L 6 AS 80/14 B ER

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 23 AS 1/14 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 AS 80/14 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Zur Auslegung von Art. 13 Abs. 1 Satz 1 des Zusatzabkommens zu dem Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrags über die Rechtsstellung ihrer Truppen hinsichtlich der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten ausländischen Truppen vom 3. August 1959 (NATO-TrStatZAbk).
I. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Wiesbaden vom 11. Februar 2014 aufgehoben und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende in gesetzlicher Höhe ab dem 2. Januar 2014 bis zum 31. Mai 2014 zu gewähren.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

II. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller dessen notwendige außergerichtliche Kosten beider Instanzen zu erstatten.

Gründe:

I.

Der 2013 geborene Antragsteller ist US-amerikanischer, koreanischer und deutscher Staatsangehöriger. Er begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II).

Der Antragsteller lebt bei seinen nicht verheirateten Eltern. Seine Mutter, die die koreanische Staatsangehörigkeit besitzt und Inhaberin einer Niederlassungserlaubnis ist, erhielt zum Zeitpunkt seiner Geburt bereits Leistungen nach dem SGB II. Der Vater ist Staatsangehöriger der Vereinigten Staaten von Amerika. Er hält sich seit 2001 in der Bundesrepublik Deutschland auf und arbeitete bis mindestens 3. März 2014 bei den amerikanischen Streitkräften – E. Region, A-Stadt – als Erzieher. Nach der erstinstanzlichen Beweisaufnahme am 4. Februar 2014 rechnete der Vater des Antragstellers nicht mit einer Verlängerung des Arbeitsverhältnisses. Ausweislich der letzten Lohnabrechnung für Januar 2014 hat er für 80 Std./Monat netto 412,86 $, (brutto 1.278,72 $) erhalten, die Abzüge belaufen sich auf Steuern und Sozialabgaben gegenüber US-amerikanischen Trägern sowie einen Abzug in Höhe von 400 $ mit dem Verwendungszweck "ALMTI".

Die Eltern stellten für den Antragsteller am 17. Oktober 2013 einen (Weiterbewilligungs-) Antrag auf Leistungen nach dem SGB II bei der Antragsgegnerin. Daraufhin gewährte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 18. Dezember 2013 lediglich der Mutter des Antragstellers Leistungen nach dem SGB II. Die Leistungen für den Antragsteller und für seinen Vater lehnte die Antragsgegnerin mit der Begründung ab, dass in Deutschland lebende Soldaten der USA keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II hätten. Dies ergebe sich aus Art. 13 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut von 1959 (NATO-TrStatZAbk).

Gegen den Bescheid vom 18. Dezember 2013 wurde mit Schreiben vom 23. Dezember 2013 Widerspruch eingelegt, über den bislang nicht entschieden worden ist.

Am 2. Januar 2014 hat der Antragsteller einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes bei dem Sozialgericht Wiesbaden gestellt. Er hat die Auffassung vertreten, dass er einen Anspruch auf seinen ungedeckten Unterhaltsbedarf gegen die Antragsgegnerin habe. Der Ausschlusstatbestand des Art. 13 NATO-TrStatZAbk sei nicht auf ihn anwendbar. Sein Vater habe seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. Außerdem sei sein Vater ihm gegenüber nicht zum Unterhalt verpflichtet, weil der Vater ein zu geringes Einkommen erziele. Er beruft sich zudem auf die UN-Kinderrechtskonvention. Die Antragsgegnerin hat die Auffassung vertreten, der Vater des Antragstellers habe seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht in Deutschland. Dies ergebe sich bereits daraus, dass der Arbeitgeber ihn als ziviles Gefolge ansehe und er deshalb von einer Visums- und Aufenthaltserlaubnispflicht für seinen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland befreit sei.

