Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
17
1. Instanz
SG Nürnberg (FSB)
Aktenzeichen
S 6 U 148/00
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 17 U 356/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 15.10.2001 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger aufgrund des Arbeitsunfalles vom 22.05.1998 Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 vH über den Juli 1999 hinaus hat.
Der am 1946 geborene Kläger erlitt am 22.05.1998 einen Arbeitsunfall. Bei Überprüfung von Rohrverlegearbeiten stolperte er über ein Kantholz, verlor das Gleichgewicht und stürzte rückwärts in einen Rohrgraben. Dabei schlug er mit dem Kopf und der rechten Schulter auf. Er verspürte sofort Schmerzen im Rücken und hatte für kurze Zeit eine Gesichtsfeldeinschränkung des linken Auges. Der Durchgangsarzt Dr.W. diagnostizierte eine Lendenwirbelkörper- (LWK) I-Vorderkantenfraktur (Bericht vom 22.05.1998). Nach stationärem Aufenthalt im Krankenhaus N. , L. vom 22. bis 29.05.1998 war der Kläger bis 27.12.1998 arbeitsunfähig krank.
Nach Einholung eines Gutachtens des Chirurgen Dr.S. vom 19.01.1999 erkannte die Beklagte mit Bescheid vom 12.03.1999 den Unfall als Arbeitsunfall an und gewährte im Rahmen einer Gesamtvergütung für die Zeit vom 28.12.1998 bis 31.07.1999 Verletztenrente nach einer MdE von 20 vH. Als Folgen des Arbeitsunfalles anerkannte sie: Ein Teil der endgradigen Bewegungseinschränkung der Wirbelsäule sowie Verspannungen der Rückenstreckmuskulatur am Übergang der Brust- zur Lendenwirbelsäule nach in leichter Keilform knöchern fest durchbauten Bruch des 1.LWK. Nicht als Folgen des Arbeitsunfalles sah sie Schulterbeschwerden rechts sowie Prellungen des rechten Arms und der rechten Schulter an.
Der Kläger klagte am 05.02.1999 über Schmerzen und eine Bewegungseinschränkung im Bereich der rechten Schulter. Am 01.08.1986 und 09.12.1986 hatte er bereits Arbeitsunfälle (Prellungen des rechten Schultergelenkes) erlitten. Die MdE hierfür betrug jeweils weniger als 10 vH.
Am 15.07.1999 beantragte er eine Verletztenrente auf Dauer. Die Beklagte holte ein Gutachten des Chirurgen Dr.L. vom 20.08.1999 ein. Dieser sah als Unfallfolgen an: Statische Beschwerden im Bereich der Lendenwirbelsäule (LWS) mit schmerzhafter, jedoch ausreichender Funktion des unteren Achsenorgans mit Kompressionsfraktur der Deckplatte LWK I, zwischenzeitlich unter Deformierung knöchern fest durchbaut bei nachweisbaren Verschleißerscheinungen. Die MdE schätzte er ab August 1999 auf 10 vH.
Mit Bescheid vom 18.02.2000 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Verletztenrente nach Ablauf des Gesamtvergütungszeitraums ab. Im anschließenden Widerspruchsverfahren legte der Kläger ein Gutachten des Orthopäden Dr.M. (für eine Privatversicherung) vom 09.06.1999 vor. Dieser bewertete die Beweglichkeit der BWS und LWS als mäßiggradig eingeschränkt und setzte eine MdE von 20 vH an. Mit Bescheid vom 26.04.2000 wies die Beklagte den Widerspruch zurück, da die Einschätzung der MdE mit unter 20 vH im Einklang mit den für die gesetzliche Unfallversicherung entwickelten MdE-Erfahrungssätzen stehe.
Gegen diese Bescheide hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben und beantragt, ab August 2000 Rente nach einer MdE um 20 vH zu gewähren. Er hat vorgetragen, dass er vor dem Arbeitsunfall keine Beschwerden, auch keine Bewegungseinschränkungen, gehabt habe.
