L 3 U 351/00

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 23 U 794/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 3 U 351/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts München vom 30. Mai 2000 und des Bescheids vom 31. März 1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15. September 1998 verurteilt, der Klägerin ab 1. April 1996 Verletztenrente nach einer MdE um 20 v.H. wegen einer Berufskrankheit der Nr.5101 der Anlage 1 zur BKVO zu gewähren.
II. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

I.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte verpflichtet ist, die Hauterkrankung der Klägerin als Berufskrankheit nach der Nr.5101 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung - BKVO - anzuerkennen und zu entschädigen.

Die am 1951 geborene Klägerin, türkische Staatsangehörige, verrichtete in der Bundesrepublik Deutschland seit 1974 Hilfstätigkeiten bei verschiedenen Arbeitgebern. Ab 10.10.1984 war sie bei der Landeshauptstadt München zunächst als Hausgehilfin und Reinigungskraft im Altenheim S. und seit September 1995 im Schulhausreinigungsdienst beschäftigt. Seit 01.04.1996 ist sie arbeitsunfähig erkrankt. In einer ärztlichen Anzeige über eine Berufskrankheit bezeichnete die Dermatologische Klinik der Ludwig-Maximilians-Universität M. am 20.12.1995 ein Kontaktekzem an beiden Händen als Berufskrankheit. Dies sei auf den beruflichen Umgang mit Wasser und Putzmitteln zurückzuführen. Die Beklagte erholte Befundberichte der behandelnden Ärzte, nämlich von Dr.M. (Behandlung vom 06.11.1995 bis 21.11.1995), von Dr.J. (Behandlung vom 29.02.1996 bis 14.05.1996), von der Dermatologischen Klinik der Technischen Universität M. (stationäre Behandlung vom 01.03. bis 19.03.1996 und ambulante Behandlung ab 28.11.1995), von Dr.H. (Behandlung erstmals im März 1985 und fortdauernd bis Anfang 1992) sowie einen Auszug aus der Leistungskartei der AOK München. Die Staatliche Gewerbeärztin Dr.S. gab aufgrund der Unterlagen und einer Vorstellung der Klägerin am 21.10.1997 am 05.06.1997 und 23.10.1997 Stellungnahmen ab. Sie kam zum Ergebnis, das nicht nur an den Händen bestehende Ekzem lasse sich nicht mit Wahrscheinlichkeit auf die berufliche Tätigkeit zurückführen. Das Fortbestehen der Erkrankung nach der Aufgabe des Arbeitsplatzes spreche gegen eine richtunggebende Verschlimmerung einer vorbestehenden Hauterkrankung durch berufliche Einflüsse. Obwohl die Klägerin seit 10.04.1996 arbeitsunfähig sei und seither nicht mehr gearbeitet habe, seien bei der Vorstellung am 21.10.1997 erhebliche Hautveränderungen aufgefallen. Mit Bescheid vom 31.03.1998 lehnte die Beklagte eine Anerkennung und Entschädigung der Hauterkrankung als Berufskrankheit nach der Nr.5101 der Anlage 1 zur BKVO ab.

Nach erfolglosem Widerspruch (Widerspruchsbescheid vom 15.09.1998) hat die Klägerin zum Sozialgericht München Klage erhoben. Dieses hat erneut Befundberichte der behandelnden Ärzte eingeholt und den Hautarzt Dr.G. mit der Erstattung eines Gutachtens betraut. Er hat am 24.10.1999 ausgeführt, bei der Klägerin liege eine Dyshidrose ohne beruflichen Auslösefaktor vor. Bei der Untersuchung am 05.10.1999 hätten flächenartige kumulativ-toxische Ekzeme an den Handflächen bestanden. Eine Testung mit Berufsstoffen sei wie schon früher bei Epikutantestungen negativ verlaufen. Die kurze Expositionszeit vom Beginn der schädigenden Tätigkeit im Oktober 1984 und dem ersten Auftreten eines kumulativ-toxischen Ekzems im Dezember 1984 spreche gegen einen beruflichen Zusammenhang. Auf Antrag der Klägerin (§ 109 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) hat Prof.Dr.R., Direktor der Klinik und Poliklinik für Dermatologie der Technischen Universität M. am 14.03.2000 ein weiteres Gutachten erstattet. Er hat das Vorliegen einer Berufskrankheit bejaht und ab der ersten Anzeige einer Berufskrankheit, nämlich ab dem 20.12.1995 eine MdE um 20 v.H. auf Dauer für angemessen erachtet. Es handele sich um eine richtunggebende Verschlimmerung des Handekzems bei individueller Disposition zur Dyshidrose. Die Verschlimmerung sei auf den beruflichen Umgang mit Putzmitteln und Tätigkeiten im Feuchtmilieu zurückzuführen. Beweisend dafür sei, dass sich die Handekzeme akut bei der Tätigkeit als Reinigungskraft verschlechtert und in arbeitsfreien Intervallen gebessert hätten. Schwerere Rezidive seien nach Beendigung der Tätigkeit seltener geworden, jedoch sei es nicht zu einer dauerhaften vollständigen Erscheinungsfreiheit gekommen. Im Hautarztbericht vom 20.03.1996 seien an den Handflächen eine Rötung und Schuppung, Ragaden und Bläschen beschrieben worden. Dieser Befund sei zumindest als "mittelgradige Hauterscheinung" nach den Richtlinien zur Einschätzung der MdE bei der Berufskrankheit Hauterkrankung zu qualifizieren. Die Aufgabe der beruflichen Tätigkeit sei auf diese Erkrankung zurückzuführen.

