L 2 U 6/00

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 4 U 135/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 2 U 6/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 13.12.1999 wird zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten Verletztenrente für die Folgen eines Arbeitsunfalles vom 10.02.1981.

Der Kläger hatte sich damals nach dem Bescheid der Beklagten vom 25.06.1982 eine Schultereckgelenkssprengung links zugezogen, die nach operativer Versorgung verheilt sei. Verblieben sei eine geringe endgradige Bewegungsbehinderung im linken Schultergelenk.

Mit Antrag vom 23.08.1996 machte der Kläger eine Verschlimmerung der Unfallfolgen geltend.

Die Beklagte holte ein Gutachten von dem Chirurgen Dr.P ..., W ..., vom 22.05.1997 ein. Dieser führte aus, gegenüber dem Vorgutachten des Orthopäden Dr.E ... vom 04.06.1982 sei keine wesentliche Änderung eingetreten. Bei der Demonstration der schmerzhaften Bewegungseinschränkung im linken Schultergelenk sei er wie sein Vorgutachter der Meinung, dass eine erhebliche Aggravatio zum Tragen komme. Der Verdacht werde auch dadurch erhärtet, dass keine Muskelminderung am linken Arm vorliege und die Hohlhandbeschwielung etwa seitengleich ausgeprägt sei. Der Kläger hob dabei den linken Arm seitwärts bis 120 Grad und nach vorne bis 160 Grad.

Mit Bescheid vom 12.06.1997 lehnte die Beklagte die Gewährung von Verletztenrente ab, weil keine MdE in rentenberechtigendem Grade vorliege.

Hiergegen ließ der Kläger durch seinen Bevollmächtigten Widerspruch einlegen und beantragen, eine Verletztenrente nach einer MdE um 20 v.H. ab 14.05.1996 zu gewähren. Mit Widerspruchsbe- unbegründet zurück.

Mit seiner Klage hat der Kläger die Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE um mindestens 20 v.H. beantragt und ein Wirbelgleiten als weitere Unfallfolge geltend gemacht.

Das Sozialgericht hat zunächst ein Gutachten eines Dr.Pr ... vom 16.07.1998 eingeholt. Dieser hat ausgeführt, in Übereinstimmung mit Dr.P ... sei er der Auffassung, dass es nicht zu einer Verschlimmerung der unfallbedingten Schäden gekommen sei. Im Bereich der linken Schulter sei die Abduktion aktiv bis ca. 90 Grad möglich gewesen, der Schürzengriff links nicht. Es müsse jedoch der hochgradige Verdacht auf eine Aggravation geäußert werden, da die Muskulatur beidseits völlig gleich ausgebildet sei. Auch bei der groben Kraft drücke der Kläger deutlich schwächer.

Auf Antrag des Kläger nach § 109 SGG hat das Sozialgericht ein Gutachten von dem Chirurgen Prof.Dr.B ..., R ..., vom 11.09.1998 eingeholt. Dieser sieht in dem Gutachten als Unfallfolgen die von ihm beschriebenen Bewegungseinschränkungen im linken Schultergelenk, die Minderung der groben Kraft in der linken oberen Extremität und die bestehenden röntgenologischen Veränderungen im linken Schultereckgelenk, sowie glaubhaft subjektive Beschwerden. Die Funktion im linken Schultergelenk habe sich verschlechtert. Die röntgenologischen Befunde deckten sich mit denen des Dr.P ... Nunmehr falle eine deutliche Bewegungseinschränkung des linken Schultergelenks auf. Die Seitwärtsbewegung sei passiv nicht frei, wie im Vorgutachten beschrieben. Sie betrage ebenso wie die Vorwärtsbewegung nur noch 120 Grad. Die aktive Bewegung gelinge in diesen Ebenen gerade bis 90 Grad. Die Auswärtsdrehung bei anliegendem Oberarm sei im Seitenvergleich um die Hälfte eingeschränkt, überdies würden die Drehbewegungen offensichtlich sehr schmerzhaft empfunden. Die MdE betrage ab 19.09.1998 20 v.H ... Nach dem Meßblatt konnte der Kläger den linken Arm seitwärts aktiv bis 90 Grad und passiv bis 120 Grad heben, vorwärts ebenfalls aktiv bis 90 und passiv bis 120 Grad. Die Umfangmaße am Oberarm differierten um 1 cm.

