L 20 RJ 210/01

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
20
1. Instanz
SG Bayreuth (FSB)
Aktenzeichen
S 7 RJ 872/98
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 20 RJ 210/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 24.10.2000 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit bis zum Beginn der Altersrente am 01.04.2002.

Die am 1942 geborene Klägerin hat keinen Beruf erlernt und war zuletzt bis zu ihrer Erkrankung am 20.09.1996 als Kontrolleurin (Warenschauerin in der Textilindustrie) versicherungspflichtig beschäftigt.

Am 30.03.1998 beantragte die Klägerin Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Die Beklagte ließ die Klägerin durch Frau Dr.G. untersuchen, die im Gutachten vom 18.05.1998 zu der Beurteilung gelangte, die Klägerin könne wegen der bei ihr gegebenen mäßigen Polyartritis und Abnutzungen im rechten Schultergelenk und in der Wirbelsäule die Tätigkeit als Warenschauerin nicht mehr verrichten. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt seien leichte Arbeiten mit Einschränkungen vollschichtig möglich. Daraufhin lehnte die Beklagte Rentenleistungen mit Bescheid vom 26.05.1998 und Widerspruchsbescheid vom 07.09.1998 ab. Die Klägerin sei noch in der Lage, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte Arbeiten ohne volle Gebrauchsfähigkeit beider Hände vollschichtig zu verrichten.

Im anschließenden Klageverfahren hat das Sozialgericht Bayreuth (SG) zunächst die Unterlagen des MdK Hof, des Arbeitsamtes Hof, die Schwerbehindertenakte des AVF Bayreuth und die Befundberichte und Unterlagen des Orthopäden Dr.H. , der Internistin Dr.H. und des praktischen Arztes Dr.E. zum Verfahren beigenommen. Anlässlich des Termins vom 03.08.1999 hat als ärztlicher Sachverständiger Dr.K. ein Gutachten erstattet, in dem er zu der Beurteilung gelangt ist, die Klägerin sei im Hinblick auf die auf dem orthopädischen Gebiet vorliegenden Gesundheitsstörungen noch in der Lage, leichte Tätigkeiten vollschichtig zu verrichten. Nicht zumutbar seien schweres Heben und Tragen, häufiges Bücken, Überkopfarbeiten und einseitige Haltungen sowie Arbeiten an Maschinen, unter Zeitdruck sowie mit Nässe und Kälteexposition. Der auf Antrag der Klägerin gehörte Prof. Dr.K. ist im Gutachten vom 11.04.2000 zu der Auffassung gelangt, der Klägerin sei es nicht möglich, auch leichte körperliche Arbeiten unterhalbschichtig durchzuführen. Dies ergebe sich aus der Zusammenschau der Einschränkungen in der Funktionalität beider Hände, beider Schultern und zunehmend der Wirbelsäule. Das SG hat abschließend anlässlich des Termins vom 24.10.2000 als ärztlichen Sachverständigen Dr.K. gehört, der seitens der Funktionsdiagnostik von Wirbelsäule und Extremitäten keine wesentlichen Einschränkungen festgestellt hat, die Auswirkungen auf das quantitative Leistungsvermögen hätten. Er hat leichte Arbeiten vollschichtig bei Beachtung bestimmter Funktionseinschränkungen für zumutbar gehalten.

Das SG hat sich den Beurteilungen der von Amts wegen gehörten ärztlichen Sachverständigen angeschlossen und die auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU) gerichtete Klage mit Urteil vom 24.10.2000 abgewiesen. Die Einschränkung der bestehenden Leistungsfähigkeit sei durch die gerichtsärztlichen Sachverständigen Dr.K. und Dr.K. als zutreffend anzusehen. Bei somit bestehender Einsatzfähigkeit für leichte vollschichtigte Arbeiten liege EU nicht vor. Auch BU sei nicht gegeben, nachdem die Klägerin keinen Facharbeiterschutz geltend machen könne.