Das Sozialgericht Wiesbaden hat den Antrag mit Beschluss vom 11. Februar 2014 zurückgewiesen. Ein Anspruch des Antragstellers auf Leistungen nach dem SGB II sei nach Art. 13 Abs. 1 S. 1 NATO-TrStatZAbk ausgeschlossen, weil der Antragsteller ein Angehöriger des zivilen Gefolges sei und sein Vater, der Zeuge A., seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Stationierungsland (Deutschland) habe. Nach Art. 13 Abs. 1 Satz 1 NATO-TrStatZAbk würden, soweit nicht ausdrücklich etwas anderes vorgesehen sei, zwischenstaatliche Abkommen oder andere im Bundesgebiet geltende Bestimmungen über soziale Sicherheit und Fürsorge auf Mitglieder einer Truppe, eines zivilen Gefolges und auf Angehörige nicht angewendet. Bei dem SGB II handele es sich um Bestimmungen über die soziale Sicherheit und Fürsorge im Sinne des Art. 13 Abs. 1 Satz 1 NATO-TrStatZAbk. Der Antragsteller sei ein Angehöriger des zivilen Gefolges, weil sein Vater, der Zeuge A., zum zivilen Gefolge gehöre. Ziviles Gefolge sei nach Art. I Abs. 1 (a) NATO-Truppenstatut das die Truppe einer Vertragspartei begleitende Zivilpersonal, das bei den Streitkräften dieser Vertragspartei beschäftigt sei, soweit es sich nicht um Staatenlose handele oder um Staatsangehörige eines Staates, der nicht Partei des Nordatlantikvertrags sei, oder um Staatsangehörige des Staates, in welchem die Truppe stationiert sei, oder um Personen, die dort ihren gewöhnlichen Aufenthalt hätten. Der Zeuge A. gehöre aufgrund seiner Beschäftigung bei den US-Streitkräften zum zivilen Gefolge und nicht zur Truppe. Er habe seinen gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Stationierungsland. Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthaltes aus § 30 Abs. 3 Satz 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil - (SGB I) könne trotz § 30 Abs. 2 SGB I grundsätzlich für die Definition herangezogen werden. Der gewöhnliche Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland könne durch Zivilpersonal von ausländischen NATO-Streitkräften nur begründet werden, wenn sie zusätzlich über rechtliche Verbindungen zum deutschen System der sozialen Sicherheit und Fürsorge verfügten (Bezugnahme auf BSG, Urteil vom 2. Oktober 1997 - 14/10 RKg 12/96, Rn. 11). Das ergebe sich aus dem Zweck des NATO-TrStatZAbk. Zweck dieser Regelung sei es, die Anwendung bundesdeutscher Bestimmungen der sozialen Sicherheit und Fürsorge auf solche Personen zu verhindern, die lediglich zum Entsendestaat (hier: USA) in rechtlichen Beziehungen stehen. Es wäre unangemessen, allein wegen ihres tatsächlichen Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland Rechten und Pflichten aus den deutschen Bestimmungen der sozialen Sicherheit und Fürsorge zu begründen. Für die soziale Sicherheit dieser Personen solle der Entsendestaat verantwortlich sein. Unter Zugrundelegung dieser Intention könne das NATO-Truppenstatut aber nur dann zum Ausschluss der sozialen Sicherungssysteme des Stationierungslandes führen, wenn keine ausreichende Verknüpfung mit dem System der sozialen Sicherheit und Fürsorge des Stationierungslandes bestehe. Das bedeute, dass ein gewöhnlicher Aufenthalt nur dann angenommen werden kann, wenn der Zeuge A. die auf Dauer angelegte Verwurzelung mit dem Stationierungsland anstrebe, so dass rechtliche Beziehungen nicht lediglich zum Heimatstaat bestünden und die Truppe letztlich nur Arbeitgeber sei. Vorliegend habe die Beweisaufnahme ergeben, dass der Vater des Antragstellers, der Zeuge A., nicht seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne des NATO-Truppenstatuts in Deutschland habe. Der Zeuge A. habe in seiner Zeugenvernehmung bekundet, dass er seiner letzten Gehaltsabrechnung zufolge 412,86 $ ausbezahlt bekommen habe. Er zahle seine Steuern an die USA. Auch besitze er eine amerikanische Krankenversicherung und zahle monatlich einen Betrag in Höhe von 400 $ an seinen amerikanischen Arbeitgeber für seine Altersabsicherung. Er erhalte seitens der USA Steuervergünstigungen, weil er ein Kind habe. Im Falle der Rückkehr in die USA würde er dort Sozialleistungen bekommen. Solange er sich tatsächlich in Deutschland aufhalte, stünden sie ihm nach eigenen Angaben nicht zu. Hiernach habe der Zeuge A. lediglich rechtliche Beziehungen zu den Vereinigten Staaten von Amerika. Er sei dort in das Sozialversicherungssystem integriert. Es bestünden keine rechtlichen Beziehungen zum deutschen System der sozialen Sicherheit. Die einzige Beziehung, die der Zeuge A. zum deutschen Staat habe, sei die familiäre Verbindung zum Antragsteller, der eine befristete deutsche Staatsangehörigkeit besitze. Bei dieser Verbindung handele es sich jedoch nicht um eine rechtliche Verbindung zum deutschen System der sozialen Sicherheit, sondern um eine familiäre Beziehung. Allein die familiäre Verbindung zu einem deutschen Staatsangehörigen reiche nicht, um eine Verbindung zum deutschen System der sozialen Sicherheit zu begründen, weil das NATO-Truppenstatut vorsehe, dass das rechtliche Schicksal der Angehörigen am Schicksal des Mitgliedes der Truppe beziehungsweise des zivilen Gefolges hänge und nicht umgekehrt. Der Antragsteller sei Angehöriger im Sinne des Art. I Abs. 1 (b) des NATO-Truppenstatuts und sei deshalb wie sein Vater nach Art. 13 Abs. 1 Satz 1 NATO-TrStatZAbk von den deutschen Sozialleistungen ausgeschlossen. Gegen eine Eigenschaft als Angehöriger spreche nicht der Einwand, dass der Zeuge A. über kein ausreichendes Einkommen verfüge, um dem Antragsteller tatsächlich Unterhalt leisten zu können. Die Unterhaltsberechtigung in Artikel I Abs. 1 (b) NATO-Truppenstatut meine, dass der Antragsteller dem Grunde nach seinem Vater gegenüber unterhaltsberechtigt sei. Eine tatsächlich mögliche Auszahlung des Unterhalts sei nicht erforderlich. Aus Art. 26 UN-Kinderrechtskonvention lasse sich angesichts der ausdrücklichen Regelung in Art. 13 Abs. 1 S. 1 NATO-TrStatZAbk keine andere Auslegung ableiten. Der Beschluss ist dem Bevollmächtigten des Antragstellers am 11. Februar 2014 zugegangen.