Hiergegen hat die Beklagte eingewendet, die demonstrierte Bewegungseinschränkung und die Minderung der groben Kraft decke sich nicht mit den auf dem Meßblatt für obere Gliedmaßen dokumentierten und nahezu gleichen Umfangmaßen. Der Sachverständige übernehme die vom Kläger demonstrierten Bewegungsausmaße kritiklos und gehe nicht darauf ein, dass eine Muskelminderung an der linken oberen Extremität nahezu nicht vorliege und auch die Hohlhandbeschwielung beidseits gleich schwach ausgebildet sei.

Hierzu hat der Sachverständige Prof.Dr.B ... in einem weiteren Gutachten vom 17.11.1998 ausgeführt, dass der Kläger wegen eines Wirbelsäulenleidens zwei Unterarmstützkrücken benützen müsse. Dazu sei ein gleichmäßiger Kraftaufwand in beiden Armen nötig. Aus dieser Tatsache lasse sich ableiten, dass die Umfänge der Weichteile der oberen Extremitäten nahezu seitengleich entwickelt seien. Andere Werte als die am Tag der Begutachtung demonstrierten Bewegungsausmaße an der linken Schulter, seien nicht zu erzielen gewesen. Im Übrigen seien die früheren gutachterlichen Stellungnahmen mindestens über ein Jahr her, in diesem Zeitraum könne sich auch einmal etwas ändern.

In einer gutachterlichen Untersuchung durch den Chirurgen Dr.Pa ... am 25.01.1999 in einem Verfahren gegen den Rentenversicherungsträger war u.a. die Vorwärts- und Seitwärtshebung des linken Armes bis zur Horizontalen möglich, die Unterarmdrehbewegungen waren beidseits frei.

Das Sozialgericht hat weiter ein Gutachten von der Orthopädin und Chirurgin Dr.En ..., K ..., vom 26.08.1999 eingeholt. Die Sachverständige kommt zu dem Ergebnis, eine Auslösung durch das Unfallereignis nicht begründet werden. Am linken Schultereckgelenk sei röntgenologisch eine Arthrose festzustellen. Das Ausmaß von Verschleißerscheinungen übersteige deutlich die Veränderungen am Schultereckgelenk rechts. Die Veränderungen seien als Unfallfolgen zu bewerten. Beim aktiven Heben des linken Armes sei eine Abduktion von 90 Grad erreicht worden. Ein Spontanbewegung über die Horizontale sei bei der gutachterlichen Untersuchung nicht nachweisbar gewesen. Der Beweisführung des Prof.Dr.B ... hinsichtlich der erhaltenen Muskulatur am linken Arm müsse gefolgt werden. Relevant für die Hebung des Armes sei die oberhalb der Schultergräte bestehende Muskulatur, zusätzlich der Musculus deltoideus. Hier sei eine Verschmächtigung links im Vergleich zu rechts zu verzeichnen. Der Einschätzung der MdE durch Prof.Dr.B ... könne allerdings nicht gefolgt werden, bei einer eingeschränkten Armhebung unter der Horizontale sei die MdE mit 10 v.H. festzulegen. Dies gelte ab 24.05.1996 auf Dauer.

