Land
Hessen
Sozialgericht
SG Gießen (HES)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Gießen (HES)
Aktenzeichen
S 1 U 794/97
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 01.11.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.04.1997 verurteilt, bei dem Kläger die Berufskrankheit Nr. 2108 der Anlage der Berufskrankheiten-Verordnung anzuerkennen und ihm eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 v. H. ab 01.01.1997 zu zahlen.
2. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Anerkennung der Berufskrankheit (BK) Nr. 2108 (bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule -LWS-) beim Kläger sowie die Zahlung einer Verletztenrente.
Der 1937 geborene Kläger arbeitete zunächst nach der Schulentlassung in der elterlichen Landwirtschaft, war dann etwa ein ¾ Jahr bei einer Baustoff-Firma beschäftigt und anschließend vom 15.05.1965 bis zum 10.12.1996 bei der Firma C., einem Mitgliedsunternehmen der Beklagten, als Bauhelfer. Aufgrund eines Bandscheibenvorfalls im Sommer 1995 mit anschließender Operation war er zunächst arbeitsunfähig, danach arbeitslos und ist mittlerweile Rentner.
Nach einer ärztlichen BK-Anzeige der Neurologischen Klinik Bad Salzhausen vom 20.10.1995 nahm die Beklagte als zuständiger Unfallversicherungsträger ihre Ermittlungen auf und zog bei:
• Auskünfte des Klägers,
• eine Auskunft der Firma C.,
• eine Stellungnahme ihres Technischen Aufsichtsdienstes (TAD) vom 21.02.1995, der unter Bezugnahme auf die Belastungsdokumentation "Bauhelfer/-werker Hoch- und Tiefbau" die beruflichen Voraussetzungen für die BK Nr. 2108 beim Kläger bejahte, die für die BK Nr. 2109 verneinte,
• das Vorerkrankungsverzeichnis des Klägers von dessen Krankenkasse,
• die ärztlichen Unterlagen der behandelnden Ärzte (Neurologische Klinik Bad Salzhausen, Hausarzt Dr. D., Orthopädische Klinik Braunfels, Städtisches Klinikum Fulda, Dr. E., zum Teil mit weiteren ärztlichen Unterlagen),
• eine Stellungnahme ihres Beratungsarztes Dr. F., der ein belastungsadäquates Schadensbild verneinte,
• eine Stellungnahme des Landesgewerbearztes, der anregte, ein Gutachten einzuholen.
Mit Bescheid vom 01.11.1996 lehnte die Beklagte beim Kläger die Anerkennung einer BK Nr. 2108 ab, weil die medizinischen Voraussetzungen nicht erfüllt seien, die einer BK Nr. 2109, weil die beruflichen nicht erfüllt seien.
Der hiergegen am 25.11.1996 eingelegte Widerspruch wurde nach Einholung einer Stellungnahme von Dr. G. vom 26.02.1997, der ebenfalls ein typisches Schadensbild verneinte und auf konkurrierende Ursachen verwies, mit Widerspruchsbescheid vom 10.04.1997 zurückgewiesen.
Mit der am 24.04.1997 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter und hat auf die von ihm verrichtete schwere Arbeit und das erstmalige ernsthafte Auftreten einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS ab Ende 1997 hingewiesen.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines orthopädischen Gutachtens von Dr. H., H-Stadt, vom 03.12.1997, der die Voraussetzungen für eine BK Nr. 2108 vom Kläger bejaht und die Höhe dessen Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) auf 20 v. H. geschätzt hat.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 01.11.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.04.1997 zu verurteilen, bei ihm die BK Nr. 2108 der Anlage der Berufskrankheiten-Verordnung anzuerkennen und ihm eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsunfähigkeit von 20 v.H. zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung bezieht sie sich vor allem auf eine Stellungnahme von Prof. J. vom 03.03.1998, nach der beim Kläger ein vorrangig als nicht-berufsbedingt anzusehender monosegmentaler Bandscheibenvorfall vorliegt.
Auf den Inhalt der genannten Unterlagen im übrigen in der Verwaltungsakte der Beklagten und der Gerichtsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist auch begründet. Bei dem Kläger ist die BK Nr. 2108 anzuerkennen und ihm ist aufgrund dieser von der Beklagten eine Verletztenrente in Höhe einer MdE von 20 v.H. ab 01.01.1997 zu zahlen.
1. Die Rechtmäßigkeit der BK
BKen sind Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats als BK bezeichnet und die Versicherte infolge einer in der gesetzlichen Unfallversicherung versicherten Tätigkeit erleiden (seit 01.01.1997: § 9 Abs. 1 S. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - SGB VII; vorher: § 551 Abs. 1 S. 2 Reichsversicherungsordnung - RVO). In der Anlage der Berufskrankheiten-Verordnung vom 31.10.1997, BGBI. I S. 2623 (BKV) ist in wörtlicher Übereinstimmung mit der zuvor geltenden Berufskrankheiten-Verordnung vom 20.06.1968 (BKVO) in der Fassung der Zweiten Verordnung zur Änderung der Berufskrankheiten-Verordnung vom 18.12.1992, BGBI. I S. 2343 (im folgenden 2. ÄndVO) als eine solche BK bezeichnet worden unter Nr. 2108: "bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeit in extremer Rumpfbeugehaltung, die zu Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können".
Die Aufnahme dieser BK durch die 2. ÄndVO in die Liste der BKen ist rechtmäßig, weil sie gemäß der früheren Ermächtigungsgrundlage in § 551 Abs. 1 S. 3 RVO, die weitgehend wörtlich und ohne inhaltliche Änderungen mit dem heute geltenden § 9 Abs. 1 S. 2 SGB VII übereinstimmt (vgl. nur: Erstkommentierung des Unfallversicherungseinordnungsgesetzes, hrsg. v. Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften, St. Augustin, 1996, § 9 Anm. 1) erfolgte. § 551 Abs. 1 S. 3 RVO lautete, soweit hier entscheidungserheblich: "Die Bundesregierung wird ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind."
Da davon auszugehen ist, daß der Verordnungsgeber in einem Rechtsstaat in der Regel rechtmäßig handelt, ist eine Überprüfung einer Verordnung auf ihre Übereinstimmung mit höherrangigem Recht nur dann erforderlich, wenn insofern Bedenken von einem gewissen Gewicht bestehen.
Derartige Bedenken sind über allgemeine Meinungsäußerungen auf Tagungen u.ä. hinaus mittlerweile vom Sozialgericht (SG) Landshut (Urteil vom 17.10.1987 - S-8/U-224/95, HVBG-Rundschreiben VB 22/98) und vor allem vom Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen (Urteil vom 05.02.1998 - L-6/U-178/97, Breithaupt 1998, 894 ff.) geäußert worden. Beide haben die Aufnahme der BK Nr. 2108 als nicht vereinbar mit der Ermächtigungsgrundlage des § 551 Abs. 1 S. 3 RVO angesehen. Die dafür vorgebrachten Überlegungen überzeugen jedoch nicht und belegen keine durchgreifenden Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Einführung der BK Nr. 2108 durch den Verordnungsgeber.
Das LSG Niedersachsen, das auf dem zeitlich früheren Urteil des SG Landshut aufbaut und dessen Argumentation größtenteils weiter ausbaut, stützt sich dabei im wesentlichen auf folgende, einer kritischen Überprüfung nicht standhaltende Überlegungen (vgl. Breithaupt 1998, 900 unten):
a) Unter den Fachwissenschaftlern gäbe es im Hinblick auf bandscheibenbedingte Erkrankungen der LWS keine Übereinstimmung und nicht einmal eine herrschende Meinung, daß eine erhebliche Erhöhung des generellen Erkrankungsrisikos aufgrund der in der BK Nr. 2108 umschriebenen körperlichen Belastungen epidemologisch belegt sei (Breithaupt a.a.O.). Das Gegenteil ist der Fall.
ln dem Urteil des LSG Niedersachsen fällt zunächst auf, daß der entscheidende Begriff der "Fachwissenschaftler" nicht definiert wird. Es bleibt offen, ob dies (in alphabetischer Reihenfolge) die Arbeitsmediziner, die Chirurgen, die Orthopäden oder alle zusammen sind oder letztlich die Wertung des vom Gericht ausgewählten konkreten Sachverständigen im jeweiligen Rechtsstreit entscheidend ist. Ausgehend von der für die Beurteilung entscheidenden Kausalitätsfrage zwischen beruflicher Belastung und bandscheibenbedingter LWS-Erkrankung, den dafür notwendigen epidemologischen Untersuchungen sowie der Funktion und den Schwerpunkten der genannten Teildisziplinen der Medizin spricht dies klar für einen Vorrang der Arbeitsmedizin. Denn die entscheidende Ausrichtung der Orthopädie und Chirurgie ist nicht kausal nach den Ursachen einer Erkrankung, sondern final nach deren Behandlung. Zuständig für die Ursachen und insbesondere berufliche Belastungen und epidemologische Untersuchungen ist in erster Linie die Arbeitsmedizin. Im übrigen werden zur Beurteilung von bandscheibenbedingten Erkrankungen der LWS oftmals nicht nur chirurgische oder orthopädische Erkenntnisse, sondern u.a. auch radiologische oder neurologische benötigt.
