Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 3 U 335/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 422/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 29. Juni 2000 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten um die Feststellung der Lendenwirbelsäulenerkrankung des Klägers als Berufskrankheit.
Der 1933 geborene Kläger war nach seinen Angaben von 1948 bis 1994 als Bierfahrer tätig, davon ca. 50 % im Güternahverkehr und 50 % im Güterfernverkehr. Dabei war er bis 31.12.1978 als Unternehmer bzw. Mitunternehmer tätig und nicht bei der Beklagten versichert. Vom 01.01.1979 an war er als Arbeitnehmer beschäftigt und gab diese Tätigkeit im Jahre 1994 auf.
Der Technische Aufsichtsdienst der Beklagten ging davon aus, dass der Kläger in seiner Tätigkeit in den Jahren 1979 bis 1994 die arbeitstechnischen Voraussetzungen zum Entstehen einer Berufskrankheit nach Nr.2108 der Anlage zur BKVO erfüllt habe. Während der Kläger auf Befragen gegenüber der Beklagten angab, die Erkrankung der Wirbelsäule, der Schulter und Arme habe sich erstmals im November 1994 bemerkbar gemacht, ergibt sich aus den Behandlungsunterlagen und Auskünften des behandelnden Arztes Dr.H. , bei dem der Kläger seit 19.07.1980 in Behandlung war, dass erstmals am 10.05.1983 Verordnungen wegen eines BWS-Syndroms und am 08.07.1986 eine Verordnung von Massagen bei BWS-LWS-Syndrom stattgefunden hatten.
Die Beklagte holte ein Gutachten von dem Orthopäden Dr. G. vom 12.02.1998 ein. Der Sachverständige ging davon aus, dass seit dem 30.12.1987 von nahezu regelmäßig auftretenden so genannten Lumbalsyndromen bzw. Lumboischialgien berichtet werde. Die 10-Jahresgrenze für die rezidivierenden Kreuzschmerzen sei somit gegeben. Gegen die Annahme einer Berufskrankheit Nr.2108 spreche, dass der Kläger an der Halswirbelsäule bandscheibenbedingte Veränderungen aufweise. Hinzu komme ein geringfügiger Schiefwuchs der Lendenwirbelsäule. Technisch könne eine die gesamte Lendenwirbelsäule betreffende mäßige Spondylosis deformans und Osteochondrosis, d.h. eine Bandscheibenschädigung mit konsekutiver Spondylosis nachgewiesen werden. Die beschriebenen Veränderungen überschritten eindeutig nicht den Alterserwartungswert. Insgesamt bestehe beim Kläger eine chronische myos- tatische Wirbelsäuleninsuffizienz bei mäßigem Rundrücken und leichtem Schiefwuchs der Lendenwirbelsäule. Es handle sich nicht um eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule.
Mit Bescheid vom 12.05.1998 lehnte die Beklagte einen Entschädigungsanspruch wegen der Wirbelsäulenbeschwerden des Klägers ab. Den anschließenden Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 16.09.1998 als unbegründet zurück.
Im anschließenden Klageverfahren hat der Kläger die Feststellung einer Berufskrankheit Nr.2108 der Anlage zur BKVO und die entsprechenden Leistungen begehrt.
Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens auf chirurgisch-orthopädischem Fachgebiet durch Prof.Dr.S. vom 05.01.2000. Der Sachverständige kommt zu dem Ergebnis, die Veränderungen an der Brust- und Lendenwirbelsäule seien alterstypisch, d.h. also nicht stärker, als man sie bei einem jetzt 66-jährigen Mann erwarten sollte. Hinweise auf eine bandscheibenbedingte Erkrankung im Bereich der Lendenwirbelsäule fänden sich nicht, die Zwischenwirbelräume seien normal weit, reaktive Veränderungen, wie man sie bei Bandscheibenschäden sehe, ließen sich im Lendenwirbelsäulenbereich nicht nachweisen. Eine besondere Betroffenheit einzelner Lendenwirbelsäulensegmente von Verschleißerscheinungen erkenne man nicht. Es bestehe also weder klinisch noch radiologisch ein Hinweis, dass es sich um eine bandscheibenbedingte Erkankung der Lendenwirbelsäule handle. Klinisch fänden sich keine Gefühlsstörungen oder Muskelatrophien, welche für einen Bandscheibenvorfall im Lendenwirbelsäulenbereich sprächen, aus den Akten gingen bisher keine Untersuchungsbefunde hervor, welche eine bandscheibenbedingte Erkrankung im Lendenwirbelsäulenbereich vermuten ließen. Wolle man dieser Aussage nachgehen, so müsse man ein Kernspintomogramm der LWS fertigen, auf diese Untersuchung habe der Sachverständige jedoch verzichtet, da keine Anhaltspunkte für eine bandscheibenbedingte Erkrankung bestünden, welche über das altersentsprechende Maß hinausgehe. Die Verschleißerscheinungen an der Wirbelsäule des Klägers beträfen überwiegend die mittlere und untere Halswirbelsäule, während die Lendenwirbelsäule nur verhältnismäßig geringe Verschleißerscheinungen erkennen lasse, welche altersentsprechend seien. Auch sei die Bewegungseinschränkung der Lendenwirbelsäule nur gering, eine Schober sche Zahl von 10 bis 14 cm bei der Rumpfbeugung sei altersentsprechend. Der Sachverständige könne nicht feststellen, dass durch die Berufstätigkeit eine so genannte "Linksverschiebung" (d.h. altersvorauseilende Entwicklung) des Verschleißleidens an der Lendenwirbelsäule aufgetreten sei. Es sei zu berücksichtigen, dass Verschleißerscheinungen an der Lendenwirbelsäule eine Volkskrankheit seien, also auch bei Patienten über 45 bis 50 Jahren aufträten, welche zeitlebens nie schwer gehoben oder getragen hätten. Ein Bandscheibenleiden an der Lendenwirbelsäule sei bisher nie nachgewiesen worden, ein vorzeitiger Verschleiß der Lendenwirbelsäule lasse sich radiologisch nicht feststellen. Im Übrigen müsse man davon ausgehen, dass ein altersentsprechender Gelenkverschleiss vorliege, der nicht nur die Lendenwirbelsäule betreffe, sondern nach Angaben des Patienten auch zu Gelenkschmerzen an sämtlichen Arm- und Beingelenken führe. Die medizinischen Voraussetzungen für die Anerkennung eines Bandscheibenleidens an der Lendenwirbelsäule lägen also nicht vor, hiergegen spreche das Verteilungsmuster der Verschleißerscheinungen an der Wirbelsäule und das Fehlen von Verschleißerscheinungen an sämtlichen Lendenwirbelsäulensegementen, welche auf ein bandscheibenbedingtes Leiden in diesem Bereich hindeuteten und welche stärker seien als man es nach dem Lebensalter des Patienten erwarten sollte.
Mit Urteil vom 29.06.2000 hat das Sozialgericht die Klage als unbegründet abgewiesen und sich in der Begründung auf das Gutachten des Sachverständigen Prof.Dr.S. gestützt.
Mit seiner hiergegen eingelegten Berufung verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG hat der Senat ein Gutachten von dem Orthopäden Dr.V. vom 16.05.2002 eingeholt. Der Sachverständige kommt zu dem Ergebnis, es liege eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule vor. Es seien eindeutige Veränderungen im Sinne von Bandscheibenprotrusionen mit deutlicher Höhenminderung mit teilweiser Dehydratation in den Etagen L1/2, L2/3 und L3/4 nachweisbar. Das gleichzeitige Vorhandensein von Chondrose und Spondylose mit gleichzeitigem Auftreten von Facettenreizung weise auf eine deutliche biomechanische Überlastungskomponente hin. Aus den alten Röntgenbildern sei eine Beurteilung der Bandscheiben, Facettengelenke und des Spinalkanals nur schwer durchzuführen. Der Kläger erfülle die für die Kausalität notwendigen Vorgaben, er sei Transportarbeiter gewesen und es habe eine Dispositionszeit von über zehn Jahren bestanden und die entsprechende Belastung habe stattgefunden. Auch die medizinische Diagnose sei erfüllt, anamnestisch, klinisch und röntgenologisch liege ein Wirbelsäulenschaden u.a. sowohl an der LWS als auch an der HWS vor. Die Ausprägung des Schadens u.a. in Höhe L2/3 sei