Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 26 RJ 1639/98
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 8 RJ 55/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 23. Mai 2000 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligen einander nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Rente wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit.
Die 1956 in der Türkei geborene Klägerin kam im Mai 1971 nach Deutschland. Den ersten Pflichtbeitrag zur deutschen Rentenversicherung (für eine ungelernte Beschäftigung als Küchenhilfe) entrichtete sie im März 1972. Zuletzt war sie seit mehreren Jahren als Küchenhelferin in der K-Nervenklinik beschäftigt. Seit dem 7. August 1993 war sie arbeitsunfähig krank. Das Arbeitsverhältnis wurde zum 31. Dezember 1993 beendet. Vom 13. Januar bis 28. Juni 1994 bezog sie Leistungen vom Arbeitsamt und erneut vom 29. Juni bis 13. Dezember 1994 Krankengeld; die Krankengeldzahlung endete wegen Ablaufs der Bezugsdauer. Daran schloss sich der Bezug von Sozialhilfe an.
Im Dezember 1994 beantragte die Klägerin erstmals die Gewährung einer Rente unter Hinweis auf ihren Gesundheitszustand. Die Beklagte zog verschiedene ärztliche Unterlagen (insbesondere vertrauensärztliche Gutachten aus den Vorjahren) bei und veranlasste eine Begutachtung der Klägerin. Danach hielt sie die Klägerin noch für fähig, körperlich leichte Arbeiten unter Beachtung von qualitativen Leistungseinschränkungen vollschichtig zu verrichten und lehnte demzufolge den Rentenantrag ab (Bescheid vom 5. Oktober 1995, Widerspruchsbescheid vom 22. Januar 1996). Die dagegen gerichtete Klage wurde als unzulässig zurückgewiesen.
Am 6. März 1997 beantragte die Klägerin erneut die Gewährung einer Rente unter Hinweis auf ihren Gesundheitszustand und legte dazu verschiedene Atteste ihrer behandelnden Ärzte vor. Die Beklagte ließ ein allgemeinmedizinisches Gutachten vom 25. September 1997 durch Dr. G erstatten, die folgende Diagnosen stellte:
1. Cervicobrachialsyndrom bei Prolaps C3 bis C6,
2. Polyarthralgie,
3. Hypertonus,
4. chronische Bronchitis,
5. Übergewicht,
6. Anämie,
7. Fettstoffwechselstörung.
Unter Berücksichtigung dieser Beschwerden kam sie ebenfalls zu dem Ergebnis, dass die Klägerin noch körperlich leichte Arbeiten vollschichtig mit qualitativen Einschränkungen verrichten könne. Unter Hinweis auf diese Feststellungen lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente ab (Bescheid vom 30. September 1997, Widerspruchsbescheid vom 21. Juli 1998).
Dagegen hat sich die Klägerin mit ihrer zum Sozialgericht (SG) B erhobenen Klage gewandt und weiterhin die Gewährung einer Rente beansprucht. Unter Vorlage verschiedener medizinischer Unterlagen hat sie eine unzutreffende Würdigung ihres Gesundheitszustandes gerügt.
Das SG hat Befundberichte der behandelnden Ärzte eingeholt, die die Klägerin übereinstimmend für noch ausreichend leistungsfähig gehalten haben, körperlich leichte Arbeiten vollschichtig zu verrichten. Anschließend hat das SG durch den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. L das Gutachten vom 11. September 1999 erstatten lassen, in dem dieser auf seinem Fachgebiet eine somatoforme Schmerzstörung festgestellt und darauf aufbauend ebenfalls die Auffassung vertreten hat, die Klägerin könne noch vollschichtig körperlich leichte Arbeiten mit qualitativen Einschränkungen verrichten. Ergänzend hat er ausgeführt, dass die Klägerin im Hinblick auf das Krankheitsbild nicht mehr unter Zeitdruck und nur in Tagesschicht arbeiten könne.
In das Verfahren sind berufskundliche Unterlagen seitens des SG und seitens der Beklagten zu einer Reihe von Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes (insbesondere der Telefonistin) eingeführt worden.