Das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA) trägt dieser komplexen Lage durch die Sektion Berufskrankheiten seines ärztlichen Sachverständigen Beirats (SV-Beirat BK) als internes Beratungsgremium Rechnung. Angesichts seiner herausgehobenen, verantwortungsvollen Stellung, der Größe und der Unabhängigkeit gegenüber einzelnen Interessengruppen (die meisten der 11 Mitglieder sind ordentliche Universitätsprofessoren oder Landesgewerbeärzte) ist dieser SV-Beirat BK am ehesten die kompetente Stelle in Deutschland zur Beurteilung von BKen und den damit zusammenhängenden Fragen.
Daß der SV-Beirat BK in Kenntnis der Diskussion zwischen Prof. K., Freiburg, dem Sachverständigen, auf den das LSG Niedersachsen sein Urteil vor allem stützt, und Dr. L., auf dessen zwischenzeitlich veröffentlichte (in: Handbuch der Arbeitsmedizin, hrsg. v. Konietzko/Dupuis, Landsberg, Loseblatt) Ausarbeitung die Einführung der Wirbelsäulen-BKen zurückgeht, in seiner Sitzung vom 25.03.1998 nach erneuter, ausführlicher Beratung seinen Beschluss von 1992 für die Einführung der Wirbelsäulen-BKen bestätigt hat, ist demzufolge von besonderem Gewicht und am ehesten geeignet, als die "herrschende Meinung" unter den Fachwissenschaftlern angesehen zu werden.
Darüber hinaus ist dem Urteil des LSG Niedersachsen selbst zu entnehmen, daß auch der als "Kronzeuge" gegen die Einführung der Wirbelsäulen-BKen oft bemühte Prof. K. einen Zusammenhang zwischen beruflicher Belastung und Bandscheiben-Schädigungen an der Wirbelsäule (vgl. Breithaupt 1998, 901 unten) nicht grundsätzlich verneint, was im übrigen auch dessen Veröffentlichung in MedSach 1996, 112 ff. entspricht
Die vom LSG Niedersachsen beklagten Unklarheiten hinsichtlich des Ausmaßes der erforderlichen beruflichen Belastung (Breithaupt 1998, 904) kennt jeder Richter, der für Wirbelsäulen-BKen zuständig ist Hierbei handelt es sich aber um Übergangsprobleme, wie sie auch bei anderen neuen BKen auftreten (so schon BSG vom 31.05.1996- 2 BU 237/95, Breithaupt 1997, 289, 292). Und heute rund sechs Jahre nach ihrer Einführung kann festgestellt werden, daß für den erfahrenen Praktiker viele, wenn auch noch nicht alle Fragen geklärt sind bzw. Lösungswege sich zeigen. Das Fortschreiten der wissenschaftlichen Erkenntnis bei den Wirbelsäulen BKen zeigt zuletzt z.B. die Veröffentlichung von Schwarze u.a. zur Schwingungsbelastung bei der BK Nr. 211 0 in: BG 1998 (Heft 11), 690 ff. deutlich.
Auch der vom LSG Niedersachsen mit der Aussage, in keinem anderen europäischen Land gäbe es eine gesetzliche Regelung über die Anerkennung berufsbedingter Wirbelsäulen-Erkrankungen (Breithaupt 1998, 902 unten), erweckte Ein druck ist im Ergebnis falsch: Zwar mag es keine entsprechende "gesetzliche" Regelung geben - eine solche gibt es auch in Deutschland nicht, sondern nur eine auf Verordnungsebene. Fest steht jedoch, daß nach dem allgemein zugänglichen Bericht von Mehrhoff (BG 1994, 657) die Anerkennung von beruflich verursachten Wirbelsäulen-Erkrankungen als BK in Dänemark über die sogenannte Öffnungsklausel und in Belgien für Ganzkörperschwingungen möglich ist. Die "gesetzliche" Anerkennungsmöglichkeit in Schweden wird sogar in der vom LSG Niedersachsen sonst oft zitierten Veröffentlichung von Bolm-Audorff (Handbuch S. 18 f.) angeführt, ebenso Anerkennungsmöglichkeiten in Japan und den USA - mit Europa vergleichbare Industriestaaten, deren außereuropäische, wissenschaftliche Erkenntnisse selbstverständlich in Deutschland zu berücksichtigen sind.
b) Soweit das LSG Niedersachsen in Übereinstimmung mit einzelnen Orthopäden und Chirurgen meint, rein logisch sei eine erhebliche Risikoerhöhung im Sinne des § 551 Abs. 1 S. 3 RVO ausgeschlossen, weil ein verdoppeltes Erkrankungsrisiko einer exponierten Berufsgruppe nicht festgestellt werden könne, da bis zum 60. Lebensjahr mehr als die Hälfte der Bevölkerung an einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS leide (Breithaupt 1998, 905 ff.), beruht diese Überlegung auf einem Irrtum bzw. einer nicht hinreichend klaren Durchdringung der statistischen Grundlagen. Denn aus der Anzahl der an einer bestimmten Erkrankung (schon) erkrankten Personen im Alter von 60 Jahren bezogen auf die Gesamtbevölkerung – medizin-statistisch die sogenannte "Prävalenz" oder umgangssprachlich der "Bestand" an Erkrankten - kann kein Rückschluß auf das Erkrankungsrisiko, also die Gefahr an dieser Erkrankung in einem bestimmten Alter zu erkranken - medizin-statistisch die sogenannte "lnzidenz" bzw. die Neuerkrankungsrate oder der "Zugang" - gezogen werden. Aber nur auf das Erkrankungsrisiko kommt es nach § 551 Abs. 1 S. 3 RVO bzw. § 9 Abs. 1 S. 2 SGB VII an. Im übrigen muß darauf hingewiesen werden, daß die Forderung nach einem verdoppelten Erkrankungsrisiko eine Setzung des LSG Niedersachsen ist, die in § 551 RVO selbst keine unmittelbare Stütze findet und in der Literatur umstritten ist (vgl. nur Mehrtens/Perlebach, Berufskrankheiten-Verordnung, Stand 9/98, E § 9 SGB VII Anm. 8.2. S. 13 mwN).
c) Ob "eine ins einzelne gehende Würdigung der (also wohl aller !) vorliegenden epidemologischen Studien" (LSG Niedersachsen, Breithaupt 1998, 900) durch ein Gericht überhaupt leistbar ist, wie sie das LSG Niedersachsen beansprucht vorgenommen zu haben, muß bezweifelt werden. Zumindest das LSG Niedersachsen hat sie nicht geleistet: Ein Teil der Studien wird nicht ins einzelne gehend gewürdigt, sondern nur kurz erwähnt (vgl. z.B. Breithaupt 1998, 910 oben, 912 Mitte). Die relativ bekannte "Freiburger Wirbelsäulen-Studie" von Hofmann u.a. vom Juli 1996 für die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege ist anscheinend überhaupt nicht gesehen worden.
Soweit das SG Landshut nach ähnlichen Überlegungen wie das LSG Niedersachsen gegen Ende seiner Entscheidungsgründe (S. 15 unten) ausführt, der Verordnungsgeber habe sich "bei der Entscheidung über die Aufnahme der bandscheibenbedingten Erkrankungen ganz offensichtlich ausschließlich von sachfremden Erwägungen leiten lassen", kann diesem schweren Vorwurf nicht gefolgt werden, weil hierfür in dem Urteil keine weiteren Beweise angetreten oder tatsächliche Feststellungen getroffen, sondern nur allgemein-politische Vermutungen (vgl. S. 12 oben) geäußert werden.
2. Die Anerkennung der BK beim Kläger
Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK Nr. 2108 sind:
a) eine berufliche Tätigkeit, Belastung oder Exposition, sogenannte arbeitstechnische Voraussetzungen, durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder langjährige Tätigkeit in extremer Rumpfbeugehaltung,
b) eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS,
c) ein Kausalzusammenhang zwischen der Tätigkeit und der Erkrankung,
d) der sogenannte Unterlassungszwang.
a) Die arbeitstechnischen Voraussetzungen "langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten" während seiner versicherten Tätigkeit ist bei dem Kläger erfüllt. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht umstritten und steht auch zur Überzeugung des Gerichts zumindest aufgrund der von ihm vom 15.05.1965 bis zu seinem Bandscheibenvorfall im Sommer 1995, also über 30 Jahre hinweg, ausgeübten Tätigkeit als Bauhelfer fest. Hinsichtlich der konkreten LWS-Belastung wird auf die Belastungsdokumentation der Beklagten Bezug genommen. Aber auch die vom Kläger zuvor seit der Schulentlassung ausgeübte Tätigkeit in der elterlichen Landwirtschaft ist nach allgemeinen Erkenntnissen und Auffassung des Gerichts als LWS-belastend anzusehen.
b) Der Kläger leidet auch an einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS.