Mit Urteil vom 13.12.1999 hat das Sozialgericht die Klage als unbegründet abgewiesen und ist in der Begründung davon ausgegangen, dass nach dem Gutachten des Prof.Dr.B ... und der Dr.En ... das unfallbedingte Ausmaß der Verschleißerscheinungen am Schultereckgelenk links zugenommen habe, nach Schönberger-Mehrtens-Valentin Arbeitsunfall und Berufskrankheit jedoch bei erhaltener Drehbeweglichkeit bei einer eingeschränkten Armhebung unter die Horizontale die MdE mit 10 v.H. festzusetzen sei. Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass nach Mehrhoff/Muhr Unfallbegutachtung 10.Aufl. erst eine Teilversteifung des Schultergelenks bei freier Drehbeweglichkeit eine MdE von 20 v.H. bedinge.

Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Er hat zunächst ein im Rentenstreitverfahren auf seinen Antrag nach § 109 SGG eingeholtes Gutachten des Orthopäden Dr.L ... vom 04.12.1999 vorgelegt. Danach hat der Kläger in der Untersuchung am 29.11.1999 beide Arme seitlich bis 110 Grad und vorwärts den rechten bis 170 und den linken bis 100 Grad heben können.

Auf Antrag des Klägers nach § 109 SGG hat der Senat ein weiteres Gutachten von dem Sachverständigen Prof.Dr.B ... vom 28.08.2000 eingeholt. Die Seitwärtsbewegung im linken Schultereckgelenk war danach aktiv bis 80 Grad, passiv bis 120 Grad möglich, die Elevation gelang aktiv bis 80 Grad, passiv bis 130 Grad. Auch die Rotationsbewegungen bei anliegendem Oberarm nach außen seien im Vergleich zur rechten Seite eingeschränkt gewesen. Zur Kritik an seiner MdE-Bewertung durch Dr.En ... führt der Sachverständige aus, in Schönberger-Mehrtens-Valentin 5.Aufl. S.500 betrage bei einer deutlichen Bewegungseinschränkung, d.h. bei Unmöglichkeit den Arm über 90 Grad anzuheben die MdE 20 v.H. und bei einer geringeren Bewegungseinschränkung, d.h. der Arm könne über 90 Grad gehoben werden, 10 v.H. Es liege nunmehr weiterhin eine deutliche Bewegungseinschränkung im linken Schultergelenk bei Behinderung der Drehbeweglichkeit vor, dieser Befund rechtfertige nach wie vor die Annahme einer MdE um 20 v.H.

Die Beklagte hat hierzu auf die unterschiedlichen Messungen durch Dr.L ... und Prof.Dr.B ... hingewiesen und ausgeführt, erst bei einer Bewegungseinschränkung in der Vorhebung von 0 bis 90 Grad sei die MdE mit 20 v.H. zu bewerten.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 13.12.1999 sowie den Bescheid der Beklagten vom 12.06.1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.04.1998 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger wegen der Folgen des Unfalls vom 10.02.1981 Verletztenrente gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Zum Verfahren beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren die Akten der Beklagten und die Akte des Sozialgerichts Regensburg in dem vorangegangenen Klageverfahren. Auf ihren Inhalt und das Ergebnis der Beweisaufnahme wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die vom Kläger form- und fristgerecht erhobene Berufung ist zulässig; eine Beschränkung der Berufung nach § 144 SGG besteht nicht.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet, weil die unfallbedingten Funktionseinschränkungen des Klägers nicht nachgewiesenermaßen ein Ausmaß haben, das eine MdE um 20 v.H. begründen würde.

Die Bemessung der unfallbedingten MdE richtet sich nach dem Umfang der Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens des Verletzten durch die Unfallfolgen und dem Umfang der dem Verletzten dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens. Dabei muss sich die Beeinträchtigung des Leistungsvermögens in entsprechenden Funktionseinschränkungen äußern, die sodann zur Bewertung der MdE heranzuziehen sind. Diese rechtserheblichen Tatsachen müssen in vollem Umfang bewiesen sein (vgl. Ricke, Kasseler Kommentar, Stand März 1995, vor § 548 RVO Rdnr.10 ff.).