Mit der dagegen eingelegten Berufung macht die Klägerin geltend, dass sich ihre zahlreichen verschiedenen Krankheiten von Kopf bis Fuß erstreckten. Das Zusammenspiel der Erkrankungen führe zu der vorliegenden EU. Auch Prof. Dr.K. komme zu dem Ergebnis, dass sie nicht mehr in der Lage sei, auch nur leichtere Arbeiten vollschichtig durchzuführen. Da es nicht Sinn und Zweck der Sozialgesetzgebung sei, Patienten mit Mehrfacherkrankungen zu benachteiligen, sondern eine umfassende Betrachtung ihrer Leistungsfähigkeit durchzuführen, sei ihr Rente wegen EU und wegen BU zu gewähren.

Mit Bescheid vom 22.02.2002 bewilligte die Beklagte der Klägerin Altersrente ab 01.04.2002.

Nach Beinahme der Unterlagen und Befundberichte des Orthopäden Dr.Z. und des Allgemeinarztes Dr.E. erstattete der Chirurg Prof. Dr.W. das Gutachten vom 30.05.2002. Er gelangte zu der Beurteilung, der Klägerin seien leichte bis mittelschwere Arbeiten vollschichtig zumutbar. Auszuschließen seien manuell beanspruchende Tätigkeiten und Arbeiten in gebückter oder unphysiologischer Körperhaltung oder mit Heben und Tragen von schweren Gegenständen. Feinmotorische, fast ausschließlich auf Hand- und Fingerfertigkeiten beruhende Belastungen seien nicht mehr zumutbar. Der auf Antrag der Klägerin gehörte Orthopäde Prof. Dr.Z. vertrat im Gutachten vom 26.05.2003 die Auffassung, der Klägerin seien nur noch weniger als vier Stunden, jedoch mindestens drei Stunden leichte Arbeiten bei Beachtung bestimmter Funktionseinschränkungen zumutbar.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des SG Bayreuth vom 24.10.2000 sowie den Bescheid der Beklagten vom 26.05.1998 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.09.1998 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihr für die Zeit vom 01.03.1998 bis 31.03.2002 eine Rente wegen EU bzw. BU zu zahlen.

Die Beklagte beantragt die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der Einzelheiten wird zur Ergänzung des Tatbestands auf die Streitakten erster und zweiter Instanz sowie die vom Senat beigezogenen Verwaltungsunterlagen der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin ist form- und fristgerecht eingelegt (§§ 143, 151 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) und auch im Übrigen zulässig (§ 144 SGG).

Das Rechtsmittel erweist sich aber als unbegründet. Das SG hat im angefochtenen Urteil zu Recht entschieden, dass die Klägerin gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Leistungen wegen BU und EU hat. Denn die Klägerin war im streitigen Zeitraum vom 01.03.1998 bis 31.03.2002 nicht berufs- und nicht erwerbsunfähig im Sinne des Gesetzes.

Ein Anspruch wegen verminderter Erwerbsfähigkeit steht der Klägerin weder nach dem bis 31.12.2000 geltenden und für Leistungsfälle vor dem 31.12.2000 weiter anzuwendenden Recht (§§ 300 Abs.1, 302 b Abs.1 SGB VI, letzterer in der ab 01.01.2001 geltenden Fassung des Renten-Reformgesetzes vom 20.12.2000 - BGBl.I S.1835 -, i.V.m. §§ 43, 44 SGB VI in der Fassung bis 31.12.2000) noch nach dem ab 01.01.2001 geltenden Recht zu.

Zunächst hat die Klägerin keinen Anspruch auf Leistungen wegen BU (§ 43 SGB VI a.F. bzw. § 240 SGB VI in der ab 01.01.2001 geltenden Fassung). Insoweit hat das SG zu Recht darauf hingewiesen, dass die Klägerin keinen Berufsschutz genießt, da sie nach ihrem versicherungspflichtigen Erwerbsleben keine Facharbeitertätigkeiten im Sinne des von der Rechtsprechung entwicklelten Mehrstufenschemas ausgeübt hat, sondern lediglich kurzfristig angelernte Tätigkeiten.

Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch der Klägerin auf Zahlung von Rente wegen EU ist § 44 SGB VI in der bis zum 31.12.2000 geltenden Fassung. Neben der allgemeinen Wartezeit sind die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Antragstellung (30.03.1998) nach § 44 Abs.1 Nr.2, Abs.4 SGB VI a.F., wie bereits die Beklagte festgestellt hat, erfüllt.

