L 15 VG 9/00

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
15
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 9 VG 3/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 15 VG 9/00
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 21.08.2000 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin Anspruch auf Leistungen nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) wegen ärztlicher Behandlungsmaßnahmen seit 10.01.1975 hat.

Die am ...1939 geborene Klägerin stellte am 26.02.1997 beim Versorgungsamt Landshut Antrag auf u.a. "Opferrente" etc. Auf dem Antragsfragebogen gab sie im Mai 1997 an, bei ihr lägen ein Medikamentenschaden, eine intermittierende Porphyrie mit klinischer Latenzphase, ein eitriger Bauch und ein seelischer Schaden vor. Die schädigenden Ereignisse hätten am 10.01.1975 im Krankenhaus P ..., ferner im März/April 1976 im selben Krankenhaus, am 30.11.1977 in der Hellge Klinik in P ... und im Mai 1985 im Kreiskrankenhaus Starnberg stattgefunden. Täter seien die Ärzte Dr.E.S ... und Dr.M.S ..., Dr.I.M ..., Dr.A.Z ..., alle aus P ..., sowie Dres.D. und J ... vom Krankenhaus S ... und viele andere gewesen. Die Gewalttaten seien dadurch eingetreten, dass eine falsche Diagnose gestellt, eine falsche Behandlung durchgeführt und/oder die notwendige Hilfeleistung unterlassen worden sei. Es seien Strafanzeigen bei der Staatsanwaltschaft P ... erstattet worden.

Der Beklagte zog einen Befundbericht der Frauenärztin Dr.Z ... bei, die erklärte, dass die Klägerin 1984 und im Februar 1987 wegen therapieresistenter, objektiv nicht verifizierbarer Beschwerden bei ihr in Behandlung gewesen sei. Auf Anfrage des Versorgungsamtes teilte die Staatsanwaltschaft beim Landgericht P ... mit, dass Ermittlungsakten gegen Dr.S ... (Az.: 1 Js 1752 und 2817/87) bereits ausgeschieden worden seien. Aus einem beigezogenen Befundbericht des Frauenarztes Dr.P ... ergab sich, dass sich die Klägerin vom 22.05.1975 bis 02.12.1986 dort in Behandlung befunden hat. Die Diagnose lautete: Zustand nach mehrfacher Laparatomie mit Hysterektomie 1977. Das Operationsergebnis sei gut gewesen. Ein Befundbericht von Privatdozent Dr.S ... konnte nicht eingeholt werden, da dieser telefonisch mitteilte, die Patientin seit mindestens 10 Jahren nicht mehr behandelt zu haben.

Zu den Akten gelangte ferner ein Schreiben der Klägerin an den Direktor der AOK P ... vom Juli 1997, in dem sie um Unterstützung bat, vom Gynäkologen Dr.B ... Ergebnisse einer Untersuchung am 05.05.1997 (Labor-, Ultraschalluntersuchungen, Farbfotos) zu erhalten. Dr.B ... habe diese Ergebnisse bei einem weiteren Behandlungstermin am 15.05. nicht herausgeben und sie auch nicht behandeln wollen. Neben einem entsprechenden Schreiben der AOK Bayern an Dr.B ... und Kopien der Untersuchungsergebnisse ist eine Strafanzeige der Klägerin gegen Dr.B ... aktenkundig, auf die Oberstaatsanwalt Neuefeind der Klägerin mit Schreiben vom 02.06.1997 mitteilte, dass die Eröffnung der strafrechtlichen Verfolgung mangels Vorliegens zureichender Anhaltspunkte abgelehnt werde.

Mit Schreiben vom 17.09.1997 erklärte die Klägerin dem Versorgungsamt, die Befundberichte von Dr.Z ... und Dr.P ... seien unwahr.