Als eine derartige Erkrankung sind in der Begründung zur 2. ÄndVO (Bundesrats Drucksache 773/92, S. 8) u.a. genannt worden: "Bandscheibendegeneration (Diskose, Instabilität im Bewegungssegment, Bandscheibenvorfall, degenerative Veränderungen der Wirbelkörperabschlußplatten (Osteochondrose), knöcherne Ausziehungen an den vorderen und seitlichen Randleisten der Wirbelkörper (Spondylose), degenerative Veränderungen der Wirbelgelenke (Spondylarthrose)".
Diese Voraussetzung ist erfüllt, weil der Kläger an einem lokalen Lumbalsyndrom mit erheblicher funktioneller Störung und daraus resultierender Schmerz Symptomatik ohne sichere neurologische Ausfallssymptomatik bei Zustand nach Bandscheibenoperation L5/S1, eine Spondylosis deformans im Segment L4/L5, eine Instabilität im Segment L4/L5 und eine Spondylarthrose im Segment L5/S1 leidet. Dies steht zur Überzeugung des Gerichts aufgrund des Gutachtens von Dr. H. fest (Seite 24 f. = BI. 55 f. SG-Akte). Das Gericht folgt diesem Gutachten, da es aufgrund vorangegangener körperlicher Untersuchung des Klägers und unter Berücksichtigung der von ihm vorgetragenen Beschwerden sowie der vorliegenden Unterlagen der übrigen Ärzte erstattet wurde. Das Gutachten selbst ist hinreichend begründet und läßt Widersprüche zwischen Befunderhebung und Beurteilung nicht erkennen. Seitens der Beklagten sind insofern gegen das Gutachten keine Bedenken erhoben worden und aus der von ihr vorgelegten Stellungnahme von Prof. J. ergeben sich ebensowenig welche, wie aus den anderen ärztlichen Unterlagen in den Akten. Umstritten ist nur das Ausmaß der verschiedenen einzelnen Elemente der LWS Erkrankung. Der Streit ums Ausmaß ändert aber nichts an der Erkrankung als solcher.
c) Diese bandscheibenbedingten Erkrankungen der LWS des Klägers sind auch durch dessen berufliche Tätigkeiten verursacht worden.
Die Kausalitätsbeurteilung bei der BK Nr. 2108 scheint bei Durchsicht der zahlreichen Veröffentlichungen und Entscheidungen das größte und strittigste Problem zu sein. Dies gilt jedoch nur für die einzelnen Kriterien und Beurteilungen. Im Kern wird meistens unausgesprochen, aber zu Recht eine Einzelfall bezogene Kausalitätsbeurteilung auf der Grundlage der Theorie der wesentlichen Bedingung und unter Berücksichtigung möglichst vieler Kriterien angewandt (hierfür auch Mehrtens/Perlebach M 2108 Anm. 5 S. 21 f.; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 6. A. 1998, S. 535; so schon: SG Gießen, Urteil vom 22.01.1997- S-1/U-509/95, Breithaupt 1997, 771, 774 - 778). Irgendwelche Berechnungsmodelle, die bei der Beurteilung der arbeits-technischen Voraussetzungen eine gewisse Hilfe darstellen mögen, haben sich bei der Kausalitätsbeurteilung zu Recht nicht durchgesetzt (vgl. SG Gießen, Breithaupt 1997, 775 f.).
Diese Einzelfall bezogene Kausalitätsbeurteilung stützt sich im wesentlichen auf zwei Kriterien:
1. Die berufliche LWS-Belastung nach Art und Ausmaß sowie Eignung zur Verursachung der konkreten LWS-Erkrankung hinsichtlich Art und Ausprägung, Lokalisation und Erkrankungsverlauf,
2. Die Berücksichtigung bzw. den Ausschluß anderer Ursachen wie
• Schadensanlagen (statische, entzündliche, unfallbedingte),
• außerberufliche Wirbelsäulenbelastungen.
Die Berücksichtigung bzw. der Ausschluß anderer Ursachen wie Schadensanlagen und außerberufliche Wirbelsäulenbelastungen ist bei der Kausalitätsbeurteilung dem Grunde nach nicht umstritten. Liegt eine oder ggf. mehrere andere Ursachen vor, so hat zwischen dieser bzw. diesen und der beruflichen LWS-Belastung eine Abwägung nach der Theorie der wesentlichen Bedingungen zu erfolgen. Als derartige Schadensanlagen bzw. Vorerkrankungen ("Prädiskosen") kommen in Betracht: Spondylolisthesis, Skoliose, Morbus Scheuermann, Beinlängendifferenz, Beckenschiefstand usw. Es kommt jedoch immer auf den einzelnen Fall und vor allem die Ausprägung der konkreten konkurrierenden Ursache an, z. B. bei einer Skoliose auf deren Ausmaß und funktionelle Erheblichkeit (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin S. 539; differenzierend: Mehrtens/Perlebach M 2108 Anm. 5.1 am Ende, 6.; Baars u.a., ASUMed 32 (1997), 480, 483; Bolm-Audorff, in: Begutachtung der neuen Berufskrankheiten der Wirbelsäule, hrsg. v. Weber/Valentin, 1997, S. 53 f.). Und diese konkurrierenden Ursachen müssen feststehen und dürfen nicht nur vermutet werden.
Liegt keine andere Ursache außer der beruflichen Belastung vor, so kommt es entscheidend auf die Beurteilung des Zusammenhangs zwischen der konkreten Belastung und der konkreten Erkrankung an. Auch diese unmittelbare Zusammenhangsbeurteilung im engeren Sinne kann, obwohl eine Standardisierung aufgrund der großen Fallzahl und zum Zwecke der Gleichbehandlung wünschenswert ist, nur im Einzelfall erfolgen. Die anzustellenden Überlegungen und zueinander in Relation zu setzenden Parameter der beruflichen LWS-Belastung (Art und Ausmaß) und der LWS-Erkrankung (Art und Ausprägung, Lokalisation und Erkrankungsverlauf) erfordern eine gesonderte Beurteilung in jedem Einzelfall und entziehen sich weitgehend vorgefertigten Formeln.
Zu einzelnen Beurteilungsgesichtspunkten, die zum Teil den Charakter eigenständiger Hilfskriterien erlangt haben, ist auf folgendes hinzuweisen:
• Es gibt, wie bei vielen anderen BKen auch, kein für die BK Nr. 2108 typisches Schadensbild, das allein durch schweres Heben und Tragen bzw. Arbeiten in extremer Rumpfbeugehaltung hervorgerufen würde. D.h. aus einem bestimmten Schadens- oder Erkrankungsbild kann nichts hergeleitet werden (Mehrtens/Perlebach M 2108 Anm. 5.1).
• Insbesondere schließt ein monosegmentaler Bandscheibenschaden die Anerkennung einer Wirbelsäulen-BK nach der wohl mittlerweile herrschenden Meinung nicht automatisch aus (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin S. 537 f., Mehrtens/Perlebach M 2108 Anm. 5.1; grundlegend: LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 26.09.1995 – L 15/U-89/95 und die Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde durch das BSG im Beschluss vom 31.05.1996 - 2 BU 237/95, Breithaupt 1997, 289).
• Auch wenn der Schwerpunkt der Bandscheibenvorfälle in der Gesamtbevölkerung in den unteren Segmenten liegt, kann aufgrund dieser allgemeinen statistischen Erkenntnisse im zu entscheidenden Einzelfall nicht eine entsprechende Schadensanlage als feststehend angesehen, sondern nur vermutet werden (Mehrtens/Perlebach a.a.O.). Auf die Frage, wieso gerade diese und keine andere Bandscheibe von der Erkrankung betroffen ist, kommt es nicht an, weil aus deren Beantwortung für die Kausalitätsbeurteilung der erkrankten Bandscheibe nichts abgeleitet werden kann. Denn wissenschaftliche Erkenntnisse über einen Umkehrschluß oder ähnliches von der einen Bandscheibe auf die andere liegen nicht vor, zumal es sich um Unterschiede in der mitversicherten genetischen Disposition handeln kann.
• Aus dem Alter des Versicherten bzw. einem altersentsprechenden Befund der LWS bzw. vorauseilenden Wirbelsäulen-Verschleißerscheinungen etwas herzuleiten, ist problematisch, weil es keine verbindliche, epidemologisch gesicherte Erkenntnis über eine altersentsprechenden Wirbelsäule gibt und einer entsprechenden Beurteilung nur die subjektiven Erfahrungen des Beurteilers zugrunde liegen können (vgl. Mehrtens/Perlebach M 2108 Anm. 5 S. 22; Baars, a.a.O., 484 mwN).
• Hinsichtlich des Erkrankungsverlaufs bzw. der zeitlichen Komponente besteht Einigkeit darüber (vgl. Mehrtens/Perlebach M 2108 Anm. 3; Schönberger/Mehrtens/Valentin S. 539 mwN), daß eine bald nach Aufnahme der LWS-belastenden Tätigkeit auftretende bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS nicht durch die Tätigkeit wesentlich verursacht worden sein kann. Hierfür genügt aber nicht irgendeine Arbeitsunfähigkeitszeit vor vielen Jahren wegen "Rückenbeschwerden" im Vorerkrankungsverzeichnis der Krankenkasse des Versicherten oder die nicht näher differenzierte Angabe des Versicherten über erste Beschwerden vor vielen Jahren - wie im vorliegenden Fall -, weil aus diesen Angaben keine sichere Erst-Manifestation einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS abgeleitet, sondern nur vermutet werden kann. Denn "Rückenbeschwerden" können z. B. eine rein muskuläre Verspannung sein.