Mit Urteil vom 30.05.2000 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es hat sich zur Begründung auf das Gutachten von Dr.G. gestützt, das es für überzeugender gehalten hat. Dem Gutachten von Prof.Dr.R. hat es nicht zu folgen vermocht. Er habe in keiner Weise einleuchtend begründet, weshalb allein die Besserung bei Abwesenheit vom Arbeitsplatz, welche nicht dokumentiert sei, einen ursächlichen Zusammenhang rechtfertige. Der Sachverständige verharmlose, dass bei der Klägerin auch nach dem Ende ihrer Tätigkeit als Putzfrau klinische Behandlungen notwendig gewesen seien. Auch die Annahme einer anlagebedingten Reaktionsbereitschaft sei nicht nachgewiesen, so dass auch die angenommene richtungweisende Verschlimmerung durch berufsbedingte Umstände nicht zwingend erscheine.

Dagegen hat die Klägerin Berufung eingelegt und diese damit begründet, dass das Gutachten von Prof.Dr.R. sehr wohl überzeugend sei. Der Senat hat Prof.Dr.P. , Direktor der Klinik und Poliklinik für Dermatologie des Klinikums der Universität M. mit der Erstattung eines Gutachtens beauftragt. Am 07.05.2001 hat dieser dargelegt, bei der Klägerin handele es sich um eine Kombination von kumulativ-toxischen und allergischen Hautveränderungen, die durch Arbeiten in feuchtem Milieu richtunggebend verschlimmert worden seien. Zusätzlich sei es zu einer Sensibilisierung im Sinne einer Propfallergie gekommen, welche zumindest beruflich mitverursacht worden sei. Die Testung habe eine Sensibilisierung gegenüber Glutaraldehyd, Benzalconiumchloryd und Biopan ergeben. Es handele sich dabei um Stoffe, die in Konservierungs- und Desinfektionsmitteln zu finden seien. Solche Substanzen würden in einem Altenheim verwendet werden. Wegen der Hauterscheinungen habe der Zwang zur Berufsaufgabe bestanden. Die MdE sei auf Dauer mit 20 v.H. einzuschätzen.

Die Beklagte hat am 27.06.2001 eingewandt, sie hege Zweifel am Vorliegen einer Kontaktallergie. Die Klägerin sei zuletzt im Schuldienst nur noch mit Reinigungs- und nicht mit Desinfizierungsarbeiten befasst gewesen. Die Hauterscheinungen seien zudem nach Aufgabe der beruflichen Tätigkeit nicht zurückgegangen oder abgeklungen. Vielmehr habe deswegen eine stationäre Behandlung in den Jahren 1997 und 1998 stattgefunden. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Hauterkrankung und ihrer Berufstätigkeit sei nicht nachvollziehbar.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts München vom 30.05.2000 und des Bescheids vom 31.03.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.09.1998 zu verurteilen, ihre Hauterkrankung als Berufskrankheit nach der Nr.5101 der Anlage 1 zur BKVO anzuerkennen und die gesetzlichen Leistungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 30.05.2000 zurückzuweisen.

