S 15 (8) RJ 92/97

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
15
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 15 (8) RJ 92/97
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 4 RJ 71/01
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 02. Dezember 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.April 1997 sowie unter entsprechender Abänderung des Bescheides vom 03. August 1995 verurteilt, die Zeiten von Dezember 1941 bis März 1943 als glaubhaft gemachte (fiktive) Beitragszeiten bei der Regelaltersrente der Klägerin ab dem 01. Januar 1992 zu berücksichtigen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten Landesversicherungsanstalt (LVA) Rheinprovinz im Verfahren nach § 44 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) die Gewährung einer höheren Regelaltersrente. Umstritten ist, ob die Arbeiten, die von der Klägerin in der Zeit von Dezember 1941 bis März 1943 geleistet worden sind, als Beitragszeiten rentensteigernd zu berücksichtigen sind.

Die Klägerin wurde am 00. P 1926 in X (Oberbayern) geboren. In ihrem Geburtsort besuchte sie ab April 1933 die Volksschule. Ab März 1936 lebte sie in München in einem jüdischen Kinderheim und besuchte in München bis Mai 1941 die Volksschule. Von Dezember 1941 bis März 1943 arbeitete sie im Konzentrationslager (KL) Dachau/Außenkommando Unterschleissheim Flachsroeste Lohhof. Am 13. März 1943 wurde die Klägerin in das KL Auschwitz sowie anschließend in das KL Ravensbrück/Außenkommando Malchow und in das KL Buchenwald/Außenkommando Leipzig deportiert, wo sie am 11. April 1945 befreit wurde. Nach ihrer Befreiung hielt sich die Klägerin im Lager für "Displaced Persons" (DP) Buchenwald auf und wanderte im Juli 1945 in Palästina ein.

Die Klägerin erwarb 1948 die israelische Staatsangehörigkeit. In Israel gebar sie am 12. Juni 1949 ihre Tochter S. Vom 01.April 1954 bis zum 28. Februar 1960 war sie in Israel versicherungspflichtig beschäftigt.

Die Klägerin ist als Verfolgte der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft im Sinne von § 1 Abs. 1 des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) anerkannt. Im Rahmen des Entschädigungsverfahrens nach dem BEG gewährte ihr das Bayerische Landesentschädigungsamt eine Entschädigung für Schaden an Freiheit und eine Entschädigung für Schaden in der Ausbildung. Die Klägerin bezieht eine monatliche Entschädigung für Schaden an Körper oder Gesundheit.

Mit bestandskräftig gewordenem Bescheid vom 03.August 1995 gewährte die Beklagte der Klägerin auf deren Antrag vom 07. Juni 1994 Regelaltersrente ab dem 01. November 1991 in Höhe von anfangs monatlich 19,46 DM. Bei der Berechnung der Regelaltersrente berücksichtigte die Beklagte die Zeiten vom 01. Juli 1949 bis zum 31. Dezember 1949 (6 Monate) als Pflichtbeitragszeiten für Kindererziehung und die Zeiten vom 05. Oktober 1940 bis zum 31. Dezember 1949 (105 Monate) als verfolgungsbedingte Ersatzzeiten.

Am 22.April 1996 beantragte die Klägerin die Überprüfung des Bescheides vom 03.August 1995 gemäß § 44 SGB X. Sie gab an, sie sei während der Verfolgungszeit gegen Entgelt versicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Die genaue Höhe ihres Arbeitsverdienstes sei ihr nicht erinnerlich.

Nach Einholung von Auskünften der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) München vom 05.Juni 1996 und der LVA Oberbayern vom 04. Juni 1996, auf deren Inhalt verwiesen wird (Blatt 90 und 91 der Verwaltungsakte), lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 02.Dezember 1996, in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. April 1997 eine Neuberechnung der Regelaltersrente unter Berücksichtigung der Zeiten von 1941 bis 1943 als Beitragszeiten ab. Zur Begründung führte sie aus, die Voraussetzungen des § 44 SGB X seien nicht gegeben. Versicherungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung im geltend gemachten Zeitraum seien nach den erfolgten Ermittlungen weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht worden.

Mit ihrer am 26.Mai 1997 beim Sozialgericht (SG) Düsseldorf erhobenen Klage begehrt die Klägerin weiterhin die rentensteigernde Berücksichtigung der Zeiten von Dezember 1941 bis März 1943 als Beitragszeiten. Sie trägt vor, sie habe von Ende des Jahres 1941 bis zu ihrer Deportation im März 1943 in einer Flachsfabrik gearbeitet, in den Sommermonaten in den Flachsfeldern und im Winter in der Fabrik beim Trocknen des Flachses. Die Arbeit sei ihr von der SS zugewiesen worden. Sie habe an sechs Tagen in der Woche zwölf Stunden gearbeitet. Für diese Arbeit habe sie während der gesamten Zeit ein Gehalt in Höhe von ca. 50,- RM, Essen und Unterkunft erhalten. Während dieser Zeit habe sie auf dem Fabrikgelände gewohnt. Es sei verboten gewesen, das bewachte Gelände ohne Erlaubnis zu verlassen. Außerhalb der normalen Arbeitszeit habe sie gelegentlich in einer Batterie-Fabrik in N gearbeitet.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 02. Dezember 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. April 1997 sowie unter Abänderung des Bescheides vom 03. August 1995 zu verurteilen, die Zeiten von Dezember 1941 bis März 1943 als glaubhaft gemachte (fiktive) Beitragszeiten bei ihrer Regelaltersrente ab dem 01. Januar 1992 zu berücksichtigen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Gericht hat Auskünfte der AOK Bayern – Direktion München – vom 01. Juli 1998 und 08. Juli 1999, des Versicherungsamtes der Stadt München vom 07. Juli 1998 und 05. Juli 1999, des Rentenamtes der Gemeinde Unterschleissheim vom 14.Juli 1998 und 23. Juli 1998, der Landwirtschaftlichen Krankenkasse Oberbayern vom 24. August 1998, der LVA Oberbayern vom 25. August 1998 und des Internationalen Suchdienstes in Arolsen vom 27. Oktober 1998 eingeholt, auf deren Inhalt Bezug genommen wird (Blatt 30, 31, 37, 38, 45, 46, 48, 49 und 56 der Gerichtsakte).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Verwaltungsakte der Beklagten, der beigezogenen Entschädigungsakten des Bayerischen Landesentschädigungsamtes, der Akte SG Düsseldorf S 14 J 114/77 und der Akte Landgericht München I EK 337/51 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet.

Der angefochtene Bescheid der Beklagen vom 02.Dezember 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. April 1997 ist im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat unter entsprechender Abänderung des Bescheides vom 03. August 1995 gegen die Beklagte einen Anspruch auf Berücksichtigung der Zeiten von Dezember 1941 bis März 1943 als glaubhaft gemachte fiktive Beitragszeiten.

Der Anspruch der Klägerin auf teilweise Rücknahme des bindenden Bescheides vom 03. August 1995 ergibt sich aus § 44 Abs. 1 SGB X.

Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlaß dieses Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden die Sozialleistungen (auf die die Begünstigte nach der neuen Leistungsbewilligung Anspruch hat) nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Sozialgesetzbuchs längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme vom Beginn des Jahres angerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme – wie vorliegend – auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag (vgl. § 44 Abs. 4 SGB X). Ein solcher Fall liegt hier vor.

Der unanfechtbar gewordene Bescheid vom 03. August 1995 war nach der im Zeitpunkt seiner Bekanntgabe (seines Erlasses) objektiv gegebenen Sach- und Rechtslage rechtswidrig. Die Klägerin hatte gegen die Beklagte einen Anspruch auf Berücksichtigung der Zeiten von Dezember 1941 bis März 1943 als glaubhaft gemachte fiktive Beitragszeiten.

Beitragszeiten sind Zeiten, für die nach Bundesrecht oder nach den Reichversicherungsgesetzen Pflichteiträge (Pflichtbeitragszeiten) gezahlt worden sind (vgl. §§ 55 Abs. 1, 247 Abs. 3 Satz 1 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches – Gesetzliche Rentenversicherung – SGB VI).

Die Zeiten von Dezember 1941 bis März 1943 sind als glaubhaft gemachte (fiktive) Beitragszeiten gemäß § 247 Abs. 3 Satz 1 SGB VI i.V.m. § 12 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) anzuerkennen.

Die Klägerin ist anerkannte Verfolge des Nationalsozialismus im Sinne des § 1 Abs. 1 BEG und erfüllt damit die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 WGSVG.

Nach § 12 WGSVG gelten als Pflichtbeitragszeiten Zeiten, in denen ein Verfolgter eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt hat, für die aus Verfolgungsgründen Beitrage nicht gezahlt sind.

Für die Feststellung der nach diesem Gesetz erheblichen Tatsachen genügt es, wenn sie glaubhaft gemacht sind (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 1 WGSVG). Eine Tatsache ist nach § 3 Abs. 1 Satz 2 WGSVG dann glaubhaft gemacht, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist.

Aufgrund der Angaben der Klägerin ist es zur Überzeugung der Kammer im Sinne einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht worden, dass die Klägerin in der Zeit von Dezember 1941 bis März 1943 im KL Dachau/Außenkommando Unterschleissheim Flachsroeste Lohhof gearbeitet hat.

Unter einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit im Sinne von § 12 WGSVG ist grundsätzlich eine Arbeit zu verstehen, die anhand des zeitlich und örtlich einschlägigen Rechts die Kriterien eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses erfüllte und damit konkret eine Versicherungspflicht begründet hat.

Die von der Klägerin in der Zeit von Dezember 1941 bis März 1943 im KL Dachau /Außenkommando Unterschleissheim "Flachsroeste Lohhof" (vgl zum KL Dachau: Sybille Steinbacher, Dachau – Die Stadt und das Konzentrationslager in der NS-Zeit, 2. Auflage 1994) verrichtete Tätigkeit ist als versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis nach der damals geltenden Vorschrift des § 1226 Abs 1 Nr 1 RVO aF einzustufen. Denn entgegen der von der Beklagten unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des 5. Senats (vgl Urteile vom 21. April 1999 – B 5 RJ 46/98 R – und – B 5 RJ 48/98 R – Die Sozialgerichtsbarkeit 1999, S 715 ff, vom 18. Juni 1997 – 5 RJ 66/95 – SozR 3 – 2200 § 1248 Nr 15 und – 5 RJ 68/95 – Zentralblatt für Sozialversicherung, Sozialhilfe und Versorgung 1998, 19 f) und des 13. Senats des BSG (vgl Urteile vom 14. Juli 1999 – B 13 RJ 61/98 R – SozR 3 – 5070 § 14 Nr 2, - B 13 RJ 71/98 RSozR 3-5070 § 14 Nr 3 und – B 13 RJ 75/98 R-) vertretenen Auffassung ist nach der ständigen Rechtsprechung der 15.Kammer (vgl zuletzt Urteile vom 06. Februar 2001 – S 15 RJ 169/98 – und S15 RJ 229/97 -, vom 23. März 2000 – S 15 RJ 172/98 – und S 15 RJ 50/98-, vom 22. Februar 200 –S 15 RJ 32/99 – und – S 15 RJ 201/98 – sowie vom 8. Juli 1999 – S 15 RJ 203/98-) im Rahmen der Bewertung der von den jüdischen Verfolgten geleisteten Arbeiten hinsichtlich der rentenrechtlichen Systematik unter Berücksichtigung der damaligen historischen und rechtlichen Umstände von einem spezifisch wiedergutmachungsrechtlichen Begriff des Beschäftigungsverhältnisses auszugehen. Für den Bereich der Wiedergutmachung im Rentenversicherungsrecht ist im Rahmen des § 1226 Abs 1 Nr 1 RVO aF nach Auffassung der Kammer die Frage zu stellen, ob eine Tätigkeit verrichtet wurde, die in rechtsstaatlich geprägten Gesellschaften gewöhnlich von freien, bezahlten Arbeitskräften ausgeübt wird, dh ob im Ergebnis – auch wirtschaftlich gesehen – Erwerbsarbeit geleistet wurde.

Bei einem "versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis" handelt es sich nicht um einen tatbestandlich scharf konturierten Begriff, der eine einfache Subsumtion ermöglicht, sondern um einen rechtlichen Tatbestand, der die versicherten Personen nicht im Detail definiert, sondern ausgehend vom Normal- oder Durchschnittsfall in der Form der Rechtsfigur des Typus beschreibt. Ein Typus bestimmt sich nicht nach festen, unverzichtbaren Kriterien, sondern nach einem Erscheinungsbild, das aufgrund einer Vielzahl von Indizes entsteht. Die den Typus kennzeichnenden Merkmale (Indizien) können in unterschiedlichem Maße und verschiedener Intensität gegeben sein. Selbst das Fehlen einzelner Merkmale muß nicht unbedingt zur Verneinung einer Beschäftigung in diesem Sinne führen. Entscheidend ist das Gesamtbild, welchem Typus das konkrete Verhältnis zuzuordnen ist (vgl hierzu Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 20. Mai 1996 -1 BvR 21/96 – SozR 3 – 2400 § 7 Nr 11).

Gemäß § 1226 Abs 1 Nr 1 RVO aF wurden in der Invalidenversicherung (Arbeiterrentenversicherung) insbesondere Arbeiter versichert. Unter "Arbeiter" war nach dem damaligen Recht eine Person zu verstehen, die in derselben Bedeutung gegen Entgelt beschäftigt und aufgrund dieser Beschäftigung pflichtversichert war (vgl auch § 1227 Abs 1 Satz 1 Nr 1 RVO in der bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Fassung und § 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI), dh "nichtselbständige Arbeit" verrichtete (§ 7Abs 1 des Vierten Buches des Sozialgesetzbuches – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – (SGB IV)).

Damit war die Arbeit bzw Beschäftigung Voraussetzung für die Entstehung des Rechtsverhältnisses zwischen Versichertem und Rentenversicherungsträger, das Grundlage und Abgrenzungskriterium für die in §§ 1250 ff RVO aF bzw §§ 1235 ff RVO nF genannten bzw geregelten Leistungen ist.

Arbeit ist die auf ein wirtschaftliches Ziel gerichtete planmäßige Tätigkeit eines Menschen, gleichviel, ob geistige oder körperliche Kräfte eingesetzt werden. Nichtselbständig ist die Arbeit, wenn sie in dem Sinne derart fremdbestimmt ist, daß sie vom Arbeitnehmer hinsichtlich Ort, Zeit, Gegenstand und Art der Erbringung nach den Anordnungen des Arbeitgebers vorzunehmen ist.

Rechtsgrundlage für Arbeit in diesem Sinne ist das Arbeits- bzw Beschäftigungsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Es beinhaltet den Austausch von Arbeit und Lohn. Das Arbeitsentgelt kann in Geld oder Gegenständen, insbesondere körperlichen Gegenständen ("Sachen", § 90 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB)) bestehen, dh Bar- und Sachlohn sein (vgl § 160 Abs 1 RVO aF). Eine wirtschaftliche Gleichwertigkeit der Leistungen braucht nicht gegeben zu sein; das Arbeitsentgelt muß allerdings einen Mindestumfang erreichen, damit Versicherungspflicht entsteht (vgl § 1226 Abs 2 RVO aF in Verbindung § 160 RVO aF).

Zustande kommt das Arbeits- bzw Beschäftigungsverhältnis in der Regel durch Vereinbarung zwischen den Beteiligten. Typisch ist mithin, daß auf beiden Seiten jeweils eigene Entschlüsse zur Beschäftigung vorliegen.

Die Beweggründe, die jemanden zur Aufnahme einer Beschäftigung veranlassen, und allgemeine sonstige Lebensumstände, die nicht die Arbeit und das Arbeitsentgelt selbst, sondern das häusliche, familiäre, wohnungs- und aufenthaltsmäßige Umfeld betreffen, bleiben außer Betracht. Die Frage, ob im Einzelfall ein "freies" oder ein "unfreies" Beschäftigungsverhältnis begründet worden ist, ist daher grundsätzlich nicht nach den allgemeinen Lebensumständen, unter denen der Beschäftigte leben mußte, zu beantworten. Vielmehr sind die Sphären "Lebensbereich" (mit Freiheitsentziehung oder Freiheitsbeschränkung) und "Beschäftigungsverhältnis" grundsätzlich zu trennen und die Umstände und die Bedingungen des Beschäftigungsverhältnisses für sich zu bewerten. Demgemäß ist für die Annahme eines versicherungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnis auch nicht entscheidend ist, ob Personen, die sich in einem Beschäftigungsverhältnis befinden, zwangsweise ortsgebunden sind oder sich in einem Lager aufhalten müssen (vgl zum Ganzen: Urteile des BSG vom 14. Juli 1999 – B 13 RJ 61/98 RSozR 5070 § 14 Nr 2, - B 13 RJ 71/98 R – SozR 3 – 5070 § 14 Nr 3 und – B 13 RJ 75/98 R -, vom 21. April 1999 – B 5 RJ 46/98 R und B 5 RJ 48/98 R – Die Sozialgerichtsbarkeit 1999, S 715 ff, vom 18. Juni 1997 – 5 RJ 66/95SozR 3 - 2200 § 1248 Nr 15, - 5 RJ 68/95 – Zentralblatt für Sozialversicherung, Sozialhilfe und Versorgung 1998, 19 f, und – 5 RJ 20/96 -, vom 17. März 1993 – 8 RKnU 1/91 – SozR 3 – 5050 § 5 Nr 1, vom 4. Oktober 1979 – 1 RA 95/78 –SozR 5070 § 14 Nr 9, vom 20. Februar 1975 – 4 RJ 15/75 – Amtliche Mitteilungen der LVA Rheinprovinz 1975, S 357 f, vom 10. Dezember 1974 – 4 RJ 379/73BSGE 38, 245 ff; Urteil des Bayerischen LSG vom 15. März 2000 – L 1 RA 18/98 -, Alexander Gagel Rentenversicherung von Ghettoarbeitsverhältnissen (- Auch einige Worte zum Beschäftigungsverhältnis von Ostarbeitern -), Neue Zeitschrift für Sozialrecht 2000, S 231 ff; ders., Der "freie Arbeitsvertrag" als Merkmal des "Beschäftigungsverhältnisses" – Zugleich ein Beitrag zur rentenversicherungsrechtlichen Einordnung von Zwangsarbeit und Ghettoarbeit, in: Festschrift für Otto Ernst Krasney 1997, S 147 ff; Helmut Michels, Die Beschäftigung von Zwangsarbeitern während des Zweiten Weltkrieges, Mitteilungen der Landesversicherungsanstalt Oberfranken und Mittelranken 2000, S 223 ff; Norbert Schneider-Danwitz, Das Beschäftigungsverhältnis in der sozialgerichtlichen Rechtsprechung, in: Entwicklung des Sozialrechts. Aufgabe der Rechtsprechung – Festgabe aus Anlaß des 100-jährigen Bestehens der sozialgerichtlichen Rechtsprechung, 184, S 541 ff).

Die Umschreibung des Begriffs des rentenversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses im Sinne der Rechtsprechung des BSG mit den geforderten Kriterien der "Freiwilligkeit" und "Entgeltlichkeit" kann jedoch nach Auffassung der Kammer aufgrund seiner Entstehungsgeschichte und seinem Sinn und Zweck nach nur für zivilisierte und rechtsstaatlich geprägte Gesellschaften von Bedeutung und Ausgangspunkt des Sozialversicherungsrechts sein.

Das am 1. Januar 1891 in Kraft getretene Gesetz betreffend die Invaliditäts- und Altersversicherung vom 22.Juni 1889 (RGBI S 97), das am 1. Januar 1900 in Kraft getretene Invalidenversicherungsgesetz vom 13. Juli 1899 (RGBI S 393) und die am 1. Januar 1912 in Kraft getretene Reichsversicherungsordnung vom 19. Juli 1911 (RGBI S 509) sind vor dem Hintergrund eines bestimmten Wirtschaftssystems und einer bestimmten Arbeitsmarktordnung entstanden.

Durch die mit der Liberalisierung der Wirtschaftsordnung sowie der Industrialisierung (Fabrikarbeiter) verbundene Änderung der Sozialordnung im 19. Jahrhundert, die die Rechtsbeziehungen auf den Austausch von Arbeit und Lohn begrenzten und eine Marktabhängigkeit mit einem in der Regel hohen Maß an Unsicherheit und Unvorhersehbarkeit der Lebensrisiken (zB Krankheit, Invalidität und Lebensalter) schufen, wurde es zur Aufgabe des Staats, für abhängig Beschäftige eine soziale Sicherheit zu gewährleisten.

Das Arbeitsverhältnis war ein Rechtsverhältnis der Privatautonomie. Sein Gegenstand war die Leistung von Arbeit auf der Grundlage eines Vertrages, der auf dem grundsätzlichen freien Austausch von Arbeitsleistung und Lohn (Erwerbsarbeit in Form von Austauschverhältnissen) basierte. Das Vertragsprinzip war der für das Arbeitsverhältnis maßgebliche Grundsatz (vgl Reinhard Richardi, in: ders./Otfried Wlotzke, Münchener Handbuch Zum Arbeitsrecht; Band I, Individualarbeitsrecht I, 2. Auflage 2000, § 1 bis § 3; Johannes Frerich / Martin Frey, in: Bertram Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrecht, Band 3 Rentenversicherungsrecht, 1999, § 1 Rdnr 1 ff).

Die zwölf Jahre dauernde nationalsozialistische Herrschaftsordnung war jedoch – als beispielloser – einzigartiger Zivilisationsbruch – anders geartet. Sie war ein politisches Terrorsystem der unbeschränkten Willkür und Gewalt, dh ein System mit einer brutal-terroristisch praktizierten Feindschaft gegen Demokratie, Parlamentarismus und jegliche Form politischer oder geistiger Liberalität, mit völkisch-rassistischem Ungeist und sozialdarwinistisch geprägter Weltanschauung.

Zur nationalsozialistischen Politik gehörten die Verfolgung politisch Andersdenkender, die nahezu vollständige Enteignung der deutschen Juden bis 1939, das Verbrechen des Völkermordes, die Ausweitung des Krieges, die Zwangsarbeit und Zwangsumsiedlungen, die Errichtung von Okkupationsverwaltungen, die millionenfache Tötung von Kriegsgegangenen, die Ausrottung nationaler Eliten und die huntertausendfache Ermordung von Geisteskranken.

Neben dem Streben nach der Welt(vor)herrsschaft war die Rassendoktrin wesentliches Kernstück der NS-Weltanschauung. Bestandteil der nationalsozialistischen Rassenideologie war die Differenzierung von Menschen in ihre Wertigkeit nach ihrem Glauben bzw. ihrer ethnischen Volkszugehörigkeit. Die rassenideologischen Verblendungen bestanden in einem in seiner Übersteigerung singulären Antisemitismus, der auf die Vernichtung aller Juden gerichtet war, und in der völkischen Differenzierung zwischen sog "Herrenmenschen" und "Untermenschen".

Die von der nationalsozialistischen Agitation propagierte "Volksgemeinschaft" schloß alle diejenigen aus, die nicht in ihre rassistische Ideologie paßten: zuerst durch Ausgrenzung und Diffamierung, dann durch Verfolgung, an deren Ende das "normlose Inferno der Judenvernichtung" stand.