• Auch bei der gleichzeitigen Erkrankung anderer Wirbelsäulenabschnitte oder großer Gelenke kann nicht fast automatisch eine wesentliche Verursachung der LWS-Erkrankung durch die berufliche Belastung verneint werden (so wohl Mehrtens/Perlebach M 2108 Anm. 5.2). Vielmehr muß im Einzelfall geprüft werden, ob diese Erkrankung zusammen mit der LWS-Erkrankung für eine entsprechende Schadensanlage spricht oder andere Ursachen hat, z.B. (andere) berufliche Belastungen dieser Wirbelsäulenabschnitte bzw. Gelenke (vgl. Bolm Audorff 1997, S. 53). Diese beruflichen Belastungen müssen ihrerseits nicht die Voraussetzungen für eine BK, z.B. bei der Halswirbelsäule für die BK Nr. 2109, erfüllen, um berücksichtigt zu werden. Denn es geht nicht um die Anerkennung einer solchen weiteren BK, sondern eine davon losgelöste, konkrete andere Ursachenbeurteilung, zumal die sogenannte BK-Reife einer Erkrankung sehr hohe Anforderungen stellt. Im übrigen können Körperteile betroffen sein, für die es (noch?) keine BK gibt (z. B. die Brustwirbelsäule).
Nach diesen Voraussetzungen ist die bandscheibenbedingte LWS-Erkrankung des Klägers durch dessen berufliche Tätigkeit verursacht worden. Dies steht zur Überzeugung des Gerichts aufgrund des schon genannten Gutachtens von Dr. H. aus folgenden Gründen fest:
• Eine Schadensanlage oder Prädiskose liegt beim Kläger nach dem Gutachten von Dr. H. nicht vor (S. 10 = Blatt 41, S. 21 = BI. 52 SG-Akte): An der Halswirbelsäule, der Brustwirbelsäule und den Hüftgelenken befinden sich keine degenerative Veränderungen (S. 12 =BI. 43 SG-Akte). Die von Dr. F. (BI. 104 Vw Akte) festgestellten Chorda-Dorsalis-Reste sind äußerst diskret und für die Entwicklung der LWS-Erkrankung des Klägers ohne Bedeutung (Gutachtens. 12 = BI. 43 SG-Akte), wofür auch die Stellungnahme von Dr. F. selbst spricht. Gleiches gilt für die juvenile Adoleszentenkyphose der Brustwirbelsäule (S. 20 = BI. 51 SG-Akte). Von der Beklagten und ihrem Beratungsarzt Prof. J. wird nichts Gegenteiliges behauptet. in der Stellungnahme von Dr. G. wird nur allgemein auf "schicksalhafte konkurrierende Ursachen" verwiesen (BI. 143 Vw Akte), ohne sie konkret und näher darzulegen.
• Die vom Kläger über 30 Jahre hinweg von 1965 bis 1995 ausgeübte Tätigkeit als Bauhelfer sowie die zuvor nach der Schulentlassung verrichtete Mithilfe in der elterlichen Landwirtschaft waren von ihrer Art und Ausmaß her geeignet, die LWS-Erkrankung zu verursachen (Gutachten S. 25 = BI. 56 SG-Akte). Von Seiten der Beklagten wird auch dies nicht bestritten.
• Für den Ursachenzusammenhang spricht auch die Lokalisation der Erkrankung: Denn die unbestrittene LWS-Belastung wirkt sich an den unteren Segmenten der LWS stärker aus als an den oberen (so auch die Beklagte im Schreiben vom 09.04.1998 = BI. 97 SG-Akte) und an den unteren ist der Kläger erkrankt. Außerdem ist festzustellen, daß es sich beim Kläger nicht um eine "reine" Mono Segmentalerkrankung handelt, wenn auch der Schwerpunkt im operierten Segment L5/S1 liegt. Aus diesem Betroffensein vor allem des Segmentes L5/S1 ist entgegen der Ansicht der Beklagten nichts gegen einen Kausalzusammenhang zwischen beruflicher Belastung und Erkrankung herzuleiten, wie sich aus dem oben zum monosegmentalen Bandscheibenschaden Gesagten ergibt.
• Auch der Erkrankungsverlauf bzw. die zeitliche Komponente spricht nicht gegen einen Ursachenzusammenhang, sondern dafür: An früheren Erkrankungen der Wirbelsäule sind nach dem Vorerkrankungsverzeichnis des Klägers bei seiner Krankenkasse (BI. 27 Vw-Akte) gesichert:
• bis 09.01.1963 Bandscheibenzerrung
• 03. - 08.10.1968 Lumbales Wurzelreizsyndrom und erst
• 31.10.- 12.11.1978 Akutes LWS-Syndrom
• in 11/1979 Bandscheibenvorfall
Soweit die Beratungsärzte Dr. F. und Dr. G. meinen, die beiden ersten Erkrankungen sprächen gegen eine berufliche Verursachung der LWS-Erkrankung des Klägers, überzeugt dies das Gericht nicht. Die gegenteilige Beurteilung des Sachverständigen Dr. H., daß das gelegentliche Auftreten von Beschwerden mit mehrjährigen Intervallen kein Hinweis auf eine bandscheibenbedingte Erkrankung sei, solange entsprechende andere, insbesondere radiologische Befunde fehlen, erscheint dem Gericht viel plausibler. Denn schon Muskelverspannungen können zu entsprechenden behandlungsbedürftigen Beschwerden führen (vgl. Gutachten S. 23 = BI. 54 SG-Akte), und die Erkrankungen dauerten immer nur wenige Arbeitstage. Im übrigen traten diese Beschwerden erst mehr als 10 Jahre nach dem Beginn der LWS-belastenden Tätigkeit des Klägers als Jugendlicher in der elterlichen Landwirtschaft auf und nicht erst kurze Zeit nach Aufnahme einer LWS-belastenden Tätigkeit. Die erste feststehende, gravierende bandscheibenbedingte LWS-Erkrankung des Klägers ab Ende 1978 und dann der Bandscheibenvorfall im November 1979 liegen über 20 Jahre nach Aufnahme der bei der Beklagten versicherten LWS-belastenden Tätigkeit als Bauhelfer, selbst wenn die vorherigen Belastungen in der elterlichen Landwirtschaft nicht beachtet werden. Eine geeignete LWS-Belastung vor der Erkrankung ist damit gegeben.
d) Der Kläger war durch diese bandscheibenbedingte LWS-Erkrankung auch gezwungen, seine vorherige Tätigkeit als Bauhelfer zu unterlassen und hat dies auch getan, sogenannter Unterlassenszwang. Die endgültige Tätigkeitsaufgabe ergibt sich aus der Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei der Firma C. im Dezember 1996 und die medizinische Notwendigkeit zur Aufgabe seiner Tätigkeit steht zur Überzeugung des Gerichts ebenfalls aufgrund des Gutachtens von Dr. H. fest.
3. Die Verletztenrente
Aufgrund der beim Kläger anzuerkennenden BK Nr. 2108 hat die Beklagte ihm eine Verletztenrente nach einer MdE in Höhe von 20 v. H. ab 01.01.1997 zu zahlen.
Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, haben Anspruch auf eine Rente in Höhe des Grades der MdE; bei mehreren Versicherungsfällen genügt es, wenn sie zusammen wenigstens eine MdE von 20 v.H. erreichen, sog. Stütztatbestände (seit 01.01.1997: § 56 Abs. 1, 3 SGB VII; vorher:§ 581 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 RVO). Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (so nun § 56 Abs. 2 SGB VII gemäß der vorherigen Rechtsprechung). Ausgehend von diesen Grundlagen der MdE-Schätzung und in Anlehnung an Mehrtens/Perlebach (M 2108 Anm. 9) sowie Schönberger/Mehrtens/Valentin (S. 540) schätzt das Gericht die MdE bei einer BK Nr. 2108 beim Vorliegen von Funktionseinschränkungen und glaubhaften Beschwerden auf 10 v.H. und bei starken Funktionseinschränkungen und Beschwerden auf 20 v.H. Neurologische Ausfallserscheinungen sind keine Voraussetzung für eine MdE von 20 v. H., weil es für die MdE-Bewertung nicht auf technische Meßwerte ankommt, sondern dies eine Funktionsbeurteilung ist.
Nach diesen Voraussetzungen ist die MdE des Klägers wegen der BK Nr. 2108 auf 20 v. H. zu schätzen, weil seine LWS-Erkrankung zu erheblichen funktionellen Störungen geführt hat, wie sich aus dem Gutachten von Dr. H. ergibt (Gutachten S. 24 f., 26 = BI. 55 f., 57 SG Akte).
Der Rentenbeginn für die Verletztenrente ist der 01.01.1997, weil zu diesem Zeitpunkt alle Voraussetzungen für eine Rentengewährung erfüllt waren und der Kläger insbesondere endgültig durch Beendigung seines Arbeitsverhältnisses bei der Firma C. aus der LWS-belastenden Tätigkeit ausgeschieden war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
2. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Anerkennung der Berufskrankheit (BK) Nr. 2108 (bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule -LWS-) beim Kläger sowie die Zahlung einer Verletztenrente.