Die hiergegen gerichtete Beschwerde ist am 12. Februar 2014 bei dem Sozialgericht Wiesbaden erhoben worden.

Der Antragsteller trägt vor, dass er seine Leistungsberechtigung von der leistungsberechtigten Mutter herleiten könne. Auch sei er deutscher Staatsangehöriger. Weiterhin sei anzuzweifeln, ob der Vater tatsächlich dem zivilen Gefolge zuzurechnen sei, da er selbständig nach Deutschland gekommen sei. Bei Art. I Abs. 1 (c) NATO-Truppenstatut komme es auf eine Unterhaltsberechtigung im realen Sinne an. Die UN-Kinderrechtskonvention, die in Art. 26 das Recht jedes Kindes auf Leistungen der sozialen Sicherheit anerkenne, gehe dem NATO-Truppenstatut als jüngeres Abkommen vor. Der Beschluss des Sozialgerichts lasse zudem jede Abwägung hinsichtlich eines Mindestschutzes nach dem SGB XII vermissen.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Wiesbaden vom 11. Februar 2014 aufzuheben und dem Antragsteller längstens bis zur Entscheidung in der Hauptsache, Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren, hilfsweise Existenzsicherungsschutz nach anderen Leistungssystemen wie dem SGB XII zu gewähren.

Die Antragsgegnerin beantragt sinngemäß,
die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie bezieht sich zur Begründung auf den angefochtenen Beschluss und führt aus, dass die Kollisionsregelung Art. 13 NATO-TrStatZAbk aufgrund des Individualisierungsgrundsatzes auch für einzelne Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft gelte. Ein Anspruch folge noch nicht allein aus der deutschen Staatsangehörigkeit. Hinzu komme, dass der Antragsteller Unterhaltsansprüche gegen seinen Vater habe.

II.