Der nationalsozialistische Rassenwahn führte zur Versklavung, Genozid und Ausrottung in nicht für denkbar gehaltenen Grössenordnungen. Diese Differenzierungen sind im Dritten Reich nicht nur tatsächlich gelebt und mit fruchtbaren Exzessen durchgesetzt, sondern auch in der Rechtswissenschaft und der Rechtsprechung nachvollzogen worden (vgl hierzu Lutz Raphael, Radikales Ordnungsdenken und die Organisation totalitärer Herrschaft: Weltanschauungseliten und Humanwissenschaftler im NS-Regime, Geschichte und Gesellschaft (Zeitschrift für Historische Sozialwissenschaft) 27 (2001), S 5 ff; Robert Gellately, Backing Hitler, 2001; Christian Graf von Krockow, Hitler und seine Deutschen, 2001; Ingo Haar, Die Genesis der "Endlösung" aus dem Geiste der Wissenschaften: Volksgeschichte und Bevölkerungspolitik im Nationalsozialismus, Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 2001, S 13 ff; Christine Langenfeld, Tagungsbericht zur Tagung der Deutschen Staatsrechtslehrer 2000 in Leipzig – 1. Beratungsgegenstand: Die deutsche Staatsrechtslehre in der Zeit des Nationalsozialismus, Juristenzeitung 2001, S 185 ff; Dieter Pohl, Holocaust: Die Ursachen, das Geschehen, die Folgen, 2000; Klaus Stern, das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band V Die geschichtlichen Grundlagen des Deutschen Staatsrechts, 2000, S 813 ff und 841 ff; Wolfram Wette, Juden, Bolschewisten, Slawen. Rassenidiologische Rußland-Feindbilder Hitlers und der Wehrmachtsgeneräle, in: Bianka Pietrow-Ennker, Präventivkrieg? Der deutsche Angriff auf die Sowjetunion, 2000, S 37 ff; Wolf Gruner, Die NS-Judenverfolgung und die Kommunen – Zur wechselseitigen Dynamisierung von zentraler und lokaler Politik 1933 – 1941, Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 2000, S 75 ff; Frank Bajohr, Verfolgung aus gesellschaftsgeschichtlicher Perspektive – Die wirtschaftliche Existenzvernichtung der Juden und die deutsche Gesellschaft, Geschichte und Gesellschaft (Zeitschrift für Historische Sozialwissenschaft) 26 (2000), S 629 ff; Christian Busse, ((Eine Maske ist gefallen)), Die Berliner Tagung ((Das Judentum und die Rechtswissenschaft)) vom 3./4. Oktober 1936, Kritische Justiz 2000, S 580 ff; Zur Tagung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer vom 4. bis 6. Oktober 2000 in Leipzig –Zum ersten Beratungsgegenstand: Die deutsche Staatsrechtslehre in der Zeit des Nationalsozialismus, Deutsches Verwaltungsblatt 2000, S 1751 ff; Wigbert Benz, Das "Unternehmen Barbarossa" 1941 – Vernichtungskrieg und historisch-politische Bildung, in: Informationen für den Geschichts- und Gemeinschaftskundelehrer, 2000, S 5 ff; Bundeszentrale für politische Bildung, Informationen zur politischen Bildung Heft 266, Nationalsozialismus II - Führerstaat und Vernichtungskrieg, 2000, und Informationen zur Politischen Bildung 251, Nationalsozialismus I – Von den Anfängen bis zur Festigung der Macht, 1996; Heinrich August Winkler, Der lange Weg nach Westen, Band 1 Deutsche Geschichte vom Ende des Alten Reiches bis zum Untergang der Weimarer Republik, 2000, S 488 – 555; Michael Stolleis, Furchtbare Juristen, Feuilleton-Beilage der Süddeutschen Zeitung, 25./26. März 2000, Nummer 71, S 1; ders., Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Band 3 Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft in Republik und Diktatur: 1914 – 1945, 1999, S 246 ff; ders., Recht im Unrecht: Studien zur: Rechtsgeschichte des Nationalsozialismus, 1. Auflage 1994, Horst Möller / Volker Dahm / Hartmut Mehringer, Die tödliche Utopie, 1999;Bernd Rüthers, Rechtstheorie, 1999, § 16 Rasse und Recht: Rechtslehren im Nationalsozialismus, S 317 ff; Gerd R. Ueberschär, Der Nationalsozialismus vor Gericht: Die alliierten Prozesse gegen Kriegsverbrecher und Soldaten 1943 – 1952, 1999; Ian Kershaw, Der NS-Staat – Geschichtsinterpretationen und Kontroversen im Überblick, 1999; ders., Der Nationalsozialismus als Herrschaftssystem, in: Dittmar Dahlmann / Gerhard Hirschfeld, Lager, Zwangsarbeiter, Vertreibung und Deportation: Dimension der Massenverbrechen in der Sowjetunion und in Deutschland 1933 bis 1945, 1999, S 155 ff; ders., Hitler 1889 – 1936, 1998; ders., Hitler 1936 – 1945, 2000; Wolfgang Benz /Hermann Graml /Hermann Weiß, Enzyklopädie des Nationalsozialismus, 1998, S 11 ff, 50 ff, 365 f, 739, 772; Ulrich Herbert, Nationalsozialistische Vernichtungspolitik 1939 – 1945, Neue Forschungen und Kontroversen, 1998; Kurt Pätzold / Manfred Weißbecker, Geschichte der NSDAP: 1920 bis 1945, 1998; Peter Longerich, Politik der Vernichtung – Eine Gesamtdarstellung der nationalsozialistischen Judenverfolgung, 1998; Michale Terwiesche, Konstitutionalismus und Nationalsozialismus: Beginn und vorläufiges Ende der Grundrechte, Juristische Rundschau 1997, S 227 ff; Michail Krausnick, Der nationalsozialistische Völkermord an den Sinti und Roma, in Heiner Lichtenstein / Otto R. Romberg, Täter – Opfer – Folgen, Der Holocaust in Geschichte und Gegenwart, 2. Auflage 1997, S 223 ff; Ulrich von Hehl, Nationalsozialistische Herrschaft, 1996; Manfred Brüning / Daniela Langen / Klaus von Münchhausen / Marcus Werner, Entschädigung für Zwangsarbeiter: Modelle für die Lösung einer offenen historischen Aufgabe, (http://www.ns-zwangsarbeiter-lohn.de).

In der Zeit des NS-Regimes war eine freie Arbeitsplatzwahl und Berufsausübung bereits für "reichsdeutsche" Arbeitskräfte durch staatliche und dirigistische Arbeitskräftelenkung in vielfältiger Weise zunächst eingeschränkt (vgl ua Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit vom 20. Januar 1934 ( RGBl I S 45 ), Gesetz zur Regelung des Arbeitseinsatzes vom 15. Mai 1934 ( RGBl I S 381 ), Verordnung über die Verteilung von Arbeitskräften vom 10. August 1934 ( RGBl I S 786 ), Gesetz über die Einführung eines Arbeitsbuchs vom 26. Februar 1935 ( RGBl I S 311 )) und ab 1938/39 faktisch beseitigt (vgl ua Verordnungen zur Sicherstellung des Kräftebedarfs für Aufgaben von besonderer staatspolitischer Bedeutung vom 22. Juni 1938 ( RGBl I S 652 ), vom 30. Juni 1938 ( RGBl I S 710 ), vom 15. Oktober 1938 ( RGBl I S 1441 ) und vom 13. Februar 1939 ( RGBl I S 206 ), Dritte Verordnung zur Sicherstellung des Kräftebedarfs für Aufgaben von besonderer staatspolitischer Bedeutung (Notdienstverordnung) vom 15. Oktober 1938 ( RGBl I S 1441 ), Verordnung über die Einschränkung des Arbeitsplatzwechsels vom 1. September 1939 ( RGBl I S 1685 ); hinsichtlich weiterer Vorschriften vgl die Übersicht in Andreas Kranig, Arbeitsrecht im NS-Staat: Texte und Dokumente, 1984, S 191 ff).

Das Arbeitsleben war nicht mehr auf eine marktmäßig-rechtsgeschäftliche Ordnung ausgerichtet, sondern es geriet unter staatliche Lenkung zur Durchsetzung der nationalsozialistischen Ideologie und der Kriegswirtschaft, dh auch die Arbeitskraft der "Reichsdeutschen" wurde entindividualisiert und den Zielen der staatlichen Lenkung untergeordnet.

Durch die gewaltsame Auflösung der Gewerkschaften am 2. Mai 1933, der Parteien bis Juli 1933 und der Arbeitgeberverbände im Dezember 1933 sowie der "Säuberung" der betrieblichen Interessenvertretungen auf der Grundlage des Gesetzes über Betriebsvertretungen und über wirtschaftliche Vereinigungen vom 4. April 1933 ( RGBl I S 161 ) wurde bereits wenige Monate nach der nationalsozialistischen Machtergreifung das gesamte bisherige kollektive Arbeitsrecht beseitigt.

Als regimetreue Organisation wurde am 10. Mai 1933 die "Deutsche Arbeitsfront" (DAF) gegründet, die keine Gewerkschaft war, in der die Arbeitnehmer zwangsorganisiert wurden und der auch die Unternehmerschaft formaliter "beitraten".

Durch das Gesetz über Treuhänder der Arbeit vom 19. Mai 1933 ( RGBl I S 285 ) wurden Treuhänder der Arbeit eingesetzt, die weisungsgebundene, direkt dem Reichsarbeitsministerium unterstellte Beamte waren. Diese Treuhänder hatten die gesamte sozialpolitische Entwicklung in den einzelnen Wirtschaftsbereichen und Betrieben zu lenken. Insbesondere erließen sie die Tarifordnungen, die an die Stelle der Tarifverträge traten, setzten die Bedingungen für den Abschluß von Betriebsordnungen fest, überwachten die "Aufrechterhaltung des Arbeitsfriedens", die Einhaltung des allgemeinen Lohnstopps sowie der Betriebsordnung und erließen Richtlinien für die Ausarbeitung und Ausgestaltung der Arbeitsverträge.

Ausgangspunkt der Umwälzung aller Werte im Arbeitsrecht der NS-Zeit und Grundlage der nationalsozialistischen Arbeitsmarktverfassung war das Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit (AOG) vom 20. Januar 1934 ( RGBl I S 45 ) (vgl hierzu Alfred Hueck / Hans Carl Nipperdey / Rolf Dietz, Kommentar zum AOG, 4. Auflage 1943).

Die §§ 1 und 2 AOG enthielten die Grundsätze der Gemeinschaft aller im Betrieb Tätigen, des Führerprinzips, der Arbeit als Dienst am Volk und Staat sowie der wechselseitigen Treue- und Fürsorgepflicht zwischen den Betriebsführern und der Gefolgschaft. Diese Grundregeln wurden als beherrschende Prinzipien des gesamten Arbeitsrechts verstanden.

Grundlage der "Neubesinnung" war auch im Arbeitsrecht die nationalsozialistische Weltanschauung. Die Gestaltungsbefugnisse der Arbeitgeber auf der individuellen und vor allem auf der betrieblichen Ebene wurden (insbesondere durch die Aufhebung des Betriebsrätegesetzes vom 4. Februar 1920 ( RGBl I S 147 ) samt den auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Verordnungen und Bestimmungen) erheblich verstärkt und die Entscheidungen, die das einzelne Arbeitsverhältnis und den gesamten Betrieb betrafen, wieder völlig hierarchisiert. Dies kam im Grundsatz schon in der dem politischen Sprachgebrauch angeglichenen Bezeichnungen zum Ausdruck: Aus dem "Unternehmer / Arbeitgeber" war der "Betriebsführer", aus der "Belegschaft (den Arbeitern und den Angestellten)" die "Gefolgschaft" geworden, die dem "Führerprinzip" unterstand. Arbeit war "Dienst am Volk und Staat" und damit eine "Ehrenpflicht". Deutlicher ließ sich kaum formulieren, daß den Arbeitnehmern keinerlei Mitwirkungsrechte eingeräumt werden sollten.

Entsprechend dieser nationalsozialistischen Wertungen setzte sich die Theorie vom (Einzel-) Arbeitsverhältnis als personenrechtlichem Gemeinschaftsverhältnis durch. Der Arbeitsvertrag wurde nicht mehr als schuldrechtlicher Austauschvertrag, das Arbeitsverhältnis nicht mehr als Schuldverhältnis im Sinne des BGB angesehen, dh der Arbeitsvertrag wurde nicht mehr als inhaltlich frei zu vereinbarender schuldrechtlicher Austauschvertrag aufgefaßt. Die von den NS-Ideologen und NS-Arbeitsrechtlern auf die Spitze getriebene Gemeinschaftsideologie war gegen das Vertragsdenken als Ausdruck des verhaßten bürgerlich-liberalen Individualismus gerichtet.

Diese Theorie lieferte die ideale Basis dafür, juristische Ergebnisse nicht mehr dogmatisch unter enger Anlehnung an die geltenden Bestimmungen zu gewinnen, sondern statt dessen auf den unscharfen Begriff der "personalen Gemeinschaft" und auf ein angeblich vorgegebenes Wesen des Arbeitsverhältnisses zurückzugreifen. Die rechtliche Gestaltung des Arbeitslebens sollte nicht mehr aus dem Vertrag, sondern aus dem "festumrissenen" Typus einer "konkreten Gemeinschaft" gewonnen werden. Nicht das Gegeneinander der Austauschverpflichtungen, sondern das Miteinander in der Betriebsgemeinschaft als Dienst an der Nation sollte der täglichen Arbeit ihr entscheidendes Gepräge geben. An die Stelle des Interessengegensatzes sollte die Organisierung des Vertrauens in der Betriebsgemeinschaft und der übergeordneten Volksgemeinschaft treten.

Als Konsequenz dieser dogmatischen Erfassung des Arbeitsverhältnisses wurde die Auffassung vertreten, das Arbeitsverhältnis entstehe nicht durch Vertrag (sog Vertragstheorie), sondern durch die tatsächliche Eingliederung in den Betrieb (sog Eingliederungstheorie). Begründungsakt der Arbeitsverhältnisse war nach dieser Theorie die tatsächliche Eingliederung der Arbeitnehmer (der Gefolgschaft) in die bereits bestehende konkrete Gemeinschaft des Betriebes. Der Arbeitsvertrag konnte das Arbeitsverhältnis weder selbst begründen, noch war er die notwendige Voraussetzung seiner Entstehung.

Nachdem mit dem AOG die wichtigsten Arbeitnehmerrechte zugunsten eines staatlichen und unternehmerischen Dirigismus aufgehoben und das betriebliche Führerprinzip durchgesetzt worden waren, schränkte das Gesetz zur Regelung des Arbeitseinsatzes vom 15. Mai 1934 ( RGBl I S 381 ) für Arbeitskräfte in der Landwirtschaft die Freiheit der Arbeitsplatzwahl ein. Durch dieses Gesetz wurde der nationalsozialistische (Propaganda-) Begriff "Arbeitseinsatz", der andere militaristische Bezeichnungen wie "Arbeitsschlacht, Ernährungsschlacht und Soldaten der Arbeit" ergänzte, anstelle des Begriffs "Arbeitsmarkt" in den amtlichen Sprachgebrauch einbezogen (vgl auch Schreiben des Reichsarbeitsministers vom 12. Januar 1942 – I a 8853/41 – Betr.: Vermeidung der Bezeichnung (Arbeitsmarkt(, Amtliche Nachrichten für Reichsversicherung Nr 3, 1942, S II 41).

Dieses Gesetz, das zwar nur einen beschränkten Adressatenkreis erfaßte, ist jedoch insofern von grundlegender Bedeutung, als es mit seiner Ermächtigung, in bestehende Arbeitsverhältnisse mit direktem Zwang einzugreifen, schon zum Teil das rechtliche Instrumentarium entwickelte, das später – aufgrund der aggressiv-expansionistischen Ziele – der nationalsozialistische Gesetzgeber der Arbeitseinsatzvorschriften des Vierteljahresplans und des Kriegsarbeitsrechts auf immer weitere Arbeitnehmergruppen anwenden sollte.

Mit dem Gesetz zur Befriedigung des Bedarfs der Landwirtschaft an Arbeitskräften vom 26. Februar 1935 ( RGBl I S 310 ) wurde der Präsident der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung ermächtigt, Arbeitgeber anzuweisen, Arbeiter und Angestellte, die früher in der Landwirtschaft tätig waren, zu entlassen, um sie zur Rückkehr auf das Land zu nötigen. Auch das Gesetz zur Regelung des Arbeitseinsatzes vom 15. Mai 1934 ( RGBl I S 381 ) galt der Versorgung der Landwirtschaft mit Arbeitskräften.

Die planvolle und umfassende Regelung des Arbeitseinsatzes durch die nationalsozialistische Diktatur wurde 1935 durch die Einführung der Arbeitsbücher (Gesetz zur Einführung eines Arbeitsbuchs vom 26. Februar 1935 ( RGBl I S 311 )) gezielt in Angriff genommen.

Die Arbeitsbücher wurden stufenweise für alle Arbeitnehmer, zuerst für die in der Rüstungsindustrie und in der Bauwirtschaft tätigen, dann ganz allgemein für die meisten Arbeitnehmergruppen (vgl Bekanntmachungen des Präsidenten der Reichsanstalt über die Einführung des Arbeitsbuchs vom 18. Mai 1935 ( RABl 1935 I S 159 ), vom 14. September 1935 ( RABl 1935 I S 286 ) und vom 20. Januar 1936 ( RABl 1936 I S 27 ); Verordnung über das Arbeitsbuch vom 22. April 1939 ( RGBl I S 824 ) mit den Änderungen nach der Verordnung vom 22. Mai 1941 ( RGBl I S 824 )) eingeführt. Das an die Arbeitgeber gerichtete Verbot, Arbeitnehmer ohne Vorlage des Arbeitsbuches einzustellen, sicherte die vollständige Registrierung der Arbeitnehmer bei den Arbeitsämtern.

Durch die auf der Grundlage der Verordnung zur Durchführung des Vierjahresplanes vom 18. Oktober 1936 ( RGBl I S 887 ) erlassenen Verordnungen zur Sicherstellung des Kräftebedarfs für Aufgaben von besonderer staatspolitischer Bedeutung vom 22. Juni 1938 ( RGBl I S 652 ), vom 30. Juni 1938 ( RGBl I S 710 ) und vom 13. Februar 1939 ( RGBl I S 206 ) (im folgenden: DienstpflichtVO 1939) wurden der Präsident der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung bzw die Arbeitsämter ermächtigt, Arbeitskräfte aus bestehenden Arbeitsverhältnissen – zunächst nur auf Zeit und ab Februar 1939 auch auf Dauer – zu lösen und die so "frei" gewordenen Arbeitnehmer an neue Arbeitsplätze zu verpflichten.

Bei der zeitlich unbegrenzten Dienstverpflichtung kam es zu einem Erlöschen des bisherigen Arbeitsverhältnisses (vgl § 2 Abs 2 DienstpflichtVO 1939). Das kraft Dienstverpflichtung, dh kraft hoheitlichen Zwanges, entstandene Zwangsdienstverhältnis konnte nach § 20 Abs 2 Satz 1 der Ersten Durchführungsanordnung zur Verordnung zur Sicherstellung des Kräftebedarfs für Aufgaben von besonderer staatspolitischer Bedeutung (Dienstpflicht-Durchführungsanordnung) vom 2. März 1939 ( RGBl I 1939 S 403 ) nur mit Zustimmung des Arbeitsamtes gelöst werden (vgl hierzu auch: Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 11. Dezember 1969 – 5 AZR 71/69AP Nr 19 zu § 611 BGB Kriegsdienstzeiten mit Anmerkung von Dietrich Boewer).

Das nationalsozialistische Regime schuf sich damit die Grundlage, über die Beendigung bestehender und die Begründung neuer Arbeitsverhältnisse (Zwangsdienstverhältnisse) allein aufgrund rüstungswirtschaftlicher Überlegungen zu entscheiden. Einzige Voraussetzung der Dienstverpflichtung war, daß es sich um besonders bedeutsame Aufgaben handelte, deren Durchführung aus staatspolitischen Gründen keinen Aufschub duldete.

Die dienstverpflichteten Arbeitskräfte wurden durch den stattlichen Verpflichtungsakt privaten Arbeitsgebern zugewiesen, die mit der Ausführung der staatspolitisch bedeutsamen Arbeiten beauftragt waren und hierfür einen Arbeitskräftebedarf angemeldet hatten. Der die Verpflichtung aussprechende Bescheid (Verwaltungsakt) trat an die Stelle des Abschlusses eines Arbeitsvertrages. Mit der Zustellung des Verpflichtungsbescheides entstand ein Arbeitsverhältnis, dh die Zustellung ersetzte die Einigung zwischen Unternehmen und Beschäftigten (vgl § 2 Abs 2 Dienstpflicht-Durchführungsanordnung).

Die Arbeitsvertragsfreiheit war hierdurch in ihrem Kern getroffen, die private Rechtsgestaltung (Abschluß des Arbeitsvertrags, Konkretisierung der Arbeitspflichten, Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Kündigung) wurde durch die staatliche Rechtsgestaltung ersetzt. Die Privatautonomie war damit ausgehebelt. Die Arbeiter waren zu "Wirtschaftssoldaten" im Sinne der Ideologie umfassender wehrwirtschaftlicher Mobilisierung geworden. Die neben der sog Eingliederungstheorie teilweise vertretene sog Vertragstheorie war am geltenden nationalsozialistischen Recht gemessen nur eine Farce, da weder eine Vertragsgestaltungsfreiheit noch – wie die Einschaltung des Arbeitsamtes bei der Stellenzuweisung und Auflösung des Arbeitsverhältnisses zeigen - eine Vertragseingehungsfreiheit und eine Vertragsauflösungsfreiheit bestanden.

Nach der – neben der DienstpflichtVO 1939 bestehend gebliebenen – Dritten Verordnung zur Sicherstellung des Kräftebedarfs für Aufgaben von besonderer staatspolitischer Bedeutung (Notdienstverordnung) vom 15. Oktober 1938 ( RGBl I S 1441 ) (im folgenden: NotdienstVO 1938) in Verbindung mit der Ersten Durchführungsverordnung zur NotdienstVO vom 15. September 1939 ( RGBl I S 1775 ) konnten durch Behörden (vgl Bekanntmachung der Behörden, die Notdienstleistungen fordern können, vom 8. Juli 1939 ( RGBl I S 1204 )) von den Bewohnern des Reichsgebietes zur Bekämpfung öffentlicher Notstände sowie zur Vorbereitung ihrer Bekämpfung auch für längere Dauer Notdienstleistungen gefordert werden (langfristiger Notdienst). Bei langfristigem Notdienst, der immer dann vorlag, wenn die Beschäftigung hauptberuflich erfolgte und entweder (ohne Unterbrechung) länger als 3 Tage dauerte oder (von vornherein) für eine längere Dauer als 3 Tage bemessen war, entstand ein Beschäftigungsverhältnis gegenüber der heranziehenden Behörde oder Dienststelle. Dieses Notdienstverhältnis konnte nur von der Heranziehungsbehörde bzw –dienststelle gelöst werden (vgl § 3 Abs 3 NotdienstVO 1938).

Durch die Verordnung über die Einschränkung des Arbeitsplatzwechsels vom 1. September 1939 ( RGBl I S 1685 ), mit der zu Beginn des Zweiten Weltkrieges die Kontrolle des Arbeitsplatzwechsels auf fast alle Branchen ausgedehnt wurde, wurde die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses (vgl § 1 Abs 1 der Verordnung) und das Eingehen eines Arbeitsverhältnisses (vgl § 4 Abs 1 der Verordnung) von der Zustimmung des Arbeitsamtes abhängig gemacht. Vom Instrumentarium zur Mobilisierung und Lenkung der Arbeitskräfte her gesehen markierte der 1. September 1939 nur noch den Übergang vom Zustand des "Als-ob-Krieges" zum tatsächlichen Kriegszustand.

Die in der Vierjahresplanphase gefallenen gesetzgeberischen Entscheidungen über den Arbeitseinsatz behielten ihre Bedeutung während der gesamten Dauer des Zweiten Weltkriegs.

Hierzu gehörten die allgemeine Meldepflicht und die Erfassung für alle Deutschen im arbeitsfähigen Alter in den Arbeitsbuchkarteien (vgl Verordnung über die Meldung von Männern und Frauen für Aufgaben der Reichsverteidigung vom 27.Januar 1943 (RGBl I S 67), Verordnung zur Freimachung von Arbeitskräften für kriegswichtigen Einsatz vom 29. Januar 1943 (RGBI I S 75), Verordnung über die Meldepflicht von Männern und Frauen, die aus Anlaß des Luftkrieges ihre bisherige Tätigkeit aufgegeben haben, vom 17. Januar 1944 (RGBI I S 23), 2. und 3. Verordnung über die Meldung von Männern und Frauen für Aufgaben der Reichsverteidigung vom 10. Juni 1944 (RGBI I S 133) und vom 28. Juli 1944 (RGBI I S 168)), die Möglichkeit der staatlichen Zwangsverpflichtung von Arbeitskräften für staatspolitisch notwendige Arbeiten in privaten Diensten oder in öffentlichen Notdiensten, die Rekrutierung neuer Arbeitskräfte sowie die Kontrolle und die Beeinflussung des Arbeitsplatzwechsels.