Das SG hat Gutachten der Chirurgen Dr.R. vom 31.08.2000/ 08.01.2001 und Dr.S. vom 26.07.2001 / 18.08.2001 eingeholt. Dr.R. hat ausgeführt, es handele sich nicht um einen folgenlos verheilten stabilen LWK-Bruch. Vielmehr bestehe eine anhaltende Bewegungseinschränkung des verletzten Wirbelsäulensegmentes. Hinzu kämen hartnäckige Schmerzsymptome, die zur ständigen Einnahme von Schmerzmitteln zwingen würden. Die vor dem Unfall nicht bestehende Minderung der Gefühlsempfindlichkeit beider oberer Oberschenkelabschnitte sei auch auf den Unfall zurückzuführen. Die MdE sei mit 20 vH gerechtfertigt. Diese Einschätzung vertrat auch Dr.S ... Die Beklagte hat dem unter Vorlage gutachtlicher Stellungnahmen des Chirurgen Dr.B. vom 06.11.2000 / 13.02.2001 / 19.09.2001 widersprochen. Dieser hat bemängelt, dass zu Unrecht unfallunabhängige Verschleißerkrankungen in den Unfallzusammenhang gestellt würden. Die Missempfindungen an der Außenseite des linken Oberschenkels entsprächen nicht dem Verletzungssegment. Die Beweglichkeit im Verletzungsgebiet sei sogar als günstig zu bezeichnen. Eine MdE von 20 vH sei nicht zu rechtfertigen.
Mit Urteil vom 15.10.2001 hat das SG Nürnberg die Beklagte verurteilt, dem Kläger über den 31.07.1999 hinaus Rente nach einer MdE um 20 vH zu gewähren. Es hat sich dabei im Wesentlichen auf die Gutachten der Chirurgen Dr.R. und Dr.S. gestützt.
Hiergegen hat die Beklagte Berufung eingelegt und vorgetragen, Dr.S. habe zwar eine Spondylosis deformans an der BWS als unfallfremde Erkrankung festgestellt. Er habe aber unterlassen, die unfallbedingten Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule von den unfallfremden abzugrenzen. Dr.R. habe nicht diskutiert, ob die Bewegungseinschränkung der BWS im Unfallzusammenhang stehe oder auf degenerative Veränderungen zurückzuführen sei. Ohne nähere Begründung habe er eine mäßige bis deutliche Bewegungseinschränkung der unteren BWS als Unfallfolge festgestellt. Tatsächlich liege als Unfallfolge lediglich eine leichtgradige Keilverformung des 1.LWK ohne wesentliche Achsabknickung vor. Die Bewegungseinschränkung der oberen und mittleren BWS sowie die Missempfindung an der Außenseite des linken Oberschenkels seien nicht unfallbedingt. Eine MdE von 20 vH über den 31.07.1999 sei nicht begründbar.
Der Senat hat eine Arbeitsunfähigkeitsauskunft der Barmer Ersatzkasse N. vom 20.12.2001, sowie die einschlägigen Röntgenaufnahmen zum Verfahren beigezogen und Gutachten des Orthopäden Dr.W. vom 28.05.2002 und gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) des Orthopäden Dr.M. vom 02.05.2002 eingeholt. Dr.W. hat die Schultergelenksbeschwerden ebenso wie die geringe neurologische Störung an den Oberschenkeln nicht den Unfallfolgen angelastet. Die Bewegungseinschränkung im relevanten BWS-LWS-Bereich sei gering- bis mäßiggradig, so dass eine MdE von 20 vH nicht vertretbar sei.
Dr.M. hat den Arbeitsunfall als alleinigen Auslöser einer später in leichter Fehlstellung knöchern fest verheilten Fraktur des 1.LWK ohne bleibenden erheblichen funktionellen Verlust und ohne nachweisbare neurologische Ausfälle angesehen. Im Bereich des Schultergürtels sei keine frische Verletzung bzw. wesentliche Gesundheitsstörung nachweisbar. Die MdE sei seit August 1999 mit 10 vH zu bewerten.
Der Kläger hat vorgetragen, Dr.M. habe in einem Gutachten 1999 bei Vorliegen nahezu identischer Untersuchungsergebnisse eine MdE von 20 vH wegen Gesundheitsstörungen an der LWS angenommen. Außerdem sei er am 14.05.2003 wegen kompletten Sehnenrisses von Dr.E. an der rechten Schulter operiert worden. Nach dessen Auffassung habe die Kernspintomographie vom 24.11.1999 eine bereits eingerissene Sehne gezeigt. Dieser Einriss sei nicht durch eine Röntgenaufnahme feststellbar gewesen.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des SG Nürnberg vom 15.10.2001 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Nürnberg vom 15.10.2001 zurückzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird ergänzend auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte, der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz, der Archivakten des SG Nürnberg (S 6/U 209 und 242/2000), der Schwerbehindertenakte des AVF Nürnberg sowie der Krankheitsakten des Krankenhauses Nürberger Land Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig und auch begründet.