relevant, weil LWK 3 ein Punctum mobile für die vom Sakrum und vom Darmbein aufsteigenden Muskeln und das Punctum fixum für die vom thorakalen Bereich absteigenden Muskeln sei. Diese absteigenden Muskeln seien u.a. auch so genannte Atemhilfsmuskeln, welche bei anstrengender Tätigkeit zur Brustkorb- und Schulterstabilisierung notwendig seien. Somit werde dieses Segment überdurchschnittlich belastet und zeige wie in diesem Fall die meisten morphologischen Veränderungen. Dem gleichzusetzen seien die Veränderungen im Bereich der HWS, hier seien auch die größten Veränderungen in Höhe C5/6 mit neurologisch nachgewiesenem Erkrankungsbild zu finden. Die Folge sei eine verschlechterte Ansteuerbarkeit des oberen Schultergürtels, die so entstandene Bewegungseinschränkung in den Schultern werde über eine kompensierte Bewegung in der oberen LWS nach hinten ausgeglichen. Die Beziehung der einzelnen Muskelgruppen und Wirbelsäulensegmente untereinander seien größtenteils bekannt. Es zeige sich, dass Kompensationsmechanismen entstünden, welche zu einer fortschreitenden muskulären Dekonditionierung mit Chronifizierung der Beschwerden führten. Aus der Sicht der Entwicklungskinesiologie sei auch zu verstehen, warum auch Personen ohne ähnliche Arbeitsdisposition wie der Kläger ähnliche Beschwerden bei unterschiedlichen Veränderungen entwickeln könnten, jedoch basiere dies dann auf einer angeborenen oder im Rahmen des normalen Alterungsprozesses zunehmenden, motorischen Diskoordination. Zur Frage des Zwanges zur Arbeitsaufgabe führt der Sachverständige aus, wenn eine Berentung mit 63 Jahren stattgefunden habe, dann sei es allerhöchste Zeit gewesen. Die Rente sei eine logische Schlussfolgerung aus dem Krankheitsbild, um den Kläger vor weiteren berufsbedingten Schädigungen zu schützen. Die Erkrankung beim Kläger zeige der Altersnorm vorauseilende, arbeitstypische, morphologische Veränderungen und Beschwerden, welche mehrheitlich auf seine frühere berufliche Tätigkeit zurückzuführen seien. Damit sei der Tatbestand der Berufskrankheit Nr.2108 erfüllt.
Hierzu hat die Beklagte eine beratungsärztliche Stellungnahme der Chirurgin Dr.H. vom 19.07.2002 vorgelegt. Die Sachverständige geht von denselben Beurteilungskriterien für den Kausalzusammenhang bei einer berufsbedingten Lendenwirbelsäulenerkrankung aus wie die Sachverständigen Dr.G. und Prof.Dr.S ... Sie kommt zu dem Ergebnis, an der Halswirbelsäule, deren berufliche Belastungsvoraussetzungen für die Annahme einer Berufskrankheit hier nicht gegeben seien, lägen wesentlich deutlichere Veränderungen vor als an der Lendenwirbelsäule. Eine bandscheibenbedingte Erkrankung im eigentlichen Sinne sei nur an der Halswirbelsäule gesichert, hier bestehe ein Bandscheibenvorfall, nicht an der Lendenwirbelsäule. Die vorgefundenen degenerativen bandscheibenbedingten Veränderungen an der Lendenwirbelsäule seien nicht im Sinne einer Linksverschiebung zu interpretieren. Das Schadensbild sei nicht belastungskonform, d.h. die am stärksten belasteten Segmente, die unteren Segmente, wiesen hier geringere Veränderungen auf, als die darüber geschalteten Segmente. Zusammengefasst sprächen damit ganz gravierende Argumente gegen den Zusammenhang. Das Gutachten des Dr.V. sei nicht nachvollziehbar. Unter anderem werde auf den Sachverhalt, dass an der Halswirbelsäule wesentlich deutlichere Veränderungen vorlägen als an der Lendenwirbelsäule, nicht eingegangen, dieser Aspekt werde nicht gewürdigt. Es werde auch keine Positiv- und Negativkriterienliste zusammengefasst.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 29.06.2000 aufzuheben und die Beklagte untr Aufhebung des Bescheids vom 12.05.1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.09.1998 zu verurteilen, eine Berufskrankheit im Sinne der Nr.2108 der Anlage zu BKVO festzustellen und die daraus resultierenden Leistungen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Zum Verfahren beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung sind die Akte der Beklagten und die Akte des Sozialgerichts Augsburg in dem vorangegangenen Klageverfahren. Auf ihren Inhalt und das Ergebnis der Beweisaufnahme wird ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die vom Kläger form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig; eine Beschränkung der Berufung nach § 144 SGG besteht nicht.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet, denn die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, die Lendenwirbelsäulenerkrankung des Klägers als Berufskrankheit festzustellen und zu entschädigen.