Die im Schrifttum für die gesetzliche Unfallversicherung angesetzten MdE-Werte für die vorliegende Problemgestaltung differieren: Nach Schoenberger-Mehrtens-Valentin, 5. Auflage, S.500, lag die MdE bei der Einschränkung, den Arm bis 90¬ heben zu können, zwischen einer MdE um 10 und 20 v.H., also bei 15 v.H. Nach der Folgeauflage S.561 würde eine Bewegungseinschränkung mit Vorhebung von 0 bis 90¬ eine MdE um 20 v.H. bedingen. In solchen Fällen setzt Mollowitz, Der Unfallmann, 11. Auflage S.343 die MdE mit 25 v.H. an. Mehrhoff/Muhr, Unfallbegutachtung, 10. Auflage, S.147 orientieren sich nicht in dieser Weise an den Bewegungsausmaßen, sondern setzen eine MdE von 20 v.H. bei Teilversteifung des Schultergelenks bei freier Drehbeweglichkeit an.

Einer Entscheidung für die Richtigkeit einer bestimmten MdE- Einschätzung allgemein für Fälle der vorliegenden Art bedarf es in dem hier zu entscheidenden Fall jedoch nicht. Für die MdE-Einschätzung sind in jedem Fall die aktiven Bewegungsausmaße entscheidend. Diese Bewegungsausmaße sind jedoch im Wesentlichen von der Mitarbeit des Verletzten abhängig. Bestehen ernsthafte Zweifel daran, dass die gemessenen Bewegungseinschränkungen, die für das Erreichen einer MdE um wenigstens 20 v.H. erforderlich sind, den tatsächlichen Möglichkeiten des Versicherten entsprechen und nicht in Wahrheit besser sind, geht dies zu seinen Lasten. Solche Zweifel bestehen im vorliegenden Fall. Durchgehend seit 1982 haben Sachverständige auf die Diskrepanzen zwischen den objektiven Befunden und den Angaben des Klägers hingewiesen und teilweise ausdrücklich von einer Aggravation gesprochen. So ist es anhand der objektiv gleichbleibenden Befunde nicht nachvollziehbar, dass bei der gutachterlichen Untersuchung durch Prof.Dr.B ... am 09.09.1998 eine Vorhebung des linken Armes aktiv bis 90¬, bei der Untersuchung durch Dr.L ... am 29.11.1999 eine solche bis 100¬ und bei der letzten Untersuchung durch Prof.Dr.B ... noch bis 80¬ möglich war. Entsprechendes gilt für die seitliche Abduktion mit Werten von 90, 110 und 80¬. Hierbei erscheint dem Senat von besonderer Bedeutung, dass angesichts der übrigen, weitaus gravierenderen Gesundheitsstörungen des Klägers, die Schultergelenkseinschränkungen im Rentenverfahren von völlig untergeordneter Bedeutung waren, der Kläger also keinen Anlass hatte, hierauf besonderen Wert zu legen und dass der Sachverständige Dr.L ... im Rentenverfahren insgesamt zu einem unterhalbschichtigen Leistungsvermögen des Klägers und damit einem für den Kläger im Rentenverfahren sehr günstigen Ergebnis gekommen ist. Der Senat sieht deshalb die im unfallversicherungsrechtlichen Verfahren gemessenen Funktionsstörungen, insbesondere die des Prof.Dr.B ..., aber auch die der Dr.En ..., die für die Bewertung der MdE maßgeblich sind, als nicht hinreichend bewiesen an. Die Voraussetzungen für die Einschätzung einer unfallbedingten MdE um 20 v.H. und die Gewährung einer Verletztenrente liegen damit nicht vor. Unfallfolgen an anderer Stelle als am Schultergelenk des Klägers sind von keinem Sachverständigem angenommen worden.

Die Entscheidung über die Kosten stützt sich auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs.2 Nr.1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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