Die Beschwerde ist zulässig und in ganz überwiegendem Umfang begründet. Das Sozialgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Unrecht abgelehnt.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Ein solcher wesentlicher Nachteil ist nur anzunehmen, wenn dem Antragsteller gegenüber dem Antragsgegner ein materiell-rechtlicher Leistungsanspruch in der Hauptsache zusteht (Anordnungsanspruch) und es ihm darüber hinaus nicht zuzumuten ist, die Entscheidung über den Anspruch in der Hauptsache abzuwarten (Anordnungsgrund). Die tatsächlichen Voraussetzungen für das Vorliegen eines Anordnungsgrundes sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO).

Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch in Gestalt des Anspruches auf Gewährung von Sozialgeld nach §§ 7 ff., 19 ff. SGB II. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts steht der Anwendung des SGB II nicht die Kollisionsnorm des Art. 13 Abs. 1 Satz 1 NATO-TrStatZAbk entgegen. Nach Art. 13 Abs. 1 Satz 1 NATO-TrStatZAbk werden zwischenstaatliche Abkommen oder andere im Bundesgebiet geltende Bestimmungen über soziale Sicherheit und Fürsorge auf Mitglieder einer Truppe, eines zivilen Gefolges und auf Angehörige nicht angewendet, soweit nicht ausdrücklich etwas anderes vorgesehen ist. Rechte und Pflichten, die diesen Personen auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit während eines früheren Aufenthalts im Bundesgebiet erwachsen sind, bleiben jedoch unberücksichtigt (Art. 13 Abs. 1 Satz 2 NATO-TrStatZAbk). Die Zugehörigkeit zu dem genannten Personenkreis schließt ferner die Möglichkeit nicht aus, dass in der deutschen sozialen Kranken- und Rentenversicherung zum Zwecke der freiwilligen Weiterversicherung Beiträge geleistet werden und im Rahmen einer bestehenden Versicherung Rechte entstehen und geltend gemacht werden (Art. 13 Abs. 1 Satz 3 NATO-TrStatZAbk).

Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist nicht die Auslegung der einzelnen Tatbestandsmerkmale der Vorschrift zu beanstanden. Nach Auffassung des Senats überdehnt das Sozialgericht allerdings in zweierlei Hinsicht die kollisionsrechtliche Wirkung der Vorschrift.