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts gemäß § 136 Abs.2 SGG auf den Inhalt der Akte der Beklagten sowie der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

II.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist zulässig (§§ 143, 151 SGG) und auch begründet.

Zur Überzeugung des Senats, der sich auf die übereinstimmenden Ausführungen der gerichtlichen Sachverständigen Prof.Dr.R. und Prof.Dr.P. bezieht, hat die Klägerin Anspruch auf Anerkennung und Entschädigung ihrer Hauterkrankung als Berufskrankheit gemäß der hier noch anzuwendenden §§ 551, 580, 581 Reichsversicherungsordnung - RVO - in Verbindung mit der Nr.5101 der Anlage 1 zur BKVO vom 20.06.1968 (BGBl.I.S.721) in der Fassung vom 18.12.1992 (BGBl. I.S.2343). Denn der Versicherungsfall ist mit Aufgabe der beruflichen Tätigkeit zum 01.04.1996 eingetreten und damit vor In-Kraft-Treten des Siebten Sozialgesetzbuchs - SGB VII -, so dass die Vorschriften der RVO gemäß § 212 SGB VII anzuwenden sind.

Dass bei der Klägerin eine schwere rückfällige Hauterkrankung vorliegt, wird auch von der Beklagten nicht bestritten. Streitig ist allein der ursächliche Zusammenhang zwischen dem Auftreten dieser Erscheinungen und der beruflichen Tätigkeit der Klägerin vom 10.10.1984 bis August 1995 als Reinigungskraft in der Altenpflege bzw. von September 1995 bis zum 01.04.1996 im Schuldienst. Diese Frage bejaht der Senat zumindest für das bei der Klägerin nachgewiesene kumulativ toxische Hautekzem. Ob darüberhinaus auch die von Prof.R. am 01.03.2000 erstmals festgestellte Sensibilisierung gegenüber Stoffen wie Glutaraldehyd, Benzalconiumchloryd und Biopan auf ihre berufliche Belastung zurückzuführen ist, kann insoweit offen bleiben. Dies erscheint deshalb zweifelhaft, weil nicht gesichert ist, ob diese Stoffe in den von der Klägerin verwendeten Reinigungsmitteln vorgekommen sind. Es kann aber dahingestellt bleiben, ob dies der Fall ist, denn die bei ihr bestehende kumulativ-toxische Hauterkrankung ist wesentlich mitursächlich auf ihre berufliche Tätigkeit zurückzuführen. Dies reicht aus, um eine Berufskrankheit der Nr.5101 der Anlage 1 zur BKVO anzuerkennen und zu entschädigen. Denn völlig übereinstimmend haben die Sachverständigen Prof.Dr.R. und Prof.Dr.P. festgestellt, dass das dyshidrotische Handekzem erstmals in ausgeprägter Form kurze Zeit nach Aufnahme ihrer Tätigkeit als Reinigungskraft, nämlich im Dezember 1984 aufgetreten war und sich in der nachfolgenden Zeit in arbeitsfreien Intervallen wesentlich besserte. Prof.Dr.P. führt hierzu aus, aus ärztlicher Erfahrung könne ein kumulativ-toxisches Handekzem durchaus innerhalb von zwei Monaten nach Aufnahme einer belastenden Tätigkeit oder sogar in noch kürzeren Zeiträumen auftreten. Denn bei Personen mit anlagebedingter atopischer Diathese, wie bei der Klägerin, ist durch die gestörte Hautbariere ein vollständiges Abheilen der Haut nicht mehr möglich. Der Umgang mit hautreizenden Stoffen und die Arbeiten im Feuchtmilieu, wie bei einer Tätigkeit als Reinigungskraft, führen dann zu einer richtunggebenden Verschlimmerung der Handekzeme. Dies war auch bei der Klägerin der Fall. Bei Erstellung des Hautarztberichtes am 20.03.1996, also kurz bevor die Klägerin ihren Beruf als Reinigungskraft aufgegeben hat, fanden sich an den Handflächen Rötungen, Schuppungen, Ragaden und Bläschen. Dieser Befund entspricht nach den Richtlinien für die MdE-Einschätzung bei Hautkrankheiten mindestens einer "mittelgradigen Hauterscheinung" und rechtfertigt bereits eine MdE um 20 v.H. Dabei kann dahinstehen, ob die von Prof.R. erstmals getestete Allergie ebenfalls wesentlich ursächlich oder mitursächlich auf die Berufstätigkeit oder zumindest mittelbar auf die beruflich bedingte kumulativ-toxische