Sodann hat das SG durch Urteil vom 23. Mai 2000 die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, der Klägerin Rente wegen Erwerbsunfähigkeit seit dem 1. März 1997 zu gewähren. Die Klägerin sei zwar nach dem Ergebnis der medizinischen Beweiserhebung theoretisch noch in der Lage, körperlich leichte Tätigkeiten vollschichtig zu verrichten, ihr sei jedoch gleichwohl im Hinblick auf die schwerwiegenden qualitativen Einschränkungen des Leistungsvermögens die begehrte Rente im tenorierten Umfange zuzusprechen. Die Klägerin könne ihre bisherige berufliche Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben. Auch wenn sie als Ungelernte grundsätzlich auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar sei, so bestehe vorliegend dennoch eine Pflicht zur Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit. Zwar würden die qualifizierten Leistungseinschränkungen der Klägerin nicht unmittelbar unter eine der in der Entscheidung des Großen Senats des Bundessozialgerichts vom 19. Dezember 1996 - GS 1/95 - genannten Fallgruppe fallen, so dass weder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen noch eine schwere spezifische Leistungsbehinderung im Sinne der Rechtsprechung des BSG vorliege. Jedoch sei das Gericht der Überzeugung, dass die bei der Klägerin vorhandenen Leistungseinschränkungen - insbesondere die fehlende Fähigkeit, in Wechsel- und Nachtschicht sowie unter besonderem Zeitdruck arbeiten zu können, die Minderung des Hörvermögens sowie das Erfordernis eines Wechsels der drei Haltungsarten bzw. die Notwendigkeit, überwiegend im Sitzen bei Bestehen der Möglichkeit des Haltungswechsels arbeiten zu müssen - im Hinblick auf ihre Schwere und Bedeutung für die Ausübung einer beruflichen Tätigkeit dennoch diesen Fallgruppen gleichzustellen seien. Die vorliegend bestehenden ernsthaften Zweifel an einer betrieblichen Einsetzbarkeit begründeten die Notwendigkeit der Benennung von Verweisungstätigkeiten. Solche sehe das Gericht nicht, wie sich aus den beigezogenen Auskünften ergebe. Die im allgemeinen in Betracht kommenden Tätigkeiten (Pförtner - , Montier- oder Prüftätigkeiten, Pack- oder Sortierarbeiten) erforderten regelmäßig ein Arbeiten nicht nur in Tagesschicht bzw. unter Zeitdruck und kämen daher für die Klägerin nicht Betracht. Da die von der Beklagten benannten Tätigkeiten im Hinblick auf die Leistungseinschränkungen ausschieden bzw. zumutbare Verweisungstätigkeiten seitens des Gerichts nicht erkennbar seien, stehe ihr somit die begehrte Rente zu.
Hiergegen hat sich die Beklagte mit ihrer Berufung gewandt. Die Annahme einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen bzw. eines gleichzustellenden Falles sei im Hinblick auf das Restleistungsvermögen der Klägerin nicht haltbar. Eine Verschlossenheit des Arbeitsmarktes sei nicht erkennbar.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts B vom 23. Mai 2000 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil und legt ergänzend Unterlagen ihrer behandelnden Ärzte vor.
Der Senat hat Dr. W mit der Begutachtung der Klägerin beauftragt, der in seinem orthopädischen Gutachten vom 11. April 2001 ausgeführt hat, dass „eine eigentliche orthopädische Erkrankung mit Strukturveränderungen am Bewegungsapparat nicht nachweisbar (sei); das Beschwerdebild entspreche einer somatoformen Schmerzstörung; an der Wirbelsäule bestehe ein chronisches Wirbelsäulensyndrom bei Adipositas mit Neigung zu muskulären Überlastungen“. Er ist ebenfalls zu dem Ergebnis gelangt, dass die Klägerin noch vollschichtig einsatzfähig für körperlich leichte Arbeiten mit qualitativen Einschränkungen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf die Gerichtsakte sowie die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte entgegen der Auffassung des SG keinen Anspruch auf Versichertenrente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Die Klägerin ist weder berufs- noch erwerbsunfähig.
Berufsunfähig sind nach § 43 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB VI a.F. Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (vgl. § 43 Abs. 2 Satz 4 SGB VI a.F.). Erwerbsunfähig sind demgegenüber Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße übersteigt (vgl. § 44 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 SGB VI a.F.).
Erwerbsunfähig ist nicht, wer eine selbständige Tätigkeit ausübt oder eine Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (vgl. § 44 Abs. 2 Satz 2 SGB VI a.F.).
Die Klägerin ist schon nicht berufsunfähig. „Bisheriger Beruf“ der Klägerin im Sinne des § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI a.F. ist die von der Klägerin zuletzt ausgeübte Tätigkeit einer Küchenhelferin in der K-Nervenklinik. Diese Tätigkeit kann die Klägerin aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben, denn nach den medizinischen Gutachten und den vorhandenen medizinischen Unterlagen steht auch zur Überzeugung des Senats fest, dass die Klägerin nur noch körperlich leichte Arbeiten in geschlossenen Räumen ohne Einfluss von Hitze, Kälte, Staub, Feuchtigkeit oder Zugluft, mit Überwiegen der sitzenden Haltung und Gelegenheit zum Haltungswechsel, ohne einseitige körperliche Belastung, ohne besonderen Zeitdruck, aber auch in festgelegtem Arbeitsrhythmus und an laufenden Maschinen, ohne Wechsel- oder Nachtschicht, vollschichtig und ohne zusätzliche Pausen verrichten kann. Ebenso sollen Arbeiten auf Leitern und Gerüsten vermieden werden. Dagegen sind Hocken und Knien möglich, allerdings ohne häufiger Bestandteil des täglichen Arbeitsablaufs zu sein. Das Reaktionsvermögen, Lese- und Schreibgewandtheit, Auffassungsgabe, Lern- und Merkfähigkeit, Gedächtnis, Konzentrationsfähigkeit, Entschluss- und Verantwortungsfähigkeit, Kontaktfähigkeit sowie Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit bei der Klägerin sind nicht beeinträchtigt. Die Hörstörung links lässt eine normale Verständigung zu. Besonderheiten für den Weg zur Arbeitsstelle sind nicht zu beachten.
