Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 2 U 14/00
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 472/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 17.10.2000 aufgehoben. Die Klage gegen den Bescheid vom 24.01.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.04.1997 wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten darum, ob die Lendenwirbelsäulen-Erkrankung der Klägerin eine Berufskrankheit ist.
Die Klägerin war nach einer entsprechenden Ausbildung von 1980 bis 1992 als Krankenschwester tätig und ließ sich dann zur Fachlehrerin für Krankenpflege umschulen. Der Stellungnahme des Technischen Aufsichtsdienstes des Beklagten war zunächst nicht zu entnehmen, ob die für eine Berufskrankheit nach Nr.2108 der Anlage zur BKVO als erforderlich angesehene arbeitstechnische Belastung erfüllt sei. Der Gewerbearzt hielt diese Voraussetzungen nicht für gegeben. Nach einer erneuten Belastungsschilderung des Arbeitgebers bejahte der Technische Aufsichtsdienst das Vorliegen einer entsprechenden gefährdenden Belastung.
Der vom Beklagten als Sachverständige gehörte Orthopäde Dr.G. verneinte in seinem Gutachten vom 09.05.1996 das Vorliegen einer Berufskrankheit. Die Klägerin habe im Spätfrühjahr 1990 einen Bandscheibenvorfall L 4/L 5 erlitten, der mit einer bindegewebigen Ruhigstellung des betreffenden Segmentes "verblüht" sei. Bei der Versicherten seien Bandscheibenveränderungen nur im vorletzten Segment der Lendenwirbelsäule gesichert. In einem solchen Fall lasse sich ein wesentlicher Ursachenbeitrag einer besonderen beruflichen Belastung nicht begründen. Über 90 % aller Bandscheibenveränderungen im Bereich der Lendenwirbelsäule manifestierten sich in den beiden unteren Segmenten L 4/L 5 und insbesondere L 5/S 1. Diese Veränderungen zeigten im Kollektiv der Gesamtbevölkerung keinerlei Relation zu einer Belastung durch eine besondere Tätigkeit. Das Heben und/oder Tragen schwerer Lasten beanspruche unweigerlich auch die mittlere und obere Lendenwirbelsäule. Die extreme Rumpfbeugehaltung beanspruche auch den Übergang zur Brustwirbelsäule. Bei der Klägerin stellten sich die oberen Bewegungssegmente der Lendenwirbelsäule dagegen vollständig regelhaft dar. Es sei aber nicht denkbar, dass die Scher- und Kompressionskräfte ein oder mehrere Bewegungssegmente überspringen und somit nur die untersten beiden Segmente erreichen könnten. Es spreche im vorliegenden Fall die Wahrscheinlichkeit deshalb sehr viel mehr für die Annahme, dass bei der Klägerin nicht die berufliche Belastung ursächlich gewesen sei, sondern dass es sich um ein schicksalhaftes Verschleißbild - wie bei sehr vielen Menschen im gleichen Lebensalter auch ohne die geforderten beruflichen Belastungen - handle. Über eine Verschlimmerungskomponente könne man allenfalls diskutieren, wenn in den übrigen Segmenten zumindest ein krankheitsrelevanter Anfangsbefund einer bandscheibenbedingten Erkrankung feststellbar wäre. Dies sei jedoch nicht der Fall.
Gestützt hierauf lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 24.01. 1997 die Entschädigung der Wirbelsäulenbeschwerden der Klägerin ab, da sie nicht die Voraussetzungen für die Anerkennung als Berufskrankheit erfüllten. Den anschließenden Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24.04.1997 als unbegründet zurück.