Der 1937 geborene Kläger arbeitete zunächst nach der Schulentlassung in der elterlichen Landwirtschaft, war dann etwa ein ¾ Jahr bei einer Baustoff-Firma beschäftigt und anschließend vom 15.05.1965 bis zum 10.12.1996 bei der Firma C., einem Mitgliedsunternehmen der Beklagten, als Bauhelfer. Aufgrund eines Bandscheibenvorfalls im Sommer 1995 mit anschließender Operation war er zunächst arbeitsunfähig, danach arbeitslos und ist mittlerweile Rentner.
Nach einer ärztlichen BK-Anzeige der Neurologischen Klinik Bad Salzhausen vom 20.10.1995 nahm die Beklagte als zuständiger Unfallversicherungsträger ihre Ermittlungen auf und zog bei:
• Auskünfte des Klägers,
• eine Auskunft der Firma C.,
• eine Stellungnahme ihres Technischen Aufsichtsdienstes (TAD) vom 21.02.1995, der unter Bezugnahme auf die Belastungsdokumentation "Bauhelfer/-werker Hoch- und Tiefbau" die beruflichen Voraussetzungen für die BK Nr. 2108 beim Kläger bejahte, die für die BK Nr. 2109 verneinte,
• das Vorerkrankungsverzeichnis des Klägers von dessen Krankenkasse,
• die ärztlichen Unterlagen der behandelnden Ärzte (Neurologische Klinik Bad Salzhausen, Hausarzt Dr. D., Orthopädische Klinik Braunfels, Städtisches Klinikum Fulda, Dr. E., zum Teil mit weiteren ärztlichen Unterlagen),
• eine Stellungnahme ihres Beratungsarztes Dr. F., der ein belastungsadäquates Schadensbild verneinte,
• eine Stellungnahme des Landesgewerbearztes, der anregte, ein Gutachten einzuholen.
Mit Bescheid vom 01.11.1996 lehnte die Beklagte beim Kläger die Anerkennung einer BK Nr. 2108 ab, weil die medizinischen Voraussetzungen nicht erfüllt seien, die einer BK Nr. 2109, weil die beruflichen nicht erfüllt seien.
Der hiergegen am 25.11.1996 eingelegte Widerspruch wurde nach Einholung einer Stellungnahme von Dr. G. vom 26.02.1997, der ebenfalls ein typisches Schadensbild verneinte und auf konkurrierende Ursachen verwies, mit Widerspruchsbescheid vom 10.04.1997 zurückgewiesen.
Mit der am 24.04.1997 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter und hat auf die von ihm verrichtete schwere Arbeit und das erstmalige ernsthafte Auftreten einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS ab Ende 1997 hingewiesen.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines orthopädischen Gutachtens von Dr. H., H-Stadt, vom 03.12.1997, der die Voraussetzungen für eine BK Nr. 2108 vom Kläger bejaht und die Höhe dessen Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) auf 20 v. H. geschätzt hat.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 01.11.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.04.1997 zu verurteilen, bei ihm die BK Nr. 2108 der Anlage der Berufskrankheiten-Verordnung anzuerkennen und ihm eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsunfähigkeit von 20 v.H. zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung bezieht sie sich vor allem auf eine Stellungnahme von Prof. J. vom 03.03.1998, nach der beim Kläger ein vorrangig als nicht-berufsbedingt anzusehender monosegmentaler Bandscheibenvorfall vorliegt.
Auf den Inhalt der genannten Unterlagen im übrigen in der Verwaltungsakte der Beklagten und der Gerichtsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, wird Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist auch begründet. Bei dem Kläger ist die BK Nr. 2108 anzuerkennen und ihm ist aufgrund dieser von der Beklagten eine Verletztenrente in Höhe einer MdE von 20 v.H. ab 01.01.1997 zu zahlen.
1. Die Rechtmäßigkeit der BK
BKen sind Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats als BK bezeichnet und die Versicherte infolge einer in der gesetzlichen Unfallversicherung versicherten Tätigkeit erleiden (seit 01.01.1997: § 9 Abs. 1 S. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - SGB VII; vorher: § 551 Abs. 1 S. 2 Reichsversicherungsordnung - RVO). In der Anlage der Berufskrankheiten-Verordnung vom 31.10.1997, BGBI. I S. 2623 (BKV) ist in wörtlicher Übereinstimmung mit der zuvor geltenden Berufskrankheiten-Verordnung vom 20.06.1968 (BKVO) in der Fassung der Zweiten Verordnung zur Änderung der Berufskrankheiten-Verordnung vom 18.12.1992, BGBI. I S. 2343 (im folgenden 2. ÄndVO) als eine solche BK bezeichnet worden unter Nr. 2108: "bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeit in extremer Rumpfbeugehaltung, die zu Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können".
Die Aufnahme dieser BK durch die 2. ÄndVO in die Liste der BKen ist rechtmäßig, weil sie gemäß der früheren Ermächtigungsgrundlage in § 551 Abs. 1 S. 3 RVO, die weitgehend wörtlich und ohne inhaltliche Änderungen mit dem heute geltenden § 9 Abs. 1 S. 2 SGB VII übereinstimmt (vgl. nur: Erstkommentierung des Unfallversicherungseinordnungsgesetzes, hrsg. v. Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften, St. Augustin, 1996, § 9 Anm. 1) erfolgte. § 551 Abs. 1 S. 3 RVO lautete, soweit hier entscheidungserheblich: "Die Bundesregierung wird ermächtigt, in der Rechtsverordnung solche Krankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre Arbeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind."
Da davon auszugehen ist, daß der Verordnungsgeber in einem Rechtsstaat in der Regel rechtmäßig handelt, ist eine Überprüfung einer Verordnung auf ihre Übereinstimmung mit höherrangigem Recht nur dann erforderlich, wenn insofern Bedenken von einem gewissen Gewicht bestehen.
Derartige Bedenken sind über allgemeine Meinungsäußerungen auf Tagungen u.ä. hinaus mittlerweile vom Sozialgericht (SG) Landshut (Urteil vom 17.10.1987 - S-8/U-224/95, HVBG-Rundschreiben VB 22/98) und vor allem vom Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen (Urteil vom 05.02.1998 - L-6/U-178/97, Breithaupt 1998, 894 ff.) geäußert worden. Beide haben die Aufnahme der BK Nr. 2108 als nicht vereinbar mit der Ermächtigungsgrundlage des § 551 Abs. 1 S. 3 RVO angesehen. Die dafür vorgebrachten Überlegungen überzeugen jedoch nicht und belegen keine durchgreifenden Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Einführung der BK Nr. 2108 durch den Verordnungsgeber.
Das LSG Niedersachsen, das auf dem zeitlich früheren Urteil des SG Landshut aufbaut und dessen Argumentation größtenteils weiter ausbaut, stützt sich dabei im wesentlichen auf folgende, einer kritischen Überprüfung nicht standhaltende Überlegungen (vgl. Breithaupt 1998, 900 unten):
a) Unter den Fachwissenschaftlern gäbe es im Hinblick auf bandscheibenbedingte Erkrankungen der LWS keine Übereinstimmung und nicht einmal eine herrschende Meinung, daß eine erhebliche Erhöhung des generellen Erkrankungsrisikos aufgrund der in der BK Nr. 2108 umschriebenen körperlichen Belastungen epidemologisch belegt sei (Breithaupt a.a.O.). Das Gegenteil ist der Fall.
ln dem Urteil des LSG Niedersachsen fällt zunächst auf, daß der entscheidende Begriff der "Fachwissenschaftler" nicht definiert wird. Es bleibt offen, ob dies (in alphabetischer Reihenfolge) die Arbeitsmediziner, die Chirurgen, die Orthopäden oder alle zusammen sind oder letztlich die Wertung des vom Gericht ausgewählten konkreten Sachverständigen im jeweiligen Rechtsstreit entscheidend ist. Ausgehend von der für die Beurteilung entscheidenden Kausalitätsfrage zwischen beruflicher Belastung und bandscheibenbedingter LWS-Erkrankung, den dafür notwendigen epidemologischen Untersuchungen sowie der Funktion und den Schwerpunkten der genannten Teildisziplinen der Medizin spricht dies klar für einen Vorrang der Arbeitsmedizin. Denn die entscheidende Ausrichtung der Orthopädie und Chirurgie ist nicht kausal nach den Ursachen einer Erkrankung, sondern final nach deren Behandlung. Zuständig für die Ursachen und insbesondere berufliche Belastungen und epidemologische Untersuchungen ist in erster Linie die Arbeitsmedizin. Im übrigen werden zur Beurteilung von bandscheibenbedingten Erkrankungen der LWS oftmals nicht nur chirurgische oder orthopädische Erkenntnisse, sondern u.a. auch radiologische oder neurologische benötigt.