Da die Klägerin, die keinen Beruf erlernt hat, in der K-Nervenklinik ungelernte Tätigkeiten ausgeübt hat, besitzt sie keinen besonderen Berufsschutz und ist deshalb auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar. Entgegen der Auffassung des SG ist die Klägerin trotz der genannten gesundheitlichen Einschränkungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auch einsatzfähig. Der Klägerin sind insbesondere noch leichte Verrichtungen, wie z.B. Zureichen, Abnehmen, Bedienen von Maschinen, Verpacken von leichten Gegenständen sowie Montagetätigkeiten mit Kunststoff, Plastik, Glas oder Holz möglich, zumal die Klägerin nach den Feststellungen des medizinischen Sachverständigen Dr. W noch Tätigkeiten in festgelegtem Arbeitsrhythmus und an laufenden Maschinen ausüben kann. Für diese Verrichtungen sind Arbeitsplätze auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausreichend vorhanden.
Zu Unrecht ist das SG von einer Pflicht zur Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit ausgegangen. Bei Versicherten, die auf das allgemeine Arbeitsfeld verweisbar sind und noch vollschichtig leichte körperliche Arbeiten mit zusätzlichen Einschränkungen verrichten können, bedarf es grundsätzlich einer konkreten Benennung (zumindest) einer Verweisungstätigkeit nicht. Ausnahmsweise hat die Rechtsprechung die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit in diesen Fällen für erforderlich gehalten, wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt (vgl. dazu die auf die Vorlagebeschlüsse des 13. Senats ergangenen Beschlüsse des Großen Senats des BSG vom 19. Dezember 1996 - GS 1 bis 4/95 - GS 2/95 = SozR 3-2600 § 44 Nr. 8 - sowie die nachfolgenden Entscheidungen des BSG, u.a. Urteil vom 20. August 1997 -13 RJ 39/96- SozR 3-2600 § 43 Nr. 17, vom 24. März 1998 -B 4 RA 44/96 R-, vom 25. März 1998 -B 5 RJ 46/97 R- und vom 24. Februar 1999 -B 5 RJ 30/98 R- SozR 3-2600 § 44 Nr. 12). Diese Voraussetzungen liegen bei der Klägerin nicht vor. Die bei ihr bestehenden Leistungseinschränkungen: Arbeiten ohne besonderen Zeitdruck und nicht in Nacht- oder Wechselschicht sind von jeher nach der Rechtsprechung des BSG nicht zu den ungewöhnlichen Leistungseinschränkungen und schon gar nicht zu den schweren spezifischen Leistungsbehinderungen gezählt worden (so schon die Entscheidung des BSG vom 1. März 1984 -4 RJ 43/83- SozR 2200 § 1246 Nr. 117, auf die auch der Große Senat in seinen Beschlüssen vom 19. Dezember 1996 ausdrücklich verweist und in denen er noch einmal die Einschränkungen wiederholt, die nicht zu einer konkreten Benennung veranlassen sollen). Dazu gehört auch der Ausschluss von Arbeiten im Akkord, im Schichtdienst und an laufenden Maschinen sowie von Tätigkeiten, die besondere Fingerfertigkeiten erfordern und besondere Anforderungen an das Seh-, Hör- und Konzentrationsvermögen stellen). Daher kommt auch die Hörminderung nicht als schwere Einschränkung in Betracht, denn nach den Feststellungen des Gutachters Dr. W ist eine Verständigung mit normaler Stimmlage und Lautstärke mit der Klägerin möglich. Die mangelnden Sprachkenntnisse der Klägerin sind in diesem Zusammenhang ebenfalls unbeachtlich. Denn die Berücksichtigung von Schwierigkeiten wegen der mangelnden Beherrschung der deutschen Sprache scheidet schon aus Rechtsgründen aus (vgl. dazu BSG SozR 3-2200 § 1246 Nrn. 9 und 11). Im Übrigen ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin auf Grund mangelnder Deutschkenntnisse gehindert ist, noch leichte Verrichtungen der genannten Art zu bewältigen. Angesichts der langjährigen Erwerbstätigkeit der Klägerin in Deutschland liegt eine derartige Beeinträchtigung auch fern.