Am 02.02.1998 erging daraufhin ein Bescheid, mit dem der Beklagte den Antrag vom 26.02.1997 auf Gewährung von Entschädigungsleistungen nach dem OEG ablehnte, da die von der Klägerin genannten ärztlichen Behandlungsmaßnahmen keine tätlichen Angriffe darstellten. Der Nachweis eines tätlichen rechtswidrigen Angriffs sei nicht erbracht worden. Der Widerspruch der Klägerin wurde mit Widerspruchsbescheid vom 12.03.1998 zurückgewiesen.

Daraufhin hat die Klägerin am 09.04.1998 Klage zum Sozialgericht Landshut erhoben und vorgetragen, seit 10.01.1975 sei ihr körperliche und seelische Gewalt angetan worden. Nach Erkennen der ursprünglich fahrlässig falsch gestellten Diagnose und falschen Behandlung sei diese vorsätzlich falsch weitergeführt worden; es liege eine vorsätzlich falsche Dokumentation und vorsätzlich unterlassene Hilfe vor mit den Folgen einer Porphyrie (Medikamentenschaden) mit septischem Bauch, Infektion des gesamten Infektionsgebiets, perforiertem Darm, Bauchfisteln etc., die zur Schwerbeschädigung (80 %) und Erwerbsunfähigkeit mit EU-Rentenbezug geführt hätten. Die Klägerin hat dem Gericht ein Pflegegutachten vom MDK der AOK P ... vom 29.06.1998 übersandt sowie Unterlagen über Arbeitsunfähigkeitszeiten. Die Klägerin hat außerdem dem Sozialgericht mitgeteilt, dass an den Internisten Dr.S ... keine Anfragen gerichtet werden dürften. Sie hat drei ihres Erachtens zutreffende Atteste dieses Arztes aus dem Jahr 1988 übersandt.

Am 21.08.2000 hat das Sozialgericht ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid die Klage abgewiesen. Der Beklagte habe den Antrag der Klägerin auf Gewährung von Versorgung zu Recht abgelehnt, da auch eine unsachgemäße ärztliche Behandlung bzw. das Unterbleiben einer sachgemäßen ärztlichen Behandlung keinen tätlichen Angriff darstelle; hierunter falle nur ein gewaltsames, handgreifliches Vorgehen gegen eine Person in kämpferischer feindseliger Absicht. Entschädigungen wegen unsachgemäßer ärztlicher Behandlung seien zivilrechtlich, nicht aber nach dem OEG einzuklagen.

Mit Schriftsatz vom 05.10.2000 hat die Klägerin gegen den Gerichtsbescheid Berufung zum Landessozialgericht eingelegt. Einem für den 25.01.2001 anberaumten Erörterungstermin hat die Klägerin aus gesundheitlichen Gründen nicht Folge leisten können.

Am 14.02.2001 ist eine sechsseitige handschriftliche Berufungsbegründung der Klägerin eingegangen; darin beschreibt diese, dass sie seit 10.01.1975 vor allem im P ... Krankenhaus wiederholt falsch behandelt oder dort abgewiesen worden sei. Durch die Verordnung starker Psychopharmaka wie Atosil und Lumbatril forte seien ein Medikamentenschaden und insbesondere eine Porphyrie entstanden.

Der Senat hat die OEG-Akte des Beklagten, 5 Bände Akten des Sozialgerichts Landshut (S 9 VG 3/98, S 13 VS 752/94, S 11 VS 463/89, S 4 AR 326/88, S 2 AR 92/82), 3 Bände erledigte Akten des Bayerischen Landessozialgerichts (L 15 SB 23/99, L 15 VS 37/91 und L 6 AR 594/92) sowie einschlägige Akten des Petitionsausschusses des Bayerischen Landtags beigezogen.

Die Klägerin beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Gerichtsbescheides des Sozialgerichts Landshut vom 21.08.2000 und des Bescheides vom 02.02.1998 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12.03.1998 zu verurteilen, ihr wegen der Folgen von Gewalttaten im Zuge ärztlicher Behandlungen Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 21.08.2000 zurückzuweisen.