Alle diese staatlichen Einflußmöglichkeiten und Zwangsbefugnisse wurden während des Zweiten Weltkrieges ausgebaut und ergänzt, ohne daß Änderungen in der Struktur des staatlichen Einflusses eintraten. Insbesondere die Vorschriften über die Dienstverpflichtungen blieben fast unverändert bestehen (vgl ua Kriegswirtschaftsverordnung vom 4. September 1939 (RGBl I S 1609), Zweite Durchführungsbestimmungen zum Abschnitt III (Kriegslöhne) der Kriegswirtschaftsverordnung vom 12. Oktober 1939, (RGBl I S 2028), Erlaß des RAM vom 6.November 1939, Amtliche Nachrichten für Reichsversicherung Nr 32, 1939, IV S 503; Erlaß des "Führers" über einen Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz vom 21. März 1942 (RGBl I S 179); Anordnung zur Durchführung des Erlasses des "Führers" über einen Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz vom 27. März 1942 (RGBl I S 180); Verordnung über die Sicherung des Gefolgschaftsstandes in der Kriegswirtschaft vom 20. Mai 1942 (RGBl I S 340); Verordnung über die Rechtssetzung durch den Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz vom 25. Mai 1942 (RGBl I S 347); 6. Durchführungsverordnung vom 29. September 1942 (RGBl I S 565), 7.Durchführungsverordnung vom 23.Februar 1943 (RGBl I S 114) und 8. Durchführungsverordnung vom 11. August 1944 (RGBl I S 176) zur Verordnung über die Beschränkung des Arbeitsplatzwechsels).

In dem Erlaß des "Führers" über einen Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz vom 21. März 1942 (RGBl I S 179 ) war ua folgendes vorgesehen: "Die Sicherstellung der für die gesamte Kriegswirtschaft, besonders für die Rüstung erforderlichen Arbeitskräfte bedingt eine einheitlich ausgerichtete, den Erfordernissen der Kriegswirtschaft entsprechende Steuerung des Einsatzes sämtlicher verfügbaren Arbeitskräfte einschließlich der angeworbenen Ausländer und der Kriegsgefangenen sowie die Mobilisierung aller noch unausgenutzten Arbeitskräfte im Großdeutschen Reich einschließlich des Protektorats sowie im Generalgouvernement und in den besetzten Gebieten." (vgl. hierzu auch Fritz Sauckel, Das Programm des Arbeitseinsatzes vom 20. April 1942, (http://www.nuernberg.de/ver/bz/nproz-doku.html).

Nach alledem bildete sich ein die gesamte (arbeitende) Bevölkerung erfassendes "lückenloses Zwangssystem", das den "freien Arbeitsvertrag" in ein "reines Zwangsverhältnis" verwandelte, dh die abhängige Arbeit entwickelte sich damit zur "Zwangsarbeit". An die Stelle des Individualarbeitsrechts war ein – durch besondere Straf- und Disziplinarordnungen mit zum Teil drakonischen Strafandrohungen gesichertes – auf staatlichen Zwang gestütztes Arbeitseinsatz – und Arbeitsverwaltungsrecht getreten.

Der Terminius "Arbeitseinsatz", der im "Dritten Reich" an die Stelle des Begriffes "Arbeitsmarkt" trat, kennzeichnet das Selbstverständnis des NS-Regimes: In Anlehnung an das militärische Vokabular bringt er zum Ausdruck, daß der Zweck aller arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen darin bestand, die Arbeitnehmer vollständig für die wirtschaftlichen und politischen Ziele des NS-Regimes verfügbar zu machen. Aus Arbeitern und Angestellten sollten "Soldaten der Arbeit" (Robert Ley) werden.

Der Arbeitsmarkt (in der Diktion der Nationalsozialisten: Arbeitseinsatz) war somit nicht mehr von der Freiwilligkeit geprägt. Die Arbeiter und Angestellten (die Gefolgschaft) verloren ihre Rechte, das Recht, sich zu organisieren, ihre Freizügigkeit, ihr Recht auf Tarifverhandlungen und ihr Recht auf freie Berufswahl. Die von Adolf Hitler mit der Verordnung zur Durchführung des Vierjahresplan vom 18. Oktober 1936 (RGBl I S 887) angestrebte einheitliche Lenkung aller Kräfte des deutschen Volkes und die straffe Zusammenfassung aller einschlägigen Zuständigkeiten in Partei und Staat waren damit verwirklicht.

Die nationalsozialistische Arbeitspolitik mit dem weitreichenden Abbau von Arbeitnehmerrechten und mit der Militarisierung der Arbeitsverwaltung stellte demnach einen Bruch mit der arbeits- und sozialpolitischen Tradition der Weimarer Republik dar (vgl zum Ganzen: Urteile des SG Düsseldorf vom 6. Februar 2001 – S 15 RJ 169/98 – und - S 15 RJ 229/97 -; Dieter G. Maier, Arbeitsverwaltung und NS-Zwangsarbeit, in: Ulrike Winkler, Stiften gehen – NS-Zwangsarbeit und Entschädigungsdebatte, 2000, S 67 ff; Reinhard Richardi, in: ders. / Otfried Wlotzke, Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, Band 1, Individualarbeitsrecht I. 2. Auflage 2000, § 4 Arbeitsverfassung des Nationalsozialismus; Wolfgang Benz, Geschichte des Dritten Reiches, 2000, S 31, 90 und 95 ff; Heinrich August Winkler, Der lange Weg nach Westen, Band II Deutsche Geschichte vom Dritten Reich bis zur Wiedervereinigung, 2000, S 18 ff; Michael Schneider, Unterm Hakenkreuz: Arbeiter und Arbeiterbewegung 1933 bis 1939, 1999, S 290 ff; Burkhard Boemke, Schuldvertrag und Arbeitsverhältnis, 1999, S 199 – 201; Reinhard Engel / Joana Radzyner, Sklavenarbeit unterm Hakenkreuz, 1999, S 17 ff; David Schoenbaum. Die braune Revolution: Eine Sozialgeschichte des Dritten Reiches, 1999, S 98 ff; Dietrich Eichholtz, Unfreie Arbeit – Zwangsarbeit, in: ders., Krieg und Wirtschaft. Studien zur deutschen Wirtschaftsgeschichte 1939 - 1945, 1999, S 129 ff; Werner Adelshauser, Kriegswirtschaft und Wirtschaft – Deutschlands wirtschaftliche Mobilisierung für den Zweiten Weltkrieg und die Folgen für die Nachkriegszeit, Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 1999, S 503 ff; Rüdiger Hachtmann, Arbeitsverfassung, in: Hans Günter Hockerts, Drei Wege deutscher Sozialstaatlichkeit: NS-Diktatur, Bundesrepublik und DDR im Vergleich, 1998; ders., Industriearbeit im Dritten Reich, 1989, S 30 ff; Dietmar Petzina, Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik während des Nationalsozialismus, in: 100 Jahre Arbeitsmarktpolitik in Rheinland-Westfalen,1997, S 57 ff; ders., Die Mobilisierung deutscher Arbeitskräfte vor und während des Zweiten Weltkrieges, Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 1970, S 543 ff; Günther Wiese, Der personale Gehalt des Arbeitsverhältnisses, Zeitschrift für Arbeitsrecht 1996, S 439, 449 ff; Bernd Rüthers, Arbeitsrecht und Ideologie, in: Die Arbeitsgerichtsbarkeit. Festschrift zum 100jährigen Bestehen des Deutschen Arbeitsgerichtsverbandes,1994, S 39 – 48; ders., Die Betriebsverfassung im Nationalsozialismus, Arbeit und Recht 1970, S 97 ff; Roderich Wahsner Arbeitsrecht unter`m Hakenkreuz, 1994, S 67 – 78 und 91 – 98; ders., Faschismus und Arbeitsrecht, in Udo Reifner, Das Recht des Unrechtsstaates, 1981, S 86 – 113; UlrichEngelhardt, Verordnete Volksgemeinschaft – Endlegitimierung des sozialen Konflikts durch Ordnung der nationalen Arbeit, in: Christoph Gradmann / Oliver von Mengersen, Das Ende der Weimarer Republik und die nationalsozialistische Machtergreifung, 1994, S 133 ff; Ralph Weber, Vom Klassenkampf zur Partnerschaft, Zeitschrift für Arbeitsrecht 1993, S 517, 536 ff; Andreas Kranig, Arbeitnehmer, Arbeitsbeziehungen und Sozialpolitik unter dem Nationalsozialismus, in: Karl Dietrich Bracher / Manfred Funke / Hans-Adolf Jacobsen, Deutschland 1933 bis 1945 – Neue Studien zur nationalsozialistischen Herrschaft, 1992, S 135 ff; ders., Arbeitsrecht im NS-Staat: Texte und Dokumente, 1984; Joachim Witt, "Kollaborateure des Verbrechens" – Zur Rolle der Arbeitsverwaltung im NS-Staat, Zeitschrift für Sozialreform, 1991, S 61 ff; Theo Mayer-Maly, Nationalsozialismus und Arbeitsrecht, Recht der Arbeit 1989, S 233 ff; Wilhelm Adamy, 60 Jahre Arbeitslosenversicherung in Deutschland – Teil III: Nationalsozialistische Arbeitsmarktlenkung, Soziale Sicherheit 1988, S 38 ff; Klaus Deventer, Arbeitsrecht im Nationalsozialismus, Juristische Schulung 1988, S 13 ff; Christoph U. Schminck-Gustavus, Zwangsarbeitsrecht und Faschismus, Zur Polenpolitik im DrittenReich, Kritische Justiz 1980, S 1 ff; Thilo Ramm, Nationalsozialismus und Arbeitsrecht, Kritische Justiz 1968, S 108 ff; Burkhard Heß, Juristische Hintergründe der Zwangsarbeiterprozesse in Deutschland und in den USA, (http://www.jura.uni-tuebingen.de); vgl auch Theo Mayer-Maly, Die Arbeitsgerichtsbarkeit und der Nationalsozialismus, in: Die Arbeitsgerichtsbarkeit. Festschrift zum 100jährigen Bestehen des Deutschen Arbeitsgerichtsverbandes, 1994, S 89 ff; ders., Arbeitsgerichtsbarkeit im Nationalsozialismus, Archiv für Sozialgeschichte 1991, S 137 ff).

Die mit Verpflichtungsbescheid dienstverpflichteten Arbeitskräfte unterlagen trotz des Zwangsverhältnisses (mit Ausnahme von Schutzbestimmungen beim Wechsel des Versicherungszweiges, vgl Erlaß des RAM vom 6. November 1939, Amtliche Nachrichten für Reichsversicherung Nr 32, 1939, IV S 503) den allgemeinen rentenversicherungsrechtlichen Bestimmungen (vgl Urteile des BSG vom 4. Oktober 1979 – 1 RA 95/78 – SozR 5070 § 14 Nr 9 und vom 10. Dezember 1974 – 4 RJ 379/73 – BSGE, 38, 245 ff). Auch für die langfristig, mit der Begründung eines Beschäftigungsverhältnisses Notdienstverpflichteten galten grundsätzlich die allgemeinen Vorschriften der gesetzlichen Rentenversicherung (vgl §§ 2 und 3 der Zweiten Durchführungsverordnung zur Notdienstverordnung (Sozialversicherung der Notdienstpflichtigen) vom 10. Oktober 1939 (RGBl I S 2018)). Nur der Notdienst in militärähnlicher Form oder für die Wehrmacht begründete kein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis.

In einem noch weitaus gravierenderen Ausmaß und mit einer menschenverachtenden Brutalität wurde – durch die Verfügungen der von Heinrich Himmler eingeführten Formel der "Vernichtung durch Arbeit" geprägten und gewissenlosen Bürokratie ausgeführt – von der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft eine dirigistische Arbeitskräftelenkung und Ausbeutung der Arbeitskraft unter menschenunwürdigen Bedingungen bei den jüdischen Verfolgten betrieben. Sie wurden infolge des staatlich organisierten Menschenraubes im gesamten nationalsozialistischen Herrschaftsbereich aufgespürt, auf der Grundlage des staatlich verordneten Sozialunrechts (sog Soziales Sonderrecht) ihrer Freiheit und dann ihres Lebens beraubt.

Die vollständige Mißachtung der Prinzipien von Gerechtigkeit und Menschlichkeit, wie sie das Bild der nationalsozialistischen Tyrannei prägte, wird ua am deutlichsten anhand des Protokolls der "Wannsee-Konferenz" über die "Endlösung der Judenfrage" vom 20. Januar 1942, wonach "im Zuge der praktischen Durchführung der Endlösung Europa von Westen nach Osten durchgekämmt" werden sollte, wobei das "Reichsgebiet einschließlich des Protektorats Böhmen und Mähren vorweggenommen werden müsse" (vgl Wilhelm Sommer, Das Protokoll der Wannsee-Konferenz vom 20. Januar 1942, Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 1999, S 620 ff; Christian Gerlach, Krieg, Ernährung, Völkermord: Forschungen zur deutschen Vernichtungspolitik im Zweiten Weltkrieg, 1. Auflage 1998, S 85 ff; Peter Longerich, Politik der Vernichtung – Eine Gesamtdarstellung der nationalsozialistischen Judenverfolgung, 1998, S 466).

Eine Vielzahl von Personen wurde im Namen Deutschlands Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in dem Sinne, daß ihre unantastbare und unverletzliche Menschenwürde, grundlegenden Menschenrechte, Persönlichkeitsrechte und Freiheitsrechte im wesentlichen aus Gründen des Geschlechtes, der Abstammung, der "Rasse", der Sprache, der Heimat, der Herkunft sowie des Glaubens und der religiösen und politischen Anschauungen obrigkeitlich durch Angehörige der Staatspartei bzw des von ihr beherrschten Staatsapparates mit Füßen getreten worden waren (vgl hierzu und zu weiteren Personengruppen: Ulrich Herbert, Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland – Saisonarbeiter, Zwangsarbeiter, Gastarbeiter. Flüchtlinge, 2001, S 129 ff; ders., Fremdarbeiter – Politik und Praxis des "Ausländer-Einsatzes" in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches, Neuauflage 1999, ders., Zwangsarbeiter im "Dritten Reich" – ein Überblick, in: Forum Politische Bildung (Herausgeber), Wieder Gut Machen?, Enteignung, Zwangsarbeit, Entschädigung, Restitution, 1999, S 34 ff; ders., Zwangsarbeiter im "Dritten Reich" – ein Überblick, in: Klaus Barwig / Günter Saathoff / Nicole Weyde, Entschädigung für NS-Zwangsarbeit, 1998, S 17 ff; ders., Der Ausländereinsatz in der deutschen Kriegswirtschaft 1939 – 1945, in: Rimco Spanjer / Diete Oudesluijs /Johan Meijer, Zur Arbeit gezwungen: Zwangsarbeit in Deutschland 1940 – 1945, 1999, S 13 ff; Mark Spoerer, Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz – Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und Häftlinge im Deutschen Reich und im besetzten Europa 1939 – 1945, 2001; ders., Zwangsarbeit im Dritten Reich, Verantwortung und Entschädigung, Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 2000, S 508 ff; ders., Profitierten Unternehmen von KZ – Arbeit? – Eine kritische Analyse der Literatur, Historische Zeitschrift, Band 268 Heft 1 (Februar 1999), S 61 ff; Christopher R. Browning, Judenmord – NS-Politik Zwangsarbeit und das Verhalten der Täter, 2001; Annette Schäfer, Zwangsarbeit in den Kommunen – "Ausländereinsatz" in Württemberg 1939 – 1945, Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 2001, S 53 ff; Dietrich Eichholtz, Zwangsarbeit in der deutschen Kriegswirtschaft (unter besonderer Berücksichtigung der Rüstungsindustrie), in: Ulrike Winkler, Stiften gehen –NS-Zwangsarbeit und Entschädigungsdebatte, 2000, S 10 ff; Michael Burleigh, Die Zeit des Nationalsozialismus – Eine Gesamtdarstellung, 2000, S 656 ff;Guido Knopp, Holokaust – Der Mord an den Juden, 2000; Dieter Pohl, Holocaust: Die Ursachen, das Geschehen, die Folgen, 2000, ders., Der Völkermord an den Juden, in: Wlodzimierz Borodziej / Klaus Ziemer, Deutsch-polnische Beziehungen 1939 – 1945 – 1949, 2000, S 113 ff; Florian Freund / Bertrand Perz, Die Zahlenentwicklung der ausländischen Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen auf dem Gebiet der Republik Österreich 1939 - 1945, Gutachten im Auftrag der Historikerkommission der Republik Österreich vom 24. Januar 2000, (http://www.historikerkommission.gv.at); Unabhängige Expertenkommission Schweiz- Zweiter Weltkrieg. Roma,Sinti und Jenische. Schweizerische Zigeunerpolitik zur Zeit des Nationalsozialismus, Beiheft zum Bericht: Die Schweiz und die Flüchtlinge zur Zeit des Nationalsozialismus, 2000, (http://www.uek.ch); Michael Hepp, Deutsche Bank – Dresdner Bank, Gewinne aus Raub, Enteignungen und Zwangsarbeit 1933 – 1944, (http://www.nsberatung.de/doku/firmen/hepp-gutachten-banken.htm); Adolf Laufs, Ein Jahrhundert wird besichtigt – Rechtsentwicklungen in Deutschland: 1900 bis 1999, Juristische Schulung 2000, S 1, 5 ff; Thomas Stöckle, Ghettolager in Osteuropa, in: Landeszentrale für poltische Bildung Baden-Württemberg / Erzieherausschuß der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Stuttgart, Ghettos – Vorstufen der Vernichtung -, 2000, S 5 ff; Gabriele Lofti, "Fremdvölkische im Reichseinsatz" – Eine Einführung zum Thema NS-Zwangsarbeit, Blätter für deutsche und internationale Politik 2000, S 813 ff; Herbert Schui, Zwangsarbeit und Wirtschaftswunder, Blätter für deutsche und internationale Politik 2000, S 199 ff; Karin Orth, Die Konzentrationslager-SS – Sozialstrukturelle Analysen und biographische Studien, 2000, S 23 ff; Thomas Kuczynski, Entschädigungsansprüche für Zwangsarbeit im "DrittenReich", in: Ulrike Winkler, Stiften gehen – NS-Zwangsarbeit und Entschädigungsdebatte, 2000, S 170 ff; ders., (Stiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts, Universität Bremen ), Entschädigungsansprüche für Zwangsarbeit im "Dritten Reich" auf der Basis der damals erzielten zusätzlichen Einnahmen und Gewinne (vgl auch Süddeutsche Zeitung vom 16. November 1999, S 14 und BT-Drucksachen 14/2302 und 14/2451); Hermann Kaienburg, Zwangsarbeit von Juden in Arbeits- und Konzentrationslagern, in: Irmtrud Wojak / Peter Hayes, (Arisierung) im Nationalsozialismus, 2000, S 219 ff; ders., Jüdische Arbeitslager an der ((Straße der SS)), 1999. Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21.Jahrhunderts 1996, S 13 ff; Internationaler Workshop in Buchenwald vom 08. bis 10. Juli 1999:"Daten und Begriffe in der NS-Zwangsarbeiterfrage", (http://www.nsberatung.de/doku/regierung/ergebnisse-buchenwald.htm); Dieter Ziegler, Die Verdrängung der Juden aus der Dresdner Bank 1933 – 1938,Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 1999, S 187 ff; Lutz Frauendorf, Die Entschädigung von NS-Zwangsarbeit – ein aktuelles Problem, Zeitschrift für Rechtspolitik 1999,S 1 ff; Werner Röhr, Zur Wirtschaftspolitik der deutschen Okkupanten in Polen 1939 – 1945, in: Dietrich Eichholtz, Krieg und Wirtschaft. Studien zur deutschen Wirtschaftsgeschichte 1939 – 1945, 1999, S 221 ff; Dittmar Dahlmann / Gerhard Hirschfeld, Lager, Zwangsarbeit, Vertreibung und Deportation: Dimension der Massenverbrechen in der Sowjetunion und in Deutschland 1933 bis 1945, 1999; Ulrike Goeken-Haidl, Zwangsarbeit war weiblich, in Arbeitskreis Militärgeschichte e.V. Newsletter Nummer 11, S 10 ff; Leni Yahil, Die Shoah – Überlebenskampf und Vernichtung der europäischen Juden 1998; Saul Friedländer, Das Dritte Reich und die Juden, Band I Die Jahre der Verfolgung 1933 – 1939, 1998; Wolf Gruner, Juden bauen die "Straßen des Führers" – Zwangsarbeit und Zwangsarbeitslager für nichtdeutsche Juden im Altreich 1940 bis 1943/44, Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 1998, S 789 ff; Israel Gutmann (Hauptherausgeber) Enzyklopädie des Holocaust. Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden, Band I bis Band IV, 2. Auflage 1998; Beate Kosmala, Ungleiche Opfer in extremer Situation – Die Schwierigkeiten der Solidarität im Okkupierten Polen, in: Wolfgang Benz / Juliane Wetzel, Solidarität und Hilfe für Juden während der NS-Zeit – Regionalstudien Griechenland, Luxemburg, Norwegen, Polen, Rumäniern, Schweiz, 1996, S 19 ff; Andreas Heusler, Ausländereinsatz – Zwangsarbeit für die Münchner Kriegswirtschaft 1939 – 1945; Dieter Maier, Arbeitseinsatz und Deportation: Die Mitwirkung der Arbeitsverwaltung bei der nationalsozialistischen Judenverfolgung in den Jahren 1938 - 1945, 1994; Rainer Schröder, Zwangsarbeit: Rechtsgeschichte und zivilrechtliche Ansprüche, Juristische Ausbildung 1994, S 61 ff; Cornelius Pawlita, "Wiedergutmachung" als Rechtsfrage?: Die politische und juristische Auseinandersetzung um Entschädigung für die Opfer nationalsozialistischer Verfolgung (1945 bis 1990), 1993, S 15 – 69; ders., Wiedergutmachung durch Zivilrecht – Zur juristischen und politischen Auseinandersetzung um die Rückabwicklung verfolgungsbedingter Vermögensverschiebungen im Nationalsozialismus, Kritische Justiz 1991, S 42 ff; Wolfang Benz, Dimension des Völkermords – Die Zahl der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus, 1991; Joachim Witt, "Kollaborateure des Verbrechens?" – Zur Rolle der Arbeitsverwaltung im NS-Staat, Zeitschrift für Sozialreform 1991, S 61 ff; Horst Loewke, Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte im Reichsgebiet während des Zweiten Weltkrieges, Zeitschrift für Sozialreform 1988, S 40 ff; Jochen August, Die Entwicklung des Arbeitsmarkts in Deutschland in den 30er Jahren und der Masseneinsatz ausländischer Arbeitskräfte während des Zweiten Weltkrieges –Das Fallbeispiel der polnischen zivilen Arbeitskräfte und Kriegsgefangenen 1939 / 40, Archiv für Sozialgeschichte 1984, 305 ff; Diemut Majer, "Fremdvölkische" im Dritten Reich. Ein Beitrag zur nationalsozialistischen Rechtssetzung und Rechtspraxis in Verwaltung und Justiz unter besonderer Berücksichtigung der eingegliederten Ostgebiete und des Generalgouvernements, 1981, S 317 ff und 459 ff; H. Küppers, Das Beschäftigungsverhältnis der Juden, Reichsarbeitsblatt Teil V (Soziales Deutschland) Nr 32, 1941, S V 569 ff; vgl auch Joseph Walk, Das Sonderrecht für die Juden im NS-Staat: Eine Sammlung der gesetzlichen Maßnahmen und Richtlinien – Inhalt und Bedeutung, 1981).

Die Organisierung und die Durchführung der massenweisen menschenunwürdigen Zwangsarbeit stellt einen Verstoß gegen das Völkerrecht dar (vgl Artikel 46 und 52 der Haager Landkriegsordnung vom 18. Oktober 1907 (RGBl 1910 S 107), Artikel 6 und 7 der Ordnung der Gesetze und Gebräuche des Landkrieges vom 18. Oktober 1907 – RGBl 1910 S 132-, Genfer Abkommen zum Schutze der Zivilpersonen vom 22. August 1864 mit Änderungen vom 6. Juli 1906 und 27. Juli 1929; vgl auch Carsten Stahn, Internationaler Menschenrechtsschutz und Völkerstrafrecht, Kritische Justiz 1999, S 343 ff; Michael Mraz, Raubgold im Lichte des Völkerrechts, Schweizerische Zeitschrift für internationales und europäisches Recht 1998, 207, 210 ff; Diemut Majer, Die Frage der Entschädigung für ehemalige NS-Zwangsarbeiter in völkerrechtlicher Sicht, Archiv des Völkerrechts 29, 1991, S 1 ff; dies., in: Entschädigung für Zwangsarbeit, Öffentliche Anhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages am 14. Dezember 1989, Zur Sache 6/90, S 157 ff).