Im Gegensatz zur Auffassung des SG gelangt der Senat zu der Überzeugung, dass der Kläger über den Juli 1999 hinaus keinen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente hat. Die Voraussetzungen hierfür liegen nicht vor.
Ein Anspruch auf Verletztenrente setzt nach § 56 Abs 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) voraus, dass die Erwerbsfähigkeit des Klägers um wenigstens 20 vH gemindert ist. Voraussetzung dafür, dass eine Gesundheitsstörung als Folge eines Arbeitsunfalles anerkannt werden kann, ist, dass zwischen der unfallbringenden versicherten Tätigkeit und dem Unfall sowie dem Unfall und der Gesundheitsstörung ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Ein ursächlicher Zusammenhang liegt nach dem in der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Kausalitätsbegriff nur dann vor, wenn das Unfallereignis mit Wahrscheinlichkeit wesentlich die Entstehung oder Verschlimmerung eines Gesundheitsschadens bewirkt hat (BSGE 1, 72, 76; 12, 242, 245; 38, 127, 129; Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzl. Unfallversicherung, 5.Auflage, § 8 SGB VII Anm 4).
In Würdigung der Ausführungen der Sachverständigen Dr.W. (Gutachten vom 28.05.2002), Dr.M. (Gutachten vom 02.05.2003) und weitgehend auch Dr.L. , dessen im Verwaltungsverfahren erstelltes Gutachten vom 11.08.1999 in diesem Rechtsstreit verwendet werden kann (BSG Nr 66 zu § 128 SGG), geht der Senat davon aus, dass der Kläger anlässlich des Unfallereignisses vom 22.05.1998 einen Deckplattenbruch mit Vorderkantenbruch des 1.LWK erlitten hat. Der stabil verheilte, in leichter Keilwirbelfehlform konsolidierte Bruch rechtfertigt keine MdE um 20 vH. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist der Senat auch davon überzeugt, dass die weiteren vom Kläger geltend gemachten Gesundheitsstörungen an der rechten Schulter, an der Wirbelsäule und an den Oberschenkeln nicht mit Wahrscheinlichkeit ursächlich duch das Unfallereignis herbeigeführt worden sind.
Alle Gutachter sind sich darin einig, dass unfallbedingt eine leichtgradige Wirbelverformung des 1.LWK vorliegt. Die Wirbelkörperfraktur ist stabil ausgeheilt. Dies beweisen die Funktionsaufnahmen der LWS bei maximaler Vor- und Rückneigung. Auf diesen Funktionsaufnahmen ist - wie Dr.W. überzeugend ausführt - keine Verschiebung des 1.LWK gegenüber den angrenzenden Wirbelkörpern BWK 12 bzw LWK 2 nachweisbar. Der Unfall hat daher nur eine mäßige ventrale Kompression des 1.LWK hinterlassen. Die Hinterkante ist nicht verletzt, eine erhebliche statische Deformität ist nicht nachweisbar.
Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und den Schultergelenksbeschwerden rechts ist dagegen nicht wahrscheinlich. Diese Beschwerden gehen eindeutig auf degenerative Verschleißerscheinungen des Schultergelenkes, des Schultereckgelenkes und der Schultergelenkskapsel zurück. Nicht zuletzt wird dies dadurch unter Beweis gestellt, dass der Kläger erstmals am 05.02.1999, also mehr als acht Monate nach dem Unfallereignis, Beschwerden an der rechten Schulter geltend machte. Ebenso kann der Abriss der Sehne an der rechten Schulter nach den Feststellungen des Dr.W. und des Dr.S. nicht auf das Unfallereignis vom 22.05.1998 zurückgeführt werden. In den Aufzeichnungen des erstbehandelnden Krankenhauses Nürnberger Land finden sich auch keine Angaben über Schulterverletzungen bzw. -beschwerden aufgrund des Arbeitsunfalls von 1998 (Schreiben vom 19.01.2000).
