Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 4 U 196/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 60/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 19. Januar 2000 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die am 1951 geborene Klägerin kam am 08.09.1996 gegen 22.50 Uhr während ihrer Tätigkeit als Fertigungshelferin, als sie ein stromführendes Waschbecken berührte, mit dem 3. und 4. Finger der rechten Hand mit 380 Volt in Berührung und wurde gegen eine hinter ihr stehende Maschine geschleudert. Sie stellte die Arbeit ein und begab sich nach Hause. Von dort suchte sie das St.-B. Krankenhaus in Schwandorf auf, wo sie um 23.50 Uhr eintraf. Der Durchgangsarzt, der Chirurg Dr.G. , stellte die Diagnose: Stromunfall rechte obere Extremität mit Eintritt D III/D IV. Sichtbare Strommarken seien nicht zu sehen, jedoch gebe die Klägerin beuge- und streckseitige Sensibilitätsstörungen der Finger D III bis V rechts sowie ziehende Schmerzen im Bereich der Oberarmstreckseite rechts an. Die Klägerin habe keinen Schock erlitten. Sie werde voraussichtlich eine bis zwei Wochen arbeitsunfähig sein.
Im Nachschaubericht bei Entlassung aus dem Krankenhaus am 13.09.1996 führte Dr.G. aus, sämtliche EKGs seien ohne pathologischen Befund gewesen. Zum Zeitpunkt der Entlassung sei die Klägerin beschwerdefrei gewesen.
Die AOK Bayern, Geschäftsstelle Nittenau, teilte der Beklagten am 23.10.1996 mit, die Klägerin sei seit dem 25.09.1996 wegen einer reaktiven Depression als Folge des Arbeitsunfalls arbeitsunfähig. Der praktische Arzt Dr.S. erklärte im Schreiben vom 18.10.1996, die Depression sei Folge des Arbeitsunfalls. Es komme allerdings noch ein CTS-Syndrom beidseits hinzu. Dabei stehe die Depression im Vordergrund. Der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr.A. führte im Bericht vom 04.10.1996 aus, die Klägerin sei bereits vor zehn Jahren wegen funktioneller Kopfschmerzen in seiner Behandlung gewesen. Jetzt klage sie über schon seit einigen Jahren bestehende Schmerzen und Missempfindungen in beiden Händen mit Einstrahlungen in die Unterarme. Psychisch wirke sie aufgeregt-ängstlich. Eine besondere Schreckhaftigkeit sei aber während der elektroneurographischen Untersuchung nicht erkennbar.
Mit Schreiben vom 16.12.1996 teilte Dr.S. mit, die Klägerin sei seit dem 17.10.1996 erneut erkrankt. Es handele sich in erster Linie um ein Problem des Carpaltunnelsyndroms beiderseits, daneben um eine reaktive Depression mit Phobie, von der zumindest anzunehmen sei, dass sie infolge des Arbeitsunfalles aufgetreten sei, da die Klägerin früher keine depressiven oder phobischen Züge gezeigt habe.
Im Bericht vom 23.12.1996 diagnostizierte Dr.A. eine depressive und Angstreaktion mit somatoformen autonomen Funktionsstörungen. Die Klägerin sei in eine chronische Angstentwicklung im Sinne einer posttraumatischen Belastungsstörung geraten. Hinzu kämen die beruflichen Probleme durch die Kündigung des Arbeitsplatzes. Am 19.02.1997 teilte Dr.G. mit, Dr.A. halte es für möglich, dass ein schon zuvor vorhandener Angstzustand durch den Unfall offenbar geworden sei.
Im Bericht vom 18.03.1997 führte der Psychiater Dr.V. aus, es bestehe eine somatisch ausgelöste schwere Depression mit Angstsymptomatik.
Aus den Unterlagen der AOK-Geschäftsstelle Nittenau ergibt sich, dass die Klägerin 1987 wegen allgemeiner Erschöpfung, 1989 wegen vegetativen Erschöpfungszustands und psychovegetativen Syndroms, 1990 wegen akuter Depression und psychischem Erschöpfungszustand arbeitsunfähig erkrankt war.