Die Auffassung des SG, dass die bei der Klägerin zusätzlich festgestellten Leistungseinschränkungen im Hinblick auf ihre Schwere und Bedeutung für die Ausübung einer beruflichen Tätigkeit den Fallgruppen gleichzustellen sind, bei denen die Rechtsprechung eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung angenommen hat, teilt der Senat nicht. Wie der Große Senat des BSG in den angeführten Beschlüssen ausgeführt hat, ist in den Fällen, in denen der Versicherte noch leichte körperliche Arbeiten mit zusätzlichen Einschränkungen verrichten kann, die Pflicht zur Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit die Ausnahme. Die Beurteilung, ob der Versicherte erwerbsfähig oder berufsunfähig ist, muss im Regelfall nicht nach Anforderungsprofilen einer oder mehrerer bestimmter Berufstätigkeiten erfolgen; es genügt eine Beurteilung, ob das Restleistungsvermögen dem Versicherten körperliche Verrichtungen (wie z.B. Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen usw.) erlaubt, die in ungelernten Tätigkeiten gefordert zu werden pflegen (so auch BSG, Urteil vom 25. März 1998 -B 5 RJ 46/97 R- und vom 24. Februar 1999 -B 5 RJ 30/98 R- a.a.O.). Dabei hat der Große Senat insbesondere auf die Rechtsprechung des BSG aus den Jahren 1981 und 1982 Bezug genommen. Solche einfachen körperlichen Verrichtungen kann die Klägerin aber - wie bereits ausgeführt wurde - ohne weiteres ausüben. Der Große Senat hat auch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass keine Veranlassung besteht, über die bisherige Rechtsprechung des BSG hinaus, die Pflicht zur konkreten Benennung von Verweisungstätigkeiten zu erweitern. Das würde der Anweisung in § 44 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB VI in der Fassung des Zweiten SGB VI-Änderungsgesetzes vom 2. Mai 1996 (BGBl. I S. 659) widersprechen. Das erklärte Ziel dieser Änderung sei es gewesen, bis zur grundsätzlichen Neuregelung des Rechts der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit die Fortsetzung der auf der bisherigen Rechtsprechung beruhenden Verwaltungspraxis sicherzustellen und jede weitere Rechtsfortbildung in Richtung einer „Arbeitsmarktrente“ durch die Rechtsprechung zu verhindern, die bei der Neuregelung des Rechts der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit eine sachgerechte Zuordnung des Arbeitsmarktrisikos an die Rentenversicherung erschweren könnte. Der Senat schließt sich dieser Auffassung an (vgl. auch Urteil des Senats vom 12. Oktober 2000 - L 8 RJ 1/99).
An diesem Ergebnis ändern die von dem SG beigezogenen beruflichen Auskünfte des Landesarbeitsamtes nicht. Zum einen decken sie nicht den - worauf es ankommt - ganzen Arbeitsmarkt in der Bundesrepublik Deutschland ab, sondern nur den der Länder Berlin und Brandenburg. Zum anderen ist zweifelhaft, ob das Landesarbeitsamt Berlin-Brandenburg überhaupt in der Lage ist, zuverlässige Angaben zu den Verhältnissen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für ungelernte Tätigkeiten zu machen. Der Große Senat hat darauf hingewiesen, dass die Berufswelt insoweit nicht transparent sei. Ob in einigen Jahren eine Arbeitsmarkttransparenz geschaffen werden könne, sei unerheblich; derzeit - das war im Jahre 1996 - könne jedenfalls auf entsprechende Erkenntnisse für die Praxis nicht zurückgegriffen werden, so dass ein Benennungsgebot der Rechtspraxis keine Hilfe böte. Im Übrigen hat das BSG eine Pflicht zur Benennung einer Verweisungstätigkeit für eine Versicherte verneint, die noch vollschichtig leichte Tätigkeiten mit zusätzlichen qualitativen Einschränkungen, wie sie auch bei der Klägerin vorliegen, verrichten konnte, weil die Vorinstanz - das Landessozialgericht Stuttgart - festgestellt hatte, dass die Versicherte noch Montagetätigkeiten mit Kunststoff, Plastik, Glas oder Holz verrichten könne und dass für diese Tätigkeiten Arbeitsplätze auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausreichend vorhanden seien (BSG, Urteil vom 24. Februar 1999 -B 5 RJ 30/98 R - a.a.O.).
Liegt aber keine Pflicht zur konkreten Bezeichnung einer Verweisungstätigkeit vor, ist davon auszugehen, dass der Klägerin noch hinreichende Betätigungsmöglichkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt offen stehen. Sie ist deshalb nicht berufsunfähig und erst recht nicht erwerbsunfähig im Sinne des § 44 Abs. 2 SGB VI a.F., weil der Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit noch an strengere Voraussetzungen geknüpft ist. Da bei der Klägerin noch ein Leistungsvermögen von 8 Stunden vorliegt, besteht auch nach den seit dem 1. Januar 2001 geltenden §§ 43, 240 SGB VI kein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung.
Auf die Berufung der Beklagten war daher das Urteil des Sozialgerichts B vom 23. Mai 2000 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Rente wegen Minderung der Erwerbsfähigkeit.