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 17.10.2000 festgestellt, dass bei der Klägerin eine Berufskrankheit nach Nr.2108 der Anlage 1 zur BKV vorliege. Es hat sich hierbei auf ein von ihm eingeholtes Gutachten des Orthopäden Dr.B. vom 24.10.1997 gestützt. Darin ist ausgeführt, bei der Erkrankung der Klägerin handle es sich um eine eindeutig bandscheibenbedingte Erkrankung mit Primärschaden im Bereich der Bandscheibe, nämlich nach Bandscheibenvorfall im Segment L 4/5 im Jahre 1990 mit residualer L 5 Wurzelteilschädigung mit Hypersensibilität im Dermatom L 5 links. Es handle sich um ein chronisch rezidivierendes Beschwerdebild, die entsprechenden morphologischen Veränderungen seien radiologisch eindeutig nachzuweisen. Die Belastungen der Lendenwirbelsäule durch schweres Heben und Tragen wirkten sich vor allem auf die untere Lendenwirbelsäule aus, u.a. die Segmente L 4/5 und L 5/S 1 seien betroffen. Auch diese Bedingungen seien erfüllt. Hierzu war zuvor ausgeführt, es sei eine zunehmende Spondylarthrose der Segmente L 4 bis S 1 aufgetreten. Weiter führt der Sachverständige aus, eine polysegmentale Beteiligung anderer Wirbelsäulenabschnitte liege nicht vor. Auch lägen andere anlagebedingte, unfallbedingte oder krankheitsbedingte Faktoren, die eine bandscheibenbedingte Erkrankung im Bereich der LWS begünstigen könnten, nicht vor.
Hierzu hat der Beklagte eine gutachterliche Stellungnahme des Chirurgen Dr.B. vom 16.02.1998 vorgelegt. Hierin ist ausgeführt, bei streng monosegmentalem Befall liege eine eigenständige Erkrankung näher als eine berufsbedingte Überlastungsschädigung. Auch sei eine HWS-Schädigung, die gegen eine Berufskrankheit an der Lendenwirbelsäule spräche, nicht hinreichend geprüft. Eine am 28.07.1998 gefertigte Röntgenaufnahme der Halswirbelsäule der Klägerin hat eine Fehlhaltung der oberen und mittleren Halswirbelsäule mit leichter Kyphosierung ergeben.
Im Berufungsverfahren hat der Senat ein Gutachten von dem Orthopäden Dr.F. vom 12.06.2002 eingeholt. Der Sachverständige führt aus, dass der Nachweis einer bandscheibenbedingten Erkrankung nur grenzwertig geführt werden könne, nachdem eine eindeutige Nervenwurzelschädigung durch einen entsprechenden fachneurologischen Befund nicht nachgewiesen sei. Für das Vorliegen einer Berufskrankheit spreche, dass der Bandscheibenvorfall keine alterstypische Erkrankung bei der Klägerin darstelle. Nicht erfüllt sei jedoch die Voraussetzung, dass die Lokalisation mit der beruflichen Einwirkung korrelieren müsse. Betroffen von einem überdurchschnittlichen Verschleiß sei allein das vierte Segment der Lendenwirbelsäule. Statistisch sei erwiesen, dass sich Bandscheibenvorfälle auch bei beruflich nicht exponierten Menschen im vierten oder fünften Segment der Lendenwirbelsäule manifestierten. Die Biomechanik lehre, dass unter physiologischen Bedingungen die höchsten Belastungen im letzten Segment der Lendenwirbelsäule abliefen, da hier der bewegliche Abschnitt in das starre Kreuzbein übergehe. Gefördert würden diese Belastungen durch abnorme Winkelstellungen des Kreuzbeines bei vermehrter Neigung nach unten. Eine solche Steilstellung liege bei der Klägerin vor. Dass jedoch gerade die letzte Bandscheibe noch gut erhalten sei und computertomographisch in diesem Segment Gesundheitsstörungen eindeutig hätten ausgeschlossen werden können, sei mit der geforderten Korrelation zwischen exogener Belastung und Lokalisation der Veränderung nicht zu vereinbaren. Dass die unterste Bandscheibe der Lendenwirbelsäule trotz schon unter physiologischen Bedingungen ablaufenden verstärkten Belastungen die exogen hinzukommenden Einwirkungen ganz offensichtlich gut toleriere, sich hingegen der Verschleiß ausschließlich im nächst höheren Segment manifestiert habe, sei als nicht belastungsadaptive Gesundheitsstörung aufzufassen. Experimentell sei nachgewiesen, dass die gesamte Lendenwirbelsäule in von unten nach oben abnehmender Intensität von äußerlichen Einflüssen involviert werde, sodass also auch unter diesem Aspekt die stärksten Verschleißerscheinungen im