Auch die Bewegungseinschränkung der unteren BWS und oberen LWS kann nach den überzeugenden Ausführungen des Dr.R. und des Dr.S. nicht auf den Arbeitsunfall zurückgeführt werden. Die gemessenen Bewegungseinschränkungen sind gering- bis mäßiggradig und haben keinen Krankheitswert.
Sensible Ausfälle in den unteren Extremitäten waren bei den Untersuchungen durch Dr.L. und Dr.W. nicht nachweisbar. Sie ergeben sich auch nicht aus den berufsgenossenschaftlichen Unterlagen. Lediglich Dr.R. spricht von einem gelegentlichen Pelzigkeitsgefühl an der Vorderseite beider Oberschenkel. Den grob neurologischen Befund bei der Untersuchung beider Beine hat er als normal angegeben. Auch Dr.S. beschreibt in seinem neurologischen Befund lediglich eine geringgradige Sensibilitätsstörung an der Außenseite des linken Oberschenkels. Diese Störungen verusachen aber keine Funktions- und Belastungseinschränkungen. Sie können nicht den Unfallfolgen angelastet werden, da sie nicht dem Verletzungssegment entsprechen.
Für die Festsetzung der MdE ist daher allein von dem stabil in leichter Fehlform verheilten Bruch des 1.LWK auszugehen. Eine höhere MdE als 10 vH ist für diese unfallbedingte Gesundheitsstörung des Klägers nicht vertretbar.
Kriterien für die Einschätzung der MdE nach einer Wirbelsäulenverletzung sind stabile oder instabile Ausheilung, Achsenabweichung, ungenügende Wiederertüchtigung der Wirbelsäulen-Haltemuskulatur sowie unterschiedliche Grade der Bandscheibenbeteiligung (Schönberger aaO, S 499, 500). Ein stabil ausgeheilter Wirbelkörperbruch mit Bandscheibenbeteiligung wird dabei mit einer MdE von unter 10 vH, bei statisch wirksamem Achsenknick mit 10 bis 20 vH und bei instabiler Ausheilung mit 20 vH bewertet (Schönberger aaO, S 500). Bei dem Kläger liegt eindeutig eine stabile Ausheilung vor. Eine Achsabweichung ist erst bei einem Knickwinkel von 15-20° als erheblich anzusehen. Dies ist bei dem Kläger aber nicht der Fall, da der Knickwinkel des verletzten 1.LWK, wie man den Röntgenaufnahmen entnehmen kann, nur 8° beträgt. Bei der Wirbelsäulen-Haltemuskulatur kann man keine wesentliche Atrophie der Rückenmuskulatur feststellen. Muskelverhärtungen iS von Myogelosen sind nicht erkennbar. Beim Kläger liegt zwar eine Bandscheibenbeteiligung vor. Es lässt sich röntgenologisch aber nur eine beginnende, geringgradige Bandscheibenminderung im Segment TH 12/L 1 nachweisen, ohne Kompressionserscheinungen auf Rückenmark oder Spinalnerv TH 12. Die unfallbedingte Gesundheitsstörung des Klägers ist daher mit einer MdE von unter 10 vH zu bewerten. Diese Bewertung entspricht den Erfahrungswerten im Schrifttum (Rompe/Erlenkämper, Begutachtung der Haltungs- und Bewegungsorgane). Danach sind stabil verheilte Wirbelbrüche im zweiten Jahr mit einer MdE von 0 bis 10 vH einzustufen. Die Schätzung des Dr.M. in seinem Gutachten für eine Privatversicherung vom 09.06.1999 kann der Bewertung nicht zugrunde gelegt werden, da sie mit den in der gesetzlichen Unfallversicherung entwickelten Maßstäben nicht in Einklang steht.
Den Beurteilungen der Dres R. und S. kann nicht gefolgt werden, da zum einen unfallbedingte neurologische Symptome nicht nachweisbar sind und zum anderen stabil ausgeheilte Wirbelkörperbrüche mit statisch unbedeutender Deformität vorliegen.
Nach alledem hat der Kläger keinen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE von 20 vH. Es steht ihm auch keine sog. Stützrente zu, da die MdE aufgrund erlittener Arbeitsunfälle vom 01.08. und 09.12.1986 jeweils weniger als 10 vH beträgt. Das Urteil des SG Nürnberg vom 15.10.2001 war daher aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger aufgrund des Arbeitsunfalles vom 22.05.1998 Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 vH über den Juli 1999 hinaus hat.