Die 1956 in der Türkei geborene Klägerin kam im Mai 1971 nach Deutschland. Den ersten Pflichtbeitrag zur deutschen Rentenversicherung (für eine ungelernte Beschäftigung als Küchenhilfe) entrichtete sie im März 1972. Zuletzt war sie seit mehreren Jahren als Küchenhelferin in der K-Nervenklinik beschäftigt. Seit dem 7. August 1993 war sie arbeitsunfähig krank. Das Arbeitsverhältnis wurde zum 31. Dezember 1993 beendet. Vom 13. Januar bis 28. Juni 1994 bezog sie Leistungen vom Arbeitsamt und erneut vom 29. Juni bis 13. Dezember 1994 Krankengeld; die Krankengeldzahlung endete wegen Ablaufs der Bezugsdauer. Daran schloss sich der Bezug von Sozialhilfe an.
Im Dezember 1994 beantragte die Klägerin erstmals die Gewährung einer Rente unter Hinweis auf ihren Gesundheitszustand. Die Beklagte zog verschiedene ärztliche Unterlagen (insbesondere vertrauensärztliche Gutachten aus den Vorjahren) bei und veranlasste eine Begutachtung der Klägerin. Danach hielt sie die Klägerin noch für fähig, körperlich leichte Arbeiten unter Beachtung von qualitativen Leistungseinschränkungen vollschichtig zu verrichten und lehnte demzufolge den Rentenantrag ab (Bescheid vom 5. Oktober 1995, Widerspruchsbescheid vom 22. Januar 1996). Die dagegen gerichtete Klage wurde als unzulässig zurückgewiesen.
Am 6. März 1997 beantragte die Klägerin erneut die Gewährung einer Rente unter Hinweis auf ihren Gesundheitszustand und legte dazu verschiedene Atteste ihrer behandelnden Ärzte vor. Die Beklagte ließ ein allgemeinmedizinisches Gutachten vom 25. September 1997 durch Dr. G erstatten, die folgende Diagnosen stellte:
1. Cervicobrachialsyndrom bei Prolaps C3 bis C6,
2. Polyarthralgie,
3. Hypertonus,
4. chronische Bronchitis,
5. Übergewicht,
6. Anämie,
7. Fettstoffwechselstörung.
Unter Berücksichtigung dieser Beschwerden kam sie ebenfalls zu dem Ergebnis, dass die Klägerin noch körperlich leichte Arbeiten vollschichtig mit qualitativen Einschränkungen verrichten könne. Unter Hinweis auf diese Feststellungen lehnte die Beklagte die Gewährung einer Rente ab (Bescheid vom 30. September 1997, Widerspruchsbescheid vom 21. Juli 1998).
Dagegen hat sich die Klägerin mit ihrer zum Sozialgericht (SG) B erhobenen Klage gewandt und weiterhin die Gewährung einer Rente beansprucht. Unter Vorlage verschiedener medizinischer Unterlagen hat sie eine unzutreffende Würdigung ihres Gesundheitszustandes gerügt.
Das SG hat Befundberichte der behandelnden Ärzte eingeholt, die die Klägerin übereinstimmend für noch ausreichend leistungsfähig gehalten haben, körperlich leichte Arbeiten vollschichtig zu verrichten. Anschließend hat das SG durch den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. L das Gutachten vom 11. September 1999 erstatten lassen, in dem dieser auf seinem Fachgebiet eine somatoforme Schmerzstörung festgestellt und darauf aufbauend ebenfalls die Auffassung vertreten hat, die Klägerin könne noch vollschichtig körperlich leichte Arbeiten mit qualitativen Einschränkungen verrichten. Ergänzend hat er ausgeführt, dass die Klägerin im Hinblick auf das Krankheitsbild nicht mehr unter Zeitdruck und nur in Tagesschicht arbeiten könne.
In das Verfahren sind berufskundliche Unterlagen seitens des SG und seitens der Beklagten zu einer Reihe von Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes (insbesondere der Telefonistin) eingeführt worden.