Die Entscheidung richtet sich auch im Berufungsverfahren nach den bis zum 31.12.1996 geltenden Vorschriften der RVO, weil der vom Kläger geltend gemachte Versicherungsfall mit der Arbeitsaufgabe vor dem 01.01.1997 eingetreten wäre und über Leistungen erstmals für einen davorliegenden Zeitraum zu entscheiden gewesen wäre (§§ 212, 214 Abs.3 SGB VII).
Der Senat weist die Berufung aus den Gründen des angefochtenen Urteils des Sozialgerichts Augsburg als unbegründet zurück und sieht nach § 153 Abs.2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab. Der Senat stützt seine Entscheidung darüber hinaus auf die Gutachten des Dr.G. und der Dr.H. , die, auch wenn sie von der Beklagten eingeholt worden sind, der gerichtlichen Entscheidung zugrunde gelegt werden können (vgl. BSG SozR Nr.66 zu § 128 SGG). Diese Sachverständigengutachten folgen denselben Beurteilungskriterien wie das Gutachten des Sachverständigen Prof.Dr.S. und stützen dessen gutachterliche Einschätzung. Hierbei gehen die Sachverständigengutachten des Dr.G. und des Prof.Dr.S. zugunsten des Klägers zu Unrecht davon aus, dass erste LWS-Beschwerden bzw. Lumboischialgien nach einer Belastungszeit von zehn Jahren aufgetreten seien. Behandlungen wegen eines LWS-Syndroms ergeben sich bereits aus dem Jahre 1986 und akute Lumboischialgien sind seit 1987 dokumentiert. Für das hier zu beurteilende Vorliegen einer Berufskrankheit dürfen jedoch nur Tätigkeiten des Klägers seit 01.01.1979 berücksichtigt werden, weil der Kläger in seinen vorherigen belastenden Tätigkeiten nicht versichert war. Dass die Belastungen des Klägers in dem davor liegenden Zeitraum als versicherungsfremde konkurrierende Einwirkungen hätten gewertet werden müssen, war für diese Gutachten ebenso wie für das Gutachten der Dr.H. nach der Art der medizinischen Feststellungen und der übrigen konkurrierenden Ursachen konsequenterweise nicht mehr von Bedeutung.
Der Senat kann das Gutachten des Dr.V. ebenso wie die Sachverständige Dr.H. logisch nicht nachvollziehen. Weder ist darin nachvollziehbar begründet, warum eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule überhaupt vorliegt, warum der Befund an der Lendenwirbelsäule altersvorauseilend ist, wie die belastenden Arbeiten physiologisch zu einer Schädigung der Lendenbandscheiben und Lendenwirbelsäule führen und warum der Kläger angesichts der weitaus gravierenderen Schädigungen der Halswirbelsäule und seines fortgeschrittenen Alters gerade wegen der Schädigungen der Lendenwirbelsäule wesentlich gezwungen war, die potentiell belastenden Tätigkeiten aufzugeben. Darüber hinaus hätte es bei dem Hinweis des Sachverständigen auf dieselbe Entwicklung des Beschwerdebildes der Lendenwirbelsäule im Rahmen des normalen Alterungsprozesses einer besonderen Begründung bedurft, warum bei gleicher Krankheitsentwicklung im vorliegenden Fall die beruflichen Belastungen wesentliche Mitursache gewesen sind. Abweichend von der ausdrücklichen Fragestellung für den Sachverständigen fehlt es in seinem Gutachten darüber hinaus bei der Benennung der früheren beruflichen Tätigkeit an einer Abgrenzung zwischen den Belastungen vor 1979 und ab dann.
Die Berufung war deshalb nicht begründet.
Die Entscheidung über die Kosten stützt sich auf § 193 SGG und folgt der Erwägung, dass der Kläger in beiden Rechtszügen nicht obsiegt hat.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten um die Feststellung der Lendenwirbelsäulenerkrankung des Klägers als Berufskrankheit.