untersten Segment zu erwarten wären, selbst wenn hier nicht die zusätzlichen physiologischen Belastungen hinzukämen. Auch dass die mittleren bis oberen Abschnitte der Lendenwirbelsäule von Verschleißerscheinungen nicht betroffen seien, stelle ein Argument gegen die geforderte Korrelation dar. Hinzukomme, dass auch Hals- und Brustwirbelsäule nicht frei von Gesundheitsstörungen seien, wenn auch wesentlich weniger als in der Lendenwirbelsäule ausgeprägt. Dass alle drei Wirbelsäulenabschnitte von pathologischen Veränderungen betroffen seien, sei ein weiteres Argument gegen die Annahme einer Berufskrankheit. Auch der zeitliche Zusammenhang sei nicht gesichert. Gefordert werde eine mindestens zehnjährige Expositionszeit bis zum Beginn der ersten Wirbelsäulenproblematik. Begonnen sei die wirbelsäulenbelastende Tätigkeit im Oktober 1979; 1988 habe eine akute Lumbago zu einer Arbeitsunfähigkeit von etwa einer Woche geführt. Als konkurrierende Ursache zur Förderung des Bandscheibenvorfalls liege bei der Klägerin eine leichte Fehlstatik der Lendenwirbelsäule auf Grund des Beckenschiefstandes vor. Es habe sich eine linkskonvexe seitliche Verbiegung entwickelt, die zu einer Verlagerung des Bandscheibengewebes nach links führen könne, also zu der Seite, welche 1990 Hinweise auf eine Nervenwurzelirritation geliefert habe. Der Befall auch der Hals- und Brustwirbelsäule von geringeren Verschleißerscheinungen sei ein Hinweis auf die Verursachung von Wirbelsäulenschäden aus innerlicher Ursache. Insgesamt könnten die konkurrierenden Verursachungsmöglichkeiten jedoch als wenig bedeutsam eingestuft werden. Die entscheidenden Faktoren, welche eine Berufskrankheit nicht ausreichend begründet erscheinen ließen, stellten die fehlende Korrelation zwischen Lokalisation der Veränderungen und beruflicher Einwirkung, also das nicht belastungskonforme Schadensbild und auch der nicht nachgewiesene zeitliche Zusammenhang von mindestens zehn Jahren bis zur Erstmanifestation einer Bandscheibenerkrankung dar. Die Annahme des zeitlichen Zusammenhangs durch Dr.B. sei angesichts der vorliegenden Daten nicht nachvollziehbar. An konkurrierenden Verursachungsmöglichkeiten habe sich Dr.B. nur auf private Belastungen gestützt, nicht auch auf andere Faktoren. Nicht nachzuvollziehen sei auch, warum Dr.B. das fünfte Segment der Lendenwirbelsäule als radiomorphologisch eindeutig altersatypisch degenerativ verändert ansehe. In diesem Segment liefen keine eindeutigen Verschleißerscheinungen ab. Eine Spondylarthrose würde eine Erkrankung der Wirbelbogengelenke darstellen, die jedoch auf den von diesem Gutachter eingesehenen Röntgenaufnahmen schon insoweit nicht zu erkennen seien, als sich die Wirbelbogengelenke der Lendenwirbelsäule nur auf Schrägaufnahmen abbilden ließen und eindeutig beurteilbar seien. Solche Schrägaufnahmen hätten dem Sachverständigen nicht zur Verfügung gestanden. Es sei auch unklar, aus welchem Grund der Sachverständige eine Erkrankung der Halswirbelsäule ausgeschlossen habe, nachdem er lediglich Röntgenaufnahmen der Brust- und Lendenwirbelsäule ausgewertet habe. Es sei auch nicht richtig, dass die Brustwirbelsäule verschleißfrei sei, vielmehr sei eine der oberen Bandscheiben eindeutig und wesentlich verschmälert. Eine Skoliose und Beinlängendifferenz habe der Sachverständige nicht festgestellt. Nicht geprüft habe er das wichtige Kriterium der belastungskonformen Gesundheitsstörung.
Der Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 17.12.2000 aufzuheben und die Klage gegen die streitgegenständlichen Bescheide vom 24.01. und 24.04.1997 zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Zum Verfahren beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren die Akte des Beklagten und die Akte des Sozialgerichts Augsburg in dem vorangegangenen Klageverfahren. Auf ihren Inhalt und das Ergebnis der Beweisaufnahme wird ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die von der Klägerin form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig; eine Beschränkung der Berufung nach § 144 SGG besteht nicht.