Sodann hat das SG durch Urteil vom 23. Mai 2000 die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, der Klägerin Rente wegen Erwerbsunfähigkeit seit dem 1. März 1997 zu gewähren. Die Klägerin sei zwar nach dem Ergebnis der medizinischen Beweiserhebung theoretisch noch in der Lage, körperlich leichte Tätigkeiten vollschichtig zu verrichten, ihr sei jedoch gleichwohl im Hinblick auf die schwerwiegenden qualitativen Einschränkungen des Leistungsvermögens die begehrte Rente im tenorierten Umfange zuzusprechen. Die Klägerin könne ihre bisherige berufliche Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben. Auch wenn sie als Ungelernte grundsätzlich auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar sei, so bestehe vorliegend dennoch eine Pflicht zur Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit. Zwar würden die qualifizierten Leistungseinschränkungen der Klägerin nicht unmittelbar unter eine der in der Entscheidung des Großen Senats des Bundessozialgerichts vom 19. Dezember 1996 - GS 1/95 - genannten Fallgruppe fallen, so dass weder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen noch eine schwere spezifische Leistungsbehinderung im Sinne der Rechtsprechung des BSG vorliege. Jedoch sei das Gericht der Überzeugung, dass die bei der Klägerin vorhandenen Leistungseinschränkungen - insbesondere die fehlende Fähigkeit, in Wechsel- und Nachtschicht sowie unter besonderem Zeitdruck arbeiten zu können, die Minderung des Hörvermögens sowie das Erfordernis eines Wechsels der drei Haltungsarten bzw. die Notwendigkeit, überwiegend im Sitzen bei Bestehen der Möglichkeit des Haltungswechsels arbeiten zu müssen - im Hinblick auf ihre Schwere und Bedeutung für die Ausübung einer beruflichen Tätigkeit dennoch diesen Fallgruppen gleichzustellen seien. Die vorliegend bestehenden ernsthaften Zweifel an einer betrieblichen Einsetzbarkeit begründeten die Notwendigkeit der Benennung von Verweisungstätigkeiten. Solche sehe das Gericht nicht, wie sich aus den beigezogenen Auskünften ergebe. Die im allgemeinen in Betracht kommenden Tätigkeiten (Pförtner - , Montier- oder Prüftätigkeiten, Pack- oder Sortierarbeiten) erforderten regelmäßig ein Arbeiten nicht nur in Tagesschicht bzw. unter Zeitdruck und kämen daher für die Klägerin nicht Betracht. Da die von der Beklagten benannten Tätigkeiten im Hinblick auf die Leistungseinschränkungen ausschieden bzw. zumutbare Verweisungstätigkeiten seitens des Gerichts nicht erkennbar seien, stehe ihr somit die begehrte Rente zu.
Hiergegen hat sich die Beklagte mit ihrer Berufung gewandt. Die Annahme einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen bzw. eines gleichzustellenden Falles sei im Hinblick auf das Restleistungsvermögen der Klägerin nicht haltbar. Eine Verschlossenheit des Arbeitsmarktes sei nicht erkennbar.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts B vom 23. Mai 2000 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil und legt ergänzend Unterlagen ihrer behandelnden Ärzte vor.
Der Senat hat Dr. W mit der Begutachtung der Klägerin beauftragt, der in seinem orthopädischen Gutachten vom 11. April 2001 ausgeführt hat, dass „eine eigentliche orthopädische Erkrankung mit Strukturveränderungen am Bewegungsapparat nicht nachweisbar (sei); das Beschwerdebild entspreche einer somatoformen Schmerzstörung; an der Wirbelsäule bestehe ein chronisches Wirbelsäulensyndrom bei Adipositas mit Neigung zu muskulären Überlastungen“. Er ist ebenfalls zu dem Ergebnis gelangt, dass die Klägerin noch vollschichtig einsatzfähig für körperlich leichte Arbeiten mit qualitativen Einschränkungen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf die Gerichtsakte sowie die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte entgegen der Auffassung des SG keinen Anspruch auf Versichertenrente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Die Klägerin ist weder berufs- noch erwerbsunfähig.
Berufsunfähig sind nach § 43 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB VI a.F. Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (vgl. § 43 Abs. 2 Satz 4 SGB VI a.F.). Erwerbsunfähig sind demgegenüber Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße übersteigt (vgl. § 44 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 1 SGB VI a.F.).
Erwerbsunfähig ist nicht, wer eine selbständige Tätigkeit ausübt oder eine Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (vgl. § 44 Abs. 2 Satz 2 SGB VI a.F.).
Die Klägerin ist schon nicht berufsunfähig. „Bisheriger Beruf“ der Klägerin im Sinne des § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI a.F. ist die von der Klägerin zuletzt ausgeübte Tätigkeit einer Küchenhelferin in der K-Nervenklinik. Diese Tätigkeit kann die Klägerin aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben, denn nach den medizinischen Gutachten und den vorhandenen medizinischen Unterlagen steht auch zur Überzeugung des Senats fest, dass die Klägerin nur noch körperlich leichte Arbeiten in geschlossenen Räumen ohne Einfluss von Hitze, Kälte, Staub, Feuchtigkeit oder Zugluft, mit Überwiegen der sitzenden Haltung und Gelegenheit zum Haltungswechsel, ohne einseitige körperliche Belastung, ohne besonderen Zeitdruck, aber auch in festgelegtem Arbeitsrhythmus und an laufenden Maschinen, ohne Wechsel- oder Nachtschicht, vollschichtig und ohne zusätzliche Pausen verrichten kann. Ebenso sollen Arbeiten auf Leitern und Gerüsten vermieden werden. Dagegen sind Hocken und Knien möglich, allerdings ohne häufiger Bestandteil des täglichen Arbeitsablaufs zu sein. Das Reaktionsvermögen, Lese- und Schreibgewandtheit, Auffassungsgabe, Lern- und Merkfähigkeit, Gedächtnis, Konzentrationsfähigkeit, Entschluss- und Verantwortungsfähigkeit, Kontaktfähigkeit sowie Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit bei der Klägerin sind nicht beeinträchtigt. Die Hörstörung links lässt eine normale Verständigung zu. Besonderheiten für den Weg zur Arbeitsstelle sind nicht zu beachten.
