Berechnung des Alg im Einzelnen verweist der Senat auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid vom 25. August 1998, wegen der Nichtberücksichtigungsfähigkeit der in den Bemessungszeitraum vom 1. Juli bis 31. Dezember 1996 fallenden unregelmäßig gezahlten Außendienstprovisionen nach Maßgabe des § 112 Abs. 1 Satz 2 AFG auf die nicht zu beanstandenden Ausführungen im angefochtenen Urteil.

Entgegen der Ansicht des Klägers kommt die Zugrundelegung eines erweiterten Bemessungszeitraums von 52 Wochen nicht in Betracht. Diese früher einmal unter bestimmten Voraussetzungen gegebene Möglichkeit hat nach dem hier maßgeblichen, ab 1. Januar 1997 geltenden Recht nicht mehr bestanden. Vielmehr umfasste der Bemessungszeitraum nach der hier maßgeblichen Fassung des § 112 Abs. 2 Satz 1 AFG die beim Ausscheiden des Arbeitnehmers abgerechneten Lohnabrechnungszeiträume der letzten sechs Monate der die Beitragspflicht begründenden Beschäftigungen vor der Entstehung des Anspruchs, in dem der Arbeitslose Arbeitsentgelt erzielt hat. Eine Verlängerung des Bemessungszeitraums trat lediglich nach Maßgabe des § 112 Abs. 2 Satz 3 AFG ein, nämlich dann, wenn die Lohnabrechnungszeiträume weniger als 100 Tage mit Anspruch auf Arbeitsentgelt enthielten. Dieser Fall lag hier nicht vor. Das ab 1. Januar 1998 geltende Recht des SGB III, das in § 130 einen Regelbemessungszeitraum von 52 Wochen vorsieht, ist auf den Leistungsfall des Klägers grundsätzlich noch nicht anwendbar.

Dahinstehen kann, ob der Lohnabrechnungszeitraum Dezember 1996 beim Ausscheiden des Klägers bereits abgerechnet war und die Beklagte diesen Monat zutreffend in die Berechnung des Bemessungsentgelts einbezogen hat. Denn ohne die Einbeziehung des Monats Dezember 1996 ergäbe sich jedenfalls kein höheres Bemessungsentgelt und damit kein höheres Alg. Im Gegenteil. Durch die Einbeziehung dieses Monats konnten für die maßgebliche Durchschnittsberechnung des Arbeitsentgelts im Bemessungszeitraum zusätzliche Ausgleichszahlungen für Krankheit und Urlaub berücksichtigt werden.

Nicht näher überprüft zu werden braucht ferner, ob es sich bei den das Festentgelt übersteigenden Zuwendungen von 20,00 DM im Juli 1996 (Wettbew. Brutto EB) und von 170,00 DM im Oktober 1996 (Ersatz fixer KFZ-Kosten) wirklich um nicht berücksichtigungsfähige einmalige Zuwendungen im Sinne des § 112 Abs. 1 Satz 2 AFG handelte. Denn andererseits hat die Beklagte zu Gunsten des Klägers die Minusposten im Oktober 1996 in Höhe von 340,00 DM und 255,00 DM unberücksichtigt gelassen, so dass ihm von Rechts wegen aufgrund der Zuwendungen von 20,00 DM im Juli 1996 und 170,00 DM im Oktober 1996 jedenfalls kein höheres Bemessungsentgelt und damit auch kein höheres Alg zustehen kann.

Entgegen der Ansicht des Klägers hat dieser keinen weitergehenden Anspruch auf höheres Alg als denjenigen, der sich aus § 434 c SGB III ergibt und dem die Beklagte durch ihre Bescheide vom 30. Oktober 2000 bereits entsprochen hat. Auch diesbezüglich verweist der Senat zunächst auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Gerichtsbescheid und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.

Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen sei auf jene Passage im Beschluss des BVerfG vom 24. Mai 2000 - 1 BvL 1/98 u.a. (= SozR 3-2400 § 23 a Nr. 1) in ihrem genauen Wortlaut hingewiesen, die verfassungsrechtliche Grundlage des § 434 c SGB III ist. Darin heißt es (SozR a.a.O. S. 6 am Ende):

"Der Gesetzgeber hat durch geeignete Regelungen sicherzustellen, dass einmalig gezahlte Arbeitsentgelte bei den Lohnersatzleistungen berücksichtigt werden, soweit über deren Gewährung für die Zeit nach dem 1.1.1997 noch nicht bestandskräftig entschieden worden ist. Dem Gesetzgeber bleibt es unbenommen, statt einer individuellen Neuberechnung der Altfälle aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität die Bemessungsentgelte pauschal um 10 v.H. anzuheben. Denn um diesen Prozentsatz erhöhen sich im Durchschnitt die Lohnersatzleistungen bei Berücksichtigung einmalig gezahlter Arbeitsentgelte, wenn aufgrund der vorliegenden Informationen über die Lohnstruktur bei ganzjährigen Beschäftigungsverhältnissen davon ausgegangen wird, dass die Mehrzahl der Versicherten ein Weihnachts- und Urlaubsgeld erhält."

Daraus geht zweierlei hervor: (1.) Eine - einheitliche - pauschale Anhebung der Bemessungsentgelte bei - allen - Altfällen anstelle deren individueller Neuberechnung ist aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität verfassungsrechtlich grundsätzlich unbedenklich. (2.) Die Höhe der Pauschale muss sachlichen Kriterien entsprechen; als solches sachliches Kriterium für alle Altfälle hat es das BVerfG angesehen, dass bei ganzjährigen Beschäftigungsverhältnissen die Mehrzahl der Versicherten an einmalig gezahlten Arbeitsentgelten ein Weihnachts- und Urlaubsgeld erhält (bzw. erhielt). An diesen Umstand, der zur Erhöhung der Lohnersatzleistungen um durchschnittlich 10 v.H. führen würde, könne für die Höhe der Pauschale angeknüpft werden.

Das BVerfG hat sich damit für die Altfälle an jenen einmalig gezahlten Arbeitsentgelten orientiert, die die Mehrzahl der Versicherten erhält (bzw. erhielt). Folglich hat es insoweit bewusst die Lohnstrukturverhältnisse einzelner Versichertengruppen, die darüber hinausgehende einmalige und wiederkehrende Zuwendungen im Sinne des § 112 Abs. 1 Satz 2 AFG erhalten (bzw. erhielten), für nicht (unbedingt) berücksichtigungsbedürftig und dies - eben für Altfälle - für verfassungsrechtlich unbedenklich gehalten. Ebenso hat es im Übrigen als vernachlässigungsfähig angesehen, dass eine Minderzahl der Versicherten entweder kein Weihnachtsgeld oder kein Urlaubsgeld oder weder das eine noch das andere erhalten und schließlich, dass für die Altfälle des Jahres 1997 noch nicht ein volles, sondern nur ein halbes Jahr maßgeblicher Bemessungszeitraum war und insofern nicht auf ganzjährige Beschäftigungsverhältnisse abzustellen gewesen wäre. Für den konkreten Fall des Klägers wäre insoweit anzumerken, dass auch er an der 10 %igen Erhöhung teilhat, obwohl in dem für ihn noch maßgeblichen sechsmonatigen Bemessungszeitraum zwar ein Weihnachtsgeld, aber kein Urlaubsgeld anfiel.

Die Kostenentscheidung nach § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entspricht dem Ergebnis in der Hauptsache.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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