Der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr.K. kam im Gutachten vom 05.08.1997 zu dem Ergebnis, es hätte auch ohne den Stromschlag ein depressiver Verstimmungszustand eintreten können, jedoch zu einem späteren Zeitpunkt und nicht in enger zeitlicher Beziehung zu dem Unfallereignis. Eine annähernd gleichwertige Verursachung durch genetische Prädisposition und reaktive Einflüsse nach dem Stromschlag könne nicht angenommen werden. Bei der Klägerin bestehe eine verborgene nervöse Schwäche mit einem Mangel an Tilgungspotenz als wichtige pathogenetische Bedingung bei der Ausbildung der depressiv gefärbten Erlebnisreaktion. Der Stromschlag sei wesentlich mitwirkende Teilursache. Im Sinne der Verschlimmerung sei ab 16.09.1996 ein Verstimmungszustand mit ängstlich-depressiven Zügen, Somatisation bei einem psychovegetativen Syndrom auf der Basis einer genetischen Prädisposition, verschlimmert durch das Erlebnis des Stromunfalls, anzuerkennen und eine MdE von 20 v.H. bis 31.12.1997, ab 01.01.1998 unter 10 v.H., gegeben.
In der Stellungnahme nach Aktenlage vom 14.10.1997 führte der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Prof.Dr.G. aus, das Unfallereignis sei nach Art und Schwere grundsätzlich geeignet, eine psychische Reaktion zu bewirken, allerdings nur eine vorübergehende Störung. Denn eine belangvolle Verletzung sei nicht eingetreten. Wenn die Klägerin den Schreckgehalt des Erlebnisses psychisch nicht überwinde, so sei dies nach einer angemessenen Zeit ihrer Persönlichkeitsstruktur zuzurechnen. Die von Dr.K. angegebene Zeit sei viel zu weit bemessen, selbst eine Zeitspanne von sechs Monaten erscheine sehr weit. Darüber hinaus stünden die der Persönlichkeit, aber nicht mehr dem Unfallereignis zuzurechnenden Erlebnisverarbeitungsschwierigkeiten mit der Folge anhaltender psychischer Störungen im Vordergrund. Insofern sei nach Ablauf von sechs Monaten auch keine messbare MdE begründbar.
Mit Bescheid vom 11.11.1997 lehnte die Beklagte einen Anspruch auf Rente ab. Die unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit ende am 28.02.1997. Über die 26. Woche nach dem Arbeitsunfall sei die Erwerbsfähigkeit nicht in rentenberechtigendem Grade gemindert. Sie liege bei unter 10 v.H.
Den Widerspruch vom 01.12.1997 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20.05.1998 zurück.
Die Klägerin hat mit der Klage vom 09.06.1998 einen Krankheitsbericht des Dr.V. vom 22.06.1998 übersandt, in dem Dr.V. eine somatisch ausgelöste schwere Depression mit Angstsymptomatik als Folge des Arbeitsunfalls diagnostiziert hat. Die Depression sei von September 1996 bis etwa März 1998 stark ausgeprägt gewesen und habe zur Arbeitsunfähigkeit und erheblichen Beeinträchtigungen geführt. Erst nach dem Einsatz eines neu entwickelten Medikaments sei es im Februar 1998 zu einer bis jetzt anhaltenden Besserung der Stimmung gekommen. Die Klägerin weise aber immer noch zahleiche beeinträchtigende Restsymptome der Depression auf.
Die vom SG zur ärztlichen Sachverständigen ernannte Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr.K. hat im Gutachten vom 21.11.1998 ausgeführt, die jetzt nachweisbare psychische Symptomatik stünde in keinem Zusammenhang mit dem Unfall vom 08.09.1996. Der Stromunfall habe nur deswegen zu einer vorübergehenden reaktiven Störung geführt, weil die Klägerin hierzu in ihrer Persönlichkeitsstruktur disponiert gewesen sei. Inzwischen bestehe zwischen dem Unfallereignis und den Symptomen kein Bezug mehr. Zum einen trügen keine nachweisbaren Körperverletzungen zum Erhalt der depressiven Reaktion bei, zum anderen stünden auch die geklagten ausgedehnten Beschwerden in keinem Zusammenhang mehr zu einem Stromunfall. Wie bereits kurz nach dem Unfall von Dr.A. vermerkt, reagiere die Klägerin auf die Stromuntersuchungen, die mit sehr unangenehmen Stromstößen verbunden seien, nicht mit Ängsten. Ein Kausalzusammenhang zwischen Unfall und jetzt noch bestehender Depression sei nicht nachvollziehbar. Die MdE betrage ab 01.03.1997 0 v.H.