Da die Klägerin, die keinen Beruf erlernt hat, in der K-Nervenklinik ungelernte Tätigkeiten ausgeübt hat, besitzt sie keinen besonderen Berufsschutz und ist deshalb auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar. Entgegen der Auffassung des SG ist die Klägerin trotz der genannten gesundheitlichen Einschränkungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auch einsatzfähig. Der Klägerin sind insbesondere noch leichte Verrichtungen, wie z.B. Zureichen, Abnehmen, Bedienen von Maschinen, Verpacken von leichten Gegenständen sowie Montagetätigkeiten mit Kunststoff, Plastik, Glas oder Holz möglich, zumal die Klägerin nach den Feststellungen des medizinischen Sachverständigen Dr. W noch Tätigkeiten in festgelegtem Arbeitsrhythmus und an laufenden Maschinen ausüben kann. Für diese Verrichtungen sind Arbeitsplätze auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausreichend vorhanden.
Zu Unrecht ist das SG von einer Pflicht zur Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit ausgegangen. Bei Versicherten, die auf das allgemeine Arbeitsfeld verweisbar sind und noch vollschichtig leichte körperliche Arbeiten mit zusätzlichen Einschränkungen verrichten können, bedarf es grundsätzlich einer konkreten Benennung (zumindest) einer Verweisungstätigkeit nicht. Ausnahmsweise hat die Rechtsprechung die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit in diesen Fällen für erforderlich gehalten, wenn eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt (vgl. dazu die auf die Vorlagebeschlüsse des 13. Senats ergangenen Beschlüsse des Großen Senats des BSG vom 19. Dezember 1996 - GS 1 bis 4/95 - GS 2/95 = SozR 3-2600 § 44 Nr. 8 - sowie die nachfolgenden Entscheidungen des BSG, u.a. Urteil vom 20. August 1997 -13 RJ 39/96- SozR 3-2600 § 43 Nr. 17, vom 24. März 1998 -B 4 RA 44/96 R-, vom 25. März 1998 -B 5 RJ 46/97 R- und vom 24. Februar 1999 -B 5 RJ 30/98 R- SozR 3-2600 § 44 Nr. 12). Diese Voraussetzungen liegen bei der Klägerin nicht vor. Die bei ihr bestehenden Leistungseinschränkungen: Arbeiten ohne besonderen Zeitdruck und nicht in Nacht- oder Wechselschicht sind von jeher nach der Rechtsprechung des BSG nicht zu den ungewöhnlichen Leistungseinschränkungen und schon gar nicht zu den schweren spezifischen Leistungsbehinderungen gezählt worden (so schon die Entscheidung des BSG vom 1. März 1984 -4 RJ 43/83- SozR 2200 § 1246 Nr. 117, auf die auch der Große Senat in seinen Beschlüssen vom 19. Dezember 1996 ausdrücklich verweist und in denen er noch einmal die Einschränkungen wiederholt, die nicht zu einer konkreten Benennung veranlassen sollen). Dazu gehört auch der Ausschluss von Arbeiten im Akkord, im Schichtdienst und an laufenden Maschinen sowie von Tätigkeiten, die besondere Fingerfertigkeiten erfordern und besondere Anforderungen an das Seh-, Hör- und Konzentrationsvermögen stellen). Daher kommt auch die Hörminderung nicht als schwere Einschränkung in Betracht, denn nach den Feststellungen des Gutachters Dr. W ist eine Verständigung mit normaler Stimmlage und Lautstärke mit der Klägerin möglich. Die mangelnden Sprachkenntnisse der Klägerin sind in diesem Zusammenhang ebenfalls unbeachtlich. Denn die Berücksichtigung von Schwierigkeiten wegen der mangelnden Beherrschung der deutschen Sprache scheidet schon aus Rechtsgründen aus (vgl. dazu BSG SozR 3-2200 § 1246 Nrn. 9 und 11). Im Übrigen ist nicht ersichtlich, dass die Klägerin auf Grund mangelnder Deutschkenntnisse gehindert ist, noch leichte Verrichtungen der genannten Art zu bewältigen. Angesichts der langjährigen Erwerbstätigkeit der Klägerin in Deutschland liegt eine derartige Beeinträchtigung auch fern.