Die Berufung ist auch begründet. Der Beklagte hat zu Recht festgestellt, dass die Lendenwirbelsäulenerkrankung der Klägerin keine Berufskrankheit ist.
Streitig ist allein das Ergebnis der Beweisaufnahme auf medizinischem Fachgebiet und dessen Bewertung. Der Senat stützt seine Überzeugung auf das Gutachten des Dr.F. , das darüber hinaus in wesentlichen Gesichtspunkten mit dem Gutachten des Dr.G. übereinstimmt. Auch letzteres, das im Verwaltungsver- fahren vom Beklagten eingeholt wurde, kann der gerichtlichen Entscheidung zugrunde gelegt werden (vgl. BSG SozR Nr.66 zu § 128 SGG). Dass und inwieweit das Gutachten des Dr.B. von unvollständigen und teilweise unrichtigen medizinischen Sachverhalten ausgeht und teilweise nicht alle für die Beurteilung der Kausa- lität notwendigen Beurteilungskriterien berücksichtigt, er- gibt sich im Einzelnen aus dem Gutachten des Sachverständigen Dr.F ... Das Gutachten des Dr.B. hätte schon deshalb nicht der Entscheidung zugrunde gelegt werden dürfen, weil es zwar, ebenso wie der Sachverständige Dr.G. und die vom Sozialgericht in der Urteilsbegründung eingeführte Literaturstelle, einen Befall wenigstens der unteren Lendenwirbelsäule in den Segmenten L 4/5 und L 5/S 1 fordert, diese Forderung nach dem eigenen Gutachten jedoch nicht erfüllt ist. Insoweit stellt der Sachverständige lediglich eine bandscheibenbedingte Beeinträchtigung der Lendenwirbelsäule in dem Segment L 4/5 fest. Bezüglich des Segmentes L 5/S 1 ist lediglich von einer über das altersphysiologische Ausmaß hinausgehenden Spondylarthrose die Rede. Dem Gutachten fehlt es damit in einem wesentlichen Punkt, der auch vom Sachverständigen als solcher angeführt ist, an der notwendigen Schlüssigkeit.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme war die angefochtene Entscheidung deshalb aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten stützt sich auf § 193 SGG und folgt der Erwägung, dass die Entscheidung des Beklagten in vollem Umfang bestand gehabt hat.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten darum, ob die Lendenwirbelsäulen-Erkrankung der Klägerin eine Berufskrankheit ist.
Die Klägerin war nach einer entsprechenden Ausbildung von 1980 bis 1992 als Krankenschwester tätig und ließ sich dann zur Fachlehrerin für Krankenpflege umschulen. Der Stellungnahme des Technischen Aufsichtsdienstes des Beklagten war zunächst nicht zu entnehmen, ob die für eine Berufskrankheit nach Nr.2108 der Anlage zur BKVO als erforderlich angesehene arbeitstechnische Belastung erfüllt sei. Der Gewerbearzt hielt diese Voraussetzungen nicht für gegeben. Nach einer erneuten Belastungsschilderung des Arbeitgebers bejahte der Technische Aufsichtsdienst das Vorliegen einer entsprechenden gefährdenden Belastung.
Der vom Beklagten als Sachverständige gehörte Orthopäde Dr.G. verneinte in seinem Gutachten vom 09.05.1996 das Vorliegen einer Berufskrankheit. Die Klägerin habe im Spätfrühjahr 1990 einen Bandscheibenvorfall L 4/L 5 erlitten, der mit einer bindegewebigen Ruhigstellung des betreffenden Segmentes "verblüht" sei. Bei der Versicherten seien Bandscheibenveränderungen nur im vorletzten Segment der Lendenwirbelsäule gesichert. In einem solchen Fall lasse sich ein wesentlicher Ursachenbeitrag einer besonderen beruflichen Belastung nicht begründen. Über 90 % aller Bandscheibenveränderungen im Bereich der Lendenwirbelsäule manifestierten sich in den beiden unteren Segmenten L 4/L 5 und insbesondere L 5/S 1. Diese Veränderungen zeigten im Kollektiv der Gesamtbevölkerung keinerlei Relation zu einer Belastung durch eine besondere Tätigkeit. Das Heben und/oder Tragen schwerer Lasten beanspruche unweigerlich auch die mittlere und obere Lendenwirbelsäule. Die extreme Rumpfbeugehaltung beanspruche auch den Übergang zur Brustwirbelsäule. Bei der Klägerin stellten sich die oberen Bewegungssegmente der Lendenwirbelsäule dagegen vollständig regelhaft dar. Es sei aber nicht denkbar, dass die Scher- und Kompressionskräfte ein oder mehrere Bewegungssegmente überspringen und somit nur die untersten beiden Segmente erreichen könnten. Es spreche im vorliegenden Fall die Wahrscheinlichkeit deshalb sehr viel mehr für die Annahme, dass bei der Klägerin nicht die berufliche Belastung ursächlich gewesen sei, sondern dass es sich um ein schicksalhaftes Verschleißbild - wie bei sehr vielen Menschen im gleichen Lebensalter auch ohne die geforderten beruflichen Belastungen - handle. Über eine Verschlimmerungskomponente könne man allenfalls diskutieren, wenn in den übrigen Segmenten zumindest ein krankheitsrelevanter Anfangsbefund einer bandscheibenbedingten Erkrankung feststellbar wäre. Dies sei jedoch nicht der Fall.