Der auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 SGG zum ärztlichen Sachverständigen ernannte Psychiater Dr.V. hat im Gutachten vom 19.03.1999 zusammenfassend ausgeführt, die depressive Verstimmung, an der die Klägerin nach dem Elektrotrauma erkrankt sei, habe einen chronischen Verlauf. Eine Anfälligkeit der Klägerin für Depressionen könne ihr nicht unterstellt werden. Dies ergebe sich auch aus den Angaben des Dr.S. , der die Klägerin seit dem 03.03.1997 kenne. Die Symptomatik wechsele, beschwerdefreie Zeiten seien nicht mehr erreicht worden. Es hätten sich nie Anhaltspunkte für das Vorliegen einer primären psychischen Anfälligkeit, Neigung zu Depression oder Labilität, wie aus den aufgelisteten Vordiagnosen geschlossen worden sei, ergeben. Da die Klägerin früher nie ernsthaft depressiv krank gewesen sei, sei der kausale und zeitliche Zusammenhang zwischen Elektrotrauma und einsetzender Dauerdepression zwingend.
In der ergänzenden Stellungnahme vom 21.04.1999 hat Dr.V. ausgeführt, er habe mit Dr.S. die Frage der Vorkrankheiten erörtert. Dr.S. habe habe mitgeteilt, dass die Klägerin nie in dem Maße wie jetzt depressiv krank gewesen sei. Die damaligen kurzzeitigen Verstimmungs- und Erschöpfungszustände träten bei berufstätigen Müttern häufig auf und besserten sich nach kurzzeitiger Krankschreibung. Dr.V. habe nie neurotische Fehlhaltungen bei der Klägerin feststellen können. Die Klägerin klage weiter über Schwäche, Antriebslosigkeit, ängstliche Unruhe. Unter Berücksichtigung des Ausmaßes der bleibenden Ausfallerscheinungen sei die MdE mit 50 v.H. zu bemessen.
Mit Urteil vom 19.01.2000 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe bei dem Stromunfall keine wesentlichen Verletzungen erlitten. Ein Zusammenhang zwischen dem psychischen Zustand und dem Unfallereignis sei nicht mehr gegeben.
Mit der Berufung vom 15.02.2000 übersendet die Klägerin eine Stellungnahme des Dr.V. vom 13.01.2000, in der ausgeführt wird, er behandele die Klägerin wegen einer reaktiv ausgelösten schweren Depression mit chronischem Verlauf. Ihr Zustand sei gegenüber dem Vorjahr unverändert, die medikamentöse Behandlung wirke nur in geringem Maß. Die Klägerin klage über schlechte Stimmung, geringe Leistungsfähigkeit, rasches Erschöpftsein, Merkfähigkeitsstörungen, Nervosität und Unruhe. Hinzu kämen Körpersymptome der Depression, Störungen des Verdauungsapparates, Blutdruckanstieg.
Die Klägerin stellt den Antrag
aus dem Schriftsatz vom 05.04.2000. Hilfsweise beantragt sie, ein weiteres Gutachten von Amts wegen einzuholen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den wesentlichen Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten, des Versorgungsamtes Regensburg sowie die Klage- und Berufungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, sachlich aber nicht begründet.
Die Entscheidung richtet sich nach den bis 31.12.1996 geltenden Vorschriften der RVO, da der streitige Versicherungsfall vor dem 01.01.1997 eingetreten ist und über einen daraus resultierenden Leistungsanspruch vor dem 01.01.1997 zu entscheiden gewesen wäre (§§ 212, 214 Abs.3 SGB VII in Verbindung mit § 580 RVO).
Die Klägerin hat über den 28.02.1997 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen der Beklagten, insbesondere nicht auf Gewährung der begehrten Rente wegen einer "posttraumatischen Belastungsstörung". Die Klägerin hat unstreitig am 08.09.1996 einen Arbeitsunfall (§ 548 RVO) erlitten. Eine MdE von mindestens 20 v.H. der Vollrente, die Voraussetzung für einen Anspruch auf Verletztenrente wäre (§§ 580 Abs.1, 581 Abs.1 RVO) liegt aber nach Wegfall der Arbeitsunfähigkeit am 28.02.1997 ab 01.03.1997 nicht vor.
Die ärztliche Sachverständige, die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr.K. , hat im Gutachten vom 21.11.1998 überzeugend erläutert, dass ab 01.03.1997 eine MdE nicht gegeben ist. Eine posttraumatische Belastungsstörung als Unfallfolge liegt nicht vor.