Die Auffassung des SG, dass die bei der Klägerin zusätzlich festgestellten Leistungseinschränkungen im Hinblick auf ihre Schwere und Bedeutung für die Ausübung einer beruflichen Tätigkeit den Fallgruppen gleichzustellen sind, bei denen die Rechtsprechung eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung angenommen hat, teilt der Senat nicht. Wie der Große Senat des BSG in den angeführten Beschlüssen ausgeführt hat, ist in den Fällen, in denen der Versicherte noch leichte körperliche Arbeiten mit zusätzlichen Einschränkungen verrichten kann, die Pflicht zur Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit die Ausnahme. Die Beurteilung, ob der Versicherte erwerbsfähig oder berufsunfähig ist, muss im Regelfall nicht nach Anforderungsprofilen einer oder mehrerer bestimmter Berufstätigkeiten erfolgen; es genügt eine Beurteilung, ob das Restleistungsvermögen dem Versicherten körperliche Verrichtungen (wie z.B. Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen usw.) erlaubt, die in ungelernten Tätigkeiten gefordert zu werden pflegen (so auch BSG, Urteil vom 25. März 1998 -B 5 RJ 46/97 R- und vom 24. Februar 1999 -B 5 RJ 30/98 R- a.a.O.). Dabei hat der Große Senat insbesondere auf die Rechtsprechung des BSG aus den Jahren 1981 und 1982 Bezug genommen. Solche einfachen körperlichen Verrichtungen kann die Klägerin aber - wie bereits ausgeführt wurde - ohne weiteres ausüben. Der Große Senat hat auch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass keine Veranlassung besteht, über die bisherige Rechtsprechung des BSG hinaus, die Pflicht zur konkreten Benennung von Verweisungstätigkeiten zu erweitern. Das würde der Anweisung in § 44 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB VI in der Fassung des Zweiten SGB VI-Änderungsgesetzes vom 2. Mai 1996 (BGBl. I S. 659) widersprechen. Das erklärte Ziel dieser Änderung sei es gewesen, bis zur grundsätzlichen Neuregelung des Rechts der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit die Fortsetzung der auf der bisherigen Rechtsprechung beruhenden Verwaltungspraxis sicherzustellen und jede weitere Rechtsfortbildung in Richtung einer „Arbeitsmarktrente“ durch die Rechtsprechung zu verhindern, die bei der Neuregelung des Rechts der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit eine sachgerechte Zuordnung des Arbeitsmarktrisikos an die Rentenversicherung erschweren könnte. Der Senat schließt sich dieser Auffassung an (vgl. auch Urteil des Senats vom 12. Oktober 2000 - L 8 RJ 1/99).
An diesem Ergebnis ändern die von dem SG beigezogenen beruflichen Auskünfte des Landesarbeitsamtes nicht. Zum einen decken sie nicht den - worauf es ankommt - ganzen Arbeitsmarkt in der Bundesrepublik Deutschland ab, sondern nur den der Länder Berlin und Brandenburg. Zum anderen ist zweifelhaft, ob das Landesarbeitsamt Berlin-Brandenburg überhaupt in der Lage ist, zuverlässige Angaben zu den Verhältnissen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt für ungelernte Tätigkeiten zu machen. Der Große Senat hat darauf hingewiesen, dass die Berufswelt insoweit nicht transparent sei. Ob in einigen Jahren eine Arbeitsmarkttransparenz geschaffen werden könne, sei unerheblich; derzeit - das war im Jahre 1996 - könne jedenfalls auf entsprechende Erkenntnisse für die Praxis nicht zurückgegriffen werden, so dass ein Benennungsgebot der Rechtspraxis keine Hilfe böte. Im Übrigen hat das BSG eine Pflicht zur Benennung einer Verweisungstätigkeit für eine Versicherte verneint, die noch vollschichtig leichte Tätigkeiten mit zusätzlichen qualitativen Einschränkungen, wie sie auch bei der Klägerin vorliegen, verrichten konnte, weil die Vorinstanz - das Landessozialgericht Stuttgart - festgestellt hatte, dass die Versicherte noch Montagetätigkeiten mit Kunststoff, Plastik, Glas oder Holz verrichten könne und dass für diese Tätigkeiten Arbeitsplätze auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausreichend vorhanden seien (BSG, Urteil vom 24. Februar 1999 -B 5 RJ 30/98 R - a.a.O.).
Liegt aber keine Pflicht zur konkreten Bezeichnung einer Verweisungstätigkeit vor, ist davon auszugehen, dass der Klägerin noch hinreichende Betätigungsmöglichkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt offen stehen. Sie ist deshalb nicht berufsunfähig und erst recht nicht erwerbsunfähig im Sinne des § 44 Abs. 2 SGB VI a.F., weil der Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit noch an strengere Voraussetzungen geknüpft ist. Da bei der Klägerin noch ein Leistungsvermögen von 8 Stunden vorliegt, besteht auch nach den seit dem 1. Januar 2001 geltenden §§ 43, 240 SGB VI kein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung.
Auf die Berufung der Beklagten war daher das Urteil des Sozialgerichts B vom 23. Mai 2000 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG).
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
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