Sie verstieß auch gegen die Grundprinzipien der Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919 (RGBl I S 1383), die durch das nationalsozialistische Regime nach 1933 niemals formell (vgl jedoch die Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat (Reichstagsbrandverordnung) vom 28. Februar 1933 (RGBl I S 83) und das Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich (Ermächtigungsgesetz) vom 24. März 933 (RGBl I S 141)) aufgehoben wurde, dar (vgl hierzu: Gerd Roellecke, Von Frankfurt über Weimar und Bonn nach Berlin – Demokratische Verfassungen in Deutschland und die geschichtliche Entwicklung in Europa, Juristenzeitung 2000, S 113 ff; Felix Hammer, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919 – die Weimarer Reichsverfassung, Juristische Ausbildung 2000, S 57 ff; Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band V Die geschichtlichen Grundlagen des Deutschen Staatsrechts, 2000, S 774 ff und 809 ff; Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland Band 3 Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft in Republik und Diktatur: 1914 – 1945, 1999, S 316, 317; Christoph Gusy, Vom Deutschen Reich zur Weimarer Republik, Juristenzeitung 1999, 758 ff; Norbert Berthold Wagner, Das Staatsoberhaupt im NS-Staat und seine Stellvertretung, Juristische Ausbildung 1999, S 571 ff; Volker Sellin, Die Weimarer Reichsverfassung und die Errichtung der Diktatur, in: Christoph Gradmann / Oliver von Mengersen, Das Ende der Weimarer Republik und die nationalsozialistische Machtergreifung, 1994, S 87 ff; Gerd R. Ueberschär, Der Reichstag in der NS-Zeit, (http://www.zlb.de/projekte/kulturbox-archiv/brand/ueberschaer.htm); Urteil des Verwaltungsgerichts (VG) Bremen vom 13. Juni 1996 – 2 A 131/95 – Neue Juristische Wochenschrift 1997, S 604 ff).

Sie war neben den Kriegsverbrechen und den Verbrechen gegen die Menschlichkeit ein Hauptanklagepunkt (Art 6 Buchst b und Buchst c des Status für den Internationalen Militärgerichtshof vom 8. August 1945; vgl hierzu auch die Entschließung des Europäischen Parlaments zu Entschädigungsleistungen für ehemalige Sklavenarbeiter der deutschen Industrie vom 16. Januar 1986, BT-Drucksache 10/4996) in den Nürnberger Prozessen (vgl Gabi Müller-Ballin, Die Nürnberger Prozesse 1945 – 1949, Vorgeschichte – Verlauf – Ergebnisse – Dokumente – (http://www.bz.nuernberg.de/nproz.htm)).

Die für die Sozialversicherungspflicht von abhängig Beschäftigten entwickelten (überkommenen) Begriffsmerkale der "Freiwilligkeit" und der "Entgeltzahlung" sind auf die menschenverachtende, dirigistische, staatlich gelenkte Arbeitseinsatzverwaltung der NS-Diktatur hinsichtlich der von jüdischen Verfolgten geleisteten Arbeiten nicht übertragbar. Diese rechtsstaatlichen Begriffe im heutigen Verständnis können den historischen Tatbestand, die damalige Wirklichkeit und das damals geschehene Unrecht nicht sachgerecht bewerten und angemessen erfassen.

Für die Verfolgten diente die Arbeit dem Erhalt des Lebens schlechthin; die Verfolgung nahm der in dieser Form geleisteten Arbeit die Freiwilligkeit und Entgeltfunktion. Der von der Rechtsprechung des BSG verwendete offene Typusbegriff des Beschäftigungsverhältnisses, der vom Norm- bzw. vom Durchschnittsfall in einer rechtsstaatlich und demokratisch geprägten Rechtsordnung ausgeht, kann infolge der Perversion der gesamten "Rechtsordnung" des Nationalsozialismus, wie sie schlimmer nicht vorstellbar war, nicht übernommen werden.

Die "Rechtsordnung" des Nationalsozialismus mit ihrer rechtsstaatfeindlichen Rechtsideologie, Rassenidiologie, Rechtslehre und mit ihrer totalen Ablehnung jeglicher Individualsphären und subjektiv-öffentlicher Rechte orientierte sich ausschließlich an der nationalsozialistischen Weltanschauung. Als neue Rechtsquellen dienten das durch die "Vorsehung bestimmte Führertum, das Parteiprogramm der NSDAP, das Tatrecht, die Rasse und das Volkstum", wobei Rechtswissenschaftler durch die Bereitstellung scheinbar legaler Rechtstechniken halfen. Der Wille des "Führers" ("Führererlasse" oder Führerbefehle") hatte selbst unveröffentlicht unmittelbare Rechtsgeltung. Die Diktatur des "totalen Staates" pervertierte und nihilisierte das Recht. Recht, Menschenwürde und Moral wurden auf unglaubliche Weise mißachtet. Normative Bindungen existierten nicht mehr. Der Nationalsozialismus war somit originär rechts- und juristenfeindlich (vgl hierzu: Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band V Die geschichtlichen Grundlagen des Deutschen Staatsrechts, 2000, S 813 ff; Heinrich Wilms, Die Staatsrechtslehre im Nationalsozialismus, Deutsches Verwaltungsblatt 2000, S 1237 ff; Frank van Look, Die zivilrechtlichen Generalklauseln in der Rechtsprechung des Reichsgerichts 1933 – 1945, Juristische Rundschau 2000, S 89 ff; Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Band 3 Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft in Republik und Diktatur: 1914 – 1945, 1999, S 316 ff und 351 ff; Eveline Hatzl, Nationalsozialistisches Rechtsdenken, Juristische Ausbildung 1997, S 575 ff; Adolf Laufs, Rechtsentwicklungen in Deutschland, 5. Auflage 1996, S 364 ff; Gerhard Werle, "Das Gesetz ist Wille und Plan des Führers" – Reichsgericht und Blutschutzgesetz, Neue Juristische Wochenschrift 1995, S 1267 ff; ders., Das Strafrecht als Waffe: Die Verordnung gegen Volksschädlinge vom September 1939, Juristische Schulung 1989, S 952 ff; Heinz Müller-Dietz, Recht und Nationalsozialismus, Juristische Ausbildung 1991, S 505 ff; Martin Hirsch / Diemut Majer / Jürgen Meinck, Recht, Verwaltung und Justiz im Nationalsozialismus – Ausgewählte Schriften, Gesetze und Gerichtsentscheidungen von 1933 bis 1945, 1984, S 139 ff; Gerhard Wolf, Befreiung des Strafrechts vom nationalsozialistischen Denken (http://www.humboldt-forum-recht.de/9-1996/Drucktext.html); vgl auch Ulrich Böttger, Neukonzeption von Gerichtsverfassung und Justiz im Dritten Reich (http://www.uni-jena.de/-j5fida/semrg2.htm); Lutz Mager, Wege völkischer Rechtserneuerung: Rechtsquellenlehre und Auslegung als Gesetzgebungsersatz, (http://www.rechtswissenschaften-online /rechtsgeschichte/rechtserneuerung.htm); vgl. auch die "Leitsätze über Stellung und Aufgaben des Richters", in: Deutsche Juristen-Zeitung 1936, S 179).

Die Kriterien der "Freiwilligkeit" und "Entgeltzahlung" sind bei der Beurteilung des Vorliegens eines rentenversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses nicht heranzuziehen (vgl hierzu auch Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 13. November 1957 – L 2 a U 1438/56 – Breithaupt 1958, S 611, 613 f, in welchem ausgeführt wird, daß im Hinblick auf die in der sowjetischen Besatzungszone herrschenden tatsächlichen Gegebenheiten eine Unterscheidung zwischen freien und unfreien Arbeitern bei der Prüfung der Frage des Unfallversicherungsschutzes nach in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Maßstäben nicht "angängig" sei).

Die nach den allgemeinen Vorschriften gebotene Entschädigung der Opfer des Zweiten Weltkrieges kann nicht mit den damals geltenden Maßstäben und Argumenten ausgeschlossen werden. Diesem Grundsatz nicht zu folgen, hieße, die heute als offensichtlich falsch erkannten Maßstäbe – Unrechtsmaßstäbe – zu Lasten der Opfer in heutiger Zeit fortgelten zu lassen (vgl Urteile des BSG vom 11. September 1991 – 9a RV 11/90 – SozR 3 – 3100 § 1 Nr. 3, vom 26. Februar 1992 – 9a RV 30/90 – SozR 3 – 3-3100 § 1 Nr 5 und vom 16. Mai 1995 – 9 RV 16/94 – SozR 3 – 3100 § 1 Nr 16; vgl auch Renate Jaeger, Die NS-Militärjustiz und ihre Opfer, Zeitschrift für Rechtspolitik 1996, S 49 ff; Cornelius Pawlita, Vierzig Jahre Sozialgerichtsbarkeit – Eine Würdigung anhand der Rechtsprechung in bezug auf den Personenkreis der im Zweiten Weltkrieg von der Wehrmachtjustiz Verurteilten, Die Sozialgerichtsbarkeit 1994, S 617 ff; Paul J. Glauben, Offensichtlich unrechtmäßig – Das Bundessozialgericht bewertet die Todesurteile der NS-Militärgerichte neu, Deutsche Richterzeitung 1992, S 279 f).

Die Vorschriften der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung gehören zwar gesetzestechnisch als Ergänzung dem Sozialversicherungsrecht an. Sie sind aber dem Inhalt und dem Zweck nach eine Materie des Wiedergutmachungsrechts.

Die dem Entschädigungsrecht zugrunde liegenden allgemeinen Gedanken müssen deshalb die Anwendung und die Auslegung der rentenversicherungsrechtlichen Wiedergutmachungsvorschriften bestimmen. Die Gesetzesauslegung dieser Vorschriften hat sich daher zwingend weitgehend an den Rechtsgedanken der Wiedergutmachung zu orientieren und auszurichten; andere Erwägungen müssen zurücktreten.

Wiedergutmachungsgesetze verfolgen das Ziel, verwerfliche Maßnahmen eines totalitären Systems im Geiste menschlicher Verbundenheit und im Interesse einer freiheitlich demokratischen Neuordnung wiedergutzumachen. Den Vorschriften der Wiedergutmachung wird man nicht durch die alleinige rechtslogische Wortinterpretation gerecht. Vorausgehen müssen vielmehr eine Rechtstatsachenforschung und eine Auseinandersetzung mit der Struktur und den Metholden der nationalsozialistischen (totalitären) Gewaltherrschaft. Nach der Rechtsprechung des BSG gebührt im gesamten Entschädigungsrecht dem Prinzip der Wiedergutmachung der Vorrang vor formalen Bedenken bzw der Vorrang gegenüber dem Grundsatz der Wahrung des sozialversicherungsrechtlichen Systems, weshalb eine eben noch mögliche Lösung gewählt werden muß – und ihr gebührt der Vorzug - , die dazu führt, das verursachte Unrecht soweit wie möglich auszugleichen (vgl Urteile des BSG vom 26. Juni 1959 – 1 RA 118/57- BSGE 10, 113, 116, vom 16. September 1960 – 1 RA 38/60BSGE 13, 67, 71 und vom 6. September 1962 – 1 RA 154/57BSGE 17, 283, 286; Friedrich E. Schnapp, Kriegsfolgenrecht, in: Sozialrechtsprechung – Verantwortung für den sozialen Rechtsstaat -, Festschrift zum 25jährigen Bestehen des Bundessozialgerichts, 1979, Band 2 S 607, 617 ff).

Ausschließlich auf das Zwangsmoment abzustellen, hätte zur Folge, den versicherungsrechtlichen Grundtatbestand der Erwerbsarbeit zu negieren. Die Arbeit der jüdischen Arbeitskräfte war keine Nebenerscheinung, sondern als Erwerbsarbeit faktisch Teil der Volkswirtschaft und damit Bestandteil des Wirtschaftssystems des Nationalsozialismus.

Das Beschäftigungsverhältnis im tradierten Sinne wird zur Abgrenzung dann unbrauchbar, wenn die Rechtsordnung sich auflöst, der (Unrechts-) Staat Erwerbsarbeit massenhaft in Zwangsverhältnissen organisiert und gesetzlicher oder physischer Zwang die freie Eingehung eines Arbeitsverhältnisses ersetzen. Mit solchen Zwangsverhältnissen, die Akte der Gewalt waren, entzieht der (Unrechts-) Staat dem Sozialversicherungsrecht seine Grundlage. Wie die oben dargelegte Entstehungsgeschichte zeigt, ist es offensichtlich doch evident, daß die Kriterien der "Freiwilligkeit" und "Entgeltlichkeit" ihren Sinn und Zweck verlieren, wenn sie vom (Unrechts-) Staat selbst oder in seinem Auftrag außer Kraft gesetzt oder beseitigt werden.

Derartige Verhältnisse unterscheiden sich auch grundlegend vom Typus des besonderen (öffentlich-rechtlichen) Gewaltverhältnisses (Anstaltsverhältnisses) in demokratischen Gesellschaften, die auf entsprechender gesetzlicher, rechtsstaatlicher Grundlage beruhen. Die damaligen Verhältnisse während der nationalsozialistischen Diktatur können demnach nicht auf eine Stufe mit den auf rechtsstaatlicher und verfassungsrechtlicher Grundlage zulässig zustandegekommenen Freiheitsbeschränkungen gestellt werden.

Darüber hinaus legen die Begriffe des Arbeitszwangs und der Zwangsarbeit im Sinne von Artikel 12 Abs 2 und Abs 3 des Grundgesetzes (GG) nicht die Grenzen des sozialversicherungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnisses fest.

Das grundsätzliche verfassungsrechtliche Verbot von Zwangsarbeit (Arbeitszwang) hat in deutlicher Abkehr zum NS-Regime (und in bewußtem Gegensatz zu totalitären Gemeinschaftsideologien) das Ziel, die im Nationalsozialismus angewandten Formen der dirigistischen Arbeitskräftelenkung mit ihrer Herabwürdigung der menschlichen Persönlichkeit für die Zukunft zu untersagen.

Die weite Umschreibung von Zwangsarbeit (Arbeitszwang) im verfassungsrechtlichen Sinne hat eine völlig andere Funktion als die sozialversicherungsrechtliche Abgrenzung der versicherungsfreien staatlichen Zwangsarbeit von den versicherungspflichtigen Beschäftigungen, aufgrund derer Rentenanwartschaften erworben werden können (vgl hierzu: Urteil des BVerfG vom 1. Juli 1998 – 2 BvR 441/90, 493/90, 618/92, 212/93 – und – 2 BvL 17/94 – Strafverteidiger 1998, S 438 ff; Beschluss des BVerfG vom 13. Januar 1987 – 2 BvR 209/84BVerfGE 74, 102, 116 ff; Hans Jarass /Bodo Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 5. Auflage 2000, Art 12 RdNrn 70 ff; Cornelius Pawlita, Die Gefangenenentlohnung und ihre Bedeutung für das Sozialrecht – Zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 1. Juli 1998, Sozialrecht in Deutschland und Europa (ZFSH/SGB) 1999, S 67 ff).

Die Frage nach der Vertragsfreiheit und der Lohnhöhe zu stellen, hätte zur Folge, die Verhältnisse, so wie sie damals waren, zu akzeptieren. Dies würde jedoch nach Auffassung der Kammer in unerträglicher Weise die Fortsetzung des nationalsozialistischen Unrechts bedeuten. Die Arbeits- und Lebensbedingungen, denen die Angehörigen des jüdischen Volkes ausgesetzt waren, zielten eindeutig ausschließlich auf die Ausbeutung der Arbeitskraft der Verfolgten unter rechtswidriger Umgehung eines "normalen" Arbeitsrechtsverhältnisses und auf die physische Vernichtung der Verfolgten; sie waren spezifisches nationalsozialistisches Unrecht.

Die Verletzung der unantastbaren Menschenwürde der Opfer der menschenverachtenden Gewalt und die Verletzung des Kerngehalts ihrer unverletzlichen und unveräußerlichen Menschen-, Freiheits- und Persönlichkeitsrechte, die Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt sind, würde weiter fortgesetzt. Eine der Zielsetzungen der Nationalsozialisten, sich um die Arbeitsleistung zu bereichern, andererseits aber konkrete Anwartschaften auf Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung auszuschließen, würde letztlich verwirklicht werden.

Die Behandlung der jüdischen Arbeitskräfte und ihre Entrechtlichung beruht erkennbar auf willkürlichen ideologischen Überlegungen. Sie verstößt wegen ihrer Unmenschlichkeit, ihres Ausmaßes und ihrer Dauer in einem solchen Maße gegen fundamentale Prinzipien der Menschenwürde, der Menschlichkeit, der Gerechtigkeit und der Rechtsstaatlichkeit und stellt ein derart evidentes Unrecht dar, daß deren Fortwirken in der freiheitlich demokratisch und rechtsstaatlich verfaßten sowie – ungeachtet des Glaubens und der "Rasse" – auf Beachtung und Schutz der Menschenrechte und der Menschenwürde angelegten Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland nicht hingenommen werden kann.

Nur auf diese Weise kann verhindert werden, daß sich dieses Unrecht des NS-Regimes mit seiner zutiefst inhumanen Führerideologie, seinem totalitären Machtanspruch, den ungezählten Verletzungen humanitären Mindeststandards, der Erniedrigung von Menschen und der Mißachtung ihrer Integrität in der Anwendung des heute geltenden Rentenversicherungsrechts der Bundesrepublik Deutschland perpetuiert.

Anderenfalls würde nämlich eine nationalsozialistische Unrechtsmaßnahme heute zu Lasten der Verfolgten mit einer Rechtswirkung – dem Ausschluß der Anerkennung von Beitragszeiten – ausgestattet, die nicht Zielsetzung der Wiedergutmachungsvorschriften sein kann.

Der tragende Rechtsgrund und Verpflichtungsgrund für den Versuch der – im eigentlichen Wortsinn des "Wieder-gut-Machens" objektiv unmöglichen – Wiedergutmachung des national-sozialistischen Unrechts (eine Wiedergutmachung mit wirtschaftlichen Mitteln und schadensrechtlichen Kategorien ist nicht möglich, denn ungeachtet materieller Zuwendungen bleibt tiefstes menschliches und moralisches Unrecht eine Schuld, die durch keine Zahlung auch nur annähernd kompensiert, geschweige denn getilgt werden kann) gegenüber den physisch und psychisch geschädigten Opfern der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft ergibt sich aufgrund der Völkerrechtswidrigkeit sowie der umfassenden Rechtlosigkeit der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft aus der allgemeinen und universalen Maßgeblichkeit der Menschenwürde, der Menschenrechte, der elementaren Rechtsgrundsätze und der Wertordnung des Grundgesetzes, die die Würde des Menschen und den freien, sich in der Gemeinschaft entfaltenden Menschen in den Mittelpunkt ihres Wertsystems und der staatlichen Ordnung stellt.

Sie hat ihre verfassungsrechtlichen Wurzeln im Rechtsstaatsprinzip (Artikel 20 Abs 3, 1 Abs 3, 19 Abs 4 und 28 Abs 1 Satz 1 GG) und im Sozialstaatsprinzip (Artikel 20 Abs 1 und 28 Abs 1 Satz 1 GG), die tragende Grundprinzipien des demokratischen Aufbaus der Bundesrepublik Deutschland sind.

Das Rechtsstaatsprinzip umfaßt als eine der Leitideen des Grundgesetzes auch die Forderung nach materieller Gerechtigkeit.

Aus der dem Sozialstaatsprinzip innewohnenden Solidaritätsverpflichtung der staatlichen Gemeinschaft ergibt sich, daß die Menschen, die infolge der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und dessen Folgewirkungen mit besonderen Opfern und Lasten belegt worden sind, einen angemessenen Ausgleich für die von ihnen erlittenen Schäden beanspruchen können.

Unerheblich ist ferner, daß – als ein besonderer Schandfleck in der rassistischen Gesetzgebung des NS-Regimes – in § 1 der Verordnung über die Beschäftigung von Juden vom 3. Oktober 1941 (RGBl I S 675) bestimmt wurde, "Juden, die in Arbeit eingesetzt sind, stehen in einem Beschäftigungsverhältnis eigener Art".

Das Beschäftigungsverhältnis "eigener Art" (immerhin verwendet der nationalsozialistische Gesetzgeber noch den Begriff des "Beschäftigungsverhältnisses") hatte die Funktion ideologischer Ausgrenzung. In dessen "eigener Art" spiegelte sich weniger das tatsächliche Zwangsmoment als vielmehr die Kulmination zusätzlicher Diskriminierungen, die in der Ausgrenzung vom "personenrechtlichen Gemeinschaftsverhältnis" und in der Nichtgeltung arbeitsschutzrechtlicher Bestimmungen lagen (vgl. auch Verordnung zur Durchführung der Verordnung über die Beschäftigung von Juden vom 31. Oktober 1941 (RGBl I S 681).

Die genannte Verordnung (sowie die weiteren geschriebenen oder ungeschriebenen Normen des Nationalsozialismus, die Zwangsarbeiten von jüdischen Verfolgten rechtfertigten) muß (müssen) von Anfang an als nichtig erachtet werden.

Der "übergesetzlichen" Natur des Kernbestandes an unabdingbaren Rechten der Einzelperson und der in der Völkerrechtsgemeinschaft allgemein anerkannten Menschenrechte entsprechend wird ein Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit, der Rechtsstaatlichkeit und der materiellen Gerechtigkeit nicht dadurch ausgeschlossen, daß ein Verhalten durch die unter der Herrschaft des Nationalsozialismus geltenden Gesetze oder durch solche obrigkeitlichen Anordnungen oder Befehle, denen nach der nationalsozialistischer Ideologie Gesetzesrang zuerkannt wurde, formal erlaubt war.

Nationalsozialistischen "Rechts"-Vorschriften ist die Geltung als Recht abzuerkennen, wenn sie fundamentalen Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit sowie den elementaren Menschenrechten so evident widersprechen und in ihnen ein offensichtlicher schwerwiegeneder Verstoß gegen die Prinzipien der Gerechtigkeit und der Menschlichkeit zum Ausdruck kommt, daß der Richter, der sie anwenden oder ihre Rechtsfolgen anerkennen wollte, Unrecht statt Recht sprechen würde. Solche "Rechts"-Vorschriften sind als extremes staatliches Unrecht auch nicht dadurch wirksam geworden bzw erlangen auch nicht lediglich dadurch die Qualität als Recht, daß sie über einige Jahre hin praktiziert worden sind oder daß sich seinerzeit die Betroffenen mit den nationalsozialistischen Maßnahmen im Einzelfall abgefunden haben. Denn einmal gesetztes extremes staatliches Unrecht, das offenbar gegen konstituierende Grundsätze des Rechts verstößt und das sich nur solange behaupten kann, wie der dafür verantwortliche Träger der Staatsmacht faktisch besteht, wird nicht dadurch zu Recht, daß es angewendet und befolgt wird (vgl hierzu: Urteil des BVerfG vom 17. Dezember 1953 – 1 BvR 147 – BVerfGE 3, 58, 118f; Beschlüsse des BVerfG vom 19. Februar 1957 – 1 BvR 357/52BVerfGE 6, 132, 198f, vom 14. Februar 1968 – 2 BvR 557/62BVerfGE 23, 98, 106 und vom 15, April 1980 – 2 BvR 842/77BVerfGE 54, 53, 67 ff; vgl auch Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 25. Januar 1995 – X R 146/93BFHE 177, 317, 320 ff; Gustav Radbruch, Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht, Süddeutsche Juristen-Zeitung 1946, S 105 ff (die sog Radbruchsche Formel: "Der Widerspruch des positiven Gesetzes zur Gerechtigkeit muß so unerträglich sein, daß das Gesetz als unrichtiges Recht der Gerechtigkeit zu weichen hat" ), wiederabgedruckt in: Gustav Radbruch, Gesamtausgabe, Band 3 (Rechtsphilosophie) bearbeitet von Winfried Hassemer, 1990, S 83 ff; Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band V Die geschichtlichen Grundlagen des Deutschen Staatsrechts, 2000, S 841 f; Christiane Nill-Theobald, Radbruchs Lehre im Zeitalter eines Weltstrafgerichtshofes, Juristische Schulung 1999, S 1051 ff; Karl-Peter Sommermann, Taugt die Gerechtigkeit als Maßstab der Rechtsstaatlichkeit?, Juristische Ausbildung 1999, S. 337, 341 f; Burkhard Hess, Intertemporales Privatrecht, 1998, S. 251 ff; Otto Gritschneder, Das Gesetz als Feind des Rechts, in: Franz Josef Düwell, Anwalt des Rechtsstaates – Festschrift für Diether Posser zum 75. Geburtstag, 1997, S 39, 43 ff; Arthur Kaufmann, Die Radbruchsche Formel vom gesetzlichen Unrecht und vom übergesetzlichen Recht in der Diskussion um das im Namen der DDR begangene Unrecht, Neue Juristische Wochenschrift 1995, S 81 ff; Hans Joachim Faller, Wiederkehr des Naturrechts – Die Naturrechtslehre in der höchstrichterlichen Rechtsprechung von 1945 bis 1993, Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart 43 (1995), S 1 ff; Alexander Blankennagel, Verfassungsgerichtliche Vergangenheitsbewältigung, Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte 1991, S 67 ff).