Das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA) trägt dieser komplexen Lage durch die Sektion Berufskrankheiten seines ärztlichen Sachverständigen Beirats (SV-Beirat BK) als internes Beratungsgremium Rechnung. Angesichts seiner herausgehobenen, verantwortungsvollen Stellung, der Größe und der Unabhängigkeit gegenüber einzelnen Interessengruppen (die meisten der 11 Mitglieder sind ordentliche Universitätsprofessoren oder Landesgewerbeärzte) ist dieser SV-Beirat BK am ehesten die kompetente Stelle in Deutschland zur Beurteilung von BKen und den damit zusammenhängenden Fragen.
Daß der SV-Beirat BK in Kenntnis der Diskussion zwischen Prof. K., Freiburg, dem Sachverständigen, auf den das LSG Niedersachsen sein Urteil vor allem stützt, und Dr. L., auf dessen zwischenzeitlich veröffentlichte (in: Handbuch der Arbeitsmedizin, hrsg. v. Konietzko/Dupuis, Landsberg, Loseblatt) Ausarbeitung die Einführung der Wirbelsäulen-BKen zurückgeht, in seiner Sitzung vom 25.03.1998 nach erneuter, ausführlicher Beratung seinen Beschluss von 1992 für die Einführung der Wirbelsäulen-BKen bestätigt hat, ist demzufolge von besonderem Gewicht und am ehesten geeignet, als die "herrschende Meinung" unter den Fachwissenschaftlern angesehen zu werden.
Darüber hinaus ist dem Urteil des LSG Niedersachsen selbst zu entnehmen, daß auch der als "Kronzeuge" gegen die Einführung der Wirbelsäulen-BKen oft bemühte Prof. K. einen Zusammenhang zwischen beruflicher Belastung und Bandscheiben-Schädigungen an der Wirbelsäule (vgl. Breithaupt 1998, 901 unten) nicht grundsätzlich verneint, was im übrigen auch dessen Veröffentlichung in MedSach 1996, 112 ff. entspricht
Die vom LSG Niedersachsen beklagten Unklarheiten hinsichtlich des Ausmaßes der erforderlichen beruflichen Belastung (Breithaupt 1998, 904) kennt jeder Richter, der für Wirbelsäulen-BKen zuständig ist Hierbei handelt es sich aber um Übergangsprobleme, wie sie auch bei anderen neuen BKen auftreten (so schon BSG vom 31.05.1996- 2 BU 237/95, Breithaupt 1997, 289, 292). Und heute rund sechs Jahre nach ihrer Einführung kann festgestellt werden, daß für den erfahrenen Praktiker viele, wenn auch noch nicht alle Fragen geklärt sind bzw. Lösungswege sich zeigen. Das Fortschreiten der wissenschaftlichen Erkenntnis bei den Wirbelsäulen BKen zeigt zuletzt z.B. die Veröffentlichung von Schwarze u.a. zur Schwingungsbelastung bei der BK Nr. 211 0 in: BG 1998 (Heft 11), 690 ff. deutlich.
Auch der vom LSG Niedersachsen mit der Aussage, in keinem anderen europäischen Land gäbe es eine gesetzliche Regelung über die Anerkennung berufsbedingter Wirbelsäulen-Erkrankungen (Breithaupt 1998, 902 unten), erweckte Ein druck ist im Ergebnis falsch: Zwar mag es keine entsprechende "gesetzliche" Regelung geben - eine solche gibt es auch in Deutschland nicht, sondern nur eine auf Verordnungsebene. Fest steht jedoch, daß nach dem allgemein zugänglichen Bericht von Mehrhoff (BG 1994, 657) die Anerkennung von beruflich verursachten Wirbelsäulen-Erkrankungen als BK in Dänemark über die sogenannte Öffnungsklausel und in Belgien für Ganzkörperschwingungen möglich ist. Die "gesetzliche" Anerkennungsmöglichkeit in Schweden wird sogar in der vom LSG Niedersachsen sonst oft zitierten Veröffentlichung von Bolm-Audorff (Handbuch S. 18 f.) angeführt, ebenso Anerkennungsmöglichkeiten in Japan und den USA - mit Europa vergleichbare Industriestaaten, deren außereuropäische, wissenschaftliche Erkenntnisse selbstverständlich in Deutschland zu berücksichtigen sind.
b) Soweit das LSG Niedersachsen in Übereinstimmung mit einzelnen Orthopäden und Chirurgen meint, rein logisch sei eine erhebliche Risikoerhöhung im Sinne des § 551 Abs. 1 S. 3 RVO ausgeschlossen, weil ein verdoppeltes Erkrankungsrisiko einer exponierten Berufsgruppe nicht festgestellt werden könne, da bis zum 60. Lebensjahr mehr als die Hälfte der Bevölkerung an einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS leide (Breithaupt 1998, 905 ff.), beruht diese Überlegung auf einem Irrtum bzw. einer nicht hinreichend klaren Durchdringung der statistischen Grundlagen. Denn aus der Anzahl der an einer bestimmten Erkrankung (schon) erkrankten Personen im Alter von 60 Jahren bezogen auf die Gesamtbevölkerung – medizin-statistisch die sogenannte "Prävalenz" oder umgangssprachlich der "Bestand" an Erkrankten - kann kein Rückschluß auf das Erkrankungsrisiko, also die Gefahr an dieser Erkrankung in einem bestimmten Alter zu erkranken - medizin-statistisch die sogenannte "lnzidenz" bzw. die Neuerkrankungsrate oder der "Zugang" - gezogen werden. Aber nur auf das Erkrankungsrisiko kommt es nach § 551 Abs. 1 S. 3 RVO bzw. § 9 Abs. 1 S. 2 SGB VII an. Im übrigen muß darauf hingewiesen werden, daß die Forderung nach einem verdoppelten Erkrankungsrisiko eine Setzung des LSG Niedersachsen ist, die in § 551 RVO selbst keine unmittelbare Stütze findet und in der Literatur umstritten ist (vgl. nur Mehrtens/Perlebach, Berufskrankheiten-Verordnung, Stand 9/98, E § 9 SGB VII Anm. 8.2. S. 13 mwN).
c) Ob "eine ins einzelne gehende Würdigung der (also wohl aller !) vorliegenden epidemologischen Studien" (LSG Niedersachsen, Breithaupt 1998, 900) durch ein Gericht überhaupt leistbar ist, wie sie das LSG Niedersachsen beansprucht vorgenommen zu haben, muß bezweifelt werden. Zumindest das LSG Niedersachsen hat sie nicht geleistet: Ein Teil der Studien wird nicht ins einzelne gehend gewürdigt, sondern nur kurz erwähnt (vgl. z.B. Breithaupt 1998, 910 oben, 912 Mitte). Die relativ bekannte "Freiburger Wirbelsäulen-Studie" von Hofmann u.a. vom Juli 1996 für die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege ist anscheinend überhaupt nicht gesehen worden.
Soweit das SG Landshut nach ähnlichen Überlegungen wie das LSG Niedersachsen gegen Ende seiner Entscheidungsgründe (S. 15 unten) ausführt, der Verordnungsgeber habe sich "bei der Entscheidung über die Aufnahme der bandscheibenbedingten Erkrankungen ganz offensichtlich ausschließlich von sachfremden Erwägungen leiten lassen", kann diesem schweren Vorwurf nicht gefolgt werden, weil hierfür in dem Urteil keine weiteren Beweise angetreten oder tatsächliche Feststellungen getroffen, sondern nur allgemein-politische Vermutungen (vgl. S. 12 oben) geäußert werden.
2. Die Anerkennung der BK beim Kläger
Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Anerkennung einer BK Nr. 2108 sind:
a) eine berufliche Tätigkeit, Belastung oder Exposition, sogenannte arbeitstechnische Voraussetzungen, durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder langjährige Tätigkeit in extremer Rumpfbeugehaltung,
b) eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS,
c) ein Kausalzusammenhang zwischen der Tätigkeit und der Erkrankung,
d) der sogenannte Unterlassungszwang.
a) Die arbeitstechnischen Voraussetzungen "langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten" während seiner versicherten Tätigkeit ist bei dem Kläger erfüllt. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht umstritten und steht auch zur Überzeugung des Gerichts zumindest aufgrund der von ihm vom 15.05.1965 bis zu seinem Bandscheibenvorfall im Sommer 1995, also über 30 Jahre hinweg, ausgeübten Tätigkeit als Bauhelfer fest. Hinsichtlich der konkreten LWS-Belastung wird auf die Belastungsdokumentation der Beklagten Bezug genommen. Aber auch die vom Kläger zuvor seit der Schulentlassung ausgeübte Tätigkeit in der elterlichen Landwirtschaft ist nach allgemeinen Erkenntnissen und Auffassung des Gerichts als LWS-belastend anzusehen.
b) Der Kläger leidet auch an einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS.
Als eine derartige Erkrankung sind in der Begründung zur 2. ÄndVO (Bundesrats Drucksache 773/92, S. 8) u.a. genannt worden: "Bandscheibendegeneration (Diskose, Instabilität im Bewegungssegment, Bandscheibenvorfall, degenerative Veränderungen der Wirbelkörperabschlußplatten (Osteochondrose), knöcherne Ausziehungen an den vorderen und seitlichen Randleisten der Wirbelkörper (Spondylose), degenerative Veränderungen der Wirbelgelenke (Spondylarthrose)".