Der Begriff des Unfalls erfordert ein äußeres Ereignis, d.h. einen von außen auf den Körper einwirkenden Vorgang, der rechtlich wesentlich den Körperschaden verursacht hat (vgl. BSGE 23, 139). Das äußere Ereignis muss mit der die Versicherteneigenschaft begründenden Tätigkeit rechtlich wesentlich zusammenhängen. Dabei bedürfen alle rechtserheblichen Tatsachen des vollen Beweises, d.h. sie müssen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorgelegen haben (vgl. BSGE 45, 285). Die Beweiserleichterung der hinreichenden Wahrscheinlichkeit gilt nur insoweit, als der ursächliche Zusammenhang im Sinne der wesentlichen Bedingung zwischen der der versicherten Tätigkeit zuzurechnenden und zum Unfall führenden Verrichtung und dem Unfall selbst sowie der Zusammenhang betroffen ist, der im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität zwischen dem Arbeitsunfall und der maßgebenden Verletzung bestehen muss (Krasney, VSSR 1983, 81, 114).
Im Hinblick auf das überzeugende Gutachten von Dr.K. ist ein Zusammenhang der bei der Klägerin gegebenen psychischen Symptomatik mit dem Unfall vom 08.09.1996 nicht wahrscheinlich zu machen. Bei der Klägerin ist eine Persönlichkeitsstruktur gegeben, die schon seit Jahren zu psychischen Reaktionen geführt hat. Aus der Akte des Versorgungsamtes Regensburg ergibt sich, dass Dr.Z. bereits am 27.03.1986 eine psychovegetative Überlagerung wegen familiärer Probleme feststellte und Dr.A. am 21.03.1986 die Klägerin als recht besorgt, klagsam, mit Neigung zum Schmerzmittelabusus bezeichnete. Wie die Unterlagen der AOK Bayern zeigen, war die Klägerin vom 16. bis 20.03.1987 wegen allgemeiner Erschöpfung, vom 31.07. bis 20.08.1989 wegen vegetativem Erschöpfungszustand und psychovegetativem Syndrom, vom 12.01. bis 26.01.1990 wegen akuter Depression und vom 17.05. bis 14.06.1990 wegen psychischem Erschöpfungszustand arbeitsunfähig erkrankt. Damit trifft ihre Behauptung, vor dem Unfall nicht psychisch krank gewesen zu sein, nicht zu. Insbesondere hat sie bereits bei der Antragstellung auf Erhöhung des GdB beim Versorgungsamt Regensburg am 25.07.1996 psychovegetative Erschöpfungszustände als Behinderung geltend gemacht.
Wie Dr.K. betont, hat der Stromunfall, der zu keinerlei körperlichen Schäden führte, bei der Klägerin eine vorübergehende reaktive unfallbedingte Störung ausgelöst, weil sie hierzu in ihrer Persönlichkeitsstruktur disponiert ist. Inzwischen besteht zwischen dem Unfallereignis und den von der Klägerin angegebenen Symptomen kein Bezug mehr. Zum einen tragen keine Körperverletzungen zum Erhalt der depressiven Reaktion bei, zum anderen stehen die ausgedehnten Beschwerden in keinem Zusammenhang mehr zu dem Unfall. Insbesondere reagierte die Klägerin bereits kurz nach dem Unfall am 04.10.1996 bei der Untersuchung durch Dr.A. während der elektroneurographischen Untersuchung nicht erkennbar schreckhaft, obwohl diese Untersuchung mit sehr unangenehmen Stromstößen verbunden ist. Diese Beobachtung Dr.A. wurde von Dr.K. bei der Untersuchung am 13.08.1998 bestätigt. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass die Klägerin am 13.09.1996 vom St.-B.-Krankenhaus Schwandorf beschwerdefrei entlassen werden konnte.
Im Hinblick auf die Ausführungen von Dr.K. kann die Beurteilung Dr.V. , es bestehe eine Dauerdepression als Unfallfolge, nicht überzeugen. Seine Argumentation, die Klägerin sei immer arbeitsfähig und lebensbejahend gewesen, ist im Hinblick auf die dokumentierten Arbeitsunfähigkeitszeiten wegen Erschöpfungszuständen, psychovegetativem Syndrom und akuter Depression nicht überzeugend. Insofern kann der zeitliche Zusammenhang allein eine Kausalität nicht belegen.
Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG iegen nicht vor.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die am 1951 geborene Klägerin kam am 08.09.1996 gegen 22.50 Uhr während ihrer Tätigkeit als Fertigungshelferin, als sie ein stromführendes Waschbecken berührte, mit dem 3. und 4. Finger der rechten Hand mit 380 Volt in Berührung und wurde gegen eine hinter ihr stehende Maschine geschleudert. Sie stellte die Arbeit ein und begab sich nach Hause. Von dort suchte sie das St.-B. Krankenhaus in Schwandorf auf, wo sie um 23.50 Uhr eintraf. Der Durchgangsarzt, der Chirurg Dr.G. , stellte die Diagnose: Stromunfall rechte obere Extremität mit Eintritt D III/D IV. Sichtbare Strommarken seien nicht zu sehen, jedoch gebe die Klägerin beuge- und streckseitige Sensibilitätsstörungen der Finger D III bis V rechts sowie ziehende Schmerzen im Bereich der Oberarmstreckseite rechts an. Die Klägerin habe keinen Schock erlitten. Sie werde voraussichtlich eine bis zwei Wochen arbeitsunfähig sein.
Im Nachschaubericht bei Entlassung aus dem Krankenhaus am 13.09.1996 führte Dr.G. aus, sämtliche EKGs seien ohne pathologischen Befund gewesen. Zum Zeitpunkt der Entlassung sei die Klägerin beschwerdefrei gewesen.
Die AOK Bayern, Geschäftsstelle Nittenau, teilte der Beklagten am 23.10.1996 mit, die Klägerin sei seit dem 25.09.1996 wegen einer reaktiven Depression als Folge des Arbeitsunfalls arbeitsunfähig. Der praktische Arzt Dr.S. erklärte im Schreiben vom 18.10.1996, die Depression sei Folge des Arbeitsunfalls. Es komme allerdings noch ein CTS-Syndrom beidseits hinzu. Dabei stehe die Depression im Vordergrund. Der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr.A. führte im Bericht vom 04.10.1996 aus, die Klägerin sei bereits vor zehn Jahren wegen funktioneller Kopfschmerzen in seiner Behandlung gewesen. Jetzt klage sie über schon seit einigen Jahren bestehende Schmerzen und Missempfindungen in beiden Händen mit Einstrahlungen in die Unterarme. Psychisch wirke sie aufgeregt-ängstlich. Eine besondere Schreckhaftigkeit sei aber während der elektroneurographischen Untersuchung nicht erkennbar.
Mit Schreiben vom 16.12.1996 teilte Dr.S. mit, die Klägerin sei seit dem 17.10.1996 erneut erkrankt. Es handele sich in erster Linie um ein Problem des Carpaltunnelsyndroms beiderseits, daneben um eine reaktive Depression mit Phobie, von der zumindest anzunehmen sei, dass sie infolge des Arbeitsunfalles aufgetreten sei, da die Klägerin früher keine depressiven oder phobischen Züge gezeigt habe.
Im Bericht vom 23.12.1996 diagnostizierte Dr.A. eine depressive und Angstreaktion mit somatoformen autonomen Funktionsstörungen. Die Klägerin sei in eine chronische Angstentwicklung im Sinne einer posttraumatischen Belastungsstörung geraten. Hinzu kämen die beruflichen Probleme durch die Kündigung des Arbeitsplatzes. Am 19.02.1997 teilte Dr.G. mit, Dr.A. halte es für möglich, dass ein schon zuvor vorhandener Angstzustand durch den Unfall offenbar geworden sei.
Im Bericht vom 18.03.1997 führte der Psychiater Dr.V. aus, es bestehe eine somatisch ausgelöste schwere Depression mit Angstsymptomatik.
Aus den Unterlagen der AOK-Geschäftsstelle Nittenau ergibt sich, dass die Klägerin 1987 wegen allgemeiner Erschöpfung, 1989 wegen vegetativen Erschöpfungszustands und psychovegetativen Syndroms, 1990 wegen akuter Depression und psychischem Erschöpfungszustand arbeitsunfähig erkrankt war.