Erstens enthält das SGB II, anders als § 6 Sozialgesetzbuch Viertes Buch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – (SGB IV), für den Bereich der Sozialversicherung keine spezielle Kollisionsnorm, die den unbedingten Vorrang des zwischenstaatlichen Kollisionsrechts anordnet. Es fehlt auch eine § 1 Abs. 2 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz vergleichbare bereichsspezifische Regelung. Insofern kann eine das SGB II verdrängende Wirkung des Kollisionsrechts des NATO-TrStatZAbk unmittelbar nur aus der allgemeinen Vorschrift des § 30 Abs. 2 SGB I hergeleitet werden, die ihrerseits aber wiederum einer abweichenden Sonderregelung im jeweiligen Fachgesetz zugänglich ist. Insoweit muss das Verhältnis zwischen dem potentiellen Normanwendungsbefehl des nationalen Sozialrechts (insbesondere § 7 Abs. 1 Satz Nr. 4 SGB II) und der nach ihrem Wortlaut entgegenstehenden Kollisionsnorm kraft völkerrechtlicher Vereinbarung durch Auslegung geklärt werden, wenn – wie hier – beide Vorschriften normhierarchisch auf gleicher Stufe stehen. Es ist nämlich zu beachten, dass den Kollisionsnormen des Abkommensrechts nicht bereits kraft ihrer Funktion unbedingter Vorrang gegenüber einem Rechtsanwendungsbefehl des nationalen Rechts zukommt. Allgemein anerkannt ist, dass Staaten in gewissen Grenzen befugt sind, einseitig ihr Sozialrecht auch gegen den Wortlaut einer Kollisionsnorm des zwischenstaatlichen Rechts für anwendbar zu erklären. Gerechtfertigt sein kann dies insbesondere durch das Günstigkeitsprinzip oder durch andere mit dem Kollisionsrecht verbundenen Zwecksetzungen (grundlegend für das Kollisionsrecht des Europäischen Sozialrechts: EuGH, Urteil vom 20. Mai 2008 - Rs. C-352/06, Slg. 2008, I-3827 – "Bosmann"; zum Abkommensrecht zwischen der Europäischen Zentralbank und der Bundesrepublik Deutschland vgl. den Beschluss des erkennenden Senats vom 4. Februar 2011 - L 6 EG 24/09 – juris sowie EuGH, Urteil vom 19. Juli 2012, Rs. C 62/11, juris – "Feyerbacher"; allgemein Schuler, Das internationale Sozialrecht der Bundesrepublik Deutschland, 1988, S. 386 f.). So hat der EuGH in der Rechtssache "Bosmann" aus allgemeinen kollisionsrechtlichen Erwägungen zum deutschen Kindergeldrecht festgestellt, "dass unter den Umständen des Ausgangsverfahrens dem Wohnsitzmitgliedstaat nicht die Befugnis abgesprochen werden kann, den in seinem Gebiet wohnhaften Personen Familienbeihilfen zu gewähren." Zwar unterliege "eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaats abhängig beschäftigt ist, ( ) den Rechtsvorschriften dieses Staates, auch wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnt, doch soll der Wohnstaat mit dieser Verordnung nicht daran gehindert werden, dieser Person nach seinem Recht Familienbeihilfen zu gewähren." Daher ist zunächst zu klären, ob § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II, der nach Auffassung des Senats insbesondere wegen des Territorialitätsprinzips bei deutschen Staatsangehörigen (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II) auch kollisionsrechtlichen Charakter hat (vgl. Eichenhofer, SGb 2011, 463, 464 unter Bezugnahme auf § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II und Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG) nicht wegen des Günstigkeitsprinzips in bestimmten Fällen gegenüber Art. 13 NATO-TrStatZAbk der Vorrang einzuräumen ist. Dies ist insbesondere in Konstellationen sachgerecht, in denen sich der Hauptzweck des internationalen Sozialrechts, Doppelbelastungen durch Beiträge und Mehrfachbegünstigungen im Leistungsrecht zu verhindern, nicht verwirklichen lässt. So liegt der Fall hier, denn der Antragsteller hat nach einhelligem Kenntnisstand der Beteiligten und des Senats keinen fürsorgerechtlichen Anspruch gegen die Vereinigten Staaten von Amerika. Nach Auffassung des Senats besteht zudem aus der Perspektive des nationalen Rechts kein Grund, den territorialen Normanwendungsbefehl des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II bei deutschen Staatsangehörigen über den Gedanken der Entsendung nach dem NATO-TrStatZAbk zu relativieren, wenn der Leistungsberechtigte nicht nur aufgrund einer Bedarfsgemeinschaft mit einer dem NATO-Truppenstatut unterworfenen Person, sondern davon völlig unabhängig eine Anknüpfung für einen Sozialgeldanspruch über eine dritte Person – hier: die Mutter des Antragstellers – herleiten kann, die nicht dem NATO-TrStatZAbk unterliegt. Es sind für den Senat keine kollisionsrechtlich relevanten Erwägungen erkennbar, warum die Anknüpfung an die Angehörigeneigenschaft zu einer Person des zivilen Gefolges vorrangig gegenüber dem gewöhnlichen Aufenthalt des Antragstellers (nicht: des Vaters) in Bedarfsgemeinschaft lebend mit der nicht dem NATO-TrStatZAbk unterworfenen Mutter sein soll.