Hauterkrankung im Sinne einer Pfropfallergie zurückzuführen ist. Die Einwendungen der Beklagten, Prof.P. bleibe eine Erklärung schuldig, worin die deutliche Besserung der Hautbeschwerden in arbeitsfreien Zeiten bestehen solle, wenn die Klägerin noch 1997 und 1998, also zu einem Zeitpunkt weit nach Aufgabe ihrer belastenden Tätigkeiten, einer stationären Behandlung wegen der bestehenden Hauterscheinungen bedurfte, sind zwar nicht von der Hand zu weisen. Jedoch ist der Beklagten insoweit entgegenzuhalten, dass die Sachverständigen Prof.Dr.P. und Prof.Dr.R. ihre Wertung, bei der Klägerin handle es sich um eine "schwere Hauterkrankung" gerade darauf stützen, dass sie nicht mehr vollständig zur Abheilung gelangen konnte. Dies, so führen sie aus, hat seine Ursache darin, dass die Klägerin über einen langen Zeitraum, nämlich von 1984 bis 1996 hautbelastend tätig gewesen sei und es zu keiner Zeit, auch nicht in arbeitsfreien Phasen, zu einer vollständigen Abheilung, wohl aber zu Besserungen, gekommen war. Sie beziehen sich insoweit auf die diversen, von der Beklagten eingeholten Hautarztberichte. Der Senat tritt dieser Beurteilung bei. Er entnimmt den Gutachten darüberhinaus auch die Feststellung, dass die schwere, beruflich bedingte Hauterkrankung auch nach der Berufsaufgabe zu keiner vollständigen Beschwerdefreiheit geführt hat. Dies ist insbesondere bei der MdE-Bewertung mitzuberücksichtigen. Diese ist mit 20 v.H., nämlich einem mindestens mittelschweren Erkrankungsbild entsprechend, einzuschätzen. Ob die Klägerin, wie von der Beklagten aufgegriffen, mehrfach ausschließlich wegen Hauterscheinungen oder wegen anderer Gesundheitsstörungen stationär behandelt werden musste, spielt keine Rolle. Denn auch derartige Krankenhausaufenthalte führten zu arbeitsfreien Intervallen mit dem Ergebnis, dass sich die Hauterscheinungen dann bessern konnten. Der Senat kommt damit zu dem Ergebnis, dass nach dem Beginn der Tätigkeit der Klägerin als Reinigungskraft im Oktober 1984 mehrfach Arbeitsunfähigkeitszeiten wegen eines beidseitigen Handekzems dokumentiert sind, dass sich die Hauterscheinungen dazwischen zumindest gebessert, wenn auch nicht vollständig zurückgebildet hatten und dass die Klägerin tatsächlich ihre belastende Berufstätigkeit spätestens zum 01.04.1996, wie aus der Bescheinigung der AOK zweifelsfrei hervorgeht, aufgegeben hat. Darüber hinaus entnimmt der Senat den Gutachten der Professoren P. und R., dass für die Klägerin wegen dieser Hauterscheinung die objektive Notwendigkeit bestanden hatte, den Beruf der Reinigungskraft aufzugeben. Denn ein Arbeiten ohne Kontakt mit Putzmitteln und Nässe wäre auch unter Verwendung von Hautschutzsalben und Baumwollhandschuhen nicht möglich gewesen. Damit sind die Voraussetzungen zur Anerkennung und Entschädigung einer Hauterkrankung als Berufskrankheit der Nr.5101 der Anlage 1 zur BKVO erfüllt. Hinsichtlich der MdE-Festsetzung stimmt der Senat den Sachverständigen Prof.Dr.P. und R. zu. Dies entspricht auch der üblichen Bewertung, wie sie in den einschlägigen medizinischen Werken (Schönberger-Mehrtens-Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 6.Aufl.S.868) zum Ausdruck kommt. Das Urteil des Sozialgerichts München vom 30.05.2000 war daher aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, unter Aufhebung des Bescheids vom 31.03.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.09.1998 der Klägerin ab 01.04.1996 Verletztenrente nach einer MdE um 20 v.H. wegen einer Berufskrankheit der Nr.5101 zu gewähren.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 193 SGG.

Die Revision war nicht zuzulassen, da keine Gründe im Sinne des § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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