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts auf den Inhalt der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie auf den Inhalt der zu Beweiszwecken beigezogenen Akten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist zulässig, sie ist jedoch nicht begründet.

Das Sozialgericht Landshut hat zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz verneint, weil eine unsachgemäße oder unterbliebene sachgemäße ärztliche Behandlung keinen tätlichen Angriff im Sinne des Opferentschädigungsgesetzes darstellt.

Nach § 1 Abs.1 OEG erhält derjenige Versorgung, der infolge eines vorsätzlichen, rechtwidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Nach § 1 Abs.2 Nr.1 steht einem tätlichen Angriff eine vorsätzliche Beibringung von Gift gleich.

Der Senat konnte sich nicht vom Vorliegen dieser Voraussetzungen überzeugen. Nach dem im Sozialrecht geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast geht die trotz durchgeführter Ermittlungen verbleibende Unsicherheit über das Vorliegen von Anspruchsvoraussetzungen zu Lasten des Klägers (vgl. Meyer-Ladewig, Komm. zum SGG, 6.Auflage Rdnr.19 a zu § 103).

Die Klägerin beschuldigt eine Reihe von Ärzten seit 10.01.1975 ärztliche Kunstfehler begangen zu haben und zwar, weil sie eine falsche Diagnose gestellt, falsche Medikamente verordnet oder eine erforderliche Behandlung abgelehnt hätten. Soweit sich diese Vorgänge vor dem 16.05.1976, dem Tag des Inkrafttretens des OEG, abgespielt haben, hängt ein Anspruch auf Versorgung nach § 10 a OEG davon ab, ob die Person allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt und außerdem bedürftig ist. Diese Fragen können jedoch dahingestellt bleiben, da nicht nachgewiesen ist, dass eine der zahlreichen ärztlichen Behandlungen, denen sich die Klägerin unterzogen hat, als vorsätzlicher tätlicher Angriff bzw. vorsätzliche Giftbeibringung anzusehen ist. Unter dem Begriff "tätlich angreifen" im Sinne von §§ 113 und 121 des Strafgesetzbuches (StGB) ist eine unmittelbare auf den Körper zielende feindselige Einwirkung, evtl. auch ohne Körperberührung, zu verstehen (Troendle/Fischer, Strafgesetzbuch und Nebengesetze, 49.Auflage, Randnr.21 zu § 113). Auch das Bundessozialgericht hat in ständiger Rechtsprechung hervorgehoben, dass ein Gewaltopfer nur dann Entschädigung nach dem OEG erhalten könne, wenn eine in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines Menschen zielende Einwirkung vorgelegen hat. Zwar könnte ein solcher Angriff auch durch Unterlassen begangen werden, sofern aufgrund einer Garantenstellung, z.B. aus der Übernahme einer ärztlichen Behandlung heraus eine Rechtspflicht zum Handeln bestanden hat (so Schulz-Lüke/Wolff, Gewalttaten und Opferentschädigung, 1.Auflage, Anm.92 f zu § 1 OEG, Kunz/Zellner, Opferentschädigungsgesetz, 4.Auflage, Randnr.11 zu § 1; ablehnend Schoreit/Düsseldorf, OEG, Randnr.65 zu § 1). Es fehlen jedoch konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die von der Klägerin namentlich benannten Ärzte die Gesundheit der Klägerin in feindseliger Absicht und vorsätzlich, mit Wissen und Wollen, durch eine bestimmte Handlung oder durch Unterlassen einer notwendigen Behandlungsmaßnahme verletzt haben. Ärztliche Eingriffe stellen in der Regel, auch wenn dem Arzt dabei aus grober Fahrlässigkeit ein Kunstfehler unterläuft, keinen tätlichen Angriff auf den Patienten dar (vgl. Schoreit/Düsseldorf a.a.O., Randnr.69).