Der am 1946 geborene Kläger erlitt am 22.05.1998 einen Arbeitsunfall. Bei Überprüfung von Rohrverlegearbeiten stolperte er über ein Kantholz, verlor das Gleichgewicht und stürzte rückwärts in einen Rohrgraben. Dabei schlug er mit dem Kopf und der rechten Schulter auf. Er verspürte sofort Schmerzen im Rücken und hatte für kurze Zeit eine Gesichtsfeldeinschränkung des linken Auges. Der Durchgangsarzt Dr.W. diagnostizierte eine Lendenwirbelkörper- (LWK) I-Vorderkantenfraktur (Bericht vom 22.05.1998). Nach stationärem Aufenthalt im Krankenhaus N. , L. vom 22. bis 29.05.1998 war der Kläger bis 27.12.1998 arbeitsunfähig krank.
Nach Einholung eines Gutachtens des Chirurgen Dr.S. vom 19.01.1999 erkannte die Beklagte mit Bescheid vom 12.03.1999 den Unfall als Arbeitsunfall an und gewährte im Rahmen einer Gesamtvergütung für die Zeit vom 28.12.1998 bis 31.07.1999 Verletztenrente nach einer MdE von 20 vH. Als Folgen des Arbeitsunfalles anerkannte sie: Ein Teil der endgradigen Bewegungseinschränkung der Wirbelsäule sowie Verspannungen der Rückenstreckmuskulatur am Übergang der Brust- zur Lendenwirbelsäule nach in leichter Keilform knöchern fest durchbauten Bruch des 1.LWK. Nicht als Folgen des Arbeitsunfalles sah sie Schulterbeschwerden rechts sowie Prellungen des rechten Arms und der rechten Schulter an.
Der Kläger klagte am 05.02.1999 über Schmerzen und eine Bewegungseinschränkung im Bereich der rechten Schulter. Am 01.08.1986 und 09.12.1986 hatte er bereits Arbeitsunfälle (Prellungen des rechten Schultergelenkes) erlitten. Die MdE hierfür betrug jeweils weniger als 10 vH.
Am 15.07.1999 beantragte er eine Verletztenrente auf Dauer. Die Beklagte holte ein Gutachten des Chirurgen Dr.L. vom 20.08.1999 ein. Dieser sah als Unfallfolgen an: Statische Beschwerden im Bereich der Lendenwirbelsäule (LWS) mit schmerzhafter, jedoch ausreichender Funktion des unteren Achsenorgans mit Kompressionsfraktur der Deckplatte LWK I, zwischenzeitlich unter Deformierung knöchern fest durchbaut bei nachweisbaren Verschleißerscheinungen. Die MdE schätzte er ab August 1999 auf 10 vH.
Mit Bescheid vom 18.02.2000 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Verletztenrente nach Ablauf des Gesamtvergütungszeitraums ab. Im anschließenden Widerspruchsverfahren legte der Kläger ein Gutachten des Orthopäden Dr.M. (für eine Privatversicherung) vom 09.06.1999 vor. Dieser bewertete die Beweglichkeit der BWS und LWS als mäßiggradig eingeschränkt und setzte eine MdE von 20 vH an. Mit Bescheid vom 26.04.2000 wies die Beklagte den Widerspruch zurück, da die Einschätzung der MdE mit unter 20 vH im Einklang mit den für die gesetzliche Unfallversicherung entwickelten MdE-Erfahrungssätzen stehe.
Gegen diese Bescheide hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Nürnberg (SG) erhoben und beantragt, ab August 2000 Rente nach einer MdE um 20 vH zu gewähren. Er hat vorgetragen, dass er vor dem Arbeitsunfall keine Beschwerden, auch keine Bewegungseinschränkungen, gehabt habe.