Diese Voraussetzung ist erfüllt, weil der Kläger an einem lokalen Lumbalsyndrom mit erheblicher funktioneller Störung und daraus resultierender Schmerz Symptomatik ohne sichere neurologische Ausfallssymptomatik bei Zustand nach Bandscheibenoperation L5/S1, eine Spondylosis deformans im Segment L4/L5, eine Instabilität im Segment L4/L5 und eine Spondylarthrose im Segment L5/S1 leidet. Dies steht zur Überzeugung des Gerichts aufgrund des Gutachtens von Dr. H. fest (Seite 24 f. = BI. 55 f. SG-Akte). Das Gericht folgt diesem Gutachten, da es aufgrund vorangegangener körperlicher Untersuchung des Klägers und unter Berücksichtigung der von ihm vorgetragenen Beschwerden sowie der vorliegenden Unterlagen der übrigen Ärzte erstattet wurde. Das Gutachten selbst ist hinreichend begründet und läßt Widersprüche zwischen Befunderhebung und Beurteilung nicht erkennen. Seitens der Beklagten sind insofern gegen das Gutachten keine Bedenken erhoben worden und aus der von ihr vorgelegten Stellungnahme von Prof. J. ergeben sich ebensowenig welche, wie aus den anderen ärztlichen Unterlagen in den Akten. Umstritten ist nur das Ausmaß der verschiedenen einzelnen Elemente der LWS Erkrankung. Der Streit ums Ausmaß ändert aber nichts an der Erkrankung als solcher.
c) Diese bandscheibenbedingten Erkrankungen der LWS des Klägers sind auch durch dessen berufliche Tätigkeiten verursacht worden.
Die Kausalitätsbeurteilung bei der BK Nr. 2108 scheint bei Durchsicht der zahlreichen Veröffentlichungen und Entscheidungen das größte und strittigste Problem zu sein. Dies gilt jedoch nur für die einzelnen Kriterien und Beurteilungen. Im Kern wird meistens unausgesprochen, aber zu Recht eine Einzelfall bezogene Kausalitätsbeurteilung auf der Grundlage der Theorie der wesentlichen Bedingung und unter Berücksichtigung möglichst vieler Kriterien angewandt (hierfür auch Mehrtens/Perlebach M 2108 Anm. 5 S. 21 f.; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 6. A. 1998, S. 535; so schon: SG Gießen, Urteil vom 22.01.1997- S-1/U-509/95, Breithaupt 1997, 771, 774 - 778). Irgendwelche Berechnungsmodelle, die bei der Beurteilung der arbeits-technischen Voraussetzungen eine gewisse Hilfe darstellen mögen, haben sich bei der Kausalitätsbeurteilung zu Recht nicht durchgesetzt (vgl. SG Gießen, Breithaupt 1997, 775 f.).
Diese Einzelfall bezogene Kausalitätsbeurteilung stützt sich im wesentlichen auf zwei Kriterien:
1. Die berufliche LWS-Belastung nach Art und Ausmaß sowie Eignung zur Verursachung der konkreten LWS-Erkrankung hinsichtlich Art und Ausprägung, Lokalisation und Erkrankungsverlauf,
2. Die Berücksichtigung bzw. den Ausschluß anderer Ursachen wie
• Schadensanlagen (statische, entzündliche, unfallbedingte),
• außerberufliche Wirbelsäulenbelastungen.
Die Berücksichtigung bzw. der Ausschluß anderer Ursachen wie Schadensanlagen und außerberufliche Wirbelsäulenbelastungen ist bei der Kausalitätsbeurteilung dem Grunde nach nicht umstritten. Liegt eine oder ggf. mehrere andere Ursachen vor, so hat zwischen dieser bzw. diesen und der beruflichen LWS-Belastung eine Abwägung nach der Theorie der wesentlichen Bedingungen zu erfolgen. Als derartige Schadensanlagen bzw. Vorerkrankungen ("Prädiskosen") kommen in Betracht: Spondylolisthesis, Skoliose, Morbus Scheuermann, Beinlängendifferenz, Beckenschiefstand usw. Es kommt jedoch immer auf den einzelnen Fall und vor allem die Ausprägung der konkreten konkurrierenden Ursache an, z. B. bei einer Skoliose auf deren Ausmaß und funktionelle Erheblichkeit (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin S. 539; differenzierend: Mehrtens/Perlebach M 2108 Anm. 5.1 am Ende, 6.; Baars u.a., ASUMed 32 (1997), 480, 483; Bolm-Audorff, in: Begutachtung der neuen Berufskrankheiten der Wirbelsäule, hrsg. v. Weber/Valentin, 1997, S. 53 f.). Und diese konkurrierenden Ursachen müssen feststehen und dürfen nicht nur vermutet werden.
Liegt keine andere Ursache außer der beruflichen Belastung vor, so kommt es entscheidend auf die Beurteilung des Zusammenhangs zwischen der konkreten Belastung und der konkreten Erkrankung an. Auch diese unmittelbare Zusammenhangsbeurteilung im engeren Sinne kann, obwohl eine Standardisierung aufgrund der großen Fallzahl und zum Zwecke der Gleichbehandlung wünschenswert ist, nur im Einzelfall erfolgen. Die anzustellenden Überlegungen und zueinander in Relation zu setzenden Parameter der beruflichen LWS-Belastung (Art und Ausmaß) und der LWS-Erkrankung (Art und Ausprägung, Lokalisation und Erkrankungsverlauf) erfordern eine gesonderte Beurteilung in jedem Einzelfall und entziehen sich weitgehend vorgefertigten Formeln.
Zu einzelnen Beurteilungsgesichtspunkten, die zum Teil den Charakter eigenständiger Hilfskriterien erlangt haben, ist auf folgendes hinzuweisen:
• Es gibt, wie bei vielen anderen BKen auch, kein für die BK Nr. 2108 typisches Schadensbild, das allein durch schweres Heben und Tragen bzw. Arbeiten in extremer Rumpfbeugehaltung hervorgerufen würde. D.h. aus einem bestimmten Schadens- oder Erkrankungsbild kann nichts hergeleitet werden (Mehrtens/Perlebach M 2108 Anm. 5.1).
• Insbesondere schließt ein monosegmentaler Bandscheibenschaden die Anerkennung einer Wirbelsäulen-BK nach der wohl mittlerweile herrschenden Meinung nicht automatisch aus (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin S. 537 f., Mehrtens/Perlebach M 2108 Anm. 5.1; grundlegend: LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 26.09.1995 – L 15/U-89/95 und die Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde durch das BSG im Beschluss vom 31.05.1996 - 2 BU 237/95, Breithaupt 1997, 289).
• Auch wenn der Schwerpunkt der Bandscheibenvorfälle in der Gesamtbevölkerung in den unteren Segmenten liegt, kann aufgrund dieser allgemeinen statistischen Erkenntnisse im zu entscheidenden Einzelfall nicht eine entsprechende Schadensanlage als feststehend angesehen, sondern nur vermutet werden (Mehrtens/Perlebach a.a.O.). Auf die Frage, wieso gerade diese und keine andere Bandscheibe von der Erkrankung betroffen ist, kommt es nicht an, weil aus deren Beantwortung für die Kausalitätsbeurteilung der erkrankten Bandscheibe nichts abgeleitet werden kann. Denn wissenschaftliche Erkenntnisse über einen Umkehrschluß oder ähnliches von der einen Bandscheibe auf die andere liegen nicht vor, zumal es sich um Unterschiede in der mitversicherten genetischen Disposition handeln kann.
• Aus dem Alter des Versicherten bzw. einem altersentsprechenden Befund der LWS bzw. vorauseilenden Wirbelsäulen-Verschleißerscheinungen etwas herzuleiten, ist problematisch, weil es keine verbindliche, epidemologisch gesicherte Erkenntnis über eine altersentsprechenden Wirbelsäule gibt und einer entsprechenden Beurteilung nur die subjektiven Erfahrungen des Beurteilers zugrunde liegen können (vgl. Mehrtens/Perlebach M 2108 Anm. 5 S. 22; Baars, a.a.O., 484 mwN).
• Hinsichtlich des Erkrankungsverlaufs bzw. der zeitlichen Komponente besteht Einigkeit darüber (vgl. Mehrtens/Perlebach M 2108 Anm. 3; Schönberger/Mehrtens/Valentin S. 539 mwN), daß eine bald nach Aufnahme der LWS-belastenden Tätigkeit auftretende bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS nicht durch die Tätigkeit wesentlich verursacht worden sein kann. Hierfür genügt aber nicht irgendeine Arbeitsunfähigkeitszeit vor vielen Jahren wegen "Rückenbeschwerden" im Vorerkrankungsverzeichnis der Krankenkasse des Versicherten oder die nicht näher differenzierte Angabe des Versicherten über erste Beschwerden vor vielen Jahren - wie im vorliegenden Fall -, weil aus diesen Angaben keine sichere Erst-Manifestation einer bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS abgeleitet, sondern nur vermutet werden kann. Denn "Rückenbeschwerden" können z. B. eine rein muskuläre Verspannung sein.