Der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr.K. kam im Gutachten vom 05.08.1997 zu dem Ergebnis, es hätte auch ohne den Stromschlag ein depressiver Verstimmungszustand eintreten können, jedoch zu einem späteren Zeitpunkt und nicht in enger zeitlicher Beziehung zu dem Unfallereignis. Eine annähernd gleichwertige Verursachung durch genetische Prädisposition und reaktive Einflüsse nach dem Stromschlag könne nicht angenommen werden. Bei der Klägerin bestehe eine verborgene nervöse Schwäche mit einem Mangel an Tilgungspotenz als wichtige pathogenetische Bedingung bei der Ausbildung der depressiv gefärbten Erlebnisreaktion. Der Stromschlag sei wesentlich mitwirkende Teilursache. Im Sinne der Verschlimmerung sei ab 16.09.1996 ein Verstimmungszustand mit ängstlich-depressiven Zügen, Somatisation bei einem psychovegetativen Syndrom auf der Basis einer genetischen Prädisposition, verschlimmert durch das Erlebnis des Stromunfalls, anzuerkennen und eine MdE von 20 v.H. bis 31.12.1997, ab 01.01.1998 unter 10 v.H., gegeben.
In der Stellungnahme nach Aktenlage vom 14.10.1997 führte der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Prof.Dr.G. aus, das Unfallereignis sei nach Art und Schwere grundsätzlich geeignet, eine psychische Reaktion zu bewirken, allerdings nur eine vorübergehende Störung. Denn eine belangvolle Verletzung sei nicht eingetreten. Wenn die Klägerin den Schreckgehalt des Erlebnisses psychisch nicht überwinde, so sei dies nach einer angemessenen Zeit ihrer Persönlichkeitsstruktur zuzurechnen. Die von Dr.K. angegebene Zeit sei viel zu weit bemessen, selbst eine Zeitspanne von sechs Monaten erscheine sehr weit. Darüber hinaus stünden die der Persönlichkeit, aber nicht mehr dem Unfallereignis zuzurechnenden Erlebnisverarbeitungsschwierigkeiten mit der Folge anhaltender psychischer Störungen im Vordergrund. Insofern sei nach Ablauf von sechs Monaten auch keine messbare MdE begründbar.
Mit Bescheid vom 11.11.1997 lehnte die Beklagte einen Anspruch auf Rente ab. Die unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit ende am 28.02.1997. Über die 26. Woche nach dem Arbeitsunfall sei die Erwerbsfähigkeit nicht in rentenberechtigendem Grade gemindert. Sie liege bei unter 10 v.H.
Den Widerspruch vom 01.12.1997 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20.05.1998 zurück.
Die Klägerin hat mit der Klage vom 09.06.1998 einen Krankheitsbericht des Dr.V. vom 22.06.1998 übersandt, in dem Dr.V. eine somatisch ausgelöste schwere Depression mit Angstsymptomatik als Folge des Arbeitsunfalls diagnostiziert hat. Die Depression sei von September 1996 bis etwa März 1998 stark ausgeprägt gewesen und habe zur Arbeitsunfähigkeit und erheblichen Beeinträchtigungen geführt. Erst nach dem Einsatz eines neu entwickelten Medikaments sei es im Februar 1998 zu einer bis jetzt anhaltenden Besserung der Stimmung gekommen. Die Klägerin weise aber immer noch zahleiche beeinträchtigende Restsymptome der Depression auf.
Die vom SG zur ärztlichen Sachverständigen ernannte Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr.K. hat im Gutachten vom 21.11.1998 ausgeführt, die jetzt nachweisbare psychische Symptomatik stünde in keinem Zusammenhang mit dem Unfall vom 08.09.1996. Der Stromunfall habe nur deswegen zu einer vorübergehenden reaktiven Störung geführt, weil die Klägerin hierzu in ihrer Persönlichkeitsstruktur disponiert gewesen sei. Inzwischen bestehe zwischen dem Unfallereignis und den Symptomen kein Bezug mehr. Zum einen trügen keine nachweisbaren Körperverletzungen zum Erhalt der depressiven Reaktion bei, zum anderen stünden auch die geklagten ausgedehnten Beschwerden in keinem Zusammenhang mehr zu einem Stromunfall. Wie bereits kurz nach dem Unfall von Dr.A. vermerkt, reagiere die Klägerin auf die Stromuntersuchungen, die mit sehr unangenehmen Stromstößen verbunden seien, nicht mit Ängsten. Ein Kausalzusammenhang zwischen Unfall und jetzt noch bestehender Depression sei nicht nachvollziehbar. Die MdE betrage ab 01.03.1997 0 v.H.