Gestützt hierauf lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 24.01. 1997 die Entschädigung der Wirbelsäulenbeschwerden der Klägerin ab, da sie nicht die Voraussetzungen für die Anerkennung als Berufskrankheit erfüllten. Den anschließenden Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24.04.1997 als unbegründet zurück.
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 17.10.2000 festgestellt, dass bei der Klägerin eine Berufskrankheit nach Nr.2108 der Anlage 1 zur BKV vorliege. Es hat sich hierbei auf ein von ihm eingeholtes Gutachten des Orthopäden Dr.B. vom 24.10.1997 gestützt. Darin ist ausgeführt, bei der Erkrankung der Klägerin handle es sich um eine eindeutig bandscheibenbedingte Erkrankung mit Primärschaden im Bereich der Bandscheibe, nämlich nach Bandscheibenvorfall im Segment L 4/5 im Jahre 1990 mit residualer L 5 Wurzelteilschädigung mit Hypersensibilität im Dermatom L 5 links. Es handle sich um ein chronisch rezidivierendes Beschwerdebild, die entsprechenden morphologischen Veränderungen seien radiologisch eindeutig nachzuweisen. Die Belastungen der Lendenwirbelsäule durch schweres Heben und Tragen wirkten sich vor allem auf die untere Lendenwirbelsäule aus, u.a. die Segmente L 4/5 und L 5/S 1 seien betroffen. Auch diese Bedingungen seien erfüllt. Hierzu war zuvor ausgeführt, es sei eine zunehmende Spondylarthrose der Segmente L 4 bis S 1 aufgetreten. Weiter führt der Sachverständige aus, eine polysegmentale Beteiligung anderer Wirbelsäulenabschnitte liege nicht vor. Auch lägen andere anlagebedingte, unfallbedingte oder krankheitsbedingte Faktoren, die eine bandscheibenbedingte Erkrankung im Bereich der LWS begünstigen könnten, nicht vor.
Hierzu hat der Beklagte eine gutachterliche Stellungnahme des Chirurgen Dr.B. vom 16.02.1998 vorgelegt. Hierin ist ausgeführt, bei streng monosegmentalem Befall liege eine eigenständige Erkrankung näher als eine berufsbedingte Überlastungsschädigung. Auch sei eine HWS-Schädigung, die gegen eine Berufskrankheit an der Lendenwirbelsäule spräche, nicht hinreichend geprüft. Eine am 28.07.1998 gefertigte Röntgenaufnahme der Halswirbelsäule der Klägerin hat eine Fehlhaltung der oberen und mittleren Halswirbelsäule mit leichter Kyphosierung ergeben.