Das SG hat Gutachten der Chirurgen Dr.R. vom 31.08.2000/ 08.01.2001 und Dr.S. vom 26.07.2001 / 18.08.2001 eingeholt. Dr.R. hat ausgeführt, es handele sich nicht um einen folgenlos verheilten stabilen LWK-Bruch. Vielmehr bestehe eine anhaltende Bewegungseinschränkung des verletzten Wirbelsäulensegmentes. Hinzu kämen hartnäckige Schmerzsymptome, die zur ständigen Einnahme von Schmerzmitteln zwingen würden. Die vor dem Unfall nicht bestehende Minderung der Gefühlsempfindlichkeit beider oberer Oberschenkelabschnitte sei auch auf den Unfall zurückzuführen. Die MdE sei mit 20 vH gerechtfertigt. Diese Einschätzung vertrat auch Dr.S ... Die Beklagte hat dem unter Vorlage gutachtlicher Stellungnahmen des Chirurgen Dr.B. vom 06.11.2000 / 13.02.2001 / 19.09.2001 widersprochen. Dieser hat bemängelt, dass zu Unrecht unfallunabhängige Verschleißerkrankungen in den Unfallzusammenhang gestellt würden. Die Missempfindungen an der Außenseite des linken Oberschenkels entsprächen nicht dem Verletzungssegment. Die Beweglichkeit im Verletzungsgebiet sei sogar als günstig zu bezeichnen. Eine MdE von 20 vH sei nicht zu rechtfertigen.
Mit Urteil vom 15.10.2001 hat das SG Nürnberg die Beklagte verurteilt, dem Kläger über den 31.07.1999 hinaus Rente nach einer MdE um 20 vH zu gewähren. Es hat sich dabei im Wesentlichen auf die Gutachten der Chirurgen Dr.R. und Dr.S. gestützt.
Hiergegen hat die Beklagte Berufung eingelegt und vorgetragen, Dr.S. habe zwar eine Spondylosis deformans an der BWS als unfallfremde Erkrankung festgestellt. Er habe aber unterlassen, die unfallbedingten Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule von den unfallfremden abzugrenzen. Dr.R. habe nicht diskutiert, ob die Bewegungseinschränkung der BWS im Unfallzusammenhang stehe oder auf degenerative Veränderungen zurückzuführen sei. Ohne nähere Begründung habe er eine mäßige bis deutliche Bewegungseinschränkung der unteren BWS als Unfallfolge festgestellt. Tatsächlich liege als Unfallfolge lediglich eine leichtgradige Keilverformung des 1.LWK ohne wesentliche Achsabknickung vor. Die Bewegungseinschränkung der oberen und mittleren BWS sowie die Missempfindung an der Außenseite des linken Oberschenkels seien nicht unfallbedingt. Eine MdE von 20 vH über den 31.07.1999 sei nicht begründbar.
Der Senat hat eine Arbeitsunfähigkeitsauskunft der Barmer Ersatzkasse N. vom 20.12.2001, sowie die einschlägigen Röntgenaufnahmen zum Verfahren beigezogen und Gutachten des Orthopäden Dr.W. vom 28.05.2002 und gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) des Orthopäden Dr.M. vom 02.05.2002 eingeholt. Dr.W. hat die Schultergelenksbeschwerden ebenso wie die geringe neurologische Störung an den Oberschenkeln nicht den Unfallfolgen angelastet. Die Bewegungseinschränkung im relevanten BWS-LWS-Bereich sei gering- bis mäßiggradig, so dass eine MdE von 20 vH nicht vertretbar sei.
Dr.M. hat den Arbeitsunfall als alleinigen Auslöser einer später in leichter Fehlstellung knöchern fest verheilten Fraktur des 1.LWK ohne bleibenden erheblichen funktionellen Verlust und ohne nachweisbare neurologische Ausfälle angesehen. Im Bereich des Schultergürtels sei keine frische Verletzung bzw. wesentliche Gesundheitsstörung nachweisbar. Die MdE sei seit August 1999 mit 10 vH zu bewerten.
Der Kläger hat vorgetragen, Dr.M. habe in einem Gutachten 1999 bei Vorliegen nahezu identischer Untersuchungsergebnisse eine MdE von 20 vH wegen Gesundheitsstörungen an der LWS angenommen. Außerdem sei er am 14.05.2003 wegen kompletten Sehnenrisses von Dr.E. an der rechten Schulter operiert worden. Nach dessen Auffassung habe die Kernspintomographie vom 24.11.1999 eine bereits eingerissene Sehne gezeigt. Dieser Einriss sei nicht durch eine Röntgenaufnahme feststellbar gewesen.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des SG Nürnberg vom 15.10.2001 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Nürnberg vom 15.10.2001 zurückzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird ergänzend auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte, der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz, der Archivakten des SG Nürnberg (S 6/U 209 und 242/2000), der Schwerbehindertenakte des AVF Nürnberg sowie der Krankheitsakten des Krankenhauses Nürberger Land Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig und auch begründet.