• Auch bei der gleichzeitigen Erkrankung anderer Wirbelsäulenabschnitte oder großer Gelenke kann nicht fast automatisch eine wesentliche Verursachung der LWS-Erkrankung durch die berufliche Belastung verneint werden (so wohl Mehrtens/Perlebach M 2108 Anm. 5.2). Vielmehr muß im Einzelfall geprüft werden, ob diese Erkrankung zusammen mit der LWS-Erkrankung für eine entsprechende Schadensanlage spricht oder andere Ursachen hat, z.B. (andere) berufliche Belastungen dieser Wirbelsäulenabschnitte bzw. Gelenke (vgl. Bolm Audorff 1997, S. 53). Diese beruflichen Belastungen müssen ihrerseits nicht die Voraussetzungen für eine BK, z.B. bei der Halswirbelsäule für die BK Nr. 2109, erfüllen, um berücksichtigt zu werden. Denn es geht nicht um die Anerkennung einer solchen weiteren BK, sondern eine davon losgelöste, konkrete andere Ursachenbeurteilung, zumal die sogenannte BK-Reife einer Erkrankung sehr hohe Anforderungen stellt. Im übrigen können Körperteile betroffen sein, für die es (noch?) keine BK gibt (z. B. die Brustwirbelsäule).
Nach diesen Voraussetzungen ist die bandscheibenbedingte LWS-Erkrankung des Klägers durch dessen berufliche Tätigkeit verursacht worden. Dies steht zur Überzeugung des Gerichts aufgrund des schon genannten Gutachtens von Dr. H. aus folgenden Gründen fest:
• Eine Schadensanlage oder Prädiskose liegt beim Kläger nach dem Gutachten von Dr. H. nicht vor (S. 10 = Blatt 41, S. 21 = BI. 52 SG-Akte): An der Halswirbelsäule, der Brustwirbelsäule und den Hüftgelenken befinden sich keine degenerative Veränderungen (S. 12 =BI. 43 SG-Akte). Die von Dr. F. (BI. 104 Vw Akte) festgestellten Chorda-Dorsalis-Reste sind äußerst diskret und für die Entwicklung der LWS-Erkrankung des Klägers ohne Bedeutung (Gutachtens. 12 = BI. 43 SG-Akte), wofür auch die Stellungnahme von Dr. F. selbst spricht. Gleiches gilt für die juvenile Adoleszentenkyphose der Brustwirbelsäule (S. 20 = BI. 51 SG-Akte). Von der Beklagten und ihrem Beratungsarzt Prof. J. wird nichts Gegenteiliges behauptet. in der Stellungnahme von Dr. G. wird nur allgemein auf "schicksalhafte konkurrierende Ursachen" verwiesen (BI. 143 Vw Akte), ohne sie konkret und näher darzulegen.
• Die vom Kläger über 30 Jahre hinweg von 1965 bis 1995 ausgeübte Tätigkeit als Bauhelfer sowie die zuvor nach der Schulentlassung verrichtete Mithilfe in der elterlichen Landwirtschaft waren von ihrer Art und Ausmaß her geeignet, die LWS-Erkrankung zu verursachen (Gutachten S. 25 = BI. 56 SG-Akte). Von Seiten der Beklagten wird auch dies nicht bestritten.
• Für den Ursachenzusammenhang spricht auch die Lokalisation der Erkrankung: Denn die unbestrittene LWS-Belastung wirkt sich an den unteren Segmenten der LWS stärker aus als an den oberen (so auch die Beklagte im Schreiben vom 09.04.1998 = BI. 97 SG-Akte) und an den unteren ist der Kläger erkrankt. Außerdem ist festzustellen, daß es sich beim Kläger nicht um eine "reine" Mono Segmentalerkrankung handelt, wenn auch der Schwerpunkt im operierten Segment L5/S1 liegt. Aus diesem Betroffensein vor allem des Segmentes L5/S1 ist entgegen der Ansicht der Beklagten nichts gegen einen Kausalzusammenhang zwischen beruflicher Belastung und Erkrankung herzuleiten, wie sich aus dem oben zum monosegmentalen Bandscheibenschaden Gesagten ergibt.
• Auch der Erkrankungsverlauf bzw. die zeitliche Komponente spricht nicht gegen einen Ursachenzusammenhang, sondern dafür: An früheren Erkrankungen der Wirbelsäule sind nach dem Vorerkrankungsverzeichnis des Klägers bei seiner Krankenkasse (BI. 27 Vw-Akte) gesichert:
• bis 09.01.1963 Bandscheibenzerrung
• 03. - 08.10.1968 Lumbales Wurzelreizsyndrom und erst
• 31.10.- 12.11.1978 Akutes LWS-Syndrom
• in 11/1979 Bandscheibenvorfall
Soweit die Beratungsärzte Dr. F. und Dr. G. meinen, die beiden ersten Erkrankungen sprächen gegen eine berufliche Verursachung der LWS-Erkrankung des Klägers, überzeugt dies das Gericht nicht. Die gegenteilige Beurteilung des Sachverständigen Dr. H., daß das gelegentliche Auftreten von Beschwerden mit mehrjährigen Intervallen kein Hinweis auf eine bandscheibenbedingte Erkrankung sei, solange entsprechende andere, insbesondere radiologische Befunde fehlen, erscheint dem Gericht viel plausibler. Denn schon Muskelverspannungen können zu entsprechenden behandlungsbedürftigen Beschwerden führen (vgl. Gutachten S. 23 = BI. 54 SG-Akte), und die Erkrankungen dauerten immer nur wenige Arbeitstage. Im übrigen traten diese Beschwerden erst mehr als 10 Jahre nach dem Beginn der LWS-belastenden Tätigkeit des Klägers als Jugendlicher in der elterlichen Landwirtschaft auf und nicht erst kurze Zeit nach Aufnahme einer LWS-belastenden Tätigkeit. Die erste feststehende, gravierende bandscheibenbedingte LWS-Erkrankung des Klägers ab Ende 1978 und dann der Bandscheibenvorfall im November 1979 liegen über 20 Jahre nach Aufnahme der bei der Beklagten versicherten LWS-belastenden Tätigkeit als Bauhelfer, selbst wenn die vorherigen Belastungen in der elterlichen Landwirtschaft nicht beachtet werden. Eine geeignete LWS-Belastung vor der Erkrankung ist damit gegeben.
d) Der Kläger war durch diese bandscheibenbedingte LWS-Erkrankung auch gezwungen, seine vorherige Tätigkeit als Bauhelfer zu unterlassen und hat dies auch getan, sogenannter Unterlassenszwang. Die endgültige Tätigkeitsaufgabe ergibt sich aus der Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei der Firma C. im Dezember 1996 und die medizinische Notwendigkeit zur Aufgabe seiner Tätigkeit steht zur Überzeugung des Gerichts ebenfalls aufgrund des Gutachtens von Dr. H. fest.
3. Die Verletztenrente
Aufgrund der beim Kläger anzuerkennenden BK Nr. 2108 hat die Beklagte ihm eine Verletztenrente nach einer MdE in Höhe von 20 v. H. ab 01.01.1997 zu zahlen.
Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit um wenigstens 20 v. H. gemindert ist, haben Anspruch auf eine Rente in Höhe des Grades der MdE; bei mehreren Versicherungsfällen genügt es, wenn sie zusammen wenigstens eine MdE von 20 v.H. erreichen, sog. Stütztatbestände (seit 01.01.1997: § 56 Abs. 1, 3 SGB VII; vorher:§ 581 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 RVO). Die MdE richtet sich nach dem Umfang der sich aus der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens ergebenden verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens (so nun § 56 Abs. 2 SGB VII gemäß der vorherigen Rechtsprechung). Ausgehend von diesen Grundlagen der MdE-Schätzung und in Anlehnung an Mehrtens/Perlebach (M 2108 Anm. 9) sowie Schönberger/Mehrtens/Valentin (S. 540) schätzt das Gericht die MdE bei einer BK Nr. 2108 beim Vorliegen von Funktionseinschränkungen und glaubhaften Beschwerden auf 10 v.H. und bei starken Funktionseinschränkungen und Beschwerden auf 20 v.H. Neurologische Ausfallserscheinungen sind keine Voraussetzung für eine MdE von 20 v. H., weil es für die MdE-Bewertung nicht auf technische Meßwerte ankommt, sondern dies eine Funktionsbeurteilung ist.
Nach diesen Voraussetzungen ist die MdE des Klägers wegen der BK Nr. 2108 auf 20 v. H. zu schätzen, weil seine LWS-Erkrankung zu erheblichen funktionellen Störungen geführt hat, wie sich aus dem Gutachten von Dr. H. ergibt (Gutachten S. 24 f., 26 = BI. 55 f., 57 SG Akte).
Der Rentenbeginn für die Verletztenrente ist der 01.01.1997, weil zu diesem Zeitpunkt alle Voraussetzungen für eine Rentengewährung erfüllt waren und der Kläger insbesondere endgültig durch Beendigung seines Arbeitsverhältnisses bei der Firma C. aus der LWS-belastenden Tätigkeit ausgeschieden war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
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