Im Berufungsverfahren hat der Senat ein Gutachten von dem Orthopäden Dr.F. vom 12.06.2002 eingeholt. Der Sachverständige führt aus, dass der Nachweis einer bandscheibenbedingten Erkrankung nur grenzwertig geführt werden könne, nachdem eine eindeutige Nervenwurzelschädigung durch einen entsprechenden fachneurologischen Befund nicht nachgewiesen sei. Für das Vorliegen einer Berufskrankheit spreche, dass der Bandscheibenvorfall keine alterstypische Erkrankung bei der Klägerin darstelle. Nicht erfüllt sei jedoch die Voraussetzung, dass die Lokalisation mit der beruflichen Einwirkung korrelieren müsse. Betroffen von einem überdurchschnittlichen Verschleiß sei allein das vierte Segment der Lendenwirbelsäule. Statistisch sei erwiesen, dass sich Bandscheibenvorfälle auch bei beruflich nicht exponierten Menschen im vierten oder fünften Segment der Lendenwirbelsäule manifestierten. Die Biomechanik lehre, dass unter physiologischen Bedingungen die höchsten Belastungen im letzten Segment der Lendenwirbelsäule abliefen, da hier der bewegliche Abschnitt in das starre Kreuzbein übergehe. Gefördert würden diese Belastungen durch abnorme Winkelstellungen des Kreuzbeines bei vermehrter Neigung nach unten. Eine solche Steilstellung liege bei der Klägerin vor. Dass jedoch gerade die letzte Bandscheibe noch gut erhalten sei und computertomographisch in diesem Segment Gesundheitsstörungen eindeutig hätten ausgeschlossen werden können, sei mit der geforderten Korrelation zwischen exogener Belastung und Lokalisation der Veränderung nicht zu vereinbaren. Dass die unterste Bandscheibe der Lendenwirbelsäule trotz schon unter physiologischen Bedingungen ablaufenden verstärkten Belastungen die exogen hinzukommenden Einwirkungen ganz offensichtlich gut toleriere, sich hingegen der Verschleiß ausschließlich im nächst höheren Segment manifestiert habe, sei als nicht belastungsadaptive Gesundheitsstörung aufzufassen. Experimentell sei nachgewiesen, dass die gesamte Lendenwirbelsäule in von unten nach oben abnehmender Intensität von äußerlichen Einflüssen involviert werde, sodass also auch unter diesem Aspekt die stärksten Verschleißerscheinungen im untersten Segment zu erwarten wären, selbst wenn hier nicht die zusätzlichen physiologischen Belastungen hinzukämen. Auch dass die mittleren bis oberen Abschnitte der Lendenwirbelsäule von Verschleißerscheinungen nicht betroffen seien, stelle ein Argument gegen die geforderte Korrelation dar. Hinzukomme, dass auch Hals- und Brustwirbelsäule nicht frei von Gesundheitsstörungen seien, wenn auch wesentlich weniger als in der Lendenwirbelsäule ausgeprägt. Dass alle drei Wirbelsäulenabschnitte von pathologischen Veränderungen betroffen seien, sei ein weiteres Argument gegen die Annahme einer Berufskrankheit. Auch der zeitliche Zusammenhang sei nicht gesichert. Gefordert werde eine mindestens zehnjährige Expositionszeit bis zum Beginn der ersten Wirbelsäulenproblematik. Begonnen sei die wirbelsäulenbelastende Tätigkeit im Oktober 1979; 1988 habe eine akute Lumbago zu einer Arbeitsunfähigkeit von etwa einer Woche geführt. Als konkurrierende Ursache zur Förderung des Bandscheibenvorfalls liege bei der Klägerin eine leichte Fehlstatik der Lendenwirbelsäule auf Grund des Beckenschiefstandes vor. Es habe sich eine linkskonvexe seitliche Verbiegung entwickelt, die zu einer Verlagerung des Bandscheibengewebes nach links führen könne, also zu der Seite, welche 1990 Hinweise auf eine Nervenwurzelirritation geliefert habe. Der Befall auch der Hals- und Brustwirbelsäule von geringeren Verschleißerscheinungen sei ein Hinweis auf die Verursachung von Wirbelsäulenschäden aus innerlicher Ursache. Insgesamt könnten die konkurrierenden Verursachungsmöglichkeiten jedoch als wenig bedeutsam eingestuft werden. Die entscheidenden Faktoren, welche eine Berufskrankheit nicht ausreichend begründet erscheinen ließen, stellten die fehlende Korrelation zwischen Lokalisation der Veränderungen und beruflicher Einwirkung, also das nicht belastungskonforme Schadensbild und auch der nicht nachgewiesene zeitliche Zusammenhang von mindestens zehn Jahren bis zur Erstmanifestation einer Bandscheibenerkrankung