Wegen der schlechthin unerträglichen, extremen und durch Willkür gekennzeichneten offensichtlichen Verstöße gegen die Menschenwürde, die Menschenrechte, die Persönlichkeitsrechte, die elementaren Rechtsgrundsätze, die Grundprinzipien des Völkerrechts und damit wegen ihrer bewußten und skrupellosen Absage an die Traditionen europäischer Rechtskultur ist die aus rassenideologischen Gründen erlassene Verordnung über die Beschäftigung von Juden vom 3. Oktober 1941 – (RGBl I S 675) deshalb als von Anfang an als nichtig zu erachten, dh als von Anfang an als unheilbar unwirksam anzusehen, und bei der rechtlichen Würdigung nicht zu berücksichtigen (vgl in diesem Zusammenhang auch: Nr 23 der Anlage zu Artikel 1 § 2 Nr 3 des Gesetzes zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege und von Sterilisationsentscheidungen der ehemaligen Erbgesundheitsgerichte vom 25. August 1998 (BGBl I S 2501) sowie BT-Drucksachen 13/10013 und 13/10848; Kurt Rudolph, Die vergessenen Opfer der NS-Justiz, Neue Juristische Wochenschrift 1999, S 102 ff; Karin Schubert, Ein Ende jahrzehntelanger Peinlichkeit, Neue Justiz 1998, S. 403; Horst Eylmann, NS-Unrechtsurteile aufgehoben, in: Blickpunkt Bundestag, Heft Juni 1/1998, S 73).Eine Beachtung eines solchen extremen staatlichen NS-Unrechts würde anderenfalls in Widerspruch zu den rechtsstaatlichen Prämissen der Bundesrepublik Deutschland geraten. Sie belegt daher auch nicht das Vorliegen eines Nichtbeschäftigungsverhältnisses.

Ferner wurde diese Verordnung durch Artikel I Nr. 1 Buchst x des Gesetzes Nr 1 (Aufhebung von Nazi-Gesetzen) vom 20. September 1945 (Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland Nr 1 vom 29. Oktober 1945, S 6) aufgehoben.

Im übrigen geht auch die erkennende Kammer entgegen den Ausführungen des BSG in seinen Urteilen vom 14. Juli 1999 – B 13 RJ 61/98 RSozR 5070 § 14 Nr 2, - B 13 RJ 71/98 R – SozR 3 – 5070 § 14 Nr 3 und – B 13 RJ 75/98 R – von der (Weiter-)Geltung der allgemeinen sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen der RVO über die Versicherungs- und Beitragspflicht während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft aus.

Weiterhin ist es im Hinblick auf die oben dargelegte arbeits- und sozialversicherungsrechtliche Situation der nach der DienstpflichtVO 1939 und der NotdienstVO 1948 kraft hoheitlichen Zwanges dienstverpflichteten "reichsdeutschen Arbeitskräfte" sachlich nicht zu rechtfertigen, für diese Arbeitskräfte während der Zeit ihres erzwungenen Arbeitseinsatzes Pflichtbeitragszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung anzuerkennen, während dies für die jüdischen Arbeitskräfte wegen des fehlenden Moments der Freiwilligkeit ausgeschlossen wird.

Bei der in diesem Zusammenhang unter Ausblendung der äußeren Umstände und Arbeitsbedingungen (dh die Verfolgung hinweggedacht) erforderlichen alleinigen Abstellung auf den Grundtatbestand der geleisteten Erwerbsarbeit führt diese Differenzierung ohne hinreichenden sachlichen Grund zu einer Ungleichbehandlung und damit zu einer Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes des Artikel 3 Abs 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Artikel 20 Abs 1 GG.

Der allgemeine Gleichheitssatz des Artikel 3 Abs 1 GG ist Teil des Wertsystems, das seinen Mittelpunkt in der innerhalb der sozialen Gemeinschaft sich frei entfaltenden menschlichen Persönlichkeit und ihrer Würde findet, und als allgemeines rechtsstaatliches Prinzip beachtet werden muß.

Artikel 3 Abs 1 GG gebietet als sog modales Grundrecht, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Damit ist dem Gesetzgeber allerdings nicht jede Differenzierung verwehrt. Der allgemeine Gleichheitssatz des Artikel 3 Abs 1 GG ist aber jedenfalls dann verletzt, wenn die Vorgehensweise des Gesetzgebers bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise ohne einen verfassungsrechtlich anerkannten Rechtfertigungsgrund erfolgt.

Der normative Gehalt der Gleichheitsbindung und das Ausmaß der Differenzierung, das dem Gesetzgeber erlaubt ist, erfährt seine Präzisierung jeweils im Hinblick auf die Natur des in Frage stehenden Lebens- und Sachbereichs, vorliegend desjenigen der gesetzlichen Rentenversicherung als eines wichtigen Teils des Systems der sozialen Sicherung. Da nach dem allgemeinen Gleichheitssatz des Artikel 3 Abs 1 GG in erster Linie eine ungerechtfertigte Verschiedenbehandlung von Personen verhindert werden soll, unterliegt die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers bei einer Ungleichbehandlung von Personengruppen regelmäßig einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse und wird nicht nur durch das Willkürverbot begrenzt. Dem gesetzgeberischen Gestaltungsspielraum sind umso engere Grenzen gesetzt, je stärker sich die Ungleichbehandlung von Personen und Sachverhalten auf die Ausübung grundgesetzlich geschützter Freiheiten negativ auswirkt.

In diesem Zusammenhang ist auch das aus Artikel 20 Abs 1 GG folgende Sozialstaatsprinzip zu berücksichtigen.

Das Sozialstaatsprinzip begründet die Rechtspflicht des Staates, für eine gerechte Sozialordnung zu sorgen. Die im Grundgesetz verankerte Sozialstaatsklausel verlangt somit eine staatliche Vor- und Fürsorge für Einzelne oder für Gruppen der Gesellschaft, die aufgrund persönlicher Lebensumstände oder gesellschaftlicher Benachteiligungen in ihrer persönlichen und sozialen Entfaltung behindert sind bzw waren.

Der in Artikel 3 Abs 1 GG verankerte allgemeine Gleichheitssatz ist dann verletzt, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu einer anderen Gruppe von Normadressaten anders und nachteilig behandelt wird, obwohl zwischen diesen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, daß sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten. Die rechtliche Differenzierung muß in sachlichen Unterschieden eine ausreichende Stütze finden, dh. es muß sich ein vernünftiger, aus der Natur der Sache ergebender oder sonstwie sachlich einleuchtender Grund für die Ungleichbehandlung finden lassen.

Die Anwendung dieses Grundsatzes verlangt den Vergleich von Personengruppen und Lebenssachverhalten, die sich nie in allen, sondern stets nur in einzelnen Merkmalen gleichen. Geht es um die Ungleichbehandlung von Personengruppen, unterliegt der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers beim allgemeinen Gleichheitssatz regelmäßig einer um so strengeren Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernissen (mehr im Sinne einer Abwägung als einer Verhältnismäßigkeitsprüfung im klassischen Sinne), je mehr nach personenbezogenen Merkmalen differenziert wird. Dieser Gestaltungsspielraum wird nicht nur durch das bloße Willkürverbot begrenzt. Die Bindung ist um so enger, je mehr sich die personenbezogenen Merkmale den in Artikel 3 Abs 3 GG genannten nähern und je größer deshalb die Gefahr ist, daß eine an sie anknüpfende Ungleichbehandlung zur Diskriminierung einer Minderheit führt. Die engere Bindung ist jedoch nicht auf personenbezogene Differenzierungen beschränkt. Sie gilt vielmehr auch, wenn eine Ungleichbehandlung von Sachverhalten mittelbar eine Ungleichbehandlung von Personengruppen bewirkt (vgl Urteile des BVerfG vom 3. April 2001 – 1 BvR 1681/94, 1 BvR 2491/94 1 BvR 24/95 – und – 1 BvR 1629/94 -; Peter Unruh, Erinnerung an Gerhard Leibholz (1901 – 1982) – Staatsrechtler zwischen den Zeiten, Archiv des öffentlichen Rechts 126 (2001), S 60, 67 ff).

Der allgemeine Gleichheitssatz verbietet nicht nur rechtliche Ungleichbehandlungen, sondern fordert im Zusammenhang mit dem Sozialstaatsprinzip auch ein angemessenes und ausgewogenes Wirken des Staats im Sinne sozialer Gerechtigkeit.

Eine solche Grundrechtsverletzung kann nicht nur vom Gesetzgeber begangen werden. Sie liegt auch dann vor, wenn die Gerichte im Wege der Auslegung gesetzlicher Vorschriften oder der Lückenfüllung zu einer dem Gesetzgeber verwehrten Differenzierung gelangen. Der allgemeine Gleichheitssatz des Artikel 3 Abs 1 GG bindet alle drei Gewalten, dh. er erfaßt sowohl die Rechtssetzungsgleichheit (Gleichheit des Gesetzes) als auch die Rechtsanwendungsgleichheit (Gleichheit vor dem Gesetz).

Durch die nach der DienstpflichtVO 1939 und der NotdienstVO 1938 kraft hoheitlichen (obrigkeitlichen) Zwanges begründeten Zwangsdienstverhältnisse wurde – wie oben ausgeführt – die Privatautonomie in ihrem Kern getroffen und die private Rechtsgestaltung der dienst- bzw notdienstverpflichteten Arbeitskräfte außer Kraft gesetzt und beseitig. Die Dienstverpflichtung nach den genannten Bestimmungen bedeutete damals die Heranziehung von Arbeitskräften gegen oder ohne deren Willen zu Arbeiten sowie die hoheitliche (obrigkeitliche) Zuweisung der Arbeitskräfte an bestimmte Unternehmen bzw Behörden oder Dienststellen, ohne daß die betroffenen Arbeitskräfte selbst Einfluß hierauf hatten.

Die damals bestehenden Arbeitseinsatzvorschriften in Form von "Verordnungen" und "Anordnungen" verlagerten außer der Begründung und der Beendigung der Arbeitsverhältnisse auch die Konkretisierung der Arbeitspflichten weitestgehend auf die staatlichen Instanzen, die als Auftraggeber der Rüstungsaufträge Termine und Art und Weise der Auftragserfüllung vorgaben. Demgemäß waren auch die von dienst- bzw notdienstverpflichteten "reichsdeutschen Arbeitskräften" verrichteten Arbeiten insgesamt derart durch hoheitliche Eingriffe überlagert, denen sich die Betroffenen nicht entziehen konnten.

In diesem Zusammenhang ist insbesondere auch nicht erkennbar, wie durch die rentenversicherungsrechtliche Behandlung dieser durch eine Fiktion entstandenen Zwangsdienstverhältnisse durch den nationalsozialistischen Gesetzgeber das für die Annahme eines rentenversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses geforderte Merkmal der Freiwilligkeit für diese Arbeitskräfte begrünet werden bzw erfüllt sein soll.

Unter Zugrundelegung der heute geltenden Kriterien würde damit das Gesamtbild und die Gesamtschau dieser Zwangsdienstverhältnisse der dienst- bzw notdienstverpflichteten "reichsdeutschen Arbeitskräften" mit dem unter Zwangsbedingungen stehenden obrigkeitlich gelenkten Arbeitseinsatz nicht deren Zuordnung zum Typus des rentenversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse erlauben.

Als Konsequenz der verfassungsrechtlichen Verpflichtung der Bindung an den allgemeinen Gleichheitssatz des Artikel 3 Abs 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Artikel 20 Abs 1 GG dürfen die jüdischen Verfolgten nicht schlechter gestellt werden als die dienst- bzw notdienstverpflichteten "reichsdeutschen Arbeitskräfte".

Für diese systemwidrige Ungleichbehandlung und Schlechterstellung der jüdischen Verfolgten bei der rentenrechtlichen Berücksichtigung ihrer Versicherungsbiographien sind gegenüber den dienst- bzw notdienstverpflichteten "reichsdeutschen Arbeitskräften" hinreichend gewichtige bzw vernünftige, sich aus der Natur der Sache ergebende und sachlich einleuchtende Gründe nicht ersichtlich, daß sie die ungleichen Rechtsfolgen rechtfertigen könnten. Gegenüber den Anforderungen des Artikel 3 Abs 1 GG unter Berücksichtigung des Sozialstaatsprinzips und bei einer fundierten an Gerechtigkeitsvorstellungen orientierenden Betrachtungsweise ist diese Ungleichbehandlung der jüdischen Verfolgten gerade unter Berücksichtigung des besonderen spezifischen historischen und sozialen Kontextes damit sachlich nicht gerechtfertigt, dh sachwidrig und folglich nicht vertretbar. Insoweit wird durch die von der Kammer vertretene Auffassung im Lichte und der Funktion der Gesetzessystematik des WGSVG vielmehr ein unerträglicher Wertungswiderspruch aus dem bestehenden Wiedergutmachungsrecht eliminiert. Im übrigen gebietet auch das Rechtsstaatsprinzip den widerspruchsfrei rechtssetzenden Staat (vgl Helge Sodan, Das Prinzip der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung, Juristenzeitung 1999, S 864 ff).

Darüber hinaus würde die Kammer bei der oben genannten Differenzierung die nationalsozialistische Ausgrenzung der jüdischen Arbeitskräfte aus der Versichertengemeinschaft übernehmen müssen.

Bereits der nationalsozialistische Gesetzgeber sorgte auf der Regelungsebene dafür, daß bei den notdienst- oder dienstverpflichteten Personen trotz des kraft hoheitlichen Zwanges zustande gekommenen Zwangsdienstverhältnisses Beitragszeiten oder wenigstens ein Ersatzzeitentatbestand anerkannt wurde. Demnach hat der nationalsozialistische Gesetzgeber diskriminierend in den Grundsatz der Wertneutralität des Sozialversicherungsrechts eingegriffen.

Faktisch sorgte die nationalsozialistische Schreckensherrschaft für die Ausgrenzung der jüdischen Verfolgten aus der Rentenversicherung, so daß bereits einzig allein die Willkür der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft für die Kammer bei der Bewertung der von der jüdischen Arbeitskräften geleisteten Arbeiten über die Anerkennung von Beitragszeiten maßgebend werden würde. Die Unmenschlichkeit der von den jüdischen Arbeitskräften geleisteten Arbeiten, die gerade auch darin zum Ausdruck kommt, daß der einzelne zum austauschbaren Objekt herabgewürdigt worden war, würde in die heute geltenden Rechtskategorien verlängert. Eine solche rechtliche Bewertung wäre schon wegen Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot des Artikel 3 Abs. 3 Satz 1 GG nicht zulässig.

Insoweit bricht die Auffassung der Kammer zwingend notwendigerweise mit den seinerzeit angelegten Entrechtungs- und Ausgrenzungsmechanismen der NS-Diktatur und leistet damit einen Beitrag zur juristischen Aufarbeitung des nationalsozialistischen Unrechts.

Ebenso führt die Rechtsprechung des BSG und die von der Beklagten vertretene Auffassung (vgl. auch Anmerkung zum Urteil des BSG vom 18. Juni 1997 – 5 RJ 66/95 – in Mitteilungen der LVA Rheinprovinz 1997, S 577, 581) zu dem für die Kammer eindeutig unangemessenen und schlechthin sachlich nicht vertretbaren Ergebnis, daß mit der Zunahme der Verfolgungsintensität und den damit verbundenen Verstößen gegen die Kernbereiche des Rechts die Annahme einer Beitragszeit ausscheidet.

Die jüdischen Verfolgten würden heute im Rentenversicherungsrecht um so schlechter gestellt, je schlechter damals ihre Arbeits- und Lebensbedingungen waren.

Die Verschleppung der jüdischen Verfolgten in jüdische Wohnbezirke, Ghettos, Zwangsarbeits- oder Konzentrationslager war ein Bestandteil des Vernichtungsprozesses. Die Verfolgen hatten keinen Einfluß darauf, wohin sie deportieret wurden und wie ihre Arbeitsverpflichtung im einzelnen ausgestaltet war. Dies hing insbesondere auch von lokalen und organisatorischen Zufälligkeiten und dem Machtgerangel innerhalb des nationalsozialistischen Herrschaftsapparates ab.

Aus diesen letztlich zufälligen, willkürlichen und von den jüdischen Opfern nicht zu beeinflußenden Umständen können keine rentenrechtlich relevanten Differenzierungen abgeleitet werden. Ein Ausschluß der Anerkennung von Beitragszeiten würde gegen fundamentale Prinzipien der Gerechtigkeit verstoßen. In diesem Fall würde "erhöhtes nationalsozialistisches Unrecht" zu einem Weniger an Recht führen. Eine solche besonders gravierende Ungleichbehandlung bedürfte besonders gravierender und überzeugender sachlicher Rechtfertigungsgründe, die bei dem dargestellten historischen Sachverhalt der nationalsozialistischen Verfolgung nicht erkennbar und auch nicht gegeben bzw ausgeschlossen sind.

Auch vom versicherungsrechtlichen Schadensbegriff her ist eine Einbeziehung der von den jüdischen Verfolgten geleisteten Arbeiten als Beitragszeiten gerechtfertigt. Der rentenversicherungsrechtliche Schaden besteht in der von dem NS-Regimes verursachten Lücke der Versicherungsbiographie der jüdischen Verfolgten, die ein anderer Staat nicht auszugleichen hat.

Weiterhin bestehen hinsichtlich des Ergebnisses der dargestellten Rechtsprechung des BSG unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung erhebliche Bedenken im Hinblick auf das Urteil des BSG vom 25. Oktober 1966 – 11 RA 212/65BSGE 25, 217 ff, wonach von der Besatzungsmacht erzwungene unentgeltliche Beschäftigungen nach dem 8. Mai 1945 in den unter fremder Verwaltung stehenden deutschen Ostgebieten im Rahmen des § 16 FRG so zu behandeln sind, als ob das sonst übliche Entgelt gewährt worden sei.

Zu berücksichtigen ist ferner auch, daß es hinsichtlich der nach der Rechtsprechung des BSG für die ‚Annahme eines rentenversicherungspflichtigen Arbeits- bzw Beschäftigungsverhältnisses erforderlichen Kriterien in der Regel an den entsprechenden konkreten Feststellungen im Entschädigungsverfahren nach dem BEG fehlt.

Die von der Kammer vertretene Auffassung erspart es den betroffenen jüdischen Verfolgten, denen unendliches, unermeßliches menschliches Leid zugefügt wurde und die sich heute in einem sehr hohen Alter befinden, ihr Verfolgungsschicksal durch die Mitwirkung an erneuten (wegen des langen Zeitablaufes und des Verlustes von aussagekräftigen Beweismitteln ohnehin schwierigen sowie zeitaufwendigen) Feststellungen hinsichtlich der sehr weit zurückliegenden maßgeblichen Sachverhalte noch einmal zu durchleben, sich die traumatischen Erfahrungen dieser Zeit wieder in Erinnerung rufen zu müssen und durch die Konfrontation mit ihrem Verfolgungsschicksal eine erneute Retraumisierung zu erleben (vgl zu diesem Gesichtspunkt im Zusammenhang mit der Gewährung von Entschädigungsrenten nach dem Gesetz zur Entschädigung für Opfer des Nationalsozialismus im Beitrittsgebiet vom 22. April 1992 (BGBl I S 906) BT-Drucksache 12/1790 S 5; Urteil des Thüringer LSG vom 8. Februar 1996 – L 2/An 205/95 – Breithaupt 1996, S 414, 417; vgl. hierzu hinsichtlich der Entschädigungsverfahren nach dem BEG: Anke Schmeling, Nicht Wieder Gut Zu Machen – Die bundesdeutsche Entschädigung psychischer Folgeschäden von NS-Verfolgten, 2000; Peter Derleder, Die Wiedergutmachung. Rechtsanwendung an den Rändern der Unmenschlichkeit, in: Redaktion Kritische Justiz (Herausgeber), Die juristische Aufarbeitung des Unrechts-Staats, 1998, S 527 ff; Helga und Hermann Fischer-Hübner, Die Kehrseite der "Wiedergutmachung". Die Leiden von NS-Verfolgten in den Entschädigungsverfahren, 1990; Christian Pross, Wiedergutmachung. Der Kleinkrieg von Gerichten, Behörden und Gutachtern gegen die Wiedergutmachungsansprüche der Opfer des Nazi-Regimes, 1988).

Diese schwierige und umfangreiche Sachaufklärung bedeutet für die jüdischen Opfer der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft eine erneute Entwürdigung nach einem Leben voller Demütigungen.

Gegen eine Anerkennung der von der Klägerin verrichteten Tätigkeit als Beitragszeit spricht auch nicht die Systematik der RVO mit der Unterscheidung von Beitragszeiten und Ersatzzeiten.

Nach der Systematik der RVO sind anrechnungsfähige Versicherungszeiten im Sinne von § 1250 RVO entweder Beitragszeiten oder Ersatzzeiten, die zur Ermittlung der Anzahl der anrechnungsfähigen Versicherungsjahre zusammengerechnet werden, sofern sie nicht auf dieselbe Zeit entfallen (§ 1258 Abs 1 RVO). Ersatzzeiten gelten darüber hinaus gemäß § 1251 Abs 2 Satz 1 RVO ausdrücklich nur dann als anrechnungsfähig, wenn während der Ersatzzeit eine Versicherungspflicht nicht bestanden hat.

Damit sieht die Systematik der RVO im Vierten Buch Zweiter Abschnitt A II jedoch ausdrücklich vor, daß Beitragszeiten und Ersatzzeiten nicht exklusiv nebeneinander bestehen, sondern zeitlich zusammenfallen können. Dies ist auch bei einer Berücksichtigung fiktiver Beitragszeiten, die ausdrücklich in § 1250 Abs 1Buchst a RVO genannt werden, häufig anzunehmen, da die Sonderregelung des § 12 WGSVG auf die Zeiten der nationalsozialistischen Verfolgung zielt, die bei "rassisch" Verfolgten schon aufgrund der Regelung des § 1251 Abs 1 Nr 4 RVO in Verbindung mit § 47 BEG (Tragen des Judensterns von Januar 1933 bis Mai 1945 oder Leben in der Illegalität) erfaßt ist.

Ferner bieten der Wortlaut und die Gesetzesmaterialien des Ersatzzeitentatbestandes sowie der Normzweck keine Anhaltspunkte dafür, daß der Gesetzgeber Arbeiten von Verfolgten, die in einem Ghetto bzw jüdischen Wohnbezirk lebten, ausdrücklich nicht als Beitragszeiten anerkennen wollte.

Drüber hinaus wird in § 43 Abs 3 BEG, auf den § 1251 Abs 1 Nr 4 RVO bei der Beurteilung von Zeiten der Freiheitsentziehung Bezug nimmt, ausschließlich die Zwangsarbeit unter haftähnlichen Bedingungen aufgeführt.