Der auf Antrag der Klägerin gemäß § 109 SGG zum ärztlichen Sachverständigen ernannte Psychiater Dr.V. hat im Gutachten vom 19.03.1999 zusammenfassend ausgeführt, die depressive Verstimmung, an der die Klägerin nach dem Elektrotrauma erkrankt sei, habe einen chronischen Verlauf. Eine Anfälligkeit der Klägerin für Depressionen könne ihr nicht unterstellt werden. Dies ergebe sich auch aus den Angaben des Dr.S. , der die Klägerin seit dem 03.03.1997 kenne. Die Symptomatik wechsele, beschwerdefreie Zeiten seien nicht mehr erreicht worden. Es hätten sich nie Anhaltspunkte für das Vorliegen einer primären psychischen Anfälligkeit, Neigung zu Depression oder Labilität, wie aus den aufgelisteten Vordiagnosen geschlossen worden sei, ergeben. Da die Klägerin früher nie ernsthaft depressiv krank gewesen sei, sei der kausale und zeitliche Zusammenhang zwischen Elektrotrauma und einsetzender Dauerdepression zwingend.
In der ergänzenden Stellungnahme vom 21.04.1999 hat Dr.V. ausgeführt, er habe mit Dr.S. die Frage der Vorkrankheiten erörtert. Dr.S. habe habe mitgeteilt, dass die Klägerin nie in dem Maße wie jetzt depressiv krank gewesen sei. Die damaligen kurzzeitigen Verstimmungs- und Erschöpfungszustände träten bei berufstätigen Müttern häufig auf und besserten sich nach kurzzeitiger Krankschreibung. Dr.V. habe nie neurotische Fehlhaltungen bei der Klägerin feststellen können. Die Klägerin klage weiter über Schwäche, Antriebslosigkeit, ängstliche Unruhe. Unter Berücksichtigung des Ausmaßes der bleibenden Ausfallerscheinungen sei die MdE mit 50 v.H. zu bemessen.
Mit Urteil vom 19.01.2000 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe bei dem Stromunfall keine wesentlichen Verletzungen erlitten. Ein Zusammenhang zwischen dem psychischen Zustand und dem Unfallereignis sei nicht mehr gegeben.
Mit der Berufung vom 15.02.2000 übersendet die Klägerin eine Stellungnahme des Dr.V. vom 13.01.2000, in der ausgeführt wird, er behandele die Klägerin wegen einer reaktiv ausgelösten schweren Depression mit chronischem Verlauf. Ihr Zustand sei gegenüber dem Vorjahr unverändert, die medikamentöse Behandlung wirke nur in geringem Maß. Die Klägerin klage über schlechte Stimmung, geringe Leistungsfähigkeit, rasches Erschöpftsein, Merkfähigkeitsstörungen, Nervosität und Unruhe. Hinzu kämen Körpersymptome der Depression, Störungen des Verdauungsapparates, Blutdruckanstieg.
Die Klägerin stellt den Antrag
aus dem Schriftsatz vom 05.04.2000. Hilfsweise beantragt sie, ein weiteres Gutachten von Amts wegen einzuholen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den wesentlichen Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten, des Versorgungsamtes Regensburg sowie die Klage- und Berufungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, sachlich aber nicht begründet.
Die Entscheidung richtet sich nach den bis 31.12.1996 geltenden Vorschriften der RVO, da der streitige Versicherungsfall vor dem 01.01.1997 eingetreten ist und über einen daraus resultierenden Leistungsanspruch vor dem 01.01.1997 zu entscheiden gewesen wäre (§§ 212, 214 Abs.3 SGB VII in Verbindung mit § 580 RVO).
Die Klägerin hat über den 28.02.1997 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen der Beklagten, insbesondere nicht auf Gewährung der begehrten Rente wegen einer "posttraumatischen Belastungsstörung". Die Klägerin hat unstreitig am 08.09.1996 einen Arbeitsunfall (§ 548 RVO) erlitten. Eine MdE von mindestens 20 v.H. der Vollrente, die Voraussetzung für einen Anspruch auf Verletztenrente wäre (§§ 580 Abs.1, 581 Abs.1 RVO) liegt aber nach Wegfall der Arbeitsunfähigkeit am 28.02.1997 ab 01.03.1997 nicht vor.
Die ärztliche Sachverständige, die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr.K. , hat im Gutachten vom 21.11.1998 überzeugend erläutert, dass ab 01.03.1997 eine MdE nicht gegeben ist. Eine posttraumatische Belastungsstörung als Unfallfolge liegt nicht vor.