dar. Die Annahme des zeitlichen Zusammenhangs durch Dr.B. sei angesichts der vorliegenden Daten nicht nachvollziehbar. An konkurrierenden Verursachungsmöglichkeiten habe sich Dr.B. nur auf private Belastungen gestützt, nicht auch auf andere Faktoren. Nicht nachzuvollziehen sei auch, warum Dr.B. das fünfte Segment der Lendenwirbelsäule als radiomorphologisch eindeutig altersatypisch degenerativ verändert ansehe. In diesem Segment liefen keine eindeutigen Verschleißerscheinungen ab. Eine Spondylarthrose würde eine Erkrankung der Wirbelbogengelenke darstellen, die jedoch auf den von diesem Gutachter eingesehenen Röntgenaufnahmen schon insoweit nicht zu erkennen seien, als sich die Wirbelbogengelenke der Lendenwirbelsäule nur auf Schrägaufnahmen abbilden ließen und eindeutig beurteilbar seien. Solche Schrägaufnahmen hätten dem Sachverständigen nicht zur Verfügung gestanden. Es sei auch unklar, aus welchem Grund der Sachverständige eine Erkrankung der Halswirbelsäule ausgeschlossen habe, nachdem er lediglich Röntgenaufnahmen der Brust- und Lendenwirbelsäule ausgewertet habe. Es sei auch nicht richtig, dass die Brustwirbelsäule verschleißfrei sei, vielmehr sei eine der oberen Bandscheiben eindeutig und wesentlich verschmälert. Eine Skoliose und Beinlängendifferenz habe der Sachverständige nicht festgestellt. Nicht geprüft habe er das wichtige Kriterium der belastungskonformen Gesundheitsstörung.
Der Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 17.12.2000 aufzuheben und die Klage gegen die streitgegenständlichen Bescheide vom 24.01. und 24.04.1997 zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Zum Verfahren beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren die Akte des Beklagten und die Akte des Sozialgerichts Augsburg in dem vorangegangenen Klageverfahren. Auf ihren Inhalt und das Ergebnis der Beweisaufnahme wird ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die von der Klägerin form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig; eine Beschränkung der Berufung nach § 144 SGG besteht nicht.
Die Berufung ist auch begründet. Der Beklagte hat zu Recht festgestellt, dass die Lendenwirbelsäulenerkrankung der Klägerin keine Berufskrankheit ist.
Streitig ist allein das Ergebnis der Beweisaufnahme auf medizinischem Fachgebiet und dessen Bewertung. Der Senat stützt seine Überzeugung auf das Gutachten des Dr.F. , das darüber hinaus in wesentlichen Gesichtspunkten mit dem Gutachten des Dr.G. übereinstimmt. Auch letzteres, das im Verwaltungsver- fahren vom Beklagten eingeholt wurde, kann der gerichtlichen Entscheidung zugrunde gelegt werden (vgl. BSG SozR Nr.66 zu § 128 SGG). Dass und inwieweit das Gutachten des Dr.B. von unvollständigen und teilweise unrichtigen medizinischen Sachverhalten ausgeht und teilweise nicht alle für die Beurteilung der Kausa- lität notwendigen Beurteilungskriterien berücksichtigt, er- gibt sich im Einzelnen aus dem Gutachten des Sachverständigen Dr.F ... Das Gutachten des Dr.B. hätte schon deshalb nicht der Entscheidung zugrunde gelegt werden dürfen, weil es zwar, ebenso wie der Sachverständige Dr.G. und die vom Sozialgericht in der Urteilsbegründung eingeführte Literaturstelle, einen Befall wenigstens der unteren Lendenwirbelsäule in den Segmenten L 4/5 und L 5/S 1 fordert, diese Forderung nach dem eigenen Gutachten jedoch nicht erfüllt ist. Insoweit stellt der Sachverständige lediglich eine bandscheibenbedingte Beeinträchtigung der Lendenwirbelsäule in dem Segment L 4/5 fest. Bezüglich des Segmentes L 5/S 1 ist lediglich von einer über das altersphysiologische Ausmaß hinausgehenden Spondylarthrose die Rede. Dem Gutachten fehlt es damit in einem wesentlichen Punkt, der auch vom Sachverständigen als solcher angeführt ist, an der notwendigen Schlüssigkeit.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme war die angefochtene Entscheidung deshalb aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten stützt sich auf § 193 SGG und folgt der Erwägung, dass die Entscheidung des Beklagten in vollem Umfang bestand gehabt hat.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
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