Die Klägerin war im streitigen Zeitraum jedoch nicht erwerbsunfähig im Sinne des § 44 Abs.2 Satz 1 SGB VI a.F. Danach sind erwerbsunfähig Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das 1/7 der monatlichen Bezugsgröße übersteigt. Diese Voraussetzungen erfüllt die Klägerin nicht, da die festgestellten Gesundheitsstörungen nicht so ausgeprägt sind, dass ihr nicht noch vollschichtig zumindest leichte Tätigkeiten möglich wären, zumal weder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen noch eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vorliegt und deshalb die Arbeitsmarktlage bei der Beurteilung der EU außer Betracht zu bleiben hat (vgl. BSG - Großer Senat - SozR 3-2600 § 44 Nr.8).

Die ablehnenden Entscheidungen der Beklagten in den angefochtenen Bescheiden vom 26.05.1998 und 07.09.1998 sind durch die Ausführungen des vom Senat gehörten ärztlichen Sachverständigen Prof. Dr.W. im Gutachten vom 30.05.2002 nachhaltig bestätigt worden. Danach schränken die bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen ihre Einsatzfähigkeit weder für sich allein noch in der Gesamtwürdigung in einem rentenrechtlich erheblichen Umfange ein.

Die Gesundheitsstörungen, die die Erwerbsfähigkeit der Klägerin einschränken, ergeben sich - nahezu identisch - sowohl aus dem Gutachten von Prof. Dr.W. wie auch aus dem Gutachten des auf Antrag der Klägerin gehörten Prof. Dr.Z ... Unterschiedlich ist lediglich die Beurteilung des Restleistungsvermögens der Klägerin.

Im Bereich der Wirbelsäule liegen bei der Klägerin verschleißbedingte Veränderungen an der unteren Halswirbelsäule und im Bereich der Lendenwirbelsäule vor. An der Halswirbelsäule zeigt sich eine mittelgradige Einschränkung der Beweglichekeit, die aber funktionell zu keiner bedeutenden Einbuße führt. An der Lendenwirbelsäule ist eine leichte Zunahme des Wirbelgleitens im betroffenen Segment nachweisbar, führt aber nur zu einer gering funktionell beeinträchtigenden Einschränkung in der Beweglichkeit. Dabei ist die Vorneigefähigkeit und die Drehbeweglichkeit sehr gut erhalten. Im Bereich der rechten Schulter liegen degenerative Veränderungen vor, allerdings kann der rechte Arm über die Waagerechte hinausgeführt werden; sozialmedizinisch bedeutet dies lediglich eine geringe Einschränkung. Im Bereich der linken Schulter besteht keinerlei Einschränkung. Im Bereich der Hände (erhebliche Daumensattelgelenksartrose links mit günstiger Funktion, klinische und radiologische Zeichen der Grundgelenksartritis an beiden Händen mit Minderung der groben Kraft, Verdacht auf Karpaltunnelsyndrom rechts) führen zu der Einschränkung, dass Tätigkeiten mit besonderer Beanspruchung der Hände (Fingerfertigkeit, Präzisionsarbeiten, Fließbandarbeit mit wiederholt gleichen Handgriffen), Hebe- und Tragetätigkeiten vermieden werden sollten. Ein Karpaltunnelsyndrom hat keinen dauernden Einfluss auf die Erwerbsfähigkeit einer Versicherten; diesem kann durch eine geringe operative Maßnahme beigekommen werden. Die Gefühlsminderung am linken Oberschenkel hat keinerlei Auswirkungen auf die körperliche Leistungsfähigkeit der Klägerin. Gleiches gilt für die beschriebenen Veränderungen am Fußskelett (Senk-Spreizfüße beidseits mit Hallux-Valgus beidseits ohne wesentliche Funktionseinbuße).