Nach § 43 Abs 3 BEG ist der Freiheitsentziehung im Sinne des § 43 Abs 1 BEG die Zwangsarbeit unter haftähnlichen Bedingungen gleichzusetzen. Eine Entschädigung nach § 43 Abs 3 BEG wird nach dem Gesetzeswortlaut aber nur dafür gewährt, daß bei der Zwangsarbeit unter haftähnlichen Bedingungen ebenso wie bei der Freiheitsentziehung im übrigen der Ausgleich allein für den Tatbestand der Freiheitsentziehung gewährt wird. Die Zwangsarbeit unter haftähnlichen Bedingungen stellt sich gleichsam als ein spezieller Unterfall der Freiheitsentziehung dar, die deswegen gewährte Entschädigung als Ausgleich einer immateriellen Beeinträchtigung. Im Gesetzgebungsverfahren ist zum Ausdruck gebracht worden, der Haftentschädigung komme ein schmerzensgeldartiger Charakter zu (vgl. BT-Drucksache 2/1949 S 71). Somit sieht § 43 BEG eine gesonderte Entschädigung für die erbrachte Arbeitsleistung nicht vor.

Im übrigen bestanden bei der Einführung dieses Ersatzzeitentatbestandes – wie ein Blick auf die bundesrepublikanische geschichtswissenschaftliche Forschung zeigt – aufgrund der in der Bundesrepublik Deutschland damals kaum erfolgten Forschung und daher desolatem Forschungsstand über die nationalsozialistische Besatzungsgeschichte, die nationalsozialistische Besatzungspolitik und deren Verbrechen, insbesondere der Forschung über die Geschichte der nationalsozialistischen Lager und Ghettos, gravierende faktische Lücken an Erkenntnissen und Wissen über das System der nationalsozialistischen Lager und Ghettos sowie über die Typen bzw die Anzahl von Lagern und Ghettos in den besetzen und annektierten Gebieten.

Die historische Forschung lieferte nur Bruchstücke oder bestimmte Ausschnitte des Völkermordes, jedoch schon auf Grund ihrer thematischen Beschränkungen keinen Überblick über die Gesamtzusammenhänge. Strategie, Motive und Einbindung in die deutschen besatzungspolitische Ziele blieben weitgehend im Dunkel. Die wirkliche Dimension des nationalsozialistischen Völkermordes war damals noch gar nicht bekannt und selbst heute bestehen nach wie vor defizitäre Forschungslücken (vgl hierzu: Hermann-Josef Brodesser / Bernd Josef Fehn / Tilo Franosch /. Wilfried Wirth, Wiedergutmachung und Kriegsfolgenliquidation: Geschichte – Regelungen - Zahlungen, 2000, S 91; Karin Orth, Das System der nationalsozialistischen Konzentrationslager: Eine politische Organisationsgeschichte, 1999, S 9 ff; Ulrich Herbert, Fremdarbeiter. Politik und Praxis des "Ausländer-Einsatzes" in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches, 1999, S 416 ff; Christian Gerlach, Kalkulierte Morde: Die deutsche Wirtschafts- und Vernichtungspolitik in Weißrußland 1941 bis 1944, 1. Auflage 1999; Irmtrud Wojak, Herrschaft der Sachverständigen? – Zum ersten Frankfurter Auschwitz-Prozeß, Kritische Justiz 1999, S 605 ff; Bernd Rüthers, Recht und Juristen in der Diktatur des Proletariats, Juristenzeitung 1999, S 1009, 1015; Ulrich Herbert / Karin Orth / Christoph Dieckmann, Die nationalsozialistischen Lager – Entwicklung und Struktur, 1998, Band I, S 17 ff; Cordula Tollmien, Nationalsozialismus in Göttingen (1933 – 1945), Dissertation 1998, S 9 ff; Gudrun Schwarz, Die nationalsozialistischen Lager, Überarbeitete Ausgabe 1996, S 9 ff; Dieter Pohl, Nationalsozialistischer Judenmord als Problem von osteuropäischer Geschichte und Osteuropa-Geschichtsschreibung, Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 40 (1992), S 96 ff).

Ferner wäre die bloße Annahme eines Ersatzzeitentatbestandes (vgl § 1251 Abs. 1 Nr 4 RVO) für die jüdischen Arbeitskräfte wenig sinnvoll. Die Entschädigung auf dem Gebiet der gesetzlichen Rentenversicherung in Form der Zuerkennung von Beitrags- oder Ersatzzeiten ist nur dann sinnvoll und damit sachgerecht, wenn die Begünstigten hieraus typischerweise letztlich einen Rentenanspruch erwerben können (vgl Urteil des BSG vom 23. Mai 1995 – 13 RJ 67/91 – SozR – 3-2200 § 1251 Nr 7).

Mangels Bestehens einer Vor- oder Nachversicherung (§ 1251 Abs 2 Satz 1 und Satz 2 RVO) und der daraus resultierenden Nichtanrechenbarkeit des Ersatzzeitentatbestandes bei einer Vielzahl von jüdischen Verfolgten wäre für diese Betroffenen im Rahmen der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung eine wirksame Schließung der durch das nationalsozialistische Unrecht in ihrer Invaliditäts- und Altersvorsorge verursachten Lücke nicht zu erreichen. Im Ergebnis käme daher diesem sog Brückenbeitrag sogar die Funktion zu, Ansprüche ausländischer verfolgter Rentenantragsteller bereits dem Grunde nach auszuschließen.

Diesem Ergebnis kann auch nicht entgegengehalten werden, die jüdischen Verfolgten hätten bereits eine Entschädigung nach den Vorschriften des BEG erhalten (vgl zur Wiedergutmachung: Ulrich Herbert, Fremdarbeiter. Politik und Praxis des "Ausländer-Einsatzes" in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches, 1999, S 431 ff; Reparationsleistungen für die jüdische Sache – Der Historiker Wolfgang Benz im Gespräch über den Streit um die Verwendung der Entschädigung für jüdische NS-Opfer, in: Berliner Zeitung vom 4. Februar 2000; Karl Brozik, Einmalig und voller Lücken, in: Heiner Lichtenstein / Otto R. Romberg, Täter – Opfer – Folgen, Der Holocaust in Geschichte und Gegenwart, 2. Auflage 1997, S 183 ff; Herbert Küpper, Länderkompetenzen in der Wiedergutmachung von NS-Unrecht, Kritische Justiz 1997, S 224 ff; ders., Die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in den Staaten Osteuropas, Osteuropa 1996, S 758 ff; ders., Die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion, Osteuropa 1996, S 639 ff).

Das Entschädigungsrecht nach dem BEG hat Schäden in der Rentenversicherung aus seinem Regelungsbereich grundsätzlich (Ausnahme wegen besonderer Eilbedürftigkeit: Art X des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG-Schlußgesetz) vom 14. September 1965 (BGBl I S 1315, 1338 f) Wiedergutmachung in der Sozialversicherung bei Beitragserstattung wegen Heirat) ausgeklammert und erfaßt somit keine sozialversicherungsrechtlichen Schäden (vgl §§ 5 und 138 BEG).

Die Wiedergutmachung für Schäden in der Sozialversicherung ist im BEG nicht geregelt. Das BEG sieht bei der Regelung von Schäden, die in der Alterssicherung (insbesondere die Beeinträchtigung des Altersruhegeldes durch den Ausfall von Beitragszeiten) eingetreten sind, von eigenen Vorschriften für Schäden in der Sozialversicherung ab und verweist vielmehr insoweit auf die einschlägigen besonderen Wiedergutmachungsvorschriften. Diese Gesetze gehen als Sonderregelungen den Vorschriften des BEG vor (vgl Urteil des BSG vom 27. Mai 1959 – 1 RA 89/58 – Rechtsprechung zum Wiedergutmachungsrecht 1959, 511; Hans Giessler, Die Grundsatzbestimmungen des Entschädigungsrechts, in: Die Wiedergutmachung national-sozialistischen Unrechts durch die Bundesrepublik Deutschland, herausgegeben vom Bundesminister der Finanzen in Zusammenarbeit mit Walter Schwarz, 1981, Band IV, S 1, 85).

Im übrigen bezweckt die Regelung des § 5 BEG nicht bloß die Vermeidung von Anspruchskonkurrenzen, wie diese sich ergeben, wenn dem Wortlaut der Gesetze nach wegen ein und desselben Verfolgungsschadens sowohl ein Anspruch nach dem BEG als auch ein Anspruch nach den besonderen Rechtsvorschriften zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts gegeben wäre (hier kommt gemäß § 5 BEG nur der letztere zum Zuge), sondern diese Regelung will generell aus dem Anwendungsbereich des BEG alle Verfolgungsschäden ausklammern, die ihrer Rechtsnatur nach zum Anwendungsbereich besonderer Wiedergutmachungsvorschriften gehören (vgl Otto Küster, Wiedergutmachung für Verlust der Habe, Neue Juristische Wochenschrift 1956, S 1697 ff).

Aus dieser Darstellung folgt ohne weiteres, daß die Auffassung der Kammer hinsichtlich der Regelungen des BEG in Bezug auf den Ausgleich von sozialversicherungsrechtlichen Schäden entgegen den Ausführungen des 5. Senats des BSG in den Urteilen vom 21. April 1999 – B 5 RJ 48/98 – Die Sozialgerichtsbarkeit 1999, S 715 ff und – B 5 RJ 46/98 R – nicht unzutreffend ist.

Darüber hinaus ist an den Tatbestand der oft unter schwersten unerträglichen Bedingungen geleisteten "Zwangsarbeit als solche" eine gesetzliche oder anderweitig geregelte Entschädigungsleistung bis zu dem am 12. August 2000 in kraft getretenen Gesetz zur Errichtung einer Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" vom 2. August 2000 (BGBl I S 1263) nicht geknüpft worden (vgl Beschlüsse des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts (OLG) vom 19. Januar 2001 - 4 W 47/99-, des OLG Koblenz vom 30. Oktober 2000 – 10 W 542/00 – OLGR Koblenz 2001, S 30 ff, des Kammergerichts (KG) Berlin vom 6. Juni 2000 – 9 W 2104/00 – KGR Berlin 2000, S 257 ff, des KG Berlin vom 23. Mai 2000 – 14 W 1577/00 -, des Landgerichts (LG) Berlin vom 1. Februar 2000 – 2 O 199/99 – Neue Juristische Wochenschrift 2000, S 1958 f, und des LG Hamburg vom 19. Mai 1999 – 302 0 108/99 – Neue Juristische Wochenschrift 1999, S 2825; Urteile des OLG Stuttgart vom 20. Juni 2000 – 12 U 37/00 – Neue Juristische Wochenschrift 2000, S 2680 ff, des LG Stuttgart vom 24. November 1999 - 24 O 192/99 -, und des OLG Köln vom 3. Dezember 1998 – 7 U 222/97 – Neue Juristische Wochenschrift 1999, S 1555 ff; Hermann-Josef Brodesser / Bernd Josef Fehn /Tilo Franosch / Wilfried Wirth, Wiedergutmachung und Kriegsfolgenliquidation: Geschichte – Regelungen – Zahlungen, 2000, S 192 ff; Christian Tomuschat, Rechtsansprüche ehemaliger Zwangsarbeiter gegen die Bundesrepublik Deutschland, Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrecht 1999, S 237 ff; Burkhard Heß, Entschädigung für NS-Zwangsarbeit vor US-amerikanischen und deutschen Zivilgerichten, Die Aktiengesellschaft 1999, S 145, 150; ders., Intertemporales Privatrecht, 1998, S 260 ff; Urteil des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Münster vom 19. November 1997 – 14 A 362/93 – Neue Juristische Wochenschrift 1998, S 2302 ff; Beschluss des BVerfG vom 13. Mai 1996 – 2 BvL 33/93 – Neue Juristische Wochenschrift 1996, S 2717 ff; BT-Drucksachen 14/1694, 14/765, 14/554, 13/8956, 13/4787 und 10/6287; Antrag von Bündnis 90 / Die Grünen im Landtag Niedersachsen vom 10. Juli 1998: Entschädigungszahlungen für ehemalige Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter durch den VW-Konzern, Drucksache 14/102; vgl zu den Holocaust-Prozessen in den USA: Christoph J. M. Safferling, Zwangsarbeit vor US-amerikanischen Gerichten, Neue Juristische Wochenschrift 2000, S 1922 ff; Karl Doehring, Zwangsarbeit und Reparationen, Die Aktiengesellschaft 2000, S 69 ff; Heribert Hirte, Sammelklagen – Fluch oder Segen? – Ein Blick in die amerikanische Diskussion, Versicherungsrecht 2000, S 148 ff; August Reinisch, NS-Verbrechen und political questions: Könnten deutsche Unternehmen von ehemaligen Zwangsarbeitern vor US-Gerichten verklagt werden? Anmerkungen zu Burger-Fischer et al. V. Degussa und Iwanowa v. Ford Motor Company und Ford Werke A.G., Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrecht 2000 S 32 ff; Arno Surminski, Das Recht, die Moral und das Geld – Einige grundsätzliche Anmerkungen zur Sammelklage von NS-Opfern gegen deutsche Lebensversicherer, Zeitschrift für Versicherungswesen 2000, 50 ff; Martin Gebauer / Götz Schulze, Kalifornische Holocaust-Gesetze zugunsten von NS-Zwangsarbeitern und geschädigten Versicherungsnehmern und die Urteilsanerkennung in Deutschland, Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrecht 1999, 478 ff; Burkhard Heß, Inländische Rechtsbesorgung gegen Erfolgshonorar?, Neue Juristische Wochenschrift 1999, S 2485 f; Peter Heidenberger, Die Praxis von US-Gerichten zur Staatenimmunität Deutschlands, Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft 97 (1998), S 440 ff; Mathias Reimann, Nazi-Verbrechen und Staatenimmunität: Kann die Bundesrepublik Deutschland von KZ-Opfern vor US-amerikanischen Gerichten verklagt werden?, Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrecht 1995, 123 ff). "Zwangsarbeit als solche" war nicht Gegenstand des Entschädigungs- und Wiedergutmachungsrechts. Lediglich besonders schwere Begleitumstände der Zwangsarbeit führten nach § 43 Abs 3 BEG zu Entschädigungsleistungen nach diesem Gesetz für Schäden im Sinne des § 1 Abs. 1 BEG.

In dieser Tatsache liegt insbesondere vor dem Hintergrund neuerer historischer Forschungen eine nachhaltige Gerechtigkeitslücke der deutschen Wiedergutmachungsgesetzgebung.

Einer Berücksichtigung der von den jüdischen Verfolgten geleisteten Arbeiten als Beitragszeiten in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung stehen schließlich auch nicht das zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel geschlossene Abkommen vom 10. September 1952 (BGBl 1953 II S 37) bzw die zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Conference on Jewish Material Claims against Germany geschlossenen Vereinbarungen entgegen, denn diese Vereinbarungen lassen individuelle sozialversicherungsrechtliche Ansprüche israelischer Staatsbürger unberührt (vgl hierzu Cornelius Pawlita, "Wiedergutmachung" als Rechtsfrage?: Die politische und juristische Auseinandersetzung um Entschädigung für die Opfer nationalsozialistischer Verfolgung (1945 bis 1990), 1993, S 269 ff).

Im übrigen erscheint es im Hinblick auf die neueren militärgeschichtlichen Erkenntnisse (vgl Gerd R. Ueberschär, NS-Verbrechen und der militärische Widerstand gegen Hitler, 2000; Karl Heinrich Pohl, Wehrmacht und Vernichtungspolitik: Militär im nationalsozialistischen System, 1999; Rolf-Dieter Müller / Hans Erich Volkmann, Die Wehrmacht. Mythos und Realität, 1999; Normann Paech, Wehrmachtsverbrechen in Griechenland, Kritische Justiz 1999, S 380 ff; Carl Dirks / Karl-Heinz Janßen, Der Krieg der Generäle: Hitler als Werkzeug der Wehrmacht, 3. Auflage 1999; Gerd R. Ueberschär / Winfried Vogel, Dienen und Verdienen. Hitlers Geschenke an seine Eliten, 1999, S 39 ff, 101 ff und 146 ff; Wehrmachtsverbrechen, Dokumente aus sowjetischen Archiven, 1997; Hannes Heer / Klaus Naumann, Vernichtungskrieg: Verbrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944, 1995; vgl auch Urteil des SG Frankfurt/Main vom 24. Juni 1991 – 20 I 1182/89 – Die Sozialgerichtsbarkeiten 1992, S 459 ff) zumindest aus historischer Sicht fragwürdig, diese Verfolgungszeiten dem Militär- und militärähnlichen Dienst (§ 1251 Abs 1 Nr 1 RVO), wozu unter Umständen der Dienst in SS-Einheiten gehören kann (vgl hierzu KassKomm-Niesel § 1251 RVO Rd-Nrn 41 und 42; Koch /Hartmann / v. Altrock / Fürst, Das Angestelltenversicherungsrechtsgesetz, Band IV a, § 28 AVG Anm B. I. 15.; Arbeitsanweisungen der LVA Rheinprovinz zu § 250 Abs 1 Nr 1 SGB VI Ziffer 4), gleichzustellen.

Die Kammer sieht im Hinblick auf die – im Gegensatz zu den herausragenden rechtsdogmatischen Ausführungen des 9. Senats des BSG zur Rechtswidrigkeit der Todesurteile der Militärstrafjustiz während des Zweiten Weltkrieges – äußerst knappe und wenig überzeugende Begründungen des 5. Senats des BSG in dessen Urteilen vom 21. April 1999 – B 5 RJ 48/98 – Die Sozialgerichtsbarkeit 1999, 715 ff und – B 5 RJ 46/98 R – und auch im Hinblick auf die Urteile des 13. Senats des BSG vom 14. Juli 1999 – B 13 RJ 61/98 RSozR 5070 § 14 Nr 2, - B 13 RJ 71/98 R – SozR 3 – 5070 § 14 Nr 3 und – B 13 RJ 75/98 R – keine Veranlassung, ihre Rechtsprechung hinsichtlich der Anerkennung der von den jüdischen Verfolgten während des Zweiten Weltkrieges geleisteten Zwangsarbeiten als Beitragszeiten aufzugeben.

Die Entscheidungsgründe dieser Urteile berücksichtigen nicht die verfassungsrechtliche Dimension der hier anstehenden Thematik. Sie setzen sich weiterhin nur unzureichend mit den neueren Erkenntnissen der Historiker sowie mit der durch die nationalsozialistischen Schreckensherrschaft erfolgten Arbeitseinsatz – und Arbeitsverwaltungspolitik auseinander und entbehren deshalb eines kritischen, historischen Reflexionprozesses.

Aufgrund dieser mangelnden historischen Reflexion geht die Rechtsprechung des BSG – ohne den hierfür erforderlichen Nachweis zu erbringen – allzu selbstverständlich von der Weitergeltung einer arbeitsvertraglichen Selbstbestimmung und Privatautonomie aus. Dies wird insbesondere durch die vom 5. Senat des BSG verwendeten, im historischen Kontext der oben ausführlich aufgezeigten nationalsozialistischen Arbeitseinsatzpolitik wenig angemessenen Formeln "daß auf beiden Seiten jeweils eigene Entschlüsse zur Beschäftigung vorliegen, die nach dem Modell der Erklärungen bei einem Vertragsschluß geäußert werden" und "Ghetto-Arbeitsmarkt" dokumentiert. Insoweit vernachlässigt die Rechtsprechung des BSG die Tatsache der Ersetzung der Prinzipien der Privatautonomie und der Vertragsfreiheit durch die oben dargelegte nationalsozialistische Arbeitseinsatzpolitik und damit den historischen, politischen und sozialen Kontext.

Auch der Hinweis auf die Annahme eines "Ghetto-Arbeitsmarktes" in den Entscheidungen des 5. Senats des BSG betreffend das Ghetto Litzmannstadt (Lodz; vgl die Urteile vom 18. Juni 1997 – 5 RJ 66/95 – SozR 3 – 2200 § 1248 Nr 15 und – 5 RJ 68/95 – Zentralblatt für Sozialversicherung, Sozialhilfe und Versorgung 1999, S 19 f) berücksichtigt nicht die besonderen Verhältnisse und Bedingungen des am 30. April 1940 hermetisch abgeriegelten (reinen Arbeits-) Ghettos Litzmannstadt mit seiner deutschen Ghettoverwaltung sowie seiner innerhalb des Ghettos bestehenden jüdischen Selbstverwaltung, die einer eigenen Stadtverwaltung mit einer umfangreichen Verwaltungsbürokratie einschließlich eines (Ghetto-) Arbeitsamtes und eines eigenen polizeilichen Ordnungsdienstes entsprach.

Im Ghetto Litzmannstadt entstand als riesige Wirtschaftseinheit die Nachfrage nach den jeweiligen Arbeitskräften aufgrund produktionsspezifischer Anforderungen. Die Arbeitskräfte waren in verschiedenen (zeitweise mehr als 100) Produktionsstätten (sog Arbeitsressorts) mit dem Bezug von Lebensmittelkarten und Mark-Quittungen (sog Ghettogeld) beschäftigt.

Das Ghetto Litzmannstadt, das im August 1944 aufgelöst wurde, unterschied sich damit erheblich in mehrfacher Hinsicht von den im Laufe des Jahres 1943 liquidierten, in den verschiedenen Teilen des besetzten Polens entstandenen Ghettos mit ihren unterschiedlichen Methoden der Isolierung von der Außenwelt und der inneren Verwaltung.

Nach Auffassung der Kammer wird entgegen den knappen Ausführungen des 5. und des 13. Senats des BSG auch der Bereich einer zulässigen richterlichen Rechtsfortbildung, dessen Existenz und Legitimität heute nicht mehr prinzipiell in Streit steht, nicht überschritten.

Die traditionelle Bindung des Richters an das Gesetz, ein tragender Bestandteil des Gewaltentrennungsgrundsatzes und damit der Rechtsstaatlichkeit, ist im Grundgesetz jedenfalls der Formulierung nach dahin abgewandelt, daß die Judikative an "Gesetz und Recht" gebunden ist. Das Grundgesetz bestimmt in Artikel 20 Abs 3 GG eine Bindung der Judikative (und der Exekutive) an "Gesetz und Recht" und verdeutlicht dadurch, daß die Aufgabe der Richter nicht im reinen Gesetzesvollzug endet. Das Grundgesetz verweist in Artikel 20 Abs 3 GG auch auf überpositive Gerechtigkeitspostulate und damit an mehr als das gesetzlich positivierte Recht, dh es relativiert bereits selbst die Bindung des Richters an das Gesetz. Diese Formel hält das Bewußtsein aufrecht, daß sich Gesetz und Recht zwar faktisch im allgemeinen, aber nicht notwendig und immer decken. Das Recht ist nicht mit der Gesamtheit der geschriebenen Gesetze identisch.

Die Bindung an das "Recht" besagt damit unter Absage an den engen Gesetzespositivismus, daß ein Gesetz nicht schon aufgrund seiner Positivität Recht zu sein braucht. Der Hinweis auf das "Recht" verweist auf den Rückgriff auf Gerechtigkeitsmaßstäbe und beinhaltet die Ermächtigung, gesetzes- oder verfassungsmäßige Rechtsfortbildung zu betreiben, dh damit sind die Richter als unabhängige Organe zur Schaffung des sog Richterrechts legitimiert.

Der Richter ist nach dem Grundgesetz nicht darauf verwiesen, gesetzgeberische Weisungen in den Grenzen des möglichen Wortsinns auf den Einzelfall anzuwenden. Die richterliche Tätigkeit besteht nicht nur im Erkennen und Aussprechen von Entscheidungen des Gesetzgebers, dh die Verfassung sieht in der Rechtsprechung eine Staatsgewalt mit dem Auftrag zur Ausübung dieser Gewalt nach "Gesetz und Recht", nicht ein Anwendungs- und Vollstreckungsorgan der Gesetzgebung, das allein aus der Verwirklichung des Gesetzes seine Aufgabe und Legitimation empfangen würde.

Die Aufgabe der Rechtsprechung kann es insbesondere erfordern, Wertvorstellungen, die der verfassungsmäßigen Rechtsordnung immanent, aber in den Texten der geschriebenen Gesetze nicht oder nur unvollkommen zum Ausdruck gelangt sind, in einem Akt des bewertenden Erkennens ans Licht zu bringen und in Entscheidungen zu realisieren.

Die Legitimation zur Rechtsfortbildung ergibt sich vorrangig aus den zum Teil sehr abstrakten und oftmals unbestimmten Gesetzen, den Lücken im ursprünglichen Gesetzesplan, den Widersprüchlichkeiten im Regelungswerk, aus dem völligen Untätigbleiben des Gesetzgebers oder aus dem dauernden Versagen des Gesetzgebers (zB wegen Überlastung des Parlaments, Unmöglichkeit der Einigung oder bewußte Abschiebung der Lösung einer heiklen Frage an die Gerichtsbarkeit), die die Richter zu näherer Rechtsgestaltung auffordern, um damit den Ausgleich zu den generellen Regelungen zu erbringen.