Im Gegensatz zur Auffassung des SG gelangt der Senat zu der Überzeugung, dass der Kläger über den Juli 1999 hinaus keinen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente hat. Die Voraussetzungen hierfür liegen nicht vor.
Ein Anspruch auf Verletztenrente setzt nach § 56 Abs 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) voraus, dass die Erwerbsfähigkeit des Klägers um wenigstens 20 vH gemindert ist. Voraussetzung dafür, dass eine Gesundheitsstörung als Folge eines Arbeitsunfalles anerkannt werden kann, ist, dass zwischen der unfallbringenden versicherten Tätigkeit und dem Unfall sowie dem Unfall und der Gesundheitsstörung ein ursächlicher Zusammenhang besteht. Ein ursächlicher Zusammenhang liegt nach dem in der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Kausalitätsbegriff nur dann vor, wenn das Unfallereignis mit Wahrscheinlichkeit wesentlich die Entstehung oder Verschlimmerung eines Gesundheitsschadens bewirkt hat (BSGE 1, 72, 76; 12, 242, 245; 38, 127, 129; Bereiter-Hahn/Mehrtens, Gesetzl. Unfallversicherung, 5.Auflage, § 8 SGB VII Anm 4).
In Würdigung der Ausführungen der Sachverständigen Dr.W. (Gutachten vom 28.05.2002), Dr.M. (Gutachten vom 02.05.2003) und weitgehend auch Dr.L. , dessen im Verwaltungsverfahren erstelltes Gutachten vom 11.08.1999 in diesem Rechtsstreit verwendet werden kann (BSG Nr 66 zu § 128 SGG), geht der Senat davon aus, dass der Kläger anlässlich des Unfallereignisses vom 22.05.1998 einen Deckplattenbruch mit Vorderkantenbruch des 1.LWK erlitten hat. Der stabil verheilte, in leichter Keilwirbelfehlform konsolidierte Bruch rechtfertigt keine MdE um 20 vH. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist der Senat auch davon überzeugt, dass die weiteren vom Kläger geltend gemachten Gesundheitsstörungen an der rechten Schulter, an der Wirbelsäule und an den Oberschenkeln nicht mit Wahrscheinlichkeit ursächlich duch das Unfallereignis herbeigeführt worden sind.
Alle Gutachter sind sich darin einig, dass unfallbedingt eine leichtgradige Wirbelverformung des 1.LWK vorliegt. Die Wirbelkörperfraktur ist stabil ausgeheilt. Dies beweisen die Funktionsaufnahmen der LWS bei maximaler Vor- und Rückneigung. Auf diesen Funktionsaufnahmen ist - wie Dr.W. überzeugend ausführt - keine Verschiebung des 1.LWK gegenüber den angrenzenden Wirbelkörpern BWK 12 bzw LWK 2 nachweisbar. Der Unfall hat daher nur eine mäßige ventrale Kompression des 1.LWK hinterlassen. Die Hinterkante ist nicht verletzt, eine erhebliche statische Deformität ist nicht nachweisbar.
Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und den Schultergelenksbeschwerden rechts ist dagegen nicht wahrscheinlich. Diese Beschwerden gehen eindeutig auf degenerative Verschleißerscheinungen des Schultergelenkes, des Schultereckgelenkes und der Schultergelenkskapsel zurück. Nicht zuletzt wird dies dadurch unter Beweis gestellt, dass der Kläger erstmals am 05.02.1999, also mehr als acht Monate nach dem Unfallereignis, Beschwerden an der rechten Schulter geltend machte. Ebenso kann der Abriss der Sehne an der rechten Schulter nach den Feststellungen des Dr.W. und des Dr.S. nicht auf das Unfallereignis vom 22.05.1998 zurückgeführt werden. In den Aufzeichnungen des erstbehandelnden Krankenhauses Nürnberger Land finden sich auch keine Angaben über Schulterverletzungen bzw. -beschwerden aufgrund des Arbeitsunfalls von 1998 (Schreiben vom 19.01.2000).