Zweitens spricht auch eine an Sinn und Zweck des NATO-TrStatZAbk orientierte Auslegung für eine restriktive Interpretation seiner Rechtsfolgen. So hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 30. Januar 2012 – 12 BV 11.1787 – juris, ausgeführt:
"Allerdings erfasst Art. 13 Abs. 1 Satz 1 NATO-TrStatZAbk nicht sämtliche mögliche Ansprüche des betroffenen Personenkreis aus dem bundesdeutschen System der sozialen Sicherheit und Fürsorge. Er schließt, wie insbesondere das Bundessozialgericht bereits entschieden hat (vgl. grundlegend Urteil vom 25.2.1992 – 4 RA 34/91 –, BSGE 70, 138 [143]; BSG, Urteil vom 2.10.1997 – 14/10 RKg 12/96 –, SozR 3-6180 Art. 13 Nr. 8, S. 41; BSG, Urteil vom 30.9.2010 – B 10 EG 11/09 R –, SozR 4-6180 Art. 13 Nr. 1, RdNr. 27), als Ausnahmevorschrift die genannten Ansprüche der Mitglieder der Truppe, des zivilen Gefolges und der Angehörigen dieser Personen nur dann aus, wenn und soweit deutsche Sozialrechtsnormen für diese Personen Rechte oder Pflichten allein schon wegen des Umstandes begründen würden, dass sie sich im Bundesgebiet tatsächlich aufhalten. ( ) Dieses enge, rein kollisionsrechtliche Verständnis des Art. 13 Abs. 1 Satz 1 NATO-TrStatZAbk stimmt überein mit den Darlegungen der Denkschrift (BT-Drs III/2146, S. 235), wonach es der Stellung der ausländischen Streitkräfte in Deutschland nicht gerecht werden würde, wenn ihre Mitglieder, deren Zugehörigkeit zu den Streitkräften auf die militärische Organisation des Entsendestaates zurückgeht, in die sie eingeordnet sind, mit ihren Angehörigen sozialversicherungsrechtlich so behandelt würden, als ob sie bei einem Arbeitgeber oder Dienstherrn im gewöhnlichen Sinne in der Bundesrepublik Deutschland in abhängiger Beschäftigung tätig würden. Die Streitkräfte, ihre Mitglieder und die Angehörigen befinden sich aufgrund besonderer Abmachungen im Bundesgebiet, die es nicht sinnvoll erscheinen lassen, die Beziehungen des einzelnen Mitglieds zu den Streitkräften als Beschäftigung im Sinne des deutschen Sozialversicherungsrechts anzusehen. Demgemäß sollten die Entsendestaaten, und nicht die deutschen Stellen, für die soziale Sicherheit dieser Personen verantwortlich sein (vgl. BSG, Urteil vom 30.9.2010 – B 10 EG 11/09 R –, SozR 4-6180 Art. 13 Nr. 1, RdNr. 28). Anders verhält es sich hingegen dann, wenn rechtliche Beziehungen zur deutschen Sozialversicherung außerhalb der Mitgliedschaft zu den Streitkräften begründet oder hergestellt werden. Insoweit besteht kein Grund, diese rechtlichen Beziehungen zu beschneiden, weil es sich gleichzeitig um Mitglieder der Streitkräfte oder deren Angehörige handelt. Diese Konzeption kommt hinreichend deutlich auch in Art. 13 Abs. 1 Sätze 2 u. 3 NATO-TrStatZAbk zum Ausdruck, wonach Rechte und Pflichten, die diesen Personen auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit während eines früheren Aufenthalts im Bundesgebiet erwachsen sind, unberührt bleiben und die Zugehörigkeit zu dem betroffenen Personenkreis ferner die Möglichkeit nicht ausschließt, dass in der deutschen Kranken- und Rentenversicherung zum Zwecke der freiwilligen Weiterversicherung Beiträge geleistet werden und im Rahmen einer entsprechenden Versicherung Rechte entstehen und geltend gemacht werden (vgl. BSG, Urteil vom 30.9.2010 – B 10 EG 11/09 R –, SozR 4-6180 Art. 13 Nr. 1, RdNr. 28 f. m.w.N.). Art. 13 Abs. 1 Satz 1 NATO-TrStatZAbk enthält damit eine Kollisionsregel, die festlegt, dass deutsches Sozialrecht – ausnahmsweise – auf die dem internen Bereich der Streitkräfte zugeordneten Personen nicht anzuwenden ist, wenn und so lange sie sich im Bundesgebiet aufhalten und nur Beziehungen zum Entsendestaat oder untereinander haben. Deutsches Sozialrecht kann und muss dagegen uneingeschränkt angewendet werden, wenn (soweit und so lange) diese Personen rechtliche oder tatsächliche Beziehungen zu Dritten, d.h. zu anderen, nicht "entsandten" Personen (Rechtssubjekten) unterhalten, und diese Beziehungen in dem jeweiligen sozialrechtlichen Zusammenhang relevant sind (vgl. BSGE 70, 138 [145]; BSG, Urteil vom 30.9.2010 – B 10 EG 11/09 R –, SozR 4-6180 Art. 13 Nr. 1, RdNr. 31). Welcher Art und welchen Umfangs die ein Eingreifen des Art. 13 Abs. 1 Satz 1 NATO-TrStatZAbk ausschließenden und damit die Anwendbarkeit des deutschen Sozialrechts begründenden Rechtsbeziehungen sein müssen, bestimmt sich jeweils nach dem (streitigen) Anspruch auf die begehrte Sozialleistung. Insoweit ist es allerdings nicht Voraussetzung, dass der Anspruchsteller u. a. auch in alle Zweige der deutschen Sozialversicherung einbezogen ist oder war. Vielmehr reicht es aus, dass für den Anspruch auf die betreffende Sozialleistung ein Tatbestandsmerkmal erfüllt ist, das außerhalb des "NATO-Bereichs" liegt (vgl. BSG, Urteil vom 30.9.2010 – B 10 EG 11/09 R –, SozR 4-6180 Art. 13 Nr. 1, RdNr. 32 m.w.N.)."