Bedeutsam erscheint in diesem Zusammenhang, dass die Klägerin vom 19. bis 23.09.1978 ambulant und stationär in der Deutschen Diagnostik-Klinik Wiesbaden untersucht worden ist; dort wurde zwar festgestellt, dass die geklagten Bauchschmerzen der Klägerin daraus erklärbar seien, dass ihr trotz bestehender Porphyrie - einer häufig verkannten Stoffwechselstörung - kontraindizierte Medikamente verabreicht worden seien, was künftig vermieden werden müsse. Auch sei einem früheren Tumorverdacht im kleinen Becken nicht nachgegangen worden; der Verdacht habe sich allerdings nicht bestätigt. Aus dem Bericht von Dr.W ... vom September 1978 (L 15 Vs 37/91, Bl.125 ff) ergibt sich nach Auffassung des Senats kein Anhaltspunkt dafür, dass die o.g. fehlerhaften Behandlungen oder Nichtbehandlungen in feindseliger Absicht geschehen sind. Im Hinblick auf die seltene Erkrankung der Porphyrie ist anzunehmen, dass sie wahrscheinlich zunächst fahrlässig nicht erkannt wurde.

Gegen den Ausnahmefall einer Gewalttat durch einen die Klägerin behandelnden Arzt spricht auch, dass die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht P ... den Strafanzeigen der Klägerin - wie im Fall des Frauenarztes Dr.B ... - nicht Folge geleistet hat.

Im Wege des Urkundenbeweises hat der Senat die Gutachten des Internisten Prof.Dr.S ... vom 27.07.1992 (L 15 VS 37/91, Bl.61 ff) und des Nervenarztes Dr.So ... vom 16.03.1994 (L 6 AR 594/92, Bl.152 ff) verwertet und daraus entnommen, dass die Klägerin unter einer psychischen Störung leidet, zu deren Krankheitsbild eine Fixierung auf unklare Bauchbeschwerden gehöre, die sie auf Fehldiagnosen und Kunstfehler von Ärzten zurückführe. Die neurotische Fehlhaltung der Klägerin ist nach dem Schwerbehindertengesetz seit dem Ausführungsbescheid vom 07.11.1996 mit dem höchsten Einzel-GdB im Rahmen eines Gesamt-GdB für alle bei der Klägerin vorliegenden Behinderungen von 80 bewertet. Die Auswertung der Unterlagen des Petitionsausschusses des Bayerischen Landtags, an den sich die Klägerin im April 1995 gewandt und um Hilfe gebeten hatte, weil sie sich durch den Internisten Dr.S ... aus P ... seit Mitte 1988 verfolgt fühle und weil sie ab Januar 1975 Schadensersatz und Schmerzengeld lebenslang beanspruche sowie unterschlagene Untersuchungsergebnisse benötige, ergibt ebenfalls keine den Anspruch der Klägerin begründenden Fakten. Auch der zuständige Landtagsausschuss kam nach Beratung am 12.10.1995 zu dem Ergebnis, dass mögliche Ansprüche gegen einen Arzt oder einen Träger eines Krankenhauses grundsätzlich zivilrechtlicher Natur seien und nur von den ordentlichen Gericht letztverbindlich geklärt werden können. Er sah keine Möglichkeit der Eingabe der Klägerin zum Erfolg zu verhelfen.

Bei der Klägerin waren aufgrund ernster und schmerzhafter Gesundheitsstörungen, wie Gallenblasenentzündung, Endometritis, Blinddarmentzündung, Porphyrie eine Reihe von Operationen im Bereich des Bauches notwendig, unter deren Folgen (u.a. Verwachsungen) die Klägerin noch leidet. Im Zusammenhang mit den damit verbundenen Beschwerden und Schmerzen hat sich eine psychische Störung mit Somatierungstendenz entwickelt. Objektive Nachweise dafür, dass die Klägerin im Verlauf der vielfältigen medizinischen Behandlungen Opfer eines vorsätzlichen tätlichen Angriffs durch einen Arzt geworden ist, liegen nicht vor.

Aus diesen Gründen war die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 21.08.2000 zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 183 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs.1 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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