Der 1933 geborene Kläger war nach seinen Angaben von 1948 bis 1994 als Bierfahrer tätig, davon ca. 50 % im Güternahverkehr und 50 % im Güterfernverkehr. Dabei war er bis 31.12.1978 als Unternehmer bzw. Mitunternehmer tätig und nicht bei der Beklagten versichert. Vom 01.01.1979 an war er als Arbeitnehmer beschäftigt und gab diese Tätigkeit im Jahre 1994 auf.
Der Technische Aufsichtsdienst der Beklagten ging davon aus, dass der Kläger in seiner Tätigkeit in den Jahren 1979 bis 1994 die arbeitstechnischen Voraussetzungen zum Entstehen einer Berufskrankheit nach Nr.2108 der Anlage zur BKVO erfüllt habe. Während der Kläger auf Befragen gegenüber der Beklagten angab, die Erkrankung der Wirbelsäule, der Schulter und Arme habe sich erstmals im November 1994 bemerkbar gemacht, ergibt sich aus den Behandlungsunterlagen und Auskünften des behandelnden Arztes Dr.H. , bei dem der Kläger seit 19.07.1980 in Behandlung war, dass erstmals am 10.05.1983 Verordnungen wegen eines BWS-Syndroms und am 08.07.1986 eine Verordnung von Massagen bei BWS-LWS-Syndrom stattgefunden hatten.
Die Beklagte holte ein Gutachten von dem Orthopäden Dr. G. vom 12.02.1998 ein. Der Sachverständige ging davon aus, dass seit dem 30.12.1987 von nahezu regelmäßig auftretenden so genannten Lumbalsyndromen bzw. Lumboischialgien berichtet werde. Die 10-Jahresgrenze für die rezidivierenden Kreuzschmerzen sei somit gegeben. Gegen die Annahme einer Berufskrankheit Nr.2108 spreche, dass der Kläger an der Halswirbelsäule bandscheibenbedingte Veränderungen aufweise. Hinzu komme ein geringfügiger Schiefwuchs der Lendenwirbelsäule. Technisch könne eine die gesamte Lendenwirbelsäule betreffende mäßige Spondylosis deformans und Osteochondrosis, d.h. eine Bandscheibenschädigung mit konsekutiver Spondylosis nachgewiesen werden. Die beschriebenen Veränderungen überschritten eindeutig nicht den Alterserwartungswert. Insgesamt bestehe beim Kläger eine chronische myos- tatische Wirbelsäuleninsuffizienz bei mäßigem Rundrücken und leichtem Schiefwuchs der Lendenwirbelsäule. Es handle sich nicht um eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule.
Mit Bescheid vom 12.05.1998 lehnte die Beklagte einen Entschädigungsanspruch wegen der Wirbelsäulenbeschwerden des Klägers ab. Den anschließenden Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 16.09.1998 als unbegründet zurück.
Im anschließenden Klageverfahren hat der Kläger die Feststellung einer Berufskrankheit Nr.2108 der Anlage zur BKVO und die entsprechenden Leistungen begehrt.
Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens auf chirurgisch-orthopädischem Fachgebiet durch Prof.Dr.S. vom 05.01.2000. Der Sachverständige kommt zu dem Ergebnis, die Veränderungen an der Brust- und Lendenwirbelsäule seien alterstypisch, d.h. also nicht stärker, als man sie bei einem jetzt 66-jährigen Mann erwarten sollte. Hinweise auf eine bandscheibenbedingte Erkrankung im Bereich der Lendenwirbelsäule fänden sich nicht, die Zwischenwirbelräume seien normal weit, reaktive Veränderungen, wie man sie bei Bandscheibenschäden sehe, ließen sich im Lendenwirbelsäulenbereich nicht nachweisen. Eine besondere Betroffenheit einzelner Lendenwirbelsäulensegmente von Verschleißerscheinungen erkenne man nicht. Es bestehe also weder klinisch noch radiologisch ein Hinweis, dass es sich um eine bandscheibenbedingte Erkankung der Lendenwirbelsäule handle. Klinisch fänden sich keine Gefühlsstörungen oder Muskelatrophien, welche für einen Bandscheibenvorfall im Lendenwirbelsäulenbereich sprächen, aus den Akten gingen bisher keine Untersuchungsbefunde hervor, welche eine bandscheibenbedingte Erkrankung im Lendenwirbelsäulenbereich vermuten ließen. Wolle man dieser Aussage nachgehen, so müsse man ein Kernspintomogramm der LWS fertigen, auf diese Untersuchung habe der Sachverständige jedoch verzichtet, da keine Anhaltspunkte für eine bandscheibenbedingte Erkrankung bestünden, welche über das altersentsprechende Maß hinausgehe. Die Verschleißerscheinungen an der Wirbelsäule des Klägers beträfen überwiegend die mittlere und untere Halswirbelsäule, während die Lendenwirbelsäule nur verhältnismäßig geringe Verschleißerscheinungen erkennen lasse, welche altersentsprechend seien. Auch sei die Bewegungseinschränkung der Lendenwirbelsäule nur gering, eine Schober sche Zahl von 10 bis 14 cm bei der Rumpfbeugung sei altersentsprechend. Der Sachverständige könne nicht feststellen, dass durch die Berufstätigkeit eine so genannte "Linksverschiebung" (d.h. altersvorauseilende Entwicklung) des Verschleißleidens an der Lendenwirbelsäule aufgetreten sei. Es sei zu berücksichtigen, dass Verschleißerscheinungen an der Lendenwirbelsäule eine Volkskrankheit seien, also auch bei Patienten über 45 bis 50 Jahren aufträten, welche zeitlebens nie schwer gehoben oder getragen hätten. Ein Bandscheibenleiden an der Lendenwirbelsäule sei bisher nie nachgewiesen worden, ein vorzeitiger Verschleiß der Lendenwirbelsäule lasse sich radiologisch nicht feststellen. Im Übrigen müsse man davon ausgehen, dass ein altersentsprechender Gelenkverschleiss vorliege, der nicht nur die Lendenwirbelsäule betreffe, sondern nach Angaben des Patienten auch zu Gelenkschmerzen an sämtlichen Arm- und Beingelenken führe. Die medizinischen Voraussetzungen für die Anerkennung eines Bandscheibenleidens an der Lendenwirbelsäule lägen also nicht vor, hiergegen spreche das Verteilungsmuster der Verschleißerscheinungen an der Wirbelsäule und das Fehlen von Verschleißerscheinungen an sämtlichen Lendenwirbelsäulensegementen, welche auf ein bandscheibenbedingtes Leiden in diesem Bereich hindeuteten und welche stärker seien als man es nach dem Lebensalter des Patienten erwarten sollte.
Mit Urteil vom 29.06.2000 hat das Sozialgericht die Klage als unbegründet abgewiesen und sich in der Begründung auf das Gutachten des Sachverständigen Prof.Dr.S. gestützt.
Mit seiner hiergegen eingelegten Berufung verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG hat der Senat ein Gutachten von dem Orthopäden Dr.V. vom 16.05.2002 eingeholt. Der Sachverständige kommt zu dem Ergebnis, es liege eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule vor. Es seien eindeutige Veränderungen im Sinne von Bandscheibenprotrusionen mit deutlicher Höhenminderung mit teilweiser Dehydratation in den Etagen L1/2, L2/3 und L3/4 nachweisbar. Das gleichzeitige Vorhandensein von Chondrose und Spondylose mit gleichzeitigem Auftreten von Facettenreizung weise auf eine deutliche biomechanische Überlastungskomponente hin. Aus den alten Röntgenbildern sei eine Beurteilung der Bandscheiben, Facettengelenke und des Spinalkanals nur schwer durchzuführen. Der Kläger erfülle die für die Kausalität notwendigen Vorgaben, er sei Transportarbeiter gewesen und es habe eine Dispositionszeit von über zehn Jahren bestanden und die entsprechende Belastung habe stattgefunden. Auch die medizinische Diagnose sei erfüllt, anamnestisch, klinisch und röntgenologisch liege ein Wirbelsäulenschaden