Die Notwendigkeit effektiven, wirkungsvollen Rechtsschutzes ist ein Gebot der Gerechtigkeit, das in Artikel 19 Abs 4 GG positiviert ist. Der Richter muß sich dabei von Willkür freihalten und seine Entscheidung muß auf rationaler Argumentation beruhen.

Es muß einsichtig gemacht werden können, daß das geschriebene Gesetz seine Funktion, ein Rechtsproblem gerecht zu lösen, nicht erfüllt. Die richterliche Entscheidung schließt dann diese Lücke nach den Maßstäben der praktischen Vernunft und den fundierten allgemeinen Gerechtigkeitsvorstellungen der Gemeinschaft.

Darüber hinaus ist auch zu berücksichtigen, daß eine Norm ständig im materiellen und funktionellen Kontext der sozialen Verhältnisse, der gesellschaftlich-politischen Anschauungen, dem Moralbewußtsein der Gesellschaft und sonstigen Entwicklungen, auf die sie wirken soll, steht, mit deren schnellen, tiefgreifenden Veränderungen der modernen Zeit sich auch der Norminhalt verändern kann oder als überholt erweist.

Die tatsächlichen oder rechtlichen Entwicklungen im Realbereich einer Norm können eine bis dahin eindeutige und vollständige Regelung lückenhaft, ergänzungsbedürftig und zugleich ergänzungsfähig werden lassen. Dies gilt insbesondere dann, wenn sich zwischen der Entstehung und der Anwendung eines Gesetzes die Rechtsanschauungen oder die Lebensverhältnisse geändert haben. In dem Maße, in dem sich aufgrund solcher Wandlungen Regelungsdefizite bilden, verliert das Gesetz seine Fähigkeit, für alle Fälle, auf die seine Regelung abzielt, eine gerechte Lösung bereit zu halten.

Dem hiernach möglichen Konflikt der Norm mit den materiellen Gerechtigkeitsvorstellungen einer gewandelten Gesellschaft bzw dem Bedeutungswandel einer Norm kann sich der Richter nicht mit dem Hinweis auf den unverändert gebliebenen Gesetzeswortlaut entziehen. In Anbetracht des Justizgewährungsanspruchs und der Effektivität des Rechtsschutzes (vgl Artikel 19 Abs 4 GG) ist er vielmehr zu einer freieren Handhabung der Rechtsnormen gezwungen, wenn er nicht seine Aufgabe, "Recht" zu sprechen, verfehlen will. Auch an eine feststehende Rechtsprechung sind die Gerichte nicht gebunden, wenn sich diese im Lichte neuerer Erkenntnisse oder veränderter Verhältnisse als nicht mehr haltbar erweist.

In diesem Zusammenhang ist bedeutsam, daß die gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung keine rechtsübersteigende ist; auch sie muß sich an der verfassungsmäßigen Wertordnung orientieren (vgl Stefan Brink, Über die richterliche Entscheidungsbegründung: Funktion – Position – Methodik, 1999, S 173 ff; Christine Lübbe, Grenzen der Rückwirkungen bei Rechtsprechungsänderungen, 1997, S 18 ff; Karl Larenz / Claus-Wilhelm Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Auflage 1995, S 232 ff; Fritz Ossenbühl, Gesetz und Recht, in: Josef Isensee / Paul Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik, 1988, Band III § 61 RdNrn 35 ff).

Artikel 20 Abs 3 GG steht auch in keinem Widerspruch zu Artikel 97 Abs 1 GG, nach dem die Richter nur dem Gesetz unterworfen sind. Auch im Bereich dieser Vorschrift ist anerkannt, daß diese Vorschrift außer Gesetzen, Rechtsverordnungen, Satzungen und gewohnheitsrechtlichen Regelungen auch Verfassungsrechtssätze umfaßt.

Der von der Kammer in den historischen Kontext der nationalsozialistischen Diktatur gestellte spezifisch wiedergutmachungsrechtliche Begriff des Beschäftigungsverhältnisses bedeutet nicht die Auflösung dieses Tatbestandsmerkmals.

Er ist vielmehr – wie oben eingehend dargelegt – aus Gründen der Gerechtigkeit und Gleichbehandlung das Ergebnis einer verfassungskonformen, systematischen und funktionsdifferenten Auslegung (vgl. zu diesem Gesichtspunkt die Rechtsprechung des BSG hinsichtlich der Unterscheidung zwischen einem beitragsrechtlichen und einem leistungsrechtlichen Begriff des Beschäftigungsverhältnisses in der Arbeitslosenversicherung: Urteile des BSG vom 28. September 1993 – 11 RAr 69/92BSGE 73, 126 ff, vom 18. April 1991 – 7 RAr 106/90BSGE 68, 236 ff und vom 26. November 1985 – 12 RK 51/83BSGE 59, 183 ff) des rechtlichen Umfeldes der einschlägigen vollständigen Norm und einer gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung, die den Inhalt der konkreten Rechtsnorm sachbezogen nach ihrer Stellung, Funktion und Aufgabe innerhalb des Rahmens der Gesamtrechtsordnung und der dieser zu Grunde liegenden leitenden Rechts- und Moralprinzipien bestimmt.

Der systematische Zusammenhang zwischen diesen Normen und den einschlägigen Rechtsregeln und Rechtsprinzipien rechtfertigt aufgrund der eklatanten (gravierendsten) Verletzungen der elementaren (unveräußerlichen) Menschenrechte und der Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit sowie der millionenfachen Unrechtshandlungen der nationalsozialistischen Diktatur diese von der Kammer vertretene Auslegung und gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung mit Rücksicht auf die "Natur der Sache" und aus rechtsethischen Gründen. Allein mit diesem rechtsdogmatischen Ansatz können die von jüdischen Verfolgten geleisteten Arbeiten rentenrechtlich sachgerecht berücksichtigt werden.

Die Kammer hat damit nicht das System der Rechtsordnung verlassen und bringt keinen eigenen rechtspolitischen Willen zur Geltung, sondern entwickelt lediglich Grundgedanken der von der Verfassung geprägten Rechtsordnung mit systemimmanenten Mitteln weiter. Die dargestellten gesetzgeberischen Ziele der wiedergutmachungsrechtlichen Vorschriften selbst werden durch die Rechtsprechung der Kammer weder verfehlt noch verfälscht. An die Stelle dieser Gesetzesvorschriften werden auch nicht inhaltlich andere Normen gesetzt. Insoweit wird auch das Prinzip der Gewaltenteilung (vgl Artikel 20 Abs 2 Satz 2 GG) nicht verletzt.

Der Grundsatz der Menschlichkeit schützt die (Ansehens-) Würde (vgl Artikel 1 Abs 1 GG) und die unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechte (vgl Artikel 1 Abs 2 GG) eines jeden, der in einem Gemeinwesen dem jeweiligen Inhaber der Macht sowie den Menschen unterworfen ist, denen jener Herrschaftsmacht verliehen oder faktisch eingeräumt hat.

Es ist aus der absoluten und universalen Geltung dieses Grundsatzes jedem Machthaber sowie dem Machtsystem, dem er angehört, schlechthin untersagt, die Würde des Menschen zu mißachten oder seine Rechtsgüter Leben, Körper, Gesundheit oder Freiheit anderen "Werten" soweit unterzuordnen, daß sie im Kern vernichtet werden.

Die Menschenwürde ist vorstaatlicher, ethischer und moralischer Geltungsgrund der Menschenrechte und der Grundrechte. Das Grundgesetz erhebt sich damit über die positivistische Grundrechtskonzeption, wonach die Grundrechte vom Staat erst geschaffen und dann gewährt werden. Es geht von historisch entwickelten, naturrechtlich begründeten Menschenrechten aus, die der Staat anzuerkennen hat und als Grundrechte näher definiert und gewährleistet. Das Recht muß die Menschenwürde achten und schützen (vgl zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht: Stefan Gottwald, Zeitgeschichte und Dogmatik am Beispiel des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, (http://www.rewi.hu-berlin.de/FHI/97- 08/gottw- t.htm)).

Aus den Erfahrungen des nationalsozialistischen Terrors mit seiner entmenschlichenden Verobjektivierung ergibt sich, das positives Recht zum Unrecht degenerieren kann. Die Verfassung stellt daher als Reaktion auf die nationalsozialistische Gewaltherrschaft die Grund- und Freiheitsrechte an den Anfang.

In Artikel 1 Abs 1 GG wird daher die absolute Geltung von Menschenwürde als vorstaatlicher Rechtswert anerkannt und gleichzeitig als das oberste objektive Verfassungsprinzip festgeschrieben.

Der Begriff der Menschenwürde ist tragendes Konstitutionsprinzip im System der Grundrechte. Mit ihm ist der soziale Wert- und Achtungsanspruch des Menschen verbunden, der es verbietet, den Menschen zum bloßen Objekt des Staates zu machen oder ihn einer Behandlung auszusetzen, die seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt.

Artikel 1 GG ist als Reaktion auf die Greueltaten der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft gedacht. Diese Norm sollte gegenüber einem bloß positivistischen, instrumentalistischen Verständnis von Staat und Recht den Eigenwert der menschlichen Person und die Freiheitlichkeit und Rechtsstaatlichkeit des Gemeinwesens hervorheben. Ein Satz von Werner Flume bringt zu dieser Interpretation alles notwendige zum Ausdruck: " Hinter Artikel 1 des Grundgesetzes stehen die Namen Auschwitz, Belsen und Buchenwald."

Schutzgut des Grundsatzes der Rechtsstaatlichkeit (vgl Artikel 1 Abs 3, 3 Abs 1 bis 3 und 20 Abs 3 GG) ist, daß jeder Gewaltinhaber sich um eine den jeweiligen Lebensverhältnissen angemessene Sachbehandlung bemühen muß und vor allem nicht willkürlich handeln darf. Insbesondere darf niemand wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Sprache, seiner Heimat, seiner Herkunft, seines Glaubens oder seiner religiösen oder politischen Anschauung benachteiligt oder bevorzugt werden.

Der Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit geht aus von der Vorstellung, daß der Zweck des Staates auf die Schaffung und Erhaltung einer materiell gerechten Ordnung gerichtet sein muß, daß demzufolge alle Zweige der Staatsgewalt, also die Legislative, die Exekutive und die rechtsprechende Gewalt, der Herrschaft des Rechts im materiellen Sinne unterworfen sind.

Die Grundsätze der Menschlichkeit und der Rechtsstaatlichkeit gebieten den Machthabern eine elementare Rechtsorientierung. Ein totalitäres und allumfassendes Unrechts- und Willkürsystem gibt sich gerade dadurch zu erkennen, daß es diese elementaren Grundsätze anderen – zB ideologischen – Zielsetzungen, etwa dem Sieg im "Rassen- oder Klassenkampf", schlechthin unterordnet. Die Rechtstheorie des nationalsozialistischen Regimes mit seinem zutiefst inhumanen Ideologien startete einen umfassenden Angriff auf die individualistische Figur des subjektiven Rechtes und stellte stattdessen den "völkisch-rassischen Gemeinschaftsgedanken" in den Mittelpunkt des neuen Denkens und Handelns, dh die diffuse überrechtliche Norm, die sich am Mythos der Unverletzlichkeit der "Volksgemeinschaft" orientierte.

Die von der Kammer vertretene Auffassung ist der Ausdruck, der Ausfluß und die Konsequenz einer (erst) seit Mitte der achtziger Jahre einsetzenden (veränderten) wissenschaftlich-historischen und gesellschaftlichen Auseinandersetzung und Aufarbeitung mit diesem zwölf Jahre dauernden einzigartigen Zivilisationsbruch und mit dieser dunkelsten Phase der deutschen (Rechts-) Geschichte, vom Wandel des Zeitgeistes bzw der sich wandelnden Anschauungen sowie von Umdenkungsprozessen hinsichtlich der Einbeziehung weiterer (zuvor ausgegrenzter) Opfergruppen, die sich nicht nur mit der historischen Bedeutung des Nationalsozialismus befaßt, sondern – (ua aufgrund der personellen Kontinuität nach der sozialsozialistischen Diktatur) nach jahrzehntelanger Zeit der weitreichenden Verdrängung, des Verhinderns, des Vergessens, der fehlenden offenen kritischen Auseinandersetzung und der erstarrten Aufarbeitung der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, der Verschleppung und halbherzigen Verfolgung nationalsozialistischer Verbrechen sowie der Entwürdigung, fehlenden Rehabilitierung und Entschädigung bestimmter Opfergruppen – verstärkt nach den gedemütigten, körperlich gequälten, mit der alltäglichen Erfahrung totaler Rechtlosigkeit an den Rand ihrer physischen und psychischen Existenz gebrachten Opfern der nationalsozialistischen Diktatur und dem Umgang mit ihnen sowie nach der Rolle der Unternehmen im "Dritten Reich" fragt (vgl hierzu: Peter Reichel, Vergangenheitsbewältigung in Deutschland: Die Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur von 1945 bis heute, 2001; Bernd Rüthers, Schwierigkeiten mit der Geschichte?, Juristenzeitung 2001, S 181 ff; ders., Geschönte Geschichte – geschonte Biografien, Neue Juristische Wochenschrift 2000, S 2402 ff; ders., Reinhard Höhn, Carl Schmitt und andere – Geschichten und Legenden aus der NS-Zeit, Neue Juristische Wochenschrift 2000, S 2866 ff; ders., Recht als Waffe des Unrechts – Juristische Instrumente im Dienst des NS-Rassenwahns - , Neue Juristische Wochenschrift 1988, S 2825, 2827; Gerhard Paul, Flensburger Kameraden – Wie Deutschlands hoher Norden nach dem Krieg für Tausende NS-Funktionäre und-Offiziere zur Fluchtburg und später vielfach zur sicheren Heimat wurde, in: DIE ZEIT Nr. 6 vom 1. Februar 2001, S 78; Peter Novick, Nach dem Holocaust – Der Umgang mit dem Massenmord, 2001; Rudolf Wassermann, Folgen der SED-Diktatur und ihre Überwindung – Zur Veröffentlichung der Materialien der Enquete-Kommission, Neue Juristische Wochenschrift 2001, S 655 ff; Sybille Steinbacher, "Musterstadt" Auschwitz – Germanisierungspolitik und Judenmord in Ostoberschlesien, 2000, S 14 ff; dies., " nichts weiter als Mord". Der Gestapo-Chef von Auschwitz und die bundesdeutsche Nachkriegsjustiz, in: Norbert Frei /Sybille Steinbacher / Bernd C Wagner, Ausbeutung, Vernichtung, Öffentlichkeit – Neue Studien zur nationalsozialistischen Lagerpolitik, 2000, S 265 ff; Katharina Wegan, "Restancemythos" – "Opfermythos", ein Vergleich der französischen und österreichischen Erinnerungspolitik und ihrer Geschichtsnarrative nach 1945 im Spiegel der Denkmäler, (http://www.eforum-zeitgeschichte.at/wegan.html); Norbert Frei / Dirk van Laak /Michael Stolleis, Geschichte vor Gericht – Historiker, Richter und die Suche nach Gerechtigkeit, 2000; Ehrhardt Körting / Detlev Schmidt, Zur strafrechtlichen Aufarbeitung staatlichen Unrechts – Lehren aus der Vergangenheitsbewältigung im In- und Ausland, Deutsche Richterzeitung 2000, S 103 ff; Günter Heine, Täterschaft und Teilnahme in staatlichen Machtapparaten – NS- und DDR-Unrecht im Vergleich der Rechtsprechung, Juristenzeitung 2000, S 920 ff; Waldemar Hummer / Jelka Mayr-Singer, Der ((deutsche Sonderweg)) bei der Aufarbeitung von SED-Unrecht; Vergangenheitsbewältigung durch Strafjustiz, Neue Justiz 2000, S 561 ff; Michael Greve, Amnestierung von NS-Gehilfen – eine Panne? – Die Novellierung des § 50 Abs. 2 StGB und dessen Auswirkungen auf die NS-Strafverfolgung, Kritische Justiz 2000, S 412 ff; ders., Neuere Forschungen zu NS-Prozessen, Kritische Justiz 1999, S 472 ff; Ingo von Münch, Die Zeit im Recht, Neue Juristische Wochenschrift 2000, S I, 7; Theo Rasehorn, Zur "Renazifizierung" der Nachkriegsjustiz, Zeitschrift für Rechtspolitik 2000, S 127 ff; Rüdiger Hohls / Konrad H. Jarausch, Versäumte Fragen – Deutsche Historiker im Schatten des Nationalsozialismus, 2000; Thomas Schlemmer, Grenzen der Integration – Die CSU und der Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit – der Fall Dr. Max Frauendorfer, Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 2000, S 675 ff; Ulrich Herbert, Fremdarbeiter – Politik und Praxis des "Ausländer-Einsatzes" in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches, Neuauflage 1999, S 416 ff; ders., "Es ist viel furchtbarer, als wir annahmen", Universitats 1998, S. 383 ff; "Ein Element der Verunsicherung, der Irritation, des Erschreckens" – Der Umgang mit der NS-Vergangenheit und die Entschädigung von Zwangsarbeitern, Ein "Blätter"-Gespräch mit Ulrich Herbert, Blätter für deutsche und internationale Politik 2000, S 555 ff; Hans-Jürgen Papier / Johannes Möller, Die rechtsstaatliche Bewältigung von Regime-Unrecht nach 1945 und nach 1989, Neue Juristische Wochenschrift 1999, S 3289 ff; Helmut Dubiel, Niemand ist frei von der Geschichte: Die nationalsozialistische Herrschaft in den Debatten des Deutschen Bundestages, 1999; Winfried Schultze / Otto Gerhard Oexle, Deutsche Historiker im Nationalsozialismus, 1999; Burkhard Dietz, Die interdisziplinäre "Westforschung" der Weimarer Republik und NS-Zeit als Gegenstand der Wissenschafts- und Zeitgeschichte – Überlegungen zu Forschungsstand und Forschungsperspektiven, Geschichte im Westen, Jahrgang 14 (1999), S 189 ff: Katharina Hoffmann, Ausländische ZwangsarbeiterInnen in Oldenburg während des Zweiten Weltkrieges. Eine Rekonstruktion der Lebensverhältnisse und Analyse von Erinnerungen deutscher und polnischer ZeitzeugInnen, 1999, S 3 ff; Christian Gerlach, Krieg, Ernährung, Völkermord: Forschungen zur deutschen Vernichtungspolitik im Zweiten Weltkrieg, 1. Auflage 1998; Redaktion Kritische Justiz, Die juristische Aufarbeitung des Unrechts-Staats, 1998; Wilfried Loth /Bernd-A. Rusinek, Verwandlungspolitik: NS-Eliten in der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft, 1998; Herta Däubler-Gmelin, Rehabilitierung und Entschädigung von Deserteuren, sog. Wehrkraftzersetzern und Kriegsdienstverweigerern der deutschen Wehrmacht? – Bericht über den mühsamen Versuch, mehr als 50 Jahre nach der Zerschlagung Nazi-Deutschlands im Deutschen Bundestag durch eine überparteiliche gemeinsame Erklärung ein weiteres Stück von NS-Justiz-Unrecht aufzuarbeiten, (http://www.members.aol.com/spdtue/herta/nsjustiz.htm) sowie in: Franz Josef Düwell, Anwalt des Rechtsstaates – Festschrift für Diether Posser zum 75. Geburtstag, 1997, S 3 ff; Norbert Frei, Vergangenheitspolitik: Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit, 1996; Otto Gritschneder, Rechtsbeugung. Die späte Beichte des Bundesgerichtshofs, Neue Juristische Wochenschrift 1996, S 1239 ff; Stefan Zimmermann, Die strafrechtliche "Bewältigung" der deutschen Diktaturen, Juristische Schulung 1996, S 865 ff; Deutsche Richterzeitung, 1933 – 1945 – 1995, (Heft 5), 1995, S 165 ff; Peter Caesar, Wiederaufbau der Gerichtsbarkeit nach 1945, Neue Juristische Wochenschrift 1995, S 1246 ff; Manfred Grieger, Zwangsarbeit in einem Industrieunternehmen der Deutschen Arbeitsfront (DAF) – Die Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte bei der Volkswagenwerk GmbH, 1938 – 1945, in: Dittmar Dahlmann / Gerhard Hirschfeld, Lager, Zwangsarbeit, Vertreibung und Deportation: Dimensionen der Massenverbrechen in der Sowjetunion und in Deutschland 1933 bis 1945, 1999, S 392 ff; Lothar Gall / Manfred Pohl, Unternehmen im Nationalsozialismus, 1998; Hans Mommsen / Manfred Grieger, Das Volkswagenwerk und seine Arbeiter im Dritten Reich, 1996; BT-Drucksachen 14/2619, 14/2298, 14/1694, 14/1619, 14/1816 und 13/8576; BT-Plenarprotokoll 14/074).

Die Kammer verkennt nicht, daß der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung (mit den Stimmen der Fraktionen der CDU / CSU und F.D.P. gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen und der Gruppe der PDS bei Stimmenthaltung der Fraktion der SPD) dem Deutschen Bundestag am 23. Juni 1998 (vgl BT-Drucksache 13/11142) die Ablehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen vom 25. November 1997 (vgl BT-Drucksache 13/9218) empfohlen hat, osteuropäischen ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern des NS-Regimes eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung zu zahlen (vgl zu weiteren Initiativen seit 1984: Günter Saathoff, Die politischen Auseinandersetzungen über die Entschädigung von NS-Zwangsarbeit im Deutschen Bundestag – politische und rechtliche Aspekte, in: Klaus Barwig / Günter Saathoff / Nicole Weyde, Entschädigung für NS-Zwangsarbeit, 1998, S 49, 55 ff; Dokumentation der Anhörung zur Entschädigung für NS-Unrecht der Bundestagsfraktion Bündnis 90 / Die Grünen am 21. März 1995 und des Symposiums "Deutschland auf dem Weg aus seiner Geschichte?" anläßlich des 50. Jahrestages der Befreiung vom Nationalsozialismus am 29. April 1995 in Berlin; Antrag der Fraktion der SPD vom 24. September 1997, BT-Drucksache 13/8576, 7. Spiegelstrich).

Die von der Rechtsprechung des BSG angeführten BT-Drucksachen beziehen sich jedoch in erster Linie auf die sog "Ostarbeiter", die aber nach der Rechtsprechung (vgl Urteile des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 8. Februar 1961 – VIII C 256/59 – Rechtsprechung zum Wiedergutmachungsrecht 1961, S 247, des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 9. Juli 1970 – IX ZR 279/69 – Rechtsprechung zum Wiedergutmachungsrecht 1970, S 566 und des BSG vom 23. Mai 1995 – 13 RJ 67/91 – SozR 3 – 2200 § 1251 Nr 7) als Angehörige der slawischen Völker nicht zum Personenkreis der rassisch Verfolgten im Sinne von § 1 BEG gehören. Angehörige der slawischen Völker wurden nach dieser Rechtsprechung nicht deshalb verfolgt, weil die nationalsozialistischen Machthaber sie als minderwertige Rasse ansahen und deshalb ausmerzen wollten.

Wenn gegen diesen Personenkreis nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen ergriffen wurden, geschah dies nicht aus Gründen der Rasse, sondern aus Gründen der Nationalität. Angehörige der slawischen Völker sind nach der genannten Rechtsprechung als sog Nationalgeschädigte im Sinne von Artikel VI Nr 1 Abs 1 Satz 2 BEG-SchlußG anzusehen (vgl auch Hermann-Josef Brodesser / Bernd Josef Fehn / Tilo Franosch / Wilfried Wirth, Wiedergutmachung und Kriegsfolgenliquidation: Geschichte – Regelungen – Zahlungen, 2000, S 108 f).

Insoweit scheidet auch von vornherein die Anwendung des WGSVG auf die sog "Ostarbeiter" aus. Ansprüche nach dem WGSVG hat nur derjenige, der Verfolgter im Sinne des § 1 BEG ist (vgl § 1 Abs. 1 WGSVG).