Auch die Bewegungseinschränkung der unteren BWS und oberen LWS kann nach den überzeugenden Ausführungen des Dr.R. und des Dr.S. nicht auf den Arbeitsunfall zurückgeführt werden. Die gemessenen Bewegungseinschränkungen sind gering- bis mäßiggradig und haben keinen Krankheitswert.
Sensible Ausfälle in den unteren Extremitäten waren bei den Untersuchungen durch Dr.L. und Dr.W. nicht nachweisbar. Sie ergeben sich auch nicht aus den berufsgenossenschaftlichen Unterlagen. Lediglich Dr.R. spricht von einem gelegentlichen Pelzigkeitsgefühl an der Vorderseite beider Oberschenkel. Den grob neurologischen Befund bei der Untersuchung beider Beine hat er als normal angegeben. Auch Dr.S. beschreibt in seinem neurologischen Befund lediglich eine geringgradige Sensibilitätsstörung an der Außenseite des linken Oberschenkels. Diese Störungen verusachen aber keine Funktions- und Belastungseinschränkungen. Sie können nicht den Unfallfolgen angelastet werden, da sie nicht dem Verletzungssegment entsprechen.
Für die Festsetzung der MdE ist daher allein von dem stabil in leichter Fehlform verheilten Bruch des 1.LWK auszugehen. Eine höhere MdE als 10 vH ist für diese unfallbedingte Gesundheitsstörung des Klägers nicht vertretbar.
Kriterien für die Einschätzung der MdE nach einer Wirbelsäulenverletzung sind stabile oder instabile Ausheilung, Achsenabweichung, ungenügende Wiederertüchtigung der Wirbelsäulen-Haltemuskulatur sowie unterschiedliche Grade der Bandscheibenbeteiligung (Schönberger aaO, S 499, 500). Ein stabil ausgeheilter Wirbelkörperbruch mit Bandscheibenbeteiligung wird dabei mit einer MdE von unter 10 vH, bei statisch wirksamem Achsenknick mit 10 bis 20 vH und bei instabiler Ausheilung mit 20 vH bewertet (Schönberger aaO, S 500). Bei dem Kläger liegt eindeutig eine stabile Ausheilung vor. Eine Achsabweichung ist erst bei einem Knickwinkel von 15-20° als erheblich anzusehen. Dies ist bei dem Kläger aber nicht der Fall, da der Knickwinkel des verletzten 1.LWK, wie man den Röntgenaufnahmen entnehmen kann, nur 8° beträgt. Bei der Wirbelsäulen-Haltemuskulatur kann man keine wesentliche Atrophie der Rückenmuskulatur feststellen. Muskelverhärtungen iS von Myogelosen sind nicht erkennbar. Beim Kläger liegt zwar eine Bandscheibenbeteiligung vor. Es lässt sich röntgenologisch aber nur eine beginnende, geringgradige Bandscheibenminderung im Segment TH 12/L 1 nachweisen, ohne Kompressionserscheinungen auf Rückenmark oder Spinalnerv TH 12. Die unfallbedingte Gesundheitsstörung des Klägers ist daher mit einer MdE von unter 10 vH zu bewerten. Diese Bewertung entspricht den Erfahrungswerten im Schrifttum (Rompe/Erlenkämper, Begutachtung der Haltungs- und Bewegungsorgane). Danach sind stabil verheilte Wirbelbrüche im zweiten Jahr mit einer MdE von 0 bis 10 vH einzustufen. Die Schätzung des Dr.M. in seinem Gutachten für eine Privatversicherung vom 09.06.1999 kann der Bewertung nicht zugrunde gelegt werden, da sie mit den in der gesetzlichen Unfallversicherung entwickelten Maßstäben nicht in Einklang steht.
Den Beurteilungen der Dres R. und S. kann nicht gefolgt werden, da zum einen unfallbedingte neurologische Symptome nicht nachweisbar sind und zum anderen stabil ausgeheilte Wirbelkörperbrüche mit statisch unbedeutender Deformität vorliegen.
Nach alledem hat der Kläger keinen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente nach einer MdE von 20 vH. Es steht ihm auch keine sog. Stützrente zu, da die MdE aufgrund erlittener Arbeitsunfälle vom 01.08. und 09.12.1986 jeweils weniger als 10 vH beträgt. Das Urteil des SG Nürnberg vom 15.10.2001 war daher aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
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