u.a. sowohl an der LWS als auch an der HWS vor. Die Ausprägung des Schadens u.a. in Höhe L2/3 sei relevant, weil LWK 3 ein Punctum mobile für die vom Sakrum und vom Darmbein aufsteigenden Muskeln und das Punctum fixum für die vom thorakalen Bereich absteigenden Muskeln sei. Diese absteigenden Muskeln seien u.a. auch so genannte Atemhilfsmuskeln, welche bei anstrengender Tätigkeit zur Brustkorb- und Schulterstabilisierung notwendig seien. Somit werde dieses Segment überdurchschnittlich belastet und zeige wie in diesem Fall die meisten morphologischen Veränderungen. Dem gleichzusetzen seien die Veränderungen im Bereich der HWS, hier seien auch die größten Veränderungen in Höhe C5/6 mit neurologisch nachgewiesenem Erkrankungsbild zu finden. Die Folge sei eine verschlechterte Ansteuerbarkeit des oberen Schultergürtels, die so entstandene Bewegungseinschränkung in den Schultern werde über eine kompensierte Bewegung in der oberen LWS nach hinten ausgeglichen. Die Beziehung der einzelnen Muskelgruppen und Wirbelsäulensegmente untereinander seien größtenteils bekannt. Es zeige sich, dass Kompensationsmechanismen entstünden, welche zu einer fortschreitenden muskulären Dekonditionierung mit Chronifizierung der Beschwerden führten. Aus der Sicht der Entwicklungskinesiologie sei auch zu verstehen, warum auch Personen ohne ähnliche Arbeitsdisposition wie der Kläger ähnliche Beschwerden bei unterschiedlichen Veränderungen entwickeln könnten, jedoch basiere dies dann auf einer angeborenen oder im Rahmen des normalen Alterungsprozesses zunehmenden, motorischen Diskoordination. Zur Frage des Zwanges zur Arbeitsaufgabe führt der Sachverständige aus, wenn eine Berentung mit 63 Jahren stattgefunden habe, dann sei es allerhöchste Zeit gewesen. Die Rente sei eine logische Schlussfolgerung aus dem Krankheitsbild, um den Kläger vor weiteren berufsbedingten Schädigungen zu schützen. Die Erkrankung beim Kläger zeige der Altersnorm vorauseilende, arbeitstypische, morphologische Veränderungen und Beschwerden, welche mehrheitlich auf seine frühere berufliche Tätigkeit zurückzuführen seien. Damit sei der Tatbestand der Berufskrankheit Nr.2108 erfüllt.
Hierzu hat die Beklagte eine beratungsärztliche Stellungnahme der Chirurgin Dr.H. vom 19.07.2002 vorgelegt. Die Sachverständige geht von denselben Beurteilungskriterien für den Kausalzusammenhang bei einer berufsbedingten Lendenwirbelsäulenerkrankung aus wie die Sachverständigen Dr.G. und Prof.Dr.S ... Sie kommt zu dem Ergebnis, an der Halswirbelsäule, deren berufliche Belastungsvoraussetzungen für die Annahme einer Berufskrankheit hier nicht gegeben seien, lägen wesentlich deutlichere Veränderungen vor als an der Lendenwirbelsäule. Eine bandscheibenbedingte Erkrankung im eigentlichen Sinne sei nur an der Halswirbelsäule gesichert, hier bestehe ein Bandscheibenvorfall, nicht an der Lendenwirbelsäule. Die vorgefundenen degenerativen bandscheibenbedingten Veränderungen an der Lendenwirbelsäule seien nicht im Sinne einer Linksverschiebung zu interpretieren. Das Schadensbild sei nicht belastungskonform, d.h. die am stärksten belasteten Segmente, die unteren Segmente, wiesen hier geringere Veränderungen auf, als die darüber geschalteten Segmente. Zusammengefasst sprächen damit ganz gravierende Argumente gegen den Zusammenhang. Das Gutachten des Dr.V. sei nicht nachvollziehbar. Unter anderem werde auf den Sachverhalt, dass an der Halswirbelsäule wesentlich deutlichere Veränderungen vorlägen als an der Lendenwirbelsäule, nicht eingegangen, dieser Aspekt werde nicht gewürdigt. Es werde auch keine Positiv- und Negativkriterienliste zusammengefasst.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 29.06.2000 aufzuheben und die Beklagte untr Aufhebung des Bescheids vom 12.05.1998 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.09.1998 zu verurteilen, eine Berufskrankheit im Sinne der Nr.2108 der Anlage zu BKVO festzustellen und die daraus resultierenden Leistungen zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Zum Verfahren beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung sind die Akte der Beklagten und die Akte des Sozialgerichts Augsburg in dem vorangegangenen Klageverfahren. Auf ihren Inhalt und das Ergebnis der Beweisaufnahme wird ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die vom Kläger form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig; eine Beschränkung der Berufung nach § 144 SGG besteht nicht.