In der Gesamtwürdigung der bei der Klägerin vorliegenden Gesundheitsstörungen lässt sich somit der Leistungsfall der EU im streitigen Zeitraum nicht begründen. Insoweit hat sich Prof. Dr.W. im Gutachten vom 30.05.2002 schon mit der Leistungsbeurteilung des vom SG gehörten Sachverständigen Prof. Dr.K. im Gutachten vom 11.04.2000 auseinandergesetzt und darauf hingewiesen, dass eine solche Leistungsbeurteilung medizinisch nicht zu begründen ist.

Der Leistungsbeurteilung des auf Antrag der Klägerin gehörten Orthopäden Prof. Dr.Z. , die Klägerin sei nur bis vier Stunden einsetzbar, kann nach Auffassung des Senats nicht gefolgt werden. Zum Einen hat der Sachverständige diese Leistungsbeurteilung nicht begründet. Zum Anderen hat schon Prof. Dr.W. darauf hingewiesen, dass bei der Klägerin zwar funktionelle Einschränkungen der körperlichen Leistungsfähigkeit vorliegen, die aber zusammenfassend kaum das altersübliche Maß überschreiten und zu keinen groben und massiven Funktionseinbußen führen. Zu Recht hat auch die Beklagte darauf hingewiesen, dass die Funktionseinschränkungen des Stütz- und Bewegungsapparates lediglich leicht- bis allenfalls mittelgradig seien, so dass die von Prof. Dr.Z. vertretene Leistungsbeurteilung nicht zu begründen sei. Auch hat sich Prof. Dr.Z. nicht mit den Leistungsbeurteilungen der Vorgutachten auseinander gesetzt. Nachdem er seine Beurteilung nicht begründet hat, ist diese auch für den Senat nicht nachvollziehbar.

Nach den überzeugenden und in sich schlüssigen Ausführungen des vom Senat gehörten Sachverständigen Prof. Dr.W. lässt sich somit eine zeitliche Beschränkung des Einsatzvermögens der Klägerin für Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht begründen. Damit ist die Klägerin in der Lage, bei Beachtung der vom ärztlichen Sachverständigen aufgezeigten Einsatzbeschränkungen jedenfalls leichte Tätigkeiten regelmäßig und mit einer betriebsüblichen Arbeitszeit von täglich sieben bis acht Stunden auszuüben.

Da die Klägerin unter Einbeziehung aller bei ihr festgestellten Gesundheitsstörungen nicht an der Ausübung einer regelmäßigen Ganztagsbeschäftigung gehindert ist, braucht vorliegend eine zustandsangemessene Tätigkeit weder nachgewiesen noch benannt zu werden. Denn solange eine Versicherte in der Lage ist, unter betriebsüblichen Bedingungen noch vollschichtig und regelmäßig Erwerbsarbeit zu leisten, besteht keine Pflicht der Verwaltung und der Gerichte, konkrete Arbeitsplätze und Verweisungstätigkeiten mit im Einzelnen nachprüfbaren Belastungselementen zu benennen. Vielmehr ist in solchen Fällen von einer ausreichenden Zahl vorhandener Arbeitsplätze auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszugehen (BSG SozR 2000 § 1246 Nr.90). Die Klägerin war damit im streitigen Zeitraum nicht erwerbsunfähig im Sinne des § 44 Abs.2 SGB VI a.F.

Auf Grund ihres vollschichtigen Einsatzvermögens erfüllt die Klägerin auch nicht die Voraussetzungen des durch Art.1 Nr.19 des Rentenreformgesetzes 1999 neu gefassten und durch Art.1 Nr.10 des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000 - BGBl.I 1827 - geänderten, ab 01.01.2001 in Kraft getretenen § 43 SGB VI. Nach dessen Absatz 1 hat bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wer (neben weiteren Leistungsvoraussetzungen) wegen Krankheit oder Behinderung außerstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgmeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Eine quantitative Einschränkung der betriebsüblichen Arbeitszeit von täglich etwa acht Stunden liegt jedoch - wie bereits ausgeführt wurde - bei der Klägerin nicht vor.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG Bayreuth vom 24.10.2000 war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gemäß § 193 SGG beruht auf der Erwägung, dass auch die Berufung der Klägerin ohne Erfolg blieb.

Gründe für die Zulassung der Revision gem. § 160 Abs.2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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