Nach den vorstehenden Ausführungen, denen der Senat folgt, soll also durch Art. 13 Abs. 1 Satz 1 NATO-TrStatZAbk das Territorialitätsprinzip nur soweit durchbrochen werden, soweit aufgrund der besonderen entsendungsähnlichen Beziehungen der Mitglieder der Truppe, des zivilen Gefolges und der Angehörigen zu den Streitkräften eine Anknüpfung an den Ort des Beschäftigungsverhältnisses oder an den Ort des Wohnsitzes unzweckmäßig ist. Hingegen soll deutsches Sozialrecht nicht verdrängt werden, wenn nach dem materiellen Sozialrecht eine relevante Rechtsbeziehung aus rechtlichen oder tatsächlichen Beziehungen zu Dritten besteht. Hinreichend ist die Erfüllung eines Tatbestandsmerkmals des materiellen Rechts auch im Bereich des Fürsorgerechts, das keine für das NATO-TrStatZAbk relevante Anknüpfung aufweist. Dies ist hier der Fall, da der Antragsteller nach § 7 Abs. 3 Nr. 2 SGB II seinen Sozialgeldanspruch bereits allein aus der Bedarfsgemeinschaft mit seiner Mutter herleiten kann, die dem NATO-TrStatZAbk nicht unterworfen ist.

Der Antragsteller hat auch seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. Angesichts seiner deutschen Staatsangehörigkeit, des gesicherten Aufenthaltsrechts der Mutter und keinem erkennbaren Ausreisewillen der Eltern bestehen gegenwärtig keine Zweifel am zukunftsoffenen Verbleib des Antragstellers in der Bundesrepublik Deutschland. Offen bleiben kann daher, ob die rechtlichen Erwägungen des Sozialgerichts, mit denen der gewöhnliche Aufenthalt des Vaters des Antragstellers verneint wurde, nach Aufgabe der sog. Einfärbungslehre durch das Bundessozialgerichts (dazu ausf. BSG, Urteil vom 30. Januar 2013 – B 4 AS 54/12 R – juris Rn. 19) tragfähig sind.

Auch am Vorliegen der übrigen Anspruchsvoraussetzungen hegt der Senat keine Zweifel. Hinsichtlich der Hilfebedürftigkeit dem Grunde nach nimmt der Senat – nur mit Bindungswirkung für dieses Eilverfahren und nur dem Grunde nach – ergänzend Bezug auf die Anlage zum an die Mutter des Antragstellers, C., adressierten Bescheid vom 18. Dezember 2013.

Wegen der Hilfebedürftigkeit der Mutter und der geschilderten Einkommenssituation des Vaters ist es dem Antragsteller nicht zuzumuten, die Entscheidung über den Anspruch in der Hauptsache abzuwarten. Aufgrund des Gegenwartsbezuges des Anordnungsgrundes erscheint es allerdings sachgerecht, die Wirkungen der einstweiligen Anordnung auf den Bewilligungszeitraum der Leistungsbewilligung zugunsten der Mutter zu begrenzen.

Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG nicht mit der Beschwerde anfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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