Die Berufung ist jedoch nicht begründet, denn die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, die Lendenwirbelsäulenerkrankung des Klägers als Berufskrankheit festzustellen und zu entschädigen.
Die Entscheidung richtet sich auch im Berufungsverfahren nach den bis zum 31.12.1996 geltenden Vorschriften der RVO, weil der vom Kläger geltend gemachte Versicherungsfall mit der Arbeitsaufgabe vor dem 01.01.1997 eingetreten wäre und über Leistungen erstmals für einen davorliegenden Zeitraum zu entscheiden gewesen wäre (§§ 212, 214 Abs.3 SGB VII).
Der Senat weist die Berufung aus den Gründen des angefochtenen Urteils des Sozialgerichts Augsburg als unbegründet zurück und sieht nach § 153 Abs.2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab. Der Senat stützt seine Entscheidung darüber hinaus auf die Gutachten des Dr.G. und der Dr.H. , die, auch wenn sie von der Beklagten eingeholt worden sind, der gerichtlichen Entscheidung zugrunde gelegt werden können (vgl. BSG SozR Nr.66 zu § 128 SGG). Diese Sachverständigengutachten folgen denselben Beurteilungskriterien wie das Gutachten des Sachverständigen Prof.Dr.S. und stützen dessen gutachterliche Einschätzung. Hierbei gehen die Sachverständigengutachten des Dr.G. und des Prof.Dr.S. zugunsten des Klägers zu Unrecht davon aus, dass erste LWS-Beschwerden bzw. Lumboischialgien nach einer Belastungszeit von zehn Jahren aufgetreten seien. Behandlungen wegen eines LWS-Syndroms ergeben sich bereits aus dem Jahre 1986 und akute Lumboischialgien sind seit 1987 dokumentiert. Für das hier zu beurteilende Vorliegen einer Berufskrankheit dürfen jedoch nur Tätigkeiten des Klägers seit 01.01.1979 berücksichtigt werden, weil der Kläger in seinen vorherigen belastenden Tätigkeiten nicht versichert war. Dass die Belastungen des Klägers in dem davor liegenden Zeitraum als versicherungsfremde konkurrierende Einwirkungen hätten gewertet werden müssen, war für diese Gutachten ebenso wie für das Gutachten der Dr.H. nach der Art der medizinischen Feststellungen und der übrigen konkurrierenden Ursachen konsequenterweise nicht mehr von Bedeutung.
Der Senat kann das Gutachten des Dr.V. ebenso wie die Sachverständige Dr.H. logisch nicht nachvollziehen. Weder ist darin nachvollziehbar begründet, warum eine bandscheibenbedingte Erkrankung der Lendenwirbelsäule überhaupt vorliegt, warum der Befund an der Lendenwirbelsäule altersvorauseilend ist, wie die belastenden Arbeiten physiologisch zu einer Schädigung der Lendenbandscheiben und Lendenwirbelsäule führen und warum der Kläger angesichts der weitaus gravierenderen Schädigungen der Halswirbelsäule und seines fortgeschrittenen Alters gerade wegen der Schädigungen der Lendenwirbelsäule wesentlich gezwungen war, die potentiell belastenden Tätigkeiten aufzugeben. Darüber hinaus hätte es bei dem Hinweis des Sachverständigen auf dieselbe Entwicklung des Beschwerdebildes der Lendenwirbelsäule im Rahmen des normalen Alterungsprozesses einer besonderen Begründung bedurft, warum bei gleicher Krankheitsentwicklung im vorliegenden Fall die beruflichen Belastungen wesentliche Mitursache gewesen sind. Abweichend von der ausdrücklichen Fragestellung für den Sachverständigen fehlt es in seinem Gutachten darüber hinaus bei der Benennung der früheren beruflichen Tätigkeit an einer Abgrenzung zwischen den Belastungen vor 1979 und ab dann.
Die Berufung war deshalb nicht begründet.
Die Entscheidung über die Kosten stützt sich auf § 193 SGG und folgt der Erwägung, dass der Kläger in beiden Rechtszügen nicht obsiegt hat.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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