Nach dem im Oktober 1998 erfolgten Regierungswechsel ist in der neuen (14.) Legislaturperiode des Bundestages aber eine eindeutige und lückenlose Entscheidung seitens des Gesetzgebers hinsichtlich der rentenrechtlichen Behandlung der von den Verfolgten geleisteten Zwangsarbeiten, die die Richter aufgrund eigener rechtspolitischer Vorstellungen nicht verändern und durch eine judikative Lösung, die so im Parlament nicht erreichbar war, nicht ersetzen dürfen, nicht mehr gegeben.

Nunmehr ist ein neuer politischer Wille der (neuen) Bundesregierung zur Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit, insbesondere zur rentenrechtlichen Behandlung der Zwangsarbeit dokumentiert.

In Kapitel IX. Ziffer 3 der Koalitionsvereinbarung zwischen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und dem Bündnis 90 / Die Grünen vom 20. Oktober 1998 (Aufbruch und Erneuerung – Deutschlands Weg ins 21. Jahrhundert) wird zunächst ausdrücklich betont, daß die Rehabilitierung und die Verbesserung der Entschädigung für die Opfer nationalsozialistischen Unrechts eine fortdauernde Verpflichtung für die bundesdeutsche Politik bleibe.

Neben der Errichtung einer Bundesstiftung "Entschädigung für NS-Unrecht" für die "vergessenen Opfer" sowie der Errichtung einer Bundesstiftung "Entschädigung für NS-Zwangsarbeit" unter Beteiligung der deutschen Industrie (vgl hierzu: BT-Drucksachen 14/698 und 14/765) sollen "Nachteile in der Rentenversicherung von NS-Opfern durch eine gesetzliche Ergänzung des geltenden Rechts ausgeglichen werden" (vgl auch Volker Beck, Bürgerrechtspolitik von Bündnis 90 / Die Grünen in der 13. und 14. Legislaturperiode, Zeitschrift für Rechtspolitik 1999, S 85 ff).

Dieser in der Koalitionsvereinbarung nunmehr dokumentierte politische Wille der Bundesregierung wurde vom 5. und 13. Senat des BSG im Rahmen der zu erörternden Zulässigkeit einer richterlichen Rechtsfortbildung nicht miteinbezogen.

Schließlich ist noch von Bedeutung, daß die Regierung der Bundesrepublik Deutschland bei der Ablösung der Drei-Mächte-Vorbehalte zur Fortsetzung der Wiedergutmachung verpflichtet wurde (vgl Nr 4 Buchst c der Vereinbarung vom 27./28. September 1990 zu dem Vertrag über die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Drei Mächten sowie zu dem Vertrag zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen, BGBl 1990 II S 1386 ff).

Die Bundesrepublik Deutschland muß auch weiterhin darum bemüht sein, den Opfern nationalsozialistischer Verbrechen soweit als möglich bei der Bewältigung der individuellen Folgen des ihnen widerfahrenen schrecklichen Unrechts Hilfe zu leisten (vgl BT-Drucksache 13/7061). Die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts ist eine fortdauernde moralische Verpflichtung, dh ein Gebot der Moral und des Sittengesetzes (Artikel 2 Abs. 1 GG). Sie ist keineswegs Geschichte.

Angesichts der oben dargelegten Entwicklung der Wiedergutmachungsproblematik hinsichtlich der rentenrechtlichen Behandlung der NS-Zwangsarbeit und des sehr hohen Alters dieser geschundenen, ausgebeuteten, (wenn sie überhaupt überlebten) für ihr Leben geschädigten und zumeist verarmten Opfer ist nach der Auffassung der Kammer die Alternative, eine Regelung durch den Gesetzgeber abzuwarten, verfassungsrechtlich nicht geboten.

Das jahrzehntelange Untätigbleiben des parlamentarischen Gesetzgebers darf sich nicht noch weiter zu Lasten dieser Verfolgten auswirken. Diese Opfer, die sich seit Jahrzehnten um eine moralische, juristische und finanzielle Wiedergutmachung bemühen, können im Hinblick auf die ihnen während der nationalsozialistischen Diktatur zugefügten Menschenrechtsverletzungen und gravierendsten Einbußen an Gerechtigkeit nicht auf eine – möglicherweise nach langwierigen Gesetzgebungs- und Verwaltungsverfahren – noch ganz ungewisse (zukünftige) Intervention des Gesetzgebers in Form einer gesetzlichen Regelung verwiesen werden, die heute damit endlich aufgrund fundierter Gerechtigkeitsvorstellungen erforderlich, aber erst in der Zukunft zu erwarten ist.

Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Tatsache, daß es zwei Jahre nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland zwar immer noch kein Bundesgesetz zur Entschädigung nationalsozialistischer Verfolgter gab, aber der Bundestag bereits am 11. Mai 1951 das (Bundes-)Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen (BGBl I S 307) verabschiedete, das ua die Wiedereinstellung ehemaliger Angehöriger der NSDAP in den Staatsdienst regelte (vgl hierzu Jörg Friedrich, Die kalte Amnestie – NS-Täter in der Bundesrepublik, 1994, S 282 ff; Im Namen des Deutschen Volkes – Justiz und Nationalsozialismus, Katalog zur Ausstellung des Bundesministers der Justiz, 1989, S 353 ff; vgl auch den Überblick über die Gesetzgebung zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts bis zum Erlaß des BEG, in: Hermann-Josef Brodesser / Bernd Josef Fehn / Tilo Franosch / Wilfried Wirth, Wiedergutmachung und Kriegsfolgenliquidation: Geschichte – Regelungen- Zahlungen, 2000, S 1 ff; vgl Hildegard Hamm-Brücher, Streitfall "Wiedergutmachung", Blätter für deutsche und internationale Politik 2000, S 823 ff; Rolf Surmann, Kleine Geschichte der "Wiedergutmachung", Blätter für deutsche und internationale Politik 2000, S 585 ff; ders., Trugbild. Die deutsche Entschädigungsverweigerung gegenüber den NS-Opfern, in: Ulrike Winkler, Stiften gehen – NS-Zwangsarbeit und Entschädigungsdebatte, 2000, S 186 ff; Jörg Fisch, Reparationen und Entschädigung nach dem Zweiten Weltkrieg, Blätter für deutsche und internationale Politik 2000, S 687 ff; Beate Hugk, Finanzielle Entschädigung für NS-Verfolgte, Betreuungsrechtliche Praxis 1999, S 225 ff; Erich Blessin / Hans-Georg Ehrig / Hans Wilden, Bundesentschädigungsgesetze, 3. Auflage 1960, S 159 ff).

Darüber hinaus hat die Bundesregierung bereits angekündigt, daß die Entscheidung über die Form der Berücksichtigung der Zeiten der Zwangsarbeit in der Rentenversicherung erst nach dem endgültigen Abschluß der Verhandlungen zur Stiftung "Entschädigung für NS-Zwangsarbeit" nach einer intensiver Prüfung beabsichtigt ist (vgl BT-Drucksachen 14/1620 und 14/1786).

Nach alledem sind nach der Auffassung der Kammer für den Bereich der Wiedergutmachung im Rentenversicherungsrecht im Rahmen der Prüfung des Vorliegens eines rentenversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses bei den von jüdischen Verfolgten geleisteten Arbeiten die Kriterien der "Freiwilligkeit" und "Entgeltzahlung" untauglich und unbrauchbar, denn die nationalsozialistische Gewaltherrschaft zielte gerade aufgrund ihrer rassenideologischen Verblendung auf die Beseitigung dieser Kriterien ab.

Bei einer solchen Rechtsformverfehlung mit der vorsätzlichen Umgehung eines ganzen Normenkomplexes und mit der Verletzung der unveräußerlichen und unverletzlichen Menschenrechte ist im Rahmen des § 12 WGSVG in Verbindung mit § 1226 Abs 1 Nr. 1 RVO aF hinsichtlich der rentenversicherungsrechtlichen Systematik unter Zugrundelegung einer objektiven Betrachtungsweise zu prüfen, ob eine Tätigkeit verrichtet wurde, die in rechtsstaatlich geprägten Gesellschaften gewöhnlich von freien, bezahlten Arbeitskräften ausgeübt wird, dh ob im Ergebnis – auch wirtschaftlich gesehen – Erwerbsarbeit geleistet wurde.

Im Ergebnis ist dann das Zwangsarbeitsverhältnis hinsichtlich seiner rentenversicherungsrechtlichen Behandlung und Bewertung einem durch Vertrag begründeten Beschäftigungsverhältnis anzuerkennen und gleichzustellen (vgl zum Ganzen: Urteile des SG Düsseldorf vom 6. Februar 2001 - S 15 RJ 169/98 - und - S 15 RJ 229/97 -, vom 23. März 2000 – S 15 RJ 172/98 – und – S 15 RJ 50/98 - , vom 22. Februar 2000 – S 15 RJ 32/99 – und – S 15 RJ 201/98 -, vom 8. Juli 1999 – S 15 RJ 203/98 -, vom 28. Januar 1999 – S 15 RJ 124/98 -, - S 15 RJ 215/98 -, S 15 RJ 139/98 – und – S 15 RJ 186/98 -, vom 8. Dezember 1998 – S 15 RJ 100/98 -, vom 12. November 1998 – S 3 RJ 73/98 -, vom 21. Oktober 1998 – S 3 RJ 115/95 -, vom 8. Oktober 1998 – S 15 RJ 142/98 – Zentralblatt für Sozialversicherung, Sozialhilfe und Versorgung 1999, S 205 ff. – S 15 (10) RJ 163/96 -, S 15 RJ 209/97 – und – S 3 RJ 39/98 -, vom 20. August 1998 – S 3 RJ 80/93 -, sowie vom 18. August 1998 – S 15 RJ 263/95 -; Gerwin Udke, Keine Altersrente für Zwangsarbeit im Ghetto?, Arbeit und Arbeitsrecht 2000, S 42 f; Cornelius Pawlita, Anmerkung zu den Urteilen des BSG vom 21. April 1999 – B 5 RJ 48/98 R – und – B 5 RJ 46/98 -, Die Sozialgerichtsbarkeit 1999, S 717 ff; ders., Verfolgungsbedingte Zwangsarbeit im Nationalsozialismus, Arbeit und Recht, 1999, S 426, 435 f; ders., Neue Wege im rentenrechtlichen Wiedergutmachungsrecht – Zur Rechtsprechung des SG Düsseldorf (Zwangsarbeit in Ostoberschlesien), Zentralblatt für Sozialversicherung, Sozialhilfe und Versorgung 1999, S 71 ff; ders., Rentenversicherungsrechtliche Aspekte verfolgungsbedingter Zwangsarbeit im Nationalsozialismus, Zeitschrift für Sozialreform 1998, S 1 ff; ders., Rentenversicherungsrechtliche Aspekte verfolgungsbedingter Zwangsarbeit im Nationalsozialismus, in: Klaus Barwig / Günter Saathoff / Nicole Weyde, Entschädigung für NS-Zwangsarbeit, 1998, S 193 ff; ders., Beschäftigungszeiten im Ghetto Lodz, Die Urteile des Bundessozialgerichts vom 18. Juni 1997 – 5 RJ 66/95 und 68/95 -, Die Sozialversicherung 1998, S 90 ff; ders., Zur Anerkennung von Beschäftigungszeiten im Ghetto Lodz, Die Sozialgerichtsbarkeit 1997, S 413 f; ders., Die Anrechnung von Zwangsarbeit in der gesetzlichen Rentenversicherung, Zeitschrift für Sozialreform 1990, S 427 ff; ders., in Christine Fuchsloch / Stephan Niewald, NS-Zwangsarbeit im Rentenversicherungsrecht, Expertentagung der Forschungsstelle für Sozialrecht und Sozialpolitik, Universität Hamburg, am 18. April 1997, Die Sozialgerichtsbarkeit 1997, S 444 f; Gerhard Buschmann, Anmerkung zum Urteil des BSG vom 18. Juni 1997 – 5 RJ 66/95 -, Die Sozialgerichtsbarkeit 1998, S 319 f; Herbert Küpper, Die neuere Rechtsprechung in Sachen NS-Zwangsarbeit, Kritische Justiz 1998, S 246, 252 ff; Christine Fuchsloch, Die Entschädigung der Opfer des 2. Weltkriegs und des Nationalsozialismus – warum erst jetzt?, Streit 1998, S 107 ff; Waldemar Frank und Doris Großmann, in: Entschädigung für Zwangsarbeit, Öffentliche Anhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages am 14. Dezember 1989, Zur Sache 6/90, S 233 ff; Bernhard Blankenhorn, in: Wiedergutmachung und Entschädigung für nationalsozialistisches Unrecht, Öffentliche Anhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages am 24. Juni 1987, Zur Sache 3/87, S 252 ff; Arthur Bergmann, Fremd- und Zwangsarbeiter – Ansprüche nach dem Londoner Schuldenabkommen und in der Sozialversicherung, Rechtsprechung zum Wiedergutmachungsrecht 1979, S 41 ff; ders., Wiedergutmachung in der Sozialversicherung – Praxis und Rechtsprechung, Rechtsprechung zum Wiedergutmachungsrecht 1975, S 97, 100, 101; vgl auch die 1999 aufgekommene Diskussion der Rechtswegzuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen bei Klagen ehemaliger Zwangsarbeiter: Beschlüsse des BAG vom 16. Februar 2000 – 5 AZB 32/99, 58/99, 59/99, 68/99, 71/99 und 72/99 – Der Betrieb 2000, S 432, und vom 10. Mai 2000 – 5 AZB 3/00 -; Beschlüsse des OLG Hamm vom 2. Mai 2000 – 27 W 22/99 -, des Landesarbeitsgerichts (LAG) München vom 11. Januar 2000 – 5 Ta 446/99 – NZA-Rechtsprechungs-Report Arbeitsrecht 2000, S 155 ff und vom 2. August 1999 – 5 Ta 184/99 – Arbeit und Recht 1999, S 449 f, des LAG Nürnberg vom 18. August 1999 – 1 Ta 185/99 – Betriebs-Berater 1999, S 2251 f, des Hessischen LAG vom 16. Juli 1999 – 2 Ta 239/99 – Arbeit und Recht 1999, S 450 f, des Arbeitsgerichts (ArbG) Hannover vom 5. August 1999 – 10 CA 272/99, 273/99 und 295/99 – Arbeit und Recht 1999, S 451, des ArbG Nürnberg vom 9. Juni 1999 – 2 Ca 2226/99 – und des LG Bielefeld vom 5. August 1999 – 2 O 284/99 -; Claus Weber, Kein Arbeitsverhältnis ohne Arbeitsvertrag – die Rechtsprechung des BAG zu Zwangsarbeit und anderen Formen hoheitlich zugewiesener Beschäftigung, Arbeit und Recht 2001, S 12 ff; Wolf Klimpe-Auerbach, Deutsche Zivil- und Arbeitsgerichtsbarkeit und NS-Zwangsarbeit, in: Ulrike Winkler, Stiften gehen – NS-Zwangsarbeit und Entschädigungsdebatte, 2000, S 205 ff; ders., Keine Aufrechnung von Zwangsarbeit (Anmerkung zum Beschluss des ArbG Koblenz vom 7. Juli 1999 – 1 CA 1336/99 – Arbeit und Recht 1999, S 451 ff), Arbeit und Recht 1999, S 436; Achim Seifert, Anmerkung zum Beschluss des BAG vom 16. Februar 2000 – 5 AZB 71/99 – Arbeit und Recht 2000, S 230 f; Volker Hensel, Arbeitsgerichte zuständig in "Zwangsarbeiterfällen"?, Arbeit und Arbeitsrecht 1999, S 453 f; Hans-Joachim Bauschke, Anmerkung zum Beschluss des BAG vom 16. Februar 2000 – 5 AZB 71/99 – AR-Blattei ES 160.5.2 Nr 83).

Die Klägerin hat in der Zeit von Dezember 1941 bis März 1943 in der "Flachsroeste Lohhof" ohne jeden Zweifel eine Tätigkeit verrichtet, die in rechtsstaatlich geprägten Gesellschaften gewöhnlich von freien, bezahlten Arbeitskräften ausgeübt wird.

Die Kammer läßt es dahingestellt, ob für diese Beschäftigung der Klägerin Rentenversicherungsbeiträge zu einem Träger der Rentenversicherung tatsächlich abgeführt worden sind.

Die Beiträge sind jedenfalls gemäß § 12 WGSVG zu fingieren, weil das Unterbleiben einer entsprechenden Beitragsentrichtung angesichts der damals gegen die jüdischen Verfolgten gerichteten Unrechtsmaßnahmen ohne weiteres als aus verfolgungsbedingten Gründen anzusehen ist.

Diese Ansicht entspricht auch dem Ziel des Gesetzgebers bei Erlaß des WGSVG, das Recht der Wiedergutmachung so zu verbessern, daß den Sozialversicherten ein voller Ausgleich des Schadens ermöglicht wird, den sie durch Verfolgungsmaßnahmen in ihren Ansprüchen und Anwartschaften aus der gesetzlichen Renten- und Unfallversicherung erlitten haben (vgl hierzu Schriftlicher Bericht des 10. Ausschusses über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung der Vorschriften über die Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung, BR-Drucksache VI/1449 S 1; vgl auch Urteile des BSG vom 18. Juni 1997 – 5 RJ 66/95 – SozR 3 – 2200 § 1248 Nr 15 und – 5 RJ 68/95 – Zentralblatt für Sozialversicherung, Sozialhilfe und Versorgung 1998, 19 f).

Schließlich kann es auch dahinstehen, ob die Klägerin hinsichtlich des hier streitigen Zeitraumes einen Antrag nach dem am 12. August in Kraft getretenen Gesetz zur Errichtung einer Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" vom 2. August 2000 (BGBl I S. 1263) stellen wird (vgl zum "Stiftungsgesetz": BR-Drucksache 387/00, BT-Plenarprotokolle 14/115, 14/114 und 14/100 sowie BT-Drucksachen 14/3790, 14/3759, 14/3758, 14/3744, 14/3557, 14/3459, 14/3206 und 14/2896; "Die Umsetzung des Stiftungsgesetzes in die Praxis", Materialien zur Informations- und Arbeitstagung der Bundesstiftung mit den Verbänden der NS-Opfer in Deutschland am 16. März 2001; vgl die ausführliche Dokumentation des Verlaufs der erst 54 Jahren nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges begonnenen, monatelangen, äußerst schwierigen und zähen Verhandlungen, (http://www.Yahoo.de), ( Stichwort Yahoo! Spezial – Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern; Andreas Mink, Zwangsarbeiter – Der Streit um die Entschädigung von NS-Zwangsarbeitern 1950 – 1999, 2001; Matthias Arning, Späte Abrechnung. Über Zwangsarbeiter, Schlußstriche und Berliner Verständigungen, 2001; Hans Günter Hockerts, Wiedergutmachung in Deutschland. Eine historische Bilanz 1945 – 2000, Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 2001, Heft 2; Peter Reichel, Vergangenheitsbewältigung in Deutschland: Die Auseinandersetzung mit der NS-Diktatur von 1945 bis heute, 2001, S 81 ff; Michael Naumann, Biete Milliarden, suche Rechtsfrieden – Warum deutsche Unternehmer sich vor dem Fonds für Zwangsarbeiter drücken wollen, in: Die Zeit, Nr. 12 vom 15. März 2001, S 1; Wolfgang Gerhard, Das Gesetz zur Errichtung einer Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" vom 2. August 2000 und seine Auswirkungen auf Ansprüche nach den Wiedergutmachungsregelungen der gesetzlichen Rentenversicherung, Mitteilungen der LVA Rheinprovinz 2001, S 36 ff; Konrad Leube, Gesetz zur Errichtung einer Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" – Zwangsarbeit und Sozialversicherung, Neue Zeitschrift für Sozialrecht 2001, S 80 ff; Hugo Hahn, Individualansprüche auf Wiedergutmachung von Zwangsarbeit im Zweiten Weltkrieg – Das Entschädigungsgesetz vom 2.8.2000, Neue Juristische Wochenschrift 2000, S 3521 ff; Roland Jeske, Hochrechnung heute noch lebender osteuropäischer Zwangsarbeiter des Dritten Reiches, (http://www.uni-konstanz.de/FuF/wiwi/heiler/hochrechnung.html); Mark Spoerer, Wieviele ehemalige und möglicherweise entschädigungsberechtigte Zwangsarbeiter werden im Jahr 2000 noch leben, (http://www.nsberatung.de/doku/ueberleben/spoerer-text2.htm); ders., Schätzung der Zahl, der im Jahr 2000 überlebenden Personen, die auf dem Gebiet der Republik Österreich zwischen 1939 und 1945 als Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen eingesetzt waren, Gutachten für die Historikerkommission der Republik Österreich vom 23. Januar 2000,(http://www.historikerkommission.gv.at); Karl D. Bredthauer, Wenn Wohl-Täter stiften gehen, Blätter für deutsche und internationale Politik 2000, S 674 ff; Lothar Evers, Kompromiß ohne Verantwortung, Blätter für deutsche und internationale Politik 2000, S 263 ff; ders., Wie sich deutsche Unternehmen aus ihrer Verantwortung für Zwangsarbeit stehlen wollen, (http://www.hagalil.com/archiv/99/11/evers.htm); Stephen Remcke, NS-Zwangsarbeit abgehandelt, Forum Recht 2000, S 56 ff; Cord Brügmann, "Wiedergutmachung" und Zwangsarbeit – Juristische Anmerkungen zur Entschädigungsdebatte, in: Wolfgang Benz / Barbara Distel, Dauchauer Hefte – Studien und Dokumente der nationalsozialistischen Konzentrationslager, Heft 16 (November 2000), Zwangsarbeit, S 177 ff; Hermann Unterhinninghofen, Entschädigung von Zwangsarbeit – Gerechtigkeit für die ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, Rede vom 11. Mai 2000 in Hannover, (http://www.nananet.de/bwdag/Neu/Zwangsarbeit/vortrag1.htm); Christine Raedler, Zwangsarbeit und Entschädigung oder: die Realität moralischer Verantwortung, (http://www.uni-marburg.de/dir/MATERIAL/DOKU/DIV/entschaedigung.html); "Entschädigung für Zwangsarbeit sofort"-Internationales Hearing am 13. November 1999, (http://www.2pds-online.de/bt/themen/9912/99121304.htm); Wolfgang Philipp, Darf der Vorstand zahlen? – Die Zwangsarbeiter und das Aktienrecht, Die Aktiengesellschaft 2000, S 62 ff; ders., Entschädigung von Zwangsarbeitern im rechtsfreien Raum? – Notizen zu einem Gesetzentwurf, Die Aktiengesellschaft 2000, S 353 ff; Beschlüsse des BGH vom 30. November 2000 – III ZB 46/00 -, des OLG Koblenz vom 30. Oktober 2000 – 10 W 542/00 – OLGR Koblenz 2001, S 30 ff, des OLG Hamm vom 27. Oktober 2000 – 9 W 47/00 – Neue Juristische Wochenschrift 2000, S 3577 ff, des OLG Bamberg vom 17. Oktober 2000 – 3 W 86/00 – sowie des OLG München vom 31. August 2000 – 5 W 2096/00 – OLGR München 2000, S 335 ff und vom 23. Oktober 2000 – 5 W 2096/00-).

Aus dem Regelungszusammenhang des § 16 Abs 1 mit § 16 Abs 3 dieses Gesetzes in Verbindung mit Nr 14 der Anlage A zum Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika über die Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" ergibt sich, daß von dem nach § 16 Abs 2 dieses Gesetzes zu erklärende Verzicht leistungsrechtliche Ansprüche aus der Sozialversicherung nicht erfaßt werden, da nach Abs 3 dieser Vorschrift weitergehende Wiedergutmachungs- und Kriegsfolgenregelungen nicht berührt werden (vgl BT-Drucksachen 14/3206, S 17 f und 14/3758, S 26).

Die Zeiten von Dezember 1941 bis März 1943 sind demnach als glaubhaft gemachte (fiktive) Beitragszeiten anzuerkennen.

Nach § 44 Abs 4 Sätze 1 und 3 SGB X kann die Klägerin die rückwirkende Zahlung der Regelaltersrente nur längstens für den dort bestimmten Zeitraum von vier Jahren beanspruchen. Da die Klägerin die Rücknahme im April 1996 beantragt hat, beginnt der Zeitraum mit dem 1. Januar 1992 (vgl zur Vereinbarkeit von § 44 Abs. 4 SGB X in seiner Auswirkung auf Rentenansprüche mit Art 14 GG: Urteil des BSG vom 23. Juli 1986 – 1 RA 31/85SozR 1300 § 44 Nr 23).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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