Der Begriff des Unfalls erfordert ein äußeres Ereignis, d.h. einen von außen auf den Körper einwirkenden Vorgang, der rechtlich wesentlich den Körperschaden verursacht hat (vgl. BSGE 23, 139). Das äußere Ereignis muss mit der die Versicherteneigenschaft begründenden Tätigkeit rechtlich wesentlich zusammenhängen. Dabei bedürfen alle rechtserheblichen Tatsachen des vollen Beweises, d.h. sie müssen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorgelegen haben (vgl. BSGE 45, 285). Die Beweiserleichterung der hinreichenden Wahrscheinlichkeit gilt nur insoweit, als der ursächliche Zusammenhang im Sinne der wesentlichen Bedingung zwischen der der versicherten Tätigkeit zuzurechnenden und zum Unfall führenden Verrichtung und dem Unfall selbst sowie der Zusammenhang betroffen ist, der im Rahmen der haftungsausfüllenden Kausalität zwischen dem Arbeitsunfall und der maßgebenden Verletzung bestehen muss (Krasney, VSSR 1983, 81, 114).
Im Hinblick auf das überzeugende Gutachten von Dr.K. ist ein Zusammenhang der bei der Klägerin gegebenen psychischen Symptomatik mit dem Unfall vom 08.09.1996 nicht wahrscheinlich zu machen. Bei der Klägerin ist eine Persönlichkeitsstruktur gegeben, die schon seit Jahren zu psychischen Reaktionen geführt hat. Aus der Akte des Versorgungsamtes Regensburg ergibt sich, dass Dr.Z. bereits am 27.03.1986 eine psychovegetative Überlagerung wegen familiärer Probleme feststellte und Dr.A. am 21.03.1986 die Klägerin als recht besorgt, klagsam, mit Neigung zum Schmerzmittelabusus bezeichnete. Wie die Unterlagen der AOK Bayern zeigen, war die Klägerin vom 16. bis 20.03.1987 wegen allgemeiner Erschöpfung, vom 31.07. bis 20.08.1989 wegen vegetativem Erschöpfungszustand und psychovegetativem Syndrom, vom 12.01. bis 26.01.1990 wegen akuter Depression und vom 17.05. bis 14.06.1990 wegen psychischem Erschöpfungszustand arbeitsunfähig erkrankt. Damit trifft ihre Behauptung, vor dem Unfall nicht psychisch krank gewesen zu sein, nicht zu. Insbesondere hat sie bereits bei der Antragstellung auf Erhöhung des GdB beim Versorgungsamt Regensburg am 25.07.1996 psychovegetative Erschöpfungszustände als Behinderung geltend gemacht.
Wie Dr.K. betont, hat der Stromunfall, der zu keinerlei körperlichen Schäden führte, bei der Klägerin eine vorübergehende reaktive unfallbedingte Störung ausgelöst, weil sie hierzu in ihrer Persönlichkeitsstruktur disponiert ist. Inzwischen besteht zwischen dem Unfallereignis und den von der Klägerin angegebenen Symptomen kein Bezug mehr. Zum einen tragen keine Körperverletzungen zum Erhalt der depressiven Reaktion bei, zum anderen stehen die ausgedehnten Beschwerden in keinem Zusammenhang mehr zu dem Unfall. Insbesondere reagierte die Klägerin bereits kurz nach dem Unfall am 04.10.1996 bei der Untersuchung durch Dr.A. während der elektroneurographischen Untersuchung nicht erkennbar schreckhaft, obwohl diese Untersuchung mit sehr unangenehmen Stromstößen verbunden ist. Diese Beobachtung Dr.A. wurde von Dr.K. bei der Untersuchung am 13.08.1998 bestätigt. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass die Klägerin am 13.09.1996 vom St.-B.-Krankenhaus Schwandorf beschwerdefrei entlassen werden konnte.
Im Hinblick auf die Ausführungen von Dr.K. kann die Beurteilung Dr.V. , es bestehe eine Dauerdepression als Unfallfolge, nicht überzeugen. Seine Argumentation, die Klägerin sei immer arbeitsfähig und lebensbejahend gewesen, ist im Hinblick auf die dokumentierten Arbeitsunfähigkeitszeiten wegen Erschöpfungszuständen, psychovegetativem Syndrom und akuter Depression nicht überzeugend. Insofern kann der zeitliche Zusammenhang allein eine Kausalität nicht belegen.
Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs.2 Nrn.1 und 2 SGG iegen nicht vor.
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